1. Kapitel: Magie
Dunkelheit umhüllte die Welt, doch brach das Licht Earendils neben dem Mondlicht durch die Wolken. In der Dunkelheit kaum zu erkennen, saß ein Elb da, gelehnt an einen Mallornbaum, der fast so alt wie er selbst war und dachte nach, die Augen geschlossen, wie es Elben sonst fast nie tun.
In einem See der Erinnerungen glaubte er zu schwimmen, und immer wieder versuchte er, die Oberfläche zu erreichen. Doch etwas hielt ihn davon ab. Er sah das Sonnenlicht durch das Wasser, spürte die Wärme auf seiner Haut und wusste, dass er dem Ziel nah wie nie zuvor und doch noch immer unendlich weit davon entfernt war. Er war der Herr des Düsterwaldes, Sohn des höchstwahrscheinlich verstorbenen Thranduils, Legolas. Viele Winter waren vergangen, seit er mit Arwen Undómiel gesprochen hatte und diese ihm ein Geschenk gemacht hatte: Einen grünen Edelstein hatte sie ihm geschenkt, der einst Aragorn seinen Namen gegeben hatte: Elessar, in der Sprache der Menschen Elbenstein. Viel und oft hatte Legolas über die Geschehnisse in jenem Jahr, in dem er sich der Vergänglichkeit der Elben geradezu schmerzhaft bewusst wurde, nachgedacht. Visionen hatte er gehabt, die sich bisher nur zum Teil bewahrheitet hatten, blutrünstige Orks hatten ihn und den Düsterwald angegriffen, die kurze Zeit später wie vom Erdboden verschluckt schienen. Doch nichts war in den darauf folgenden sieben Jahren geschehen, nur Träume, wahrhaftige Alpträume, hatte er, inzwischen schon seit vielen Monaten. Er hatte alles versucht, doch nichts gegen sie tun können, spielte doch selbst der Ort, an dem er sich befand, keine Rolle und so war er nach einer langen und ergebnislosen Reise letztendlich in den Palast zurückgekehrt. Doch die Alpträume wurden schlimmer und die Schatten dunkler; sicher würde bald etwas geschehen. Auch in dieser Nacht hatten ihn dieselben Alpträume geplagt.
In wenigen Stunden würde die Dämmerung eintreten und die Sonne ihr erstes Licht nach Mittelerde schicken. Legolas sah den Himmel empor. Earendir, der Hellste und den Elben der liebste Stern, stand am Himmel. Auch wenn Legolas es sich nicht eingestehen wollte, er hatte Angst. Die Dunkelheit, die kam, würde schrecklich sein und bald die Macht übernehmen. Die Macht, die zuletzt Sauron gehabt hatte. Doch plötzlich lenkte etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich. Ein winziger, silberner Schimmer, selbst für Elbenaugen schwer und damit für die menschlichen Augen unmöglich zu sehen, schien, nicht weit entfernt, am Cerin Amroth, wie es ihm schien, diese Welt zu verlassen. Und doch, ein unbestimmtes Gefühl ließ ihn glauben, dass nur er es sah. Höher und höher stieg er, ähnlich einem winzigen Tropfen Silber, bis er schließlich vollends verschwand. Langsam senkte Legolas den Blick. Sie war tot. Arwen Undomiel hatte Mittelerde verlassen und war zu ihrem König zurückgekehrt. Eine einzelne Träne benetzte den Boden vor seinen Füßen. Die hohe Frau Lothloriens, Galadriel, sie hatte Recht gehabt, mit dem, was sie sagte. Wahrlich, in allen Ländern war Liebe nun verwoben mit Trauer. Wie schrecklich mussten die letzten Jahre ihres Lebens für die Elbenmaid gewesen sein! Er trug innerlich einen Kampf mit sich selbst aus, doch als er die Augen wieder öffnete und sein Blick sich klärte, schien er stark und beherrschte sich selbst, wie es charakteristisch für die Elben war.
Nach Legolas Krönung war dem Düsterwald bald ein neuer Name gegeben worden: "Eryn Lasgalen", der Wald der grünen Blätter. Grün war er wahrlich geworden, hell und freundlich schien er bald selbst den Menschen, die die wenigen Elben, die noch Mittelerde bevölkerten, mit Misstrauen in den Augen ansahen. Viele nahmen eine lange Reise auf sich, nur um sich der Schönheit dieses Waldes zu erfreuen.
Seufzend stand der Elb auf. Alles schien sich zum Guten zu wenden, doch es war falscher Frieden. Denn schlimmer und schlimmer wurden seine Träume und er hatte es längst aufgegeben, sie als Unsinn abzutun. Langsam setzte der Elb einen Fuß vor den anderen. Selbst die Augen der Elben vermochten die Dunkelheit nicht vollständig zu durchdringen. Als er sich schließlich besser orientieren konnte, lief er schneller und schneller. Das Beste wäre es sicher nicht, würde man den jungen König zu so früher Stunde an den Ausläufern des Waldes entdecken.
"Sie werden dich für einen Ork halten." hatte Gimli einmal zu Legolas gesagt, als er ihm bei einem seiner nächtlichen Ausflüge erwischt hatte. Der Elb schmunzelte. Doch dieser Moment der Unaufmerksamkeit sollte verheerend sein, denn sofort stieß Legolas mit jemandem zusammen. Er stolperte zurück und konnte sich gerade noch rechtzeitig am Ast eines Mallornbaumes festhalten. Kaum hatte er all seine Sinne wieder beisammen, zog er blitzschnell seinen Dolch.
Er wurde kritisch gemustert, und erst als ein dünner Strahl Mondlicht auf den silbernen Ring, der ihn als Mitglied der königlichen Familie kennzeichnete, brach die Stille.
"Legolas?" erschallte eine ungläubige Stimme aus dem Dunkel. Es war Unverkennbar, dass diese Person eine Frau war, höchstwahrscheinlich sogar... doch er sprach sogleich aus, was er dachte: "Luthaneniel*? Was tust du hier, vor dem ersten Licht der Morgendämmerung?"
"Das selbe bin ich versucht, dich zu fragen.", antwortete die Elbin, und Legolas war sich trotz der Finsternis sicher, ein flüchtiges Lächeln über ihre Lippen huschen zu sehen.
"Dies hier ist der einzige Ort, der auf Grund des Nachdenkens aufgesucht werden kann.", sagte Legolas, versucht, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie einen empfindlichen Punkt getroffen hatte. Die Magierin nickte. Legolas wusste, sie könnte seine Gedanken Lesen und ihm durch die elbische Fassade direkt ins Herz blicken, doch sie schien, obwohl sie merkte, dass er etwas verbarg, keine Anstalten zu machen, ihr Magie einzusetzen.
