Der Drachenkrieg Folge 4 – Die Sorge des Herzogs
Ist es ein Traum oder ist es Wirklichkeit? Bei einem Ausflug mit Yukari und Amano habe ich plötzlich eine Vision, in der eine Angehörige von Vans Rasse mir mit dem Tod droht. Als ich daraufhin versuche, Van zu erreichen, werden Yukari, Amano und ich abermals von einem Drachen angegriffen. Yukari wird schwer verletzt, bevor Allen erscheint und den Drachen besiegt. Während Amano über Yukari und ihr gemeinsames Kind wacht, brechen Allen, ich und der gefangene Drachenreiter nach Gaia auf. Nun werde ich Van wiedersehen...
„Au!"
Hitomi rieb sich ihre Kehrseite. Bis jetzt war sie beinahe immer auf weichem Untergrund gelandet, wenn sie von einer Energiesäule zwischen den Welten teleportiert worden war. Diesmal allerdings hatte sie der launische Strahl direkt auf einen ziemlich spitzen Stein fallen lassen. Allen hatte irgendwie das Kunststück geschafft, trotz des Energiesteins in der Hand und dem Katzenmann auf der Schulter auf den Beinen zu bleiben, wenn er auch etwas hin- und herschwankte.
„Alles in Ordnung?", erkundigte er sich sofort.
„Jaja", brummte Hitomi etwas verärgert über sich selbst. Warum wirkte sie in der Nähe des Ritters immer wie ein schutzbedürftiges Kind? Etwas abrupt stand sie auf, was ihr Kreuz sofort schmerzhaft quittierte. Dennoch verzog sie keine Miene. „Wo sind wir hier?"
„Schwierig zu sagen", meinte der Ritter, der den Gefangenen inzwischen abgelegt und das Drachenherz in seinem Wams verstaut hatte. „Die Gegend kommt mir bekannt vor, aber einordnen kann ich sie im Moment nicht."
„Heißt das, wir sind hier nicht in Farnelia?" Erschrocken sah Hitomi sich um. Aber wie das hochtechnisierte Zaibach sah die Gegend gottlob nicht aus. „Wie sollen wir dann zu Van und den anderen kommen?"
„Nur keine Sorge", antwortete Allen und winkte ab. Er zeigte nach vorn. „Dort drüben scheint ein Dorf zu sein. Dort werden wir uns erkundigen, wo wir hier sind. Danach werden wir weitersehen."
„Wird Van nicht versuchen, auf die Erde zu reisen, wenn wir ihn nicht benachrichtigen?", wandte Hitomi ein.
„Vermutlich", gab Allen zu. „Umso nötiger ist es, dass wir jetzt sofort losgehen. Wir müssen ihm schnell eine Brieftaube schicken, damit er nichts Unüberlegtes tut. Dein Hilferuf hat ihn beinahe durchdrehen lassen."
Hitomi wurde rot. „Tut mir Leid", murmelte sie. „Das wollte ich nicht. Ich..."
„War doch nicht so gemeint, Hitomi", beschwichtigte Allen grinsend, während er den bewusstlosen Katzenmann wieder auf die Schulter hievte. „Du warst ja wirklich in Gefahr. Außerdem hatte er offenbar lange nichts von dir gehört und als du um Hilfe riefst... da hat er eben etwas überreagiert. Du kennst ihn doch."
Hitomi blickte zu Boden und legte ihre Hand aufs Herz. „Ja", flüsterte sie zärtlich. „Ja, das weiß ich."
„Du wirst ihn bald wiedersehen, Hitomi, das verspreche ich", fügte Allen hinzu, dem dies natürlich nicht verborgen geblieben war. „Aber jetzt müssen wir weiter. Komm." Damit marschierte er los.
„Soll ich dir beim Tragen helfen, Allen?" Hitomi kam sich etwas schäbig vor. Allen hatte ihr das Leben gerettet und sie bot ihm nicht einmal ihre Hilfe an.
„Nein, danke. Diese Katzenmenschen sind nicht sehr schwer", entgegnete der Ritter. Dennoch bemerkte Hitomi an seinem stur nach vorn gerichteten Blick, dass er nicht völlig entspannt war. „Scheinen ziemlich leichte Knochen zu haben. Van hat Merle vor einem Jahr auch ohne Schwierigkeiten auf die Schulter geworfen und durch ganz Farnelia geschleppt, weil sie mit dem Einkaufen nicht fertig wurde." Allen grinste unverschämt. „Sie hat Schimpfwörter losgelassen, die ich in meiner ganzen Soldatenzeit nicht gehört habe. Und danach hat sie eine volle Woche lang nicht mit Van gesprochen."
Hitomi lachte. Die Vorstellung war einfach urkomisch. „Das hat Van gemacht?", gluckste sie. „Hört sich eigentlich gar nicht nach ihm an."
„Du hast ihn verändert, Hitomi", erklärte der Ritter mit ernstem Gesicht. „So wie uns alle. In den ersten Jahren nach deiner Abreise war er fröhlicher als in seiner gesamten Kindheit. Erst in letzter Zeit ist er wieder in seine alte Schwermut zurückgefallen."
„Weil ich nicht gekommen bin", vervollständigte Hitomi den Satz.
„Nun... ja", gab Allen zu. „Aber jetzt bist du da und nur das zählt. Ich wette, wenn er hört, dass du sicher angekommen bist, wird er uns entgegenfliegen, bis er vor Erschöpfung zusammenbricht. Keine Sorge, ich werde ihm davon abraten."
