Der Drachenkrieg Folge 5 – Das Schicksal von Atlantis

Ist es nur ein Traum oder ist es Wirklichkeit? Nachdem Allen und ich in Gaia angekommen sind, werden wir von misstrauischen Dorfbewohnern gefangengenommen. Gleichzeitig steht Van vor dem Problem, dass einige Jungen seine Entscheidung, Botschafter Kayds Armee zurückzuweisen, nicht akzeptieren. Er fordert sie zum Kampf. Bald darauf werden Allen und ich von Herzog Chid und Allens Schwester Serena befreit. Während wir unser Wiedersehen feiern, bekommen die Hexer, die derzeitigen Herrscher von Zaibach, genau dieselbe Armee angeboten wie Van und die anderen Regenten...

Diesmal war das Erwachen viel angenehmer als in den Nächten zuvor. Hitomi streckte genießerisch ihre Glieder, als sie das himmlische Gefühl der Ausgeruhtheit genoss. Letzte Nacht hatten sich endlich keine Visionen in ihre Träume gedrängt und das Himmelbett, das in dem königlichen Gästezimmer stand, welches ihr Chid zugewiesen hatte, hatte das übrige getan, um sie wie ein Bär schlafen zu lassen.

Als sie sich die Augen reibend aufsetzte, fiel ihr Blick auf das Bündel gefaltete Kleider, das am Fußende des Bettes lag. Sie lächelte. Serena hatte gestern, als sie hörte, dass Hitomi in der Eile wieder mal nicht an Kleidung gedacht hatte, sofort beschlossen, ihrer neuen Freundin einige ihrer eigenen Sachen zu schenken. Sie hatte es sich nicht nehmen lassen, persönlich einige der schönsten Stücke ihrer Sammlung herauszusuchen. Offenbar war sie in aller Frühe hereingeschlichen und hatte Hitomi ein paar Stücke bereitgelegt.

Beim Anziehen stellte sie fest, dass die Sachen nicht allzu groß waren, da sie in den letzten 5 Jahren noch einige Zentimeter gewachsen war. Allerdings war es einigermaßen ungewohnt, wieder ein Kleid zu tragen. Normalerweise trug sie Hosen oder Miniröcke wie die der Schuluniform. Sie nahm sich vor, Van nach solchen Sachen zu fragen, wenn sie in Farnelia war. Auch wenn es die Bürger seines Landes sicher schockieren würde, Hitomi hatte nicht vor, ewig in solchen Sachen rumzulaufen, in denen sie keinen großen Schritt machen konnte, ohne den Rock anheben zu müssen.

Dann drehte sie sich zum Spiegel um, der fast die Hälfte der Wand einnahm. Sie drehte sich um die eigene Achse und nickte zufrieden. Das spitzebesetzte, beinahe bodenlange orange Kleid stand ihr zwar bei weitem nicht so gut wie der ursprünglichen Besitzerin, aber sie musste zugeben, dass sie in Kleidern hier nicht so lächerlich wirkte wie auf der Erde. Vielleicht würde sie sich ja doch irgendwann daran gewöhnen. Und die beiden Jadearmbänder, die ihm beilagen, passten perfekt zu ihren Augen. Sie setzte sich an den Frisiertisch und begann damit, ihre Haare, die von der Nacht noch ziemlich wirr waren, in einen einigermaßen vorzeigbaren Zustand zu versetzen. Jetzt bedauerte sie es fast, dass sie nicht länger waren. Zu einem Kleid würden ihr schulterlange Haare sicher gut stehen. Während sie die letzten Strähnen glatt bürstete, klopfte es an der Tür.

„Hitomi?" Allen stand also draußen. Sie beschloss, ihr Aussehen an ihm zu testen. Sie stand auf, richtete ihr neues Kleid und sagte: „Komm rein, Allen!"

Als der Ritter das Zimmer betrat und sein Blick auf Hitomi fiel, stockte ihm der Atem und seine Augen wurden groß. Hitomi lächelte zufrieden über diese Reaktion. Wenn Allen schon so reagierte, würde es bei Van vermutlich ebenso sein.

„Und?", fragte sie harmlos. „Findest du, es steht mir?" Damit drehte sie sich noch einmal im Kreis. Allen ächzte, was sie leicht grinsen ließ.

„Ob es dir STEHT?" Er fragte das so, als hätte sie ihn gefragt, ob die Sonne hell sei. „Hitomi, du siehst großartig aus! Trägst du auf dem Mond der Illusionen denn keine Kleider?"

„Eigentlich nicht", gestand sie. „Bei uns sind sie aus der Mode. Ich habe das Kleid von Serena bekommen. Das macht dir doch nichts aus, oder?"

„Wieso sollte es?" Allen fing sich wieder, trat an sie heran und reichte ihr den Arm. „Serena liebt dich. Es ist nur verständlich, dass sie dir ein Geschenk machen will." Sein bewundernder Blick streifte sie noch einmal. „Und sie hätte kein passenderes finden können."

„Findest du?" Angesichts dieser Komplimente errötete Hitomi etwas, aber jedes Mädchen wäre wohl erfreut, von einem Ritter derartige Dinge zu hören. „Aber glaubst du nicht, dass du mit Serena etwas übertreibst?"

„Nein, das glaube ich nicht", meinte er, als er sich in Bewegung setzte. Sie tat es ihm nach. „Natürlich mag sie fast jeder, der sie kennt, aber sie hegt immer noch beinahe panische Scheu vor den Leuten, die wissen, wer sie früher war. Sie will mich auch jetzt nur nach Farnelia begleiten, wenn sie Van nicht unter die Augen treten muss und auch nach Asturia habe ich sie nur mit viel gutem Zureden gebracht." Er richtete seinen Blick wieder auf Hitomi. „Was du ihr gestern gesagt hast, bedeutet ihr sehr viel, Hitomi. Sie betet dich an."

Jetzt war Hitomi wirklich tomatenrot. „Na, ich hoffe, dass sie das in der Öffentlichkeit verbergen kann", murmelte sie unbehaglich. „Es ist etwas peinlich, von einer älteren Frau so impulsiv umarmt zu werden. Vor allem, wenn sie so kräftig ist." Sie dachte an die Umarmung am vorigen Tag und schauderte.

