Ko-chan und Izumi waren inzwischen schon fast wieder zu Hause angekommen, als Izumi mit seiner
Hand in der Jackentasche einen Zettel ertastete. „Oh nein. Ich habe ihm nicht mal zum Geburtstag
gratuliert." Er stürmte ins Haus und ließ einen verdutzten Ko-chan auf der Straße stehen.
Drinnen fand er Koji und Shibuya vor, die immer noch die Experimente von Naoto diskutierten. In
Shibuyas Fall war es mehr ein Aufregen, als ein Sprechen. Izumi wollte ihn gerade bitten, sie beide
allein zu lassen, als Shibuya auch schon aufstand und den Raum verließ. Izumi schlich etwas unsicher
im Raum herum und suchte nach den richtigen Worten. „Durch all die Aufregung, gestern und heute,
habe ich es beinahe vergessen. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Ich wollte dir soviel sagen
und diesem Tag zu etwas besonderem machen, aber dann..."
„Ich weiß, was du mir sagen wolltest."
„Du weißt davon? Aber woher?"
„Alles zu seiner Zeit." Dieser Satz ging ihm langsam auf die Nerven, genauso wie diese dämliche
Kapuze, die Koji noch immer auf hatte. Er ging näher zu ihm heran und zog sie ihm einfach vom Kopf.
„Das kann doch so nicht weitergehen, dass du dich ständig vor mir versteckst. Glaubst du denn, ich
würde vor dir weglaufen?"
Koji sah ihn mit einer Mischung aus Wut und Erschrecken an. „Ja, genau das glaube ich. Sieh mich
doch an, ich bin alt und hässlich."
„Du bist vielleicht alt, aber sicher nicht hässlich. Würdest du mich denn verlassen, wenn ich so alt
wäre?"
„Nein. Natürlich nicht, aber das ist doch etwas ganz anderes." Versuchte Koji sich zu verteidigen.
„Und wo bitte soll das anders sein? Hier", er ging auf Koji zu und küsste ihn auf die Wange, „ich will
dich immer noch küssen und bei dir sein. Doch du lässt mich nicht. Warum, zur Hölle?"
„Willst du denn, dass sich ein Greis auf dich stürzt? Willst du das? Meine Gefühle haben 90 Jahre auf
Sparflamme gekocht und ich konnte dich nur in meinen Gedanken und Träumen nehmen. Weißt du,
was es mich an Kraft kostet, nicht hier an Ort und Stelle über dich herzufallen." Er sah Izumi mit
einem Blick an, der seine Lust kaum noch verbergen konnte.
Dieser legte sanft seine Hand auf Kojis Schulter. „Du bist kein Greis. Vor zwei Tagen warst du noch
19, zumindest für mich. Ich kann doch meine Gefühle nicht einfach abschalten, nur weil du dich
äußerlich verändert hast. Außerdem siehst du keine Tag älter als 60 aus. Hörst du?" Koji umarmte ihn
schluchzend. „Du darfst mich nie wieder verlassen. Verstanden. Noch mal würde ich das nicht
überleben. Auch wenn ich wusste, dass ich dich wiedersehe, diese Warterei hat mir fast den Verstand
geraubt."
Izumi drückte seinen Liebhaber an sich und spürte im Gegenzug, wie zwei Hände über seinen Rücken
strichen. Zwei Hände? Aber wie war das möglich? „Hast du deinen Arm… ?"
„Ja. Irgendwann, nachdem meine ‚liebe' Familie das Diesseits verlassen hatte, fand ich es doch ganz
praktisch, zwei voll funktionstüchtige Arme zu haben. Hat mir außerdem das Einfangen von Ko-chan
erleichtert. Den darf man eigentlich nicht für zwei Sekunden aus den Augen lassen oder er schliddert
gleich in die nächste Katastrophe." Er lächelte gutmütig vor sich hin, während er sich an die Kindheit
von Ko-chan erinnerte.
Izumi trat einen Schritt zurück, damit er Koji besser ins Gesicht sehen konnte. „So, und nachdem wir
das jetzt geklärt hätten, wie wäre es mit Abendessen?" Koji war die Erleichterung darüber, dass Izumi
sich nicht von ihm angeekelt fühlte, deutlich ins Gesicht geschrieben.
Den Rest des Abends sprach hauptsächlich Koji, immer mal wieder durch Shibuya unterbrochen. Die
beiden erzählten ihm, was in den vergangenen Jahrzehnten alles passiert war. Izumi stellte beruhigt
fest, dass es nicht zu einem 3. Weltkrieg gekommen war, aber die anderen politischen Vorgänge
gingen fast alle zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus. Als die beiden dann aber von
ihrem persönlichen Leben erzählten, verpasste er kein einziges Wort.
Koji war sehr spät Vater geworden, mit Mitte fünfzig. Izumi wusste ja schon, dass es nur aus
Pflichtgefühl heraus geschehen war, deswegen wuchs Masato auch bei seiner Mutter. Koji äußerte
sich nicht weiter dazu, was geschehen war, doch es war ihm deutlich anzumerken, dass er nicht gerne
über seinen Sohn sprach. Er sagt wortwörtlich, dass Masatos einzige vernünftige Handlung die Ehe
mit seiner Frau und die Zeugung von Ko-chan gewesen war.
Izumis Kopf begann sich langsam zu drehen. Es waren so viele Ereignisse, Namen und Daten, die da
auf ihn hinabprasselten, dass sein Gehirn schlappmachte. Sie zogen sich alle für die Nacht zurück,
doch erneut wurde ihm der Zugang zu ihrem Schlafzimmer untersagt. Koji war wohl bereit, sich ohne
Kapuze zu zeigen, aber für mehr reichte sein Mut noch nicht.
Mitten in der Nacht wachte Izumi von einem Geräusch im Wohnzimmer auf. Es klang so, als ob
jemand nach etwas suchen würde. In der Annahme, es handle sich um einen Einbrecher, schlich er
zur Schlafzimmertür. Nur mit einem Schuh bewaffnet, etwas besseres hatte er in der Eile nicht finden
können, öffnete er die Tür zum Wohnzimmer und schaltete das Licht an. Der Einbrecher entpuppte
sich als Ko-chan, der vor dem Disc-Schrank saß und alle Discs auf dem Fußboden um sich herum
verteilt hatte. Er murmelte vor sich hin, während er weiterhin die Hüllen von links nach rechts schob.
Izumi trat hinter ihn. „Kann ich dir helfen?"
„Oh, was machst du denn hier? Habe ich dich geweckt?" Ko-chan sah schuldbewusst zu ihm hoch.
„Halb so schlimm, ich lag sowieso im Halbschlaf."
„Ich konnte nicht schlafen, hab' die ganze Zeit an Yuugo denken müssen. Oh Gott, bitte sag mir, dass
es nicht meine Schuld war, bitte sag es mir." Er brach in Tränen aus und sackte in sich zusammen.
Izumi nahm ihn, wie schon in der Nacht davor, wieder in den Arm und bemühte sich die Kopie von
Koji zur beruhigen.
„Shhh. Was soll nicht deine Schuld sein?" Er sprach sanft auf Ko-chan ein und wiegte ihn vorsichtig.
Seine Bemühungen waren von Erfolg gekrönt. Langsam hörte der andere auf zu schluchzen und sah
ihn aus rotgeränderten Augen an.
„Das mit Yuugo..." Izumi musterte ihn verwirrt. Was meinte er damit? Das Yuugo tot war? Es war
sicher nicht leicht für Ko-chan, dass er hier aufgetaucht war. Vor allem, so kurz nachdem sein
Geliebter gestorben war.
Izumi erinnerte sich an den heutigen Nachmittag. Zu diesem Zeitpunkt der Geschichte von Yuugo und
Ko-chan hätte er nicht vermutet, dass aus den beiden doch noch was werden konnte. Yuugo schien
ihm nicht gerade der einfühlsamste Mensch zu sein und trotzdem saß hier ein Häufchen Elend vor
ihm, dass seinen Verlust zutiefst bedauerte. Er ermunterte Ko-chan dazu weiter zuerzählen.
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Er hatte nach der Sache in der Dusche eine Weile zu Hause gesessen und darüber gegrübelt, was
eigentlich gerade geschehen war. Da er mit seinen Überlegungen zu keinem befriedigenden Ergebnis
kam, beschloss er, Yuugo zur Rede zu stellen.
Er hatte aus dem PC die Adresse rausgesucht und war jetzt unterwegs dahin. Es waren nur fünf U-
Bahn Stationen, doch die Gegend unterschied sich gewaltig von der, in der er aufgewachsen war. Es
gab hier nur „Betonbunker", die meisten schon über fünfzig Jahre alt. Dieses Viertel wurde fast
ausschließlich von Leuten bewohnt, die es einfach nicht geschafft hatten, sich sozial besser zu stellen.
Yuugo wohnte in einem Hochhaus, dessen Fassade fröhlich vor sich hin bröckelte und die
Außenanlagen hatten auch schon bessere Tage gesehen. Der Vermieter hielt es wohl nicht für
notwendig den Fahrstuhl zu reparieren, deswegen durfte er auch zu Fuß in den 8. Stock laufen.
Da stand er jetzt also vor der Tür und hatte eigentlich keine Ahnung, was er Yuugo sagen wollte. Er
wusste nur, dass er sauer auf ihn war. Das war doch schließlich keine Art, ihn so unter der Dusche
stehen zu lassen. Und dann erst dieser Spruch mit dem Geburtstagsgeschenk. Am liebsten würde er
Yuugo einmal so richtig durchschütteln. Doch als die Tür auf sein Klopfen hin aufging, verließ ihn der
Mut.
Yuugo bat ihn in seine Wohnung und schloss die Tür hinter ihm. Ko-chan sah sich um. Wohnung war
für dieses kleine Appartement deutlich zu großzügig. Das einzige Zimmer, in dem sich auch ein
Kühlschrank befand, und das Bad, waren zusammen immer noch kleiner als sein eigenes in ihrem
Haus. Außer dem Kühlschrank deutete nichts auf eine Küche hin. Auf dem Fußboden stand noch ein
Satz Geschirr und ein Wasserkocher und das war es dann auch schon.
Hätte jemand die Einrichtung als spartanisch tituliert, Ko-chan hätte wohl laut aufgelacht. Denn außer
einer Tasche mit Kleidung und einer Isomatte mit Schlafsack befand sich nichts in dem Zimmer. Sein
Blick, der das Bad streifte, bestätigte ihm, dass die Situation dort nicht besser war. Wenn man auf
dem Klo saß, konnte man die Beine problemlos unter die Dusche halten.
Während Ko-chan sich etwas unschlüssig umsah, fiel ihm auf, dass er unbewusst angefangen hatte,
sich die Arme zu reiben. Ihm war kalt und ein Blick auf seine Uhr bestätigte ihm eine
Zimmertemperatur von 14 °C. Er wollte Yuugo gerade darum bitten, die Heizung doch etwas höher zu
drehen, als er sah, dass diese Mini-Wohnung nicht über eine Heizung verfügte. Wie konnte man hier
nur wohnen. Sie hatten zwar jetzt Mitte April und es wurde langsam wärmer, doch wie mochte es hier
im Winter aussehen? Er war erschüttert darüber, dass solche Wohnungen überhaupt vermietet
wurden. Zumindest hielt Yuugo sein Appartement sauber, er bezweifelte ernsthaft, diese Reinlichkeit
bei allen Bewohnern des Hauses zu finden.
Er hatte wohl einige Minuten gebraucht, um seine Eindrücke zu verarbeiten, denn Yuugo bot ihm
schon eine Tasse mit heißem Tee an und entschuldigte sich dafür, dass sie sich die Tasse teilen
mussten. Schließlich hatte er nur eine und war nicht auf Besucher gefasst gewesen. Yuugo deutete
auf seinen Schlafsack und gebot ihm, sich hinzusetzen. Ko-chan ließ sich nieder, immer noch
unschlüssig, wie er das Gespräch über die heutigen Ereignisse anfangen sollte. Schließlich sagte er
das erste, was ihm in den Sinn kam. „Du kannst hier doch nicht wirklich wohnen. Da wirst du doch
krank von."
„Oh. Das geht schon. Hauptsache, ich kann in deiner Nähe sein. Jetzt aber ernsthaft, du bist doch
nicht wirklich hier, um über meine Wohnung zu sprechen." Er setzte die Tasse ab und beugte sich
nach vorne. Ko-chan der sich dadurch bedrängt fühlte, wich mit seinem Oberkörper immer weiter
zurück, bis er nicht mehr weiter konnte und ausgestreckt auf dem Schlafsack lag.
