Als Shuichi wieder zu sich kam, fühlte er sich noch ein wenig matt, aber immerhin nicht mehr ganz so ausgelaugt wie zuvor. Er musste ein paar Mal blinzeln, um wieder klar sehen zu können, im ersten Moment war alles total verschwommen.

Wo war er hier? Er sah sich um. Der Raum, in dem er sich befand, war nicht sehr groß. Shuichi lag auf einem weichen Futon und war mit mehreren warmen Decken zugedeckt. Fast automatisch fuhr seine Hand an den Hals, an die Stelle, wo der schwarzhaarige Fremde ihn gebissen hatte. Aber dort war nichts! Keine Bissspuren, nichts. Hatte er sich das Ganze etwa nur eingebildet?

Durch die Zimmertür hörte er eine aufgebrachte Stimme. Es war die Stimme des zweiten Fremden von gestern abend. Von dem Mann, der den anderen davon abgehalten hatte, ihn -Shuichi - umzubringen.

Also war es doch wirklich passiert - er war von einem Vampir gebissen worden! Aber wieso hatte er dann keine Bissspuren am Hals? Das einzige, was Shuichi mit Sicherheit wusste, war, dass er dem Mann, in dessen Wohnung er sich anscheinend befand, sein Leben verdankte. Er musste sich bei ihm bedanken. Doch statt aufzustehen, lauschte er der wütenden Stimme seines Lebensretters.

"Du solltest Ryuichi mal Manieren beibringen!", schimpfte der Mann. "Er hat letzte Nacht fast ein Kind umgebracht!"

Ryuichi? Shuichi erschrak, als er den Namen hörte. Doch dann kam es ihm in den Sinn, dass der Fremde den schwarzhaarigen Mann von gestern meinte, und nicht Sakuma.

"Es ist mir egal, wie du das anstellst! Von mir aus sperr ihn in eine Gruft, damit er mal nachdenkt! Er sollte sich besser an unseren Kodex halten! Und er soll verdammt noch mal seine Finger von Minderjährigen lassen! Ansonsten bekommt er es mit mir zu tun!"

Shindou konnte hören, wie ein Telefonhörer geräuschvoll auf eine Gabel geknallt wurde, und zuckte erschrocken zusammen. Der Fremde schien ziemlich außer sich zu sein. Dann kam dem Jungen ein weiterer Gedanke. Aus dem, was er von dem Telefonat eben und dem Streit gestern abend mitbekommen hatte, ließ sich schließen, dass sein Lebensretter ebenfalls ein Vampir war. Und er hatte mit einem dritten telefoniert.

Kraftlos ließ er sich in die Kissen sinken. Er war von Vampiren umgeben. Er war verloren! Was sollte er nun machen? Der Junge schloss die Augen und biss sich auf die Unterlippe, als die Zimmertür geöffnet wurde, und der Fremde, der ihn gestern abend gerettet hatte, den Raum betrat.

Der Mann setzte sich neben ihn, strich ihm sanft die Haare aus dem Gesicht und legte eine Hand auf seine Stirn. "Glück gehabt, Fieber hast du jedenfalls nicht. Wie fühlst du dich?", fragte er leise.

Shuichi öffnete langsam die Augen und blinzelte. Der Mann, der neben ihm saß, hatte ebenfalls schwarze Haare, die aber etwas länger waren als die des Mannes von gestern abend. Außerdem hatte er feinere Gesichtszüge und wirkte viel freundlicher. "Ganz gut...", murmelte der pinkhaarige Sänger. "Ich fühle mich nur noch etwas schwach."

Der schwarzhaarige Mann nickte grimmig. "Das kann ich mir vorstellen, nach dem enormen Blutverlust.", brummte er. "Aber ich muss zugeben, du erholst dich erstaunlich schnell. Ich hätte nicht erwartet, dass du jetzt schon wieder aufwachst."

Shuichi schluckte. "Sind Sie ein Vampir?", fragte er leise. Er kam sich furchtbar albern vor, dem Mann diese Frage zu stellen, aber er musste es wissen.

Der schwarzhaarige Mann nickte. "Ja, das bin ich." Shuichi musste wieder schlucken. Er hatte es doch geahnt! "Wieso haben Sie mir geholfen?", wollte er nun wissen.

Der Fremde schien über diese Frage ehrlich erstaunt zu sein. "Nun...", meinte er. "Unser Kodex verbietet es uns, Kinder anzugreifen. Allgemein Minderjährige. Wir sind auch dazu verpflichtet, andere Vampire aufzuhalten, wenn sie es doch tun sollten. Ryuichi hätte dich sicher umgebracht, wenn ich nicht zufällig vorbeigekommen wäre. Da ich ihn aber zum Glück davon abhalten konnte, wird seine Strafe für sein Vergehen nicht ganz so hart ausfallen."

"Strafe?", fragte Shuichi verwundert. Er konnte sich nicht vorstellen, wie man einen Vampir bestrafen konnte, und vor allem, wer dies tun sollte. Der schwarzhaarige Mann lächelte.

"Du bist verdammt neugierig. Ich hätte damit rechnen müssen. Ich kann dir allerdings nicht mehr sagen, sonst verstoße ich auch gegen den Kodex. Eigentlich habe ich dir jetzt schon zu viel verraten." Er zwinkerte dem pinkhaarigen Jungen zu. "Wie heißt du eigentlich? Schließlich muss ich ja wissen, wem ich das Leben gerettet habe."

Shuichi lächelte. Der Mann schien wirklich ein netter Mensch - gomen, Vampir - zu sein. "Shindou Shuichi.", antwortete er.

"Ich bin Kobashi Teruhiko. Du kannst mich aber ruhig Teru nennen.", erwiderte der schwarzhaarige Mann darauf. Wieder zwinkerte er dem Jungen zu. Dann stand er auf. "Du hast bestimmt Hunger."

Shindou blinzelte. Er war in der Tat hungrig, nur war ihm das bisher nicht aufgefallen. Er war zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt gewesen. 'Yuki!', fiel es ihm plötzlich ein. Was würde der blonde Schriftsteller dazu sagen, dass er noch immer nicht zu Hause war?

"Was ist los?", fragte Teru ihn. "Hast du keinen Hunger?"

Der pinkhaarige Sänger schüttelte den Kopf. "Hunger hab ich schon... aber Yuki macht sich sicher Sorgen um mich." Er sah auf die Uhr. "Und ich hätte schon längst im Studio sein müssen!"

Teru nickte. "Darum kümmern wir uns später. Aber zunächst solltest du etwas essen, damit du wieder zu Kräften kommst."