Allen lachte auf. „Ja, das ist wenigstens etwas Gutes, das man Dilandau nachsagen kann. Er hat dafür gesorgt, dass jeder, der sich über Serena lustig macht, es bitter bereuen wird. Sie kann sich gut selbst verteidigen. Hier rein, Hitomi. Sehen wir mal, was die anderen zu deinem neuen Aussehen sagen."

Als die beiden eintraten, befanden sich bereits Herzog Chid, Serena, ein älterer Mann, der vermutlich ihrer beider Lehrer war und ein etwas jüngerer, muskulöser Mann, der direkt neben Chid saß, im Raum. Die Blicke, die man Allen und vor allem ihr schenkte, waren sehr verschieden. Herzog Chid wirkte lediglich erfreut, sie zu sehen, aber er war auch noch etwas jung für solche Sachen. Der alte Lehrer und der Muskelmann hingegen zogen anerkennend die Augenbrauen hoch, standen auf und verbeugten sich tief. Auch wenn ihre Reaktion nicht so spektakulär wie Allens war, war Hitomi doch zufrieden. Sie hatte auch nicht erwartet, dass jeder Mann in Gaia ihr zu Füßen liegen würde, wenn sie ein Kleid anzog. Ihr reichte einer.

Serenas Gesicht leuchtete und sie klatschte in die Hände. „Wundervoll!", rief sie. „Das Kleid steht dir gut, Hitomi. Gefällt es dir? Allen hat es mir geschenkt, aber zu dir passt es besser als zu mir."

Darüber konnte man streiten, fand Hitomi. Serena sah in dem tiefblauen, mit silbernen Stickereien versehenen Kleid auch umwerfend aus und sie war es gewöhnt, Kleider zu tragen. Aber dennoch freute sie sich über das Lob einer Kennerin. „Danke, Serena. Ich finde es auch sehr schön, aber wegen mir musst du doch nicht deine Garderobe plündern."

„Keine Sorge, Hitomi", beschwichtigte Chid, der ein leidendes Grinsen aufgesetzt hatte. „Meine armen Möbeltischler mussten bereits erfahren, dass kein Schrank groß genug sein kann für Lady Serenas Garderobe. Wenn Ihr etwas davon mitnehmt, wird sie wenigstens imstande sein, die Schranktüren zu öffnen, ohne dass der Inhalt herausquillt."

„Hast du denn schon wieder eingekauft, Serena?", fragte Allen gespielt verzweifelt. „Du wirst uns noch ruinieren. Bald werden wir unser Haus verkaufen müssen."

„Wenn Mama noch da wäre, würde sie dich rügen, weil du mich dauernd aufziehst", beklagte sich Serena schmollend. „Ich will doch nur ebenso gut aussehen wie du, Allen."

„Das würdest du auch im Bauernkleid schaffen."

„Ähem", machte sich der muskulöse Mann bemerkbar. „Hoheit, wollt Ihr uns nicht der Dame vorstellen? Ich glaube, Wenard werden langsam die Glieder schwer." Er deutete auf den älteren Mann, der tatsächlich einen etwas verkniffenen Gesichtsausdruck hatte.

„Natürlich." Chid wirkte verlegen, als er aufstand und auf den älteren der beiden deutete. „Hitomi, das ist Bejim Wenard, mein und momentan auch Serenas Hauslehrer. Meister Wenard, dies ist Hitomi Kanzaki, die Seherin vom Mond der Illusionen."

„Es ist mir eine Ehre, Euch kennen zu lernen", deklamierte der Gelehrte und verbeugte sich noch einmal. „Wie schön, wenn man behaupten kann, jemanden, der Gaias Geschichte dermaßen eindrucksvoll geprägt hat, persönlich getroffen zu haben." Nachdem Hitomi ihm gedankt hatte, setzte er sich wieder hin.

„Und das", fuhr Chid fort, „ist Vicozar. Er ist Boris' Nachfolger als mein oberster Berater und gleichzeitig Leibwächter."

„Ich bin ein einfacher Mann und geschliffene Floskeln sind mir fremd", behauptete der großgewachsene Mann. „Aber auch ich freue mich, Euch endlich kennen zu lernen."

„Schön, dass Chid jemanden hat, auf den er sich voll und ganz verlassen kann", antwortete Hitomi mit einer leichten Verbeugung.

„Dürfen wir uns jetzt setzen, Hoheit?", fragte Allen. „Ich denke, Hitomi wird einigen Hunger haben, bei mir ist das jedenfalls so."

„Dann greift zu", bat der junge Monarch. „Es soll nicht gesagt werden, ich würde meine Gäste darben lassen."

In den nächsten Minuten redeten hauptsächlich Vicozar und Chid über die Termine des Herzogs an diesem Tag. Hitomi hörte nur mit halbem Ohr hin, da sie das nicht allzu sehr interessierte. Viel mehr war sie den vielen guten Dingen zugetan, die vor ihr lagen. Sie bemühte sich, ebenso vornehm wie Allen zu essen, aber sie wusste, dass dieses Anliegen hoffnungslos war. Wenn sie noch langsamer aß, würde sie verhungern. Also ging sie das Risiko nicht ein und probierte, was ihr in die Finger bekam: Gaianisches Brot und andere Gebäcke, Wurst, Schinken, Früchte, von denen sie einige nicht kannte, Honig, Milch, Kaffee und verschiedene Fruchtsäfte. Vom Wein ließ sie lieber die Finger. Sie wusste noch von ihrem ersten Besuch in Asturia, wie schnell er ihr zu Kopf stieg.

„Du hast ja einen gesegneten Appetit, Hitomi", kicherte Serena neben ihr leise. Die junge Frau hatte heiter beobachtet, wie ihre Nachbarin die Vorräte des Palastes dezimierte. „Isst du auf der Erde auch so viel?"

Als Hitomi errötete und nach einer passenden Antwort suchte, kam ihr Bejim zu Hilfe. Der alte Lehrer hob rügend den Finger und meinte: „Das ist eine sehr indiskrete Frage, Serena. Habe ich dir nicht beigebracht, solche Fragen nur privat zu stellen, aber nicht vor anderen Leuten?"

Serena senkte den Kopf und murmelte eine Entschuldigung, aber Hitomi hatte im Moment ohnehin anderes im Kopf. Chid, Allen und Vicozar sprachen gerade über die momentane globale Situation auf Gaia. Das war endlich ein Thema, das sie interessierte.