Den Rest des Weges verbrachten sie mit belanglosem Geplauder. Hitomi erfuhr so zum Beispiel, dass Zaibach von niemandem erobert worden war, sondern noch immer ein eigenständiger Staat war, von den Hexern verwaltet, die auch für Dilandau verantwortlich gewesen waren. Außerdem regierten Dryden und Millerna nun gemeinsam Asturia, obwohl sie nicht verheiratet waren. Auf die Frage hin, wie es seiner Schwester gehe, huschte eine Spur von Schmerz über das Gesicht des Ritters. Es gehe ihr gut, antwortete er, allerdings war Serenas Geist in manchen Dingen noch immer der eines kleinen Kindes, auch wenn sie schnell lernte. Momentan war sie bei Prinz Chid zu Gast, um mit ihm gemeinsam bei seinem Privatlehrer ihr Wissen aufzupolieren.
„Es tut mir Leid, was mit Serena passiert ist, Allen", sagte Hitomi mitfühlend. „Man hat ihr ihre gesamte Jugendzeit gestohlen."
Allen atmete tief durch. „Nein, nein, es ist schon gut. Jeder, der sie kennt, mag sie und ist glücklich. Ich bin so oft in ihrer Nähe, wie ich kann. Sie wird die verlorenen Jahre aufholen und bis dahin wird sie für uns alle eben wie eine minderjährige Schwester sein. Wir sind da."
Hitomi hatte es gar nicht gemerkt, aber sie hatten wirklich die ersten Häuser des Dorfes passiert. Sie wirkten neu, wie so vieles auf Gaia. Der Große Krieg hatte Opfer gefordert, aber er hatte den Überlebenden auch Gelegenheit gegeben, eine neue Welt zu schaffen. Seltsamerweise war aber niemand auf den Straßen zu sehen. Auch Allen hatte das bemerkt, denn er blieb stehen und seine rechte Hand umfasste den Griff seines Schwertes.
„Ist hier jemand?", rief er laut aus. Angespannt sah er sich um. „Wir kommen in Frieden. Wir haben uns verirrt."
„Keine Bewegung!", erschallte da plötzlich eine misstrauische Stimme über ihnen. Als Hitomi hochblickte, sah sie direkt in den Lauf einer Armbrust, die auf Allens Brust gerichtet war. Der jedoch blickte inzwischen wild um sich und hatte den Katzenmenschen zu Boden gleiten lassen. Um sie herum waren ärmlich gekleidete Gestalten erschienen. Sie waren alle bewaffnet, einige mit Schwertern und Armbrüsten, die meisten allerdings nur mit Heugabeln. Sie wirkten furchtsam, aber gleichsam beruhigt durch ihre Überzahl.
„Was soll das?", verlangte Allen zu wissen. Noch hatte er sein Schwert nicht gezogen. „Was haben wir euch getan?"
„Wer seid ihr?", fragte der Sprecher, noch immer misstrauisch. Er behielt Allen genau im Visier. „Und was wollt ihr hier?"
„Mein Name ist Allen Schezar, der Ritter des Himmels von Asturia", antwortete Allen mit hörbarem Stolz in der Stimme. Leises Murmeln erklang hinter ihm. „Und meine Begleiterin ist niemand anders als Hitomi Kanzaki, das Mädchen vom Mond der Illusionen. Wir sind auf dem Weg nach Farnelia und wollen herausfinden, wo wir sind."
„Woher sollen wir wissen, dass Ihr die Wahrheit sagt?", wollte der Anführer wissen, die förmliche Anrede zeigte allerdings, dass er schon halb überzeugt war.
„Wir sind in der Energiesäule vom Mond der Illusionen gekommen, die ihr bestimmt bemerkt habt", versuchte Allen ihn zu überzeugen. Er zog langsam unter den wachsamen Blicken der Bauern den Energiestein aus seinem Wams hervor. „Mit diesem Drachenherz."
Erschrockenes Keuchen ertönte, als das kunstvoll geformte Herz der Riesenechse kurz pulsierte. Dennoch wirkten nicht alle überzeugt, denn einige Waffen blieben oben.
„Wenn ihr uns nicht glaubt, dann bringt uns doch zu eurem Herrscher", schlug Hitomi vor. „Er wird zumindest Allen kennen."
„Na schön", knurrte der Mann nach kurzem Nachdenken und senkte die Armbrust. Hitomi atmete innerlich aus. „Wir werden Herzog Chid einen Boten schicken. Solange seid ihr unsere Gäste – oder unsere Gefangenen, ganz wie ihr es wollt, Ritter. Euer Schwert, bitte."
Einen Moment schien Allen versucht, die Waffe zu ziehen, aber ein Blick auf Hitomis warnendes Gesicht ließ ihn die Sinnlosigkeit dieser Tat einsehen. Wortlos öffnete er den Waffengurt und das Schwert fiel klirrend auf die Straße. Er blickte nicht einmal hinunter, als einer der Bauern es an sich nahm.
„Sehr gut", sagte der Anführer, der offenbar ein höherer Beamter des Dorfes war. „Bringt die drei ins Rathaus in den ersten Stock. Vor der Treppe werden zwei meiner Leute Wache halten, das werdet Ihr verstehen, wenn Ihr wirklich der seid, für den Ihr Euch ausgebt."
„Natürlich", antwortete Allen, aber dennoch sah man, dass er zumindest verärgert war. Er war es nicht gewöhnt, wie ein Gesetzloser behandelt zu werden.
