Kapitel 7
Zielstrebig lief Anne am nächsten Tag in Richtung Blythe Farm. Unterwegs hielt sie immer wieder an und fragte sich, was sie eigentlich sagen sollte. Hunderte von male änderte sie ihre Wortwahl und verwarf die Idee wieder. Als sie schließlich das weiß getünchte Farmhaus erblickte, wurde ihr ganz mulmig zu Mute. Sie war Gilbert wirklich sehr dankbar, für diese Geste, doch sie konnte es nicht annehmen. Sie konnte nicht zulassen, dass er so etwas für sie tat. In letzter Zeit hatte sie sich sowieso einige Gedanken über Gilbert gemacht. Genauer gesagt seit dem Tag, als er ihr geholfen hat, als Matthew zusammen gebrochen war. Der Groll, den sie in all den Jahren gegen ihn gehegt hatte, war verflogen und Anne bemerkte, dass er schon seit langem verfolgen war. Während sie noch ganz in ihren Gedanken versunken war, trat zufällig Gilbert aus dem Tor heraus. Anne wäre beinah mit ihm zusammen gestoßen.
"Nanu, hallo Anne. Was machst du denn hier?" fragte er überrascht. "Ich wollte mit dir reden, Gil." Verlegen wand Anne den Blick ab, als sie merkte, dass er sie intensiv ansah. "Es ist wegen der Schule. Ich kann ein so großzügiges Angebot nicht annehmen.." "Natürlich kannst du annehmen. Dann kannst du auf Green Gables bleiben." Unterbrach er ihre Rede. "In Carmody musst du für deine Unterkunft zahlen, Gil. Dann kannst du nicht genug für dein weiteres Studium sparen." "Ich kann genug sparen. Außerdem habe ich bereits in Carmody fest zugesagt. Heute Morgen habe ich den Vertrag unterschrieben." Anne sah ihn ungläubig an. Dann lächelte sie und sagte: "Danke, dass du das für mich getan hast Gilbert. Das war sehr nett von dir. Ich weiß gar nicht, wie ich das wieder gutmachen soll." "Nun, ich wüsste da schon etwas. Wie wäre es, wenn wir endlich Freunde werden würden?" Seine haselnussbraunen Augen sahen sie unverwandt an und Annes Herz begann unter seinem Blick auf ungewohnte Art und Weise zu flattern an. "Was ist Anne, wollen wir Freunde sein?" Erwartungsvoll streckte er ihr die Hand hin. Schließlich ergriff sie seine Hand und lachte: "Einverstanden! Ich denke ich habe mich schon lange genug ziemlich albern benommen." Jetzt lachte auch Gilbert und schüttelte erfreut ihre Hand: "Ich bin froh, dass zu hören, Anne Shirley. Komm ich begleite dich nach Hause." Gemeinsam liefen sie über die vertrauten Wege zurück nach Green Gables. Und obwohl Anne jeden Strauch und jeden Baum auf diesen Weg kannte, war es diesmal doch wie eine neue Welt die sich vor ihr auftat, während sie ihn plaudernd mit Gilbert entlang lief. Irgendwie war alles anders. Am Tor von Green Gables blieben sie stehen und redeten.
Marilla sah aus dem Küchenfenster und entdeckte Anne am Tor. "Mit wem redet sie denn so lange? Sie sollte mir schon längst beim Abendessen helfen." Murmelte sie vor sich hin. Matthew sah von seiner Zeitung auf, die er am Küchentisch las: "Was hast du gesagt?" "Ich meine Anne, " antwortete Marilla in heftigem Tonfall. "Seit fast einer halben Stunde steht sie am Tor und redet mit jemandem. Anstatt herein zukommen und mir zu helfen." Matthew erhob sich von seinem Stuhl und sah nun ebenfalls aus dem Fenster: "Das ist Gilbert Blythe." "Gilbert Blythe, ich wusste gar nicht, dass die beiden so gut befreundet sind." "Ich glaube, dass sind sie auch noch nicht lange." Lachte Matthew. "Aber ich habe so das Gefühl, dass er unsere Anne ziemlich mag." "Sie ist doch noch ein halbes Kind", rief Marilla. "Nein, sie ist schon ziemlich Erwachsen geworden. Mir ist das neulich erst aufgefallen." Erneut sahen beide aus dem Fenster zu den zwei jungen Leuten, die total die Zeit vergessen zu haben schienen. "Gilbert erinnert mich an John in seinem Alter. Er ist seinem Vater sehr ähnlich, " sagte Marilla plötzlich sehr leise. Doch Matthew hatte es gehört und berührte sacht ihre abgearbeitete Hand. Marilla lächelte ihn kurz an, bevor sie sich rasch abwand und hastig das Geschirr aus dem Schrank holte.
