Kapitel 2 - Begegnung
Adyials Hufschlag verklang hinter den Bäumen. Maeriel war allein und diese Erkenntnis traf sie nach all den einsamen Stunden wie ein Schock. Niemand war hier, um sie zu unterstützen. Das war in den vergangenen Jahren so selbstverständlich gewesen, dass sie es erst jetzt zu schätzen wusste. Nun war es allerdings zu spät.
Am Schaft des Pfeils vorbei spähte sie zur Quelle der Geräusche. Offensichtlich bewegten sich mehrere Wesen auf sie zu, mit leichten, aber schnellen Schritten. Maeriel schluckte trocken. Vielleicht waren es Wölfe oder aber Schlimmeres.
Wenn nicht dieser verdammte Regen wäre! Dann könnte sie ein Feuer entfachen und die Bestien damit im Schach halten. Nun musste sie sich auf die zahlreichen Übungsstunden mit Galwion verlassen.
Du wirst es schaffen, konzentrier Dich, sagte ihre innere Stimme, auf die sie sich in den vergangenen Jahren immer hatte verlassen können.
Doch ihre Zuversicht schwand abrupt, als vor ihr aus dem Unterholz vier gedrungene, dunkle Tierkörper auftauchten und sie aus den Augenwinkeln sah, wie ein halbes Dutzend von ihnen sie umrundete, jedoch wieder im Schatten verschwanden. Sie war umzingelt und hoffnungslos unterlegen.
Die rot glühenden Augen der wolfsähnlichen Tiere glommen feurig auf, gierig und wütend. Maeriel wartete keine Sekunde länger. In einer Geste, die ihr ins Blut übergegangen war, spannte sie die Sehne abrupt und ließ den Pfeil los. Die Luft durchteilend, fand das Geschoss seine Bahn und traf das erste Tier, das ihr am nächsten war, in die Brust. Der Wolf wurde wie durch eine unsichtbare Faust getroffen zurückgeworfen, blieb einige Momente taumelnd auf den Füßen und sackte dann zusammen.
Maeriels Puls schlug hoch, als sie erneut in die Köcher griff. Ihre Hoffnung, dass die Meute durch den Tod eines ihrer Artgenossen entmutigt wurde, erfüllte sich nicht. Einer der Wölfe setzte zu einem kraftvollen Sprung an und wurde von ihrem nächsten Pfeil in der Luft getroffen. Doch dieses Mal war der Schuss nicht tödlich gewesen. Die Bestie traf auf dem Boden auf, sprang erneut und verfehlt Maeriel nur um Haaresbreite, als sie sich zur Seite warf.
Maeriel ließ den Bogen fallen und griff zu dem Dolch an ihrer Seite. Die lange, geschwungene Klinge war ein Geschenk ihres Vaters gewesen. Nun, da die Wölfe zu nahe waren, musste sie ihn zum ersten Mal im Kampf einsetzen.
Das verwundete Tier, in dessen Schulter noch ihr Pfeil stak, näherte sich ihr mit einem heiseren Knurren. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, als es sie beobachtete, ihren ausweichenden Bewegungen folgte. Das Rudel verharrte regungslos, taxierte die Lage.
Dann griff der Wolf an. Er bewegte sich schneller, als Maeriel aufgrund seiner Verletzung gedacht hatte. Daher traf er sie mit seinem vollen Gewicht an der Seite und ließ sie zurücktaumeln. Damit war der Bann gebrochen. Von der Seite sprang lautlos ein weiteres Tier heran. Sie schlug in einer planlosen Geste mit dem Dolch zu und traf nicht.
Die Konsequenz dieses Fehlers ließ nur den Bruchteil einer Sekunde auf sich warten. Der verwundete Wolf nutzte ihre Blöße und griff sie ein drittes Mal an. Mit all seiner durch seinen Schmerz angestachelten Wucht warf er sie zu Boden.
