Kapitel 11 - Der letzte Weg
Nachdem Swaerens Leiche fortgeschafft und Thoran gefangengesetzt worden war, zerstreute sich die Menge der Zuschauer, die dem Kampf der beiden Stammesführer beigewohnt hatten. Die Stille, die nun wieder über den Zelten lag, war fast greifbar. Maeriel und Alwina waren in Ariks Zelt zurückgekehrt, wo sie sich schweigend auf zwei Schemeln gegenübersaßen.
Die Zeit verrann langsam, Stunde um Stunde, und die Tatsache, dass nichts geschah, war noch furchtbarer als jedes Ereignis hätte sein können. Maeriel starrte auf ihre ineinander verschränkten Finger und dachte an die Wucht des Kampfes zurück, den Arik ausgefochten hatte. Gegen einen Mann konnte er ohne Zweifel gewinnen, doch gegen eine Armee der Elben hatten er und seine Leute keine Chance. Sie hob den Kopf.
"Ihr werdet verlieren", sagte sie zu Alwina. "Und trotzdem sind die Krieger ausgezogen."
Ariks Schwester sah sie eine Weile traurig an, dann nickte sie langsam.
"Wir nehmen jede Chance wahr. Allerdings bin ich mir sicher, dass wir mit Verhandlungen weitergekommen wären - wenn Arik Dir nicht begegnet wäre." Maeriel wollte aufbegehren, da mna kaum von einer Begegnung sprechen konnte, doch die junge Frau unterbrach sie. "Versteh mich nicht falsch, ich unterstütze jede Entscheidung, die mein Bruder trifft. Aber eine andere Elbin hätte sich vielleicht in ihr Schicksal gefügt und mit der Ehe eine dauerhafte Allianz geschlossen."
Der Tadel in Alwinas Stimme traf Maeriel tief. War es denn falsch, sich dem zu widersetzen, was andere für sie beschlossen hatten?
'Wenn Du der Heirat mit Legolas zugestimmt hättest, wäre es gar nicht so weit gekommen", mahnte die Stimme in ihrem Kopf, aber dieses mal fast liebevoll. 'Bald wird das Blut hunderter Menschen an Deinen Händen kleben. Starrsinniges Wesen.'
Auf dem Platz vor dem Zelt wurden Rufe laut, ein Pferd wieherte durchdringend. Einen Moment später eilte ein Mensch in das Zelt.
"Arik befahl mir, Maeriel zu ihm zu bringen. Die Elben wollen sehen, dass sie unversehrt ist."
Alwina zögerte, dann nickte sie langsam. Die beiden Frauen erhoben sich und blieben für einen Moment voreinander stehen. Dann wandte sich Alwina ab und verließ wortlos das Zelt. Maeriel seufzte tief und folgte dem Boten. Auf dem Platz, auf dessen weißer Fläche noch immer das Blut des Kampfes prangte, wartete Legolas Pferd bereits auf sie. Begleitet von drei weiteren Kriegern, verließ Maeriel zum ersten Mal seit mehr als einer Woche das Lager der Normänner.
Die Pferde flogen über die weite Ebene, Schnee flog von ihren trommelden Hufen auf, Dampf wehte aus ihren weit geblähten Nüstern. Maeriel spürte den Winterwind in ihrem Haar und fühlte sich plötzlich, obwohl klein und verloren in der überwältigenden Landschaft vor den Bergen, frei.
Sie ritten mehr als eine halbe Stunde in schnellem tempo, bis schließlich die Reihen der Normänner vor ihnen auftauchten. Maeriel strengte ihren Blick an und konnte am Horizont, weit vor ihnen, das zweite Heer erkennen, dass in abwartender Haltung verblieb. Der Kampf hatte noch nicht begonnen.
Sie folgte ihren Begleitern durch die Menge der wartenden Männer. Wieder einmal fühlte sie sich wütenden Blicken ausgesetzt. Allen hier war klar, dass sie der Grund war, warum ihnen der Tod drohte. Maeriel bemühte sich, ein gefasstes Gesicht zu machen, als sie schließlich, in der vordersten Reihe angekommen, von den Pferden absaßen. Der Bote nahm sie am Arm und führte sie mitten auf das Feld.
Vor ihnen, in einige hundert Schritt Entfernung, genau in der Mitte zwischen den beiden Heeren, standen sich zwei Gruppen gegenüber. Über der einen schwebte die Standarte der Krähe, die andere zeichnete sich dadurch aus, dass ein sehr kleiner, untersetzter Mann bei ihnen war.
Als sie näher kamen, erkannte Maeriel die einzelnen Personen und sie spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Arik und zwei Stammesführer, ohne Pferd und ohne Waffen ebenso wie ihre Gegenüber, beobachteten sie unverwandt und nahmen sie schließlich in die Mitte, als sie bei ihnen angekommen war. Ein Dolch drückte sich trotz aller Verhandlungsgewohnheiten in ihren Rücken.
Maeriel hob den Blick und sah zwei bekannte und ein unbekanntes Gesicht. Galwion, ihr Vetter, schenkte ihr ein breites, fröhliches Lächeln, so als ständen sie in ihrem Haus im Wald und unterhielten sich über das Wetter. Der Zwerge, von dem Maeriel annahm, dass es Gimli sein musste, betrachtete sie mit gerunzelten Augenbrauen, was sie unter dem buschigen Wust seiner Haare allenfalls erahnen konnte.