„Es wird schon gut gehen, Allen", flüsterte Hitomi ihm zu, als sie von den Männern abgeführt wurden. „Werde bitte nicht ausfallend. Chid wird uns schon hier herausholen."
„Das will ich auch hoffen", knurrte der Ritter. „Sonst werde ich ihm, ob nun Herzog oder nicht, sosehr den Allerwertesten versohlen, dass er eine Woche lang alle Abgesandten nur noch stehend empfangen kann!"
„Was geht hier vor?"
Die Stimme des wütenden Königs übertönte sogar das Klirren von einem Dutzend bewaffneter Männer, die versuchten, die massive Tür des Beratungssaales von Farnelia einzuschlagen. Einige von ihnen wirkten im ersten Moment eingeschüchtert, als Van bebend vor Zorn im Tor des Thronsaals erschien. Diese Rabauken würden es teuer bezahlen, dass er Hitomi nicht hatte zu Hilfe kommen können!
Da kam auch schon der Rädelsführer hervor. Er trug ein zugegebenermaßen beeindruckendes silbern gefärbtes Kettenhemd mit dem Wappen seiner Familie auf der Brust. Außerdem hatte er anscheinend Helm und Schwert seines Vaters ausgeliehen, denn beides wirkte etwas groß für ihn, wenn er die Waffe auch mit zwei Händen ganz gut führen konnte. Ein Wichtigtuer. Van begann zu kochen, als er ihn nur sah. Die meisten übrigen Burschen bemerkten es offenbar, denn sie wichen zurück.
„Majestät", sagte der Junge fröhlich. „Da seid Ihr ja endlich. Diese Alten dort drinnen wollten uns Euren Aufenthaltsort nicht preisgeben. Wir sind..."
„Mich interessiert nicht, wer ihr seid", blaffte der junge König den Möchtegern-Krieger an. „Wegen euch musste ich gerade einen Hilferuf ignorieren! Warum seid ihr in den Palast eingedrungen?"
Der Junge wirkte nun auch etwas zusammengestaucht, aber er reckte das Kinn nach vorn und stellte sich in Positur. Immerhin hatte er tatsächlich genug Muskeln, um das Schwert heben und es vor das Gesicht zu halten.
„Wir wollen Euch mitteilen, dass wir die Entscheidung des Rates nicht billigen, Majestät", deklamierte er. „Wir wollen Euch dabei helfen, Rache an den Zaibachern zu nehmen für alles, was sie Farnelia angetan haben. Zusammen mit der Armee, die Euch versprochen wurde, werden wir den Zaibachern die Demütigungen des Großen Krieges heimzahlen!"
Die Burschen hinter ihm hatten offenbar wieder Mut gefasst, denn sie schwenkten die Schwerter über den Köpfen und stimmten leises Triumphgeschrei an. Allerdings hörten sie bald auf, als Vans Miene nicht freundlicher wurde. Dieser stand auch kurz davor, diesem Emporkömmling auf der Stelle das Schwert aus den Händen und die Hand in den Magen zu schlagen.
„Ihr glaubt also, dass mich der Rat in diesem Fall überstimmt hat, ja?", fragte er mit erzwungener Geduld. Jetzt zahlte sich das lange Warten auf Hitomi doch aus. Es war ein ausgezeichnetes Training für diese Situation gewesen.
„Selbstverständlich", antwortete der junge Schwertträger euphorisch. Er schien nicht zu bemerken, dass Van ihn noch immer düster musterte. „Ihr seid der größte Krieger von ganz Gaia, König Van! Wenn das Volk sieht, dass die jungen Männer hinter Euch stehen, dann wird es einsehen, dass die Entscheidung des Rates falsch war. Dann werden wir Euch nach Zaibach folgen und unsere Gefallenen rächen!"
„Indem wir ihnen neue hinzufügen?"
„Majestät?" Der Sprecher hatte endlich gemerkt, dass Van offenbar nicht uneingeschränkte Begeisterung zeigte.
„Die Entscheidung, Botschafter Kayd abzuweisen, wurde nicht vom Rat getroffen", erklärte Van mit düsterer Vorfreude. Endlich zeigte sich etwas Bestürzung auf den fanatischen Zügen. „Ich habe den Rat nicht einmal zu Rate gezogen, als ich ihn rauswarf! Glaubt ihr im Ernst, ich würde mein Volk schon nach fünf Jahren wieder in den Krieg führen? Nachdem es so viel erdulden musste, um Frieden zu erlangen?"
„Heißt das etwa, Ihr wollt unsere schmähliche Niederlage nicht rächen?", hakte der Anführer nach, als könne er es nicht glauben. „Das kann nicht Euer Ernst sein!"
„Was weißt du schon vom Krieg!", schrie Van plötzlich. „Als ich im Großen Krieg kämpfte, warst du noch mit deinen Eltern auf der Flucht aus Farnelia! Es gibt niemals einen Sieger im Krieg, selbst wenn eine Seite die andere auslöscht... höchstens die Geier und Raben! Farnelias Bürger haben jetzt nach den Kriegsjahren endlich wieder genug zu essen und ein Dach über dem Kopf... und ihr wollt das wegwerfen, weil ihr Starker Mann spielen wollt?"
„Aber mit der neuen Armee würden wir die Zaibacher beinahe ohne eigene Verluste niederwerfen können!", beharrte der Idiot stur. Sein Gesicht war eine Mischung aus Unglauben und Zorn.