Der Aufprall auf den Boden drückte ihr die Luft aus der Lunge, die Waffe glitt ihr aus der Hand. Das Gewicht des Wolfes ruhte auf ihr, seine Pfoten drückten sie unnachgiebig nach unten. Sie blickte für einen Moment in seine Augen, roch den aasigen Atem, der ihr aus dem zähnestarrenden Maul entgegenwehte.
Dann senkte der Wolf den Kopf und biss zu. Maeriel kam es vor, als würde es in quälender Langsamkeit geschehen, fernab der Wirklichkeit. Doch der Schmerz war real, als sie spürte, wie sich das unnachgiebige Gebiss in das ungeschützte Fleisch ihre Hüfte grub.
Sie schrie auf, wütend und gequält. So sollte es nicht enden. Dafür hatte sie nicht all ihren Mut zusammengenommen und ihre Heimat verlassen. Mit einer Anstrengung, die sie sich nicht erklären konnte, tastete sie über den Waldboden und fand mit den Fingerspitzen das kalte Metall ihres Dolches.
Sie griff zu, schnitt sich vor Hast selbst in die Hand, doch dann fand sie sicheren Halt. Mit aller Kraft, die sie noch aufbringen konnte, stieß sie den Dolch dem Wolf, der vom Geschmack ihres Blutes abgelenkt zu sein schien, durch die Rippen in die Seite. Er jaulte und ließ von ihr ab, zog sich ein stückweit von ihr zurück.
Maeriel wollte aufspringen, doch ihre Beine versagten ihr den Dienst. Zitternd vor Schmerz sah sie sich um und wusste, dass sie verloren hatte. Die Wölfe standen um sie herum, hatten einen lauernden Ring gebildet, aus dem es kein Entkommen gab. Sie würde niemals alle töten können. Aber sie würde kämpfen.
***
Die Wölfe rückten näher. Langsam. So als wollten sie mit ihr spielen. Maeriel rollte sich herum, auf die Knie, und hob den Dolch. Sie fixierte ein besonders schweres Tier mit massigen Muskelpaketen, das einige Schritte vor den anderen stand und sie seinerseits mit funkelnden Augen musterte. Das musste der Leitwolf sein. Und er war bereit, sie zu töten.
In dem Moment, in dem sie erwartete, dass er angreifen würde, geschah etwas, mit dem sie nicht gerechnet hatte. Ein pfeifender Luftzug zog nahe an ihrer Wange vorbei und ehe sie es sich versah, steckte ein Pfeil im Kopf des Leitwolfes, der augenblicklich zusammensackte.
Das Rudel schrak augenblicklich zurück, verwirrt über die Attacke aus der der Dunkelheit. Das wurde ihm zum Verhängnis. Mit einer Geschwindigkeit, die Maeriel verblüfft, und gnadenloser Präzision trafen vier weitere Pfeile genau ins Ziel. Innerhalb eines Lidschlags lag die Hälfte der Tiere tot oder schwer verletzt am Boden.
Die verbleibenden Wölfe standen einen Moment wie erstarrt, dann machten sie wie auf ein geheimes Stichwort hin kehrt und verschwanden eiligst im Unterholz.
Maeriel stieß die Luft aus, die sie krampfhaft angehalten hatte und tastete nach ihrer Hüfte, wo der Schmerz pulsierte. Ihre Fingerspitzen ertastetenein wenig warme, klebrige Flüssigkeit, aber nicht viel. Der Wolf hatte die wichtigsten Blutbahnen verfehlt.
Ihre Knie zitterten noch immer, als sie sich langsam aufrappelte und zu der Stelle hinüberstarrte, aus der die tödlichen Schüsse abgegeben waren worden. Aus dem undurchdringlichen Dunkel, das selbst für ihre Augen schwer zu durchdringen war, trat ein Mann. Das erste, was ihr auffiel, war, dass er in seinen Händen eine wunderbar verzierte Waffe trug, Werk der besten elbischen Bogenmacher. Dann wanderte ihr Blick über die hoch aufgerichtete Gestalt. Er war ein junger Mann ihres Volkes, schön zu nennen mit seinen langen, blonden Haaren und den hochmütigen Augen.