Er blickte in das ihm in den letzten sieben Jahren so vertraut gewordene Gesicht. Viel von dem hatte er ihr erzählt, von allem, was geschehen war; und doch wusste sie nicht um seinen größten Kummer, von der Finsternis, die er schon überdeutlich spürte. Er wollte gerade zum Sprechen ansetzen, um ihr all das, was ihn bedrückte, zu schildern, doch als spürte sie, dass eine Last auf sie zukam, die sie kaum zu tragen fähig wäre, sagte sie urplötzlich: "Entschuldige mich, Legolas. Ich muss zurück."
Ohne eine Antwort abzuwarten und mit einem schwachen, nach Legolas Ansicht deutlich herbeigezwungenem Lächeln, drehte sie sich auf dem Absatz um und lief zurück. Das pechschwarze Haar, welches im Wind wehte, war das letzte, was Legolas in dieser Nacht von ihr sah.
Der Elb nickte nur, selbst im Alleinsein noch mühsam beherrscht. Nein, dies war nicht weiter verwunderlich, hatte sie sich doch in den letzten sieben Jahren kaum anders verhalten. Er musste zurück ins Schloss und schnell lief er los. Was wäre es für ein Desaster, würde auch nur einer der zahlreichen Diener sein Fortgehen bemerken! Zwar gab es keinen, dem es erlaubt war, sein Zimmer zu betreten, da er jeden Aufwärter abgelehnt hatte, doch er wurde das Gefühl nicht los, dass einige der Dienstmädchen des öfteren an seiner Zimmertür standen und lauschten. Wahrlich, der Verrat war ein stetiger Begleiter einiger Elben geworden.
Inzwischen war Legolas, völlig in Gedanken versunken, am Schloss angekommen. Nie hatte er schönere Bauwerke gesehen als hier, weder in der Welt der Menschen, Zwergen oder Elben, mit Ausnahme von Lothlorien. Von den Höhlen seines Vaters war er noch nie angetan gewesen und so hatte er sie seinen jüngeren Geschwistern überlassen, die sich nun beinahe völlig von der übrigen Welt der Elben abgeschottet hatten. Die wenigen Pfähle des Schlosses schmiegten sich fugenlos an die Bäume, jedes einzelne Gebäude war von Elbenhand verziert und nicht ein einziges Bauwerk bestand aus Stein. Doch so sehr in dieser Anblick auch verzauberte, er musste sofort in sein Gemach, und den Weg dorthin zu bestreiten, würde sicher schwer werden. Kaum hatte er sich dem Tor auf etwa 7 Meter genähert, vernahm er hektische Stimmen. Elbenstimmen, wie ihm schien, doch erfüllt von Kälte und Grausamkeit. Erschrocken und dennoch leise huschte er in den Schatten der nächsten Säule. Die Stimmen kamen schnell und stetig näher und inzwischen verstand Legolas beinahe jedes Wort.
"...das ist es nicht wert. Er wird umkommen, und du als sein treuester Diener, du wirst ebenfalls das Zeitliche segnen!" diese Stimme war unverkennbar weiblich, so schrill und hoch, dass es Legolas in den Ohren schmerzte. "Nein, er wird an die Macht kommen. Mithilfe von ihm. Und ich werde seine Heere führen!" diese Stimme war rau, rauer noch als ein Blatt Sandpapier, und grausam. Der Verstand schien jedoch beiden zu fehlen. Die Frau sprach: "Mag sein, dass Melkor ein Valar war. Aber Verrat ist selbst bei den Rassen des Bösen wie täglich Brot." Wut schwang unüberhörbar mit, doch der Andere erwiderte kalt: "Er hat viel von seiner ursprünglichen Macht verloren, ja. Der Aufenthalt in der Leere hat ihn mehr geschwächt als wir jemals hätten angenommen. Doch dies bedeutet nicht, dass es ihm mit Hilfe von ihm unmöglich ist, die Welt zu unterwerfen."
Noch wütender und inzwischen scheinbar auch hektisch, schrie die Andere: "Das war es nicht, wovon ich sprach!"
Doch es kam keine Antwort und das letzte, was Legolas hörte, bevor er flink im Schloss verschwand, war schweres, donnerndes Hufgetrappel.
Er rannte schnell, schneller als jemals zuvor. Seine Füße vermochten sein Gewicht bald nicht mehr zu tragen, so spürte er. Als er völlig erschöpft in seinem Zimmer ankam, die Tür hinter sich schloss und sich an selbiger zu Boden gleiten ließ, schossen ihm die Gedanken wie plötzliche Feuerstöße durch den Kopf.
Morgoth. Die Finsternis. Der Heerführer. Zusammen wollten sie die Welt unterwerfen. Langsam setzte sich das Puzzle in seinem Kopf zu einem Bild zusammen. Alles schien ihm vorbestimmt; und er war wohl eine nicht unwichtige Person in diesem Schachspiel. Die Träume, die Visionen, Arwens Worte, der Elbenstein und schließlich Elessars Blick in den Palantir - alles passte zusammen. Doch er verstand nicht, um welche Macht es sich bei der handeln sollte, die Morgoth an die Macht bringen sollte. Ihm war ebenfalls schleierhaft, wie der Elb - oder waren es beide gewesen? - ihn befreit haben sollten. Wie sollten sie ihn gerettet haben - wie gerettet aus der ewigen Leere? Er sollte verbannt werden, bis die Welt zu Ende geht und die letzte Musik erklingt! Doch der Welten Ende war noch nicht gekommen, und die letzte Musik noch nicht verklungen...
Der König des Eryn Lasgalen schüttelte frustriert den Kopf. Er würde es nicht herausfinden. Nicht, bis die Zeit gekommen war. Das Warten war es, was er hasste, doch gelernt hatte er es; 3000 Jahre waren mehr als genug Zeit gewesen. Langsam und unruhig lief er hin und her. Er würde in dieser Nacht keinen Schlaf mehr finden, und selbst wenn er, wie alle Elben, nicht viel davon brauchte, so war es doch lebensnotwendig.
Wenige Minuten lang saß er noch auf dem Bett. Jedes einzelne, eben gehörte Wort schien sich siedend heiß in sein Gedächnis einzubrennen. Als die ersten Sonnenstrahlen das Grau der Dämmerung erhellten, fühlte sich Legolas unendlich erleichtert. Ja, es gab noch Hoffnung.
