Alfred untersuchte sein neues Gefängnis. Der Raum war offensichtlich schon seit Jahren nicht mehr benutzt worden. Die Möbel waren von einer dicken Staubschicht bedeckt und die Farben der Vorhänge und Teppiche ausgeblichen. Früher einmal mochte das Zimmer als Studierzimmer gedient haben. An einer Wand war ein großes Regal, gefüllt mit gebundenen Büchern im durch die Spalten des Vorhangs hereinfallendem Licht zu sehen, in einer Ecke stand ein alter Globus. Das wichtigste Möbelstück des Raumes war jedoch ein großer, alter und mit Papieren und Schreibwerkzeugen bedeckter Schreibtisch. Fasziniert nahm Alfred wahllos eines der Blätter in die Hand und blies den Staub von der Oberfläche. Dieser ließ ihn Niesen. Als sich die Staubwolke wieder gelegt hatte, betrachtete er neugierig das Blatt. In einer altertümlichen Schrift hatte der Schreiber sich Notizen über eine in der Region wachsende Heilpflanze gemacht. Kleine Zeichnungen erläuterten die einzelnen Teile und deren Verwendung. Eifrig sah sich der junge Wissenschaftler näher auf dem Schreibtisch um und entdeckte neben Notizen zu verschiedenen Themen auch gepresste Pflanzen, Mineralien, weitere Zeichnungen, ein Prisma und unter einem großen Haufen anatomischer Skizzen den Schädel einer Katze. Das Chaos und die Vielfalt der Studienobjekte erschienen ihm schier unerschöpflich. Der Besitzer des Schreibtisches schien von großer Neugier in vielen Bereichen der Naturwissenschaft zu sein, jedoch nie die Geduld gehabt zu haben, sich intensiv und ausschließlich mit einem Themengebiet zu befassen. Insgeheim vermutete Alfred, dass es eine Person nach dem Geschmack des Professors gewesen sein musste. Doch der Staub und die Vernachlässigung des Zimmers schienen darauf hinzudeuten, dass der Betreffende schon vor langer Zeit und sehr plötzlich das Interesse an seinen Studien verloren zu haben schien. Der junge Mann wandte sich von dem Schreibtisch ab und spähte durch die Vorhänge auf den verschneiten Innenhof des Schlosses. Das Fenster gab ihm keine Möglichkeit zur Flucht, denn er befand sich, wie er nun sah, in einem der oberen Stockwerke des Schlosses und die Außenwand des Gebäudes bot ihm keine Chance, hinunter zu klettern. Und selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, so hätte er sich noch immer in dem ummauerten Innenhof befunden. Nun gut, daran war leider nichts zu ändern. Alfred zog die Vorhänge vor den großen Fenstern vollständig auf und befürchtete beinahe, dass der brüchige Stoff in seinen Händen zerfallen würde. Im warmen Licht der Nachmittagssonne kehrte er zurück an den Schreibtisch und widmete sich wieder dem erstaunlichen Sammelsurium von Fakten und Vermutungen, bis das Öffnen der Tür seine Gedanken unterbrach. Der Bucklige -Koukul - erinnerte sich Alfred, brachte ihm eine Schale mit einem warmen und appetitlich riechendem Brei. Ausgehungert nahm Alfred das Essen an sich und löffelte eilig.
Koukul sah kopfschüttelnd zu, wie der junge Mann das Essen herunter schlang. Selbst einige der Bewohner des Schlosses zeigten weniger Gier, wenn es um eine Mahlzeit ging. Aber gut, immerhin konnte der Gefangene sich nicht sicher sein, ob - und wann - er wieder Nahrung erhalten würde. Als der Mensch auch den letzten Rest aus der Schüssel gekratzt hatte wollte Koukul das Geschirr wieder an sich nehmen. Er griff nach der Schale und war erstaunt, als Alfred nach seinem Handgelenk griff. "Bitte!" flehte der junge Mann. Nicht schon wieder! Koukul war nicht erfreut noch einmal gebeten zu werden, Fluchthilfe zu leisten. Nur einmal in seinem Leben im Dienste des Grafen hatte er sich dazu hinreißen lassen, einer solchen Bitte nachzugeben. Einige Narben an seinem Körper erinnerten bis heute an den schmerzhaftesten Fehler seines Lebens. Ruckartig entzog er Alfred seine Hand. Doch dieser überraschte ihn ein zweites Mal. "Sagt, geht es Sarah gut? Ist sie verletzt? Bitte, ich muss es wissen!" Widerwillig gerührt von der Selbstlosigkeit des Menschen versicherte ihm Koukul, so gut es ihm möglich war, dass sich die Tochter des Wirtes unangetastet in ihrer Zelle befand. Dann verließ er eilig das Zimmer, bevor Alfred in seinem Gesicht sehen konnte, dass Koukul befürchtete, dass dieser Zustand nicht mehr lange anhalten würde.
Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne färbten den Horizont rot, als sich in den Eingeweiden des Schlosses ein Schatten zu regen begann. Das Klirren einer Kette erklang, als sich die Gestalt wie eine Katze streckte. Durch dieses Geräusch geweckt, begann auch eine Zweite, sich träge aufzusetzen.
Bleierne Müdigkeit machte seine Bewegungen langsam und schwerfällig. Der Professor brauchte alle Willenskraft, um seinen Körper zu zwingen, seinem Willen zu gehorchen. Er schlug die Augen auf und versuchte mit seinen Blicken die Dunkelheit zu durchdringen. Seine geschärften Sinne konnten jedes Geräusch in der kleinen Zelle wahrnehmen, doch die Dunkelheit in dem fensterlosen Raum war selbst für seine Augen undurchdringlich. Das Geräusch der über den Boden schleifenden Kette und die leisen, ungeduldigen Schritte des Grafen erinnerten den Professor deutlich an ihre Situation. Auch er begann, die bedrückende Enge der Zelle und den ersten Anflug einer schmerzhaften Leere in seinem Inneren zu fühlen. Es war eine Art Hunger, jedoch nicht nur das Bedürfnis nach Nahrung, sondern mehr, ein Verlangen nach Leben und Wärme. Fasziniert versuchte er seine Empfindungen zu analysieren und damit zu erfassen, was es bedeutete ein Vampir zu sein. "Zu schade, dass ich das meinen lieben Kollegen" sein Murmeln verwandelte sich bei diesen Worten in ein abfälliges Zischen "nicht vorlegen kann. Diese Beweise wären nicht anzuzweifeln." Dann begann er fröhlich in sich hinein zu kichern "Und Zweifler hätten einen schweren Stand, wenn man seinen Argumenten mit diesen Zähnen Nachdruck verleihen kann." freute er sich und betastete vorsichtig seine nadelspitzen Fänge. Berechnend übte er mit dem Daumen immer stärkeren Druck aus, bis ein Zahn die Haut durchbohrte und er einen Tropfen Blut schmeckte. Nichts hatte ihn auf die Intensität seiner Reaktion vorbereitet. Erschrocken riß er seinen Finger aus dem Mund und holte tief Luft, um sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Der Geschmack des Blutes hatte ein Verlangen in ihm geweckt, das nun tief in seinen Eingeweiden brannte und drohte, ihn zu verzehren. So sehr er sich auch bemühte, er konnte seine Gedanken nicht mehr von der Vorstellung lösen, seine Zähne tief in den Hals eines wehrlosen Opfers zu schlagen und dessen warmes, lebendiges Blut bis auf den letzten Tropfen zu trinken. Sein Verstand protestierte in seinem Kopf, dass dies Wahnsinn sei, er ein denkendes und vernunftbegabtes Wesen (sei) und seine Triebe keine Macht über ihn ausübten. Doch der neugeborene Vampir war hilflos dieser Abhängigkeit ausgeliefert. Vorsichtig näherte er sich der einzig erreichbaren Quelle des begehrten Elixiers.
Von Krolock hatte gespannt auf das Erwachen seines neusten Jüngers gewartet. Die ersten Stunden im Un-Leben eines jungen Vampirs waren prägend. Zu dieser Zeit war er für den Einfluß seines Mentors sehr empfänglich, leicht manipulierbar und sehr verletzlich. Auch Schwächen zeigten sich bereits deutlich, so dass ein Erzeuger schon früh entscheiden konnte, ob das von ihm erschaffene Geschöpf seinen Werten und Ansprüchen gerecht wurde. Viele überlebten diese Zeit nicht und nicht wenige starben durch die Hände ihres Erschaffers. Doch außer einer Neigung, sich tief in seine Gedanken zu versenken und Selbstgespräche zu führen, beides Eigenschaften, die der Wissenschaftler schon als Mensch besessen hatte, konnte der alte Vampir keinen Makel an seiner Schöpfung entdecken. Erleichtert wartete er ab. Die Neugier und Beherrschtheit des Neugeborenen überraschten ihn. Nur wenige Vampire konnten den ersten Hunger so mühelos kontrollieren. Doch dann erinnerte der Graf sich daran, dass der Professor schon als Mensch dem Verstand die Kontrolle über Körper und Geist überlassen hatte. "Es ist erstaunlich zu sehen, wie wenig der Übergang doch an uns ändert." sinnierte er. "Wenn der Tod nicht gerade ein Trauma auslöst, so sind wir doch nur, was wir schon immer waren, wenn unser Sterben uns von den Fesseln und der Moral der Gesellschaft befreit hat..."