Doch seine ersten Worte wirkten wie eine eiskalte Dusche, die sie als Zugabe zu dem noch immer stetig fallenden Regen mit Hohn überschütteten.
"Warum habt Ihr Euch nicht auf Euer Pferd gesetzt und seid davon geritten? Sie hätten Euch niemals eingeholt."
Maeriel starrte ihn fassungslos an.
"Mein Pferd war erschöpft. Ich wollte es nicht zu Schande reiten." Nun, da sie die Worte aussprach, wurde ihr bewusst, wie töricht ihr Handeln gewesen war. Sie hatte für ein Pferd ihr Leben riskiert. Die Missbilligung des Fremden, die in sein Gesicht geschrieben war, machte ihre Situation auch nicht besser.
Um sich abzulenken, pfiff sie auf zwei Fingern und nach einigen Sekunden hörte sie, wie Adyials Schritt durch das Buschwerk erklang. Kurz darauf erreichte ihr Pferd den Ort des Kampfes, die Ohren wachsam angelegt. Maeriel barg ihren Kopf für einen Moment an seinem warmen Kopf und atmete tief durch. Ihr eigener Herzschlag dröhnte in ihren Ohren.
"Ihr seid völlig allein unterwegs", erklang die Stimme des Elben und riss sie aus der Nachdenklichkeit. Sie spähte an Adyial vorbei zu ihm. Seine Miene war jetzt eine Art Friedensangebot. "Und Ihr seid verletzt. Eine halbe Meile von hier entfernt gibt es eine Grotte, die uns Schutz für die Nacht bieten wird."
"Ich denke nicht, dass es nötig ist, dass Ihr mich begleitet", gab sie kühl zurück. "Ich bin Euch dankbar für Eure Hilfe, aber wenn Ihr denkt, damit Eure Schuldigkeit getan zu haben, kann ich auch auf Euch verzichten."
Er schenkte ihr ein überlegen wirkendes Lächeln.
"Da mein Plan, mir ein Nachtlager zu suchen, schon vor der Begegnung mit Euch bestand, werdet Ihr wohl mit mir Vorlieb nehmen müssen. Es sei denn, Ihr wollte allein auf Eurem erschöpften Tier weiterreiten und eine gut sichtbare Blutspur hinterlassen."
Maeriel schnaubte, als sie Adyial an den Zügel packte. Sie hasste es, dass er Recht hatte.
***
Ein kleines Feuer brannte und schleuderte seinen Rauch gegen die Decke der niedrigen Grotte. Maeriel blickte den abziehenden Schwaden nach und in die Nacht hinaus. Der Regen rauschte vor dem Eingang ihrer Zuflucht unbarmherzig hinab.
Ihre neue Bekanntschaft stocherte mit einem langen Ast in den Flammen herum und schwieg. Sie wagte es aus irgendeinem Grund nicht, ihn anzusehen. Unerklärlicherweise überkam sie eine seltsame Schüchternheit, wie sie sie noch nie erlebt hatte. Er wusste eine Menge über sie. Zuviel. Dass sie ein unerfahrenes Kind war, das niemals genug nachdachte. Das war mehr, als sie ihren Verwandten jemals gezeigt hatte.
"Hier!" Sie fuhr zusammen, als er sie ansprach. Er hatte den Ast beiseite gelegt und streckte ihr nun ein feines Tuch aus hellem Stoff entgegen, das er aus seiner Satteltasche geholt haben musste. Sie kannte diese Art von Vlies, das ihr Volk für eine schnelle Heilung auf Wunden auflegte. Es war sehr selten, da die meisten fähigen Heiler Mittelerde schon lange verlassen hatten. "Macht Euch keine Gedanken. Ihr braucht es."
Verlegen lächelnd nahm sie das Tuch an und senkte dann dankbar den Blick, als sie ihr zerrissenes Hemd vorsichtig ein Stück aus dem Bund ihrer Hose zog und das Vlies auf die Wunde darunter presste. Sofort fühlte sie, wie sich eine angenehme Kühle in dem erhitzten Fleisch verbreitete. Waren ihre Gedanken derart offensichtlich?
