NACHT 8

Als Herbert und Alfred am nächsten Abend erwachten, erwartete sei eine Überraschung. Graf von Krolock hatte für ein üppiges Frühstück gesorgt. Neben dem Sarg der beiden warteten zitternd zwei Menschen. Obwohl sie in keiner Weise gefesselt waren, wagten sie nicht zu fliehen. Herbert zog einen der beiden, einen jungen Mann mit einer Narbe auf der Wange und unrasierten Wangen an sich. Ohne weiter zu zögern, legte er den Hals des passiv sich in seinen Griff fügenden Menschen frei und biß herzhaft zu und trank in gierigen Sclucken.

ANMERKUNG: Damit sei auch morgen noch kraftvoll zubeißen können *kruntsch*...

Die Frau, die an seiner Seite gewartete hatte schrie gellend auf als sie mitansehen mußte, was geschah.. Alfred näherte sich ihr zögernd. Sein Hunger raubte ihm fast den Verstand. Die Frau wich vor ihm zurück. Flehend sah sie ihn an. Alfred hatte das Gefühl, sich selbst von außen zu beobachten, als er sich unaufhaltsam seinem Opfer näherte. Er hatte keine Kontrolle über seine Instikte... und er kämpfte nicht einmal dagegen an. Er schloß die widerstrebende Frau in seine Arme und beugte sich über ihren Hals. Er konnte ihre furchterfüllte Stimme hören, als sie begann um ihr Leben zu bitten. Sich selbstverabscheuend gab er ihr einen hungrigen Kuss auf den Hals, instinktiv auf der Suche nach ihrem Puls. Er versuchte ihren Verstand mit seinem zu umfangen, ihre Angst zu vertreiben und sie dazu zu bringen, sich widerstandlos in seine Arme schließen zu lassen. Doch diese Kunst hatte er noch nicht erlernt. Es würde noch einige Zeit vergehen, bis er ein Opfer mit seinem Blick gefangenhalten oder sogar mit einem geistigen Befehl zu sich rufen konnte. Er mußte zu roher Gewalt greifen. Er verstärkte seinen Griff und grub seine Zähne in den Hals der Frau. Ihre Kräfte ließen langsam nach und ihre Gegenwehr wurde schwächer, je länger er in hungrigen Schlucken trank. Als ihr Herzschlag stockte, ließ er den leblosen Körper zu Boden sinken.

Herbert hatte Alfred aufmerksam beobachtet. Er sah die Traurigkeit in den Augen seines Geliebten. Doch dafür war kein Platz im Leben eines Vampirs. Reue war genauso tödlich wie ein hölzerner Pflock... aber nicht so schnell. Als Alfred nachdenklich auf die gefallenen Gestalten sah, zog Herbert ihn aus der Gruft. Es war an der Zeit, ihn auf andere Gedanken zu bringen.

Der Graf hatte die Botschaft vom Wohlbefinden seines Sohnes im ganzen Schloß verbreitet und die Vorbereituungen liefen auf Hochtouren. Überall huschten mit Dekoration, Musikinstrumenten oder Stoffen beladene Vampire durch die Gänge. Ein aufgeregtes Wispern und Summen war im ganzen Gebäude zu vernehmen. Magda huschte von einer Gruppe zur anderen, fand dazwischen Zeit ein paar freundliche Worte zu sagen und hatte alle Hände voll zu tun. Koukul wich nicht von ihrer Seite. Als Meister Joachim sie zur Anprobe bat, schob sie ihn lächelnd aus dem Zimmer. "Ich komme bald wieder." versicherte sie dem anhänglichen Diener.