Legolas blickte sie kühl an, so als seien sie sich noch nie zuvor begegnet. Nur in seinen blauen Augen war eine Spur von Gefühl zu erkennen
***
"Ihr seht, sie ist unversehrt", sagte Arik kalt und gab damit den Auftakt zu dem Gespräch.
"Mmh, na ja, ein bisschen dünn ist sie schon", warf der Zwerg ein und zwinkerte ihr zu. Maeriel musste wider Willen lächeln. Trotz der langen Feindschaft zwischen Elben und Zwergen war ihr der rothaarige Krieger sofort sympathisch. Legolas verschränkte selbstgefällig die Arme vor der Brust.
"Ich schildere Euch die Situation, falls Ihr sie nicht einsehen könnt." Der Elb befand sich auf der gleichen Augenhöhe wie Arik, aber aus irgendeinem Grund wirkte er größer als der Mensch. "Ihr habt eine der unseren entführt - von meiner unglücklichen Begegnung mit den Zwergen einmal ganz abgesehen. Aber wir sind nicht nachtragend. Gebt Maeriel frei und wir werden abziehen. Falls Ihr es nicht tut, werden zweihundert Bogenschützen, die selbe Zahl an Kriegern und einige Dutzend Zwerge nicht davor zurückschrecken, Maeriel mit Gewalt zu befreien." Sein bezwingender Blick huschte zu ihr. "Zu Rettung meiner künftigen Braut werde ich jeden Schritt unternehmen der nötig ist."
"Braut?", entfuhr es Arik ungewollt. Dann verfinsterte sich seine Miene. Ihm war anzusehen, dass ihm diese Nachricht gar nicht gefiel. Maeriel sah reumütig zu Boden. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Legolas die Wahrheit erfuhr. "Was ist mit den Rhûnländern?"
"Sie stehen nicht unter meine Befehl", gab Legolas zurück. "Der Inhalt Eures Lagers ist ein kleiner Preis für Euer Leben!"
Maeriel fuhr ungläubig zurück und spürte, wie sich die Messerklinge in ihren Rücken bohrte. Wusste Legolas nicht, was er erzählte?
"Aber das Lager ist voller Frauen und Kinder!", rief sie. "Die Rhûnländer werden sich nicht mit einer Plünderung zufrieden geben."
Für einen Moment stutzte Legolas. Anscheinend war die Nachricht, dass es auch um Unbeteiligte ging, neu für ihn. Die Zeit war anscheinend zu knapp und das Lager zu gut bewacht gewesen, um es auszukundschaften. Maeriel wusste, dass sie die Entscheidung über das Leben der Frauen und Kinder nun auf Legolas übertragen hatte, doch es war noch immer sie, die diese ganze Situation ausgelöst hatte. Der Gedanke machte sie krank.
'Ich kann Dich von hier fortbringen, Maeriel', lockte die Stimme. 'Ich kenne diese Berge. Es gibt dort Höhlen, in denen ich mich einst versteckte. Dort wirst Du sicher sein vor allem, was Dich bedroht.'
'Niemals', gab Maeriel zurück, da sie wusste, dass sie damit der fremden Macht in ihr ein Stück ihres Selbst opfern musste. Doch andererseits - wenn sie fort war, würde es für die Heere keinen Grund mehr geben zu kämpfen. Ariks Stimme holte sie aus der Welt ihrer Gedanken zurück. Er sprach leise mit den beiden anderen Stammesführern, die ihr Missfallen über die Lage ausdrückten.
"Es ist nur eine Frau", sagte einer von ihnen, der etwa so jung wie Arik war, und den Maeriel im Lager mit seiner Frau und drei Kindern gesehen hatte. "Verhandele mit Ihnen, versuche, unsere Familien zu retten! Verflucht, Dein Stolz darf Dir nicht wichtiger sein als das Leben eines anderen Menschen."
Arik nickte nachdenklich und blickte kurz zu Maeriel, die ihn flehentlich ansah. Dann wandte er sich wieder an Legolas. Es war ihm deutlich anzumerken, dass es nicht sein Wille war, der seine Worte bestimmte.
"Wir würden Euch Maeriel nur ausliefern, wenn Ihr verhindert, dass die Rhûnländer das Lager überfallen. Wie ich hörte, seid Ihr kein Volk, das Unschuldige seinen Zielen opfert."
Legolas hörte sich das Angebot ruhig an, dann winkte er Galwion und Gimli zu sich. Sie zogen sich einige Schritte in Richtung ihres Heers zurück und begannen leise zu beratschlagen. Maeriels Herz füllte sich mit Hoffnung, als sie hörte, dass Legolas bereit war, Ariks Vorschlag nachzukommen.
Doch im selben Moment hörte sie am von tiefhängenden, weißen Wolken bedeckten Himmel den Schrei von Vögeln. Mit zusammengekniffenen Augen starrte sie empor und sah den Schwarm der Krähen, der in schnellem Flug über sie hinwegschoss und triumphierend krächzte, wie ein einzelnes, mächtiges Wesen.
Arik lachte triumphierend auf und wechselte einen Blick mit seinen Gefährten. Er sah die Vögel wieder einmal als Zeichen für das Gelingen seiner Pläne. Schnell und leise sprach er auf die anderen Stammesführer ein, versuchte sie zu überzeugen, dass sein Weg der Richtige war.