Mit einem Seufzer lehnte sie sich an die Felswand hinter ihr zurück. Sie hatte in den letzten Stunden nichts Sinnvolles getan. Doch das sollte ein Ende haben.
"Ich danke Euch", sagte sie leise. "Ich war - dumm." Als er nicht antwortete, setzte sie hinzu: "Mein Name ist Maeriel."
Endlich hob er den Blick und ließ ein halbes Lächeln sehen.
"Ich bin Legolas", sagte er ruhig und schien sich nicht bewusst zu sein, dass sein Name bewirkte, dass Maeriels Puls für einen Moment stockte.
"Legolas?", flüsterte sie ungläubig. "Ihr seid - einer der Gefährten?" Die Geschichte, die seit einem Jahrzehnt überall in Mittelerde erzählt wurde, war ihr natürlich in den Sinn gekommen. Doch die Verblüffung, einem der Protagonisten dieser abenteuerlichen Reise gegenüberzusitzen, konnte sie nicht so verwirrend wie die Tatsache, dass sie wahrscheinlich dem Mann in die Augen sah, den sie heiraten sollte. Er war Thranduils Sohn.
Wenn sie versuchte, sich an die Worte ihrer Tante an jenem Nachmittag zu erinnern - war erst ein Tag seither vergangen? - dann fand sie in ihrem Gedächtnis kaum noch etwas. Beriel hatte Legolas' Namen nicht erwähnt, dessen war sie sich sicher. Aber sie hatte eigentlich nicht wirklich etwas von Maeriels künftigen Gatten erzählt.
"So ist es", bestätigte er ihr und begrub damit alle Hoffnung, dass es ein Irrtum war. "Ich bin auf dem Weg nach Norden zur Festung meiner Familie. Einige wenige sind noch dort."
"Und - was führt Euch von Euren Reisen dorthin?", erkundigte sich Maeriel scheinbar ruhig, obwohl ihre Hände zitterten. "Man erzählt, Ihr seid in Begleitung eines Zwerges in allen Landstrichen Mittelerdes unterwegs?"
"Ihr seid sehr neugierig", gab er zurück, doch er schien nicht beleidigt zu sein. "Im Grunde genommen weiß ich es aber auch nicht. Mein Vater schickte mir eine Nachricht, dass er mich dringend zu sprechen wünsche. Mein Begleiter Gimli blieb außerhalb der Wälder. Die Bäume schätzen seien Axt nicht sehr." Maeriel wurde für einen Moment schwarz vor Augen. Alles fügte sich nahtlos zusammen. Thranduil und Beriel schlossen einen Pakt. Von dem sie, Maeriel, nichts wissen wollte und Legolas noch nichts ahnte. Deswegen hatte er ihren Namen nicht erkannt. Und deswegen bestand kein Grund zur Besorgnis. Sie würden sich am nächsten Tag wieder trennen und nie wieder begegnen. Die Erleichterung war so überwältigend wie ihr Schock. "Ihr seid blass, Maeriel. Habt Ihr Schmerzen?"
"Nein, nein, alles in Ordnung", stammelte sie und fing sich dann wieder. "Ich bin nur ein wenig erschöpft."
"Eure Reise hat Euch wirklich kein Glück beschert am heutigen Tag." Er griff ein weiteres Mal in seine Tasche und holte einen Apfel heraus, den er ihr reichte. "Was treibt Euch um?"
"Man könnte sagen, die Notwendigkeit", antwortete sie ausweichend und wusste, dass diese Weigerung, ihre Motive zu enthüllen, noch eher eine Beleidigung war als ihre Neugierde. Doch Legolas reagierte nicht darauf.
"Ich werde nach den Pferden sehen", sagte er und stand auf, so als sei nichts vorgefallen. Sie beobachtete, wie er in die Nacht hinausging und fühlte sich, als sei ein riesiger Felsblock von ihrem Herz gerollt worden.
Der Morgen war nicht mehr weit.
