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Ooooh! Herbert stöhnte. Neben ihm regte sich Alfred unruhig. "Was ist, geht's dir nicht gut?" fragte er mitleidig. "Oooh, brüll' doch nicht so." jammerte Herbert. Alfred klappte so leise wie möglich den Deckel des Sarges auf. Der Sohn des Grafen kniff sofort die Augen zusammen und versteckte seinen Kopf unter dem weiten Ärmel seines Hemdes. "Mach wieder zu!" nuschelte er undeutlich. Die Welt war so grausam. Er wollte sterben! Was hatte dieser Unmensch nur getrunken? Der Geschmack in seinem Mund war abstoßend. Alfred, der noch nie in seinem kurzen Leben als Sterblicher oder Vampir betrunken gewesen war sah Herbert nur erstaunt an. "Kann ich dir helfen?" fragte er ihn ein wenig verblüfft. "Ich dachte Vampire wären immun gegen Krankheiten. Davon hat mir mein Professor nie etwas erzählt. Kann man es heilen?"

Herbert fühlte sich überfordert. Das war nun wirklich nicht der richtige Augenblick, um Alfred zu erklären, was es mit einem Kater auf sich hatte... und dass auch Vampire unter übermäßigem Alkoholkonsum leiden mussten. Wenn der neugierige Nachwuchswissenschaftler nur endlich verschwinden würde, damit er seine Ruhe hatte. Doch der machte leider keine Anstalten, den Wink mit dem Zaunpfahl zu verstehen, sondern redete immer noch auf Herbert ein. "Nie wieder jage ich in der Nähe eines Wirtshauses!!!" schwor sich der Vampir. Nur noch dunkel konnte er sich an sein Opfer erinnern. Der junge Mann war gerade aus der Kneipe getorkelt, als Herbert im Dorf eintraf. Sein Haar und seine unschuldigen Augen hatten den Sohn des Grafen an Alfred erinnert. Er war keinen leichten Tod gestorben, als Herbert seiner Enttäuschung über das Verhalten des Nachwuchswissenschaftlers Luft gemacht hatte. Das war ein Geheimnis, das er Alfred besser nicht anvertraute. Dieser sah ein, dass er Herbert nicht helfen konnte. Er verließ die Gruft auf Zehenspitzen und machte sich auf die Suche nach Sarah, in der Hoffnung, dass eine Frau, die in einem Wirtshaus aufgewachsen war ein Wundermittel gegen einen Kater kannte.

Chagall erwachte in seinem Sarg. Er fühlte sich schrecklich einsam. Er öffnete den Deckel. Die Sonne war gerade erst untergegangen und der zweite Sarg in dem kleinen Raum war noch geschlossen. Leise klopfte er auf den Deckel. "Magda? Meine kleine Nachtigall, mach auf." Keine Reaktion. "Täubchen, was ist denn. Bist du immer noch sauer auf mich?" Er war sich sicher, dass die Vampirin den Sarg noch nicht verlassen hatte. Er hob den Deckel an und schenkte der Frau ein strahlendes Lächeln, dass alle Fangzähne entblößte. "Zeit aufzustehen! Komm schon, gib mir einen Kuss!" Er spitzte die Lippen und schloß die Augen. Magda machte nicht einmal den Versuch, ihn zu beachten. Sie lag immer noch in dem Sarg und drückte ein vertrocknetes Veilchen an ihre Brust. "Komm, laß das Gemüse Gemüse sein. Eine neue Nacht hat begonnen..." Aufmunternd versucht er, sie unter dem Kinn zu kraulen. Autsch! Magda hatte ihn gebissen. Er schüttelte seine Hand und starrte auf seinen blutigen Zeigefinger. "Du hättest aber auch sagen können, dass heute einer von *diesen* Tagen ist." bemerkte er vorwurfsvoll und zog beleidigt von dannen.