Seine Sinne sagten ihm, dass der Professor sich ihm in der Dunkelheit näherte. Der Graf konnte seinen keuchenden Atem hören, ein Zeichen, dass der junge Vampir angestrengt versuchte, seine Begierde zu zügeln... und hoffnungslos versagte. Ein trauriges Lächeln glitt über das Gesicht des Grafen, als er sich erinnerte. Jeder kämpfte gegen den Hunger an... und früher oder später verlor jeder in ihrer kleinen Gemeinschaft diesen Kampf. Amüsiert wartete er auf den Angriff seines jüngsten Kindes.
Einige Stockwerke über den beiden, erwachte auch Herbert aus seinem Schlaf. Gähnend schlug er die Decken zurück, unter denen er den Tag verbracht hatte. Eine neue Nacht lag vor ihm. Gut gelaunt schwang er seine Beine aus dem Bett und streckte sich. Dann schritt er zu einem mannshohen Schrank aus dunklem Holz, in dem er seine Garderobe aufbewahrte. Er fühlte sich gut. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten hatte er die Nacht nicht in der kalten und klammen Gruft verbracht, sondern - wie ein Sterblicher - in einem Bett geschlafen. Er beschloß, diese Annehmlichkeit beizubehalten. Die alten und konservativeren Veteranen möchten in ihren feuchten Gräbern verschimmeln, er würde in Zukunft in diesem Zimmer schlafen. Gleich wenn er sich angekleidet hatte, würde er Koukul anweisen, schwere Läden anzubringen und diese mit Riegeln zu versehen. Ausserdem musste er den Diener ins Dorf schicken, um dicken Stoff für neue Vorhänge zu kaufen und diese nähen zu lassen. Nicht zu vergessen ein fürstliches Festessen für Alfred, der ja nun auch in diesem Schloß lebte. Alfred - Herbert konnte sein Glück kaum fassen. Schwungvoll öffnete er die Türen des geschnitzten Schrankes und lies sein Blick über die verschiedenen Gewänder wandern, die er im Laufe der Jahrhunderte angesammelte hatte. Mit der wechselnden Mode war seine Garderobe immer umfangreicher geworden, doch der Vampir trennte sich nur ungern von einem liebgewonnenen Kleidungsstück. Hemden, Jacken und Westen, Beinkleider, und Strümpfe, Schuhe und Stiefel in allen Farben und Formen leuchteten aus der dunklen Tiefe des Schrankes hervor. Stirnrunzelnd musterte Herbert die Auswahl. Was ihm vor einigen Nächten noch ausreichend vorgekommen war, schien dem freudigen Anlass nicht mehr gerecht zu werden. Er wollte für Alfred gut aussehen, doch war er nachlässig geworden. Beinahe Nichts in seinem Besitz entsprach noch der jetzigen Mode. Verstimmt wählte er ein weißes Hemd zu einer bestickten Weste, die er immer gemocht hatte und eine einfache schwarze Hose. Dazu suchte er aus einem dunklen Winkel des Schrankes ein paar feste Reitstiefel aus Leder aus. Er würde heute Nacht ausgehen und sich in der nächsten Stadt, etwa drei Reitstunden vom Schloß entfernt, nach der neusten Mode einkleiden lassen. Bevor er das Zimmer verließ, griff er noch nach seinem Mantel. Dann machte er sich auf die Suche nach Koukul, um diesem seine Instruktionen zu hinterlassen.
Der Diener nickte und machte sich daran, ein Pferd vor den Schlitten zu spannen, dann sattelte er auch eines der Reitpferde für den Sohn des Grafen. Herbert schwang sich in den Sattel und verließ den Hof. Die Hufe des Rosses hallte laut, als er durch den Torbogen ritt und wenige Augenblicke später war die Gestalt des Vampirs schon um eine Biegung des Weges verschwunden.
Koukul ließ das angeschirrte Tier vor dem Schlitten warten und begab sich noch einmal ins Innere des Gebäudes. Er stieg die Stufen hinauf und vergewisserte sich, dass Alfred mit Nahrung und Wasser versorgt, immer noch in dem Studierzimmer des Grafen eingeschlossen war. Dann begab er sich in den Keller. Auf dem Weg ins nahegelegene Dorf wollte er die Leiche des Professors, die er bestimmt in einer der Zellen finden würde, entsorgen. Ärgerlich schimpfte und murrte er über die Gleichgültigkeit der Vampire ihren "Essensresten" gegenüber. Immer musste er - Koukul - dafür sorgen, dass die Leichen verschwanden, doch dieser Dienst würde als selbstverständlich betrachtet und nie gewürdigt. Langsam stapfte er leise vor sich hin schimpfend die gewundene Treppe in die Tiefe.
Abronsius näherte sich geduckt dem Grafen. Jede Faser seines Körpers drängte ihn, sich auf die stille Gestalt zu stürzen, doch ein Rest seines Verstandes sagte ihm, dass dies ein großer Fehler sei. Der ältere Vampir war ihm in jeder Hinsicht überlegen, besonders, da der Professor seine neu erworbenen Fähigkeiten und Kräfte nicht kannte oder kontrollieren konnte. Doch das Blut, das er in den Adern des anderen wußte, machte es ihm unmöglich, einen rationalen Gedanken zu fassen. Lockend umschmeichelte seine Gegenwart seine überempfindlichen Sinne. Immer weiter näherte er sich der Quelle dieses Elixiers. Der Graf machte keinen Versuch, ihn zurückzuhalten. Er schien abzuwarten. Der Professor konnte seine Gier nicht länger beherrschen und mit einem kläglich klingenden Knurren das über seine Lippen kam, warf er sich auf Krolock. Schneller als er reagieren konnte hatte der Graf ausgeholt. Mit der Rückseite seiner Hand schlug er dem neugeborenen Vampir ins Gesicht, so dass dieser weit in den Raum geschleudert wurde. Abronsius schüttelte sich wie ein nasser Hund, als er zu verstehen versucht, was gerade so schnell abgelaufen war. Mit einem verärgerten Zischen warf er sich erneut auf seinen Gefährten, doch wiederum wurde er zu Boden geschleudert. Seine Wange brannte, und einer der Ringe des Grafen hatte die bleiche Haut aufgerissen. Mit der Hand berührte er die blutende Wunde vorsichtig. "Mein Blut ist ein Privileg, dessen meine Kinder sich erst würdig erweisen müssen. Es kommt nicht ohne einen Preis. Bist du bereit, ihn zu zahlen, so wird dir gewährt, was du ersehnst!" Die Stimme des grauhaarigen Vampirs klang kalt und drohend, ein düsteres Versprechen in der Dunkelheit. Abronsius begann zu verstehen, was es hieß, abhängig zu sein. Während er gedankenverloren das Blut an seinen Fingern ableckte, schwor er sich, weder zu betteln, noch seinen Willen brechen zu lassen. Eisig schweigend verzog er sich mit knurrendem Magen in eine Ecke des Verlieses.
Koukul hörte ein lautes Poltern hinter einer der Türen im Verlies des Schlosses. Erstaunt hielt er inne und lauschte. Er glaubte seinen Ohren nicht zu trauen, als er die Stimme seines Meisters durch den steinernen Flur hallen hörte. Die genauen Worte waren durch die dicke Tür nicht zu verstehen, aber der Klang war im schon seit Jahren vertraut. Neugierig näherte er sich der Zellentür, hinter der er die Stimme vernommen hatte und drückte sein Ohr gegen das Holz. Nichts. Es war wieder Stille im Keller eingekehrt. Doch Koukul brauchte Gewissheit. Mit einem schlechten Gewissen zog er einen Schlüsselbund aus der Tasche und steckte den passenden Schlüssel in das rostige Schloß.
Der Graf drehte neugierig den Kopf, als er hörte, wie ein Schlüssel ins Schloß der schweren Tür geschoben würde. Schneller als der Professor erfassen konnte, was geschah, durchquerte der Vampir mit zwei langen Schritten den Raum. Er konnte die Furcht und das Erstaunen in den Augen des Wissenschaftlers sehen, als er ihm zu hauchte: "Vergiß' nicht, du bist mein Geschöpf!" Dann nahm er ihm mit einem Hieb gegen die Schläfe das Bewußtsein. Herbert würde nicht merken, was wirklich geschehen war, ein bewußtloser Vampir unterschied sich durch kein Anzeichen von einem Leichnam. Er würde die vermeintliche Leiche aus dem Verlies entfernen. Wenn der Professor erst einmal aus der Zelle entkommen war, würde er ihn zwingen können, zu seiner Hilfe zurückzukehren, den noch war der junge Vampir hilflos auf die Führung seines Erzeugers angewiesen. Bevor sich die Tür ganz geöffnet hatte, war der Graf bereits in der gegenüberliegenden Ecke des Raumes und starrte düster auf den breiter werdenden Spalt, hinter dem er ein flackerndes Licht sehen konnte. Verwundert hob er den Kopf als er den Herzschlag der Gestalt hörte, die sich schemenhaft gegen das Licht abzeichnete. Koukul? Er hatte nicht erwartet, dass Herbert dumm genug war, dem buckligen Diener so viel Vertrauen zu schenken. Die Gefahr, hintergangen zu werden war enorm und er hatte seinen Sohn nicht für einen Narren gehalten. Dann erkannte er jedoch, dass der Diener mindestens eben so erstaunt war, ihn vorzufinden, wie umgekehrt. Also war dieses Zusammentreffen nicht von Herbert geplant, sondern auf die Eigeninitiative des Gefolgsmannes zurück zu führen. Die Stimmung des Grafen verbesserte sich, beinahe konnte er bereits fühlen, wie die Kette sich von seiner Fessel löste. "Koukul!" begrüßte er gemessen, aber wohlwollend den verkrüppelten Mann, der immer noch sprachlos in die Zelle starrte.