Adyials Hufschlag verklang hinter den Bäumen. Maeriel war allein und diese Erkenntnis traf sie nach all den einsamen Stunden wie ein Schock. Niemand war hier, um sie zu unterstützen. Das war in den vergangenen Jahren so selbstverständlich gewesen, dass sie es erst jetzt zu schätzen wusste. Nun war es allerdings zu spät.
Am Schaft des Pfeils vorbei spähte sie zur Quelle der Geräusche. Offensichtlich bewegten sich mehrere Wesen auf sie zu, mit leichten, aber schnellen Schritten. Maeriel schluckte trocken. Vielleicht waren es Wölfe oder aber Schlimmeres.
Wenn nicht dieser verdammte Regen wäre! Dann könnte sie ein Feuer entfachen und die Bestien damit im Schach halten. Nun musste sie sich auf die zahlreichen Übungsstunden mit Galwion verlassen.
Du wirst es schaffen, konzentrier Dich, sagte ihre innere Stimme, auf die sie sich in den vergangenen Jahren immer hatte verlassen können.
Doch ihre Zuversicht schwand abrupt, als vor ihr aus dem Unterholz vier gedrungene, dunkle Tierkörper auftauchten und sie aus den Augenwinkeln sah, wie ein halbes Dutzend von ihnen sie umrundete, jedoch wieder im Schatten verschwanden. Sie war umzingelt und hoffnungslos unterlegen.
Die rot glühenden Augen der wolfsähnlichen Tiere glommen feurig auf, gierig und wütend. Maeriel wartete keine Sekunde länger. In einer Geste, die ihr ins Blut übergegangen war, spannte sie die Sehne abrupt und ließ den Pfeil los. Die Luft durchteilend, fand das Geschoss seine Bahn und traf das erste Tier, das ihr am nächsten war, in die Brust. Der Wolf wurde wie durch eine unsichtbare Faust getroffen zurückgeworfen, blieb einige Momente taumelnd auf den Füßen und sackte dann zusammen.
Maeriels Puls schlug hoch, als sie erneut in die Köcher griff. Ihre Hoffnung, dass die Meute durch den Tod eines ihrer Artgenossen entmutigt wurde, erfüllte sich nicht. Einer der Wölfe setzte zu einem kraftvollen Sprung an und wurde von ihrem nächsten Pfeil in der Luft getroffen. Doch dieses Mal war der Schuss nicht tödlich gewesen. Die Bestie traf auf dem Boden auf, sprang erneut und verfehlt Maeriel nur um Haaresbreite, als sie sich zur Seite warf.
Maeriel ließ den Bogen fallen und griff zu dem Dolch an ihrer Seite. Die lange, geschwungene Klinge war ein Geschenk ihres Vaters gewesen. Nun, da die Wölfe zu nahe waren, musste sie ihn zum ersten Mal im Kampf einsetzen.
Das verwundete Tier, in dessen Schulter noch ihr Pfeil stak, näherte sich ihr mit einem heiseren Knurren. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, als es sie beobachtete, ihren ausweichenden Bewegungen folgte. Das Rudel verharrte regungslos, taxierte die Lage.
Dann griff der Wolf an. Er bewegte sich schneller, als Maeriel aufgrund seiner Verletzung gedacht hatte. Daher traf er sie mit seinem vollen Gewicht an der Seite und ließ sie zurücktaumeln. Damit war der Bann gebrochen. Von der Seite sprang lautlos ein weiteres Tier heran. Sie schlug in einer planlosen Geste mit dem Dolch zu und traf nicht.
Die Konsequenz dieses Fehlers ließ nur den Bruchteil einer Sekunde auf sich warten. Der verwundete Wolf nutzte ihre Blöße und griff sie ein drittes Mal an. Mit all seiner durch seinen Schmerz angestachelten Wucht warf er sie zu Boden.