Schnell säuberte er sich und seine Kleidung, denn die war von der Erde schmutzig geworden und zum Teil mit Moos bedeckt. Beinahe bis aufs Haar glich die Kleidung, die er jetzt trug, der anderen, nur war der Wams statt mit goldenen mit silbernen Stickereien verziert. Normalerweise trug er dies recht selten, doch die bloße Erinnerung an den klarsilbernen Funken Licht schien ihm ein Zeichen zu sein.
Er trug den Elbenstein auf der Brust, verborgen und dennoch tröstlich. Langsam und beinahe unschlüssig stand der Elb auf. Er würde den gesamten Tag lang Fremde und Bekannte im Thronsaal empfangen müssen, doch ihm war nicht danach. Der Tod Arwens war ein Faktor in einer Kette von Ereignissen gewesen und ihm als Elb lag es nicht, die Winke des Schicksals zu missachten. Doch hilflos war er, sollte er allein sein. Er musste Rat einholen. Rat bei dem, der ihn selbst vor wenigen Jahren noch gebraucht hatte. Er würde Aduilath und seinen Vater um Hilfe bitten. Entschlossenheit trat in seine Augen. Er als König wusste, wem er sein Vertrauen zu schenken hatte. Er musste zu Luthaneniel und sie bitten, ihm zu helfen. Ihm war inzwischen schon Besuch angemeldet worden und er würde ohne Magie nicht weiterkommen.
Einen kurzen Moment lang sah er zu der Sonne hin. Ja, die Zeit des Tages war mit seinen Gedanken weit fortgeschritten. Nun konnte er das Schloss verlassen, ohne größeres Aufsehen zu erregen. Trotzdem war Legolas sehr froh, als ihm niemand begegnete, bis das Haus Luthaneniels in Sicht kam. Es war nicht viel mehr als eine Plattform in der Krone eines Baumes; das spitz zulaufende Dach wurde von vielen, schlanken und trotzdem stabilen Pfeilern gestützt. Luthaneniel war eine der wenigen Elbinnen und Elben, die noch so leben konnten. Denn war es doch so, dass der Winter mit ungeheuerlicher Strenge über den Düsterwald hereinbrach. Nur die wenigsten Zauber konnten die Natur entkräften, und sie anzuwenden, kostete Zeit, Ruhe und schließlich doch einige Hilfsmittel. Er stieg langsam die von Seil geknüpfte Leiter hinauf und ging dann durch die schmale Tür. Er blickte sich stumm um; und dort war sie: Auf einem der vielen Baumäste, die beinahe ungehindert durch das, was sie ihr Heim nannte, hinurchwuchsen, saß sie, die Augen geschlossen, wie es Elben normalerweise nur im Tode tun; oder wenn sie große Kraftanstrengungen und -verluste hinnehmen müssen.
"Wir sahen uns heute schon, Legolas" sagte sie und öffnete die Augen. Der Elb hatte das untrügliche Gefühl, dass sich die Atmosphäre im Raum plötzlich sehr entspannte.
"Ich wusste ja, dass dich etwas bedrückt. Ich gebe dir hier und jetzt noch eine zweite Möglichkeit, es auszusprechen." ein Lächeln lag auf ihren Lippen und der Elb begann regelrecht zu grinsen. "Bis auf die Tatsache, dass du mich heute vor der Sonnen Aufgang umgestoßen, mich aufs Übelste befragt hast und ich dir damit sagen könnte, du dürftest weiterhin im Düsterwald leben, werde ich die zweite Möglichkeit gerne annehmen."
Luthaneniels Lächelns vertiefte sich nur noch und schließlich begannen beide zu lachen. Es war ein Lachen, welches befreiend war und für die Zurückhaltung der Elben eigentlich nicht normal. Doch sie waren Freunde, und ebenso wie Legolas seine Gefühle vor Aduilath nicht versteckte, versteckte er sie vor ihr auch nicht. Die Elbin hatte sich inzwischen wieder gefangen und jetzt sagte sie, ohne auch nur den Anflug eines Lächelns: "Bitte, Legolas, sprich."
"Du siehst durch mich und meine Seele wie durch Wasser und liest in dieser wie in einem offenen Buch. Vor den Zeiten, als die Magie dir so wichtig wurde, wäre es dir nie in den Sinn gekommen, andere... ja, ich kann fast sagen, auszuspionieren. Für dich. Warum?" etwas bittendes lag in dem Ton, mit dem er die letzten drei Worte aussprach. Bei den anderen war er eisig kalt gewesen.
Die Magierin senkte langsam den Kopf. Hätte sie nicht gleich wieder aufgesehen, hätte Legolas angenommen, sie sei beschämt. Doch als sie den Kopf hob, erstarrte Legolas von der Kälte in ihren Augen. Ein eisiger Windstoß schien, trotz aller Zauber durch das Zimmer zu fegen.
"Diese Magie ist das einzige an mir, was euch alle interessiert." Mit diesen Worten hatte sie alles auf eine Karte gesetzt. Wahrheit lag darin, wie das Wasser in einem Fluss floss. Sie hoffte, er würde dies alles nicht unbeachtet wegwerfen.
"Entschuldige...", murmelte der Elb, "verzeih mir. Doch bitte, dies mag jetzt nicht zur Debatte stehen. Versteh, ich muss Aduilath aufsuchen. Mittelerde ist bedroht. Ich habe Träume... Träume, Visionen, das Wort einer Elbin und ihres Gemahls, ich habe das Wort des Königs von Gondor und ich habe ein Gespräch zweier Verräter vernommen.
Die Elbin spürte die Not und ging instinktiv einen Schritt auf Legolas zu. Es war bitter, aber dies war jetzt wichtiger.
"Wie kann ich dir helfen?" er schien den eiskalten Ton ihrer Stimme zu bemerken und sagte es trotzdem: "Du musst einen Zauber einsetzen, der sie nicht sehen lässt, dass ich verschwunden bin."
Einen Moment lang meinte er, sie nachdenken zu sehen. Doch dann sah sie aus, wie in Stein gemeißelt. "Was hast du?" fragte er besorgt und erschrocken.
"Es gibt beinahe keinen materiellen Zauber, Legolas." sagte sie mechanisch. "Nur die wenigsten. Doch einer von ihnen könnte dir helfen. Nur er, um genau zu sein. Doch er gehört zu denen, die nur in größter Not erlaubt sind. Ansonsten werden dem Zauberer Mandos Hallen verboten, denn zuviel Leid ist aus ihm erwachsen."