Koukul wusste nicht, was er erwartet hatte, als er die Zelle aufschloß. Die Stimme seines Herrn kam im unwirklich vor und einen Augenblick zweifelte er daran, sie wirklich vernommen zu haben. Doch als er die Tür öffnete, sah er im Licht seiner Laterne die hochaufgerichtete und selbst im Schmutz der Zelle noch vornehm wirkende Gestalt seines Meisters. Gemischte Gefühle bemächtigten sich seiner. Würde sein Herr seine Dienste für den Sohn des Grafen als Untreue bestrafen? Oder konnte er mit der Dankbarkeit des Grafen rechnen, falls er es schaffte, ihn zu befreien?
Auch Sarah hatte die Stimme ihres adligen Verehrers erkannt. Der Klang hatte sie auffahren lassen, war es doch der erste Klang, den sie seit Stunden in ihrer Zelle vernommen hatte. Sie schöpfte Hoffnung. Sicher würde der wahre Herr des Schlosses sie nicht der Gewalt seines Sohnes überlassen.
Sie wußte von der besitzergreifenden Art des Grafen, die sie zu Beginn ihrer Bekanntschaft erschreckt, ihr später jedoch sehr geschmeichelt hatte. Sie hielt den Atem an, als sie angestrengt in die Dunkelheit lauschte, doch nur Stille umgab sie.
Von Krolock nahm die reglose Gestalt des Professors mühelos vom Boden auf und lud sie seinem treuen Diener auf die Schulter. Er hatte ihm tief in die Augen gesehen und gespürt, wie dessen Verstand sich seiner Herrschaft beugte, wie er es schon unzählige Male getan hatte. Doch zum ersten Mal erkannte der Graf, dass die uneingeschränkte Loyalität des Dieners mehr war, als er je Erzwingen hatte können. Selbst die härteste Grausamkeit des Vampirs war für den mißgestalteten Mann leichter zu ertragen, als der Spott und das Gelächter der Menschen. Ein Monster unter den Menschen, hatte er die Gesellschaft eines wahren Monsters gewählt und war nie für das bestraft worden, was er war. Der Graf staunte, dass ihm nicht bereits früher aufgefallen war, dass der Bucklige in ihm beinahe einen strengen aber gerechten Ziehvater sah und ihn auch so behandelte. Aber, so sagte er sich, früher war Koukul in seinen Augen nur ein nützliches Werkzeug gewesen. "Wenn dies alles vorüber ist." dachte er sich und konnte ein sardonisches Lächeln nicht unterdrücken "So muss ich Herbert unbedingt seinen 'Adoptivbruder' vorstellen." Er sah Koukul nach, als dieser schwankend die Gestalt des Professors die Treppe nach oben trug. Er würde ihn, wenn er erwachte, in der Nähe des Dorfes absetzen. Krolock fürchtete nicht um das Leben seines Dieners. Mit seinem eigenen Blut hatte er den Mann im Dunkel der Zelle gezeichnet und kein Vampir, der an seiner Existenz hing würde es wagen, ihn herauszufordern.
Koukuls Schritte waren laut in der Stille des Kerkers zu hören, als er wieder zurückkehrte. Entschuldigend machte er dem Grafen verständlich, dass der Schlüssel zu der Kette, welche seinen Herrn an die Wand der Zelle fesselte ausschließlich im Besitz seines Sohnes war. Der Graf schien sein Gestammel zu verstehen. Er zuckte mit den Achseln und sagte "Nun gut, alles zu seiner Zeit. Du weißt, ich bitte ungern darum, aber könntest du mir bei Deiner Heimkehr etwas mitbringen?" Koukul wusste wie unangenehm es seinem Herrn war, von ihm, einem Diener, etwas erbitten zu müssen. Der Graf hatte schon seit Jahrhunderten keine Bitte mehr an jemanden richten müssen. Koukul verstand, um was sein Herr ihn bat. Menschliches Blut... Er dachte kurz nach und verließ die Zelle des Vampirs, ohne sich die Mühe zu machen abzuschließen. Mit einem weiteren eisernen Schlüssel von seinem schweren Schlüsselbund öffnete er die Nachbarzelle und spähte ins Innere. In einer Ecke konnte er das junge Mädchen erkenne, an dem sein Meister vor wenigen Nächten Gefallen gefunden hatte. Der Aufenthalt in dem Gefängnis des Schlosses hatte ihr gepflegtes Äusseres zerstört, doch Schmutz und Kälte schienen ihre verletzliche Schönheit zu betonen. Er näherte sich vorsichtig der verängstigten Frau und zog sie sanft auf die Füße. Nachdem er sie befreit hatte, führte er sie aus ihrer Zelle. Ihre Augen hatten sich noch nicht an das Licht der Laterne gewöhnt, als er sie mit sanftem Druck zum Grafen geleitet. Sie betrat die Zelle zögernd. Koukul stellte die Laterne auf dem Fußboden ab, verschloß die Tür und verließ den Keller.
Alfred konnte das schwankende Licht an dem Pferdeschlitten von seiner Position am Fenster deutlich erkennen, als Koukul das Pferd aus dem Hof in Richtung der schmalen verschneiten Straße führte. Zuvor hatte er beobachtet, wie der Diener eine reglose Gestalt auf das Gefährt lud. Der Verdacht, der Alfred erzittern lies wurde immer stärker. Er würde den Professor nie mehr lebend wieder sehen. Er konnte seine Tränen nicht zurückhalten, als er dem kleinen schwankenden Lichtpunkt in der Finsternis mit den Augen folgte. "Allein!" fuhr es ihm durch den Kopf. Zum ersten mal fühlte er die Mauern des Schlosses wie eine erdrückende Last auf seinen Schultern. Niemand mehr, den er um Rat fragen oder um Anleitung bitten konnte. Jede Entscheidung - sein. Was mochte seinem Mentor zugestoßen sein? Hatte er gelitten? Vor seinem inneren Auge spielten sich grausame Szenen ab. Nur der Gedanke an Sarah, die in der Tiefe des Verlieses auf Rettung wartete, hielt den jungen Mann davon ab, sich aus dem Fenster auf den verschneiten Innenhof zu stürzen, um dem Schicksal des Professors zu entgehen.
Im Schein der Laterne, die Koukul zurückgelassen hatte, konnte Sarah das Gesicht des Grafen erkennen. Seine Wangen wirkten blasser und eingefallener, als bei ihrem ersten Zusammentreffen vor wenigen Tagen, aber er hatte nichts von seiner stolzen und einschüchternden Art verloren. Abwartend schien er sie zu mustern. Ungewollt errötete Sarah, als sie seinen eindringlichen Blick spürte. Wie konnte er sie durch seine bloße Gegenwart so unsicher machen? Langsam und bewußt hob sie den Blick wieder und sah ihm tief und herausfordernd in die Augen. Diese Augen! Sarah verlor sich in den Tiefen der beiden schimmernden Sterne. Je länger sie seinem Blick standhielt um so weniger konnte sie den Ausdruck seiner Augen deuten. War es Ruhe und Weisheit? Wissen? Macht? Für einen Augenblick war sie sich sicher, eine unendliche Müdigkeit zu erkennen, um im nächsten davon überzeugt, Hunger und Zorn in den Tiefen brennen zu sehen. Er schien sie abzuschätzen, seine Augen drangen in ihr Innerstes vor. Scheinbar fand er die Anworten in ihr, die sie selbst in seinem Blick nicht erkennen konnte. Das Kaleidoskop der Gefühle und Empfindungen in seinen Augen verschwand und machte einem sanfteren, aber forderndem Ausdruck Platz. "Komm zu mir Sternkind!" sprach er sie mit dem Kosenamen an, den er ihr gegeben hatte. Ohne sich ihrer Handlung bewußt zu werden, legte sie eine Hand in die ausgestreckte Rechte des Grafen und ließ zu, dass er sie näher zu sich zog. Seine Hand war ruhig und kühl. Langsam hob er ihre Hand an seine Lippen und berührte sie. Sarah hielt den Atem an. Die Spannung in dem kleinen Raum war deutlich zu spüren. Gespannt hielt sie still, als er ihre Hand dreht und ihr Handgelenk mit seinen Lippen streifte. Die Berührung war sanft, seine Lippen unnatürlich kühl. Wieder suchte er mit seinen Augen Blickkontakt. Sarah spürte, dass er sie mit einem Arm noch näher an sich zog, sie an sich presste, als hungere er nach der Wärme ihres Körpers. Die zweite Hand hielt noch immer ihre Hand. "Schließ die Augen und laß mich dich führen!" Die sonst so wohltönende Stimme des Vampirs klang rauh, als er angestrengt versuchte, seinen Hunger zu zähmen. Sarah sah erschrocken zu ihm auf, das gierige Verlangen in seiner Stimme ließ sie zurückschrecken. Doch der Griff des Grafen lockerte sich nicht. Panik breitete sich in ihr aus, als sie keinen Millimeter von dem auf einmal sehr gefährlich wirkendem Wesen der Nacht zurück weichen konnte.