Kurze Zeit später kam Anne herein Sie strahlte und küsste Matthew auf die Wange. "Tut mir leid, Marilla. Ich hab die Zeit vergessen, " Anne begann ihr beim Tischdecken zu helfen. "Ist schon gut, Kind. Ich bin es ja schon von dir gewohnt." Murrte Marilla, aber um ihre Augen lag ein verstecktes Lächeln.
An diesem Abend saßen sie alle gemeinsam auf der Veranda um die letzten warmen Spätsommertage des Jahres zu genießen. "Ist Euch schon mal aufgefallen, dass unten an der Weggabelung eine kleine Birke wächst?" Unterbrach Anne die Stille. "Immerzu komme ich daran vorbei und noch nie ist sie mir aufgefallen. Heute Mittag habe ich sie das erste mal gesehen und dabei sie ist schon einen halben Meter hoch. Ihre kleinen Zweige und Blätter streben ganz energisch der Sonne entgegen. Manchmal geht man um eine Biegung und plötzlich ist etwas Neues da, ohne das man es gemerkt hat." "Das ganze Leben ist voller Biegungen und Kurven, Anne." Murmelte Matthew und sah zum Mond hinauf, der eben aufgegangen war. "Wir wissen nicht, was die nächste Biegung für uns bereithält. Mag sein, dass es etwas vollkommen Neues ist, aber vielleicht war es auch schon immer da und wir haben es nur noch nicht bemerkt. Vielleicht hat es ganz heimlich angefangen zu wachsen und wir sehen es erst, wenn es langsam größer wird." Fremde hätten es ungewöhnlich gefunden, dass der sonst so schüchtern wirkende Matthew so viel und so philosophisch sprach. Doch Anne wusste was für eine verwandte Seele er war. Sie küsste zunächst ihn, dann Marilla auf die Wange: "Gute Nacht, ihr beiden. Ich habe so dass Gefühl, dass ich heute einen wunderschönen Traum haben werde." Wie auf Zehenspitzen lief sie hoch in den Ostgiebel, um die Ruhe dieses schönen Abends nicht zu stören. Und in dieser Nacht hatte sie wirklich einen Traum. Sie liefe eine ihr unbekannte Straße entlang, die plötzlich eine Biegung macht. Sie lief weiter und als sie die Biegung hinter sich gelassen hatte, sah sie dass Gilbert dort auf sie wartete..
ENDE
Zielstrebig lief Anne am nächsten Tag in Richtung Blythe Farm. Unterwegs hielt sie immer wieder an und fragte sich, was sie eigentlich sagen sollte. Hunderte von male änderte sie ihre Wortwahl und verwarf die Idee wieder. Als sie schließlich das weiß getünchte Farmhaus erblickte, wurde ihr ganz mulmig zu Mute. Sie war Gilbert wirklich sehr dankbar, für diese Geste, doch sie konnte es nicht annehmen. Sie konnte nicht zulassen, dass er so etwas für sie tat. In letzter Zeit hatte sie sich sowieso einige Gedanken über Gilbert gemacht. Genauer gesagt seit dem Tag, als er ihr geholfen hat, als Matthew zusammen gebrochen war. Der Groll, den sie in all den Jahren gegen ihn gehegt hatte, war verflogen und Anne bemerkte, dass er schon seit langem verfolgen war. Während sie noch ganz in ihren Gedanken versunken war, trat zufällig Gilbert aus dem Tor heraus. Anne wäre beinah mit ihm zusammen gestoßen.
"Nanu, hallo Anne. Was machst du denn hier?" fragte er überrascht. "Ich wollte mit dir reden, Gil." Verlegen wand Anne den Blick ab, als sie merkte, dass er sie intensiv ansah. "Es ist wegen der Schule. Ich kann ein so großzügiges Angebot nicht annehmen.." "Natürlich kannst du annehmen. Dann kannst du auf Green Gables bleiben." Unterbrach er ihre Rede. "In Carmody musst du für deine Unterkunft zahlen, Gil. Dann kannst du nicht genug für dein weiteres Studium sparen." "Ich kann genug sparen. Außerdem habe ich bereits in Carmody fest zugesagt. Heute Morgen habe ich den Vertrag unterschrieben." Anne sah ihn ungläubig an. Dann lächelte sie und sagte: "Danke, dass du das für mich getan hast Gilbert. Das war sehr nett von dir. Ich weiß gar nicht, wie ich das wieder gutmachen soll." "Nun, ich wüsste da schon etwas. Wie wäre es, wenn wir endlich Freunde werden würden?" Seine haselnussbraunen Augen sahen sie unverwandt an und Annes Herz begann unter seinem Blick auf ungewohnte Art und Weise zu flattern an. "Was ist Anne, wollen wir Freunde sein?" Erwartungsvoll streckte er ihr die Hand hin. Schließlich ergriff sie seine Hand und lachte: "Einverstanden! Ich denke ich habe mich schon lange genug ziemlich albern benommen." Jetzt lachte auch Gilbert und schüttelte erfreut ihre Hand: "Ich bin froh, dass zu hören, Anne Shirley. Komm ich begleite dich nach Hause." Gemeinsam liefen sie über die vertrauten Wege zurück nach Green Gables. Und obwohl Anne jeden Strauch und jeden Baum auf diesen Weg kannte, war es diesmal doch wie eine neue Welt die sich vor ihr auftat, während sie ihn plaudernd mit Gilbert entlang lief. Irgendwie war alles anders. Am Tor von Green Gables blieben sie stehen und redeten.