Der Elb atmete hörbar ein. Er musste weg, er spürte, dass Leben auf dem Spiel standen, und doch war die Ewigkeit in Mandos Hallen länger als ein Menschenleben. Doch hatte er nicht bemerkt, wie Luthaneniel sich plötzlich umgedreht hatte. Erst als sein Blick den ihren traf, merkte er es. Da waren sie wieder. Diese Augen, dieser Strudel von Magie, in den er zu versinken drohte.
"Menschenleben stehen auf dem Spiel..." stellte sie, für ihn beinahe unmöglich zu hören, fest, doch er vernahm es. Langsam senkte der Elb den Kopf, nur um ihn wenige Sekunden später wieder anzuheben. "Ja... ja, das tun sie. Ich bin es nicht, der die Winke des Schicksals missachtet."
Es folgte eine schwere, fast unbrechbare Stille. Legolas sah Luthaneniel an, bemerkte, wie sie einen um den anderen Nach- und Vorteil abwog.
Schließlich stand sie entschlossen auf. "Ich werde dir helfen." Ihre Gesichtszüge schienen unbeweglich wie die der Aragonath, doch in ihren Augen erkannte Legolas die Angst; nun gab es kein Zurück mehr.
"Gib mir bitte eine deiner Haarsträhnen, Legolas." Sie schien keine Worte, und erst recht keine Zeit mehr verschwenden zu wollen. Ohne zu wissen, was seine Gefärtin vorhatte, jedoch genauso unfähig danach zu fragen, zupfte er kurz an seinem Haar und gab ihr dann eine einzelne Haarsträhne, welche wie geflochtenes Gold schimmerte. Die Magierin durchquerte den Raum, bis sie vor einem großen, gleich Wasser so klarem Stein stehen blieb. Vorsichtig legte sie das Haar vor demselben auf den Boden. Einmal noch atmete Luthaneniel tief durch. Furcht ergriff von Legolas Herz Besitz. Luthaneniel schien es zu spüren, denn sie drehte sich um und sprach zu ihm: "Egal was du denkst. Dies ist meine freie Entscheidung und du bist an gar nichts schuld, sollte mir etwas passieren." Sie drehte sich jedoch sofort wieder um, kniete sich hin und legte ihre Hände, wie zum Gebet gefaltet, auf den Boden. Nach einigen Sekunden spannte sich die Atmosphäre im Raum auf ein beinahe schmerzliches Maß an. Instinktiv trat der Elb einen Schritt zurück. Luthaneniel begann Worte in einer Sprache zu sprechen, die Legolas' Begreifen entrückt waren und ihn frösteln ließen.
Das Armband aus dunkelgrünem Stein, welches sich, einer Luftwurzel ähnlich, um ihr Handgelenk schlang und über den Handrücken bis zum Ansatz der Fingerknochen herabhing, leuchtete in unnatürlich heller Farbe, welche die Aufmerksamkeit des Betrachters langsam, aber schließlich doch unaufhaltsam auf sich zog. Völlig unfähig, sich zu bewegen, sah Legolas zu der Elbin hin. Die Macht, die von ihr ausging, war erschreckend und schien ihm höchstgefährlich. Erst nach einigen Sekunden erkannte Legolas, dass sie die Hände immer weiter erhob. Der Grund offenbarte sich ihm kurze Zeit später, als Luthaneniel aufstand, die Hände zu beiden Seiten ihres Körpers sinken ließ und einen Schritt zurücktrat: Als könnte man die Reife eines dreitausend Jahre alten Unsterblichen in wenigen Sekunden erreichen, wuchs vor seinen Augen ein Elb in unglaublicher Geschwindigkeit heran. Als er endlich vor ihnen stand, fühlte sich Legolas lebhaft daran erinnert, wie er als Kind zum ersten Mal in seinem Leben sein Gesicht in einem Fluss gesehen hatte. Er hatte nicht glauben wollen, dass er dies war, genau wie er jetzt nicht glauben wollte, dass dieser Elb er war.
"Was verlangt Ihr?" fragte der Elb, und Legolas erschrak nochmals. Die Übereinstimmung war nicht zu verleugnen. Selbst die Bitterkeit, mit der er selbst sprechen würde, müsste er sich anderen unterwerfen, schwang in seiner Stimme mit.
"Legolas, Thranduils Sohn, deine Aufgabe sei es, die Fremden und Bekannten im Schloss willkommen zu heißen." Antwortete Luthaneniel. Ihre Stimme schwankte nicht, doch das Feuer in ihren Augen war beinahe erloschen, was auf die Erschöpfung hinwies. Der Andere nickte nur, durchquerte die kleine Wohnung mit wenigen Schritten und kletterte die Leiter herunter.
Müde schloss Luthaneniel die Augen, aber als sie sie langsam wieder öffnete, zeigte sich der Anflug eines Lächelns in ihrem Gesicht. "Sie haben es akzeptiert.", ihre Stimme klang nun wirklich erschöpft, aber glücklich, "sie haben mir nicht den Einlass verboten. Doch nun geh, Legolas. Die Leben, die auf dem Spiel stehen, sollen nicht durch unnötiges Verschwenden der Zeit zerstört werden."
Sprachlos nickte Legolas, bis er begann: "Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll, doch muss ich mir ein anderes Mal darüber Gedanken machen."
"Ja, dies ist das Beste, so rät mir auch mein Verstand. Doch nun geh." Beinahe streng klang ihre Stimme, als sie die letzten Worte aussprach.
Einmal noch lächelte Legolas ihr zu, bevor er in höchster Eile die Leiter hinunter kletterte. Er würde retten müssen, was zu retten war und für den Kampf würde er sich Rat einholen. Für den Kampf, der allzu bald beginnen würde...
~~~**~~~
Luthaneniel (Form von Luthanen mit weiblicher Endung) = Be/Verzauberndes Wasser
A/N: Jupp, fertig ;). Ziemlich unrealistisch, dieses Kapitel, der Titel ist auch nicht so toll und... die Liste kann man beliebig weiterführen, geb ich ja zu und der Name von unserer Magierin ist auch nicht soooo toll...-_- Okay, ich höre auf. Ich hab mich angestrengt, das Kapitel schnell fertig zu haben, und hier ist es, zwar regelrecht kurz im Vergleich zu dem Anfang, aber das nächste wird länger (brauchen, das wohl auch *g*). Und warum wohl Morgoth auferstanden ist? Es gibt eine Erklärung, im nächsten Kapitel, fragt sich nur, ob sie logisch ist...:'( Ich hoffe trotzdem, dass ihr weiterlest. Es wird auch noch besser (hoff ich). Bitte :)! Über Feedback würde ich mich übrigens sehr freuen ;)!