Kaum hatte Alfred sich auf der Suche nach Sarah aus dem Staub gemacht, kehrte Graf von Krolock zurück. Er hatte in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass eine Standpauke am besten wirkte, solange der Kater noch anhielt. Ohne auf den Protest seines Sohnes zu achten, öffnete er den schweren Sargdeckel und zog den jammernden Vampir gnadenlos auf die Füße. "Nun, Sohn?" fragte er. Herbert sah ihn aus verquollenen Augen an. "Was auch immer du sagen willst, sag es *leise*." bat er ihn. "Warum sollte ich Rücksicht nehmen? Du hast ja auch keine Rücksicht genommen, als du gestern Nacht einfach verschwunden bist. Dir hätte wer weiß was zustoßen können. Du hast uns alle in Gefahr gebracht. Wenn die hiesigen Bauern erst einmal herausfinden, wie verletzlich wir in Wirklichkeit sind, dann sind unsere Tage gezählt." Der Graf gab sich keine Mühe seinen Zorn zu verbergen. Herbert zuckte mehrmals zusammen und griff sich an die Stirn. "Und sich dann auch noch aus Liebeskummer so gehen zu lassen! Wie pathetisch!" Zufrieden musterte der Graf die Wirkung seiner Worte. Herbert würde seine Lektion lernen und in der nächsten Zeit bestimmt einen großem Bogen um betrunkene Opfer machen. Allerdings, gab der alte Vampir zu, war das mehr den Nachwirkungen des Alkohols als seiner Standpauke zu verdanken. Er erbarmte sich seines Sohnes und ließ ihn alleine in der dunklen Gruft zurück.

Herbert stand mit gesenktem Kopf vor seinem Vater. Er bereute sein kopfloses Verhalten in der vergangenen Nacht zutiefst. Wenn nur die Schmerzen in seinem Kopf und die Übelkeit endlich aufhören würden. Als dieser endlich die Gruft verließ, sank er erleichtert zu Boden. Mit dem Rücken an einen Sarg gelehnt wartete er ab, bis die Übelkeit nachließ.

Alfred stieß beinahe mit Chagall zusammen, als die beiden gleichzeitig um die Ecke bogen. Ehe der Wirt weiter eilen konnte, packte er ihn an den Schößen seiner abgewetzten Jacke. "Verzeiht, Herr Chagall, eine Frage!" "Was gibt es denn?" erkundigte der dickliche Vampir sich. "Ihr kennt doch bestimmt ein gutes Hausmittel gegen die Auswirkungen einer durchzechten Nacht?" fragte Alfred hoffnungsvoll. Nachdenklich kratzte sich der Wirt am Kopf. "Eigentlich würde ich ja empfehlen, mit dem weiterzumachen, mit dem man aufgehört hat... aber ich schätze mal, das *was* hat gelebt und ist jetzt schon kalt. Habe ich recht?" Alfred nickte nur. Der Wirt grübelte weiter. "Tut mir leid, mein Junge! Ich fürchte, alles was ich weiß ist nicht für eine vampirische Verdauung geeignet. Da hilft nur Leiden! Nimm's nicht tragisch, bald ist es überstanden." Mit diesen Worten klopfte er Alfred ermutigend auf die Schulter und setzte seinen Weg fort. Schmerz durchzuckte Alfred. Der Klaps des Wirtes hatte ihn an den Splitter erinnert, der noch immer in seiner Schulter steckte. Es brauchte dringend Hilfe dabei, ihn zu entfernen.

Magda sah sich vorsichtig um. Gut! Von Chagall war keine Spur zu sehen. Sie hatte ihr Haar gebürstet, bis es glänzte und ihr Kleid saß sehr... vorteilhaft. Müßig strich sie durch das Schloß und beobachtet ihre Wirkung auf die Bewohner. Sie mußte einfach herausfinden, wer der geheimnisvolle Fremde war, der ihr die Blume geschenkt hatte. Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung war. Graf von Krolock kam mit Koukul auf sie zu. Nervös zupfte sie an dem Stoff ihres Gewandes und knickste unbeholfen, während der Graf eine leise Bemerkung an den Diener richtete. Koukul nickte. Er reagierte mit einer ungelenken Verbeugung, bemühte sich, einen Gruß zu artikulieren und verschwand dann. Der Graf ließ seinen Blick einige Sekunden nachdenklich auf Magda ruhen. "Guten Abend, meine Liebe!" grüßte er sie. Magda war verwirrt. In der Vergangenheit war sie noch nie mit solcher Höflichkeit behandelt worden und die Förmlichkeit des Grafen irritierte sie. Sie murmelte ebenfalls einen Gruß. Der Graf nickte ihr zu und setzte seinen Weg fort. Magda sah ihm noch eine Weile nach.

