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Ein neues Leben
So, das dürfte reichen.
Taina setzte sich auf einen Holzstapel und betrachtete ihr Werk. Ein schöner Zaun war es geworden, und jetzt würden ihr die Hühner auch nicht mehr davonlaufen können. Er war nicht hoch, aber es reichte. Zufrieden blickte sie zum Haus herüber. Auch daran war noch einiges zu tun, doch für den Anfang waren sie schon recht weit gekommen. Sie stand auf und ging hinein.
Sechs Wochen waren vergangen, seit der Krieg beendet und Sauron besiegt worden war. Und schon zwei Wochen danach war sie mit Legolas und ihrem Vater wieder zurück nach Süd Ithilien gegangen, um sich dort ein neues Zuhause aufzubauen. Legolas hatte darauf bestanden, ein neues Haus für sie beide zu bauen, und mit der Hilfe ihrer Eltern und der Nachbarn hatte es auch schnell einen bewohnbaren Zustand erreicht.
Legolas. Ein Lächeln kam über ihr Gesicht. Sie hatte nicht daran geglaubt, aber er hatte seit der Nacht nach Aragorn's Krönung nie mehr daran zweifeln lassen, daß er den Rest seines Lebens mit ihr verbringen wollte. Naja,' verbesserte sie sich zumindest den Rest meines Lebens.' Schließlich war er ein Elb und für ihn gab es kein absehbares Ende. Trotzdem war er offenbar fest entschlossen, mit ihr ein neues Leben zu beginnen. Auch wenn sie sich beide noch nicht vorstellen konnten, wie er sich darin zurechtfinden würde. Er hatte nie ein ländliches Leben geführt; im Gegenteil, er war als Sohn des Königs der Waldelfen von Nord Mirkwood noch nie mit den alltäglichen Problemen eines Menschen konfrontiert worden. Außerdem war er ein Krieger, jemand, der sein Leben lang auf den Kampf gegen das Böse eingeschworen gewesen war. Aber ihr zuliebe wollte er es versuchen.
Sie setzte sich an den Tisch und strich mit den Fingern über die Verzierungen an der Tischkante. Er hatte Tage damit verbracht, die wunderbarsten Dinge aus Holz zu schnitzen, und in jedem Winkel des Hauses konnte man etwas davon entdecken. Was hatte er doch für eine Ader für schöne Dinge! Alles, was lebte, schien unter seinen Händen zu gedeihen. Erneut mußte sie lächeln. Doch dann trübte sich ihr Blick. Wie um alles in der Welt konnte er hier in diesem einsamen Winkel Mittelerdes etwas finden, das ihn ausfüllte, das ihn glücklich machte? Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, daß ein Elb sich unter Menschen lange wohlfühlen konnte, vor allem, wenn er es nur aus einem Grunde tat. Sie seufzte. Er liebte sie über alles, das wußte sie, aber reichte das aus? War es nicht wahrscheinlicher, daß er irgendwann Sehnsucht nach seinem Volk und seinem alten Leben haben und sie wieder verlassen würde? Konnte sie ihm das ersetzen? Denn obwohl er es nicht zugab, sie hatte schon seit Wochen das Gefühl, daß ihm hier etwas fehlte. Sie hatte versucht, ihn darauf anzusprechen, doch er hatte gesagt, daß er hier glücklich sei. Und sie hatte ihm geglaubt. Aber warum leuchteten seine Augen dann jedesmal auf, wenn er Neuigkeiten aus Gondor oder Mirkwood hörte?
Erneut seufzte sie, dann stand sie auf und ging zum Ofen. Sie sollte noch einmal mit ihm darüber reden. Vielleicht gab es ja eine Möglichkeit, daß sie eine Weile bei seinen Freunden sein konnten.
Als sie Legolas am Nachmittag wiedersah, sprach sie ihn darauf an, und erneut ging er nicht richtig darauf ein. Es ist alles in Ordnung. sagte er lächelnd und sah sie liebevoll an. Ich weiß, daß du dir Sorgen machst, aber das brauchst du nicht.
Naja, Sorgen nicht gerade, wiegelte sie ab. Ich dachte nur, daß du vielleicht gerne bei deinen Freunden wärst. Oder bei deiner Familie.