Dunkelheit umhüllte die Welt, doch brach das Licht Earendils neben dem Mondlicht durch die Wolken. In der Dunkelheit kaum zu erkennen, saß ein Elb da, gelehnt an einen Mallornbaum, der fast so alt wie er selbst war und dachte nach, die Augen geschlossen, wie es Elben sonst fast nie tun.
In einem See der Erinnerungen glaubte er zu schwimmen, und immer wieder versuchte er, die Oberfläche zu erreichen. Doch etwas hielt ihn davon ab. Er sah das Sonnenlicht durch das Wasser, spürte die Wärme auf seiner Haut und wusste, dass er dem Ziel nah wie nie zuvor und doch noch immer unendlich weit davon entfernt war. Er war der Herr des Düsterwaldes, Sohn des höchstwahrscheinlich verstorbenen Thranduils, Legolas. Viele Winter waren vergangen, seit er mit Arwen Undómiel gesprochen hatte und diese ihm ein Geschenk gemacht hatte: Einen grünen Edelstein hatte sie ihm geschenkt, der einst Aragorn seinen Namen gegeben hatte: Elessar, in der Sprache der Menschen Elbenstein. Viel und oft hatte Legolas über die Geschehnisse in jenem Jahr, in dem er sich der Vergänglichkeit der Elben geradezu schmerzhaft bewusst wurde, nachgedacht. Visionen hatte er gehabt, die sich bisher nur zum Teil bewahrheitet hatten, blutrünstige Orks hatten ihn und den Düsterwald angegriffen, die kurze Zeit später wie vom Erdboden verschluckt schienen. Doch nichts war in den darauf folgenden sieben Jahren geschehen, nur Träume, wahrhaftige Alpträume, hatte er, inzwischen schon seit vielen Monaten. Er hatte alles versucht, doch nichts gegen sie tun können, spielte doch selbst der Ort, an dem er sich befand, keine Rolle und so war er nach einer langen und ergebnislosen Reise letztendlich in den Palast zurückgekehrt. Doch die Alpträume wurden schlimmer und die Schatten dunkler; sicher würde bald etwas geschehen. Auch in dieser Nacht hatten ihn dieselben Alpträume geplagt.
In wenigen Stunden würde die Dämmerung eintreten und die Sonne ihr erstes Licht nach Mittelerde schicken. Legolas sah den Himmel empor. Earendir, der Hellste und den Elben der liebste Stern, stand am Himmel. Auch wenn Legolas es sich nicht eingestehen wollte, er hatte Angst. Die Dunkelheit, die kam, würde schrecklich sein und bald die Macht übernehmen. Die Macht, die zuletzt Sauron gehabt hatte. Doch plötzlich lenkte etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich. Ein winziger, silberner Schimmer, selbst für Elbenaugen schwer und damit für die menschlichen Augen unmöglich zu sehen, schien, nicht weit entfernt, am Cerin Amroth, wie es ihm schien, diese Welt zu verlassen. Und doch, ein unbestimmtes Gefühl ließ ihn glauben, dass nur er es sah. Höher und höher stieg er, ähnlich einem winzigen Tropfen Silber, bis er schließlich vollends verschwand. Langsam senkte Legolas den Blick. Sie war tot. Arwen Undomiel hatte Mittelerde verlassen und war zu ihrem König zurückgekehrt. Eine einzelne Träne benetzte den Boden vor seinen Füßen. Die hohe Frau Lothloriens, Galadriel, sie hatte Recht gehabt, mit dem, was sie sagte. Wahrlich, in allen Ländern war Liebe nun verwoben mit Trauer. Wie schrecklich mussten die letzten Jahre ihres Lebens für die Elbenmaid gewesen sein! Er trug innerlich einen Kampf mit sich selbst aus, doch als er die Augen wieder öffnete und sein Blick sich klärte, schien er stark und beherrschte sich selbst, wie es charakteristisch für die Elben war.
Nach Legolas Krönung war dem Düsterwald bald ein neuer Name gegeben worden: "Eryn Lasgalen", der Wald der grünen Blätter. Grün war er wahrlich geworden, hell und freundlich schien er bald selbst den Menschen, die die wenigen Elben, die noch Mittelerde bevölkerten, mit Misstrauen in den Augen ansahen. Viele nahmen eine lange Reise auf sich, nur um sich der Schönheit dieses Waldes zu erfreuen.
Seufzend stand der Elb auf. Alles schien sich zum Guten zu wenden, doch es war falscher Frieden. Denn schlimmer und schlimmer wurden seine Träume und er hatte es längst aufgegeben, sie als Unsinn abzutun. Langsam setzte der Elb einen Fuß vor den anderen. Selbst die Augen der Elben vermochten die Dunkelheit nicht vollständig zu durchdringen. Als er sich schließlich besser orientieren konnte, lief er schneller und schneller. Das Beste wäre es sicher nicht, würde man den jungen König zu so früher Stunde an den Ausläufern des Waldes entdecken.
"Sie werden dich für einen Ork halten." hatte Gimli einmal zu Legolas gesagt, als er ihm bei einem seiner nächtlichen Ausflüge erwischt hatte. Der Elb schmunzelte. Doch dieser Moment der Unaufmerksamkeit sollte verheerend sein, denn sofort stieß Legolas mit jemandem zusammen. Er stolperte zurück und konnte sich gerade noch rechtzeitig am Ast eines Mallornbaumes festhalten. Kaum hatte er all seine Sinne wieder beisammen, zog er blitzschnell seinen Dolch.
Er wurde kritisch gemustert, und erst als ein dünner Strahl Mondlicht auf den silbernen Ring, der ihn als Mitglied der königlichen Familie kennzeichnete, brach die Stille.
"Legolas?" erschallte eine ungläubige Stimme aus dem Dunkel. Es war Unverkennbar, dass diese Person eine Frau war, höchstwahrscheinlich sogar... doch er sprach sogleich aus, was er dachte: "Luthaneniel*? Was tust du hier, vor dem ersten Licht der Morgendämmerung?"
"Das selbe bin ich versucht, dich zu fragen.", antwortete die Elbin, und Legolas war sich trotz der Finsternis sicher, ein flüchtiges Lächeln über ihre Lippen huschen zu sehen.
"Dies hier ist der einzige Ort, der auf Grund des Nachdenkens aufgesucht werden kann.", sagte Legolas, versucht, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie einen empfindlichen Punkt getroffen hatte. Die Magierin nickte. Legolas wusste, sie könnte seine Gedanken Lesen und ihm durch die elbische Fassade direkt ins Herz blicken, doch sie schien, obwohl sie merkte, dass er etwas verbarg, keine Anstalten zu machen, ihr Magie einzusetzen.