„Denkst du wirklich, dass es so schlimm ist, Vicozar?", fragte Chid gerade. Sein Gesicht wirkte finster. „Es ist doch noch keine fünf Jahre her, seitdem die Zaibacher ihre gesamte Armee verloren haben."

„Dennoch haben sie wieder kräftig aufgerüstet, Hoheit", erklärte dieser bedauernd. „Ihr dürft die momentane Führung der Zaibacher nicht vergessen. Sie wollen auf jeden Fall wieder so stark werden, dass niemand es wagt sie zu annektieren." Er machte eine Pause. „Zumindest offiziell. Ich persönlich gehe davon aus, dass sie wieder einen Krieg beginnen werden, wenn sie sich für stark genug halten."

„Aber Kaiser Dornkirk ist tot", protestierte Chid. „Seine Vision hat die Zaibacher über Jahrzehnte hinweg geleitet! Jetzt sind sie orientierungslos."

„Nur die unteren Schichten der Bevölkerung, Herzog Chid", wandte Allen ein. „Leider. Denn so ist es den Usurpatoren leichtgefallen, ihre Machtstellung zu festigen. Sie gaben den Menschen wieder ein Ziel, auch wenn es im Grunde ein neuer Krieg ist. Sie folgen ihnen, weil sie nicht wissen, wem sonst. Die Zaibacher mussten sich noch nie mit Herrschaftswechseln befassen und deshalb folgten sie denen, die den Thron am schnellsten beanspruchten."

„Ritter Allen hat es treffend beschrieben, Hoheit", bestätigte Vicozar. Auch er wirkte ernst. „Die Zaibacher sind wie Schafe. Sie werden dazu erzogen, blind Befehle zu befolgen. Irgendwann müssen wir uns dieses Problems annehmen."

„Vermutlich habt ihr beide Recht", gab Chid widerstrebend zu. „Aber mir widerstrebt es, mein Volk in einen neuerlichen Krieg zu führen. Zu viele unserer Männer sind im Großen Krieg gefallen. Ist es denn nötig, jetzt schon wieder davon zu sprechen?"

„Wir sollten den Zaibachern keinesfalls Zeit lassen, so weit aufzurüsten, dass sie es wieder mit den anderen Ländern aufnehmen können", merkte Allen an. Er legte das Besteck weg. „Aber Ihr habt ebenfalls Recht, Herzog Chid. Die Menschen sind bis auf wenige Ausnahmen kriegsmüde, auch in Zaibach. In den nächsten Jahren werden es selbst diese Verrückten auf dem Thron von Zaibach nicht wagen, jemanden anzugreifen. Wir haben also noch etwas Zeit, bevor wir uns ernsthaft darüber Gedanken machen müssen."

„Entschuldigt bitte", mischte sich Hitomi ein. „Aber wer sind diese Verrückten?"

Sie bemerkte sofort, dass sie ein totgeschwiegenes Thema angeschnitten hatte, denn die Männer senkten die Köpfe und manch einer warf einen verstohlenen Blick in ihre Richtung. Was war denn los?

„Hab ich was Falsches gefragt?"

„Nein, nein", wehrte Allen ab und sah hoch. Aber sein Blick galt nicht ihr, sondern Serena. Da wurde ihr erst klar, dass auch die anderen zu Allens Schwester gesehen hatten, nicht zu ihr. Die junge Frau war blass geworden und blickte starr zu ihrem Bruder hin. „Es ist nur..."

„Lass nur, Allen." Aus Serenas Stimme klang Angst, aber sie atmete tief ein und fasste sich. „Ich... ich darf meine Augen nicht davor verschließen. Hitomi, die neue Zaibacher Führung sind die Hexer."

Hitomi riss die Augen auf und öffnete erschrocken den Mund. Natürlich. Die Hexer hatten mit Serena experimentiert und aus ihr den mordgierigen Dilandau gemacht. Es war klar, dass die anderen sich scheuten, darüber zu sprechen.

„Tut mir Leid", bekannte sie. Es schien langsam zur Gewohnheit zu werden, dass sie sich entschuldigte. „Das wusste ich nicht. Sonst hätte ich nicht..."

„Es macht nichts", versicherte Serena, obwohl ihr Lächeln noch immer künstlich wirkte. „Ich muss... meine Vergangenheit akzeptieren. Vielleicht hilft es ja,... darüber zu sprechen." Sie grinste tapfer, aber man merkte ihr den Schmerz an. Hitomi drückte unter dem Tisch tröstend ihre Hand.

„Herzog Chid, habt ihr bereits eine Botschaft zu König Van geschickt?", fragte Allen, um das Thema zu wechseln. „Wenn ja, dann sollten Hitomi, der gefangene Drachenreiter und ich schnellstmöglich aufbrechen. Ich glaube, wenn wir nicht spätestens am Tag nach der Botschaft eintreffen, wird Van Escaflowne wiederbeleben und herfliegen."

„Jetzt übertreibst du aber, Allen", vermutete Hitomi, aber Allens ernster Blick überzeugte sie vom Gegenteil. Das war ihr zwar einerseits etwas peinlich, aber es erzeugte auch ein warmes Gefühl im Magen, dass Van sie wirklich so sehr vermisste.

„Ja, die Botschaft wurde noch gestern gesandt", bestätigte Chid. „Vicozar, wann kann der Crusado einsatzbereit sein?"

„Sobald die Mannschaft ausgenüchtert ist, Hoheit", entgegnete dieser trocken. „Nachdem Ritter Allen sie gestern noch besucht hat, haben die Männer auf Hitomi angestoßen. Und das nicht nur einmal. Ihr dürft Euch geschmeichelt fühlen, junge Dame. Ich habe selten Männer so viel wegen einer Frau trinken sehen, es sei denn, sie hatten Liebeskummer."

„Ich bin zutiefst gerührt", murmelte Hitomi, während sie den hinter der Hand grinsenden Allen und Chid böse Blicke zuwarf. Sogar Bejim Wenard versuchte erfolglos, einen Lacher als Husten zu tarnen. „Aber wenn sie wirklich etwas auf mich hielten, wären sie nüchtern geblieben, damit wir so schnell wie möglich nach Farnelia kämen!"

„Ach, gönn den Männern doch ihre kleinen Ausschweifungen", beschwichtigte sie Allen. „Sieh es doch so: Jetzt habt du und Serena etwas Zeit, um dir einige Kleider auszusuchen, weil du, unser Katzenfreund und ich frühestens am Nachmittag hier wegkommen."