Er sah sie lange an. Dann nahm er ihre Hand und sagte, Ich bin hier bei dir. Und das ist alles, was mir wichtig ist.
Ich weiß, begann sie erneut, aber ich fürchte einfach, daß dir das irgendwann nicht mehr reichen könnte. Sie sah ihn fragend an, doch er lächelte nur.
Wie könnte mir das nicht mehr reichen? Er zog sie an sich und küßte sie zärtlich, und sie gab es auf, ihn weiter zu bedrängen. Doch ihre Zweifel blieben.
Wenig später wurde sie in ihnen bestärkt, denn als sie kurz vor Sonnenuntergang vor ihrem Haus standen und über die Art der Bepflanzung sprachen, entdeckte er in weiter Ferne zwei Reiter, die eilig auf ihr Haus zukamen. Sie selbst sah sie erst spät, aber als sie den Ausdruck in seinen Augen sah, wußte sie schon bevor sie sie richtig erkennen konnte, daß es zwei gern gesehene Gäste waren.
Merry! Pippin! begrüßte sie die beiden Hobbits, als sie schließlich an der Hütte ankamen und von ihren Ponys stiegen. Schön, euch wiederzusehen!
Die Freude liegt ganz bei uns. Merry war als erster bei ihr und umarmte sie herzlich. Wurde doch mal Zeit, daß einer hier nach dem Rechten sieht! lachte er mit einem strafenden Seitenblick zu Legolas.
Der zog nur eine Augenbraue hoch und wandte sich an Pippin. Meister Took! sagte er lächelnd. Wie geht es dem Ritter von Gondor?
Pippin schien bei diesen Worten über sich hinauszuwachsen. Und wie geht es Euch, Meister Elb? Er sah sich um. Wie ich sehe, wart Ihr fleißig.
Legolas nickte und ergriff Taina's Hand. Wir sind aber noch lange nicht fertig.
Taina sah ihn fragend an. Wieso hatte sie das Gefühl, daß er nicht das Haus meinte?
Kommt rein. fuhr Legolas unterdessen fort. Es wird gleich dunkel und drinnen könnt Ihr besser berichten, was Euch hierher führt. Als Pippin sich nicht zu bewegen schien, fügte er grinsend hinzu, Wir haben auch etwas zu essen da!
Ein Strahlen zeigte sich auf den Gesichtern der Hobbits und Taina konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Sie waren wirklich zu komisch, die beiden.
fragte Legolas, nachdem sich die Hobbits ausgiebig sattgegessen und alle den Hausvorrat an Rotwein angebrochen hatten. Was gibt es neues im Königreich?
Königreich, richtig! Da fällt mir etwas ein. Merry kramte in seiner Tasche und brachte schließlich zwei Gegenstände hervor, die er vorsichtig auf den Tisch legte. Der eine war recht klein und in Stoff eingewickelt, den anderen erkannte Taina sofort. Es war ein silberner Dolch.
sagte Merry und reichte Legolas die Waffe. Aragorn schickt Euch das. Er sagt, den habt Ihr damals vor Mordor verloren.
Habt Dank, Meister Brandybuck. Legolas nahm ihn entgegen und strich mit den Fingerspitzen langsam über die eingeritzte elfische Inschrift. Und wieder bemerkte Taina das sonderbare Aufleuchten in seinen blauen Augen.
erklärte Pippin inzwischen. Aragorn sagt, daß Ihr ihn vielleicht noch gebrauchen könnt. Und zu Taina fügte er leise hinzu. Zum Fische ausnehmen...
Legolas warf ihm einen scharfen Blick zu, sagte jedoch, Selbst dazu ist er gut zu gebrauchen.
Ähm ja. Merry nahm das andere Geschenk und gab es Taina. Und das hier schickt Euch Lady Arwen. Es ist sehr kostbar.
Taina nahm das kleine Bündel und wickelte es vorsichtig aus. Es war recht schwer für seine Größe, und als sie den Inhalt erblickte, blieb ihr für kurze Zeit die Luft weg.
Das ist ein besonderer Stein. erklärte Merry schnell. Es ist ein..-
Ein Silmaril! unterbrach ihn Legolas erstaunt. Oder es sieht aus wie einer.