Von Krolock zog verärgert die Brauen zusammen. Er hatte seine Kontrolle über die junge Frau in seinen Armen überschätzt. Trotz ihrer Jugend und Unerfahrenheit war sie stark. Stark genug um dem Vampir entgegen zu treten. Bei dem Spiel der Verführung, das er liebte, durfte er sich, wie er nun erkannte, in ihrem Fall nicht ausschließlich auf die Anziehungskraft seiner vampirischen Existenz verlassen. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte er die Herausforderung, die sie darstellte willkommen geheißen, hätte das Spiel über Wochen gespielt, um der Eintönigkeit und Langeweile seiner Nächte zu entgehen. Doch gerade zu diesem Zeitpunkt war er auf ihr Blut angewiesen. Andererseits wollte er wenn möglich vermeiden, ihr Leben mit Gewalt zu nehmen. Ihr kindlicher Charme hatte ihn verzaubert. Auch wenn es schon seit Jahrhunderten niemandem mehr gelungen war, sein Herz zu berühren, hatte die Tochter des Wirtes Wärme in sein Heim gebracht. "Und wenn ich ganz ehrlich sein soll," dachte er bei sich "Wer würde sie nicht begehren?" Ihre Jugend, die Lebensfreude und Energie zogen ihn an, ließen ihn sein Alter vergessen. Er zwang sich, ihre Hand loszulassen, lockerte seinen Griff ein wenig, ohne sie aus seinen Armen entfliehen zu lassen, und versuchte, sie mit so viel Geduld und Sanftheit wie er aufbringen konnte wieder zu beruhigen. "Sssssh, Kind, alles ist in Ordnung. Hab' keine Angst. Du weißt, dass ich nichts tun würde, was Du nicht willst." Mit der Rückseite des Zeigefingers fuhr er sanft über ihre Wangen. Die fluchtbereite Anspannung in ihrem Körper lies nach und er lies seine freie Hand weiter sanft über ihren Körper wandern, bis er spürte, wie sich eine Spannung anderer Art in ihr ausbreitete. "Schließ die Augen und vertrau mir!" hauchte er und diesmal gelang es ihm beinahe, den Hunger aus seiner Stimme zu verbannen.
Gehorsam schloß Sarah die Augen und konzentrierte sich auf die Stimme und die Berührungen des Vampirs. "So ist es gut, ganz ruhig!" Die Worte hüllten sie ein, seine kühlen Finger zeichneten die Linien ihres Körpers nach und hinterließen kribbelnde Spuren auf ihrer Haut. Sie wußte, was kommen würde, erinnerte sich dunkel an den plötzlichen Schmerz des Bisses, als der Graf seinen Preis auf dem Ball eingefordert hatte. Doch gleichzeitig war ihr klar, dass er sich dieses Mal noch zurückhielt. Sein Angriff würde nicht wieder so plötzlich und überraschend kommen. Und tief in ihrem Inneren musste sie sich eingestehen, dass sie das Gefühl genossen hatte, für einen Augenblick das Zentrum seines Universums zu sein. Die Sanftheit die er in dem Bemühen sie zu beruhigen an den Tag legte, verbarg seine fordernde Wildheit nur unzulänglich. Aber dies schreckte Sarah nicht. Sie genoß das Gefühl, dass ihre Gegenwart ihn zwang um seine Selbstbeherrschung zu kämpfen. Wenn er verlor, war es ein Sieg für sie. Dies war ihr letzter klarer Gedanke, bevor sich ihre Welt auf einen Strudel des Gefühls beschränkte.
Zufrieden beobachte der Vampir, wie die Augen der jungen Frau in seinem Arm sich gehorsam schlossen. Er konnte fühlen, wie sie auf seine Stimme und die zärtliche Berührung seiner Finger reagierte. Gelöst lag sie wieder dicht an ihn gepreßt in seinem Griff. Sie hieß ihn willkommen, war bereit für seinen dunklen Kuss. Auf ihrem Gesicht lag ein sanftes Lächeln, als er sich über sie beugte. Federleicht berührte er mit den Lippen ihr Ohr. "Spüre die Ewigkeit." flüsterte er, dann glitt sein Mund über ihre Wange, folgte den Konturen ihres Gesichts zu ihrem Hals, bis er das schnelle Schlagen ihres Pulses unter seinen Küssen fühlen konnte.
Voller Erwartung hielt Sarah den Atem an. Der Mund des Grafen bedeckte ihre Kehle mit zärtlichen Küssen, sie konnte die scharfen Zähne hinter seinen sanften Lippen spüren. Noch hielt er seinen Hunger zurück, doch die junge Frau wußte, was sich hinter der Maske ihres Liebhabers verbarg. Schon einmal hatte sie die Schwelle mit ihm überschritten, damals ein verängstigtes Kind, das sich der wahren Natur ihres Verführers nicht bewußt war. Dieses Mal lag sie freiwillig und wissend in seinen Armen. Als die Zunge des Vampirs über die Vene ihres Halses strich, bereitete sie sich innerlich auf den Schmerz vor.
Ohne weiter zu zögern biß er zu. Blut strömte warm und berauschend in seinen Mund. Die ersten Schlucke überwältigten seine Sinne, seine Welt beschränkte sich auf das Aroma des Lebens. Die Frau in seinem Griff stöhnte auf und versuchte schwach, sich seinen Händen zu entwinden. Doch von Krolocks Griff lockerte sich nicht. Nach einigen Sekunden erlosch ihr Widerstand und der Graf ließ sich mit seinem Opfer auf den Boden der Zelle sinken. Nachdem sein erster Hunger gestillt war, trank er langsam und genüßlich das ausströmende Blut.
Der Schmerz, als sich die scharfen Fänge des Vampirs in ihre Haut bohrten war unerträglich. Unwillkürlich versuchte Sarah, sich ihm zu entziehen. Doch der eiserne Griff ließ kein Entkommen zu. Hilflos musste sie sich ihm ergeben. Nach einigen Sekunden reduzierte sich der Schmerz auf ein dumpfes Pochen. An die Brust des Grafen gelehnt, ließ Sarah sich in die Dunkelheit fallen. Seine Gegenwart, den Halt, den er ihrem Körper gab, seine Zähne an ihrem Hals, seine Zunge an der Wunde, waren der Sinn ihres Daseins. Ohne ihn würde die Dunkelheit sie verschlingen. Sie spürte, wie ihre Kraft nachließ, ihre Beine nicht länger das Gewicht ihres Körpers tragen konnten. Nur die Arme ihres dunklen Engels bewahrten sie davor, zu Boden zu sinken. Nach einer Zeit, die ihr wie die Ewigkeit vorkam, ließ der Vampir sie sanft in seinen Armen zu Boden gleiten. Ohne seine Lippen von der Wunde zu lösen folgte er ihr.
ANMERKUNG: Abblende... hier könnte einiges passieren, das der Leser sich besser in seiner (und ich bin mir sicher, einige von euch haben eine blühende) Fantasie ausmalt ;-)
Abronsius erlangte das Bewußtsein in einer tiefen Schneewehe wieder. Erstaunt und verwirrt setzte er sich auf und blickte sich um. Er befand sich an der Straße, die zu dem Dorf führte, in dem er und sein Assistent vor einigen Tagen eingetroffen waren. Es schneite leicht und Schnee rieselte zu Boden, als der Professor sich aufsetzte. Die fallenden Flocken hatten die Schlittenspur auf dem Weg noch nicht bedeckt. "Was geht hier vor?" fragte sich der Wissenschaftler. Die Lichter des Dorfes verhießen Wärme und lockten ihn. Erstaunt, dass ihm der klirrende Frost zwar unangenehm war, jedoch nicht in dem Maße, wie er es aus seinem sterblichen Leben gewöhnt war, machte er sich auf den Weg. Seine Gedanken kreisten um sein neues Dasein. Bisher hatte er seine schärferen Sinne, die Stärke und Ausdauer noch nicht erproben können. Er verfiel versuchsweise in einen Dauerlauf und stellte erstaunt fest, dass er problemlos längere Zeit laufen konnte. "Eines ist sicher, das Seitenstechen und die Kurzatmigkeit ist etwas, das ich bestimmt nicht vermissen werde!" stellte er fest. Überhaupt fühlte er sich in seinem Körper sehr wohl. Die Gebrechen des Alter hatte er verloren. Vielleicht war seine Vorstellung von einem Dasein als Untoter von Vorurteilen geprägt? Bislang hatte er nicht dass Gefühl, ein blutdürstendes geiferndes Monster zu sein, dessen Gedanken sich einzig und allein auf das Töten konzentrierten. Ein Knacken im Gebüsch erregte seine Aufmerksamkeit. Mühelos konnte er den Ursprung des Geräuschs ausmachen. Ein dick vermummter Schatten schlich durch die Dunkelheit. Das Schlagen eines Herzens dröhnte in seinen Ohren. Neugierig schlich der neugeborene Vampir näher an die Gestalt heran. Ein Mann, unrasiert und nach Alkohol riechend quälte sich mit einem Sack durch das Unterholz. Von Zeit zu Zeit hielt er inne, um eine Schlinge zu kontrollieren. Endlich hatte er Erfolg. Ein in der Kälte schon steif gefrorenes Kaninchen verschwand im Sack des Mannes. Als er sich umdrehte, um wieder in Richtung des Dorfes zu wandern, stand Abronsius hinter ihm. Erschrocken fuhr der Bauer zusammen. Als er die schmächtige Gestalt des Professors im Dunkeln wahrnahm, beruhigte er sich wieder. Sein Herzschlag verlangsamte sich ein wenig und der Professor konnte die Erleichterung des Fremden spüren. Die war ein Gegner, mit dem der Mann sich zutraute fertig zu werden. Der Puls des Mannes und das Blut, das verlockend durch dessen Adern strömte, schien Abronsius zu rufen. Keine Macht der Welt konnte ihn jetzt stoppen! Obwohl er noch einige Momente zuvor geglaubt hatte, seine neuen Instinkte unter Kontrolle zu haben, schenkte er dem unglücklichen Menschen jetzt ein unheilvolles Lächeln, bei dem seine neuen Fänge bedrohlich im Licht des Mondes glänzten. Mit einem Aufschrei warf der Bauer den Sack nach dem Vampir und drehte sich um. Schnaufend lief er in den dichter werdenden Wald hinein. Ärgerlich befreite sich Abronsius von dem alten Leinensack. Er war sich seiner Sache zu sicher gewesen. Zähnebleckend folgte er den Fußspuren des Mannes, entschlossen, diese Beute nicht entkommen zu lassen. Sein Verstand kämpfte auf verlorenem Posten, gegen die Verlockung des Blutes hatte der Neugeborene keine Chance.