„Nur du und Hitomi?", empörte sich Serena. Das Mädchen hatte sich erstaunlich schnell wieder erholt, denn ihre Augen blitzten bereits wieder angriffslustig. „Und was ist mit mir?"

„Du bleibst besser hier, Serena", antwortete Allen bestimmt. „Glaub mir, das ist besser so. Du kannst doch nicht jedes Mal deinen Unterricht unterbrechen, wenn ich vorbeischaue."

„Aber ich habe Merle versprochen, sie zu besuchen", beharrte seine Schwester stur. Sie schmollte und hatte ihre Arme über der Brust verschränkt. Allen beeindruckte das nicht.

„Merle wird nicht sehr viel Zeit für dich haben, wenn Hitomi zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder nach Farnelia kommt, Schwesterherz", erwiderte er bedauernd. „Glaub mir, du hättest nichts von diesem Besuch." Als er sah, wie Serena traurig den Kopf senkte, fühlte er sich dennoch genötigt hinzuzufügen: „Du musst doch ohnehin hier bleiben und auf Chid Acht geben. Wer weiß, ob sich nicht eine Prinzessin an ihn heranmacht, wenn du nicht da bist? Willst du dir etwa deinen glühendsten Verehrer ausspannen lassen?"

„Nein." Serenas Kopf ruckte wieder nach oben und zeigte einen schelmischen Ausdruck. Sie warf Chid, der sich sichtlich unwohl fühlte, einen herausfordernden Blick zu. „So einfach lasse ich Euch nicht mehr entkommen, Hoheit. Ich werde Euch gegen alle Anfechtungen verteidigen."

„Was habt Ihr da nur angerichtet, Allen?", stöhnte der zehnjährige Herzog mit Vorwurf in der Stimme. „Das war doch gestern nur so dahingesagt! Jetzt wird sie mich nicht mehr aus den Augen lassen."

„Tut mir wirklich Leid, Herzog", behauptete Allen, aber Hitomi ahnte, dass er kurz davor war loszulachen.

„Einfach unglaublich, sich so volllaufen zu lassen! Man könnte meinen, ihr wärt eine Bande Heranwachsender!", empörte sich Gardes, während er die trägen Bewegungen seiner Mannschaft beobachtete. Einige von ihnen hielten sich stöhnend den Kopf, denn er hatte absichtlich laut gesprochen. Er war als einziger gestern einigermaßen nüchtern geblieben, auch wenn er sich selbst etwas unwohl fühlte. Aber um nichts in der Welt hätte er das von Kommandant Schezar und Hitomi Kanzaki gezeigt!

„Da redet der Richtige", brummte der Steuermann leise. „Wer hat denn um 3 Uhr dieses Lied von der Schankdirne und dem Ritter angestimmt, Käpt'n?"

„Konzentrier dich auf deinen Kurs! Van wird gar nicht erfreut sein, wenn wir uns mit diesen wichtigen Passagieren verspäten!", befahl Gardes barsch, sah sich aber nervös um. Gott sei Dank schienen Allen und Hitomi jedoch nichts mitbekommen zu haben. Hitomi blickte fasziniert aus dem Fenster, als flöge sie das erste Mal mit dem Crusado... nun ja, es war ja tatsächlich das erste Mal seit langer Zeit. Gardes hatte sich wie die restliche Crusado-Crew riesig gefreut, dass sie endlich wieder nach Gaia zurückgekehrt war, auch wenn er es nicht so exzessiv gefeiert hatte. Und Allen stand neben ihr und bedachte die Mannschaft mit ebenso abschätzenden wie amüsierten Blicken.

„Irgendwelche Probleme, Gardes?", wollte er wissen. „Ich hoffe doch, dass du uns in einem Stück nach Farnelia bringen kannst, oder?"

„Kein Problem, Kommandant", behauptete dieser, wobei von der Mannschaft leises Knurren zu hören war. „Sobald sie wieder halbwegs munter sind, werden sie's schon packen."

„Vielleicht hätten wir euch mit kaltem Wasser wecken sollen", bemerkte Allen lächelnd. „Dann gäb's jetzt keine Probleme."

„Außer einigen Herzinfarkten", behauptete eine anonyme Stimme aus der Mannschaft. „Und dann könnten einige Herrschaften nach Farnelia laufen."

Das ganze wurde durch Hitomis leises Gekicher unterbrochen. „Hier hat sich offensichtlich wenig verändert", merkte sie an. „Ich bin sicher, ihr werdet auch diese Reise überleben."

„Bin ich mir nich sicher", brummte jemand, aber die überwiegende Mehrheit schaffte es zu grinsen oder etwas Beifälliges zu sagen. Schließlich würde Hitomi, daran zweifelte keiner von ihnen, bald eine Königin sein. Allen legte ihr die Hand auf die Schultern.

„Gardes, wir gehen in meine Kabine, wenn du uns suchst", teilte er dem Kapitän mit. „Ich bin mir sicher, dass Hitomi noch einige Fragen hat, die beantwortet werden sollten, ehe wir in Farnelia sind."

„Verstanden, Kommandant."

Allen nickte Hitomi zu und deutete in den hinteren Teil des Schiffes. „Gehen wir."

Das Mädchen nickte und folgte dem jungen Ritter in seine kleine, aber geräumige Kabine, die normalerweise Gardes bewohnte, wenn Allen nicht auf dem Crusado war. Er setzte sich auf einen der Stühle und blickte das Mädchen fragend an.

„Möchtest du dich etwas ausruhen oder reden wir?", wollte er wissen. „Gaia muss dir doch inzwischen fremd geworden sein, oder?"

„Eigentlich nicht", gestand sie. „Aber ich habe auch nur einen Teil davon gesehen." Sie setzte sich auf den zweiten Stuhl. „Vielleicht kannst du mir ja erzählen, was sich inzwischen in Asturia und Farnelia getan hat."

„Tja, in Asturia ist eigentlich fast alles beim alten", meinte der Ritter. „Allerdings haben Millerna und Dryden die Herrschaft übernommen, wie du ja vermutlich schon gehört hast. Die beiden sind nicht verheiratet, aber sie teilen sich den Thron. Prinzessin Eries nutzt ihre zahlreichen Bekanntschaften und finanziellen Mittel, um eventuelle Feinde der Krone aufzudecken, wie ich hörte."