Maeriels Hoffnung zerstreute sich so schnell, wie sie aufgekommen war. Wütend und traurig starrte sie von der einen Gruppe zur anderen, gefangen zwischen ihrem Misstrauen und ihrer eigenen Hilflosigkeit.
'Ich kann Dir helfen', hallte es hartnäckig in ihrem Kopf. 'Lass es in Deinem Herzen zu Deinem größten Wunsch und Willen werden und ich helfe Dir zu fliehen.'
Ein Reiter preschte von Süden heran und näherte sich ihnen. Maeriel erkannte einen Rhûnländer, dessen kostbare Rüstung ihn als einen Führer seines Volkes auswies. Er steuerte sein Pferd zu Legolas und beugte sich zu ihm herunter. Eindringlich fing er an zu reden. Maeriel lauschte angestrengt, sicher, dass Arik und die anderen Menschen aufgrund der Distanz kein Wort verstehen konnten.
"Warum steht Ihr hier und verhandelt?", wollte der Rhûnländer wissen. "Meine Männer warten ungern noch länger. Wenn Ihr nicht angreift, werte ich unser Abkommen als nichtig und meine Männer werden nicht nur die Normänner als ihre Feinde betrachten."
Legolas schenkte ihm einen abschätzigen Blick.
"Das würdet Ihr nicht wagen."
"Seid nicht so sicher, Herr Elb." Der Rhûnländer lächelte grimmig. "Ich schlage Euch einen Handel vor. Ich bin zu Pferd, werde das Mädchen an mich reißen und in Sicherheit bringen. Dafür fordere ich Euch auf, unseren Handel einzuhalten und anzugreifen."
Maeriel erschrak. Auch wenn sie wusste, dass sich Legolas auf keinen Kampf einlassen würde, er schien den Vorschlag denn doch zu überdenken. Aber wenn der Rhûnländer versuchte, sie zu erreichen, würde Arik den Befehl zur Attacke geben und alles war umsonst gewesen.
Sie traf die Entscheidung innerhalb einer Sekunde. Aller Zweifel verschwand und wich der Klarheit, dass es nur eine Möglichkeit für sie gab, den Kampf zu verhindern. Sie schloss sie Augen und konzentrierte sich, folgte dem Drängen der Stimme in ihrem Kopf, die mächtiger und mächtiger wurde.
Dann zuckte ein Blitz vor ihrem geistigen Auge nieder, doch als sie die Lider öffnete, sah sie noch immer das Bild der elbischen Armee sich. Sie hatte versagt, es musste so sein. Die Stimme hatte sie belogen. Oder wo sie etwa doch nicht so mächtig, wie sie versprach?
Ein Ruf ertönte. Der Zwerg wies auf den Platz, an dem sie stand. Arik und seine Männer wichen von ihr zurück und starrten sie an - oder vielmehr durch sie hindurch
"Wo zum Teufel ist sie?", rief der Rhûnländer.
Da begriff Maeriel, dass die anderen sie nicht mehr sehen konnten. Sie begann zu rennen.
***
Ihre Schritte lenkten sie nach Norden und sie gewann den Eindruck, dass sie auf jeden Fall diesen Weg genommen hätte, auch wenn sie es nicht gewollt hätte. Den Blick über die Schulter wagte sie nicht, zum einen, weil sie nicht sehen wollte, was passierte und zum anderen, weil ihr klar war, dass sie wieder einmal aller verließ, was sie kannte.
Ein Hornstoß erklang, dann ein zweiter, die sie weder Elben noch Menschen zuordnen konnte. Zu ihrem Entsetzen sah sie, dass sich die Reihen der beiden Heere, die sie passierte, plötzlich aufeinander zu bewegten. Der Gefahr, dass sie zwischen den beiden feindlichen Linien eingekesselt wurde, war nicht mehr zu entgehen.
Vor ihren Augen trafen die Heere nach einer Weile aufeinander, doch zu ihrem Erstaunen kam es nicht zu einem Kampf. Es sah so aus, als würden sich die beiden Gruppen zusammenschließen und um die Frage nach dem Warum zu beantworten, wagte es Maeriel schließlich, den Kopf zu drehen.
Aus dem Süden stürmte eine schwarze Phalanx heran, die ohne Probleme als sie Rhûnländer zu erkennen waren. Auf ihren drahtigen, schnellen Pferden eilten sie heran und Maeriel fluchte leise, als sie erkannte, dass sie, obwohl sie so schnell lief wie sie konnte, mitten im Geschehen landen würde.
Elben und Norländer zogen ihre Waffen, doch dieses Mal, um Seite an Seite zu kämpfen. Maeriel wusste nun, was die Hornstöße zu bedeuten hatten. In ihrer Voraussicht hatten Legolas und Arik erkannt, dass es mit ihrem Verschwinden keinen Grund mehr zu einem Kampf gab - und die Rhûnländer hatten daraufhin den Pakt gebrochen und griffen an.