Das war der Moment, auf den Sarah gewartet hatte. Sie griff nach Koukuls Hand und zog den verblüfften Diener fort. Ein einem Zimmer abseits des Trubels hielt sie endlich an. "Ich habe eine Überraschung für *dich*" Strahlend lächelte sie Koukul an. Sie führte ihn in die Mitte des Zimmers und ließ ihn dort stehen. Dann ging sie auf ein aufziehbares Grammophon zu, das auf einem Sideboard stand. Die ersten Töne eines Walzers erklangen. Sarah stellte sich vor Koukul und legte seine Hände in die Richtige Position. "Komm, ich bringe es dir bei! Wir wollen Magda überraschen und ihr eine Freude machen. Oder möchtest du lieber den ganzen Abend zusehen, wie sie mit anderen tanzt?" Diesem gewinnenden Argument konnte sich Koukul nicht verschließen. Aufmerksam folgte er Sarahs Anleitung. Koukul erwies sich als gelehriger Schüler. Nach einer Stunde tanzten die beiden zu den Klängen eines Walzers durch das ganze Zimmer. Sarah mußte zugeben, dass sie den Buckligen unterschätzt hatte. Natürlich hatte er einen recht *ungewöhnlichen* persönlichen Tanzstil, aber sein Gefühl für Takt und Rhythmus war unbeirrbar. Und im Gegensatz zu Alfred, mußte sie sich eingestehen, trat er ihr nicht einmal auf die Füße... ein kleines Wunder. Aber vielleicht lag es auch daran, dass Koukul schon sein ganzes Leben daran gewöhnt war auszuweichen und nie dort zu sein, wo er anderen zu Nahe trat - im wahrsten Sinne des Wortes. Magda sollte sich noch wundern! Ausgelassen drehten sie einige weitere Runden durchs Zimmer. Sie bemerkten nicht, dass die Musik ungebetene Zuschauer angelockt hatte. Applaaus ließ sie zusammenzucken, Koukul nahm seine Hände so schnell von Sarah, als habe er sich verbrannt und huschte aus dem Zimmer. "Ihr seid ein hübsches Paar!" Herbert lächelte dem Buckligen belustigt nach. Locker an den Türrahmen gelehnt ließ er seinen Blick durch das Zimmer wandern. Alfred an seiner Seite sah sehnsüchtig zu Sarah. "Könnten wir vielleicht auch noch ein wenig tanzen üben?" fragte er sie. Sarah lächelte zurück "Klar! Wenn ich es geschafft habe Koukul Walzer beizubringen, dann werde ich es doch auch schaffen, dass du endlich lernst, deinen Tanzpartnern nicht mehr auf die Zehen zu treten." Sie zog das Grammophon erneut auf und knickste höflich vor Alfred. "Hey, und was ist mit mir?" protestierte Herbert. "Immerhin versuche ich schon seit *Tagen* einen guten Tänzer aus dir zu machen." "Scheinbar ja erfolglos." Sarah kicherte frech, als sie und Alfred die ersten Schritte wagten und dieser ihr natürlich prompt auf die Füße trat. Alfred lief knallrot an und entschuldigte sich eilig. Herbert konnte sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen. Das wenigstens war seinen polierte Schuhen dieses Mal erspart geblieben. Es sah auf Sarahs elegante Schuhe, auf denen sich ein deutlicher Abdruck von Alfreds Sohle zeigte. Nein, ein begnadeter Tänzer war sein Liebling wirklich nicht. Sarah mühte sich ab, Alfred dazu zu bringen, sie zu führen, gab aber schließlich entnervt auf und übernahm die Führung mit einem leisen Schnauben selbst.

Graf von Krolock ließ sich von Magda über den Stand der Vorbereitungen ins Bilde setzten. Zustimmend lächelte er. Es war alles zu seiner Zufriedenheit. Morgen, mit dem Schlag Mitternacht würde das rauschende Fest beginnen. Meister Joachim nahm geschmeichelt die Einladung entgegen, die der Graf ihm als Zeichen seiner Wertschätzung für die gelungenen Kostüme überreichte. Jetzt mußte nur noch überlegen, wie Herbert am besten bis zum großen Ereignis von dem Ballsaal ferngehalten werden konnte. Der Vampir grinste. Das war genau die richtige Aufgabe für Alfred!

Der ahnungslose Alfred machte inzwischen leichte Fortschritte. Statt Sarah zum wiederholten Male auf die Schuhe zu steigen, war er jetzt so weit, dass er es schaffte, seine Füße immer genau dort hin zu setzen, wohin sie einen Moment später trat. Jetzt waren es seine Füße, die litten. Sarah hatte kein Mitleid. Sie hatte genug Schmerzen gelitten, also war es nur gerecht, wenn der Wissenschaftler für sein eigenes Ungeschick bestraft wurde. Herbert konnte die Tragödie nicht lange mit ansehen. Energisch versuchte er sein Glück - und brach Alfred fast den Zeh, als er eine schwungvolle Drehung führte. "Was ist bloß los mit dir?" seufzte er. "Du bist doch beinahe perfekt für mich, warum fällt dir das Tanzen bloß so schwer?" Alfred, der sich genug Beleidigungen über seine mangelnde Grazie angehört hatte zuckte nur mit den Schultern und tanzte verbissen weiter.