„Das ist aber eine sehr freundliche Einladung von dir." Yuugo sah ihn verschmitzt an und strich ihm
ein paar Strähnen aus dem Gesicht. Langsam beugte er sich über Ko-chan und glitt ganz sanft mit
seinen Lippen über die des Jüngeren. Das war der Auslöser für Ko-chan seine Wut wieder zum
Vorschein kommen zu lassen. Er sprang auf und lief aufgeregt im Zimmer herum.
„Was glaubst du eigentlich, wer du bist. Du sagt immer, du magst mich, aber dann werde ich von dir
mit komischen Sprüchen belabert, in eigenartige Clubs geschleppt und an die Sache mit der Dusche
will ich gar nicht erst denken." Er sah Yuugo aufgebracht an. Dieser stand auf und wollte seine Hand
auf Ko-chans Schulter legen, doch der wischte sie einfach zur Seite.
Die kurze Pause nutzend, ergriff Yuugo das Wort. „Gut. Die Wahrheit ist, ich wollte, dass du dich
aufregst und endlich mal jemanden anbrüllst. Du bist immer so zuvorkommend zu anderen und
denkst nie an dich selbst. Das kann doch nicht gesund sein."
„Aber alle mögen mich – und ich glaube nicht, dass sie mich nur mögen, weil ich ihnen helfe." Er sah
Yuugo direkt an und seine Aggression verflüchtigte sich etwas, als er in diese wundervollen braunen
Augen sah. Der andere bemerkte den Stimmungsumschwung und bemühte sich erneut um körperliche
Nähe. Diesmal wurde er nicht zurückgestoßen.
„Das wollte ich damit auch nicht gesagt haben. Nur solltest du dir etwas mehr Zeit für dich nehmen
und wenn andere ihre Versprechen dir gegenüber brechen, dann hast du auch das Recht darauf
wütend zu sein. Wenn andere etwas vergessen, was sie dir versprochen haben, sagst du immer ‚Ist
nicht so schlimm' auch wenn du darauf angewiesen bist. Hau doch endlich mal mit der Faust auf den
Tisch und beschwer dich. Du hast mir mal gesagt, du willst später die Firma deiner Familie leiten. Wie
willst du das denn schaffen, wenn du kein Durchsetzungsvermögen hast?"
Ko-chan dachte über diese Worte nach. Rechte hatte Yuugo schon, aber was sollte dann das ganze
Getue in der kurzen Zeit, in der sie sich kannten? „Willst du damit sagen, du hast mich nur so
behandelt, um mich aus der Reserve zu locken?"
„Ja. Zum Teil. Der andere Grund ist, dass du einfach zu süß bist, wenn du mal wieder rot anläufst."
Wie auf Kommando wurde Ko-chan nach diesem Satz wieder einmal rot.
„Das heißt, auch die Sache mit der Dusche war nur ein Scherz. Ich meine, wenn du ein Geschenk von
mir haben wolltest, hättest du nur etwas sagen müssen, ich hätte dir sicher was besorgt."
„Ich würde es lieben, wenn du mir etwas ‚besorgst'". Er grinste ihn anzüglich an. „Aber es war kein
Scherz. Alles was ich zu dir gesagt habe, meine ich wirklich. Ich mag dich, sehr sogar. Deswegen will
ich ja auch, dass du etwas härter wirst. Als Geschäftsmann wirst du es brauchen."
Ko-chan beschloss über diese Bemerkung hinweg zu sehen, denn irgendwie war das sehr zweideutig,
und das Gespräch fortzusetzen.
„Wenn ich mich wirklich so ändere, wie du es vorschlägst, meinst du nicht, dass sich dann auch mein
ganzes Wesen ändern würde. Ich wäre dann nicht mehr der Ko-chan, denn du kennst."
„Das will ich doch auch gar nicht. Du sollst doch nicht der knallharte Typ werden, vor dem jeder
zittert. Doch du solltest in der Lage sein, auch mal ‚nein' zu sagen, wenn dir etwas nicht passt. Und
wenn du bei mir bist, darfst du zu allem ‚ja' sagen." Yuugo hielt es offensichtlich nicht aus, drei Sätze
zu sagen, ohne dass darin eine Anspielung zu finden war.
„Ich glaube, das kann ich schaffen. Gelegentlich mal ‚nein' zu sagen." Er lächelte den anderen offen
an. „Und weißt du, womit ich anfangen werde. Ich sage ‚nein' zu deiner Wohnung. Hier kannst du
nicht bleiben, da holst du dir doch den Tod. Du kommst jetzt mit zu mir. Schließlich hast du selbst
gesagt, mein Bett ist groß genug für zwei." Mit diesen Worten ging er ins Bad und sammelte die dort
vorhandenen spärlichen Utensilien ein. Als er wieder ins Zimmer zurückkam, stand Yuugo noch immer
da, wo er ihn verlassen hatte. Ungewöhnlicher Weise wusste er mal nicht, was er tun sollte. „Ich kann
doch nicht einfach bei dir einziehen. Was wird denn dein Großvater und sein Lover davon halten."
Ko-chan konnte sich darauf hin ein Lachen nicht verkneifen, wurde aber schnell wieder ernst. „Sag
einmal zu Koji-sama, dass Katsumi-sama sein Lover ist und du sitzt wieder vor der Tür. Die beiden
raufen sich jeden Tag aufs Neue zusammen, aber zwischen ihnen läuft nichts und auch absolut nichts.
Wahrscheinlich würden sie sich bei dem Gedanken, dass sie etwas miteinander haben, übergeben." Er
packte noch die wenigen Habseligkeiten, die im Zimmer verstreut waren, in die Tasche, leerte den
Kühlschrank aus, rollte Schlafsack und Isomatte zusammen und blickte dann aufmunternd zu Yuugo.
„Also aufgehts. Dein neues Zuhause wartet auf dich."
Damit war Yuugo bei Ko-chan eingezogen. Die erste Nacht verhielt er sich noch ruhig, aber nachdem
er am nächsten Tag die Chance genutzt hatte, in die Apotheke zu gehen und dort Gleitgel zu kaufen,
waren die ruhigen Nächte für Ko-chan vorbei. Nicht dass es ihn sonderlich gestört hätte. In seinen
Augen war Yuugo der beste Liebhaber und Freund, den man haben konnte. Wenn bisweilen auch
recht stürmisch. Aber nach der Sache mit der Dusche, war er sich sicher, dass er keinen Tag mehr
ohne ihn leben wollte.
In den folgenden drei einhalb Jahren überholte Ko-chan Yuugo deutlich in der Körpergröße, dennoch
wurde er immer noch liebevoll „Zwerg" genannt. Es störte ihn nicht wirklich. Yuugo hatte recht
gehabt, was sein Durchsetzungsvermögen anbelangte. Mit Beginn des Studiums brachte man ihm
nicht nur Freundschaft, sondern auch Respekt entgegen, weil er wusste, was er wollte und dies auch
ausdrücken konnte. Yuugo hatte sich entschlossen, nicht zu studieren, sondern seine Kendo-Karriere
fortzusetzen. Er war einer der besten Sportler in Japan geworden. Sie waren glücklich miteinander
geworden, auch wenn Yuugo nie aufgehört hatte, seinen Freund mit kleinen öbszönen Bemerkungen
zu malträtieren und Ko-chan darauf stets mit einer leicht roten Gesichtsfarbe reagierte. Sie liebten
einander und das war das Wichtigste.
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Izumi hatte dem letzten Teil der Geschichte andächtig gelauscht. Er fragte sich, ob es bei ihm und Koji
auch so gewesen wäre, wäre er selbst nicht einfach verschwunden. Nun ja, er würde es wohl nie
erfahren. Jetzt war Koji ein alter Mann und seine Lebenserwartung war wohl auch nicht mehr allzu
hoch, da dieser seltsame Chip so seine Tücken zu haben schien.
Er sah zu Ko-chan, dem wieder Tränen über die Wangen rollten. Lautlos weinte er vor sich hin. „Es ist
alles nur meine Schuld, meine Schuld...Ich halt das einfach nicht mehr aus." Er stand auf und ging in
sein Zimmer. Izumi wollte ihm folgen und ihn erneut trösten, als er hörte, dass die Zimmertür von
innen abgeschlossen wurde. Offenbar wollte Ko-chan mit seinen Gefühlen erst mal allein gelassen
werden. Er saß noch einige Minuten auf dem Sofa, bevor auch er beschloss, sich wieder zur Ruhe zu
begeben.
Der folgende Morgen war eigentlich wie der zuvor auch, bis auf die Tatsache, dass Koji sich
entschieden hatte, diesen komischen Kapuzen-Pullover in der Wäsche zu lassen und sich nun normal
gekleidet hatte. Bei Ko-chan war von der Aufregung der vergangenen Nacht nichts mehr zu spüren, er
schien seine fröhliche Maske wieder aufgesetzt zu haben.
Izumi teilte den anderen seinen Entschluss mit, Naoto noch einmal zu besuchen. Er wollte sich in aller
Ruhe erklären lassen, was genau passiert war, da er gestern ja etwas überstürzt aufgebrochen war.
Kurz nach dem Frühstück verließ er ihr Haus und machte sich auf den Weg zum Wissenschaftler.
Naoto erklärte ihm alles noch einmal ausführlich. Die Sache mit dem Zeitstrudel und seine
Beweggründe dafür, aber über die „Einbahnstraße" in der Zeit, auf die er gestern noch Wert gelegt
hatte, sagte er nichts mehr. Gerade dieser Punkt hatte sich in das Gedächtnis von Izumi gefressen. Er
hakte bei Naoto nach. „Koji wusste aber doch, dass ich zurückkommen werden, auf den Tag genau.
Das kann doch nur bedeuten, dass jemand aus dieser Zeit es ihm gesagt hat. Aber Sie haben gestern
versucht uns zu erklären, dass dies unmöglich ist. Dass man nichts und niemanden in die
Vergangenheit bringen kann."
Auf diesen Satz hin lächelte ihn der kleine Mann wissend an und führte in ein weiteres Arbeitszimmer,
so dass seine Kollegen ihnen nicht zuhören konnten. „Sagen wir mal, ich habe da gestern eine
Notlüge angewandt. Wenn Koji-san wüsste, dass ich über diese Technologie verfüge, würde ihn nichts
davon abhalten, in die Vergangenheit zu reisen. Auch wenn er weiß, dass ich nur Gegenstände und
keine Menschen transportieren kann."
„Das heißt also, es ist tatsächlich möglich, etwas in meine Zeit zu schicken?" Izumi betete inständig,
dass er Naoto richtig verstanden hatte, denn in ihm formte sich, für diesen Fall, gerade ein Plan.
„Ja. Ja, das ist ohne weiteres möglich. Allerdings sind wir beide die einzigen, die davon wissen und ich
hätte auch gerne, dass es so bleibt."
„Aber wenn wir jetzt eine Nachricht zu dem Koji in der Vergangenheit schicken", denn genau das war
sein Plan, „wird er denn dann nicht ahnen, dass es mit Ihnen zusammenhängt?"
„Ahnen wird er es vielleicht. Womöglich weiß er es auch schon längst, schließlich hatte er ja einige
Jahrzehnte Zeit, um sich über die Herkunft der Nachricht, die du ihm schicken willst, Gedanken zu
machen."
Izumi lachte plötzlich laut auf. „Er weiß es. Ganz sicher. Schließlich hat er zu mir etwas in der Richtung
gesagt von ‚Du wirst mir sagen, wenn ich dir erzählen kann, woher ich wusste, dass du
zurückkommst'. Also weiß er wohl schon seit Jahren, dass du über die Möglichkeit verfügst."
„Und er hat nie was gesagt. Bei all der Besessenheit, die er manchmal an den Tag gelegt hat, wundert
mich das schon. Egal." Naoto legt ihm ein Blatt Papier und einen Stift hin und forderte ihn auf, seine
Nachricht an Koji aufzuschreiben.
Izumi saß eine Weile grübelnd da, weil er mit der Formulierung leichte Probleme hatte. Er konnte ja
nun schlecht schreiben: „Ankomme dein geburtst. in 90 jahren. I.T." Wer wusste schon, was Koji mit
so einer Notiz machen würde. Vor sich hin murmelnd und die Worte im Kopf hin und her drehend,
brachte er schlussendlich ein paar Zeilen zustande.
„Hi Koji,
ich weiß, du bist gerade auf dem Weg mich zu suchen, aber diese Mühe ist absolut nicht notwendig.
Du wirst mich nicht finden können. Mir ist klar, dass es dir wohl das Herz zerreißen wird, doch es
besteht für mich keine Möglichkeit mehr, zu dir zu kommen.