Als er den Mann erreichte warf er sich ohne zu zögern auf dessen Rücken und in einer Wolke aus Schnee gingen die beiden zu Boden. Gierig zerrte er den wollenen Schal um den Hals des Menschen zur Seite schlug er seine Zähne in dessen Hals. Der Geruch von Alkohol überdeckte den abstoßenden Geruch nach Knoblauch, den der Professor naserümpfend zur Kenntnis nahm, beinahe. Die Hände des Mannes schlugen um sich und griffen ins Leere. Auf einmal schloß sich ihr Griff um einen Ast, der von Schnee bedeckt auf dem Waldboden gelegen hatte. Mit der Kraft eines Verzweifelten stieß der Mann den Vampir von sich und näherte sich drohend dem zu Boden gegangenen Geschöpf mit dem Ast. "Das ist für meinen Sohn und meine Frau, Satan!" rief er, als er auf den Vampir losging. Überrascht sah Abronsius zu der bedrohlich spitzen Waffe auf. Verzweifelt wich er aus, als der Bauer sich auf ihn stürzte. Es gelang ihm, dem Mann die tödliche Waffe aus den Händen zu winden. Wut vernebelte seine Sinne. Zuckend starb der Mensch in seiner Umarmung. Mit dem Geschmack des Blutes seines ersten Opfers im Mund, kam der Professor wieder zu Sinnen. Angeekelt befreite er sich von der erkaltenden Leiche des Bauern. Sein Gewissen, das sich bisher nicht geregt hatte machte ihm zu schaffen. Er war genau zu dem Geschöpf geworden, dass er gejagt und verachtet hatte. Ein Mörder. Die zivilisierte Schale konnte sein Wesen nicht verbergen, in seinem Innersten war er verdammt. Trotz seiner Vorsätze und seines überlegenen Verstandes hatte er einen Menschen getötet. Beschämt kehrte er zur Straße zurück. Als er den Sack mit dem toten Kaninchen fand, nahm er ihn an sich und folgte der Straße ins Dorf. Er wanderte durch die leeren Straßen, sah in erleuchtete Fenster und trauerte um seine Sterblichkeit. Das tote Kaninchen ließ er auf der Schwelle eines Bauernhauses zurück. Vor dem Geschäft einer Schneiderin sah er den Schlitten des Grafen stehen. Die Fenster waren noch erleuchtet und Abronsius konnte durch die Eisblumen am Fenster Koukul erkenne, der einer eingeschüchterten grauhaarigen Frau mühsam seine Wünsche erklärte. Er wanderte weiter, bis er zu dem Gasthaus kam, das ihn vor einer Ewigkeit, wie es ihm erschien, beherbergt hatte. Als er sich dem Gebäude näherte, öffnete sich die Tür und zwei Männer traten aus dem Schein des Feuers ins Freie. Die Wirtin wollte gerade die Tür hinter den letzten Gästen schließen, die Anzeichen der Trauer tief in ihr Gesicht gegraben, als die drei ihn erkannten. Keine der Personen zweifelte einen Augenblick, was für ein Geschöpf sie vor sich hatten. Das Zetern der Witwe rief die Nachbarschaft zusammen. Eine Gruppe Menschen näherte sich bedrohlich dem Professor. Dieser Eine sollte für alles bezahlen, was das Dorf unter der Herrschaft des Vampirs zu erleiden hatte. Ohne nachzudenken drehte sich Abronsius um und ergriff die Flucht.
Koukul verließ das erleuchtete Geschäft in der Gewißheit, dass der Auftrag zu seiner Zufriedenheit erledigt werden würde. Morgen würde er die bestellten Vorhänge abholen können. Das aufgebrachte Schreien einer wütenden Menge machte ihn neugierig. Er bestieg den Schlitten und lenkte ihn langsam über die Hauptstraße. Bald konnte er eine dürre Gestalt erkennen, die vor den aufgebrachten Menschen floh. Als der Verfolgte näher zu ihm aufschloß, konnte er die furchtsam verzerrten Gesichtszüge des Professors ausmachen. Ohne darüber nachzudenken zügelte er das Pferd, bis dieser vollständig zu ihm aufgeschlossen hatte. Dann packte er den erstaunten Vampir am Kragen seines Gewands und hob ihn mühelos zu sich auf den Bock. Mit knallender Peitsche trieb er dann das Pferd an und schon bald hatten sie das Dorf weit hinter sich gelassen und näherten sich dem Schloß, das sich deutlich gegen den Nachthimmel abhob. Der Professor an seiner Seite schwieg beharrlich. Koukul musterte ihn neugierig. Nur wenige Vampir wären vor dem Mob geflohen. Die meisten warfen sich in den Kampf, um so viele Menschen wie möglich mit sich in den Tod zu reißen. Nur wenige - diejenigen mit der Gabe zu überleben und sehr mächtig zu werden - wußten, wann es besser war einem Kampf auszuweichen. Dieser Neugeborene würde sich in einigen Jahrhunderten zu einer Ernst zu nehmenden Gefahr entwickeln. Der Graf hatte seine Kinder immer sorgfältig gewählt und auch dieses würde ihn nicht enttäuschen. Koukul nickte zufrieden vor sich hin. Bald würde wieder Ruhe im Schloß einkehren.
Im Schloß angekommen, schirrte Koukul das Pferd aus, rieb es ab und führte es in den Stall, wo er es fütterte. Das Reitpferd des Sohnes seines Meisters stand noch nicht im Stall. Also führte der Diener den gleichgültigen Vampir widerstandslos in den Keller des Schlosses. Vorsichtig schloß er den Kerker des Grafen auf und spähte in die Zelle. Ineinander geschlungen lagen der Vampir und die schöne rothaarige Tochter des Wirtes auf dem spärlich mit Stroh bedeckten Steinfußboden der Zelle. Von Krolock hob langsam den Kopf und fixierte den Buckligen. Dieser gab Abronsius einen Stoß und schob ihn unsanft in die Zelle.
Der Graf musterte den Professor intensiv. Die Passivität seines Jüngers besorgte ihn. Der junge Vampir hatte getrunken, ein Rest des Blutes verschmierte immer noch seinen Mund. Doch die Augen starrten leer in den Raum. "Ich hätte ihn bei seiner ersten Jagd nicht alleine lassen dürfen" dachte der Graf verärgert. Die Lust am Tod eines Menschen, war für die meisten Vampire ein Schock, in manchen Fällen mussten sie behutsam heran geführt werden. Diejenigen, die auch im Leben schon skrupellos genug zum Morden gewesen waren, wurden selten gute Vampire. Im Rausch metzelten sie unzählige Opfer hin und wurden schnell von den aufgebrachten Menschen oder von ihrem eigenen Erzeuger getötet, den sie mit diesem Verhalten in Gefahr brachten. Doch was geschehen war, war geschehen. Er musste den Professor auf andere Gedanken bringen. In gewisser Weise war sein wissenschaftlicher Verstand ein Segen. Ein Problem zu lösen würde ihm helfen. Von Krolock richtete sich auf, wobei Sarah von ihm glitt. Er legte den Kopf der Reglosen vorsichtig zu Boden und sprach Abronsius an: "Professor?" Als er spürte, wie sich dessen Blick langsam wieder fokusierte und die Gedanken in die Gegenwart zurückkehrten sprach er weiter: "Kind, es ist Zeit, dir deinen Platz zu verdienen!" Innerlich erlaubte sich der Vampir ein Lächeln, als er die Reaktion Abronsius auf diese Anrede bemerkte. Er würde sich bald Zeit nehmen und einige Einzelheiten der vampirischen Etikette mit seinem Sprößling besprechen müssen. Streng musterte er den Wissenschaftler und dieser verschluckte die protestierende Bemerkung, die ihm schon auf der Zunge lag. Von Krolock ließ sich nichts anmerken, als er seinen Schützling anwies, sich vor den anderen Vampiren verborgen zu halten und nach dem Schlüssel zu der Kette zu suchen, die den Grafen noch immer an die Wand seines Gefängnisses fesselte. Abronsius lauschte wortlos. "Wenn der Schlüssel in deinem Besitz ist, kehre zu mir zurück. Du wirst belohnt werden. Dein neues Leben muss verwirrend sein, ich werde dir zeigen, welche Geheimnisse die Nacht und dein neues Dasein birgt. Fürchte nicht, jedes Begehren kann kontrolliert werden, dir fehlt nur noch die Erfahrung und Disziplin. Lerne!" versprach der Graf. Zum ersten Mal, seit er dem älteren Vampir gegenüberstand zeigte sich eine positive Regung auf dem Gesicht des anderen Mannes. Von Krolock nahm die Neugierde und Hoffnung, die in dessen Augen brannte erfreut zur Kenntnis. Er schien einen ebenbürtigen Verstand gefunden zu haben. Gemeinsam würden sie der Natur ihre Geheimnisse entreißen. Er entließ Koukul und wandte sich wieder der nur scheinbar leblosen Gestalt der jungen Frau zu, die zu seinen Füßen lag, als die Tür ins Schloß fiel.