Sarah hatte schließlich Mitleid mit ihm. "Kommt, er hat sein bestes gegeben und mehr kann man ja nicht verlangen. Wir sollten für heute aufhören. Und du" damit wandte sie sich an Herbert "solltest dich vielleicht besser bei Magda entschuldigen. Wir haben jetzt alle unsere Ehrenschulden bezahlt und ich glaube, sie hatte die Beleidigung wirklich nicht verdient!"

Herbert sah Sarah mit einer hochgezogenen Augenbraue an. Wieso hatte sie sich denn so plötzlich zur Verteidigerin der armen, unterdrückten, mißhandelten Magda aufgeschwungen? Irgend etwas im Schloß war äußerst merkwürdig und es ärgerte ihn, dass er nicht informiert war. "Du hast recht, das sollte ich vielleicht wirklich." Diese ganzen neugeborenen Vampire hatten einen äußerst ungesunden Einfluß auf ihn. So oft wie in den vergangenen Wochen, hatte er sich in seinem ganzen bisherigen Leben nicht entschuldigen müssen. Allerdings, so musste er zugeben, hatte er auch noch nie viel gehabt, für das es sich zu Leben (existieren) lohnte. "Ich mache das besser alleine. Sonst glaubt sie bestimmt nicht, dass ich es ehrlich meine." erklärte Herbert den beiden Vampiren, die ihm aus dem Zimmer folgen wollten. "Glaubt ihr ich kann euch zwei alleine lassen, ohne dass ihr irgendwelche Dummheiten anstellt?" Bei diesen Worten griff er nach Alfreds Kinn und zwang ihn, ihm tief in die Augen zusehen. Dann warf er Sarah einen strengen Blick zu. "Sicher!" beeilten sich die Beiden ihm zu versprechen.

Kaum hatte Herbert den Raum verlassen konnte Sarah den Mund nicht länger halten. "Ich weiß etwas... aber du mußt mir versprechen, dass du es Herbert nicht verrätst!" erklärte sie Alfred. Der junge Mann runzelte nachdenklich die Stirn. Er war ja wirklich neugierig auf Sarahs großes Geheimnis, aber konnte er wirklich etwas vor Herbert verbergen? Widerstrebend nickte er mit dem Kopf. Er mußte es einfach wissen! Sarah beugte sich vor und strich sich die Haare hinters Ohr, die ihr ins Gesicht fielen. "Paß auf..." flüsterte sie.

Bevor sie weiter sprechen konnte, wurde die Tür geöffnet. Graf von Krolock betrat das Musikzimmer. Als er die beiden sah, die verschwörerisch die Köpfe zusammensteckten, fragte er sich, welche geheime Absprache er gerade unterbrochen hatte. "Alfred?" Sein Tonfall ließ keinen Widerspruch zu und Alfred trat gehorsam zu ihm. Da er auf einmal nicht mehr wußte, was er mit seinen Händen tun sollte, steckte er sie tief in die Hosentaschen. Der Graf legte ihm freundschaftlich einen Arm über die Schulter und begann leise auf ihn ein zusprechen.

Sarah spitzte die Ohren. Was mochte so wichtig sein, dass der Graf Alfred persönlich zur Seite nahm? Sie konnte sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen, als sie den Auftrag erfuhr: Herbert bis morgen Abend *unauffällig* vom Ballsaal fernhalten und die hektischen Vorbereitungen und spürbare Aufregung vor ihm zu verbergen. Sarah beneidete ihn nicht. Das war eine der zwölf Arbeiten des Herakles... und Alfred war wirklich kein mythologischer Held. Alfred selbst schien ebenfalls dieser Meinung zu sein, denn er machte einen sehr ratlosen Eindruck, als der Graf ihm ermutigend auf die Schulter klopfte und wieder aus dem Raum stolzierte, wobei er Sarah mit einem Kopfnicken aufforderte, ihm zu folgen. Entschuldigend sah sie ihn an und folgte dem Vampir.