„Wie ich hörte?" Hitomi runzelte die Stirn. „Heißt das, du weißt es nicht?"

„Ehrlich gesagt, ich war in letzter Zeit nicht in Pallas", gab Allen zu. „Die meiste Zeit habe ich in Farnelia bei Van verbracht, weil er dringend jemanden brauchte, an den er sich wenden konnte, wenn er deprimiert und Merle nicht zu erreichen war. Sonst war ich mit Serena unterwegs, um ihr die Welt zu zeigen."

„Du liebst sie sehr, nicht wahr, Allen?"

„Natürlich." Er sah Hitomi mit einem seltsamen Blick an. „Ihr ist es zu verdanken, dass ich deine Abreise besser überstehen konnte als Van. In ihr habe ich endlich ein neues Ziel im Leben gefunden, dem ich mich widmen kann. Aber das wusstest du bereits."

„Stimmt", gestand Hitomi. „Was hast du eigentlich damit gemeint, Merle sei manchmal nicht zu erreichen? Früher war es doch schon eine Sensation, wenn sie länger als eine Stunde nicht in Vans Nähe war. Hat sie einen Freund?"

„Einen Freund?" In Allens Augen blitzte es belustigt auf. „Kannst du dir jemanden vorstellen, der in ihren Augen mit Van mithalten könnte?" Dann allerdings wurde sein Gesicht wieder ernst. „Nein, sie hat keinen, aber das liegt nicht daran, dass sie noch Hoffnungen auf Van hat oder nicht hübsch genug ist. Aber die Menschen mögen die Katzenwesen nicht. Dieses Misstrauen ist so alt wie diese Welt."

„Aber warum?", verlangte Hitomi zu wissen.

Allen sah sie abschätzend an. „Wenn ich dir das erzählen soll, muss ich bei der Schöpfung von Gaia beginnen, Hitomi", warnte er. „Aber vielleicht ist es ganz gut, wenn du die ganze Legende der Entstehung unserer Welt erfährst. Ich gehe doch recht in der Annahme, dass du erst einmal einige Zeit bei Van bleiben möchtest?" Als Hitomi nickte, lehnte sich der Ritter zurück. „Nun, einen Teil davon, was das uralte Atlantis und Gaia verbindet, kennst du ja bereits. Aber es gibt einige Dinge, die man dir nicht mitgeteilt hat, weil sie nicht wichtig genug erschienen.

In der alten Zeit auf der Erde, in der Atlantis existierte, waren die Menschen beinahe überall noch sehr primitiv. Deshalb blieben die weit fortgeschrittenen Atlanter meist unter sich und widmeten ihr Leben der Forschung und der Erhaltung ihrer Rasse, ohne sich um die anderen Menschen zu kümmern. Als sie die Schicksalsmaschine erfanden, sonderten sie sich endgültig von den anderen Völkern ab, denn dadurch waren sie in der Lage, all ihre Wünsche selbst zu erfüllen.

Aber solche Macht korrumpiert irgendwann. So war es auch in Atlantis. Eine der mächtigsten Familien auf der Insel kam zu dem Schluss, dass sie allein über die Wunschmaschine sollte verfügen können. Statt jedoch einen offenen Krieg gegen ihre Landsleute zu beginnen, den sie nicht hätten gewinnen können, verließen sie Atlantis und wanderten unter den Menschen. Wo immer sie hinkamen, gaben sie sich als Götter aus und nutzten ihr Wissen, um die primitiven Stämme auf ihre Seite zu ziehen. Sie behaupteten, von ihren Feinden, den Dämonen, die ihre Gestalt angenommen hatten, aus dem Paradies vertrieben worden zu sein und nur die Menschen könnten ihnen helfen.

Nun, irgendwann hatten sie einen großen Teil der Menschheit soweit gebracht, einen Krieg gegen Atlantis, die Heimat der „Dämonen" zu beginnen. Dennoch warteten sie noch, denn sie benötigten Generäle für ihren hirnlosen Mob. Daher nahmen sie einige ausgewählte Menschen und veränderten sie mit Hilfe ihrer Maschinen. So züchteten sie die ersten Katzenmenschen und machten sie schneller, stärker und aggressiver als die anderen Menschen, um ihr Ansehen zu steigern. Einige dieser Eigenschaften wirst du ja in Merle wiederfinden können, oder?

Die Menschen waren tatsächlich beeindruckt und auch das fremdartige Aussehen dieser Wesen störte sie nicht, nachdem ihre „Götter" ihnen versichert hatten, dass das in ihrem Sinne war. Des weiteren schufen die abtrünnigen Atlanter die heutigen Morphe aus weiteren Menschen, um perfekte Attentäter zu haben. Als schließlich alles vorbereitet war, bliesen die Abtrünnigen zum Krieg. Die Armee der Menschen und der Züchtungen nahm Kurs auf Atlantis.

Die restlichen Atlanter merkten natürlich, was auf sie zukam, aber sie dachten, ihre Abwehr würde die Menschen schon aufhalten. Zu spät merkten sie, dass die Abtrünnigen diese natürlich kannten und außer Gefecht gesetzt hatten. So landeten die aufgestachelten Menschen und verbreiteten das pure Grauen. Auch die Morphe steigerten die Verwirrung der Atlanter, indem sie sich als diese ausgaben und dann töteten. Dadurch kam keine organisierte Verteidigung zustanden, weil niemand dem anderen trauen konnte. Am schlimmsten wüteten allerdings die Katzenmenschen. Du darfst dich von Merle nicht täuschen lassen, Hitomi. Auch wenn sie uns beiden eine liebe Freundin ist, waren ihre Vorfahren blutrünstige Killer. Die meisten Atlanter starben ohne Gegenwehr.

Allerdings erkannten einige der letzten von ihnen die Sachlage und wagten eine Verzweiflungstat: Da die Abtrünnigen bereits die gesamte Hauptstadt – das heutige Tal der Wunder, wie du sicher noch weißt – beherrschten, schufen alle Überlebenden mit Hilfe der Schicksalsmaschine Gaia und verbannten kraft ihres gebündelten Willens sämtliche Angreifer samt der Stadt dorthin. Dennoch hatte es ihnen nichts genützt, ihre Feinde zu besiegen, denn der Wunsch der blutgierigen Menschen, Atlantis zu zerstören, war nicht mehr aufzuhalten, obwohl sie nicht mehr auf der Erde waren. Die Schicksalsmaschine erfüllte ihn, indem sie einen Vulkan erschuf, der die Insel völlig zerstörte. So ging Atlantis unter.