Taina starrte den hellgrün schimmernden Stein an. Er war oval und in silbernes Metall gefaßt, sodaß man ihn an einer Kette um den Hals tragen konnte. Nie hatte sie so etwas vollkommendes gesehen. Sie hielt ihn fest und fühlte eine sonderbare Wärme aus ihm aufsteigen.
Es ist kein echter Silmaril. erklärte Merry weiter. Arwen hat ihn für Euch anfertigen lassen. In Lothlorien.
sagte sie überwältigt. Das ist ein wahrlich umwerfendes Geschenk.
Legolas sah sie an und lächelte. Es ist auch für einen wahrlich umwerfenden Empfänger.
Sie wurde rot und sah schnell weg, denn sie konnte die Hobbits im Augenwinkel lautlos kichern sehen.
Es ist ein Barai. sagte Pippin schließlich, als er sich beruhigt hatte. Oder war es ein Baria? Unsicher sah er zu Merry.
Ein Barai. sagte Legolas.
Pippin sah ihn dankbar an. Und Ihr wißt, wozu man ihn brauchen kann.
Taina warf Legolas einen verwunderten Blick zu, doch er blickte gedankenverloren auf den Stein in ihrer Hand. Dann nickte er, sagte aber nichts.
Und als sie gerade nachfragen wollte, hob er den Kopf und sah Merry an. Was gibt es sonst noch? Seine Stimme klang ernster als zuvor.
Merry nahm einen Schluck Wein und nickte dann. Ihr habt recht, das war nicht der eigentliche Grund für unseren Besuch.
Erstaunt sah Taina auf. Was dann?
Nun ja. Jetzt, wo alles langsam wieder seinen gewohnten Gang nimmt, läßt Aragorn fragen, ob Legolas sich noch an sein Angebot erinnert, das er ihm vor dem Krieg gemacht hat.
Taina sah Legolas fragend an. Davon hatte er nie etwas erwähnt.
Sicher tue ich das. sagte er. Mit einem Blick auf Taina fügte er hinzu, Aber da meine Situation jetzt anders ist, muß ich erst darüber nachdenken, ob ich es noch einhalten kann.
Welches Angebot? Taina spürte, wie die Zweifel in ihr wuchsen.
Ihr bleibt doch sicherlich ein paar Tage. fuhr Legolas unterdessen fort. Wir müssen das erst besprechen. Jetzt sah er sie an und nahm ihre Hand. Keine Angst, Prinzessin. sagte er leise. Ich erkläre es dir.
Sie nickte, doch sie wurde das ungute Gefühl nicht los, daß es etwas damit zu tun hatte, daß er fortgehen würde.
murmelte Pippin inzwischen. Wir wollten morgen eigentlich wieder zurück. Wir werden dort gebraucht!
Legolas nickte. Gut, dann besprechen wir es jetzt gleich.
Er stand auf und deutete Taina, mitzukommen. Ich bin sicher, Euch wird hier nicht langweilig werden. sagte er zu den Hobbits, während er Taina zur Tür führte.
***
Legolas führte Taina an einen etwas abgelegenen Platz, um in Ruhe mit ihr sprechen zu können. Er wußte, daß sie sich überrumpelt fühlte und wahrscheinlich auch verletzt, aber jetzt mußte er mit der veränderten Situation umgehen. Er hätte gerne etwas mehr Zeit gehabt, sie auf dieses Gespräch vorzubereiten.
fragte sie vorwurfsvoll, als sie am Holzstapel ankamen und er sich ihr zudrehte. Wann gehst du?
Er sah sie ernst an. Diese oder eine ähnliche Reaktion hatte er von ihr erwartet. Sie war immer so aufbrausend und spontan, aber das war es, was er neben all den anderen Dingen so sehr an ihr liebte.
Ich gehe nicht. sagte er ruhig. Jedenfalls nicht ohne dich. Er ging näher an sie heran und nahm ihre Hand. Ich habe Aragorn einmal angeboten, daß ich, wenn der Krieg vorüber ist, mit anderen meines Volkes nach Gondor komme und helfe, die tristen Städte mit Leben zu füllen, mit Pflanzen und Bäumen. In Minas Tirith gibt es nur Steine und Häuser, kein Grün.