„Du Dummkopf!" Van schnaubte. „Zaibacher Krieger werden von Kindesbeinen an zum Kampf trainiert! Ich weiß, was ein einzelner starker Krieger in einer Schlacht anrichten kann... Allen Schezar... Dilandau Albatou... ich selbst… wir alle haben alleine Regimenter von Feinden besiegt. Nur einige solcher Krieger auf der Seite der Zaibacher und ihr werdet vor Grabausheben nicht zum Kämpfen kommen! Wenn wir in Zaibach einfallen, werden sie sich hinter Barrikaden zurückziehen und stückweise aufreiben!"
Van fiel auf, dass die meisten Burschen hinter ihrem Anführer sehr still waren und ihn angstvoll ansahen. Der Junge selbst grinste jedoch selbstgefällig. „Jetzt weiß ich, was los ist, Majestät", höhnte er. „Ihr habt Angst! Ihr habt Angst, noch einmal verletzt zu werden, wenn Ihr den Drachen besteigt. Nun, macht Euch keine Sorgen. Escaflowne wird einen würdigeren Besitzer finden."
Noch vor zwei Jahren hätte Van diesem arroganten Kind ohne die Miene zu verziehen den Kopf abgehackt... zumindest einen Arm. Aber jetzt zahlte sich die Disziplin aus den Trainingskämpfen mit Allen aus. „Du würdest also auch ohne meine Führung gegen die Zaibacher ziehen?", fragte er mit kalter Stimme.
„Ich brauche Eure Hilfe nicht! Ich kann die Ehre von Farnelia auch allein retten!"
„Ehre!" Van schnaubte amüsiert. „Na schön! Dann ist es beschlossen!"
Die Augenbraue des Jungen zuckte verwirrt. „Heißt das, Ihr werdet dem Vorschlag des Botschafters doch zustimmen?"
„Nein. Aber ich mache dir ein Angebot." In Van loderte Vorfreude auf und er gestattete sich ein grausames Lächeln. Zufrieden registrierte er, wie einige der Kumpane dieses Idioten blass wurden. „Da du mich ja anscheinend des Kampfes für unfähig hältst, sollst du die Chance haben, es zu beweisen." Langsam zog Van das Königsschwert von Farnelia aus der Scheide und hielt es ins Licht. „Wenn du oder einer deiner Gefolgsleute mich im Zweikampf besiegt, dann werde ich euch Escaflowne überlassen. Sollte ich allerdings siegreich sein, dann werdet ihr ohne weitere Rebellion zu euren Familien zurückkehren und fortan das Wort „Krieg" nicht einmal mehr in den Mund nehmen. Die Kämpfe sollen morgen im Palasthof stattfinden, damit ihr euch noch ein bisschen erholen könnt. Jeder, der den Mumm dazu hat, darf gegen mich antreten, sagt das auch euren Spießgesellen. Das ist die Entscheidung eures Königs!"
Der Kerl schien nun doch etwas Bammel zu haben, aber die Anwesenheit seiner Freunde hinderte ihn daran, klein bei zu geben. „Glaubt Ihr etwa, ich hätte Angst vor Euch?", fragte er, aber seine Stimme zitterte etwas.
Einige der Jungen schworen ihren Kindern später, dass König Van Farnels Augen in diesem Moment wie kleine Kohlenstücke brannten und seine Zähne so spitz wie die eines Wolfes wirkten, als er zu grinsen begann. „Hoffentlich nicht", antwortete er in einem Ton, der einige der Radaubrüder in Schweiß ausbrechen ließ. „Sonst würde unser Kampf sehr langweilig."
Ihre Haft, wenn man es so nennen konnte, denn die Zimmer, die man ihnen zuwies, waren einigermaßen gemütlich und auch an der Verköstigung gab es nichts auszusetzen, dauerte kürzer, als Hitomi angenommen hatte. Schon am späten Nachmittag des Tages hörte man viele Hufe in der Stadt. Auch das Rollen eines schweren Gefährts, höchstwahrscheinlich einer Kutsche, war deutlich zu vernehmen. Und diese Bauern, glaubte Hitomi, konnten sich so etwas nicht leisten. Das konnte nur heißen...
„Mein Herzog", vernahm sie auch gleich darauf die etwas leise Stimme des Anführers der Truppe, die sie gefangengenommen hatte. „Wir hatten Euch nicht so früh erwartet."
Aufgeregt kniete sich Hitomi auf das Bett ihres Zimmers und sah aus dem schmalen Fenster, welches Ausblick auf den Dorfplatz gewährte. Sie sah sofort das gute Dutzend berittene Soldaten, die um eine große, golden angemalte und mit mannigfachen Schnitzereien versehene Kutsche angehalten hatten. Sie blickten entschlossen, fast grimmig, auch wenn ihnen von den paar Bauern hier kaum Gefahr drohte. Wer allerdings in der Kutsche saß, konnte sich Hitomi nicht denken, denn der blonde junge Mann, dessen Gesichtszüge denen Allens allmählich zu gleichen begannen, ritt auf einem etwas kleineren Pferd vor den Soldaten her. Herzog Chid war gekommen.
