"Verzeih mir", wisperte die Königin. "Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass du mich verstehst!"
Wie seltsam mussten ihre Worte in seinen Ohren klingen, denn sie brachte großen Schmerz über ihn - aber auch über sich, denn die Hand gegen ihn zu erheben war für sie, wie sich selbst den Dolch in die Brust zu stoßen.
Hätte dies ihn befreit von dem seltsamen Fluch der auf ihm lag, hätte sie nicht einen winzigen Augenblick gezögert. So aber war es eine unendliche Qual für sie, nahm sie doch dem Wesen das Leben, welches ihr so kostbar war, dass es für diese Liebe keine Worte gab.
Ein wenig Trost fand sie in dem Gedanken, dass sie nicht gegen ihren geliebten Mann kämpfte, sondern gegen eine unerklärliche Macht, die von ihm Besitz ergriffen hatte und die sich nicht mehr vertreiben ließ, denn allein durch den Tod.
Nur der Tod würde Gnade und Frieden bringen für sie beide, dessen war die Königin gewiss! Dass es bedeutete, sein Blut zu vergießen und ihm Schmerzen zu bereiten, machte diese Augenblicke zu den bittersten ihres Lebens; aber zugleich fühlte sie die Ruhe in ihr Herz zurückkehren, die so lange daraus vertrieben gewesen war, weil sie der Angst um den Geliebten hatte weichen müssen.
Nun endlich war das vollbracht, was vielleicht schon viel früher hätte geschehen müssen und fast schien es der Königin, als habe ihr Gemahl auf diese Stunde gewartet, denn für einen winzigen Augenblick sah sie das alte Leuchten in seinen dunklen Augen, das sie immer geliebt hatte und das so voller Verständnis und Zuneigung war.
Aber dann war es fort, hinweggewischt von loderndem Zorn und Raserei; aus Schmerz geboren und dem Gefühl des Verratenwordenseins, und er packte mit der einen Hand ihre Schulter und mit der anderen das Heft des Dolches, den sie festhielt, als hinge ihr Leben davon ab. Gepeinigt keuchte sie auf, als sich seine Fingernägel in ihre Haut bohrten und blutige Furchen hinterließen.
Mit aller Kraft, die sie hatte, klammerte sie sich an die Waffe und ignorierte den Druck seiner Hand auf ihren zarten Fingern. Ein wilder Schrei kam über ihre Lippen, sie riss das Heft mit Wucht herum, hörte das entsetzliche Geräusch, als es über den Knochen glitt - und sie schrie noch einmal, als er ihr die Schulter brach, Knochensplitter sich in ihre Muskeln und durch ihre helle Haut bohrten. Der Schmerz raubte ihr beinahe die Sinne, er war schier unerträglich und jagte durch ihren Körper wie eine Feuerlohe, die brüllend ihren Verstand zu verschlingen drohte.
Aber sie ließ es nicht zu. Tief in ihrem Inneren hielt die Stärke, die ihr all die Jahre zu eigen gewesen war, dem Grauen stand.
Warmes Blut ergoss sich nun in Strömen über die Hände der Königin und das Heft des Dolches, das sie noch immer festhielt. Doch ihre Finger lockerten sich, denn es wurde nass und entglitt ihr, aber sie durfte nicht loslassen - noch nicht!
Oh gebt mir die Macht zu Ende zu führen, was ich begonnen habe, ihr Erhabenen! rief sie stumm zu den Valar und Frieden breitete sich in ihrem Herzen aus; wusste sie doch, dass sie das Richtige getan hatte - in einem letzten Akt selbstloser Hingabe, den nur sie hatte vollbringen können, so schwer es ihr auch gefallen war.
Der König fletschte die Zähne wie ein Raubtier und Blut trat aus seinem Mund, besudelte sein Gesicht und das der Königin, als er sie mit einem eisernen Griff an sich zog und ihr den Kuss gab, um den sie kurz zuvor gebeten hatte.
Seine Lippen fanden die ihren und für einen Moment verlor sie sich in dieser Berührung, in der das alte Feuer lag, das Leidenschaft weckte, aber dann schmeckte sie Blut, Hass und Dunkelheit ... und da spürte sie, dass alles umsonst gewesen war. Sie wollte sich von ihm lösen, aber nun hielt er sie fest mit einer Kraft, die nicht die seine war.
Mit Schrecken wurde ihr bewusst, dass er noch immer atmete, obwohl scharfer Stahl sich in seinen Körper gegraben hatte und das Leben aus ihm herausfließen ließ in einem stetigen Strom roten Blutes, das nun den hellen Boden vor dem Thron zu benetzen begann und kleine Rinnsale bildete, die sich wanden wie winzige Schlangen.
Aber all dies schien ihn nicht zu berühren; ja, er schien nicht einmal zu begreifen, was geschah und in seinen Augen lag wieder dieses geisterhafte Leuchten, das tief aus seinem vergifteten Herzen kam und das ihn verwandelte.
Die Königin erschauerte in plötzlicher Erkenntnis.
Ihr Gemahl und Geliebter war lange schon tot!
