Teil 6: Es ist dringend...

Doch es war natürlich nichts in Ordnung, als sie aufwachte. Es war anscheinend dieses laute Poltern gewesen, das sie aus dem Schlaf gerissen hatte. Prissy stellte frustriert fest, dass sie noch immer in diesem unseligen Zimmer war. Sie setzte sich im Bett auf, traute sich aber vor Angst kaum zu atmen. Was war da los? Doch es schien nicht um sie zu gehen, und sie entspannte sich schließlich wieder ein wenig. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie geschlafen hatte und wusste auch nicht, was dieses laute Geräusch auf dem Flur ausgelöst hatte. Sie wollte es auch nicht wissen, denn sie hatte nicht vor, das Bett, geschweige denn das Zimmer zu verlassen.

Obwohl...

Oh, nein!

Mit Entsetzen bemerkte sie, dass ein unangenehmer Druck auf ihrer Blase sie über kurz oder lang dazu zwingen würde, doch aufzustehen. Warum hatte sie nicht gefragt, wo hier die Toiletten waren? Wenn es hier überhaupt so etwas gab... Wahrscheinlich würde sie sich mit einem Donnerbalken zufrieden geben müssen. Egal. Fakt war, es war dringend und sie musste etwas dagegen unternehmen.

Angestrengt lauschte sie ins Dunkel. Der Lärm, der sie aufgeschreckt hatte, war vorüber und es war lange nichts zu hören.

Eigentlich wollte sie nicht aufstehen...

Aber schließlich merkte sie, dass es wirklich sein musste. Sie hangelte nach ihren Schuhen und schlüpfte hinein.

Priscilla wusste nicht mehr wo die Kerze stand. Aber sie hatte keine Lust, sich beim tastenden Herumirren die Schienbeine und wer was sonst noch blau zu schlagen und so entschied sie, dass das hereinfallende Licht des Mondes reichen müsste. Sie fand schließlich die Tür und ganz vorsichtig begann sie, die Holzklinke herunter zu drücken.

Als die Tür ein quietschendes Geräusch von sich gab, dachte sie, ihr Herz würde stehen bleiben und sie erstarrte.

Doch nichts geschah.

Langsam zog sie die Tür auf und linste heraus auf den spärlich durch Windlichter erleuchteten Flur.

Niemand da...

Aufatmen.

Sie schob sich hinaus und blickte nach links und rechts. Einige Türen auf beiden Seiten, alle geschlossen.

Was nun?

Priscilla schlich über den Flur. Sie hatte beschlossen, gar nicht erst im Haus nach einer Toilette zu suchen, sondern direkt nach draußen zu gehen und sich in die Büsche zu schlagen. Das war wahrscheinlich sicherer, als unbedacht geschlossenen Türen zu öffnen, hinter denen wer weiß was geschah. Dass die Natur auch aus hygienischen Gesichtspunkten angenehmer sein würde, stand für sie sowieso außer Frage.

Die Treppen knarrten und sie drückte sich ganz an den Rand, um das zu vermeiden. Streichers Anweisungen hatte sie sehr wohl verstanden, aber was dachte der schmierige Kerl sich eigentlich? Dass sie sich in eine Zimmerecke hocken würde? Sie würde ja nicht weit gehen und schnell wieder zurück sein. Niemand würde es merken.

Inzwischen war sie an der Tür des Gästehauses angekommen und sie lauschte wieder.

Nichts.

Stille.

Wahrscheinlich schliefen alle. Hoffentlich schliefen alle...

Sie drückte die Klinke herunter. Abgeschlossen! Verdammt! Wer bitteschön schloss die Tür zu einem Gasthaus ab? Sie lehnte sich entnervt mit dem Rücken gegen die Tür.

Sie hatte es inzwischen wirklich eilig...

Ihr Blick fiel nach rechts. Ein Fenster. Einen Augenblick später hatte sie es geöffnet und ohne weiter darüber nachzudenken war sie hinausgeklettert.

"krrrrrrrrzzzzzz"

Als sie mit ihren Schuhspitzen über den rauhen Stein des Hauses schrappte, fluchte sie innerlich, doch es war nicht mehr zu ändern. Die Schuhe würde sie wahrscheinlich wegschmeißen können - erst der Marsch durch den Wald und jetzt das...

Doch darum konnte sie sich jetzt keine Gedanken machen. Vorsichtig ließ sie sich auf den Boden vor dem Haus hinunter und blickte dann kritisch nach oben. Doch, das würde sie schaffen...

Ein weiterer Blick nach Links und Rechts. Ganz Bree schien wie ausgestorben zu sein, jedenfalls war es völlig still, abgesehen von entferntem Hundegebell und gemütlichen Stallgeräuschen aus dem Pferdestall schräg gegenüber. Ihr sollte es recht sein, wenn keiner mehr unterwegs war.