Nun fanden sich die atlantischen Abtrünnigen, die von ihnen gezüchteten Wesen und die Menschen in einer völlig fremden Welt wieder, von der sie nicht mehr fliehen konnten. Eine Zeitlang suchten sie nach einem Weg, aber es gab keinen. Sie waren auf dieser neuen Welt gefangen. Als schließlich auch die Menschen begriffen, dass sie ihre Lieben nie wieder sehen würde, wandten sie sich gegen ihre „Götter", die nun ebenso machtlos waren wie sie.

Sie griffen die Atlanter an und hätten sie sicher getötet, wenn sich nicht die Katzenmenschen und die Morphe gegen sie gestellt hätten. So konnten die Abtrünnigen entkommen und sich in den Wäldern verbergen, während sich der menschliche Zorn gegen die Helfershelfer ihrer falschen Götter richtete. Damals wurden beinahe alle Katzenmenschen und Morphe ausgerottet und die Überlebenden wagten sich jahrhundertlang nicht mehr in die Nähe der Menschen. Nachdem sie ihren Rachedurst gestillt hatten, begannen die Menschen, Gaia zu besiedeln."

Allen machte eine kurze Pause und lächelte, als er merkte, dass Hitomi der Geschichte seiner Welt gebannt gelauscht hatte. „Möchtest du noch mehr hören?", fragte er.

„Sicher", bestätigte Hitomi eifrig nickend. „Ich will alles wissen!"

„Gut, dann weiter: Lange Zeit lebten die vier Völker, von denen die Menschen das bei weitem größte waren, voneinander getrennt und alles verlief gut. Schließlich stieß auch noch ein fünftes dazu: die Ispano. Wir wissen bis heute nicht, woher sie kommen, aber sicher ist, dass sie nicht von Gaia stammen. Eines Tages erschienen sie den Menschen mit ihrer riesigen Werkstatt und diese dachten zunächst, die Atlanter würden sie angreifen.

Allerdings klärte sich das schnell auf, als die Ispano lediglich um Asyl auf Gaia ansuchten. Heute weiß keiner mehr, vor wem sie geflohen waren, aber sie blieben auf Gaia und kamen den anderen Völkern nicht in die Quere. Allerdings trieben sie mit den Menschen geringfügig Handel und waren mit ihnen am engsten verbunden.

Nun hatten die Atlanter zwar über Generationen zwar überlebt, aber es dürstete sie noch immer nach Macht. Darum wollten sie die Menschen unterwerfen und wieder als ihre Götter herrschen. Da die Katzenmenschen und Morphe inzwischen eigenständige Völker waren, unterzogen sie Tiere von Gaia derselben Prozedur wie die Menschen damals auf der Erde. Allerdings veränderten sie diesmal nicht einzelne Merkmale der Tiere, sondern einzig und allein deren Größe. Sie schufen aus harmlosen Echsen die ersten Drachen.

Die Menschen waren völlig hilflos, als die Atlanter mit diesen ungeheuren Kreaturen ihre Dörfer angriffen. Stahl war noch nicht entdeckt und ihre Steinwaffen prallten wirkungslos an den Panzern der Untiere ab. Immer mehr Menschen flohen, um nur nicht vom „Zorn der Götter", wie sie es nannten, getötet zu werden. Niemand, auch ganze Armeen, konnte es mit dem wilden Drachenrudel aufnehmen, das vom „Volk des Drachengottes" angeführt wurde. Beinahe hätten diese Abtrünnigen damals wieder die Kontrolle über Gaia erlangt.

Da griffen die Ispano ein. Dieses Volk war schon damals technisch unglaublich visiert und besaß die nötige Voraussicht, um zu erkennen, dass sie selbst allein nicht gegen die Drachen bestehen konnten. Darum schlossen sie einen Pakt mit den Menschen: Sie würden ihnen Waffen geben, um die Bestien und ihre Herren ein für alle mal zu schlagen und die Menschen würden für sie kämpfen. Damals wurden die ersten Guymelefs der Geschichte gefertigt.

Die Menschen lernten schnell mit ihnen umzugehen und verstanden es ausgezeichnet zu kämpfen. Da es außerdem um die Freiheit ihrer Rasse ging, wüteten sie wie wahre Berserker unter den Echsen und ihren Herren. Dort, wo heute dieser Drachenfriedhof ist, den du, Van und Merle gesehen habt, fand die Schlacht der Guymelef-Kämpfer und der Drachen statt. Die Drachen, die nicht getötet wurden, flohen in die tiefsten Urwälder und die abtrünnigen Atlanter oder „Volk des Drachengottes", wie es nun genannt wurde, verschwanden ebenfalls. Es gab ohnehin nur noch wenige von ihnen und sie verbargen ihre Flügel, um wenigstens mit ihrem Leben davonzukommen. Seitdem haben sie nie wieder versucht, die Menschen oder ein anderes Volk anzugreifen."

Wieder machte Allen eine Pause, diesmal um etwas zu trinken. Aber Hitomi ließ ihm keine Ruhe.

„Und was ist weiter passiert?", drängte sie. „Das kann doch noch nicht alles gewesen sein!"

„Na schön, wenn du so versessen darauf bist... damals waren die Menschen noch nicht darauf gekommen, verschiedene Reiche zu gründen. Jetzt allerdings stieg denjenigen, welche die Guymelefs gesteuert hatten, ihre neue Macht zu Kopf. Sie ernannten sich zu Kriegsherren und tyrannisierten die anderen Menschen. Schließlich verlangten sie von den Ispano weitere Guymelefs, um die anderen Kriegsherren unterwerfen zu können, aber die weigerten sich, als sie sahen, was aus den Menschen geworden war.

Nun, einer von den Kriegsherren fühlte sich dadurch gekränkt und griff mit seinen Getreuen die Heimstatt der Ispano an. Diese bekamen es mit der Angst zu tun und überlegten, was sie tun konnten. Schließlich entschlossen sie sich dazu, ihren letzten Trumpf auszuspielen: Sie übergaben einem der Menschen, der versucht hatte, den Streit zu schlichten, den Prototyp eines neuen Guymelefs: Escaflowne. Sie erklärten ihm, dass durch die Verschmelzung von Mensch und Maschine eine Einheit entstehen würde, die jedem anderen Guymelef überlegen war. Gleichzeitig warnten sie ihn aber, dass nur die Ispano selbst Escaflowne reparieren konnten und damit das Leben des Menschen retten konnten. So waren die Ispano und dieser Mensch also aneinander gebunden.