Aber eines kann ich dir versprechen, wir werden uns wiedersehen. Auch wenn es für dich in einer weit
entfernten Zukunft liegt, bitte warte auf mich. Heiligabend, 2081.
Ich liebe dich.
Izumi
PS: Sieh mal im Papierkorb im Wohnzimmer nach, ich hoffe dann kannst du mich besser verstehen
und es erleichtert dir die Zeit."
Er sah sich die Zeilen noch einmal durch. So richtig zufrieden war er damit nicht, aber es fiel ihm sehr
schwer, für so etwas die passenden Worte zu finden. Zusammen mit Naoto beobachtete er, wie sich
der kleine Brief im Strudel auflöste und verschwand. So einfach war das also gewesen, wenn er jetzt
nach Hause kam, würde Koji sicherlich nicken und ihm seinen Brief unter die Nase halten. Und er
hatte schon die unmöglichsten Szenarien entwickelt, wie Koji wissen konnte, was in der Zukunft
passieren würde. Dass es so leicht sein könnte, hätte er nicht vermutet. Lächelnd wollte er sich auf
den Weg machen.
An der Tür hielt ihn Naoto an der Jacke fest und drückte ihm einen großen Umschlag in die Hand. „Ich
habe mir der Ergebnisse von Kojis Untersuchung gestern noch einmal angesehen. Die Auswertung
steht hier drin. Aber sag ihm bitte ganz klar und deutlich, dass er jedwede Anstrengung unterlassen
soll. Kein Sport, Aufregung oder sonst irgendwas. Sein Herz ist in einer derart schlechten Verfassung,
dass der kleinste Anlass zu einem Anfall führen kann." Izumi war sichtlich geschockt. Er hätte nicht
vermutet, dass es um so seinen Freund so bestellt war. Er beeilte sich nach Hause zu kommen, damit
in der Zwischenzeit nicht noch etwas passieren würde, bei Koji wusste man das nie so genau.
Als er die Haustür öffnete, war ihm klar, dass es wohl schon zu spät war. Aus dem Wohnzimmer
drangen ihm die erregten Stimmen von Ko-chan und Koji entgegen. Er konnte Koji gerade brüllen
hören: „... wirklich nicht, wie du darauf kommst, ich hätte es einfach. Ich kann den Mann, den ich
liebe, nicht berühren. Und so wie es aussieht, werde ich das wohl auch nie mehr. Himmel her Gott.
Ich bin schon fast tot und er hat noch nicht mal angefangen richtig zu leben."
„Ach ja. Wenigstens hast du deinen Freund bei dir. Ich habe nichts mehr von ihm, außer...". Er
nestelte an seinem Hals herum und brachte eine Kette zum Vorschein. Die Anhänger waren zwei
Ringe. „Siehst du das hier? Siehst du es?" Er brüllte in Rage herum. „Verdammt noch mal, er wollte
mich heiraten. Und ich, ich..." Er warf die Kette auf den Boden, während ihm Tränen in die Augen
strömten. Koji streckte die Arme nach seinem Neffen aus, sämtliche Wut, die gerade noch in ihm
gewütet hatte, vollkommen vergessen. Yuugo und Ko-chan hatten tatsächlich heiraten wollen und er
hatte es nicht mal geahnt.
Ko-chan sah die Geste seines Großvaters, wollte im Moment jedoch nur allein sein. Er schnappte sich
seine Jacke und lief zur Tür hinaus, Koji und Izumi nicht weiter beachtend. Izumi starrte abwechselnd
auf den Umschlag in seiner Hand und auf die Kette mit den Ringen auf dem Fußboden. Er versuchte
abzuwägen, was momentan wichtiger war. Diese Entscheidung wurde ihm alsbald abgenommen. Koji
bückte sich, um die Kette aufzuheben. „Ich habe es nicht gewusst, wirklich nicht gewusst", murmelte
er vor sich hin. Er wollte sich gerade auf das Sofa setzen, als er sich plötzlich an sein Herz griff und zu
Boden sank. Izumi kam sich vor, wie in einer schlechten Tragödie. Eben wurde er noch gewarnt, dass
etwas passieren könnte, und dann trat eben dies Ereignis auch ein. Er griff nach dem Telefon und
wählte die Notrufnummer in der Hoffung, dass sich diese über die Jahrzehnte nicht geändert hatte.
Kurze Zeit später saß er in einem Krankenhaus auf dem Flur und füllte den Aufnahmeantrag aus. Er
kam sich dabei ziemlich hilflos vor, woher sollte er denn wissen, welche Krankheiten und Unfälle Koji
in den vergangenen Jahren gehabt hatte. Während er noch über die Fragen grübelte, kam Shibuya zu
seiner Rettung geeilt. Er hatte noch nach Ko-chan gesucht, war aber nicht in der Lage gewesen,
diesen zu finden. „Und, wie sieht es aus?"
„Keine Ahnung, sie sind immer noch dabei ihn zu untersuchen." Schweigend warteten sie weiter im
Flur. Izumi war dankbar, dass Shibuya ihm den Papierkram abgenommen hatte. Als der Arzt sie
endlich über die Ergebnisse seiner Untersuchung informierte, sackte Izumi innerlich zusammen. Koji
war fast am ganzen Körper gelähmt und eine Besserung war bei seinem derzeitigen körperlichen
Zustand auch nicht in Sicht. Geistig war er noch in Topform, doch es war nur noch eine Frage der
Zeit, bis die äußere Hülle ihre Funktion aufgab.
Ziemlich deprimiert saß Izumi am Bett von Koji und strich ihm vorsichtig die Haare aus dem Gesicht.
Wie sollte es mit ihnen nur weitergehen? Noch vor drei Tagen war alles in bester Ordnung gewesen
und jetzt saß er hier und musste sich wohl damit abfinden, dass Koji über kurz oder lang nicht mehr
unter den Lebenden weilen würde.
Nachdem Koji wieder erwacht war, hatte ihm der Arzt noch mal persönlich den Ernst der Lage erklärt.
Aufgrund der Lähmung ließ sich in Kojis Gesicht nicht erkennen, wie er es aufnahm. Was jedoch
deutlich zu erkennen war, waren seine fragenden Augen, als er sich im Raum umsah. „Ko-chan...?"
Izumi beschloss daraufhin sich noch einmal nach dem jungen Mann umzusehen. Irgendwann musste
er ja wieder nach Hause kommen. Er ließ Koji in der Obhut von Shibuya zurück und machte sich auf
den Heimweg.
Als er zu Hause die Tür öffnete, wurde er von Schwärze empfangen. Im ganzen Haus war es still. Da
Izumi keine Ahnung von Ko-chans Gewohnheiten, Lieblingsplätzen und Freunden hatte, blieb ihm
nichts anderes übrig als zu warten. Er wollte sich gerade einen Tee aufsetzen, als Ko-chan das Haus
betrat. Er sah immer noch recht aufgewühlt aus, schien seine Emotionen jetzt aber besser unter
Kontrolle zu haben, als noch vor wenigen Stunden. Der junge Mann sah sich um und blickte dann zu
Izumi. „Alle weg? Ich wollte mich bei Koji-sama entschuldigen, ich war vorhin wohl doch etwas
schroff."
Izumi hatte jetzt keine Zeit Ko-chan alles vorsichtig beizubringen, deswegen sagte er ihm sofort und
direkt, was nach seinem Abgang passiert war. Was offensichtlich die falsche Taktik war, denn Ko-chan
sackte auf dem Parkett zusammen und fing von neuem an zu schluchzen. „Nicht auch noch er. Ich
bringe allen Leuten nur Unglück. Erst Yuugo und auch Koji-sama. Halte dich besser fern von mir."
Langsam aber sicher reichte es Izumi mit Ko-chans Anfällen. So sehr er den jungen Mann auch
mochte, er konnte doch nicht den ganzen Tag erneut in Weinkrämpfe verfallen. Er schüttelte das
Häufchen Elend vor ihm etwas stärker als notwendig. „Ok Ko-chan. Du wirst mir jetzt erzählen, warum
du diese komischen Ideen hast, dass du an allem Schuld bist und dann gehst du mit mir ins
Krankenhaus. Ohne Heulkrämpfe, Schluchzen oder irgendwas. Du wirst traurig sein, weil Koji krank
ist, aber du wirst nicht wegen irgendwas zusammenbrechen. Koji hätte genauso gut beim Heben einer
Kiste zusammenbrechen können. Aber es ist nicht deine Schuld. Kojis Gesundheit war ohnehin schon
angegriffen. Und jetzt los. Fang an zu erzählen."
Als Izumi ausgeredet hatte, ließ er sich die eigenen Worte noch mal durch den Kopf gehen. ‚Traurig
sein'? Er war mehr als nur das, doch für den Moment musste er den Schein waren. Die Ereignisse
schienen sich in den letzten Tagen so zu überstürzen, dass er kaum Zeit hatte, über irgendetwas
nachzudenken. Er war ja nicht mal dazu gekommen Koji von dem Brief zu erzählen. Er hatte die
starke Vermutung, wenn er anfangen würde nachzudenken, würde er genau wie Ko-chan auf dem
Boden sitzen und über den Verlust von Koji weinen. Verlust. Innerlich lachte er laut auf. Koji war noch
nicht einmal tot und er hatte ihn schon abgeschrieben. Und all das nur, weil Naoto seine Technik nicht
ganz unter Kontrolle hatte. Da war auch seine Unterstützung mit dem Brief nicht mehr viel Wert. Er
begriff allmählich, warum Shibuya am ersten Tag so wütend auf seinen Enkel war.
Mit diesen Gedanken im Kopf zog er Ko-chan zu sich aufs Sofa, damit dieser endlich anfing zu
erzählen.
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Es war Anfang Dezember gewesen. Genau drei Tage nach Yuugos Heiratsantrag, als die beiden für ein
Wochenende in die Berge fuhren. Dort war es deutlich kälter als in der Stadt und der erste Schnee
begann zu fallen als sie einen Spaziergang durch den Wald machten. Gelegentlich begegneten ihnen
noch andere Leute, doch im Großen und Ganzen war es ruhig genug, dass Yuugo sich immer mal
wieder an seinem Verlobten vergreifen konnte.
Nach einer besonders heftigen Attacke quiekte Ko-chan plötzlich lauf auf und stürmte davon. Yuugo
hatte erst vermutet, dass er es diesmal doch übertrieben hatte, bis er sah, wohin sein „Zwerg" lief. Er
hatte einen Waldsee entdeckt, der schon gefroren war.
Ko-chan drehte sich fröhlich auf dem Eis und genoss die Schneeflocken, die auf ihn herabfielen. Dies
war die glücklichste Zeit in seinem Leben. Alles war perfekt und in drei Wochen würde er seiner
Familie von der Verlobung erzählen. Er drehte den Ring an seiner Hand hin und her und lächelte
Yuugo zu. Dieser streckte am Ufer die Hand aus, damit sein Freund wieder zurück kam, denn so
wirklich vertraute er dem Eis noch nicht.
Gerade als Ko-chan den ersten Schritt Richtung Ufer unternahm, gab das Eis unter ihm nach. Schon
beim ersten Kontakt mit dem Wasser setzte Ko-chans Atmung fast aus. Die Lungen zogen sich
dermaßen zusammen, dass es fast unmöglich wurde, den Körper weiter mit Sauerstoff zu versorgen.
In seiner Panik griff er wild um sich und versuchte vergeblich nach den Schollen zu greifen.
Yuugo sah seinen Freund einbrechen und dachte nicht weiter an Vorsichtsmaßnahmen. Mit langen,
kraftvollen Schritten stürzte er zu dem Loch im See, bemüht die Hand von Ko-chan zu greifen. Durch
das panische Gefuchtel von Ko-chan wurde er allerdings mit ins Wasser gezogen. Ko-chan achtete auf
nichts mehr, er versuchte nur noch, aus dem eisigen Wasser zu kommen. Wieder und wieder drückte
er Yuugo unter Wasser, ohne zu merken, auf wem oder was er sich da abstützte. Endlich spürte er,
wie seine Hand von einer anderen ergriffen wurde und ihn aus dem Wasser zog. Eine andere Hand
bemühte sich nach Yuugo zu greifen, doch verfehlte ihn knapp. Yuugo hatte noch gesehen, wie Ko-
chan in Sicherheit gebrachte wurde, bevor er hinabsank, in die Dunkelheit des Sees, der
Bewusstlosigkeit, des Todes.
