Das Unvermeidliche

Sie hatten gespeist und sich für den nächsten Tag zur Jagd verabredet. Faramir war froh, dass es kein drohender Krieg war, der den König in sein Haus geführt hatte, sondern eher unbedeutende Kleinigkeiten, die zwischen König und Statthalter von Zeit zu Zeit geklärt werden mussten.

So konnten sie wie zwei Freunde ein wenig Zerstreuung genießen und Faramir freute sich auf die Jagd.

Er hoffte, dass es Éowyn bald wieder besser gehen würde, aber er wusste ja dass seine Frau zart war und oft für sich allein bleiben wollte. Er hatte sich in sie verliebt mit all ihren Eigenheiten und wenn es ihr nur gut ging würde die Sonne in seinem Herzen nie aufhören zu scheinen.

* * *

Aragorn wälzte sich in seinem Gästelager schlaflos hin und her.

Es war nicht das Essen, das war leicht und schmackhaft zubereitet gewesen und lag nicht schwer im Magen. Auch an seinem Gastgeber lag es nicht. Faramir hatte ihn empfangen wie einen Freund und er genoss es, nach langer Zeit sich endlich wieder einmal frei und fast wie in alten Zeiten als Waldläufer fühlen zu können.

Das fahle Mondlicht schien in sein Zimmer und schließlich stand er auf und trat ans mannshohe Fenster, das über ein paar Stufen auf einen kleinen Garten hinausging.

Da stand sie. Er hatte gewußt, dass sie dort stehen würde.

Das weiße Nachtgewand reflektierte das Mondlicht und ließ sie fast wie eine Elbe erscheinen, doch er wusste, dass kein elbisches Blut in ihr floss und er war dankbar dafür. Sie blickte hinauf in den Nachthimmel und schien sich im Anblick der Unendlichkeit des Universums zu verlieren.

Aragorn machte sich nicht die Mühe sein Hemd anzuziehen, sondern trat, nur mit seiner Hose bekleidet hinaus in den begrünten Hof. Sie wandte ihm den Rücken zu.

"Dann bist du also wieder gekommen..." begrüßte sie ihn mit leiser Stimme, ohne sich umzudrehen. "Éowyn..." er wusste nichts zu erwidern, stand nur hilflos da, unfähig, den nächsten Schritt zu wagen.

Quälend langsam drehte sie sich nun um und als ihre Augen die seinen trafen, stockte ihm der Atem. Er war drauf und dran sich in diesem Blick zu verlieren und ohne ein Wort erkannte er all den Schmerz und all die Sehnsucht, die sie tief in sich verschlossen hatte.

"Du wagst es, wieder zu mir zu kommen..." Bitterkeit schwang mit ihren Worten und er schluckte. "Nach allem, was du mir gesagt hast. Nach allem was du mir angetan hast, wagst du es, mir noch einmal unter die Augen zu treten..."

"Bitte vergib mir Éowyn. Ich habe nichts vergessen. Ich weiß ich habe dir wehgetan, doch glaub mir, ich wollte stets nur das Beste für dich." Flehen lag in seiner Stimme und es erfüllte Éowyn fast mit Genugtuung, das zu hören.

"Woher willst du wissen, was das beste für eine Frau wie mich ist?" voller Abscheu spie sie aus, ihm direkt vor die Füße.

"Bitte... hör mir zu! Ich leide! Ich wäre nicht gekommen, aber ich weiß nicht mehr, wie ich die Sehnsucht meines Herzens noch länger bezähmen soll."

"Du leidest? Gut! Es freut mich das zu hören, Aragorn. Denn wie stark auch immer dein sogenanntes Leiden ist, es wird nie auch nur den Bruchteil dessen ausmachen, was auf meinem Herzen liegt."

Éowyn schien plötzlich zu wachsen und ein Strahlen wie eine Aura schien sie für einen Augenblick zu umgeben. Und wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er sie für eine elbische Zauberin halten können.

Er erkannte, dass sie Recht hatte.

Er hatte kein Recht, hierher zu kommen und sie für seinen Herzschmerz verantwortlich zu machen. Sie hatte sich ihm geben wollen, damals nach der großen Schlacht. Nachdem er sie geheilt hatte. Sie hatte sich ihm erklärt, aber er hatte ihr tapferes Herz nicht belohnt und sich von ihr abgewandt. Er hatte ihr harte Worte gesagt und war fortgegangen, ohne auf ihre Einwände zu achten.

Dass er nicht glücklich geworden war, war nicht ihre Schuld, es war ganz allein sein Verdienst und es brach ihm das Herz, dass er nun erkannte, dass sie ebenfalls nicht glücklich geworden war.