„Was geht hier vor?", verlangte er zu wissen. Seine Stimme war etwas dunkler, auch wenn er noch nicht im Stimmbruch war. Er trug eine Robe ähnlich der, die sein rechtlicher Vater, der verstorbene Mann von Millernas Schwester Marlene, bei Hitomis erstem Besuch in Freid auch getragen hatte, nur dass er den Helm abgenommen hatte, was seine goldenen Haare voll zur Geltung brachte. Der Blick, den er den Leuten zuwarf, war allerdings streng. „Euer Bote erreichte uns, als wir gerade selbst aufbrechen wollten, um nach der Ursache der Lichtsäule zu suchen. Er erklärte uns, ihr hättet drei Reisende in Gewahrsam genommen, von denen einer behauptet, Allen Schezar zu sein."
Hitomi wartete gar nicht ab, was der Anführer antworten würde, sondern sprang vom Bett und rannte zur Tür. Sie riss sie auf und hämmerte daraufhin an Allens Tür, die direkt neben ihrer lag. Trotz der Versicherung, ihnen werde nichts geschehen, wollte er in ihrer Nähe sein.
„Allen!", rief sie aufgeregt. „Chid ist angekommen! Komm raus, wir müssen uns ihm zeigen!"
Es dauerte ungefähr eine Minute, dann öffnete der Ritter die Tür. Sein Haar war etwas durcheinander, anscheinend hatte er gerade geschlafen. Dafür sprach auch die Tatsache, dass er einen geringfügig müden Eindruck machte. Verwirrt blickte er Hitomi an, die sich ein Grinsen nicht völlig verkneifen konnte.
„Schon?", fragte er ungläubig. „Er muss geflogen sein. Ich habe damit gerechnet, dass er vielleicht morgen eintrifft. Nun, lass uns gehen. Ich kann es kaum erwarten, die Gastfreundschaft dieses Ort nicht mehr in Anspruch nehmen zu müssen."
Die beiden Wachen, die bisher an der Treppe gestanden hatten, deuteten nun wortlos hinunter und ließen sie passieren. Allen schritt zwischen ihnen hindurch, ohne sie eines Blickes zu würdigen und Hitomi folgte ihm. Chid hatte sie beeindruckt, aber ihn aus der Nähe ansehen zu können war etwas völlig anderes. Sie fragte sich nur, wer in der Kutsche saß. Vielleicht ein Mönch oder ein Gast des Herzogs?
Als sie aus dem Haus traten, verstummten die Gespräche ringsum. Die Augenpaare der Soldaten waren ebenso auf sie gerichtet wie die der Bauern. Auch das hellblaue Paar des jungen Herzogs hatte sie erspäht und sofort machte sich Wiedererkennen in ihnen breit. Mit einem freudigen Aufschrei glitt er vom Pferd und ging gemessenen Schrittes auf sie zu. Ja, ihm war von Kindesbeinen an eingetrichtert worden, Umgangsformen zu wahren, erinnerte sich Hitomi.
„Allen!", rief er glücklich aus. „Und Hitomi! Ich konnte es kaum glauben, als ich hörte, ihr beide wärt in meinem Reich aufgetaucht. Seid mir herzlich willkommen!"
„Eure Hoheit." Allen verneigte sich respektvoll und Hitomi tat es ihm gleich. Sie hatte sich nie den üblichen Hofknicks angewohnt, da sie fast niemals Kleider trug. Bisher hatte es ihnen auch niemand übelgenommen. „Ich darf sagen, dass ich sehr froh bin, Euch so bald hier zu sehen."
„Das kann ich mir vorstellen." Ein jugendliches Grinsen erhellte Chids Gesicht. Dann drehte er sich um und rief im Befehlston aus: „Dieser Mann ist tatsächlich Allen Schezar und seine Begleiterin ist, wie er sagte, Hitomi Kanzaki! Zeigt ihnen den Respekt, den sie verdienen!"
Die Bauern sanken zu Boden, während die Soldaten ehrfürchtig salutierten. Die meisten von ihnen kannten Allen und die anderen hatten selbstverständlich von ihm gehört. Und Hitomis Name war ohnehin Legende auf Gaia. Die Seherin vom Mond der Illusionen. Sie wurde etwas rot und beeilte sich, mit Chid ins Gespräch zu kommen.
„Ihr habt Euch sehr verändert, Herzog", behauptete sie. „Die Robe Eures Vater steht Euch sehr gut, finde ich."
„Findet Ihr?" Er strahlte sie an. „Nun, über Mode können wir später noch reden. Zunächst, wurdet Ihr und Allen gut behandelt?"
„Es gab nichts auszusetzen", meinte Allen mit einem Seitenblick auf die knienden Bauern. „Aber gestattet mir die Frage, warum sind diese Menschen so misstrauisch Fremden gegenüber? Hängt es mit Zaibach zusammen?"
Chids Gesicht wirkte bekümmert. „Unter anderem, ja", gab er zu. „Aber kommt mit. In der Kutsche wartet jemand schon sehnlich auf euch. Wir wollen sie nicht länger warten lassen."
„Sie?" Allens Gesicht hellte sich auf. „Ist es etwa..."
„Allen! Allen!", rief plötzlich eine helle Frauenstimme aus Richtung Kutsche. Sofort wandten sich alle Blicke der jungen Frau zu, die mit wehenden Röcken aus dem Gefährt geklettert war und auf den Ritter zurannte. Sie strahlte wie eine Honigkuchenpferdfabrik.
„Serena!" Allen breitete seine Arme aus und als seine kleine Schwester sich hineinfallen ließ, hob er sie hoch und wirbelte sie herum. Serena ertrug das lachend und klammerte sich an seinem Hals fest. Hitomi wurden die Augen feucht, als sie dieses Bild sah.