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„Sie haben noch am gleichen Abend seine Leiche geborgen. Ich habe ihm den Ring vom Finger
gezogen, den ich ihm erst drei Tage vorher aufgesteckt hatte." Völlig betäubt saß Ko-chan neben
einem Izumi, der über das Ende dieser Liebesgeschichte nachdachte. Kein Wunder dass Ko-chan sich
einredete an allem Schuld zu sein. Obwohl er in diesem Fall wohl einfach nur leichtsinnig gewesen
war.
Im Aufzug des Krankenhauses nahm sich Izumi Ko-chan noch einmal zur Brust. Er wollte nicht
riskieren, dass der junge Mann am Krankenbett von Koji zusammenbrach. Er packte Ko-chan an den
Schultern und sah ihm tief in die Augen. „Erstens: Es ist NICHT deine Schuld, dass Koji da liegt.
Zweitens: Es ist nicht DEINE Schuld, dass Koji da liegt. Drittens: Es ist nicht deine SCHULD, dass Koji
da liegt. Viertens: Du wirst NICHT in Tränen ausbrechen und rumheulen. Fünftens: Du wirst auch
NICHT zusammenbrechen oder sonst etwas tun, was Koji dazu veranlassen könnte sich Sorgen zu
machen. Verstanden?" Ko-chan nickte, wenn auch etwas zögerlich.
Izumi wartete auf dem Flur auf Shibuya, der sich irgendwo im Krankenhaus rumtrieb, während Ko-
chan bei seinem Großvater war. Aus dem Zimmer neben Koji drangen Stimmen zu ihm. Eine ältere
Dame schien mit dem Verhalten ihres Pflegers nicht zufrieden zu sein. Mit einem Mal wurde ihre
Stimme sehr laut und ärgerlich. „Geben Sie mir das verdammte Ding. Wenn Sie nicht in der Lage sind,
ein Fieberthermometer anal einzuführen, frage ich mich wirklich, was Sie hier machen." Die letzten
Worte waren schon fast gefaucht. Der Pfleger schien ihren Unmut gespürt zu haben, denn kaum, dass
er aus dem Zimmer gestürzt kam und die Tür hinter sich zuzog, hörte Izumi auch schon das Klirren
einer Vase, die an der Tür zerbrach.
Der Pfleger sah Izumis erstauntes Gesicht und setzte zu einer Erklärung an. „Völlig verrückt die Alte.
Ist seit einer Woche hier. Und hält sich für Koji Nanjo. Wenn sie wüsste, dass der echte Nanjo jetzt
neben ihr liegt, würde sie wahrscheinlich komplett abheben." Mit diesen Worten überließ er Izumi sich
selbst und begab sich zu seinem nächsten Patienten.
Kurz danach stand auch Shibuya wieder neben ihm, im Arm einen Stapel voll mit Fußballmagazinen.
„Muss ja wissen, was die Presse so über meinen kleinen Taku-chan schreibt." Er grinste ihn fröhlich
an. „Du hast Ko-chan gefunden?"
„Ja. Aber es scheint ihm immer schlechter zu gehen. Wenn er so dürfte, wie er wollte, würde er wohl
den ganzen Tag nur noch weinen. Ich kann ihn ja verstehen, nach der Geschichte mit Yuugo, doch er
muss einsehen, dass es nur ein Unglück war und er keine Schuld daran hat."
Aus seinen Worten entnahm Shibuya, dass Izumi über die Todesumstände von Yuugo informiert war.
„Deswegen versuche ich ihm ja auch schon seit einigen Tagen klar zu machen, dass er mit jemandem
darüber sprechen muss. So geht es nicht weiter. Und seitdem du hier bist, hat sich seine geistige
Stabilität fast vollkommen verabschiedet." Dem konnte Izumi nur zustimmen.
Er sah Shibuya an. „Und was machen wir jetzt? Ich meine mit Koji. Wir können doch nicht einfach nur
rumsitzen und warten, bis er stirbt." Er begann den Gang hinabzulaufen, während er weitersprach.
„Ich komme mir hier wirklich vor, wie in einem schlechten Traum. Kaum sagt jemand, das und das
könnte passieren, schon tritt es ein. Ich hatte ja nicht einmal Zeit, mich mit Koji richtig zu unterhalten
und dann gibt sein Herz auf. Und was ist mit dir? Bei meinem Glück kippst du auch jeden
Augenblick..." Hinter ihm war ein dumpfes Geräusch zu hören. So als ob ein menschlicher Körper
zusammenbrach. Izumi traute sich kaum sich umzudrehen. Als er es dennoch tat, erblickten seine
Augen den Pfleger von vorhing, der ohnmächtig am Boden lag. Die alte Dame mit einer Bettpfanne in
der Hand, lächelte ihn unschuldig an und ging davon. Er blickte zu Shibuya und schüttelte den Kopf.
„Ich sagte ja, es ist hier alles ziemlich absurd."
Ko-chan kam aus dem Krankenzimmer von Koji und verabschiedete sich mit der Erklärung, er wolle
noch etwas spazieren gehen und würde dann direkt nach Hause zurückkehren. Zusammen mit
Shibuya verbrachte Izumi die restliche Zeit des Tages bei Koji, wobei sich alle drei recht hilflos
vorkamen. Der Arzt hatte ihnen gesagt, dass eine Herztransplantation wohl keinen Erfolg mehr haben
würde, dafür war Kojis allgemeiner Zustand zu schlecht. Es blieb ihnen also tatsächlich nur ein Warten
auf das bittere Ende.
Zu dritt saßen sie an diesem Abend schweigend über ihrem Essen. Was sollten sie angesichts der
Entwicklung der Dinge auch großartig zu bereden haben. Ko-chan war glücklicherweise nicht mehr in
einen Heulkrampf ausgebrochen, dennoch wirkte er ziemlich komisch. So als ob nicht ganz wüsste,
was er tun sollte. Er umarmte die anderen beiden ganz fest, bevor sie sich zu Bett begaben.
Der nächste Morgen begann sehr ruhig. Izumi und Shibuya wechselten kaum ein Wort, sondern
hingen beide ihren Gedanken nach. Sollte Ko-chan sich endlich mal ausschlafen, vielleicht würde das
seinen seelischen Zustand verbessern. Als er weit nach zehn immer noch nicht aus seinem Zimmer
gekommen war, beschlossen sie, kurz nach ihm zu sehen, bevor sie ins Krankenhaus gingen.
Er sah sehr ruhig aus, wie er in seinem Bett schlief, doch der Helm auf seinem Kopf, irritierte Izumi
schon etwas. Und der Brief auf dem Nachttisch trug auch nicht unbedingt zu seiner Beruhigung bei.
Shibuya hatte mit einem Blick durch das Zimmer die gleichen Dinge erfasst, war aber aufgrund seiner
Lebenserfahrung nicht nur beunruhigt, sondern sichtlich erschrocken. „Bitte, bitte nicht. Tu uns das
nicht an Ko-chan." Er griff sich den Brief und öffnete ihn.
„Es tut mir leid, dass ich mich so von euch verabschieden muss, aber es ist für mich die einzige
Lösung. Ich halte das Alles einfach nicht aus. Nichts und niemand kann mir jetzt noch helfen. Aber
wenigstens kann ich auf diese Weise Koji-sama noch helfen. Er kann diesen Körper haben, wenn er
möchte, mir bringt er doch nichts mehr.
Ich liebe euch alle.
PS: Taku-chan und Serika, viel Glück bei den Olympischen Spielen."
Shibuya ließ den Briefbogen zu Boden gleiten und machte sich daran, den Helm zu untersuchen. Die
verschiedenen Anzeigen kontrollierend, schluchzte er leise vor sich hin. „Wie konnte ich nur so
unaufmerksam sein. Du bist so ein Idiot, Shibuya. Und du Ko-chan, wenn ich könnte, würde ich dir
das letzte Bisschen Verstand rausprügeln, aber davon hast du wohl nichts gelassen, oder? Oh Ko-
chan, warum nur?"
Mit einer Mischung aus Verzweifelung und Trauer, setzte er sich auf die Bettkante. Izumi hatte bis
dahin nur rumgestanden und versucht die Vorgänge zu begreifen, was ihm schlichtweg nicht gelang.
„Was ist denn jetzt eigentlich passiert?"
„Er hat sich sein Gehirn pulverisiert." Seine Tränen versiegten langsam, als er den Kopf ungläubig
schüttelte.
„Er hat was getan?" Izumi meinte sich verhört zu haben.
„Siehst du den Helm? War ein beliebtes Instrument in den 50er und 60er Jahren. Es wurde eingesetzt,
um Verbrecher wieder in die Gesellschaft einzugliedern und Gewaltopfern zu helfen. Wurde dann aber
verboten, weil einige Leute damit Dinge getan haben, für die er nicht vorgesehen war. Mit diesem
Helm kannst du die Verbindungen zwischen den einzelnen Nervenzellen unterbrechen und auch ganze
Erinnerungen löschen. Und unser Freund Ko-chan hier hat alles gelöscht. Jeder kleine Erinnerung, die
ihn ausmachte. Ich frage mich nur, wo er das Ding herbekommen hat."
„Aber kann man das nicht wiederherstellen, das Gedächtnis, meine ich?"
„Nein. Gelöscht ist gelöscht. Bis auf die automatischen Reflexe und Vorgänge, wie Atmung und
Herzschlag, ist alles weg. Er ist wie ein unbeschriebenes Blatt. Nicht einmal die unbewussten
Erinnerungen, während er noch ganz klein war, sind geblieben." Shibuya schüttelte erneut den Kopf.
„Und was meinte er mit ‚Koji kann den Körper haben'?"
„Wenn Koji es will, können wir seine Erinnerung, Verhaltensweisen etc. in das leere Gehirn hier
übertragen. Er sollte mit der äußeren Hülle keine Probleme haben, da die beiden ja eineiige Zwillinge
hätten sein können. Ich frage mich, wie Koji das Ganze hier aufnehmen wird?" Er seufzte vernehmlich
auf, als er sich vom Bett erhob, um zusammen mit Izumi zum Krankenhaus zu fahren.
Koji nahm die Neuigkeiten denkbar schlecht auf. Er hatte einen weiteren Anfall und wurde an eine
Herz-Lungen-Maschine angeschlossen. Er würde sich schnell entscheiden müssen, ob er seine
Erinnerungen transferieren wollte oder nicht. Doch diese Entscheidung musste er allein treffen.
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Juli 2082 – Fußballweltmeisterschaft in Japan
Der Stadionsprecher hatte sich in Rage geredet. Man konnte schon fast den Schaum vor seinem Mund
erkennen, denn für Japan ging es um alles oder nichts in diesem Achtelfinale. „Die 92. Minute läuft. Es
steht 2:2. Uruguay war in dieser Hälfte deutlich besser als Japan und es sieht nicht so aus, also ob die
Japaner das Blatt noch einmal wenden könnten. Es wird wohl eine Verlängerung geben. Doch was ist
das? Das japanische Traumduo, die beiden Takutos, setzen zum Sturm an. ‚Taku-chan' Shibuya wird
bedrängt, doch er kann noch abgeben an Takuto ‚Izumi' Nanjo. Nanjo, der jüngste Spieler in der
Mannschaft, hat sich freigelaufen und steht jetzt allein vor dem Tor. Er schießt und.... trifft. Es steht
2:3 für Japan und der Schiedsrichter pfeift ab. Japan ist im Viertelfinale. Japan hat es geschafft." In
seiner Kabine fing der Sprecher wild zu tanzen an.
Das Publikum, das größtenteils aus Japanern bestand, jubelte ebenfalls wild, bis plötzlich ein junger
Mann das Spielfeld betrat. Schweigen senkte sich über das Stadion. Die hellen Haare im Wind
flatternd, die Augen mit einer Sonnebrille geschützt, ging er ruhigen Schrittes über das Feld. Aus der
Gruppe der sich umarmenden japanischer Spieler löste sich einer und rannte auf den Mann zu. Der
Stadionsprecher hatte seine Stimme wiedergefunden. „Meine Damen und Herren. Begrüßen Sie, wie
nach jedem Spiel," er grinste vor sich hin, „Koji Nanjo, Sänger der Gruppe Herz und Ehemann von
unserem Traumstürmer Takuto Nanjo."
Die beiden Figuren auf dem Platz fielen sich in die Arme. Während Koji seinem Liebling einen innigen
Kuss gab, nahm das Publikum seine Jubelfeier wieder auf.
- OWARI -
Reviews werden immer dankend aufgenommen. *grins* Bitte an Kiara senden.
Vielen Dank an Koji und Hoschi fürs Probelesen. Uns insbesondere Koji für die Geschichte mit dem
Pfleger.