Bald schon spürte Maeriel den heißen Atem der Pferde in ihrem Nacken und das kehlige Geschrei der Rhûnländer dröhnte in ihren Ohren. Einige Pferdekörper sausten so nahe an ihr vorbei, dass sie an ihren Händen die weiche Haut der Tiere spüren konnte. Geduckt rannte Maeriel weiter, immer bedacht, mit Hilfe ihrer Sinne die Gefahr zu umgehen. Doch was ihr Angst machte, war nicht die Nähe der Tiere, die nun pausenlos an ihr vorbeipreschten, sondern die Reihen der Schwerter und Bögen, die auf sie gerichtet waren.
Die elbischen Bogenschützen waren hinter den Normännern zurückgewichen, um ein freies Schussfeld zu haben. Maeriel hörte schwach den ersten gebrüllten Befehl in der Sprache ihres Volkes, dann sauste eine Masse von todbringenden Geschossen durch die Luft. Maeriel duckte sich, sprang hinter ein Pferd, das aufgrund des Gedrängels langsamer vorwärts kam und entging so der Salve. Dem Reiter des Hengstes jedoch war kein Glück beschieden, denn mit zwei in seinem Hals steckenden Pfeilen fiel er rückwärts vom Sattel. Maeriel wich erneut aus und sah ihre Chance gekommen.
Krieger würden niemals ihre Energie oder Pfeile auf reiterlose Pferde verschwenden, und wenn es ihr gelang aufzusitzen, dann war sie schneller und besser geschützt. Mit einigen schnellen Schritten rannte Maeriel an die Seite des Pferdes, packte den Sattelknauf und sprang auf. Während sie, über den Hals des Hengstes geduckt, weiterritt, schoss ihr der unsinnige Gedanke durch den Kopf, dass sie während all der Zeit ihres Leben wenig geleistet hatte - aber mit Pferden konnte sie umgehen.
Die Pfeile der Elben rissen Löcher in die Reihe der Rhûnländer, doch sie drängten immer wieder nach, völlig entfesselt und anscheinend ohne Furcht. Links und rechts von Maeriel fielen Tote und Verwundete von ihren Reittieren und wurden unter den trampelnden Hufen begraben.
Dann hatte sie die Reichweite der Schützen verlassen, denn nun stand ihr das größte Hindernis bevor - die Reihen der Krieger mit ihren Nahkampfwaffen. Kampfsensen, lange Messer und blanke Schwerter fingen das wenige Licht des Tages auf und reflektieren es unheilvoll.
Elbische Kampfschreie stiegen in die Luft, bekannt und doch in dieser Situation schrecklich zugleich. Dann prallten die beiden Heere aufeinander und Maeriel machte sich noch kleiner, als ihr Pferd stehen blieb, aufgehalten von den ineinander verkeilten Massen von Kämpfern.
Maeriel sah, wie die Elben ohne Gnade zuschlugen und ihre Waffen blutige Spuren auf den Körpern der Menschen zurückließen. Angetrennte Gliedmaßen fielen zu Boden, Schreie von Schmerz und Agonie ertönten. Grimmige Zwerge, die wie selbstverständlich neben Normännern und Elben standen, ließen ihre breiten, kunstvoll verzierten Äxte kreisen, die in fürchterlicher Symmetrie gleich Dutzende Männer aus dem Leben rissen.
Verzweifelt suchte Maeriel nach einer Lücke, durch die sie ihr Pferd lenken konnte, doch es gab keine. Resigniert stellte sie fest, dass sie ohne das Tier leichter zu treffen, aber kleiner und flinker war. Im Schutz des Tierkörpers glitt sie wieder aus dem Sattel und musste sogleich den wirbelnden Klingen einer Sense ausweichen, die ein Elb in ihrer Nähe gegen seine Gegner einsetzte.
Meter für Meter kämpfte sie sich vor, duckte sich, tauchte unter den Schlägen der Waffen hindurch. Hin und wieder versetzte sie einem verblüfften Krieger einen Stoß, um vorwärts zu kommen. Einer von ihnen, der völlig desorientiert nach einem Gegner schlug, den er nicht sehne konnte, schwang sein Schwert herum und Maeriel konnte nicht mehr ausweichen. Die Klinge schnitt in ihren Arm und Blut spritzte hervor.
Die Hand um die Wunde geschlossen, rannte sie mit zusammengebissenen Zähnen weiter. Irgendwann verlor sie das Wissen über ihre Handlungen, reagierte nur noch, lief, stoppte, duckte sich, stürmte weiter. Ihr Kopf hatte die Kontrolle übernommen und führte sie in traumwandlerischer Sicherheit immer weiter, bis sie schließlich erkannte, dass sie vor den Bogenschützen stand, die in lockerer Formation auf einer kleinen Anhöhe hinter dem eigentlichen Kampfgeschehen zurückblieben.
Erleichtert und schwach vor Erschöpfung umrundete sie die Männer und Frauen ihres Volkes problemlos und als sie zurückblickte, breitete sich die Schlacht zu ihren Füßen aus. Niemals zuvor hatte sie etwas Derartiges gesehen und sie hoffte, das auch nie wieder zu müssen. Die einzelnen Bilder der Dinge, die sie gesehen hatte, wiederholten sich in diesen Massen von kämpfenden Menschen tausendfach und sprengten Maeriels Vorstellungskraft.
Hinter den Elben warteten ihre Pferde. Mit letzter Kraft bestieg sie eines von ihnen, raunte ihm eine Aufmunterung ins Ohr und trabte in Richtung der Berge davon.
