Kapitel 2

Nervös schritt Anne in der Küche von Green Gables auf und ab. Marilla saß mit ernster Miene am Tisch und starrte auf die Tasse vor sich. Seit einer halben Stunde bereits war Dr. Blair bei Matthew. Nachdem sie ihn nach Green Gables gebracht hatten, hatte sich sein Kreislauf wieder etwas stabilisiert. Doch Matthews Zustand war immer noch kritisch. Schließlich hatte Dr. Blair sie alle aus dem Zimmer geschickt, der Patient brauche Ruhe. Nun saß er allein mit Matthew im Zimmer und niemand wusste, was vor sich ging. Vor einigen Minuten waren Gilbert und Martin gemeinsam die Straße hinunter gelaufen. Martin wollte die Kühe reinholen und Gilbert hatte sich sofort angeboten ihm zu helfen. "Warum nur hat Martin, Matthew nicht geholfen die Kühe zu holen?" fragte Anne in vorwurfsvollem Tonfall. "Matthew sollte sich nicht so anstrengen. Wozu hat er Martin eingestellt, wenn er sowieso nie da ist?" Erneut brachen die Tränen aus ihr hervor. "Anne hör bitte auf zu weinen", unterbrach Marilla sie ernst. "Das hilft uns jetzt auch nicht weiter. Außerdem hat Matthew schon seit langem Probleme mit dem Herzen. Ich hab ihm schon oft genug gesagt, dass er sich mehr schonen soll. Aber er kann ja nicht hören, er.." Ihre Stimme erstarb und auch in ihren Augen schimmerten Tränen. "Oh, Marilla, " Anne eilte zu ihr und legte den Arm um sie. "Matthew wird doch wieder gesund, nicht wahr?" Marilla sprach kein Wort, sondern tätschelte nur geistesabwesend Annes Hand, die auf ihrer Schulter lag. Plötzlich stand Dr. Blair in der Küchentür, mit einem ernsten Gesichtsausdruck. "Er schläft jetzt. Ich denke im Moment ist die Krise überwunden. Aber er darf nicht aufstehen. Sorgen sie dafür, dass er in jedem Fall liegen bleibt, auch wenn er sich besser fühlt. Auf gar keinen Fall darf er sich aufregen. Er braucht absolute Ruhe. Morgen früh komme ich vorbei, um nach ihm zu sehen." Während er sprach, krempelte Dr. Blair seine Ärmel herunter. "Natürlich, Herr Doktor. Wir werden aufpassen. Wollen sie nicht noch einen Tee?" Fragte Marilla, die pflichtbewusst aufgestanden war. "Nein, danke", ein Lächeln trat jetzt auf sein Gesicht. "Ich muss noch bei den Lawsons vorbei. Auf wieder sehen." "Auf wieder sehen Dr. Blair. Und vielen dank." Marilla führte ihn zur Tür. Inzwischen war Anne leise in Matthews Zimmer geschlichen. Blass lag er in den Kissen. Noch nie war er ihr so schwach und klein vorgekommen. Anne spürte einen Stich in ihrem Herzen, Matthew musste einfach wieder gesund werden. "Komm Kind, lassen wir ihn schlafen", flüsterte Marilla, die plötzlich hinter sie getreten war. Leise verließen sie den Raum.

Anne trat hinaus in den Hof und zog ihre Jacke fest um sich. Sie fröstelte, obwohl es noch warm war. Doch der Schrecken des Tages saß ihr noch in den Gliedern. Gerade trieben Martin und Gilbert die restlichen Kühe in den Stall. Langsam lief Anne zu ihnen hinüber. "Ich muss mich bei Gilbert für seine Hilfe bedanken", dachte sie. Die ganze Zeit hatte sie diesen kindischen Streit mit Gilbert. Und heute hatte er ihr so viel geholfen. Gilbert sah sie über den Hof kommen, als sie fast bei ihm war fragte er: "Wie geht es Mr. Cuthbert?" "Dr. Blair sagt er darf sich auf keinen Fall aufregen oder anstrengen. Er schläft jetzt, " antwortete Anne mit leiser Stimme. Gilbert sah, dass ihre Augen rotgeweint waren. "Ich bin sicher, es wird ihm bald wieder besser gehen", versuchte er sie zu trösten. Der Gedanke, dass Anne traurig war, schmerzte ihn. Am liebsten hätte er sie tröstend in seine Arme geschlossen. Dieses Mädchen, das er schon seit langem heimlich liebte. Doch natürlich konnte er das nicht tun. "Danke für deine Hilfe, Gil." Sprach Anne nach einer kurzen Pause weiter. "Es gibt nichts zu danken. Das hätte doch jeder getan." "Nein, Anne hat Recht, wir müssen die danken, Gilbert Blythe." Plötzlich stand Marilla neben Anne. Keiner hatte sie kommen sehen. "Es war sehr nett von dir, uns zu helfen." Gilbert wusste nicht so recht, was er sagen sollte. "Ähm, nun ja. Ich denke ich sollte jetzt nach Hause gehen. Meine Mutter sorgt sich bestimmt schon." Sagte er rasch. Er lief zu seinem Pferd, das am Zaun angebunden war und führte es am Zügel. Plötzlich blieb er stehen und drehte sich noch einmal um: "Wenn ich irgendetwas tun kann.." Begann er zaghaft. "Danke, Gilbert!" Antwortete Marilla. Gilbert nickte den beiden zu und machte sich schließlich auf den Weg.