Marilla sah aus dem Küchenfenster und entdeckte Anne am Tor. "Mit wem redet sie denn so lange? Sie sollte mir schon längst beim Abendessen helfen." Murmelte sie vor sich hin. Matthew sah von seiner Zeitung auf, die er am Küchentisch las: "Was hast du gesagt?" "Ich meine Anne, " antwortete Marilla in heftigem Tonfall. "Seit fast einer halben Stunde steht sie am Tor und redet mit jemandem. Anstatt herein zukommen und mir zu helfen." Matthew erhob sich von seinem Stuhl und sah nun ebenfalls aus dem Fenster: "Das ist Gilbert Blythe." "Gilbert Blythe, ich wusste gar nicht, dass die beiden so gut befreundet sind." "Ich glaube, dass sind sie auch noch nicht lange." Lachte Matthew. "Aber ich habe so das Gefühl, dass er unsere Anne ziemlich mag." "Sie ist doch noch ein halbes Kind", rief Marilla. "Nein, sie ist schon ziemlich Erwachsen geworden. Mir ist das neulich erst aufgefallen." Erneut sahen beide aus dem Fenster zu den zwei jungen Leuten, die total die Zeit vergessen zu haben schienen. "Gilbert erinnert mich an John in seinem Alter. Er ist seinem Vater sehr ähnlich, " sagte Marilla plötzlich sehr leise. Doch Matthew hatte es gehört und berührte sacht ihre abgearbeitete Hand. Marilla lächelte ihn kurz an, bevor sie sich rasch abwand und hastig das Geschirr aus dem Schrank holte.
Kurze Zeit später kam Anne herein Sie strahlte und küsste Matthew auf die Wange. "Tut mir leid, Marilla. Ich hab die Zeit vergessen, " Anne begann ihr beim Tischdecken zu helfen. "Ist schon gut, Kind. Ich bin es ja schon von dir gewohnt." Murrte Marilla, aber um ihre Augen lag ein verstecktes Lächeln.
An diesem Abend saßen sie alle gemeinsam auf der Veranda um die letzten warmen Spätsommertage des Jahres zu genießen. "Ist Euch schon mal aufgefallen, dass unten an der Weggabelung eine kleine Birke wächst?" Unterbrach Anne die Stille. "Immerzu komme ich daran vorbei und noch nie ist sie mir aufgefallen. Heute Mittag habe ich sie das erste mal gesehen und dabei sie ist schon einen halben Meter hoch. Ihre kleinen Zweige und Blätter streben ganz energisch der Sonne entgegen. Manchmal geht man um eine Biegung und plötzlich ist etwas Neues da, ohne das man es gemerkt hat." "Das ganze Leben ist voller Biegungen und Kurven, Anne." Murmelte Matthew und sah zum Mond hinauf, der eben aufgegangen war. "Wir wissen nicht, was die nächste Biegung für uns bereithält. Mag sein, dass es etwas vollkommen Neues ist, aber vielleicht war es auch schon immer da und wir haben es nur noch nicht bemerkt. Vielleicht hat es ganz heimlich angefangen zu wachsen und wir sehen es erst, wenn es langsam größer wird." Fremde hätten es ungewöhnlich gefunden, dass der sonst so schüchtern wirkende Matthew so viel und so philosophisch sprach. Doch Anne wusste was für eine verwandte Seele er war. Sie küsste zunächst ihn, dann Marilla auf die Wange: "Gute Nacht, ihr beiden. Ich habe so dass Gefühl, dass ich heute einen wunderschönen Traum haben werde." Wie auf Zehenspitzen lief sie hoch in den Ostgiebel, um die Ruhe dieses schönen Abends nicht zu stören. Und in dieser Nacht hatte sie wirklich einen Traum. Sie liefe eine ihr unbekannte Straße entlang, die plötzlich eine Biegung macht. Sie lief weiter und als sie die Biegung hinter sich gelassen hatte, sah sie dass Gilbert dort auf sie wartete..
ENDE