Nachdem Swaerens Leiche fortgeschafft und Thoran gefangengesetzt worden war, zerstreute sich die Menge der Zuschauer, die dem Kampf der beiden Stammesführer beigewohnt hatten. Die Stille, die nun wieder über den Zelten lag, war fast greifbar. Maeriel und Alwina waren in Ariks Zelt zurückgekehrt, wo sie sich schweigend auf zwei Schemeln gegenübersaßen.
Die Zeit verrann langsam, Stunde um Stunde, und die Tatsache, dass nichts geschah, war noch furchtbarer als jedes Ereignis hätte sein können. Maeriel starrte auf ihre ineinander verschränkten Finger und dachte an die Wucht des Kampfes zurück, den Arik ausgefochten hatte. Gegen einen Mann konnte er ohne Zweifel gewinnen, doch gegen eine Armee der Elben hatten er und seine Leute keine Chance. Sie hob den Kopf.
"Ihr werdet verlieren", sagte sie zu Alwina. "Und trotzdem sind die Krieger ausgezogen."
Ariks Schwester sah sie eine Weile traurig an, dann nickte sie langsam.
"Wir nehmen jede Chance wahr. Allerdings bin ich mir sicher, dass wir mit Verhandlungen weitergekommen wären - wenn Arik Dir nicht begegnet wäre." Maeriel wollte aufbegehren, da mna kaum von einer Begegnung sprechen konnte, doch die junge Frau unterbrach sie. "Versteh mich nicht falsch, ich unterstütze jede Entscheidung, die mein Bruder trifft. Aber eine andere Elbin hätte sich vielleicht in ihr Schicksal gefügt und mit der Ehe eine dauerhafte Allianz geschlossen."
Der Tadel in Alwinas Stimme traf Maeriel tief. War es denn falsch, sich dem zu widersetzen, was andere für sie beschlossen hatten?
'Wenn Du der Heirat mit Legolas zugestimmt hättest, wäre es gar nicht so weit gekommen", mahnte die Stimme in ihrem Kopf, aber dieses mal fast liebevoll. 'Bald wird das Blut hunderter Menschen an Deinen Händen kleben. Starrsinniges Wesen.'
Auf dem Platz vor dem Zelt wurden Rufe laut, ein Pferd wieherte durchdringend. Einen Moment später eilte ein Mensch in das Zelt.
"Arik befahl mir, Maeriel zu ihm zu bringen. Die Elben wollen sehen, dass sie unversehrt ist."
Alwina zögerte, dann nickte sie langsam. Die beiden Frauen erhoben sich und blieben für einen Moment voreinander stehen. Dann wandte sich Alwina ab und verließ wortlos das Zelt. Maeriel seufzte tief und folgte dem Boten. Auf dem Platz, auf dessen weißer Fläche noch immer das Blut des Kampfes prangte, wartete Legolas Pferd bereits auf sie. Begleitet von drei weiteren Kriegern, verließ Maeriel zum ersten Mal seit mehr als einer Woche das Lager der Normänner.
Die Pferde flogen über die weite Ebene, Schnee flog von ihren trommelden Hufen auf, Dampf wehte aus ihren weit geblähten Nüstern. Maeriel spürte den Winterwind in ihrem Haar und fühlte sich plötzlich, obwohl klein und verloren in der überwältigenden Landschaft vor den Bergen, frei.
Sie ritten mehr als eine halbe Stunde in schnellem tempo, bis schließlich die Reihen der Normänner vor ihnen auftauchten. Maeriel strengte ihren Blick an und konnte am Horizont, weit vor ihnen, das zweite Heer erkennen, dass in abwartender Haltung verblieb. Der Kampf hatte noch nicht begonnen.
Sie folgte ihren Begleitern durch die Menge der wartenden Männer. Wieder einmal fühlte sie sich wütenden Blicken ausgesetzt. Allen hier war klar, dass sie der Grund war, warum ihnen der Tod drohte. Maeriel bemühte sich, ein gefasstes Gesicht zu machen, als sie schließlich, in der vordersten Reihe angekommen, von den Pferden absaßen. Der Bote nahm sie am Arm und führte sie mitten auf das Feld.
Vor ihnen, in einige hundert Schritt Entfernung, genau in der Mitte zwischen den beiden Heeren, standen sich zwei Gruppen gegenüber. Über der einen schwebte die Standarte der Krähe, die andere zeichnete sich dadurch aus, dass ein sehr kleiner, untersetzter Mann bei ihnen war.
Als sie näher kamen, erkannte Maeriel die einzelnen Personen und sie spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Arik und zwei Stammesführer, ohne Pferd und ohne Waffen ebenso wie ihre Gegenüber, beobachteten sie unverwandt und nahmen sie schließlich in die Mitte, als sie bei ihnen angekommen war. Ein Dolch drückte sich trotz aller Verhandlungsgewohnheiten in ihren Rücken.
Maeriel hob den Blick und sah zwei bekannte und ein unbekanntes Gesicht. Galwion, ihr Vetter, schenkte ihr ein breites, fröhliches Lächeln, so als ständen sie in ihrem Haus im Wald und unterhielten sich über das Wetter. Der Zwerge, von dem Maeriel annahm, dass es Gimli sein musste, betrachtete sie mit gerunzelten Augenbrauen, was sie unter dem buschigen Wust seiner Haare allenfalls erahnen konnte.