Von Krolock lächelte ungläubig. Er hatte erst nicht geglaubt, dass sein Verdacht berechtigt war, doch als er die junge Frau gesehen hatte und Koukuls, für dessen Verhältnisse beinahe überschwengliche Reaktion erlebt hatte... Der arme Mensch! Ein wenig leid tat dem Vampir der Mann schon. Koukul war im Umgang mit andren Menschen sehr unerfahren... und das galt besonders für Frauen. Er war gespannt, wie sich das Verhältnis der beiden entwickeln würde.

Herbert entschloß sich schließlich die Gruft zu verlassen. Die Übelkeit war fast verschwunden und die Kopfscherzen hatten sich auf ein dumpfes gleichmäßiges Pochen reduziert. Er brauchte dringend etwas, um den Geschmack aus seinem Mund zu vertreiben, doch bei der Vorstellung, sich ein neues Opfer zu suchen, wurde ihm beinahe doch wieder übel. Er begnügte sich damit, den Mund mit kaltem Wasser auszuspülen. Er musste dringend mit Alfred sprechen. Der Gesuchte befand sich in der Bibliothek des Schlosses, wo er eifrig die Titel der unzähligen Bände studierte. "Alfred!" sprach Herbert den in Gedanken versunkenen Mann an. "Was suchst Du denn, kann ich Dir helfen?" Alfred drehte sich um und sah Herbert erleichtert an. "Es geht dir also wieder besser!" freute er sich. "Ein Glück, ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht." "Und deshalb suchst du hier... *was* bitte?" erkundigte sich Herbert verwundert. "Na, ein Heilmittel... eines, dass auch Vampiren hilft. Professor Abronsius hat immer gesagt, auf jede Frage findet man Antwort in einem Buch... und da dachte ich..." Alfred verstummte. Als er es laut aussprach klang es lange nicht so logisch wie es ihm erschienen war, als er seine Recherche begonnen hatte. Herbert lachte auf, verzog aber dann gleich wieder das Gesicht. "Das ist wirklich süß von dir. Aber das wird schon wieder. Den Preis werde ich wohl bezahlen müssen, wenn ich mir ein betrunkenes Opfer suche... und es war es wert, denn du hast mich ja gerettet!" Er drückte Alfred an sich und flüsterte ihm verschwörerisch ins Ohr "Die traditionelle Belohnung für Helden kennst du doch bestimmt... auch wenn ich nicht direkt eine Jungfrau in Nöten war." Er zwinkerte Alfred gut gelaunt zu. Alfred wehrte sich nicht, als Herbert ihn an sich zog. Herbert öffnete ungeduldig die Knöpfe am Kragen des anderen Mannes und schob dessen Hemd von den Schultern. Dann suchte er mit den Lippen nach der Stelle, an der er bei einem Sterblichen der Pulsschlag war, während seine Hände über dessen Schultern glitten. Alfred zuckte zusammen. "Habe ich was falsch gemacht?" Besorgt nahm der Vampir seine Hände von den Schultern des anderen und musterte ihn. "Nein, alles in Ordnung." Alfred versuchte über seine eigene Schulter auf seinen Rücken zu spähen. "Ich habe da nur einen klitzekleinen Splitter. Nicht schlimm, ich konnte ihn nur nicht selbst herausziehen und dann habe ich es ganz vergessen. Wo du schon mal da bist, wärst du so nett?" "Ich bin immer... nett. Das weißt du doch." erwiderte Herbert. Er drehte Alfred herum und begutachtete dessen Schulter. "Ja, ich sehe schon..." murmelte er. Mit spitzen Fingern zog er das winzige Stück Holz aus dem blassen Fleisch des anderen. Dann legte er sein Kinn auf Alfreds Schulter griff mit den Armen um den jungen Mann herum und reichte ihm den Übeltäter. "Da, das war's. Alles überstanden Süßer."