Nun, dieser Mensch, der ein Vorfahr von Van war, trat dem Kriegsherren gegenüber und besiegte ihn mit Leichtigkeit. Als die anderen das sahen, stellten sie sich ebenfalls gegen ihn, bis er einige von ihnen zerstört hatte und den anderen Frieden anbot. Diese stimmten zu, denn die Stärke von Escaflowne hatte ihnen Angst eingejagt. Vans Vorfahr wollte jedoch nicht irgendwann im Schlaf getötet werden, deshalb nahm er seine Getreuen und gründete das unabhängige Königreich von Farnelia.

Der Rest ist schnell erzählt. Die Kriegsherren kamen nicht lange miteinander aus, jedoch hinderte Vans Vorfahr sie daran, sich gegenseitig zu töten. Stattdessen gingen sie auseinander und jeder gründete sein eigenes Reich. Die meisten von ihnen bestehen auch heute noch. Mit der Zeit begann der Handel die gespannten Verhältnisse zu entspannen und die Kriegsgefahr schwand. Mit der Zeit entstand so eine Zeit des Friedens. Vereinzelt wagten sich sogar die einstigen Feinde, Katzenmenschen und Morphe, in die Reiche der Menschen, auch wenn sie selbst heute noch misstrauisch beobachtet werden. Nur das Volk des Drachengottes war nicht mehr auffindbar. In den letzten drei Jahrhunderten war Vans Mutter Vari die einzige, die sich den Menschen zeigte. So, das war die Geschichte von Gaia, Hitomi. Zufrieden?"

„Wahnsinn!" Hitomi war ehrlich begeistert. „Ich wusste gar nicht, dass Gaia eine so bewegte Vergangenheit hat! Aber die Geschichte klingt anders als die, die wir auf der Steintafel im Tal der Wunder entdeckt haben."

„Ja, natürlich", stimmte Allen zu. „Weil sie von den Abtrünnigen verfasst wurde. Sie wollten ihre Schandtaten so gut es ging verbergen, aber Dryden hat vor kurzem einige alte Aufzeichnungen entdeckt, die von Menschen aus dieser Zeit stammen. Selbst wenn er König ist, kann er den Forscher in sich nicht besiegen." Allen grinste kurz. „Tja, und er glaubt den Berichten der Menschen mehr als denen der Atlanter."

„Aha", sagte Hitomi nachdenklich. „Aber wenn die Ispano Verbündete von Farnelia waren, wieso hat Vari dann Vans Vater geheiratet? Immerhin gilt das Volk des Drachengottes doch als verflucht."

„Das weiß niemand", antwortete Allen bedauernd. „Sie selbst hat nie darüber gesprochen, warum sie nach Farnelia gekommen war, obwohl sie Gaou zu dem Zeitpunkt nicht kannte. Vielleicht wollte sie Frieden zwischen den Völkern stiften. Aber vielleicht war sie auch die letzte ihrer Art und wollte überleben."

„Das ist ein schrecklicher Gedanke!", rief Hitomi aus. „Dann wäre Van ja der letzte seines Volkes!" Dann fiel ihr ihre Vision ein. „Das kann ich nicht glauben!"

„Es ist ja auch nur eine Vermutung", gab Allen zu. „Vari ist verschwunden, also kann sie niemand mehr fragen. Wieso interessierst du dich so sehr dafür, Hitomi? Wegen Van?"

„Ja", antwortete sie schnell. Es war ja keine Lüge... sie interessierte sich AUCH wegen Van dafür. Aber ebenso wegen ihrer Vision. „Gibt es etwas... das ich wissen sollte, wenn wir nach Farnelia kommen?"

„Sei nicht überrascht, wenn die Stadt genauso aussieht wie bei deinem ersten Besuch", riet Allen lächelnd. „Van hat Sorge dafür getragen, dass zumindest der Palast wieder nach Vorbild des Originals errichtet wurde und die meisten Einwohner sind seinem Beispiel gefolgt. Im Grunde kennst du dich also schon aus."

„Ich meinte eigentlich eher auf die Leute bezogen. Glaubst du, dass jemand mich vielleicht nicht dort haben möchte?"

„Ja", antwortete der Ritter todernst. „Alle Mädchen im heiratsfähigen Alter. Für die restlichen Leute bist du eine Heldin, Hitomi. Mach dir nicht so viele Sorgen. Van würde sich selbst dann über deinen Besuch freuen, wenn alle anderen Einwohner dich hassen würden."

Irgendwie fühlte sich Hitomi schlecht, als sie an ihre nächste Frage dachte. Aber sie musste es wissen, sonst würde sie zerspringen. „Allen..." fing sie zögernd an. „Hatte Van... in den letzten fünf Jahren eine Freundin?"

Der Ritter zog die linke Augenbraue hoch. „Hattest du einen Freund?"

Hitomi senkte beschämt den Kopf. „Tut mir Leid", murmelte sie. „Das war eine sehr dumme Frage, nicht wahr?"

„Ja", bestätigte Allen nickend. „Du hast das größtenteils Merle zu verdanken. Sie hat so ziemlich jedes Mädchen, das Van nahe kam, im Auge behalten und nötigenfalls verschreckt. Auch wenn ich sicher bin, dass Van sich auf nichts eingelassen hätte."

„Wer hätte das gedacht?", fragte Hitomi belustigt. „Dass Merle eines Tages Van für mich beschützt?"

„Du kannst sie ja in Farnelia darauf anreden", schlug Allen vor und stand auf. „Aber ich denke, wir sollten vorher noch etwas schlafen. Ich lasse dich jetzt allein."

„Danke, Allen", meinte Hitomi, während sie sich auf das Bett legte. Aber sie war den ganzen Flug lang zu aufgeregt, um auch nur an Schlaf zu denken. Farnelia, Merle, Van! Sie würde sie endlich wiedersehen!

„Ich versteh das nicht", entschuldigte sich Gardes. „Ich hab gesehen, wie dieser Vicozar die Brieftaube selbst losgeschickt hat."

„Seltsam", meinte auch Allen. „Ich wäre jede Wette eingegangen, dass Van hier auf uns warten würde. Und wenn nicht er, dann wenigstens Merle."