Legolas blickte sie kühl an, so als seien sie sich noch nie zuvor begegnet. Nur in seinen blauen Augen war eine Spur von Gefühl zu erkennen
***
"Ihr seht, sie ist unversehrt", sagte Arik kalt und gab damit den Auftakt zu dem Gespräch.
"Mmh, na ja, ein bisschen dünn ist sie schon", warf der Zwerg ein und zwinkerte ihr zu. Maeriel musste wider Willen lächeln. Trotz der langen Feindschaft zwischen Elben und Zwergen war ihr der rothaarige Krieger sofort sympathisch. Legolas verschränkte selbstgefällig die Arme vor der Brust.
"Ich schildere Euch die Situation, falls Ihr sie nicht einsehen könnt." Der Elb befand sich auf der gleichen Augenhöhe wie Arik, aber aus irgendeinem Grund wirkte er größer als der Mensch. "Ihr habt eine der unseren entführt - von meiner unglücklichen Begegnung mit den Zwergen einmal ganz abgesehen. Aber wir sind nicht nachtragend. Gebt Maeriel frei und wir werden abziehen. Falls Ihr es nicht tut, werden zweihundert Bogenschützen, die selbe Zahl an Kriegern und einige Dutzend Zwerge nicht davor zurückschrecken, Maeriel mit Gewalt zu befreien." Sein bezwingender Blick huschte zu ihr. "Zu Rettung meiner künftigen Braut werde ich jeden Schritt unternehmen der nötig ist."
"Braut?", entfuhr es Arik ungewollt. Dann verfinsterte sich seine Miene. Ihm war anzusehen, dass ihm diese Nachricht gar nicht gefiel. Maeriel sah reumütig zu Boden. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Legolas die Wahrheit erfuhr. "Was ist mit den Rhûnländern?"
"Sie stehen nicht unter meine Befehl", gab Legolas zurück. "Der Inhalt Eures Lagers ist ein kleiner Preis für Euer Leben!"
Maeriel fuhr ungläubig zurück und spürte, wie sich die Messerklinge in ihren Rücken bohrte. Wusste Legolas nicht, was er erzählte?
"Aber das Lager ist voller Frauen und Kinder!", rief sie. "Die Rhûnländer werden sich nicht mit einer Plünderung zufrieden geben."
Für einen Moment stutzte Legolas. Anscheinend war die Nachricht, dass es auch um Unbeteiligte ging, neu für ihn. Die Zeit war anscheinend zu knapp und das Lager zu gut bewacht gewesen, um es auszukundschaften. Maeriel wusste, dass sie die Entscheidung über das Leben der Frauen und Kinder nun auf Legolas übertragen hatte, doch es war noch immer sie, die diese ganze Situation ausgelöst hatte. Der Gedanke machte sie krank.
'Ich kann Dich von hier fortbringen, Maeriel', lockte die Stimme. 'Ich kenne diese Berge. Es gibt dort Höhlen, in denen ich mich einst versteckte. Dort wirst Du sicher sein vor allem, was Dich bedroht.'
'Niemals', gab Maeriel zurück, da sie wusste, dass sie damit der fremden Macht in ihr ein Stück ihres Selbst opfern musste. Doch andererseits - wenn sie fort war, würde es für die Heere keinen Grund mehr geben zu kämpfen. Ariks Stimme holte sie aus der Welt ihrer Gedanken zurück. Er sprach leise mit den beiden anderen Stammesführern, die ihr Missfallen über die Lage ausdrückten.
"Es ist nur eine Frau", sagte einer von ihnen, der etwa so jung wie Arik war, und den Maeriel im Lager mit seiner Frau und drei Kindern gesehen hatte. "Verhandele mit Ihnen, versuche, unsere Familien zu retten! Verflucht, Dein Stolz darf Dir nicht wichtiger sein als das Leben eines anderen Menschen."
Arik nickte nachdenklich und blickte kurz zu Maeriel, die ihn flehentlich ansah. Dann wandte er sich wieder an Legolas. Es war ihm deutlich anzumerken, dass es nicht sein Wille war, der seine Worte bestimmte.
"Wir würden Euch Maeriel nur ausliefern, wenn Ihr verhindert, dass die Rhûnländer das Lager überfallen. Wie ich hörte, seid Ihr kein Volk, das Unschuldige seinen Zielen opfert."
Legolas hörte sich das Angebot ruhig an, dann winkte er Galwion und Gimli zu sich. Sie zogen sich einige Schritte in Richtung ihres Heers zurück und begannen leise zu beratschlagen. Maeriels Herz füllte sich mit Hoffnung, als sie hörte, dass Legolas bereit war, Ariks Vorschlag nachzukommen.
Doch im selben Moment hörte sie am von tiefhängenden, weißen Wolken bedeckten Himmel den Schrei von Vögeln. Mit zusammengekniffenen Augen starrte sie empor und sah den Schwarm der Krähen, der in schnellem Flug über sie hinwegschoss und triumphierend krächzte, wie ein einzelnes, mächtiges Wesen.
Arik lachte triumphierend auf und wechselte einen Blick mit seinen Gefährten. Er sah die Vögel wieder einmal als Zeichen für das Gelingen seiner Pläne. Schnell und leise sprach er auf die anderen Stammesführer ein, versuchte sie zu überzeugen, dass sein Weg der Richtige war.