Alfred begutachtete den Splitter. Unwillkürlich fauchte er das kleine Stück Holz an. Erschrocken machte er ganz große Augen, als er den Laut hörte, der sich da seiner Kehle entrungen hatte. "So ein ungezogenes Stück Holz!" flüsterte Herbert lächelnd in sein Ohr. "Ja, du bist schon ein großer böser Vampir... mach' mir Angst..." Alfred fand das nun wieder gar nicht komisch. Er hatte bisher nicht für möglich gehalten, dass er ein solch furchteinflößendes Geräusch von sich geben konnte. Und dass Herbert sich gleich über ihn lustig machen musste! "Das ist nicht komisch!" fuhr er den anderen Vampir etwas ungehalten an.

Herbert war überrascht. Er hatte noch nie erlebt, dass der Nachwuchswissenschaftler sich eine eigentlich harmlose Bemerkung so sehr zu Herzen genommen hatte. "Tut mir leid, war nicht so gemeint!" entschuldigte er sich. Doch Alfred war nicht nachtragend. "Schon gut, mein Fehler." murmelte er. Herbert konnte sehen, dass er sich den Kopf darüber zerbrach, welche Veränderungen er noch an sich entdecken würde, seit er ein Vampir war. Er beschloß, bald ein paar ernste Worte mit dem Neuling zu sprechen. Er durfte nicht vergessen, dass für Alfred alles ja noch ungewohnt und rätselhaft sein musste. Seine Lehrzeit im Dienste des Professors hatte ihn nur mit den gängigen Praktiken und Vorurteilen über Vampire vertraut gemacht. Herbert freute sich darauf, ihm einige der Wunder der Nacht und seiner neuen Existenz zeigen zu können.

Magda war erstaunt. Sie hatte einige anerkennende Blicke der anderen Vampire erhaschen können, darunter auch von einigen , die sie äußerst attraktiv fand. Doch keiner hatte sie angesprochen. Nur Koukul war ihr in den letzten Stunden immer wieder vor die Füße gefallen. Der arme Kerl war die ganze Nacht auf den Beinen und schien ständig einen Eimer, Holzscheite, Bücher oder andere Utensilien von einem Teil des Schlosses in einen anderen zu transportieren. Als er sie zum dritten Mal anstieß - schon wieder mit einem Korb Feuerholz beladen ("Das muß das reinste Höllenfeuer sein!" dachte sie sich, so oft wie der Diener es mit neuer Nahrung versorgen musste) - und seine Last fallen ließ, erbarmte sie sich seiner. Hilfsbereit suchte sie mit ihm die Scheite zusammen. Sie bedauerte ihn, sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie Chagall sie oft die ganze Nacht mit sinnlosen Aufgaben beschäftigt hatte, um ihr bei der Arbeit zusehen zu können. Sie beschloß, bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit ein gutes Wort für den Buckligen einzulegen. Dieser lächelte sie dankbar an, als sie das letzte Holzscheit in den Korb legte, sich wieder aufrichtete und den Staub aus ihrem Kleid klopfte. Aus dem Schatten heraus beobachtete Graf von Krolock das Bemühen seines Dieners von der hübschen Magd bemerkt zu werden.