Abronsius folgte Koukul langsam die steinerne Treppe mit den unregelmäßigen Stufen hinauf. Das Licht der Lampe, die der Diener trug, malte Schatten an die Wände. Entschlossen verdrängte der Professor jeden Gedanken an den Tod des Menschen. Als sie die oberen Stockwerke erreichten, bat er Koukul um eine Waschschüssel und warmes Wasser. Lange wusch er sich Gesicht und Hände, bis er sich sicher war, dass kein Tropfen Blut mehr an ihm klebte. Er näherte sich einem alten, halbblinden Spiegel, um sein Erscheinungsbild zu überprüfen. Doch die glatte Fläche zeigte ihm nur den hinter ihm liegenden Raum. Fasziniert beugte er sich vor und berührte die kühle Oberfläche. Nichts. Die Naturgesetze schienen aufgehoben. "Dieses Rätsel muss ich lösen!" schwor sich der Wissenschaftler, als er ein Taschentuch aus einer seiner Taschen zog und damit vor dem Spiegel herum wedelte. Solange er den Stoff in der Hand hielt, zeigte sich kein Abbild, ließ er ihn los, war das Spiegelbild des langsam zu Boden sinkenden Tuchs deutlich zu erkennen. Koukul kehrte mit ein paar alten Kleidungsstücken im Arm zurück. Der Schnitt war altmodisch und etwas zu groß für einen Mann von der Statur des Professors, doch im Gegensatz zu dem Wams, den er auf dem Ball gestohlen hatte und in dem er gestorben war, waren sie sauber. Abronsius schloß die Tür hinter dem Buckligen und kleidete sich an. Von Neugierde gepackt, entschloß er sich dann, die unzähligen Zimmer und Säale des Schlosses zu erkunden, immer darauf bedacht, niemandem zu begegnen.
Alfred war erschöpft. Die Trauer und Hilflosigkeit der letzten Stunden waren einer tiefen Müdigkeit gewichen. Kraftlos saß er auf einem Sessel und starrte an die Wand. Die Zukunft erschien ihm düster und leer. Ein Geräusch gelangte an sein Ohr. Ein leises Kratzen an der Tür zu seinem Gefängnis. Gleichgültig und zu müde um Furcht zu empfinden, hob er den Kopf, als die Klinke herunter gedrückt wurde. Die Tür war noch immer verschlossen und öffnete sich nicht. Alfred traute seinen Ohren nicht, als er die Stimme seines Professors hörte, der seiner Enttäuschung Luft machte. "Professor!" rief er laut "Hier bin ich." Aufgeregt stürzte er zu der Tür. Sein linker Fuß verfing sich in einer Falte des staubigen Läufers und mit lautem Gepolter ging der junge Mann zu Boden. "Junge, alles in Ordnung?" konnte er die fragende Stimme Abronsius' von jenseits des Holzes hören. "Es geht mir gut, Professor." Versicherte er ihm zerknirscht und rieb sich das Knie, als er aufstand. "Aber wie... ich dachte... sie wären... tot." Seine Stimme wurde bei diesen Worten immer leiser. "Keine Sorge, es geht mir gut." Bei dieser Lüge schämte sich Abronsius ein wenig und so lenkte er schnell ab ".Allerdings brauche ich deine Hilfe dringend. Wie bist du denn bloß da hineingekommen, hmm? In solche Situationen kannst auch nur du geraten. Wer hat denn den Schlüssel?" Alfred spürte wieder vertrauten Boden unter den Füßen, als er die gutmütigen aber leicht vorwurfsvoll vorgetragenen Fragen hörte. "Möglicherweise hat der Bucklige einen Schlüssel. Und natürlich der Sohn seiner Exzellenz. Helfen Sie mir, Professor, wir müssen hier weg!" drängte der junge Assistent. "Eile mit Weile." erwiderte der Professor. "Sag, glaubst du, du könntest dem Sohn seiner Exzellenz einen Schlüssel entwenden? Ich bin leider nicht in der Verfassung, es mit diesem Diener aufzunehmen. Ach, wenn ich nur ein paar Jahre jünger wäre... Also, glaubst du, dass du es schaffst? Ich werde mich im Schloß versteckt halten und nach einer Möglichkeit Ausschau halten zu entfliehen." "Ich?!" Alfreds Stimme überschlug sich. "Ich habe ihn schon seit Stunden nicht mehr gesehen. Bitte, können sie die Tür nicht ohne den Schlüssel öffnen? Ich habe Angst vor ihm. Er ist mir unheimlich." "So ein Unsinn, Junge, stell' Dich doch nicht so an. Wer wird denn zimperlich sein, wenn es um unser aller Leben geht? Sarah verläßt sich auf Dich! Es ist schon für einen schwer genug, sich hier zu verstecken. Wenn diese Tür geöffnet ist und dein Fehlen bemerkt wird, wird der Sohn seiner Exzellenz persönlich jeden Stein umdrehen. Solange wir das Schloß nicht sofort verlassen können, wirst du bleiben müssen. Oder erwartest du etwa, dass sich ein alter Mann mit diesem... Möchte-gern-Grafen anlegt? Diese Jugend! Kümmere Du dich um den Schlüssel." "Aber welchen Schlüssel, Herr Professor, welchen? Ich kann doch nicht einfach fragen, welcher der richtige ist." erwiderte Alfred kläglich. "Stell' dich doch nicht dümmer, als du bist. Bestimmt hat er einen Schlüsselbund, einer der Schlüssel wird schon passen. Na, und die restlichen werden uns bei unserer Flucht ebenfalls nützlich sein. Je mehr Türen wir öffnen können, um so besser!" Auf einmal hörte Abronsius Schritte auf einer Treppe, die in den Flur mündete. "Ich muß mich verstecken, Junge. Besorge einfach jeden Schlüssel, den du kriegen kannst!" verabschiedete er sich hastig - "Und vielleicht ist ja auch der Schlüssel für die Kette des Grafen dabei..." dachte er sich, als er eilig den Flur verließ.
Zufrieden verließ Herbert das Geschäft des Schneiders. Gehorsam hatte der Mann Maß genommen und den Wünschen und Vorstellungen des Vampirs gelauscht. Dann hatte er mit zitternden Händen einen Vorschuß für seine Dienste entgegen genommen und versichert, die Ware so schnell wie möglich zu liefern. Herbert lächelte. Seine bloße Gegenwart hatte den Menschen nervös schlucken lassen. Er erinnerte sich noch gut an den Mann. Vor 20 Jahren hatte dieser seine Annäherungsversuche energisch und erfolgreich abgewehrt, bis Herbert schließlich verletzt aufgab. Damals hatte der Vampir auf Rache gesonnen, doch sein Vater hatte ihm geraten, sich in Geduld zu üben. "Die Zeit ist auf deiner Seite!" lautete sein Rat. "Sie ist eine Feindin, deren Grausamkeit unsere bei weitem übertrifft... und deine Verbündete." Seufzend erinnerte sich Herbert, wie feige und langweilig ihm sein Vater erschienen war. Aber aus dem fröhlichen und abenteuerlustigen jungen Menschen war ein verängstigter Mann geworden. Sorgen und Alter hatten Spuren in seinem Gesicht hinterlassen und Furcht ließ ihn immer über seine Schulter blicken. Als der Vampir auf der Schwelle des Hauses gestanden hatte, hatte der Schneider ihn furchtsam angestarrt und begonnen zu beten. Herbert hatte ihn erst überzeugen müssen, dass er nicht gekommen war, um sein Leben zu beenden. Der Sohn des Grafen war erstaunt, dass der Mensch all die Jahre in Furcht vor seiner Rache gelebt, er selbst hingegen die Existenz des Mannes beinahe vergessen hatte, bis er ihm heute wieder gegenüber stand. Der Rat seines Vaters war weise gewesen. Er bestieg sein Reittier und ritt zu einer Straße, die aus der Stadt heraus führte. Er trieb sein Pferd an und erreichte das Schloß eine Stunde vor dem Morgengrauen. Eilig übergab er die Zügel an Koukul, der seine Ankunft schon auf dem Hof des Schlosses erwartete. Dann eilte er die Stufen des Gebäudes hinauf. Zufrieden bemerkte er, dass die angebrachten Läden seines Zimmers nun das Licht des Tages zuverlässig aussperrten. Die neuen Vorhänge würden bald jedes Risiko ausschließen. Koukul hatte auch einen zusätzlichen Riegel an der Innenseite der Tür angebracht, damit sein Herr nicht durch unwillkommene und unvorsichtige Besucher gestört werden konnte. Mit ausgestreckten Armen ließ sich der Vampir der Länge nach auf das Bett fallen. Das alte Holz knarrte protestierend und eine Wolke Staub stieg aus den alten Stoffen auf. Herbert setzte sich wieder auf und beobachtete, wie die Staubkörner im Mondschein tanzten und sich dann langsam zu Boden senkten. Er klopfte seine Kleidung aus und verließ das Zimmer wieder, um nach Alfred zu sehen.