Will noch jemand mehr von Yuugo und Ko-chan hören?
Hand in der Jackentasche einen Zettel ertastete. „Oh nein. Ich habe ihm nicht mal zum Geburtstag
gratuliert." Er stürmte ins Haus und ließ einen verdutzten Ko-chan auf der Straße stehen.
Drinnen fand er Koji und Shibuya vor, die immer noch die Experimente von Naoto diskutierten. In
Shibuyas Fall war es mehr ein Aufregen, als ein Sprechen. Izumi wollte ihn gerade bitten, sie beide
allein zu lassen, als Shibuya auch schon aufstand und den Raum verließ. Izumi schlich etwas unsicher
im Raum herum und suchte nach den richtigen Worten. „Durch all die Aufregung, gestern und heute,
habe ich es beinahe vergessen. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Ich wollte dir soviel sagen
und diesem Tag zu etwas besonderem machen, aber dann..."
„Ich weiß, was du mir sagen wolltest."
„Du weißt davon? Aber woher?"
„Alles zu seiner Zeit." Dieser Satz ging ihm langsam auf die Nerven, genauso wie diese dämliche
Kapuze, die Koji noch immer auf hatte. Er ging näher zu ihm heran und zog sie ihm einfach vom Kopf.
„Das kann doch so nicht weitergehen, dass du dich ständig vor mir versteckst. Glaubst du denn, ich
würde vor dir weglaufen?"
Koji sah ihn mit einer Mischung aus Wut und Erschrecken an. „Ja, genau das glaube ich. Sieh mich
doch an, ich bin alt und hässlich."
„Du bist vielleicht alt, aber sicher nicht hässlich. Würdest du mich denn verlassen, wenn ich so alt
wäre?"
„Nein. Natürlich nicht, aber das ist doch etwas ganz anderes." Versuchte Koji sich zu verteidigen.
„Und wo bitte soll das anders sein? Hier", er ging auf Koji zu und küsste ihn auf die Wange, „ich will
dich immer noch küssen und bei dir sein. Doch du lässt mich nicht. Warum, zur Hölle?"
„Willst du denn, dass sich ein Greis auf dich stürzt? Willst du das? Meine Gefühle haben 90 Jahre auf
Sparflamme gekocht und ich konnte dich nur in meinen Gedanken und Träumen nehmen. Weißt du,
was es mich an Kraft kostet, nicht hier an Ort und Stelle über dich herzufallen." Er sah Izumi mit
einem Blick an, der seine Lust kaum noch verbergen konnte.
Dieser legte sanft seine Hand auf Kojis Schulter. „Du bist kein Greis. Vor zwei Tagen warst du noch
19, zumindest für mich. Ich kann doch meine Gefühle nicht einfach abschalten, nur weil du dich
äußerlich verändert hast. Außerdem siehst du keine Tag älter als 60 aus. Hörst du?" Koji umarmte ihn
schluchzend. „Du darfst mich nie wieder verlassen. Verstanden. Noch mal würde ich das nicht
überleben. Auch wenn ich wusste, dass ich dich wiedersehe, diese Warterei hat mir fast den Verstand
geraubt."
Izumi drückte seinen Liebhaber an sich und spürte im Gegenzug, wie zwei Hände über seinen Rücken
strichen. Zwei Hände? Aber wie war das möglich? „Hast du deinen Arm… ?"
„Ja. Irgendwann, nachdem meine ‚liebe' Familie das Diesseits verlassen hatte, fand ich es doch ganz
praktisch, zwei voll funktionstüchtige Arme zu haben. Hat mir außerdem das Einfangen von Ko-chan
erleichtert. Den darf man eigentlich nicht für zwei Sekunden aus den Augen lassen oder er schliddert
gleich in die nächste Katastrophe." Er lächelte gutmütig vor sich hin, während er sich an die Kindheit
von Ko-chan erinnerte.
Izumi trat einen Schritt zurück, damit er Koji besser ins Gesicht sehen konnte. „So, und nachdem wir
das jetzt geklärt hätten, wie wäre es mit Abendessen?" Koji war die Erleichterung darüber, dass Izumi
sich nicht von ihm angeekelt fühlte, deutlich ins Gesicht geschrieben.
Den Rest des Abends sprach hauptsächlich Koji, immer mal wieder durch Shibuya unterbrochen. Die
beiden erzählten ihm, was in den vergangenen Jahrzehnten alles passiert war. Izumi stellte beruhigt
fest, dass es nicht zu einem 3. Weltkrieg gekommen war, aber die anderen politischen Vorgänge
gingen fast alle zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus. Als die beiden dann aber von
ihrem persönlichen Leben erzählten, verpasste er kein einziges Wort.
Koji war sehr spät Vater geworden, mit Mitte fünfzig. Izumi wusste ja schon, dass es nur aus
Pflichtgefühl heraus geschehen war, deswegen wuchs Masato auch bei seiner Mutter. Koji äußerte
sich nicht weiter dazu, was geschehen war, doch es war ihm deutlich anzumerken, dass er nicht gerne
über seinen Sohn sprach. Er sagt wortwörtlich, dass Masatos einzige vernünftige Handlung die Ehe
mit seiner Frau und die Zeugung von Ko-chan gewesen war.
Izumis Kopf begann sich langsam zu drehen. Es waren so viele Ereignisse, Namen und Daten, die da
auf ihn hinabprasselten, dass sein Gehirn schlappmachte. Sie zogen sich alle für die Nacht zurück,
doch erneut wurde ihm der Zugang zu ihrem Schlafzimmer untersagt. Koji war wohl bereit, sich ohne
Kapuze zu zeigen, aber für mehr reichte sein Mut noch nicht.
Mitten in der Nacht wachte Izumi von einem Geräusch im Wohnzimmer auf. Es klang so, als ob
jemand nach etwas suchen würde. In der Annahme, es handle sich um einen Einbrecher, schlich er
zur Schlafzimmertür. Nur mit einem Schuh bewaffnet, etwas besseres hatte er in der Eile nicht finden
können, öffnete er die Tür zum Wohnzimmer und schaltete das Licht an. Der Einbrecher entpuppte
sich als Ko-chan, der vor dem Disc-Schrank saß und alle Discs auf dem Fußboden um sich herum
verteilt hatte. Er murmelte vor sich hin, während er weiterhin die Hüllen von links nach rechts schob.
Izumi trat hinter ihn. „Kann ich dir helfen?"
„Oh, was machst du denn hier? Habe ich dich geweckt?" Ko-chan sah schuldbewusst zu ihm hoch.
„Halb so schlimm, ich lag sowieso im Halbschlaf."
„Ich konnte nicht schlafen, hab' die ganze Zeit an Yuugo denken müssen. Oh Gott, bitte sag mir, dass
es nicht meine Schuld war, bitte sag es mir." Er brach in Tränen aus und sackte in sich zusammen.
Izumi nahm ihn, wie schon in der Nacht davor, wieder in den Arm und bemühte sich die Kopie von
Koji zur beruhigen.
„Shhh. Was soll nicht deine Schuld sein?" Er sprach sanft auf Ko-chan ein und wiegte ihn vorsichtig.
Seine Bemühungen waren von Erfolg gekrönt. Langsam hörte der andere auf zu schluchzen und sah
ihn aus rotgeränderten Augen an.
„Das mit Yuugo..." Izumi musterte ihn verwirrt. Was meinte er damit? Das Yuugo tot war? Es war
sicher nicht leicht für Ko-chan, dass er hier aufgetaucht war. Vor allem, so kurz nachdem sein
Geliebter gestorben war.
Izumi erinnerte sich an den heutigen Nachmittag. Zu diesem Zeitpunkt der Geschichte von Yuugo und
Ko-chan hätte er nicht vermutet, dass aus den beiden doch noch was werden konnte. Yuugo schien
ihm nicht gerade der einfühlsamste Mensch zu sein und trotzdem saß hier ein Häufchen Elend vor
ihm, dass seinen Verlust zutiefst bedauerte. Er ermunterte Ko-chan dazu weiter zuerzählen.
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Er hatte nach der Sache in der Dusche eine Weile zu Hause gesessen und darüber gegrübelt, was
eigentlich gerade geschehen war. Da er mit seinen Überlegungen zu keinem befriedigenden Ergebnis
kam, beschloss er, Yuugo zur Rede zu stellen.
Er hatte aus dem PC die Adresse rausgesucht und war jetzt unterwegs dahin. Es waren nur fünf U-
Bahn Stationen, doch die Gegend unterschied sich gewaltig von der, in der er aufgewachsen war. Es
gab hier nur „Betonbunker", die meisten schon über fünfzig Jahre alt. Dieses Viertel wurde fast
ausschließlich von Leuten bewohnt, die es einfach nicht geschafft hatten, sich sozial besser zu stellen.
Yuugo wohnte in einem Hochhaus, dessen Fassade fröhlich vor sich hin bröckelte und die
Außenanlagen hatten auch schon bessere Tage gesehen. Der Vermieter hielt es wohl nicht für
notwendig den Fahrstuhl zu reparieren, deswegen durfte er auch zu Fuß in den 8. Stock laufen.
Da stand er jetzt also vor der Tür und hatte eigentlich keine Ahnung, was er Yuugo sagen wollte. Er
wusste nur, dass er sauer auf ihn war. Das war doch schließlich keine Art, ihn so unter der Dusche
stehen zu lassen. Und dann erst dieser Spruch mit dem Geburtstagsgeschenk. Am liebsten würde er
Yuugo einmal so richtig durchschütteln. Doch als die Tür auf sein Klopfen hin aufging, verließ ihn der
Mut.
Yuugo bat ihn in seine Wohnung und schloss die Tür hinter ihm. Ko-chan sah sich um. Wohnung war
für dieses kleine Appartement deutlich zu großzügig. Das einzige Zimmer, in dem sich auch ein
Kühlschrank befand, und das Bad, waren zusammen immer noch kleiner als sein eigenes in ihrem
Haus. Außer dem Kühlschrank deutete nichts auf eine Küche hin. Auf dem Fußboden stand noch ein
Satz Geschirr und ein Wasserkocher und das war es dann auch schon.
Hätte jemand die Einrichtung als spartanisch tituliert, Ko-chan hätte wohl laut aufgelacht. Denn außer
einer Tasche mit Kleidung und einer Isomatte mit Schlafsack befand sich nichts in dem Zimmer. Sein
Blick, der das Bad streifte, bestätigte ihm, dass die Situation dort nicht besser war. Wenn man auf
dem Klo saß, konnte man die Beine problemlos unter die Dusche halten.
Während Ko-chan sich etwas unschlüssig umsah, fiel ihm auf, dass er unbewusst angefangen hatte,
sich die Arme zu reiben. Ihm war kalt und ein Blick auf seine Uhr bestätigte ihm eine
Zimmertemperatur von 14 °C. Er wollte Yuugo gerade darum bitten, die Heizung doch etwas höher zu
drehen, als er sah, dass diese Mini-Wohnung nicht über eine Heizung verfügte. Wie konnte man hier
nur wohnen. Sie hatten zwar jetzt Mitte April und es wurde langsam wärmer, doch wie mochte es hier
im Winter aussehen? Er war erschüttert darüber, dass solche Wohnungen überhaupt vermietet
wurden. Zumindest hielt Yuugo sein Appartement sauber, er bezweifelte ernsthaft, diese Reinlichkeit
bei allen Bewohnern des Hauses zu finden.
Er hatte wohl einige Minuten gebraucht, um seine Eindrücke zu verarbeiten, denn Yuugo bot ihm
schon eine Tasse mit heißem Tee an und entschuldigte sich dafür, dass sie sich die Tasse teilen
mussten. Schließlich hatte er nur eine und war nicht auf Besucher gefasst gewesen. Yuugo deutete
auf seinen Schlafsack und gebot ihm, sich hinzusetzen. Ko-chan ließ sich nieder, immer noch
unschlüssig, wie er das Gespräch über die heutigen Ereignisse anfangen sollte. Schließlich sagte er
das erste, was ihm in den Sinn kam. „Du kannst hier doch nicht wirklich wohnen. Da wirst du doch
krank von."
„Oh. Das geht schon. Hauptsache, ich kann in deiner Nähe sein. Jetzt aber ernsthaft, du bist doch
nicht wirklich hier, um über meine Wohnung zu sprechen." Er setzte die Tasse ab und beugte sich
nach vorne. Ko-chan der sich dadurch bedrängt fühlte, wich mit seinem Oberkörper immer weiter
zurück, bis er nicht mehr weiter konnte und ausgestreckt auf dem Schlafsack lag.