„Vielleicht sollten wir zum Palast gehen", schlug Hitomi vor. Ihre gute Stimmung war jetzt etwas gedrückt. Einen etwas herzlicheren Empfang hatte sie sich schon vorgestellt. „Dort warten sie wahrscheinlich auf uns." Verzweifelte Hoffnung schwang darin mit.

Allen hatte das natürlich nicht überhört und legte ihr den Arm auf die Schulter. „Keine Sorge", meinte er. „Das werden wir klären. Es gibt sicher eine vernünftige Erklärung dafür." Er wandte sich an Gardes. „Gardes, du und deine Männer, ihr habt jetzt frei. Ich lasse euch rufen, wenn wir euch brauchen sollten."

„Aye, aye, Kommandeur", sagte Gardes, aber man sah ihm an, dass er sich auch einen anderen Empfang für Hitomi gewünscht hatte. „Wenn du Van gefunden hast, hau ihm eine von mir runter. Er ist jetzt König und sollte wissen, dass man die Dame seines Herzens nicht warten lässt!"

„Ich werde dran denken", bestätigte Allen nickend und entließ die Besatzung des Crusado. Diese verschwand schließlich auch zögernd. „Komm jetzt, Hitomi. Gehen wir Van su..."

Bevor er diesen Satz allerdings vervollständigen konnte, hörten beide einen hellen Schrei, der von der Treppe kam und rasch lauter wurde. Der Landeplatz des Crusado lag absichtlich so hoch, damit dieser keine Gebäude beschädigen konnte. Verwundert drehten sich beide um.

„Hitomiiiiiiii!"

Diese erkannte die Stimme erst nach einer Sekunde und das war alle Zeit, die Merle brauchte, um zu einem gigantischen Sprung anzusetzen und das Mädchen niederzureißen. Hitomi wusste gar nicht wie ihr geschah, als plötzlich die feuchte Zunge des Katzenmädchens ihr gesamtes Gesicht zu erkunden begann. Sie versuchte, die Attacke abzuwehren, aber Merle war viel zu aufgeregt, um Hitomis halbherzige Versuche, sie wegzuschieben, überhaupt zu bemerken.

„Merle, du erdrückst sie ja", bemerkte Allen schließlich gespielt streng. „Lass sie doch erst mal aufstehen und dich ansehen."

„Ach, Allen, du bist so ein Langweiler!", schimpfte das Katzenmädchen, aber nach einigen letzten (nassen) Liebesbezeugungen ließ sie von Hitomi ab, die sich mühsam aufsetzte. Merle hatte in den letzten Jahren um einiges zugenommen, auch wenn das Katzenvolk zum Glück von Natur aus nicht schwer war. Sie rieb sich den Bauch und blinzelte ein paar Mal. Dann fühlte sie sich sofort umarmt, hochgezogen und herumgewirbelt.

„Hitomi!", jauchzte das Katzenmädchen glücklich. „Endlich bist du wieder da!"

„Merle", keuchte diese. „Lass mich dich doch erst einmal ansehen, bevor ich dir gestatte, mich zu Tode zu schleudern!"

Daraufhin ließ Merle sie los und Hitomi konnte ihre Freundin das erste Mal seit langem wieder einmal in Augenschein nehmen. Offenbar hatte es das Schicksal gut mit dem vorlauten Kätzchen gemeint, welches wegen Van früher unglaublich eifersüchtig auf sie gewesen war. Merles Glieder waren länger geworden, aber gleichzeitig schlank und anscheinend ziemlich gelenkig geblieben. Ihr Oberkörper wurde wie immer durch ein kurzes, geschecktes Kleid verdeckt, das auch nicht neuer aussah als das vor 5 Jahren, allerdings lag es diesmal hauteng an und betonte großzügig die Kurven des Katzenmädchens. Auf Mode hatte Merle noch nie großen Wert gelegt, aber das Kleid stand ihr dennoch gut. Zwei rundliche, unter dem Kleid hervorstechende Objekte im oberen Körperbereich verliehen ihr ein erwachsenes Aussehen. Gleichzeitig waren die weißen Fellbüschel, die sie an manchen Stellen trug, nun länger geworden und schillerten im Licht der Sonne. Die Haut des Katzenmädchens war gewohnt braun, daher stachen die goldenen Arm- und Fußbänder, die sie sich zugelegt hatte, deutlich hervor. Ihr etwas längerer Schwanz peitschte erwartungsvoll umher.

Doch so sehr sich der Körper verändert hatte, im Gesicht war Merle gleich geblieben. Der zu einem schelmischen Grinsen verzogene Mund, aus dem Hitomi weiße Raubtierzähne entgegenglitzerten, die Stupsnase, die leuchtenden, neugierigen Augen und das strubbelige rosa Haar... Merle schien gleichzeitig ihre Jugend behalten zu haben und zur Frau herangereift zu sein. Hitomi stellte schockiert fest, dass sie sehr sexy aussah!

„Merle!", hauchte sie. „Du siehst so... erwachsen aus."

„Ach, tatsächlich?" Merles Stimme war etwas tiefer als früher und ein verführerischer Ton schwang darin mit. „Das kann man von dir auch sagen... Oma!" Sie kicherte, dann sprang sie wieder zu Hitomi und umarmte sie stürmisch. „Ich freu mich ja so, dass du wieder da bist!"

Dann legte sich auch in Hitomi ein Schalter um. Sie lachte auf und umfasste Merle so fest, wie sie nur konnte. Selbst, als das Katzenmädchen ein protestierendes Fauchen ausstieß, hörte sie nicht damit auf. „Merle!", rief sie laut, hob ihre Freundin hoch und wirbelte sie durch die Luft. „Merle! Ich hab dich so sehr vermisst!" In diesem Moment hätte ihr auch die düsterste Vision nichts von ihrem Glück nehmen können.

In der nächsten Folge...

Merle führt Hitomi in der Stadt herum... Merle ist sehr beeindruckt von dem gefangenen Katzenmann... Van und Hitomi treffen einander wieder... sie sind zunächst sehr scheu, tauen jedoch schnell auf... Eries rät Millerna und Dryden, Asturia wegen Attentätern zu verlassen... Van und Hitomi verleben eine romantische Nacht, als Hitomi plötzlich eine neue Vision hat...

Titel: Die Stadt der Erinnerungen