Alfred hörte, wie der Schlüssel sich im Schloß drehte. Nervös stand er aus dem Sessel auf, in dem er die letzten Stunden verbracht hatte und drehte sich zur Tür. Wie er es erwartet hatte, betrat der Sohn des Grafen den Raum. Ein breites Lächeln, dass Alfred eine Gänsehaut über den Rücken laufen ließ, lag auf seinen Lippen. Entschlossen richtete er sich auf und musste unwillkürlich Schlucken, als der Blick des Vampirs sich auf ihn richtete. "Ich kann das, unser aller Leben hängt davon ab. Ich habe keine Angst vor ihm." Wiederholte er innerlich immer wieder und wieder. Entschlossen blieb er weiterhin auf seinem Platz stehen, als Herbert sich näherte.
Der Vampir bewunderte den Mut des Menschen. Seine Furcht erfüllte den Raum, er konnte deutlich spüren, wie der junge Mann darum rang, seine Angst nicht zu zeigen. "Oh, Alfred, du hast keinen Grund, mich zu fürchten..." dachte er. "Obwohl..." er konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, die Furcht machte den jungen Wissenschaftler noch begehrenswerter für den Vampir. Nachdenklich musterte er die Gestalt Alfreds. Es kostete ihn viel Kraft, das Blut des Menschen nicht zu kosten, doch er war sich sicher, dass sich die Zurückhaltung auszahlen würde. "Wie geht es dir, Alfred?" fragte er, darauf bedacht, die Furcht die dieser ihm entgegen brachte zu zerstreuen. Alfred starrte ihn zuerst nur an und brachte keinen Ton hervor. Dann schien er sich einen Ruck zu geben. "Danke gut... und... und Ihnen?" fragte er kläglich. Amüsiert erkannte Herbert, dass der Assistent des Professors sich innerlich über seine Ungeschicktheit ärgerte. Der Vampir lächelte ermutigend. Er fand den unbeholfenen Versuch Alfreds, eine Unterhaltung zu beginnen, sehr ermutigend. "Danke, Alfred, sehr gut!" antwortete er und genoß es, den Namen seines Angebeteten auszusprechen. "Wie hast du die Nacht verbracht? Es tut mir leid, dich allein gelassen zu haben." "Oh, das war kein Problem, wirklich!" entgegnete der junge Mann hastig. "Die Studien hier haben mich fasziniert. Es ist erstaunlich, was ich alles erfahren habe." Bei diesen Worten deutete er auf den Tisch und seine Wangen röteten sich, als er weiter sprach: "Ich meine, ich hätte nie gedacht, dass sich Vampir für etwas anderes als Blut interessieren... nicht, dass ich Vampire für dumm gehalten habe, nein, nur..." Alfred verstummte. Herbert erbarmte sich Alfreds. "Oh, keine Angst, ich nehme dir das nicht übel, du hast mich nicht beleidigt. Ausserdem ist dies das Zimmer meines Vaters, das hier sind seine Studien. Weißt du, wenn man so lange lebt, ist Langeweile ein großes Problem. Womit soll man sich bloß die vielen langen Abende beschäftigen?" seufzte er. "Im Laufe der Jahre hat fast jeder Vampir sich schon mit Forschung, Kunst oder Philosophie beschäftigt. Obwohl manche von uns Zerstreuung auch in weltlicheren Bereichen suchen." fügte er hinzu und zwinkerte Alfred zu.
Langsam begann Alfred sich ein wenig zu entspannen. Der Sohn des Grafen hatte ihm nicht in einem teuflischen Wutanfall den Kopf abgerissen, sondern führte ein - zugegeben etwas verkrampftes, aber dennoch - normales, zivilisiertes Gespräch mit ihm. Die Erkenntnis, dass Vampire mehr als von ihren Trieben gesteuerte Ungeheuer waren, war gleichzeitig faszinierend und erschreckend. Krampfhaft überlegt Alfred, wie er unauffällig an den Schlüsselbund des Vampirs gelangen konnte. Als Herbert die Tür geöffnet und den Raum betreten hatte, hatte er sie nicht wieder verschlossen, sondern den Schlüssel in einer Tasche seiner Kleidung verstaut. Alfred zögerte. Der junge Mann war sich sicher, dass es nicht unauffällig möglich war, die Taschen seines Gegenübers abzutasten. Außerdem war es sehr wahrscheinlich, dass der Vampir diese Geste mißverstand. Angestrengt bemühte er sich, einen funktionierenden Plan zu entwerfen. Herbert nahm ihm diese Mühe ab. Locker legte er dem Nachwuchswissenschaftler einen Arm auf die Schulter. Alfred reagierte. Mit seinen Händen versuchte er, den Vampir von sich zu schieben. Ihm war klar, dass seine Chancen, sich aus dem Griff seines Verehrers zu befreien, gering waren, aber seine scheinbare Gegenwehr ermöglichte ihm, die Taschen in dessen Kleidung vorsichtig zu überprüfen. Da war er, der Schlüsselbund! Ohne nachzudenken ließ Alfred sich fallen während er in die Tasche griff und seine Finger sich fest um das kalte Metall schlossen. Überrascht folgte Herbert ihm, als er das Gleichgewicht verlor. Das Gewicht des Vampirs drückte ihm zu Boden, aber er schaffte es, den Schlüsselbund in eine Tasche seiner Jacke zu schieben. Dann versuchte er, sich von dem Sohn des Grafen zu befreien.
Herbert konnte sein Glück nicht fassen. Er hatte Alfred genau dort, wo er ihn sich erträumte. Amüsiert beobachtete er die fruchtlosen Befreiungsversuche des jungen Mannes und hielt ihn mühelos zu Boden. Er konnte die Wärme seines Opfers spüren und hörte den immer schneller werdenden Herzschlag, als Alfred immer verzweifelter versuchte, sich unter ihm hervor zu winden. Er lächelte ihm in die Augen und versuchte, seinen Blick festzuhalten. Doch Alfred gelang es nach einigen Sekunden, seine Augen abzuwenden. Herbert beugte sich vor und näherte sich dem Hals des jungen Mannes. Die Bewegungen seines Opfers wurden noch heftiger und verzweifelter, sein Herzschlag beschleunigte sich noch weiter. Entzückt hielt Herbert einen Augenblick inne, um die makellose Haut, die sich ihm darbot zu bewundern. Er hauchte einen Kuss auf die unberührte Oberfläche. Vorsichtig fuhr er dann mit der Spitze seiner Zunge darüber. Verträumt kostete er den Geschmack seines "Zukünftigen".
Alfred erschauerte. Alle seine Sinne waren von der Nähe des Vampirs erfüllt. Er konnte die gefährlichen Zähne hinter den weichen Lippen spüren, den Geruch der kühlen, weißen Haut riechen. Erschrocken schnappte er nach Luft, als er eine Zunge an seinem Hals spürte. "Das war's! Gleich werde ich tot sein." dachte Alfred und presste seine Augen fest zusammen. Der Sohn des Grafen ließ sich jedoch Zeit. Er sog die Luft geräuschvoll ein und schien sich den Geruch seines Opfers einzuprägen. Als der erwartete Schmerz ausblieb, öffnete Alfred vorsichtig ein Auge. Er sah in das verschmitzt lachende Gesicht Herberts. Dieser spitzte die Lippen und blies ihm lachend eine widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn. "Aber Alfred, hast du etwa Angst vor mir?" fragte er mit großen, unschuldigen Augen, um dann in ein fröhliches Lachen auszubrechen. Langsam erholte sich Alfred von seinem Schreck und stimmte etwas unsicher in das Lachen ein. "Und ich habe wirklich geglaubt..." Der Vampir erlaubte ihm, sich auf die Ellenbogen aufzustützen. Die beiden jungen Männer sahen sich lachend gegenseitig ins Gesicht. Für einen Moment vergaß Alfred, wie alt und gefährlich sein Gegenüber wirklich war. Für einen Augenblick waren die beiden nur zwei gleichaltrige Gefährten, die einen Scherz teilten. "Das war nicht nett!" schmollte Alfred " Mich so zu erschrecken!" Spielerisch stupste er den Vampir von sich, der sich das gutmütig gefallen ließ. Zum ersten Mal saßen die Beiden sich entspannt gegenüber. Plötzlich erkannte Alfred jedoch, was er gerade gesagt und getan hatte und seine Unsicherheit kehrte zurück.