„Das ist aber eine sehr freundliche Einladung von dir." Yuugo sah ihn verschmitzt an und strich ihm
ein paar Strähnen aus dem Gesicht. Langsam beugte er sich über Ko-chan und glitt ganz sanft mit
seinen Lippen über die des Jüngeren. Das war der Auslöser für Ko-chan seine Wut wieder zum
Vorschein kommen zu lassen. Er sprang auf und lief aufgeregt im Zimmer herum.
„Was glaubst du eigentlich, wer du bist. Du sagt immer, du magst mich, aber dann werde ich von dir
mit komischen Sprüchen belabert, in eigenartige Clubs geschleppt und an die Sache mit der Dusche
will ich gar nicht erst denken." Er sah Yuugo aufgebracht an. Dieser stand auf und wollte seine Hand
auf Ko-chans Schulter legen, doch der wischte sie einfach zur Seite.
Die kurze Pause nutzend, ergriff Yuugo das Wort. „Gut. Die Wahrheit ist, ich wollte, dass du dich
aufregst und endlich mal jemanden anbrüllst. Du bist immer so zuvorkommend zu anderen und
denkst nie an dich selbst. Das kann doch nicht gesund sein."
„Aber alle mögen mich – und ich glaube nicht, dass sie mich nur mögen, weil ich ihnen helfe." Er sah
Yuugo direkt an und seine Aggression verflüchtigte sich etwas, als er in diese wundervollen braunen
Augen sah. Der andere bemerkte den Stimmungsumschwung und bemühte sich erneut um körperliche
Nähe. Diesmal wurde er nicht zurückgestoßen.
„Das wollte ich damit auch nicht gesagt haben. Nur solltest du dir etwas mehr Zeit für dich nehmen
und wenn andere ihre Versprechen dir gegenüber brechen, dann hast du auch das Recht darauf
wütend zu sein. Wenn andere etwas vergessen, was sie dir versprochen haben, sagst du immer ‚Ist
nicht so schlimm' auch wenn du darauf angewiesen bist. Hau doch endlich mal mit der Faust auf den
Tisch und beschwer dich. Du hast mir mal gesagt, du willst später die Firma deiner Familie leiten. Wie
willst du das denn schaffen, wenn du kein Durchsetzungsvermögen hast?"
Ko-chan dachte über diese Worte nach. Rechte hatte Yuugo schon, aber was sollte dann das ganze
Getue in der kurzen Zeit, in der sie sich kannten? „Willst du damit sagen, du hast mich nur so
behandelt, um mich aus der Reserve zu locken?"
„Ja. Zum Teil. Der andere Grund ist, dass du einfach zu süß bist, wenn du mal wieder rot anläufst."
Wie auf Kommando wurde Ko-chan nach diesem Satz wieder einmal rot.
„Das heißt, auch die Sache mit der Dusche war nur ein Scherz. Ich meine, wenn du ein Geschenk von
mir haben wolltest, hättest du nur etwas sagen müssen, ich hätte dir sicher was besorgt."
„Ich würde es lieben, wenn du mir etwas ‚besorgst'". Er grinste ihn anzüglich an. „Aber es war kein
Scherz. Alles was ich zu dir gesagt habe, meine ich wirklich. Ich mag dich, sehr sogar. Deswegen will
ich ja auch, dass du etwas härter wirst. Als Geschäftsmann wirst du es brauchen."
Ko-chan beschloss über diese Bemerkung hinweg zu sehen, denn irgendwie war das sehr zweideutig,
und das Gespräch fortzusetzen.
„Wenn ich mich wirklich so ändere, wie du es vorschlägst, meinst du nicht, dass sich dann auch mein
ganzes Wesen ändern würde. Ich wäre dann nicht mehr der Ko-chan, denn du kennst."
„Das will ich doch auch gar nicht. Du sollst doch nicht der knallharte Typ werden, vor dem jeder
zittert. Doch du solltest in der Lage sein, auch mal ‚nein' zu sagen, wenn dir etwas nicht passt. Und
wenn du bei mir bist, darfst du zu allem ‚ja' sagen." Yuugo hielt es offensichtlich nicht aus, drei Sätze
zu sagen, ohne dass darin eine Anspielung zu finden war.
„Ich glaube, das kann ich schaffen. Gelegentlich mal ‚nein' zu sagen." Er lächelte den anderen offen
an. „Und weißt du, womit ich anfangen werde. Ich sage ‚nein' zu deiner Wohnung. Hier kannst du
nicht bleiben, da holst du dir doch den Tod. Du kommst jetzt mit zu mir. Schließlich hast du selbst
gesagt, mein Bett ist groß genug für zwei." Mit diesen Worten ging er ins Bad und sammelte die dort
vorhandenen spärlichen Utensilien ein. Als er wieder ins Zimmer zurückkam, stand Yuugo noch immer
da, wo er ihn verlassen hatte. Ungewöhnlicher Weise wusste er mal nicht, was er tun sollte. „Ich kann
doch nicht einfach bei dir einziehen. Was wird denn dein Großvater und sein Lover davon halten."
Ko-chan konnte sich darauf hin ein Lachen nicht verkneifen, wurde aber schnell wieder ernst. „Sag
einmal zu Koji-sama, dass Katsumi-sama sein Lover ist und du sitzt wieder vor der Tür. Die beiden
raufen sich jeden Tag aufs Neue zusammen, aber zwischen ihnen läuft nichts und auch absolut nichts.
Wahrscheinlich würden sie sich bei dem Gedanken, dass sie etwas miteinander haben, übergeben." Er
packte noch die wenigen Habseligkeiten, die im Zimmer verstreut waren, in die Tasche, leerte den
Kühlschrank aus, rollte Schlafsack und Isomatte zusammen und blickte dann aufmunternd zu Yuugo.
„Also aufgehts. Dein neues Zuhause wartet auf dich."
Damit war Yuugo bei Ko-chan eingezogen. Die erste Nacht verhielt er sich noch ruhig, aber nachdem
er am nächsten Tag die Chance genutzt hatte, in die Apotheke zu gehen und dort Gleitgel zu kaufen,
waren die ruhigen Nächte für Ko-chan vorbei. Nicht dass es ihn sonderlich gestört hätte. In seinen
Augen war Yuugo der beste Liebhaber und Freund, den man haben konnte. Wenn bisweilen auch
recht stürmisch. Aber nach der Sache mit der Dusche, war er sich sicher, dass er keinen Tag mehr
ohne ihn leben wollte.
In den folgenden drei einhalb Jahren überholte Ko-chan Yuugo deutlich in der Körpergröße, dennoch
wurde er immer noch liebevoll „Zwerg" genannt. Es störte ihn nicht wirklich. Yuugo hatte recht
gehabt, was sein Durchsetzungsvermögen anbelangte. Mit Beginn des Studiums brachte man ihm
nicht nur Freundschaft, sondern auch Respekt entgegen, weil er wusste, was er wollte und dies auch
ausdrücken konnte. Yuugo hatte sich entschlossen, nicht zu studieren, sondern seine Kendo-Karriere
fortzusetzen. Er war einer der besten Sportler in Japan geworden. Sie waren glücklich miteinander
geworden, auch wenn Yuugo nie aufgehört hatte, seinen Freund mit kleinen öbszönen Bemerkungen
zu malträtieren und Ko-chan darauf stets mit einer leicht roten Gesichtsfarbe reagierte. Sie liebten
einander und das war das Wichtigste.
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Izumi hatte dem letzten Teil der Geschichte andächtig gelauscht. Er fragte sich, ob es bei ihm und Koji
auch so gewesen wäre, wäre er selbst nicht einfach verschwunden. Nun ja, er würde es wohl nie
erfahren. Jetzt war Koji ein alter Mann und seine Lebenserwartung war wohl auch nicht mehr allzu
hoch, da dieser seltsame Chip so seine Tücken zu haben schien.
Er sah zu Ko-chan, dem wieder Tränen über die Wangen rollten. Lautlos weinte er vor sich hin. „Es ist
alles nur meine Schuld, meine Schuld...Ich halt das einfach nicht mehr aus." Er stand auf und ging in
sein Zimmer. Izumi wollte ihm folgen und ihn erneut trösten, als er hörte, dass die Zimmertür von
innen abgeschlossen wurde. Offenbar wollte Ko-chan mit seinen Gefühlen erst mal allein gelassen
werden. Er saß noch einige Minuten auf dem Sofa, bevor auch er beschloss, sich wieder zur Ruhe zu
begeben.
Der folgende Morgen war eigentlich wie der zuvor auch, bis auf die Tatsache, dass Koji sich
entschieden hatte, diesen komischen Kapuzen-Pullover in der Wäsche zu lassen und sich nun normal
gekleidet hatte. Bei Ko-chan war von der Aufregung der vergangenen Nacht nichts mehr zu spüren, er
schien seine fröhliche Maske wieder aufgesetzt zu haben.
Izumi teilte den anderen seinen Entschluss mit, Naoto noch einmal zu besuchen. Er wollte sich in aller
Ruhe erklären lassen, was genau passiert war, da er gestern ja etwas überstürzt aufgebrochen war.
Kurz nach dem Frühstück verließ er ihr Haus und machte sich auf den Weg zum Wissenschaftler.
Naoto erklärte ihm alles noch einmal ausführlich. Die Sache mit dem Zeitstrudel und seine
Beweggründe dafür, aber über die „Einbahnstraße" in der Zeit, auf die er gestern noch Wert gelegt
hatte, sagte er nichts mehr. Gerade dieser Punkt hatte sich in das Gedächtnis von Izumi gefressen. Er
hakte bei Naoto nach. „Koji wusste aber doch, dass ich zurückkommen werden, auf den Tag genau.
Das kann doch nur bedeuten, dass jemand aus dieser Zeit es ihm gesagt hat. Aber Sie haben gestern
versucht uns zu erklären, dass dies unmöglich ist. Dass man nichts und niemanden in die
Vergangenheit bringen kann."
Auf diesen Satz hin lächelte ihn der kleine Mann wissend an und führte in ein weiteres Arbeitszimmer,
so dass seine Kollegen ihnen nicht zuhören konnten. „Sagen wir mal, ich habe da gestern eine
Notlüge angewandt. Wenn Koji-san wüsste, dass ich über diese Technologie verfüge, würde ihn nichts
davon abhalten, in die Vergangenheit zu reisen. Auch wenn er weiß, dass ich nur Gegenstände und
keine Menschen transportieren kann."
„Das heißt also, es ist tatsächlich möglich, etwas in meine Zeit zu schicken?" Izumi betete inständig,
dass er Naoto richtig verstanden hatte, denn in ihm formte sich, für diesen Fall, gerade ein Plan.
„Ja. Ja, das ist ohne weiteres möglich. Allerdings sind wir beide die einzigen, die davon wissen und ich
hätte auch gerne, dass es so bleibt."
„Aber wenn wir jetzt eine Nachricht zu dem Koji in der Vergangenheit schicken", denn genau das war
sein Plan, „wird er denn dann nicht ahnen, dass es mit Ihnen zusammenhängt?"
„Ahnen wird er es vielleicht. Womöglich weiß er es auch schon längst, schließlich hatte er ja einige
Jahrzehnte Zeit, um sich über die Herkunft der Nachricht, die du ihm schicken willst, Gedanken zu
machen."
Izumi lachte plötzlich laut auf. „Er weiß es. Ganz sicher. Schließlich hat er zu mir etwas in der Richtung
gesagt von ‚Du wirst mir sagen, wenn ich dir erzählen kann, woher ich wusste, dass du
zurückkommst'. Also weiß er wohl schon seit Jahren, dass du über die Möglichkeit verfügst."
„Und er hat nie was gesagt. Bei all der Besessenheit, die er manchmal an den Tag gelegt hat, wundert
mich das schon. Egal." Naoto legt ihm ein Blatt Papier und einen Stift hin und forderte ihn auf, seine
Nachricht an Koji aufzuschreiben.
Izumi saß eine Weile grübelnd da, weil er mit der Formulierung leichte Probleme hatte. Er konnte ja
nun schlecht schreiben: „Ankomme dein geburtst. in 90 jahren. I.T." Wer wusste schon, was Koji mit
so einer Notiz machen würde. Vor sich hin murmelnd und die Worte im Kopf hin und her drehend,
brachte er schlussendlich ein paar Zeilen zustande.
„Hi Koji,
ich weiß, du bist gerade auf dem Weg mich zu suchen, aber diese Mühe ist absolut nicht notwendig.
Du wirst mich nicht finden können. Mir ist klar, dass es dir wohl das Herz zerreißen wird, doch es
besteht für mich keine Möglichkeit mehr, zu dir zu kommen.