Der Aufprall auf den Boden drückte ihr die Luft aus der Lunge, die Waffe glitt ihr aus der Hand. Das Gewicht des Wolfes ruhte auf ihr, seine Pfoten drückten sie unnachgiebig nach unten. Sie blickte für einen Moment in seine Augen, roch den aasigen Atem, der ihr aus dem zähnestarrenden Maul entgegenwehte.
Dann senkte der Wolf den Kopf und biss zu. Maeriel kam es vor, als würde es in quälender Langsamkeit geschehen, fernab der Wirklichkeit. Doch der Schmerz war real, als sie spürte, wie sich das unnachgiebige Gebiss in das ungeschützte Fleisch ihre Hüfte grub.
Sie schrie auf, wütend und gequält. So sollte es nicht enden. Dafür hatte sie nicht all ihren Mut zusammengenommen und ihre Heimat verlassen. Mit einer Anstrengung, die sie sich nicht erklären konnte, tastete sie über den Waldboden und fand mit den Fingerspitzen das kalte Metall ihres Dolches.
Sie griff zu, schnitt sich vor Hast selbst in die Hand, doch dann fand sie sicheren Halt. Mit aller Kraft, die sie noch aufbringen konnte, stieß sie den Dolch dem Wolf, der vom Geschmack ihres Blutes abgelenkt zu sein schien, durch die Rippen in die Seite. Er jaulte und ließ von ihr ab, zog sich ein stückweit von ihr zurück.
Maeriel wollte aufspringen, doch ihre Beine versagten ihr den Dienst. Zitternd vor Schmerz sah sie sich um und wusste, dass sie verloren hatte. Die Wölfe standen um sie herum, hatten einen lauernden Ring gebildet, aus dem es kein Entkommen gab. Sie würde niemals alle töten können. Aber sie würde kämpfen.
***
Die Wölfe rückten näher. Langsam. So als wollten sie mit ihr spielen. Maeriel rollte sich herum, auf die Knie, und hob den Dolch. Sie fixierte ein besonders schweres Tier mit massigen Muskelpaketen, das einige Schritte vor den anderen stand und sie seinerseits mit funkelnden Augen musterte. Das musste der Leitwolf sein. Und er war bereit, sie zu töten.
In dem Moment, in dem sie erwartete, dass er angreifen würde, geschah etwas, mit dem sie nicht gerechnet hatte. Ein pfeifender Luftzug zog nahe an ihrer Wange vorbei und ehe sie es sich versah, steckte ein Pfeil im Kopf des Leitwolfes, der augenblicklich zusammensackte.
Das Rudel schrak augenblicklich zurück, verwirrt über die Attacke aus der der Dunkelheit. Das wurde ihm zum Verhängnis. Mit einer Geschwindigkeit, die Maeriel verblüfft, und gnadenloser Präzision trafen vier weitere Pfeile genau ins Ziel. Innerhalb eines Lidschlags lag die Hälfte der Tiere tot oder schwer verletzt am Boden.
Die verbleibenden Wölfe standen einen Moment wie erstarrt, dann machten sie wie auf ein geheimes Stichwort hin kehrt und verschwanden eiligst im Unterholz.
Maeriel stieß die Luft aus, die sie krampfhaft angehalten hatte und tastete nach ihrer Hüfte, wo der Schmerz pulsierte. Ihre Fingerspitzen ertastetenein wenig warme, klebrige Flüssigkeit, aber nicht viel. Der Wolf hatte die wichtigsten Blutbahnen verfehlt.
Ihre Knie zitterten noch immer, als sie sich langsam aufrappelte und zu der Stelle hinüberstarrte, aus der die tödlichen Schüsse abgegeben waren worden. Aus dem undurchdringlichen Dunkel, das selbst für ihre Augen schwer zu durchdringen war, trat ein Mann. Das erste, was ihr auffiel, war, dass er in seinen Händen eine wunderbar verzierte Waffe trug, Werk der besten elbischen Bogenmacher. Dann wanderte ihr Blick über die hoch aufgerichtete Gestalt. Er war ein junger Mann ihres Volkes, schön zu nennen mit seinen langen, blonden Haaren und den hochmütigen Augen.