„Ich hab' dich so vermisst!" Serena wartete, bis ihrem Bruder die Puste ausging und er sie absetzen musste. Dann setzte sie einen Schmollmund auf. „Warum hast du mich so lang allein gelassen?"
Hitomi fiel ein, was Allen gesagt hatte. Dass Serena manchmal noch wie ein kleines Mädchen handelte, weil ihr ihre Kindheit gestohlen worden war. Sie fühlte Mitleid in sich aufsteigen, aber es löste sich auf, als sie sah, wie sehr die junge Frau sich freute, als ihr Bruder ihre Wangen anfasste und ihr einen Kuss auf die Stirn gab. Jemand, der so glücklich war, brauchte kein Mitleid.
„Tut mir Leid", entschuldigte sich Allen. „Ich konnte Van nicht so einfach allein lassen. Außerdem kann ich auch Asturia auch nicht immer den Rücken kehren, um bei dir zu sein."
Einen Moment sah ihn Serena noch gespielt böse an, aber dann wandte sich ihr Blick Hitomi zu. „Wer ist das?", fragte sie. „Ist das deine Freundin, Allen?"
Man sollte es nicht für möglich halten, aber der Ritter des Himmels wurde rot. Chid hatte sich weggedreht und versuchte zu pfeifen, aber es gelang ihm nicht, vermutlich aus demselben Grund, aus dem seine Schultern zitterten. Auch die Soldaten schienen plötzlich unglaublich interessante Dinge in der Luft und am Boden entdeckt zu haben.
„Nein. Erinnerst du dich nicht an sie, Serena?", fragte Allen. Er wusste, dass er Serena nun erschrecken würde. „Das ist Hitomi. Das Mädchen vom Mond der Illusionen."
Einen Augenblick lang sah Serena Hitomi verständnislos an, aber dann kam die Erinnerung. Allen hatte ihr das meiste davon erzählt, was Dilandau in ihrer Abwesenheit getan hatte, auch wenn er die schrecklichsten Szenen weggelassen hatte. Die beiden Persönlichkeiten ahnten zwar, dass es auch jemand anderen in ihrem Körper gab, aber sie konnten sich nicht daran erinnern, was der andere tat. Dennoch wusste Serena natürlich aus diesen Erzählungen, was Dilandau Hitomi und vor allem Van angetan hatte. Sie hatte es lange Monate nicht gewagt, dem König von Farnelia auch nur nahe zu kommen, auch wenn er sich bemühte, sie freundlich zu behandeln. Aber sie hatte noch immer Angst, er könnte plötzlich die Killermaschine in ihm sehen, die ihn so sehr hatte leiden lassen. Und jetzt stand vor ihr das Mädchen, das Van liebte. Sie senkte rasch den Kopf und machte einen Schritt rückwärts. Hitomi ahnte, dass das arme Mädchen nicht wusste, was sie sagen sollte, deshalb nahm sie ihr die Entscheidung ab. Schnell machte sie zwei Schritte nach vorn, umarmte Serena und zog sie an sich. Allens Schwester stockte der Atem.
„Du bist nicht Dilandau, Serena", flüsterte sie der völlig überraschten Frau ins Ohr. „Mach dich nie für das verantwortlich, was er getan hat, denn ich tue es auch nicht. Du bist eine wunderschöne, gutherzige Frau und Allen liebt dich mehr als alles andere. Sein Vertrauen genügt mir."
„Du... magst mich?" Serenas Stimme zitterte, aber die Träne, die Hitomis Hemd durchnässte, war keine der Trauer. „Aber du kennst mich doch gar nicht." Dennoch legte sie zögernd ihre Hände um Hitomis Rücken.
„Und du willst mir nichts Böses, nicht wahr?", fragte Hitomi sanft. „Ich möchte nicht, dass du in meiner Nähe Angst hast. Für mich bist du nur die Schwester eines guten Freundes, die ich unbedingt näher kennen lernen möchte."
Plötzlich wurde Hitomi die Luft aus den Lungen gepresst, als Serena sie mit all ihrer Kraft umarmte. Um Himmels Willen, diese junge Frau war stark! „Ich danke dir!", rief sie mit der unerschütterlichen Euphorie eines Kindes. „Ich werde dich nicht enttäuschen. Ich werde..."
„... sie noch erdrücken, wenn du so weitermachst", führte Allen den Satz trocken zu Ende. „Lass sie doch wenigstens Luft holen, Serena."
Erschrocken ließ seine Schwester Hitomi los, die daraufhin tief einatmete. Gleich darauf lächelte sie die verletzt blickende Serena an, um zu sagen „Du hast mir nicht wehgetan". Sie nahm die Hand der jungen Frau und sah zu Allen und Chid, die höflich abseits standen und die Szene beobachtet hatten.
„Siehst du, Serena?", fragte Allen zwinkernd. „Ich habe dir doch gesagt, dass Hitomi ein ganz besonderer Mensch ist, oder?"
„Ja", schniefte Serena. Der Eindruck, den sie machte – beschämt und fröhlich zugleich – brachte die Umstehenden zum Lachen. Sie sah sie böse an.
„Eure Schwester ist wirklich einzigartig, Ritter Allen", bemerkte Chid kichernd. „Anders als diese langweiligen Prinzessinnen, die man mir zur Heirat vorschlägt. Wenn ich könnte, würde ich Serena sofort heiraten."