Aber eines kann ich dir versprechen, wir werden uns wiedersehen. Auch wenn es für dich in einer weit
entfernten Zukunft liegt, bitte warte auf mich. Heiligabend, 2081.
Ich liebe dich.
Izumi
PS: Sieh mal im Papierkorb im Wohnzimmer nach, ich hoffe dann kannst du mich besser verstehen
und es erleichtert dir die Zeit."
Er sah sich die Zeilen noch einmal durch. So richtig zufrieden war er damit nicht, aber es fiel ihm sehr
schwer, für so etwas die passenden Worte zu finden. Zusammen mit Naoto beobachtete er, wie sich
der kleine Brief im Strudel auflöste und verschwand. So einfach war das also gewesen, wenn er jetzt
nach Hause kam, würde Koji sicherlich nicken und ihm seinen Brief unter die Nase halten. Und er
hatte schon die unmöglichsten Szenarien entwickelt, wie Koji wissen konnte, was in der Zukunft
passieren würde. Dass es so leicht sein könnte, hätte er nicht vermutet. Lächelnd wollte er sich auf
den Weg machen.
An der Tür hielt ihn Naoto an der Jacke fest und drückte ihm einen großen Umschlag in die Hand. „Ich
habe mir der Ergebnisse von Kojis Untersuchung gestern noch einmal angesehen. Die Auswertung
steht hier drin. Aber sag ihm bitte ganz klar und deutlich, dass er jedwede Anstrengung unterlassen
soll. Kein Sport, Aufregung oder sonst irgendwas. Sein Herz ist in einer derart schlechten Verfassung,
dass der kleinste Anlass zu einem Anfall führen kann." Izumi war sichtlich geschockt. Er hätte nicht
vermutet, dass es um so seinen Freund so bestellt war. Er beeilte sich nach Hause zu kommen, damit
in der Zwischenzeit nicht noch etwas passieren würde, bei Koji wusste man das nie so genau.
Als er die Haustür öffnete, war ihm klar, dass es wohl schon zu spät war. Aus dem Wohnzimmer
drangen ihm die erregten Stimmen von Ko-chan und Koji entgegen. Er konnte Koji gerade brüllen
hören: „... wirklich nicht, wie du darauf kommst, ich hätte es einfach. Ich kann den Mann, den ich
liebe, nicht berühren. Und so wie es aussieht, werde ich das wohl auch nie mehr. Himmel her Gott.
Ich bin schon fast tot und er hat noch nicht mal angefangen richtig zu leben."
„Ach ja. Wenigstens hast du deinen Freund bei dir. Ich habe nichts mehr von ihm, außer...". Er
nestelte an seinem Hals herum und brachte eine Kette zum Vorschein. Die Anhänger waren zwei
Ringe. „Siehst du das hier? Siehst du es?" Er brüllte in Rage herum. „Verdammt noch mal, er wollte
mich heiraten. Und ich, ich..." Er warf die Kette auf den Boden, während ihm Tränen in die Augen
strömten. Koji streckte die Arme nach seinem Neffen aus, sämtliche Wut, die gerade noch in ihm
gewütet hatte, vollkommen vergessen. Yuugo und Ko-chan hatten tatsächlich heiraten wollen und er
hatte es nicht mal geahnt.
Ko-chan sah die Geste seines Großvaters, wollte im Moment jedoch nur allein sein. Er schnappte sich
seine Jacke und lief zur Tür hinaus, Koji und Izumi nicht weiter beachtend. Izumi starrte abwechselnd
auf den Umschlag in seiner Hand und auf die Kette mit den Ringen auf dem Fußboden. Er versuchte
abzuwägen, was momentan wichtiger war. Diese Entscheidung wurde ihm alsbald abgenommen. Koji
bückte sich, um die Kette aufzuheben. „Ich habe es nicht gewusst, wirklich nicht gewusst", murmelte
er vor sich hin. Er wollte sich gerade auf das Sofa setzen, als er sich plötzlich an sein Herz griff und zu
Boden sank. Izumi kam sich vor, wie in einer schlechten Tragödie. Eben wurde er noch gewarnt, dass
etwas passieren könnte, und dann trat eben dies Ereignis auch ein. Er griff nach dem Telefon und
wählte die Notrufnummer in der Hoffung, dass sich diese über die Jahrzehnte nicht geändert hatte.
Kurze Zeit später saß er in einem Krankenhaus auf dem Flur und füllte den Aufnahmeantrag aus. Er
kam sich dabei ziemlich hilflos vor, woher sollte er denn wissen, welche Krankheiten und Unfälle Koji
in den vergangenen Jahren gehabt hatte. Während er noch über die Fragen grübelte, kam Shibuya zu
seiner Rettung geeilt. Er hatte noch nach Ko-chan gesucht, war aber nicht in der Lage gewesen,
diesen zu finden. „Und, wie sieht es aus?"
„Keine Ahnung, sie sind immer noch dabei ihn zu untersuchen." Schweigend warteten sie weiter im
Flur. Izumi war dankbar, dass Shibuya ihm den Papierkram abgenommen hatte. Als der Arzt sie
endlich über die Ergebnisse seiner Untersuchung informierte, sackte Izumi innerlich zusammen. Koji
war fast am ganzen Körper gelähmt und eine Besserung war bei seinem derzeitigen körperlichen
Zustand auch nicht in Sicht. Geistig war er noch in Topform, doch es war nur noch eine Frage der
Zeit, bis die äußere Hülle ihre Funktion aufgab.
Ziemlich deprimiert saß Izumi am Bett von Koji und strich ihm vorsichtig die Haare aus dem Gesicht.
Wie sollte es mit ihnen nur weitergehen? Noch vor drei Tagen war alles in bester Ordnung gewesen
und jetzt saß er hier und musste sich wohl damit abfinden, dass Koji über kurz oder lang nicht mehr
unter den Lebenden weilen würde.
Nachdem Koji wieder erwacht war, hatte ihm der Arzt noch mal persönlich den Ernst der Lage erklärt.
Aufgrund der Lähmung ließ sich in Kojis Gesicht nicht erkennen, wie er es aufnahm. Was jedoch
deutlich zu erkennen war, waren seine fragenden Augen, als er sich im Raum umsah. „Ko-chan...?"
Izumi beschloss daraufhin sich noch einmal nach dem jungen Mann umzusehen. Irgendwann musste
er ja wieder nach Hause kommen. Er ließ Koji in der Obhut von Shibuya zurück und machte sich auf
den Heimweg.
Als er zu Hause die Tür öffnete, wurde er von Schwärze empfangen. Im ganzen Haus war es still. Da
Izumi keine Ahnung von Ko-chans Gewohnheiten, Lieblingsplätzen und Freunden hatte, blieb ihm
nichts anderes übrig als zu warten. Er wollte sich gerade einen Tee aufsetzen, als Ko-chan das Haus
betrat. Er sah immer noch recht aufgewühlt aus, schien seine Emotionen jetzt aber besser unter
Kontrolle zu haben, als noch vor wenigen Stunden. Der junge Mann sah sich um und blickte dann zu
Izumi. „Alle weg? Ich wollte mich bei Koji-sama entschuldigen, ich war vorhin wohl doch etwas
schroff."
Izumi hatte jetzt keine Zeit Ko-chan alles vorsichtig beizubringen, deswegen sagte er ihm sofort und
direkt, was nach seinem Abgang passiert war. Was offensichtlich die falsche Taktik war, denn Ko-chan
sackte auf dem Parkett zusammen und fing von neuem an zu schluchzen. „Nicht auch noch er. Ich
bringe allen Leuten nur Unglück. Erst Yuugo und auch Koji-sama. Halte dich besser fern von mir."
Langsam aber sicher reichte es Izumi mit Ko-chans Anfällen. So sehr er den jungen Mann auch
mochte, er konnte doch nicht den ganzen Tag erneut in Weinkrämpfe verfallen. Er schüttelte das
Häufchen Elend vor ihm etwas stärker als notwendig. „Ok Ko-chan. Du wirst mir jetzt erzählen, warum
du diese komischen Ideen hast, dass du an allem Schuld bist und dann gehst du mit mir ins
Krankenhaus. Ohne Heulkrämpfe, Schluchzen oder irgendwas. Du wirst traurig sein, weil Koji krank
ist, aber du wirst nicht wegen irgendwas zusammenbrechen. Koji hätte genauso gut beim Heben einer
Kiste zusammenbrechen können. Aber es ist nicht deine Schuld. Kojis Gesundheit war ohnehin schon
angegriffen. Und jetzt los. Fang an zu erzählen."
Als Izumi ausgeredet hatte, ließ er sich die eigenen Worte noch mal durch den Kopf gehen. ‚Traurig
sein'? Er war mehr als nur das, doch für den Moment musste er den Schein waren. Die Ereignisse
schienen sich in den letzten Tagen so zu überstürzen, dass er kaum Zeit hatte, über irgendetwas
nachzudenken. Er war ja nicht mal dazu gekommen Koji von dem Brief zu erzählen. Er hatte die
starke Vermutung, wenn er anfangen würde nachzudenken, würde er genau wie Ko-chan auf dem
Boden sitzen und über den Verlust von Koji weinen. Verlust. Innerlich lachte er laut auf. Koji war noch
nicht einmal tot und er hatte ihn schon abgeschrieben. Und all das nur, weil Naoto seine Technik nicht
ganz unter Kontrolle hatte. Da war auch seine Unterstützung mit dem Brief nicht mehr viel Wert. Er
begriff allmählich, warum Shibuya am ersten Tag so wütend auf seinen Enkel war.
Mit diesen Gedanken im Kopf zog er Ko-chan zu sich aufs Sofa, damit dieser endlich anfing zu
erzählen.
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Es war Anfang Dezember gewesen. Genau drei Tage nach Yuugos Heiratsantrag, als die beiden für ein
Wochenende in die Berge fuhren. Dort war es deutlich kälter als in der Stadt und der erste Schnee
begann zu fallen als sie einen Spaziergang durch den Wald machten. Gelegentlich begegneten ihnen
noch andere Leute, doch im Großen und Ganzen war es ruhig genug, dass Yuugo sich immer mal
wieder an seinem Verlobten vergreifen konnte.
Nach einer besonders heftigen Attacke quiekte Ko-chan plötzlich lauf auf und stürmte davon. Yuugo
hatte erst vermutet, dass er es diesmal doch übertrieben hatte, bis er sah, wohin sein „Zwerg" lief. Er
hatte einen Waldsee entdeckt, der schon gefroren war.
Ko-chan drehte sich fröhlich auf dem Eis und genoss die Schneeflocken, die auf ihn herabfielen. Dies
war die glücklichste Zeit in seinem Leben. Alles war perfekt und in drei Wochen würde er seiner
Familie von der Verlobung erzählen. Er drehte den Ring an seiner Hand hin und her und lächelte
Yuugo zu. Dieser streckte am Ufer die Hand aus, damit sein Freund wieder zurück kam, denn so
wirklich vertraute er dem Eis noch nicht.
Gerade als Ko-chan den ersten Schritt Richtung Ufer unternahm, gab das Eis unter ihm nach. Schon
beim ersten Kontakt mit dem Wasser setzte Ko-chans Atmung fast aus. Die Lungen zogen sich
dermaßen zusammen, dass es fast unmöglich wurde, den Körper weiter mit Sauerstoff zu versorgen.
In seiner Panik griff er wild um sich und versuchte vergeblich nach den Schollen zu greifen.
Yuugo sah seinen Freund einbrechen und dachte nicht weiter an Vorsichtsmaßnahmen. Mit langen,
kraftvollen Schritten stürzte er zu dem Loch im See, bemüht die Hand von Ko-chan zu greifen. Durch
das panische Gefuchtel von Ko-chan wurde er allerdings mit ins Wasser gezogen. Ko-chan achtete auf
nichts mehr, er versuchte nur noch, aus dem eisigen Wasser zu kommen. Wieder und wieder drückte
er Yuugo unter Wasser, ohne zu merken, auf wem oder was er sich da abstützte. Endlich spürte er,
wie seine Hand von einer anderen ergriffen wurde und ihn aus dem Wasser zog. Eine andere Hand
bemühte sich nach Yuugo zu greifen, doch verfehlte ihn knapp. Yuugo hatte noch gesehen, wie Ko-
chan in Sicherheit gebrachte wurde, bevor er hinabsank, in die Dunkelheit des Sees, der
Bewusstlosigkeit, des Todes.