Er fühlte, wie sich ihr Körper entspannte. Wenn ich dieses Angebot einlöse, dann nicht ohne dich. fuhr er fort. Ich möchte, daß du mitkommst. Dann kannst du andere Elben kennenlernen, und vielleicht hilft dir das, mich besser zu verstehen.
Er sah ihr an, wie tief sie seine Worte bewegten. Er wußte, daß sie in letzter Zeit Sorgen und Ängste plagten, doch er war sich nicht sicher über deren Ursache. Zweifelte sie an seiner Liebe oder fürchtete sie, daß er seine Entscheidung irgendwann bereuen würde? Sicher, es fiel ihm schwer, sich an seine neue Lebensweise zu gewöhnen, aber er hatte gerade angefangen, sich neue Tätigkeiten zu suchen. Er kümmerte sich um die Tiere und er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, den Menschen im nahegelegenen Dorf den für einen Elben selbstverständlichen Umgang mit der Natur näherzubringen.
Doch auch er wußte, daß ein Elb wohl nie ein Leben führen konnte, wie es Menschen taten.
Er sah sie an. sagte er sanft, ich werde nicht ohne dich weggehen. Wenn du hierbleiben möchtest, so werde ich das auch tun. Zur Bekräftigung seiner Worte hob er ihre Hände zu seinem Mund und küßte zärtlich ihre Finger. Sie schloß die Augen, um sie jedoch gleich wieder zu öffnen.
Ich weiß. sagte sie leise, und wieder spürte er ihre Zweifel. Doch dann lächelte sie. In Ordnung. Aber wir müssen meinen Eltern bescheid sagen.
nickte er. Wir gehen gleich zu ihnen.
Geh' du. sagte sie kopfschüttelnd. Ich packe solange, was wir mitnehmen müssen.
Nachdem Legolas mit Dirkan und Isarin gesprochen und ihnen von ihren Plänen erzählt hatte, kam er zurück und fand Taina alleine vor dem Haus vor.
Wo sind die Hobbits? fragte er, während er von seinem Pferd stieg.
Sie zeigte nach drinnen. Sie tun das, was sie am besten können.
Legolas schüttelte lachend den Kopf. Wie gut erinnerte er sich an die einzigen zwei Lebensinhalte dieses Volkes... Nein. Da war noch ein dritter... Pfeifenkraut. Aber sicher hatten sie sich dem auch schon gewidmet.
Isarin läßt dir ausrichten, ihr etwas von dem getrockneten Schinken mitzubringen, wenn wir zurückkommen. sagte er, während er sich neben Taina auf die Holzbohlen setzte.
Sie nickte. Dann öffnete sie ihre Hand und zeigte Legolas den Stein, den sie offenbar die ganze Zeit darin gehalten hatte. Sieh mal, er leuchtet im Mondlicht.
Legolas sah es auch. Er schien das Licht zu reflektieren, unterstützt von einer ihm eigenen Kraft. Es war ein seltsamer Stein. Und irgendetwas sagte ihm, daß er noch eine Rolle spielen würde.
Woher wußtest du, wie er heißt? fragte Taina plötzlich.
Er zögerte. Barai ist Quenya. Die Sprache der Valar.
Was bedeutet es?
Er sah sie ernst an. Glauben, Vertrauen.
Und warum heißt er so?
Ich weiß nicht. Aus keinem besonderen Grund, denke ich. Er lächelte sie an, doch insgeheim wußte er, daß Arwen diesen Namen nicht umsonst gewählt hatte. Es war eine Botschaft, die nur er verstehen sollte. Dann täuschten ihn seine Gefühle also nicht. Es gab Unheil zu erwarten. Sie mußten vorsichtig sein.
Und wozu braucht man ihn? fragte sie unterdessen weiter. Außer, daß man ihn ansieht?
Er nahm den Stein aus ihrer Hand und hielt ihn an ihren Hals. Man trägt ihn immer bei sich und wenn du es brauchst, spendet er dir Kraft. Seine Finger strichen sanft über ihre Haut, und er spürte die Energie, die die Berührung in ihm auslöste. Aber ich glaube nicht, daß es dir daran fehlt. raunte er, während er sich zu ihr herüberbeugte und sie küßte.