Er blickte in das ihm in den letzten sieben Jahren so vertraut gewordene Gesicht. Viel von dem hatte er ihr erzählt, von allem, was geschehen war; und doch wusste sie nicht um seinen größten Kummer, von der Finsternis, die er schon überdeutlich spürte. Er wollte gerade zum Sprechen ansetzen, um ihr all das, was ihn bedrückte, zu schildern, doch als spürte sie, dass eine Last auf sie zukam, die sie kaum zu tragen fähig wäre, sagte sie urplötzlich: "Entschuldige mich, Legolas. Ich muss zurück."
Ohne eine Antwort abzuwarten und mit einem schwachen, nach Legolas Ansicht deutlich herbeigezwungenem Lächeln, drehte sie sich auf dem Absatz um und lief zurück. Das pechschwarze Haar, welches im Wind wehte, war das letzte, was Legolas in dieser Nacht von ihr sah.
Der Elb nickte nur, selbst im Alleinsein noch mühsam beherrscht. Nein, dies war nicht weiter verwunderlich, hatte sie sich doch in den letzten sieben Jahren kaum anders verhalten. Er musste zurück ins Schloss und schnell lief er los. Was wäre es für ein Desaster, würde auch nur einer der zahlreichen Diener sein Fortgehen bemerken! Zwar gab es keinen, dem es erlaubt war, sein Zimmer zu betreten, da er jeden Aufwärter abgelehnt hatte, doch er wurde das Gefühl nicht los, dass einige der Dienstmädchen des öfteren an seiner Zimmertür standen und lauschten. Wahrlich, der Verrat war ein stetiger Begleiter einiger Elben geworden.
Inzwischen war Legolas, völlig in Gedanken versunken, am Schloss angekommen. Nie hatte er schönere Bauwerke gesehen als hier, weder in der Welt der Menschen, Zwergen oder Elben, mit Ausnahme von Lothlorien. Von den Höhlen seines Vaters war er noch nie angetan gewesen und so hatte er sie seinen jüngeren Geschwistern überlassen, die sich nun beinahe völlig von der übrigen Welt der Elben abgeschottet hatten. Die wenigen Pfähle des Schlosses schmiegten sich fugenlos an die Bäume, jedes einzelne Gebäude war von Elbenhand verziert und nicht ein einziges Bauwerk bestand aus Stein. Doch so sehr in dieser Anblick auch verzauberte, er musste sofort in sein Gemach, und den Weg dorthin zu bestreiten, würde sicher schwer werden. Kaum hatte er sich dem Tor auf etwa 7 Meter genähert, vernahm er hektische Stimmen. Elbenstimmen, wie ihm schien, doch erfüllt von Kälte und Grausamkeit. Erschrocken und dennoch leise huschte er in den Schatten der nächsten Säule. Die Stimmen kamen schnell und stetig näher und inzwischen verstand Legolas beinahe jedes Wort.
"...das ist es nicht wert. Er wird umkommen, und du als sein treuester Diener, du wirst ebenfalls das Zeitliche segnen!" diese Stimme war unverkennbar weiblich, so schrill und hoch, dass es Legolas in den Ohren schmerzte. "Nein, er wird an die Macht kommen. Mithilfe von ihm. Und ich werde seine Heere führen!" diese Stimme war rau, rauer noch als ein Blatt Sandpapier, und grausam. Der Verstand schien jedoch beiden zu fehlen. Die Frau sprach: "Mag sein, dass Melkor ein Valar war. Aber Verrat ist selbst bei den Rassen des Bösen wie täglich Brot." Wut schwang unüberhörbar mit, doch der Andere erwiderte kalt: "Er hat viel von seiner ursprünglichen Macht verloren, ja. Der Aufenthalt in der Leere hat ihn mehr geschwächt als wir jemals hätten angenommen. Doch dies bedeutet nicht, dass es ihm mit Hilfe von ihm unmöglich ist, die Welt zu unterwerfen."
Noch wütender und inzwischen scheinbar auch hektisch, schrie die Andere: "Das war es nicht, wovon ich sprach!"
Doch es kam keine Antwort und das letzte, was Legolas hörte, bevor er flink im Schloss verschwand, war schweres, donnerndes Hufgetrappel.
Er rannte schnell, schneller als jemals zuvor. Seine Füße vermochten sein Gewicht bald nicht mehr zu tragen, so spürte er. Als er völlig erschöpft in seinem Zimmer ankam, die Tür hinter sich schloss und sich an selbiger zu Boden gleiten ließ, schossen ihm die Gedanken wie plötzliche Feuerstöße durch den Kopf.
Morgoth. Die Finsternis. Der Heerführer. Zusammen wollten sie die Welt unterwerfen. Langsam setzte sich das Puzzle in seinem Kopf zu einem Bild zusammen. Alles schien ihm vorbestimmt; und er war wohl eine nicht unwichtige Person in diesem Schachspiel. Die Träume, die Visionen, Arwens Worte, der Elbenstein und schließlich Elessars Blick in den Palantir - alles passte zusammen. Doch er verstand nicht, um welche Macht es sich bei der handeln sollte, die Morgoth an die Macht bringen sollte. Ihm war ebenfalls schleierhaft, wie der Elb - oder waren es beide gewesen? - ihn befreit haben sollten. Wie sollten sie ihn gerettet haben - wie gerettet aus der ewigen Leere? Er sollte verbannt werden, bis die Welt zu Ende geht und die letzte Musik erklingt! Doch der Welten Ende war noch nicht gekommen, und die letzte Musik noch nicht verklungen...
Der König des Eryn Lasgalen schüttelte frustriert den Kopf. Er würde es nicht herausfinden. Nicht, bis die Zeit gekommen war. Das Warten war es, was er hasste, doch gelernt hatte er es; 3000 Jahre waren mehr als genug Zeit gewesen. Langsam und unruhig lief er hin und her. Er würde in dieser Nacht keinen Schlaf mehr finden, und selbst wenn er, wie alle Elben, nicht viel davon brauchte, so war es doch lebensnotwendig.
Wenige Minuten lang saß er noch auf dem Bett. Jedes einzelne, eben gehörte Wort schien sich siedend heiß in sein Gedächnis einzubrennen. Als die ersten Sonnenstrahlen das Grau der Dämmerung erhellten, fühlte sich Legolas unendlich erleichtert. Ja, es gab noch Hoffnung.