„Tut mir Leid, Hoheit", entgegnete Allen bedauernd. „Aber so schnell lasse ich sie mir nicht mehr wegnehmen. Ich habe lange genug auf sie verzichten müssen." Falls er noch etwas sagen wollte, ging das in Serenas Umarmung unter. Das Mädchen schien ein Faible für intensiven Körperkontakt zu haben... außerdem wechselte sie die Stimmung offenbar wie andere Leute den Gesichtsausdruck.
„Das ist so lieb von dir, Allen", sagte sie treuherzig. Chid seufzte.
„Ja, das verstehe ich, Allen. Sehr schade. Aber ich bin ohnehin noch zu jung zum Heiraten. Wollt ihr mich jetzt nicht in die Burg begleiten? Hitomi kann mit Serena in der Kutsche fahren und für Euch haben wir ein Pferd mitgebracht. Jetzt, da wir wissen, dass ihr für die Energiesäule verantwortlich wart, können wir sofort wieder heim."
„Das wäre sehr angenehm, Majestät", bedankte sich Allen. „Allerdings haben wir noch einen weiteren Reisegefährten... oder besser eine Geisel. Er hat Hitomi auf der Erde angegriffen. Und Hitomi und ich müssen außerdem König Van schnell eine Nachricht zukommen lassen. Ansonsten stürzt er sich vielleicht noch in Schwierigkeiten."
„Dazu werdet ihr sofort Gelegenheit haben, wenn wir in der Stadt sind", versprach der junge Monarch und stieg in den Sattel. „Und für den Gefangenen müsste auch noch Platz auf einem der Pferde sein. Lasst ihn holen!", befahl er den Bauern. Als auch Allen, der sein Schwert wiederbekommen und sofort umgeschnallt hatte, auf seinem Pferd saß und Hitomi und Serena die Kutsche bestiegen hatten, hob er die Hand und wendete sein Pferd. Die Reise in die Hauptstadt von Freid verging durch angeregte Gespräche ziemlich schnell.
„Können wir es uns denn leisten, ein solches Angebot auszuschlagen?", erregte sich eine der düster gekleideten Gestalten. Nur weil sie in den Nachwirren des Krieges die Herrschaft von Zaibach an sich gerissen hatten, hieß das nicht, dass sie sich solchem Pomp hingaben wie die dekadenten Herrscher von Asturia. Sie trugen noch immer die schwarzen Roben, die sie früher als Hexer im Dienste Kaiser Dornkirks ausgewiesen hatten.
„Die Frage ist viel mehr", warf ein anderer, hochgewachsener Hexer ein, „können wir es uns leisten, es ANZUNEHMEN?"
„Was wollt Ihr damit sagen, Foruma?", wollte der erste wissen. Er funkelte den anderen an. „Diese Armee würde uns in die Lage versetzen, die Niederlage aus dem Großen Krieg mit einem Schlag zu rächen!"
„Und habt Ihr Euch auch überlegt, was uns das kostet, Garufo?", fragte der hochgewachsene Foruma noch immer gelassen. Auf das verblüffte Schweigen des anderen erlaubte er sich ein spöttisches Lächeln, was seine blassen Züge noch furchterregender aussehen ließ. „Genau! Nichts! Wir wissen es nicht."
„Denkt Ihr etwa, dieser Botschafter Siran ist ein Hochstapler?", warf ein anderer der vier, ein Mann namens Kuaru, interessiert ein. Wie alle anderen war kahlgeschoren und hatte die weiße Haut eines Wissenschaftlers, der frische Luft und Sonnenlicht für gesundheitsschädlich hielt. „Meint Ihr, er ist von Asturia geschickt worden?"
„Nein, das nicht." Foruma schloss die Augen. „Aber können wir es uns wirklich leisten, das Angebot von jemandem anzunehmen, der uns nicht einmal seinen Auftraggeber, geschweige denn seinen Preis nennen will? Immerhin sind die Augen von ganz Gaia auf uns gerichtet."
„Ihr meint, falls sich herausstellt, dass diese sogenannte Armee ein Reinfall ist, dann werden Asturia und seine Verbündeten uns angreifen?", vergewisserte sich Kuaru. „Das ist natürlich möglich. Und aus Siran ist nicht mehr herauszukriegen?"
„Nicht ohne... spezielle Behandlung", meldete sich der letzte der vier, Paruchi, mit tiefer Stimme zu Wort. „Und falls wir auf seine Armee Wert legen, wäre davon abzuraten, sich den Zorn seines Herrn zuzuziehen."
„Seiner Herrin", berichtigte Kuaru. „Er spricht für einen weiblichen Herrscher."
„Tatsächlich?", wunderte sich Garufo. „Nun, wenn das stimmt, schließt es die uns bekannten Länder aus. Nur Asturia wird von Königin Millerna regiert und SIE würde uns keine Armee anbieten."
„Herr oder Herrin." Paruchi schüttelte unwillig den Kopf und stand auf. Der Beratungssaal von Zaibach war schon seit langen Jahren unbenutzt. Seit Kaiser Dornkirk das Reich mit starker Hand geführt hatte, waren Beratungen überflüssig gewesen. Jetzt hatten die Hexer den Raum wieder reaktiviert. „Das ist doch im Grunde unwichtig. Von Belang ist nur: Sollen wir auf diese Armee vertrauen... oder nicht?"
„Wie weit ist der Aufbau unserer eigenen Armee vorangeschritten?", verlangte Foruma zu wissen.