Die Welt schien still zu stehen, als Herbert den Ausdruck sah, mit dem Alfred ihm schmollend ins Gesicht schaute. Er ließ sich neben ihm auf dem Fußboden nieder. Leider währte dieser Augenblick nur kurz. Der langhaarige Vampir konnte genau erkennen, in welchem Moment die Vorsicht wieder die Oberhand in Alfred gewann. Zu schade! Der unbeholfene und unsichere junge Wissenschaftler konnte nicht erkennen, was ihn für Herbert so interessant machte. Der Vampir hörte das Geräusch sich nähernder Schritte im Flur und dreht den Kopf. Koukul stand in der Tür, um seinen Herrn gewissenhaft an das Nahen des Morgengrauens zu erinnern. Herbert beugte sich auf Händen und Knien zu Alfred vor und drückte diesem einen Kuss auf die Lippen. Dann erhob er sich und zwinkerte dem ungläubig zu ihm aufschauenden Menschen fröhlich zu. Dieser Gesichtsausdruck war die vor ihm liegende lange und einsame Wartezeit des Tages wert. Mit fröhlich schwingenden Schritten verließ er den Raum, den Koukul hinter ihm verschloß und betrat das Nebenzimmer. Trotzt der noch fehlenden Vorhänge beschloß er, den Tag hier zu verschlafen. Mit einem zufriedenen Seufzen rollte er sich in die staubigen Decken des großen Bettes ein und schloß die Augen. Koukul verließ leise das Zimmer.
Ungläubig fuhr Alfred mit der Hand über seine Lippen, wo der Vampir ihn vor wenigen Sekunden geküßt hatte. Er konnte nicht glauben, was passiert war. Der Kuß war überraschend gewesen. Wenn er die Augen schloß konnte er den leichten Druck der kühlen Lippen beinahe noch spüren. Nicht unangenehm, nein... nur... unerwartet. Als sich der Assistent des Professors bei diesen Gedanken ertappte, schalt er sich innerlich. Also wirklich! Solche Gedanken gehörten sich nicht! Entschlossen verdrängte er jede Erinnerung an den verwirrenden Kuss und stand vom Fußboden auf. Er klopfte sich den Staub aus den Kleidern und hielt überrascht inne, als er das metallische Klirren des Schlüsselbunds vernahm, den er in die Tasche gesteckt und jetzt beinahe vergessen hatte. Hastig zog er ihn aus der Tasche und betrachtete ihn triumphierend. Geschafft! Als er sicher war, dass Koukul den Flur verlassen hatte, probierte er einige der Schlüssel an der Tür seines Gefängnisses aus. Tatsächlich, einer passte. Vorsichtig öffnete Alfred die Tür einen Spalt und spähte in den dunklen Flur. Es war niemand zu sehen. "Professor?" fragte er leise in das Halbdunkel. Keine Antwort. Vorsichtig zog Alfred die Tür wieder zu und verschloß sie. Wie sollte er den Professor finden, der sich irgendwo in dem riesigen Gebäude versteckte?
Abronsius konnte das Nahen der Sonne deutlich spüren. Seine Glieder wurden schwerer, seine Bewegungen mühsamer und er fühlte sich geschwächt. Es war Zeit, Schutz vor den unbarmherzigen Strahlen zu suchen. Eilig folgte er der Windung einer alten Steintreppe in den Keller des Gebäudes. Dies waren nicht die Gewölbe in denen sich die Kerker des Anwesens befanden. Auf Grund der alten halb vermoderten Holzregale an den Wänden schloß er, dass er sich in den alten Lagerräumen oder Vorratskellern des Schlosses aufhielt. Die Wände waren feucht und kühl. Sehnsüchtig dachte er an die kalte, aber trockene Zelle, die er zuvor mit dem Grafen geteilt hatte. "Keine Luxusherberge." seufzte er, als er einen alten Stapel leerer Säcke in eine einigermaßen trockene Ecke zog und sich darauf niederließ.
Die Strahlen der Morgensonne krochen langsam über den Horizont und färbten die verschneite Landschaft rötlich. Das Schloß erhob düster und unheimlich in der glitzernden Landschaft. Stille lag über dem Gebäude. Die Geschöpfe der Nacht waren in den tiefen Schlaf des Tages gesunken und für ein paar Stunden herrschten Ruhe und Frieden im Schloß. Beinahe... Ein Bewohner des Schlosses fand keine Ruhe. Alfred war in dem Sessel des Studierzimmer zusammengesunken. Die lange Nacht hatte ihren Tribut gefordert und endlich hatten sich seine Augen geschlossen und die Umgebung versank im Nebel seiner Träume. Unruhig drehte er den Kopf von einer Seite auf die andere, das Haar hing ihm zerzaust in die Stirn. Sein Atmen war laut in dem vollgestopften Zimmer zu hören. Der junge Mann rang scheinbar schwer mit seinen inneren Dämonen. Sein Griff verkrampfte sich um die Lehne des Sessels, während er mit der anderen Hand abwehren zu seinem Hals fuhr.
Der Sohn des Grafen näherte sich Alfred unaufhaltsam. Alfred war wie gelähmt, er konnte nur beobachten, wie der Vampir seine schmale Hand nach ihm ausstreckte. Besitzergreifend schloß sich der Griff um den Stoff seines Hemdes und zog ihn näher an das Gesicht des jungen Grafen heran. Verzweifelt wehrte sich Alfred, doch gegen die unmenschliche Kraft seines Gegners hatte er keine Chance. Der Vampir sah ihm in die Augen, sein Blick hypnotisch. Alfred konnte seine Augen nicht von der unendlichen Tiefe, die er dort sah, abwenden. Er wünschte, sich fallen lassen zu können. Ihre Gesichter waren nur wenige Zentimeter von einander getrennt. Der Arm Herberts schlang sich um seine Schulter, presste ihn dicht an den Körper des Vampirs. Dann löste dieser seinen Griff von dem Stoff des Hemdes. Mit der nun freien Hand fuhr er ihm zärtlich über das Gesicht. "Fürchte mich nicht!" murmelte der Sohn des Grafen und Alfred wünschte, ihm glauben zu können. Die Hand wanderte von seiner Wange über seinen Hals. Lange zartgliedrige Finger, die eine enorme Kraft bargen schlossen sich um den Muskel zwischen Hals und Schulter und drückten ihn sanft. Alfred schloß unwillkürlich die Augen, als die Hand ihre Erkundung fortsetzte. Durch den Stoff seines Hemdes ertastete sie jeden seiner Muskeln und folgte den Konturen seines Körpers. Der Vampir hauchte Alfred einen sanften Kuss auf die geschlossenen Augenlider, und ließ seine Hand auf dessen (süßen)Po (-po ggg) ruhen. Alfreds Gedanken überschlugen sich. Er wußte, dass dies falsch sein musste, doch im Augenblick war ihm alles egal. Herbert fing Alfreds Unterlippe vorsichtig zwischen seinen Zähnen und biß zu, ohne die Haut zu verletzen. Alfred riß erschrocken die Augen auf und sah das herausfordernde Glitzern, das ihm aus den Augen des Anderen antwortete. Dann ließ der Vampir seine Unterlippe wieder frei und drückte ihm einen hungrigen Kuss auf den Mundwinkel. Alfreds Hände fanden das lange Haar seines adligen Verehrers ganz ohne sein bewußtes Zutun und zogen diesen noch näher zu sich heran. Die beiden verloren sich in einem endlosen Kuss.
ANMERKUNG: Und wieder Abblende... Alfred hat schon ein lebhaftes Unterbewußtsein... aber er scheint ja auch nur in seinen Träumen Gelegenheit zu haben, seine Phantasien auszuleben...
"Nein!" Plötzlich fuhr er auf. Was war mit ihm los? Warum spielten ihm seine Träume einen solchen Streich. Seit Herbert ihn mit dem Gefühl kühler Lippen auf seinem Mund in diesem Zimmer zurückgelassen hatte, waren seine Gedanken in Aufruhr. Alfred wünschte sich sehnsüchtig eine Erklärung für seine Unruhe. Er konzentrierte sich auf die schöne Tochter des Wirtes. "Sarah! Das ist gut, denk' an Sarah!" sagte er sich. Vor seinem inneren Auge ließ er jedes Detail ihres Gesichts entstehen, ihr Lächeln, ihre Augen, den Glanz des Sonnenlichts auf ihren vollen Haaren. Er versuchte sich vorzustellen, wie sich ihr Kuss anfühlen würde. Doch vor der Realität des Kusses des Vampirs schmolz jede seiner Fantasien. Also kein Kuss von Sarah. Alfred konzentrierte sich wieder und sah seine große Liebe vor sich. In Gedanken griff er nach ihrer Hand und hauchte ihr einen zurückhaltenden Kuss auf die Hand-Innenfläche. Schon besser. Er konnte beinahe ihr kokettes Lachen hören als sich seine Geliebte mit der freien Hand das rötliche Haar aus dem Gesicht strich und er spürte, wie seine Ohren brannten. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und rückte dicht an sie heran. Die Wange an den zerschlissenen Stoff des alten Sessels gedrückt, schloß er die Augen und träumte in der Umarmung Sarahs einzuschlafen.
Im Schlaf fuhr Herbert mit der Hand langsam über den Bezug der dicken Daunendecke. Ein Lächeln stahl sich über seine Züge, als er die weiche Decke näher an sich zog. Er vergrub sein Gesicht tief in das staubige Kissen und schloß seine Zähne um einen Zipfel des brüchigen Stoffs. Das reißende Geräusch, mit dem der alte Bezug nachgab, weckte den Schlafenden nicht.