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„Sie haben noch am gleichen Abend seine Leiche geborgen. Ich habe ihm den Ring vom Finger
gezogen, den ich ihm erst drei Tage vorher aufgesteckt hatte." Völlig betäubt saß Ko-chan neben
einem Izumi, der über das Ende dieser Liebesgeschichte nachdachte. Kein Wunder dass Ko-chan sich
einredete an allem Schuld zu sein. Obwohl er in diesem Fall wohl einfach nur leichtsinnig gewesen
war.
Im Aufzug des Krankenhauses nahm sich Izumi Ko-chan noch einmal zur Brust. Er wollte nicht
riskieren, dass der junge Mann am Krankenbett von Koji zusammenbrach. Er packte Ko-chan an den
Schultern und sah ihm tief in die Augen. „Erstens: Es ist NICHT deine Schuld, dass Koji da liegt.
Zweitens: Es ist nicht DEINE Schuld, dass Koji da liegt. Drittens: Es ist nicht deine SCHULD, dass Koji
da liegt. Viertens: Du wirst NICHT in Tränen ausbrechen und rumheulen. Fünftens: Du wirst auch
NICHT zusammenbrechen oder sonst etwas tun, was Koji dazu veranlassen könnte sich Sorgen zu
machen. Verstanden?" Ko-chan nickte, wenn auch etwas zögerlich.
Izumi wartete auf dem Flur auf Shibuya, der sich irgendwo im Krankenhaus rumtrieb, während Ko-
chan bei seinem Großvater war. Aus dem Zimmer neben Koji drangen Stimmen zu ihm. Eine ältere
Dame schien mit dem Verhalten ihres Pflegers nicht zufrieden zu sein. Mit einem Mal wurde ihre
Stimme sehr laut und ärgerlich. „Geben Sie mir das verdammte Ding. Wenn Sie nicht in der Lage sind,
ein Fieberthermometer anal einzuführen, frage ich mich wirklich, was Sie hier machen." Die letzten
Worte waren schon fast gefaucht. Der Pfleger schien ihren Unmut gespürt zu haben, denn kaum, dass
er aus dem Zimmer gestürzt kam und die Tür hinter sich zuzog, hörte Izumi auch schon das Klirren
einer Vase, die an der Tür zerbrach.
Der Pfleger sah Izumis erstauntes Gesicht und setzte zu einer Erklärung an. „Völlig verrückt die Alte.
Ist seit einer Woche hier. Und hält sich für Koji Nanjo. Wenn sie wüsste, dass der echte Nanjo jetzt
neben ihr liegt, würde sie wahrscheinlich komplett abheben." Mit diesen Worten überließ er Izumi sich
selbst und begab sich zu seinem nächsten Patienten.
Kurz danach stand auch Shibuya wieder neben ihm, im Arm einen Stapel voll mit Fußballmagazinen.
„Muss ja wissen, was die Presse so über meinen kleinen Taku-chan schreibt." Er grinste ihn fröhlich
an. „Du hast Ko-chan gefunden?"
„Ja. Aber es scheint ihm immer schlechter zu gehen. Wenn er so dürfte, wie er wollte, würde er wohl
den ganzen Tag nur noch weinen. Ich kann ihn ja verstehen, nach der Geschichte mit Yuugo, doch er
muss einsehen, dass es nur ein Unglück war und er keine Schuld daran hat."
Aus seinen Worten entnahm Shibuya, dass Izumi über die Todesumstände von Yuugo informiert war.
„Deswegen versuche ich ihm ja auch schon seit einigen Tagen klar zu machen, dass er mit jemandem
darüber sprechen muss. So geht es nicht weiter. Und seitdem du hier bist, hat sich seine geistige
Stabilität fast vollkommen verabschiedet." Dem konnte Izumi nur zustimmen.
Er sah Shibuya an. „Und was machen wir jetzt? Ich meine mit Koji. Wir können doch nicht einfach nur
rumsitzen und warten, bis er stirbt." Er begann den Gang hinabzulaufen, während er weitersprach.
„Ich komme mir hier wirklich vor, wie in einem schlechten Traum. Kaum sagt jemand, das und das
könnte passieren, schon tritt es ein. Ich hatte ja nicht einmal Zeit, mich mit Koji richtig zu unterhalten
und dann gibt sein Herz auf. Und was ist mit dir? Bei meinem Glück kippst du auch jeden
Augenblick..." Hinter ihm war ein dumpfes Geräusch zu hören. So als ob ein menschlicher Körper
zusammenbrach. Izumi traute sich kaum sich umzudrehen. Als er es dennoch tat, erblickten seine
Augen den Pfleger von vorhing, der ohnmächtig am Boden lag. Die alte Dame mit einer Bettpfanne in
der Hand, lächelte ihn unschuldig an und ging davon. Er blickte zu Shibuya und schüttelte den Kopf.
„Ich sagte ja, es ist hier alles ziemlich absurd."
Ko-chan kam aus dem Krankenzimmer von Koji und verabschiedete sich mit der Erklärung, er wolle
noch etwas spazieren gehen und würde dann direkt nach Hause zurückkehren. Zusammen mit
Shibuya verbrachte Izumi die restliche Zeit des Tages bei Koji, wobei sich alle drei recht hilflos
vorkamen. Der Arzt hatte ihnen gesagt, dass eine Herztransplantation wohl keinen Erfolg mehr haben
würde, dafür war Kojis allgemeiner Zustand zu schlecht. Es blieb ihnen also tatsächlich nur ein Warten
auf das bittere Ende.
Zu dritt saßen sie an diesem Abend schweigend über ihrem Essen. Was sollten sie angesichts der
Entwicklung der Dinge auch großartig zu bereden haben. Ko-chan war glücklicherweise nicht mehr in
einen Heulkrampf ausgebrochen, dennoch wirkte er ziemlich komisch. So als ob nicht ganz wüsste,
was er tun sollte. Er umarmte die anderen beiden ganz fest, bevor sie sich zu Bett begaben.
Der nächste Morgen begann sehr ruhig. Izumi und Shibuya wechselten kaum ein Wort, sondern
hingen beide ihren Gedanken nach. Sollte Ko-chan sich endlich mal ausschlafen, vielleicht würde das
seinen seelischen Zustand verbessern. Als er weit nach zehn immer noch nicht aus seinem Zimmer
gekommen war, beschlossen sie, kurz nach ihm zu sehen, bevor sie ins Krankenhaus gingen.
Er sah sehr ruhig aus, wie er in seinem Bett schlief, doch der Helm auf seinem Kopf, irritierte Izumi
schon etwas. Und der Brief auf dem Nachttisch trug auch nicht unbedingt zu seiner Beruhigung bei.
Shibuya hatte mit einem Blick durch das Zimmer die gleichen Dinge erfasst, war aber aufgrund seiner
Lebenserfahrung nicht nur beunruhigt, sondern sichtlich erschrocken. „Bitte, bitte nicht. Tu uns das
nicht an Ko-chan." Er griff sich den Brief und öffnete ihn.
„Es tut mir leid, dass ich mich so von euch verabschieden muss, aber es ist für mich die einzige
Lösung. Ich halte das Alles einfach nicht aus. Nichts und niemand kann mir jetzt noch helfen. Aber
wenigstens kann ich auf diese Weise Koji-sama noch helfen. Er kann diesen Körper haben, wenn er
möchte, mir bringt er doch nichts mehr.
Ich liebe euch alle.
PS: Taku-chan und Serika, viel Glück bei den Olympischen Spielen."
Shibuya ließ den Briefbogen zu Boden gleiten und machte sich daran, den Helm zu untersuchen. Die
verschiedenen Anzeigen kontrollierend, schluchzte er leise vor sich hin. „Wie konnte ich nur so
unaufmerksam sein. Du bist so ein Idiot, Shibuya. Und du Ko-chan, wenn ich könnte, würde ich dir
das letzte Bisschen Verstand rausprügeln, aber davon hast du wohl nichts gelassen, oder? Oh Ko-
chan, warum nur?"
Mit einer Mischung aus Verzweifelung und Trauer, setzte er sich auf die Bettkante. Izumi hatte bis
dahin nur rumgestanden und versucht die Vorgänge zu begreifen, was ihm schlichtweg nicht gelang.
„Was ist denn jetzt eigentlich passiert?"
„Er hat sich sein Gehirn pulverisiert." Seine Tränen versiegten langsam, als er den Kopf ungläubig
schüttelte.
„Er hat was getan?" Izumi meinte sich verhört zu haben.
„Siehst du den Helm? War ein beliebtes Instrument in den 50er und 60er Jahren. Es wurde eingesetzt,
um Verbrecher wieder in die Gesellschaft einzugliedern und Gewaltopfern zu helfen. Wurde dann aber
verboten, weil einige Leute damit Dinge getan haben, für die er nicht vorgesehen war. Mit diesem
Helm kannst du die Verbindungen zwischen den einzelnen Nervenzellen unterbrechen und auch ganze
Erinnerungen löschen. Und unser Freund Ko-chan hier hat alles gelöscht. Jeder kleine Erinnerung, die
ihn ausmachte. Ich frage mich nur, wo er das Ding herbekommen hat."
„Aber kann man das nicht wiederherstellen, das Gedächtnis, meine ich?"
„Nein. Gelöscht ist gelöscht. Bis auf die automatischen Reflexe und Vorgänge, wie Atmung und
Herzschlag, ist alles weg. Er ist wie ein unbeschriebenes Blatt. Nicht einmal die unbewussten
Erinnerungen, während er noch ganz klein war, sind geblieben." Shibuya schüttelte erneut den Kopf.
„Und was meinte er mit ‚Koji kann den Körper haben'?"
„Wenn Koji es will, können wir seine Erinnerung, Verhaltensweisen etc. in das leere Gehirn hier
übertragen. Er sollte mit der äußeren Hülle keine Probleme haben, da die beiden ja eineiige Zwillinge
hätten sein können. Ich frage mich, wie Koji das Ganze hier aufnehmen wird?" Er seufzte vernehmlich
auf, als er sich vom Bett erhob, um zusammen mit Izumi zum Krankenhaus zu fahren.
Koji nahm die Neuigkeiten denkbar schlecht auf. Er hatte einen weiteren Anfall und wurde an eine
Herz-Lungen-Maschine angeschlossen. Er würde sich schnell entscheiden müssen, ob er seine
Erinnerungen transferieren wollte oder nicht. Doch diese Entscheidung musste er allein treffen.
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Juli 2082 – Fußballweltmeisterschaft in Japan
Der Stadionsprecher hatte sich in Rage geredet. Man konnte schon fast den Schaum vor seinem Mund
erkennen, denn für Japan ging es um alles oder nichts in diesem Achtelfinale. „Die 92. Minute läuft. Es
steht 2:2. Uruguay war in dieser Hälfte deutlich besser als Japan und es sieht nicht so aus, also ob die
Japaner das Blatt noch einmal wenden könnten. Es wird wohl eine Verlängerung geben. Doch was ist
das? Das japanische Traumduo, die beiden Takutos, setzen zum Sturm an. ‚Taku-chan' Shibuya wird
bedrängt, doch er kann noch abgeben an Takuto ‚Izumi' Nanjo. Nanjo, der jüngste Spieler in der
Mannschaft, hat sich freigelaufen und steht jetzt allein vor dem Tor. Er schießt und.... trifft. Es steht
2:3 für Japan und der Schiedsrichter pfeift ab. Japan ist im Viertelfinale. Japan hat es geschafft." In
seiner Kabine fing der Sprecher wild zu tanzen an.
Das Publikum, das größtenteils aus Japanern bestand, jubelte ebenfalls wild, bis plötzlich ein junger
Mann das Spielfeld betrat. Schweigen senkte sich über das Stadion. Die hellen Haare im Wind
flatternd, die Augen mit einer Sonnebrille geschützt, ging er ruhigen Schrittes über das Feld. Aus der
Gruppe der sich umarmenden japanischer Spieler löste sich einer und rannte auf den Mann zu. Der
Stadionsprecher hatte seine Stimme wiedergefunden. „Meine Damen und Herren. Begrüßen Sie, wie
nach jedem Spiel," er grinste vor sich hin, „Koji Nanjo, Sänger der Gruppe Herz und Ehemann von
unserem Traumstürmer Takuto Nanjo."
Die beiden Figuren auf dem Platz fielen sich in die Arme. Während Koji seinem Liebling einen innigen
Kuss gab, nahm das Publikum seine Jubelfeier wieder auf.
- OWARI -
Reviews werden immer dankend aufgenommen. *grins* Bitte an Kiara senden.
Vielen Dank an Koji und Hoschi fürs Probelesen. Uns insbesondere Koji für die Geschichte mit dem
Pfleger.
Will noch jemand mehr von Yuugo und Ko-chan hören?