„Nicht weit genug", verkündete Garufo ernst. „Zaibachs Ressourcen werden langsam knapp! Nicht nur die Metalle für neue Waffen und Guymelefs sind sehr begrenzt, auch der Drachenfriedhof ist nahezu ausgeschöpft. Und wir können uns im Moment nicht einmal mit Asturia messen, geschweige denn mit allen vereinten Ländern!"
Die vier Herrscher des ehemals mächtigsten Landes von Gaia schwiegen. Die Lage war schlecht. Es war nicht auszuschließen, dass Asturia oder einige andere Länder irgendwann angreifen würden. Dazu bedurfte es nicht viel, möglicherweise nur einiger Aufwiegler. Und dann würde Zaibach endgültig untergehen.
„Ich denke, wir haben keine Wahl", beschloss Paruchi schließlich widerwillig. „Wir werden nach dem Botschafter schicken lassen müssen. Es wird uns nichts anderes übrigbleiben, als der Zurechnungsfähigkeit seiner Herrin zu vertrauen."
„Es gefällt mir nicht, von einer Unbekannten abhängig zu sein", sagte Foruma düster. „Wer weiß schon, was sie von uns als Preis für ihre Hilfe fordern wird?"
„Dieses Risiko müssen wir eingehen, sonst können wir nicht für Zaibachs Sicherheit garantieren."
„Zaibachs Sicherheit?" Garufo schnaubte. „Sollte diese Armee wirklich halten, was sie verspricht, dann werden wir nicht nur ewige Sicherheit genießen, unsere Feinde werden vor uns knien müssen!"
„Wir sollten aber dennoch nicht unvorsichtig werden", bremste Kuaru den Enthusiasmus seines Kollegen scharf. „Ist Euch noch nicht der Gedanke gekommen, warum diese ach-so-mächtige Person ihre Armee nicht direkt gegen uns eingesetzt hat?"
Das ließ die anderen verstummen.
„Vielleicht braucht sie etwas von uns", vermutete Paruchi unsicher, aber man sah, dass er selbst nicht daran glaubte.
„Was könnten wir schon bieten, was sie sich nicht auch mit Waffengewalt holen könnten?" Kuaru schüttelte den Kopf. „Nein, an diesem Angebot ist vieles sehr seltsam."
„Soll das heißen, Ihr wollt auf die Armee verzichten?" Garufo schäumte beinahe. „Dann ist Zaibach dem Untergang geweiht, und Ihr wisst das!"
„Wer hat etwas von verzichten gesagt? Ich weise lediglich darauf hin, dass vieles hier nicht stimmt. Dass wir den Botschafter genau im Auge behalten sollten. Foruma, wollt Ihr dazu nicht auch etwas sagen?"
„Ja, Euch ist eine weitere verstörende Tatsache vielleicht nicht bekannt, werte Kollegen", bemerkte der große Zaibacher. „Was würdet Ihr sagen, wenn auch die Asturier dasselbe Angebot erhalten hätten wie wir?"
Das ließ Garufo und Paruchi entsetzt aufspringen. Nur Kuaru, der bereits Bescheid gewusst hatte, blieb ruhig.
„Woher wisst Ihr das?"
„Es ist nicht schwer, in Asturia Spione einzuschleusen", antwortete Foruma geringschätzig. „Die ganze Stadt ist ein Brutplatz für Intrigen. Einer von ihnen konnte dieses Angebot mithören, das ein anderer Botschafter namens Kayd Regent Dryden und Regentin Millerna machte."
„Wie steht es mit den anderen Staaten?", fragte Garufo nach kurzem Schweigen.
„Es ist schwer, in Farnelia und Freid Spione einzuschleusen, weil ihre Herrscher ihre Vertrauten genau kennen." Foruma schürzte ärgerlich die Lippen. „Aber wir müssen davon ausgehen, dass auch sie das Angebot bekommen haben. Die anderen Länder sind momentan nicht in der Lage, irgendeine Armee auszurüsten, dafür sind sie noch zu sehr vom Großen Krieg geschwächt."
„Dennoch wäre selbst einer der drei verbleibenden Gegner fatal, wenn er diese Armee bekommt", bestätigte Kuaru das Offensichtliche.
Wieder herrschte eine Zeitlang Schweigen.
„Dann bleibt uns gar keine andere Wahl, nicht wahr?" Garufos Stimme enthielt etwas Triumph, wenn man genau hinhörte.
„Nein." Kuaru gab es nur ungern zu. „Aber wir sollten den Botschafter dennoch genau im Auge behalten lassen. Und diese mysteriöse Armee genauso, wenn sie ankommt."
„Einverstanden." Paruchi erhob sich und läutete. Ein junger Soldat erschien im Türrahmen, der sich tief verbeugte. „Hol Botschafter Siran!", befahl er. „Sag ihm, dass wir zu einer Entscheidung gekommen sind."
„Hoffen wir beim Schicksal, dass es die richtige war", flüsterte Foruma, die daraufhin folgte.
In der nächsten Folge...
Hitomi lernt die neuerbaute Hauptstadt von Freid kennen... Chid erklärt ihr das neue Kräftegleichgewicht auf Gaia... Serena verspricht Allen, auf Chid aufzupassen... Allen und Hitomi reisen mit dem Crusado nach Farnelia... Allen erzählt Hitomi die Legende von Gaias Schöpfungsgeschichte... in Farnelia werden sie von Merle begrüßt...
Titel: Das Schicksal von Atlantis