Schnell säuberte er sich und seine Kleidung, denn die war von der Erde schmutzig geworden und zum Teil mit Moos bedeckt. Beinahe bis aufs Haar glich die Kleidung, die er jetzt trug, der anderen, nur war der Wams statt mit goldenen mit silbernen Stickereien verziert. Normalerweise trug er dies recht selten, doch die bloße Erinnerung an den klarsilbernen Funken Licht schien ihm ein Zeichen zu sein.
Er trug den Elbenstein auf der Brust, verborgen und dennoch tröstlich. Langsam und beinahe unschlüssig stand der Elb auf. Er würde den gesamten Tag lang Fremde und Bekannte im Thronsaal empfangen müssen, doch ihm war nicht danach. Der Tod Arwens war ein Faktor in einer Kette von Ereignissen gewesen und ihm als Elb lag es nicht, die Winke des Schicksals zu missachten. Doch hilflos war er, sollte er allein sein. Er musste Rat einholen. Rat bei dem, der ihn selbst vor wenigen Jahren noch gebraucht hatte. Er würde Aduilath und seinen Vater um Hilfe bitten. Entschlossenheit trat in seine Augen. Er als König wusste, wem er sein Vertrauen zu schenken hatte. Er musste zu Luthaneniel und sie bitten, ihm zu helfen. Ihm war inzwischen schon Besuch angemeldet worden und er würde ohne Magie nicht weiterkommen.
Einen kurzen Moment lang sah er zu der Sonne hin. Ja, die Zeit des Tages war mit seinen Gedanken weit fortgeschritten. Nun konnte er das Schloss verlassen, ohne größeres Aufsehen zu erregen. Trotzdem war Legolas sehr froh, als ihm niemand begegnete, bis das Haus Luthaneniels in Sicht kam. Es war nicht viel mehr als eine Plattform in der Krone eines Baumes; das spitz zulaufende Dach wurde von vielen, schlanken und trotzdem stabilen Pfeilern gestützt. Luthaneniel war eine der wenigen Elbinnen und Elben, die noch so leben konnten. Denn war es doch so, dass der Winter mit ungeheuerlicher Strenge über den Düsterwald hereinbrach. Nur die wenigsten Zauber konnten die Natur entkräften, und sie anzuwenden, kostete Zeit, Ruhe und schließlich doch einige Hilfsmittel. Er stieg langsam die von Seil geknüpfte Leiter hinauf und ging dann durch die schmale Tür. Er blickte sich stumm um; und dort war sie: Auf einem der vielen Baumäste, die beinahe ungehindert durch das, was sie ihr Heim nannte, hinurchwuchsen, saß sie, die Augen geschlossen, wie es Elben normalerweise nur im Tode tun; oder wenn sie große Kraftanstrengungen und -verluste hinnehmen müssen.
"Wir sahen uns heute schon, Legolas" sagte sie und öffnete die Augen. Der Elb hatte das untrügliche Gefühl, dass sich die Atmosphäre im Raum plötzlich sehr entspannte.
"Ich wusste ja, dass dich etwas bedrückt. Ich gebe dir hier und jetzt noch eine zweite Möglichkeit, es auszusprechen." ein Lächeln lag auf ihren Lippen und der Elb begann regelrecht zu grinsen. "Bis auf die Tatsache, dass du mich heute vor der Sonnen Aufgang umgestoßen, mich aufs Übelste befragt hast und ich dir damit sagen könnte, du dürftest weiterhin im Düsterwald leben, werde ich die zweite Möglichkeit gerne annehmen."
Luthaneniels Lächelns vertiefte sich nur noch und schließlich begannen beide zu lachen. Es war ein Lachen, welches befreiend war und für die Zurückhaltung der Elben eigentlich nicht normal. Doch sie waren Freunde, und ebenso wie Legolas seine Gefühle vor Aduilath nicht versteckte, versteckte er sie vor ihr auch nicht. Die Elbin hatte sich inzwischen wieder gefangen und jetzt sagte sie, ohne auch nur den Anflug eines Lächelns: "Bitte, Legolas, sprich."
"Du siehst durch mich und meine Seele wie durch Wasser und liest in dieser wie in einem offenen Buch. Vor den Zeiten, als die Magie dir so wichtig wurde, wäre es dir nie in den Sinn gekommen, andere... ja, ich kann fast sagen, auszuspionieren. Für dich. Warum?" etwas bittendes lag in dem Ton, mit dem er die letzten drei Worte aussprach. Bei den anderen war er eisig kalt gewesen.
Die Magierin senkte langsam den Kopf. Hätte sie nicht gleich wieder aufgesehen, hätte Legolas angenommen, sie sei beschämt. Doch als sie den Kopf hob, erstarrte Legolas von der Kälte in ihren Augen. Ein eisiger Windstoß schien, trotz aller Zauber durch das Zimmer zu fegen.
"Diese Magie ist das einzige an mir, was euch alle interessiert." Mit diesen Worten hatte sie alles auf eine Karte gesetzt. Wahrheit lag darin, wie das Wasser in einem Fluss floss. Sie hoffte, er würde dies alles nicht unbeachtet wegwerfen.
"Entschuldige...", murmelte der Elb, "verzeih mir. Doch bitte, dies mag jetzt nicht zur Debatte stehen. Versteh, ich muss Aduilath aufsuchen. Mittelerde ist bedroht. Ich habe Träume... Träume, Visionen, das Wort einer Elbin und ihres Gemahls, ich habe das Wort des Königs von Gondor und ich habe ein Gespräch zweier Verräter vernommen.
Die Elbin spürte die Not und ging instinktiv einen Schritt auf Legolas zu. Es war bitter, aber dies war jetzt wichtiger.
"Wie kann ich dir helfen?" er schien den eiskalten Ton ihrer Stimme zu bemerken und sagte es trotzdem: "Du musst einen Zauber einsetzen, der sie nicht sehen lässt, dass ich verschwunden bin."
Einen Moment lang meinte er, sie nachdenken zu sehen. Doch dann sah sie aus, wie in Stein gemeißelt. "Was hast du?" fragte er besorgt und erschrocken.
"Es gibt beinahe keinen materiellen Zauber, Legolas." sagte sie mechanisch. "Nur die wenigsten. Doch einer von ihnen könnte dir helfen. Nur er, um genau zu sein. Doch er gehört zu denen, die nur in größter Not erlaubt sind. Ansonsten werden dem Zauberer Mandos Hallen verboten, denn zuviel Leid ist aus ihm erwachsen."