Doch warum war sie nun hier in diesem Garten, mitten in der Nacht? Es gab keine weiteren Zimmer außer seinem eigenen, die einen Zugang zum Garten hatten. Nur ein kleiner Pfad führte von außen noch hierher, der Weg, den sie genommen haben musste, um hierher zu gelangen. Um ihn zu treffen...

Er sah sie abwartend an und hoffte, sie würde endlich ihm kommen und seine Seelenpein lindern. Doch ihre nächsten Worte schnitten wie Messer in sein Herz.

"Aragorn, ich hasse dich." Sagte sie leise und ihre Stimme bebte. "Ich hasse es, wie du von meinem Leben Besitz ergriffen hast und wie du das jetzt ausnutzt. Du kommst hierher in mein Haus, anstatt dort zu bleiben wo du hin wolltest, als du mich einst von dir stießt. Ich hatte mein Leben im Griff, doch du kannst mir keinen Frieden lassen! Nein, du dringst hier ein und quälst mich!"

Endlich löste sich seine Starre und er stürmte auf die zierliche Frau zu und riss sie in seine Arme. Seine Augen waren tränenblind und er vergrub sein Gesicht in ihrer Halsbeuge.

Wie in Trance stand sie da und ließ es geschehen, hin und her gerissen zwischen brennendem Verlangen und dem Bewusstsein, dass sie sich später auf jeden Fall furchtbar fühlen würde, egal, was sie nun tun würde.

"Éowyn, ich liebe dich. Ich liebe deine Stärke, deinen Mut, deine Unbeugsamkeit. Ich habe entsetzliche Fehler gemacht, aber ich bitte dich, Stoss mich nicht weg. Ich brauche dich und dein Liebe, du bist die einzige Frau, die einem Mann wie mir gewachsen ist... Ich brauche keine Elbenprinzessin, ich brauche eine Kriegerin an meiner Seite, das habe ich jetzt erkannt. Bitte sag mir, dass es nicht zu spät ist..."

Noch immer stand sie wie erstarrt und der Triumph schmeckte schal. Sie erwiderte nun seine Umarmung und sein Weinen ging ihr durch und durch.

Elessar der König lag in ihren Armen und weinte wie ein Kind...

Sie war versucht, nachzugeben. Der Wunsch wuchs von Sekunde zu Sekunde, sich ihm nach all den Jahren des stillen Sehnens und Träumens auch in Wirklichkeit hinzugeben. Zu viel des alten Verlangens nach Freiheit und Heldentum loderte noch immer in ihr. Der Wunsch nach einem Mann an ihrer Seite an dem sie sich täglich messen konnte, der schwierig und unberechenbar war, war auch nach so vielen Jahren nicht verschwunden.

Faramir war ein wundervoller Ehemann, der ihr jeden Wunsch von den Augen ablas und nie etwas von ihr verlangte, dass ihr keine Freude bereitete. Sie war seine Prinzessin und sie liebte ihren Mann. Doch der, den sie hier hielt, war ihr geheimes Sehnen und die Personalisierung all ihrer Träume nach wilder Freiheit und einem ungewöhnlichen Leben zu dem sie sich noch immer berufen fühlte.

Sie konnte nun wählen.

Sie bemerkte, dass Aragorn aufgeblickt hatte und seine Augen nach ihren suchten.

Und als sie ihn ansah, starb etwas in ihr.

"Sag etwas, meine geliebte Éowyn!" forderte er mit belegter Stimme, doch sie konnte nichts erwidern. Sie schüttelte nur den Kopf und wand sich aus seiner Umarmung, die sie noch immer zu sehr erregte.

"Geht!" konnte sie schließlich hervorwürgen, doch er machte keine Anstalten dazu.

"Nein schick mich nicht weg... Ich liebe dich und brauche dich."

"Nein, Aragorn du liebst mich nicht. Du liebst nur dich selbst und weißt doch überhaupt nicht, wer oder was ich bin. Du begehrst mich, weil ich anders bin, als andere Frauen. Du siehst mich als Beute in einer makabren Jagd und selbst wenn ich vor Begehren nach dir und deiner Liebe sterben müsste, ich werde dir nicht nachgeben."

Er riss ungläubig die Augen auf aber sie fühlte sich plötzlich leicht und frei. Sie hatte sich entschieden, auch wenn es die schwerste Entscheidung ihres Lebens gewesen war.

Éowyn machte auf dem Hacken kehrt und entfernte sich mit sicheren und energischen Schritten von Aragorn.

Er sah nicht, dass sie bittere Tränen weinte.