Doch seine ersten Worte wirkten wie eine eiskalte Dusche, die sie als Zugabe zu dem noch immer stetig fallenden Regen mit Hohn überschütteten.
"Warum habt Ihr Euch nicht auf Euer Pferd gesetzt und seid davon geritten? Sie hätten Euch niemals eingeholt."
Maeriel starrte ihn fassungslos an.
"Mein Pferd war erschöpft. Ich wollte es nicht zu Schande reiten." Nun, da sie die Worte aussprach, wurde ihr bewusst, wie töricht ihr Handeln gewesen war. Sie hatte für ein Pferd ihr Leben riskiert. Die Missbilligung des Fremden, die in sein Gesicht geschrieben war, machte ihre Situation auch nicht besser.
Um sich abzulenken, pfiff sie auf zwei Fingern und nach einigen Sekunden hörte sie, wie Adyials Schritt durch das Buschwerk erklang. Kurz darauf erreichte ihr Pferd den Ort des Kampfes, die Ohren wachsam angelegt. Maeriel barg ihren Kopf für einen Moment an seinem warmen Kopf und atmete tief durch. Ihr eigener Herzschlag dröhnte in ihren Ohren.
"Ihr seid völlig allein unterwegs", erklang die Stimme des Elben und riss sie aus der Nachdenklichkeit. Sie spähte an Adyial vorbei zu ihm. Seine Miene war jetzt eine Art Friedensangebot. "Und Ihr seid verletzt. Eine halbe Meile von hier entfernt gibt es eine Grotte, die uns Schutz für die Nacht bieten wird."
"Ich denke nicht, dass es nötig ist, dass Ihr mich begleitet", gab sie kühl zurück. "Ich bin Euch dankbar für Eure Hilfe, aber wenn Ihr denkt, damit Eure Schuldigkeit getan zu haben, kann ich auch auf Euch verzichten."
Er schenkte ihr ein überlegen wirkendes Lächeln.
"Da mein Plan, mir ein Nachtlager zu suchen, schon vor der Begegnung mit Euch bestand, werdet Ihr wohl mit mir Vorlieb nehmen müssen. Es sei denn, Ihr wollte allein auf Eurem erschöpften Tier weiterreiten und eine gut sichtbare Blutspur hinterlassen."
Maeriel schnaubte, als sie Adyial an den Zügel packte. Sie hasste es, dass er Recht hatte.
***
Ein kleines Feuer brannte und schleuderte seinen Rauch gegen die Decke der niedrigen Grotte. Maeriel blickte den abziehenden Schwaden nach und in die Nacht hinaus. Der Regen rauschte vor dem Eingang ihrer Zuflucht unbarmherzig hinab.
Ihre neue Bekanntschaft stocherte mit einem langen Ast in den Flammen herum und schwieg. Sie wagte es aus irgendeinem Grund nicht, ihn anzusehen. Unerklärlicherweise überkam sie eine seltsame Schüchternheit, wie sie sie noch nie erlebt hatte. Er wusste eine Menge über sie. Zuviel. Dass sie ein unerfahrenes Kind war, das niemals genug nachdachte. Das war mehr, als sie ihren Verwandten jemals gezeigt hatte.
"Hier!" Sie fuhr zusammen, als er sie ansprach. Er hatte den Ast beiseite gelegt und streckte ihr nun ein feines Tuch aus hellem Stoff entgegen, das er aus seiner Satteltasche geholt haben musste. Sie kannte diese Art von Vlies, das ihr Volk für eine schnelle Heilung auf Wunden auflegte. Es war sehr selten, da die meisten fähigen Heiler Mittelerde schon lange verlassen hatten. "Macht Euch keine Gedanken. Ihr braucht es."
Verlegen lächelnd nahm sie das Tuch an und senkte dann dankbar den Blick, als sie ihr zerrissenes Hemd vorsichtig ein Stück aus dem Bund ihrer Hose zog und das Vlies auf die Wunde darunter presste. Sofort fühlte sie, wie sich eine angenehme Kühle in dem erhitzten Fleisch verbreitete. Waren ihre Gedanken derart offensichtlich?