Sarah langweilte sich. Die ganze Nacht hatte ihr noch niemand Beachtung geschenkt. Herbert und Alfred waren schon seit Stunden verschwunden. Der Graf selbst hatte etwas davon gemurmelt, 'ein Auge auf Koukul zu haben'. Koukul - verliebt? Sarah hatte laut gelacht, als der Vampir ihr die Neuigkeit berichtet hatte. Ein ernster Blick des Grafen hatte sie zum Schweigen gebracht. Jetzt ließ sie ihre Gedanken wandern. Warum eigentlich nicht? Der Bucklige war ein Mensch - warum sollte er keine menschlichen Gefühle kennen. Ein wenig bedauerte sie ihn. Ausgerechnet Magda? Sarah war sich bewußt, dass ihre Meinung von der blonden Magd nicht objektiv war. Sie hatte lange beobachtet, wie ihr Vater der jungen Frau verfiel. Eine Zeit lang hatte sie die "blonde Sirene", wie sie die Frau in ihren Gedanken titulierte, gehasst. Erst vor kurzem hatte Sie sich der Erkenntnis gestellt, dass die Aufmerksamkeit ihres Vaters der Angestellten unwillkommen gewesen war. Dennoch... was sah Koukul bloß in der provokanten Vampirin? Sarah war sich sicher, dass sie ihn spöttisch abblitzen lassen würde. "Das werde ich verhindern wissen!" schwor sie sich. Keiner wurde dem treuen Diener weh tun...

In seinem Versteck hatte sich Graf von Krolock etwas Ähnliches geschworen. Angestrengt dachte er darüber nach, wie er Koukul die Möglichkeit geben konnte, ein wenig Zeit mit Magda zu verbringen. Auf einmal hatte er einen Einfall. Zufrieden machte er sich daran, Magda zu suchen. Er fand die junge Frau in einem verlassenen Turmzimmer. Nachdenklich saß sie auf der steinernen Fensterbank und starrte in die verschneite Landschaft hinaus. Leise näherte er sich ihr. "Die Nacht ist einsam!" sprach sie ihn plötzlich an, ohne ihren Blick von dem Fenster abzuwenden. Von Krolock war erstaunt. Wie hatte sie seine Anwesenheit gespürt? "Nur für den, der sein Herz verschließt." antwortete er ihr. Langsam wandte sie ihm ihren Blick zu. "Damit wir uns richtig verstehen, Herr Graf..." Bei diesen Worten sah sie ihn fest an "Ich habe nicht die Absicht, mein Herz an *ihre* Kette legen zu lassen, den auch euer Herz ist nicht gefesselt. " Erstaunt sah von Krolock sie an. Hatte sie seine Absichten falsch verstanden? "Verzeiht, das war nicht meine Absicht." Entschuldigte er sich förmlich. "Ich habe eine Bitte an euch." Der fragende Blick der Frau ermutigte ihn. "Ich beabsichtige ein Fest zu Ehren meines Sohnes zu veranstalten. Koukul ist mir dabei eine große Hilfe, doch ihm fehlt das Gespür für den notwendigen... Glamour. Wärt Ihr so nett, ihm bei den Vorbereitungen zur Hand zu gehen? Ich verlasse mich auf euch."

Trotz seiner höflichen Worte war der Auftrag keine Bitte. Magda war sofort klar, dass der Schloßherr ihr einen Befehl erteilt hatte. Doch eigentlich störte sie das nicht. Ein Fest! Sie freute sich darauf, einen solchen Anlaß zu gestalten. "Gibt es eine Gästeliste? Welche Musik würde er sich wünschen? Ein Menü... nein entschuldigt, Herr Graf, das wohl nicht..." Aufgeregt begann sie auf von Krolock einzureden. Dieser unterdrückte ein Lächeln als er sie erinnerte: "Das ist eure Aufgabe... findet es selbst heraus!" Magda nahm kaum zur Kenntnis, dass der Vampir zufrieden den Raum verließ. Ein Fest! Und SIE würde die Verantwortung tragen dürfen!