Maeriels Hoffnung zerstreute sich so schnell, wie sie aufgekommen war. Wütend und traurig starrte sie von der einen Gruppe zur anderen, gefangen zwischen ihrem Misstrauen und ihrer eigenen Hilflosigkeit.
'Ich kann Dir helfen', hallte es hartnäckig in ihrem Kopf. 'Lass es in Deinem Herzen zu Deinem größten Wunsch und Willen werden und ich helfe Dir zu fliehen.'
Ein Reiter preschte von Süden heran und näherte sich ihnen. Maeriel erkannte einen Rhûnländer, dessen kostbare Rüstung ihn als einen Führer seines Volkes auswies. Er steuerte sein Pferd zu Legolas und beugte sich zu ihm herunter. Eindringlich fing er an zu reden. Maeriel lauschte angestrengt, sicher, dass Arik und die anderen Menschen aufgrund der Distanz kein Wort verstehen konnten.
"Warum steht Ihr hier und verhandelt?", wollte der Rhûnländer wissen. "Meine Männer warten ungern noch länger. Wenn Ihr nicht angreift, werte ich unser Abkommen als nichtig und meine Männer werden nicht nur die Normänner als ihre Feinde betrachten."
Legolas schenkte ihm einen abschätzigen Blick.
"Das würdet Ihr nicht wagen."
"Seid nicht so sicher, Herr Elb." Der Rhûnländer lächelte grimmig. "Ich schlage Euch einen Handel vor. Ich bin zu Pferd, werde das Mädchen an mich reißen und in Sicherheit bringen. Dafür fordere ich Euch auf, unseren Handel einzuhalten und anzugreifen."
Maeriel erschrak. Auch wenn sie wusste, dass sich Legolas auf keinen Kampf einlassen würde, er schien den Vorschlag denn doch zu überdenken. Aber wenn der Rhûnländer versuchte, sie zu erreichen, würde Arik den Befehl zur Attacke geben und alles war umsonst gewesen.
Sie traf die Entscheidung innerhalb einer Sekunde. Aller Zweifel verschwand und wich der Klarheit, dass es nur eine Möglichkeit für sie gab, den Kampf zu verhindern. Sie schloss sie Augen und konzentrierte sich, folgte dem Drängen der Stimme in ihrem Kopf, die mächtiger und mächtiger wurde.
Dann zuckte ein Blitz vor ihrem geistigen Auge nieder, doch als sie die Lider öffnete, sah sie noch immer das Bild der elbischen Armee sich. Sie hatte versagt, es musste so sein. Die Stimme hatte sie belogen. Oder wo sie etwa doch nicht so mächtig, wie sie versprach?
Ein Ruf ertönte. Der Zwerg wies auf den Platz, an dem sie stand. Arik und seine Männer wichen von ihr zurück und starrten sie an - oder vielmehr durch sie hindurch
"Wo zum Teufel ist sie?", rief der Rhûnländer.
Da begriff Maeriel, dass die anderen sie nicht mehr sehen konnten. Sie begann zu rennen.
***
Ihre Schritte lenkten sie nach Norden und sie gewann den Eindruck, dass sie auf jeden Fall diesen Weg genommen hätte, auch wenn sie es nicht gewollt hätte. Den Blick über die Schulter wagte sie nicht, zum einen, weil sie nicht sehen wollte, was passierte und zum anderen, weil ihr klar war, dass sie wieder einmal aller verließ, was sie kannte.
Ein Hornstoß erklang, dann ein zweiter, die sie weder Elben noch Menschen zuordnen konnte. Zu ihrem Entsetzen sah sie, dass sich die Reihen der beiden Heere, die sie passierte, plötzlich aufeinander zu bewegten. Der Gefahr, dass sie zwischen den beiden feindlichen Linien eingekesselt wurde, war nicht mehr zu entgehen.
Vor ihren Augen trafen die Heere nach einer Weile aufeinander, doch zu ihrem Erstaunen kam es nicht zu einem Kampf. Es sah so aus, als würden sich die beiden Gruppen zusammenschließen und um die Frage nach dem Warum zu beantworten, wagte es Maeriel schließlich, den Kopf zu drehen.
Aus dem Süden stürmte eine schwarze Phalanx heran, die ohne Probleme als sie Rhûnländer zu erkennen waren. Auf ihren drahtigen, schnellen Pferden eilten sie heran und Maeriel fluchte leise, als sie erkannte, dass sie, obwohl sie so schnell lief wie sie konnte, mitten im Geschehen landen würde.
Elben und Norländer zogen ihre Waffen, doch dieses Mal, um Seite an Seite zu kämpfen. Maeriel wusste nun, was die Hornstöße zu bedeuten hatten. In ihrer Voraussicht hatten Legolas und Arik erkannt, dass es mit ihrem Verschwinden keinen Grund mehr zu einem Kampf gab - und die Rhûnländer hatten daraufhin den Pakt gebrochen und griffen an.