Der Elb atmete hörbar ein. Er musste weg, er spürte, dass Leben auf dem Spiel standen, und doch war die Ewigkeit in Mandos Hallen länger als ein Menschenleben. Doch hatte er nicht bemerkt, wie Luthaneniel sich plötzlich umgedreht hatte. Erst als sein Blick den ihren traf, merkte er es. Da waren sie wieder. Diese Augen, dieser Strudel von Magie, in den er zu versinken drohte.
"Menschenleben stehen auf dem Spiel..." stellte sie, für ihn beinahe unmöglich zu hören, fest, doch er vernahm es. Langsam senkte der Elb den Kopf, nur um ihn wenige Sekunden später wieder anzuheben. "Ja... ja, das tun sie. Ich bin es nicht, der die Winke des Schicksals missachtet."
Es folgte eine schwere, fast unbrechbare Stille. Legolas sah Luthaneniel an, bemerkte, wie sie einen um den anderen Nach- und Vorteil abwog.
Schließlich stand sie entschlossen auf. "Ich werde dir helfen." Ihre Gesichtszüge schienen unbeweglich wie die der Aragonath, doch in ihren Augen erkannte Legolas die Angst; nun gab es kein Zurück mehr.
"Gib mir bitte eine deiner Haarsträhnen, Legolas." Sie schien keine Worte, und erst recht keine Zeit mehr verschwenden zu wollen. Ohne zu wissen, was seine Gefärtin vorhatte, jedoch genauso unfähig danach zu fragen, zupfte er kurz an seinem Haar und gab ihr dann eine einzelne Haarsträhne, welche wie geflochtenes Gold schimmerte. Die Magierin durchquerte den Raum, bis sie vor einem großen, gleich Wasser so klarem Stein stehen blieb. Vorsichtig legte sie das Haar vor demselben auf den Boden. Einmal noch atmete Luthaneniel tief durch. Furcht ergriff von Legolas Herz Besitz. Luthaneniel schien es zu spüren, denn sie drehte sich um und sprach zu ihm: "Egal was du denkst. Dies ist meine freie Entscheidung und du bist an gar nichts schuld, sollte mir etwas passieren." Sie drehte sich jedoch sofort wieder um, kniete sich hin und legte ihre Hände, wie zum Gebet gefaltet, auf den Boden. Nach einigen Sekunden spannte sich die Atmosphäre im Raum auf ein beinahe schmerzliches Maß an. Instinktiv trat der Elb einen Schritt zurück. Luthaneniel begann Worte in einer Sprache zu sprechen, die Legolas' Begreifen entrückt waren und ihn frösteln ließen.
Das Armband aus dunkelgrünem Stein, welches sich, einer Luftwurzel ähnlich, um ihr Handgelenk schlang und über den Handrücken bis zum Ansatz der Fingerknochen herabhing, leuchtete in unnatürlich heller Farbe, welche die Aufmerksamkeit des Betrachters langsam, aber schließlich doch unaufhaltsam auf sich zog. Völlig unfähig, sich zu bewegen, sah Legolas zu der Elbin hin. Die Macht, die von ihr ausging, war erschreckend und schien ihm höchstgefährlich. Erst nach einigen Sekunden erkannte Legolas, dass sie die Hände immer weiter erhob. Der Grund offenbarte sich ihm kurze Zeit später, als Luthaneniel aufstand, die Hände zu beiden Seiten ihres Körpers sinken ließ und einen Schritt zurücktrat: Als könnte man die Reife eines dreitausend Jahre alten Unsterblichen in wenigen Sekunden erreichen, wuchs vor seinen Augen ein Elb in unglaublicher Geschwindigkeit heran. Als er endlich vor ihnen stand, fühlte sich Legolas lebhaft daran erinnert, wie er als Kind zum ersten Mal in seinem Leben sein Gesicht in einem Fluss gesehen hatte. Er hatte nicht glauben wollen, dass er dies war, genau wie er jetzt nicht glauben wollte, dass dieser Elb er war.
"Was verlangt Ihr?" fragte der Elb, und Legolas erschrak nochmals. Die Übereinstimmung war nicht zu verleugnen. Selbst die Bitterkeit, mit der er selbst sprechen würde, müsste er sich anderen unterwerfen, schwang in seiner Stimme mit.
"Legolas, Thranduils Sohn, deine Aufgabe sei es, die Fremden und Bekannten im Schloss willkommen zu heißen." Antwortete Luthaneniel. Ihre Stimme schwankte nicht, doch das Feuer in ihren Augen war beinahe erloschen, was auf die Erschöpfung hinwies. Der Andere nickte nur, durchquerte die kleine Wohnung mit wenigen Schritten und kletterte die Leiter herunter.
Müde schloss Luthaneniel die Augen, aber als sie sie langsam wieder öffnete, zeigte sich der Anflug eines Lächelns in ihrem Gesicht. "Sie haben es akzeptiert.", ihre Stimme klang nun wirklich erschöpft, aber glücklich, "sie haben mir nicht den Einlass verboten. Doch nun geh, Legolas. Die Leben, die auf dem Spiel stehen, sollen nicht durch unnötiges Verschwenden der Zeit zerstört werden."
Sprachlos nickte Legolas, bis er begann: "Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll, doch muss ich mir ein anderes Mal darüber Gedanken machen."
"Ja, dies ist das Beste, so rät mir auch mein Verstand. Doch nun geh." Beinahe streng klang ihre Stimme, als sie die letzten Worte aussprach.
Einmal noch lächelte Legolas ihr zu, bevor er in höchster Eile die Leiter hinunter kletterte. Er würde retten müssen, was zu retten war und für den Kampf würde er sich Rat einholen. Für den Kampf, der allzu bald beginnen würde...
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Luthaneniel (Form von Luthanen mit weiblicher Endung) = Be/Verzauberndes Wasser
A/N: Jupp, fertig ;). Ziemlich unrealistisch, dieses Kapitel, der Titel ist auch nicht so toll und... die Liste kann man beliebig weiterführen, geb ich ja zu und der Name von unserer Magierin ist auch nicht soooo toll...-_- Okay, ich höre auf. Ich hab mich angestrengt, das Kapitel schnell fertig zu haben, und hier ist es, zwar regelrecht kurz im Vergleich zu dem Anfang, aber das nächste wird länger (brauchen, das wohl auch *g*). Und warum wohl Morgoth auferstanden ist? Es gibt eine Erklärung, im nächsten Kapitel, fragt sich nur, ob sie logisch ist...:'( Ich hoffe trotzdem, dass ihr weiterlest. Es wird auch noch besser (hoff ich). Bitte :)! Über Feedback würde ich mich übrigens sehr freuen ;)!