Mit einem Seufzer lehnte sie sich an die Felswand hinter ihr zurück. Sie hatte in den letzten Stunden nichts Sinnvolles getan. Doch das sollte ein Ende haben.
"Ich danke Euch", sagte sie leise. "Ich war - dumm." Als er nicht antwortete, setzte sie hinzu: "Mein Name ist Maeriel."
Endlich hob er den Blick und ließ ein halbes Lächeln sehen.
"Ich bin Legolas", sagte er ruhig und schien sich nicht bewusst zu sein, dass sein Name bewirkte, dass Maeriels Puls für einen Moment stockte.
"Legolas?", flüsterte sie ungläubig. "Ihr seid - einer der Gefährten?" Die Geschichte, die seit einem Jahrzehnt überall in Mittelerde erzählt wurde, war ihr natürlich in den Sinn gekommen. Doch die Verblüffung, einem der Protagonisten dieser abenteuerlichen Reise gegenüberzusitzen, konnte sie nicht so verwirrend wie die Tatsache, dass sie wahrscheinlich dem Mann in die Augen sah, den sie heiraten sollte. Er war Thranduils Sohn.
Wenn sie versuchte, sich an die Worte ihrer Tante an jenem Nachmittag zu erinnern - war erst ein Tag seither vergangen? - dann fand sie in ihrem Gedächtnis kaum noch etwas. Beriel hatte Legolas' Namen nicht erwähnt, dessen war sie sich sicher. Aber sie hatte eigentlich nicht wirklich etwas von Maeriels künftigen Gatten erzählt.
"So ist es", bestätigte er ihr und begrub damit alle Hoffnung, dass es ein Irrtum war. "Ich bin auf dem Weg nach Norden zur Festung meiner Familie. Einige wenige sind noch dort."
"Und - was führt Euch von Euren Reisen dorthin?", erkundigte sich Maeriel scheinbar ruhig, obwohl ihre Hände zitterten. "Man erzählt, Ihr seid in Begleitung eines Zwerges in allen Landstrichen Mittelerdes unterwegs?"
"Ihr seid sehr neugierig", gab er zurück, doch er schien nicht beleidigt zu sein. "Im Grunde genommen weiß ich es aber auch nicht. Mein Vater schickte mir eine Nachricht, dass er mich dringend zu sprechen wünsche. Mein Begleiter Gimli blieb außerhalb der Wälder. Die Bäume schätzen seien Axt nicht sehr." Maeriel wurde für einen Moment schwarz vor Augen. Alles fügte sich nahtlos zusammen. Thranduil und Beriel schlossen einen Pakt. Von dem sie, Maeriel, nichts wissen wollte und Legolas noch nichts ahnte. Deswegen hatte er ihren Namen nicht erkannt. Und deswegen bestand kein Grund zur Besorgnis. Sie würden sich am nächsten Tag wieder trennen und nie wieder begegnen. Die Erleichterung war so überwältigend wie ihr Schock. "Ihr seid blass, Maeriel. Habt Ihr Schmerzen?"
"Nein, nein, alles in Ordnung", stammelte sie und fing sich dann wieder. "Ich bin nur ein wenig erschöpft."
"Eure Reise hat Euch wirklich kein Glück beschert am heutigen Tag." Er griff ein weiteres Mal in seine Tasche und holte einen Apfel heraus, den er ihr reichte. "Was treibt Euch um?"
"Man könnte sagen, die Notwendigkeit", antwortete sie ausweichend und wusste, dass diese Weigerung, ihre Motive zu enthüllen, noch eher eine Beleidigung war als ihre Neugierde. Doch Legolas reagierte nicht darauf.
"Ich werde nach den Pferden sehen", sagte er und stand auf, so als sei nichts vorgefallen. Sie beobachtete, wie er in die Nacht hinausging und fühlte sich, als sei ein riesiger Felsblock von ihrem Herz gerollt worden.
Der Morgen war nicht mehr weit.