Sarah fand Koukul in der Küche, wo er sich sein Essen zubereitete. Verstohlen ließ sie das kleine in Leder gebundene Buch aus den Falten ihres Kleides auf den Tisch rutschen. Der Diener bemerkte es nicht. Abwartend sah er sie an. "Ich suche Alfred. Weißt du wo er ist?" fragte sie ihn. Koukul zuckte nur mit einer seiner Schultern und wand sich dann wieder dem dampfenden Kessel zu. Der Geruch des kochenden Eintopf vertrieb Sarah wieder aus der Küche. Ihre Mission war vollbracht!

Alfred und Herbert waren auf dem Weg in den großen Ballsaal des Schlosses. Herbert tanzte voller Vorfreude im Walzerschritt voran, während Alfred ein wenig kleinlaut nachfolgte. "Das ist wirklich nicht nötig!" protestierte er kläglich. "Doch, doch, das ist es!" widersprach der adlige Vampir ihm "Es wird höchste Zeit, dass du ordentlich Tanzen lernst. Was sollen denn die anderen denken, wenn du so passiv in meinem Arm hängst? Es ist wirklich nicht schwer!" versprach Herbert ihm. Alfred verdrehte die Augen. Konnte Herbert denn nicht erkennen, wie peinlich ihm das war? Ausgerechnet im großen Ballsaal wollte er mit ihm üben. Wer weiß wie viele der Bewohner des Schlosses sich dort aufhalten würden... Dort angekommen zog der andere Vampir ihn gleich in die Mitte des großen Saales. Er zog Alfred an sich, plazierte dessen linke Hand auf seiner Schulter, nahm Alfreds Rechte in seine Linke und legte ihm seine rechte Hand unter das Schulterblatt. Alfred ließ es mit sich geschehen. "Komm, sei kein Spielverderber!" schmollte Herbert. "Nicht so passiv..." Alfred gab sich Mühe, Begeisterung auszudrücken. Er versuchte sich an die ungewöhnliche Haltung zu gewöhnen und sah Herbert in die Augen. "Schon besser." lobte dieser. Dann begann er leise zu zählen "Eins ... Zwei ... Drei ... Eins ... Zwei ... Drei ...*EINS* ..." dabei machte er einen Schritt mit seinem rechten Fuß nach vorne. Leider hatte Alfred ganz instinktiv ebenfalls seinen rechten Fuß nach vorne gesetzt. "Aua!" "Autsch!" Die beiden Vampir traten wieder einen Schritt zurück. "Du bist die *Dame*" beschwerte sich Herbert, als er auf den Abdruck von Alfreds Sohle auf seinem polierten Schuh herab sah. "Was du nicht sagst..." murmelte Alfred leise. Zum Glück überhörte der andere Vampir diese Bemerkung. "Also noch mal!" Herbert breitet die Arme aus und wartete, bis Alfred wieder die Tanzhaltung eingenommen hatte. "Los geht's... Eins ... Zwei ... Drei ... *EINS* ..." Diesmal gelang es Alfred, der Führung Herberts zu folgen. Nach ein paar unsicheren Schritten begann er sich zu entspannen. Herbert wurde zuversichtlicher. Schwungvoll begann er ein paar Drehungen zu wagen... Rechts herum ... Eins ... Zwei ... Drei ... Eins ... Zwei ...Drei... Links herum... Aua!" "Das muss aber noch besser werden!" Eine belustigte Stimme erklang aus der Tür des Ballsaals. Herbert fuhr herum und entdeckte Magda. Alfred wäre scheinbar am liebsten im Erdboden versunken. Die Frau kam auf die beiden zu. "Komm, ich zeig's dir Alfred." bot sie hilfsbereit an. Sie trat in Herberts Arme, nahm Tanzhaltung ein und forderte den jungen Wissenschaftler auf: "Stell' dich neben mich und schau auf meine Füße. Versuche meinen Schritten zu folgen!" Herbert begann, sie ein paar einfache Schritte zu führen. Alfred gab sein bestes, ihre Schritte nachzuahmen. Nach einer Weile glaubte er, den Dreh heraus bekommen zu haben. Magda trat beiseite und sah ihn herausfordernd an. "Und jetzt ihr beide!" Herbert hatte bisher keine Einwende gegen die Hilfe der Vampirin gemacht, also folgte Alfred ihren Anweisungen. "So" erklärte sie schließlich zufrieden. "Das mit dem Walzer sollte für euch zwei jetzt kein Problem mehr sein... aber das kann doch nicht der einzige Tanz sein, der hier getanzt wird, oder?"