Denn wo das Fleisch sich beharrlich weigerte, den Weg alles Vergänglichen zu gehen, hatte eine finstere Macht die Seele schon vor Zeiten verschlungen.
Die Königin schluchzte gepeinigt auf. Warum hatte sie dies nicht erkannt; und sich in einen Kampf gewagt, den sie nicht gewinnen konnte?
Die Liebe hatte sie mit Blindheit geschlagen und ihr reines Herz, das sich so sehr nach einem letzten Funken Gutem in ihrem Gemahl gesehnt hatte, war zum Betrüger an ihr geworden. Aber ein noch größerer Betrug war es, dass sie das Wesen in der Gestalt des Königs nicht zu hassen vermochte - und das sie es nicht töten konnte, denn mit einem Male wusste sie: auch wenn sie ihm sein eigenes Schwert in die Brust gestoßen hätte, würde er dastehen und sich langsam die Waffe aus dem Leib ziehen, so wie er es mit dem Dolch jetzt tat und ihr dabei die Finger brach.
Sie wimmerte, kämpfte gegen seinen unbarmherzigen Griff und mit Entsetzen sah sie, wie die Klinge des Dolches sich gegen sie wandte. Ihre Angst gab ihr noch einmal Kraft, sie riss ihre Hände los und wollte fliehen. Aber der König packte sie und zog sie herum, so dass sie gegen ihn geschleudert wurde. Der Aufprall nahm ihr den Atem und dann spürte sie den scharfen Schmerz, als der Dolch sich in ihre Brust bohrte.
Wie eiserne Ringe umschlossen sie die Arme des Königs, und das Leben verließ sie. Sie öffnete den Mund, aber keine Worte kamen über ihre blutigen Lippen, obwohl sie ihm so gerne Lebewohl gesagt hätte - nur eine Träne rann über ihre Wange. Sie weinte um ihn und über das Unheil, das er in die Welt tragen würde, denn sie hatte versagt. Bitter war es für sie, hatte sie doch einst geschworen, ihm zur Seite zu stehen, was auch geschehen mochte und ihn zu beschützen, wie auch er sie immer beschützt hatte.
Niemals zuvor hatte sie die Gelegenheit gehabt, ihren Schwur einzulösen - und als es endlich soweit war, reichte ihre Kraft nicht aus; denn sie war eine Sterbliche, die sich Mächten gegenüber sah, die sie nicht begreifen, geschweige denn bekämpfen konnte und die ihren Gemahl verwandelt hatten, langsam aber unumkehrbar. Die ihre Liebe zueinander zerstört hatten und die nun auch ihr gemeinsames Leben vernichteten ...
Und so starb sie, Herrin eines großen Reiches der Menschen und Fürstin an der Seite eines gewaltigen Königs. Ihre Augen brachen - aber noch immer stand Liebe darin und unendliches Bedauern.
Einstmals war diese Liebe glühend erwidert worden; bis ein winziges rundes Stück Gold mit einem erlesenen Rubin gekommen war und diese Liebe gestohlen hatte, sie erkalten ließ in wenigen Jahren und in ein unheilvolles Begehren verwandelte, das aus Wissensdurst eine langsam aufkeimende, aber gut verborgene Gier nach immer mehr Wissen und der Handhabung dunkler Künste geformt hatte und, aus der schließlich das Lechzen nach unbegrenzter Macht über alles geworden war.
Fest hielt der König seine Gemahlin lange Zeit, aber nach und nach lockerte sich sein Griff und endlich glitt ihr Körper zu Boden; achtlos fallen gelassen wie eine Rose, deren Blätter verwelkt waren und die ihre Schönheit verloren hatte.
Seine Augen ruhten auf ihr, doch er sah sie nicht, und wenn er sie gesehen hätte, dann wäre sie eine Fremde für ihn gewesen, denn er kannte von nun an nichts mehr außer einem, und dieses eine beherrschte seine Seele. Er trat über den schlanken Körper hinweg, unter dem sich eine Lache dunklen Blutes gebildet hatte, das sich mit seinem eigenen vermischte, denn die Wunde in seiner Brust war tief und das Blut strömte aus ihr hinaus mit jedem Schlage seines Herzens.
Aber bald schon würde sie sich geschlossen haben, denn selbst der Tod war von diesem Menschen gewichen und überließ ihn der Macht des Einen Ringes, der alle anderen beherrschte; auf dass seine Unsterblichkeit ihm zur Verdammnis würde.
Und der König vernahm den Ruf seines Herrn - und die Stimme befahl ihm, Krieg unter die Völker Mittelerdes zu bringen, damit der Schatten wachsen konnte, um einst alles zu verschlingen ...
* Adûnaisch für "Liebste", "Geliebte"
© Heru n' nertë 2/2003, überarbeitet 5/2003
Tja, ich schätze nach dieser Story habt ihr von meinen Romanzen genug, wenn ich mich nicht irre. Wenn doch ..., vielleicht sagt ja mal jemand nett "bitte, bitte" und ich lasse mich in Zukunft zu der einen oder anderen Liebesgeschichte hinreißen.