Blitzschnell entschloss sie sich, dass sie dem Pfad zwischen dem Stall und dem benachbarten Gebäude folgen würde. Dort schien es genug Vegetation zu geben, hinter der sie mal kurz verschwinden konnte. Es widerte sie zwar an, aber es ging nicht anders. Jedenfalls wusste sie nun plötzlich eine Selbstverständlichkeit wie ein funktionierendes Wasserklosett nebst Toilettenpapier ganz anders zu schätzen.

Ein paar Augenblicke später ging es ihr wieder besser und eigentlich hatte sie sofort zurück gehen wollen, bevor sie wirklich noch jemand vermisste. Sie war nur ein paar Schritte gegangen und eigentlich hätte es kein Problem sein dürfen. Doch irgendwie sah plötzlich alles um sie herum gleich aus. Leichte Panik befiel sie und hektisch blickte sie sich um, bevor sie sich unsicher für eine Richtung entschied. Dass es die falsche war, erkannte sie recht schnell, denn sie hätte nach wenigen Schritten die Rückwand des Stalls erreichen müssen, was aber nicht der Fall war.

Sie wirbelte herum, als sie hinter sich einen Zweig knacken hörte.

Ihr stockte der Atem. Drei Gestalten lösten sich aus dem Dunkel und kamen wortlos auf sie zu. Priscilla rutsche buchstäblich das Herz in die Hose. Die drei Typen waren womöglich noch versiffter als Streicher und im Gegensatz zu ihm schienen sie nicht gewillt zu sein, ihr mit Freundlichkeit zu begegnen.

"Was meint ihr? Wieviel wird sie uns bringen?" fragte der eine, ein fetter schmieriger Kerl mit ungepflegtem Bart, der an einer Mohrrübe herum kaute. Dreckiges Lachen war die Antwort. "Ich sag mal, die Ostlinge nehmen sie sicher gern und werden nicht knauserig sein... So hübsche Blondchen sind bei denen immer gefragt..." "Wir müssen ihr bloß was Vernünftiges zum Anziehen besorgen," meckerte der andere, dem ein Frettchen auf der Schulter saß. "In diesen Lappen werden wir sie höchstens als Orkfraß los..." Oh nein, das schienen Sklavenhändler zu sein... Prissy straffte die Schultern, obwohl ihr gar nicht heldenhaft zu Mute war. "Lasst mich durch ihr Kerle! Mein... äh... mein Verlobter wartet auf mich und er... er... hat ein Schwert!" Beifallheischend blickte sie sie an, merkte aber sofort selber, wie blöd sie klang und verfluchte sich dafür. Und dafür, dass sie damals den Selbstverteidigungskurs für Mädchen nicht besucht hatte, weil sie sich ihre neuen Fingernägel nicht hatte abbrechen wollen, dafür hasste sie sich auch.

Natürlich hatte ihr Aufbegehren für einen neuerlichen Heiterkeitsausbruch bei den dreien gesorgt und sie kamen jetzt immer bedrohlicher näher. Inzwischen wusste Prissy wieder in welcher Richtung das tänzelnde Pony lag, das Problem war nur, dass die Kerle ihr den Weg dorthin versperrten. Prissy nahm allen Mut zusammen und beschloss ihr Heil in der Flucht zu suchen. Sie machte auf dem Absatz kehrt und rannte los. Doch die drei wollten sich ihre Beute natürlich nicht entgehen lassen und kamen sogleich hintendrein.

Eine Weile sah es so aus, als würde Prissy es schaffen ihre Verfolger abzuschütteln, aber dann übersah sie im Dunkel eine Wurzel und blieb mit dem Fuß darin stecken. Mit einem spitzen Schrei verlor sie das Gleichgewicht und schlug schmerzhaft lang hin. Sogleich war der erste der drei Verfolger über ihr und packte sie. Ihre Arme wurden roh nach hinten gebogen und fest gebunden.

Prissy zappelte und wehrte sich, doch gegen die Kraft ihres Häschers konnte sie nichts ausrichten. Als sie dann begann zu schreien, bekam sie kurzerhand ein versifftes Taschentuch in den Mund gestopft und sie hatte plötzlich ein ganz anderes Problem: Den Brechreiz zurück zu halten, der sie schlagartig überkommen hatte.

Wie ein Sack Kartoffeln wurde sie über die Schulter des einen geworfen und es ging wieder zurück in den Wald.

Wenn ihr möglichst bald über die wunderbare Rettung und die Standpauke danach lesen wollt, bitte... Ihr kennt das Spiel: fleissig reviewen...