Magda kam sich sehr schlau vor. Ihre Nachforschungen nach Herberts Vorlieben gestalteten sich bisher einfacher als sie erwartet hatte. "Richtig!" Stimmte Herbert ihr begeistert zu. Die nächsten Stunden brachten die beiden damit zu Alfred die komplizierten Schrittfolgen eines Menuettes beizubringen, um sich danach einer Francaise zu zuwenden, wobei Magda jede sich bietende Gelegenheit nutze, sich nach Herberts Vorstellungen zu erkundigen. Schließlich protestierte Alfred. "Ich kann nicht mehr! Meine Füße sind bestimmt schon blutig! Wenn ihr zwei mich umbringen wollt, dann seid ihr auf dem richtigen Weg!" maulte er und ließ sich wo er war auf den Fußboden fallen. Als Herbert mit einem 'laß doch mal sehen, was ich für deine Füße tun kann' anfing Alfreds Schuhe und Socken auszuziehen verabschiedete sie sich schnell.

"Ich glaube, sie findet dich anziehend..." bemerkte Alfred als Herbert sich darum bemühte seinem Geliebten den zweiten weinroten Kniestrumpf auszuziehen. "So ein Unsinn... oder glaubst du..." murmelte er. Als er einen Moment darüber nachdachte kam ihm der Verdacht nicht länger absurd vor. Die Frau hatte auffällig viel Zeit damit verbracht, zu versuchen ihn besser kennenzulernen. "Das könnte ein Problem werden." überlegte er laut. "Dann hast du also wirklich kein Interesse?" erkundigte sich Alfred "Ich möchte Dir nicht im Weg stehen..." Ein wenig traurig klang seine Stimme dabei schon. Herbert sah ihn erstaunt an "Wie kommst du den auf den Gedanken? Habe ich dir irgendwie den Eindruck vermittelt, dass du nur ein... Spielzeug für mich bist?" Alfred wich seinem Blick aus. Wie konnte er dem Vampir gestehen, dass er sich nicht vorstellen konnte, was dieser in ihm sah? Herbert seufzte. Das mangelnde Selbstbewußtsein des Wissenschaftlers war unglaublich. Er nahm ihn in den Arm und drückte ihn an sich. "Wenn es dich beruhigt, dann werde ich Magda in den nächsten Tagen aus dem Weg gehen... einverstanden?"

Koukul starrte gebannt auf das kleine unschuldig wirkende Buch, dass auf dem rohen Holztisch lag. Eigentlich sollte er es wieder an seinen Platz in der Bibliothek zurückbringen... doch etwas hielt ihn davon ab. Wer würde es schon vermissen, wenn er einen Blick hinein warf? Was war schon dabei? Vorsichtig streckte er die Hand aus und strich über den alten abgegriffenen Einband. "Ratgeber für Verliebte" Der Titel war verlockend. Vorsichtig sah er sich um, ehe er andächtig die erste Seite aufschlug, sie mit seinen schwieligen Fingern glatt strich und zu lesen begann.