Bald schon spürte Maeriel den heißen Atem der Pferde in ihrem Nacken und das kehlige Geschrei der Rhûnländer dröhnte in ihren Ohren. Einige Pferdekörper sausten so nahe an ihr vorbei, dass sie an ihren Händen die weiche Haut der Tiere spüren konnte. Geduckt rannte Maeriel weiter, immer bedacht, mit Hilfe ihrer Sinne die Gefahr zu umgehen. Doch was ihr Angst machte, war nicht die Nähe der Tiere, die nun pausenlos an ihr vorbeipreschten, sondern die Reihen der Schwerter und Bögen, die auf sie gerichtet waren.
Die elbischen Bogenschützen waren hinter den Normännern zurückgewichen, um ein freies Schussfeld zu haben. Maeriel hörte schwach den ersten gebrüllten Befehl in der Sprache ihres Volkes, dann sauste eine Masse von todbringenden Geschossen durch die Luft. Maeriel duckte sich, sprang hinter ein Pferd, das aufgrund des Gedrängels langsamer vorwärts kam und entging so der Salve. Dem Reiter des Hengstes jedoch war kein Glück beschieden, denn mit zwei in seinem Hals steckenden Pfeilen fiel er rückwärts vom Sattel. Maeriel wich erneut aus und sah ihre Chance gekommen.
Krieger würden niemals ihre Energie oder Pfeile auf reiterlose Pferde verschwenden, und wenn es ihr gelang aufzusitzen, dann war sie schneller und besser geschützt. Mit einigen schnellen Schritten rannte Maeriel an die Seite des Pferdes, packte den Sattelknauf und sprang auf. Während sie, über den Hals des Hengstes geduckt, weiterritt, schoss ihr der unsinnige Gedanke durch den Kopf, dass sie während all der Zeit ihres Leben wenig geleistet hatte - aber mit Pferden konnte sie umgehen.
Die Pfeile der Elben rissen Löcher in die Reihe der Rhûnländer, doch sie drängten immer wieder nach, völlig entfesselt und anscheinend ohne Furcht. Links und rechts von Maeriel fielen Tote und Verwundete von ihren Reittieren und wurden unter den trampelnden Hufen begraben.
Dann hatte sie die Reichweite der Schützen verlassen, denn nun stand ihr das größte Hindernis bevor - die Reihen der Krieger mit ihren Nahkampfwaffen. Kampfsensen, lange Messer und blanke Schwerter fingen das wenige Licht des Tages auf und reflektieren es unheilvoll.
Elbische Kampfschreie stiegen in die Luft, bekannt und doch in dieser Situation schrecklich zugleich. Dann prallten die beiden Heere aufeinander und Maeriel machte sich noch kleiner, als ihr Pferd stehen blieb, aufgehalten von den ineinander verkeilten Massen von Kämpfern.
Maeriel sah, wie die Elben ohne Gnade zuschlugen und ihre Waffen blutige Spuren auf den Körpern der Menschen zurückließen. Angetrennte Gliedmaßen fielen zu Boden, Schreie von Schmerz und Agonie ertönten. Grimmige Zwerge, die wie selbstverständlich neben Normännern und Elben standen, ließen ihre breiten, kunstvoll verzierten Äxte kreisen, die in fürchterlicher Symmetrie gleich Dutzende Männer aus dem Leben rissen.
Verzweifelt suchte Maeriel nach einer Lücke, durch die sie ihr Pferd lenken konnte, doch es gab keine. Resigniert stellte sie fest, dass sie ohne das Tier leichter zu treffen, aber kleiner und flinker war. Im Schutz des Tierkörpers glitt sie wieder aus dem Sattel und musste sogleich den wirbelnden Klingen einer Sense ausweichen, die ein Elb in ihrer Nähe gegen seine Gegner einsetzte.
Meter für Meter kämpfte sie sich vor, duckte sich, tauchte unter den Schlägen der Waffen hindurch. Hin und wieder versetzte sie einem verblüfften Krieger einen Stoß, um vorwärts zu kommen. Einer von ihnen, der völlig desorientiert nach einem Gegner schlug, den er nicht sehne konnte, schwang sein Schwert herum und Maeriel konnte nicht mehr ausweichen. Die Klinge schnitt in ihren Arm und Blut spritzte hervor.
Die Hand um die Wunde geschlossen, rannte sie mit zusammengebissenen Zähnen weiter. Irgendwann verlor sie das Wissen über ihre Handlungen, reagierte nur noch, lief, stoppte, duckte sich, stürmte weiter. Ihr Kopf hatte die Kontrolle übernommen und führte sie in traumwandlerischer Sicherheit immer weiter, bis sie schließlich erkannte, dass sie vor den Bogenschützen stand, die in lockerer Formation auf einer kleinen Anhöhe hinter dem eigentlichen Kampfgeschehen zurückblieben.
Erleichtert und schwach vor Erschöpfung umrundete sie die Männer und Frauen ihres Volkes problemlos und als sie zurückblickte, breitete sich die Schlacht zu ihren Füßen aus. Niemals zuvor hatte sie etwas Derartiges gesehen und sie hoffte, das auch nie wieder zu müssen. Die einzelnen Bilder der Dinge, die sie gesehen hatte, wiederholten sich in diesen Massen von kämpfenden Menschen tausendfach und sprengten Maeriels Vorstellungskraft.
Hinter den Elben warteten ihre Pferde. Mit letzter Kraft bestieg sie eines von ihnen, raunte ihm eine Aufmunterung ins Ohr und trabte in Richtung der Berge davon.