Fröhlich vor sich hin summend schritt Magda durch das Schloß. Ihre Gedanken weilten bei dem bevorstehenden Fest. Sie hatte sich entschlossen, dass Herberts Fest ein Kostümball sein sollte. Nur welches Motto? Sie wollte etwas pompöses, eine glitzernde Märchenwelt, einen Rausch der Farbe... Ihre Begeisterung ließ sich kaum bremsen. Sie musste sich innerlich eingestehen, dass sie sich selbst ebenfalls einen lang gehegten Traum erfüllte: Eine Nacht, in der sie Aschenputtel hinter sich lassen konnte und selbst einmal in das Kostüm einer Prinzessin schlüpfen konnte. Der Graf hatte ihr freie Hand gegeben... und sie würde ihn nicht enttäuschen! Sie hatte bereits eine wage Vorstellung von dem Ereignis, aber die Details waren noch nicht in ihrem Kopf entstanden. Ein Motto! Sie brauchte dringend ein Motto! Und sie durfte nicht vergessen, von Krolock zu fragen, wie ihr finanzieller Spielraum aussah. Von weitem sah sie die gedrungene Gestalt des Wirtes, der durch die Gänge des Schlosses schlich Magda versteckte sich hastig in einer Wandnische. Zum Glück hatte Chagall sie nicht gesehen. Als sie die Stimmen von Alfred und Herbert hörte, die sich auf dem Weg in die Gruft näherten, blieb sie mucksmäuschenstill stehen.

Alfred seufzte. Herbert hatte seinen Kater gut überstanden... und leider waren seine Erinnerungen an die letzte Nacht ausgezeichnet. "Du hast es versprochen!" beteuerte er immer wieder. "Ich weiß." Wie hatte er nur so leichtsinnig sein können? "Aber ich hätte Dir auch den Mond versprochen, wenn Du mit mir nach Hause gekommen wärst. Es ist unmöglich, glaub' mir! Nur einige wenige Menschen unternehmen diese Reise in ihrem Leben - und für Vampire ist das noch schwieriger. Was ist, wenn dir etwas zu stößt? Die lange Reise, ein fremdes (katholisches) Land... kein sicherer Unterschlupf, der dich erwartet..." "Das ist mir egal." erwiderte Herbert leidenschaftlich. "Ich möchte mit dir nach Venedig. Mit dir Tanzen... das ...Leben... genießen!" Alfred sah ihn traurig an. Er antwortete nicht, aber das war auch nicht notwendig.

In ihrem Versteck lauschte Magda aufmerksam. Venedig? Was für ein wundervoller Gedanke! Wenn es nach ihr ginge, dann sollte Herbert seine Nacht in Venedig bekommen. Zufrieden beschloß sie, Koukul gleich am nächsten Morgen in ihrem Plan einzuweihen.

Als sich schließlich Stille über das Schloß senkte und die Bewohner die Sicherheit ihrer Särge aufgesucht hatten, regte sich etwas in den Fluren des Gebäudes. Koukul trug schwer atmend einen Eimer mit heißem Wasser zu dem Badezimmer. Er sah sich mißtrauisch um, dann verschloß er die Tür hinter sich. Er goß das Wasser in die große Wanne und stellte den Eimer neben der Tür ab. Argwöhnisch betrachtete er den duftenden Schaumberg. Ein kleines ledergebundenes Buch hielt er an sich gedrückt. Ein Finger markierte die Stelle, bis zu der er sich vorgearbeitet hatte:

17. Methode Lege eine Hand auf die Schulter der Geliebten, ganz sacht, wie ein Vögelchen, dass sich auf einem Zweiglein niederläßt. Dann lass' einen Engel durchs Zimmer gehen. Beuge Dich vor zu den Locken des geliebten Wesen und berühre sie mit deinen Lippen!

Koukul legte seine abgetragenen Kleider sorgfältig zusammen, plazierte sie hinter dem Paravent und warf dann noch einen letzten Blick auf das Büchlein ehe er sich davon trennte. Vorsichtig nahm er in der Wanne Platz und begann sich den Schmutz von Haut und Haaren zu waschen.

ANMERKUNG: Diese Methode stammt natürlich aus dem Film... Dort hieß das Buch übrigens "1000 Wege sich ins Herz einer Jungfrau zu schmeicheln" (nix Liebe) ... und Herbert war nur zu gerne bereit, die Methode an Alfred zu testen ("Wollen wir zwei erlauben, einem Engel durchs Zimmer zu gehen...?") ( Ihr habt doch nicht wirklich geglaubt, dass ein Nacht vergeht, in der keiner ein Bad nimmt, oder?