Der Drachenkrieg Folge 12 – Die Rückkehr von Dilandau

Ist es nur ein Traum oder ist es Wirklichkeit? Während Van sich auf der Flucht vor seinem Schmerz befindet, trifft er einen Drachen. Doch bevor er ihn bekämpfen kann, stellt sich eine Frau zwischen sie, die behauptet, seine Tante Juseela zu sein. In Freid bemerkt Serena plötzlich, dass sie auf Dilandaus taktisches Geschick zugreifen kann, woraufhin sie erschreckt vor Chid flieht. Währenddessen kann Dryden mich dazu überreden, Millerna und ihn auf dem Crusado zu begleiten, um Van zu suchen. Ich will jedoch danach zur Erde zurückkehren. Im selben Augenblick trifft Van eine Entscheidung: Er will die Menschheit verlassen und von nun an beim Drachenvolk leben. Als Geste dieses Abbruchs deaktiviert er Escaflowne.

„Und? Wie geht es ihr?", fragte Dryden, als Millerna wieder zurück auf die Brücke des Crusado kam. Seit ihrem Abflug aus Farnelia waren bereits einige Stunden vergangen und während dieser ganzen Zeit hatte sich das Mädchen vom Mond der Illusionen nicht aus ihrem Zimmer herausgewagt. Sie hatte ihnen nur kurz mitgeteilt, dass sie versuchen würde, Van zu finden, aber dass sie das nur tun würde, wenn es unbedingt nötig war.

„Unverändert", gab Millerna düster zurück. Ihr schönes Gesicht war zerrissen zwischen zwei Ausdrücken: Wut und Sorge. „Sie will noch immer nicht mit uns sprechen, geschweige denn mich ins Zimmer lassen. Und als ich sie fragte, warum sie wieder zum Mond der Illusionen zurückwill, ist sie völlig verstummt."

Dryden schloss die Augen. Das hatte er befürchtet. Warum hatten sich Van und Hitomi nur ausgerechnet jetzt derart auseinanderleben müssen, wo Farnelia seinen König so dringend brauchte? Außerdem könnten die beiden dann ihm und Millerna helfen, die Kontrolle über Asturia zurückzugewinnen. Hitomi hätte vermutlich herausfinden können, wer hinter der Verschwörung des Kartells steckte und Van... nun, auch wenn er nicht tötete, wenn es nicht unvermeidlich war, machte er doch großen Eindruck, wenn er jemanden bedrohte.

„Dann bleibt es dabei", sagte er zu Gardes, der neben ihm stand und nickte dem anderen Mann zu. „Der Kurs bleibt aufrecht. Wir haben keine andere Möglichkeit."

Gardes nickte und machte ein Handzeichen, woraufhin der Steuermann brummte und den Kurs um einige Grad korrigierte. Der Crusado, der nach der Entscheidungsschlacht gegen das Zaibacher Reich wieder völlig hergestellt worden war, drehte sich sanft und nahm Kurs auf sein unbekanntes Ziel. Es war immer wieder etwas Besonderes, mit einem Luftschiff zu fliegen, dachte sich Dryden. Guymelefs waren ja gut und schön, aber für friedliebende Menschen, wie er einer war, blieben Luftschiffe die bessere Alternative, wenn man kein Draconier war.

Unwillkürlich wurde er an den Tag erinnert, als Van seine Identität als Angehöriger des verfluchten Volkes preisgegeben hatte. Er war unglaublich schwer verletzt gewesen, weil er mit Escaflowne verschmolzen war und die Beeinträchtigungen des Guymelefs teilte. Dennoch war er wie ein Besessener aufgestanden und hatte sich vor den Augen der anderen – er, Dryden, war damals noch nicht zu ihnen gestoßen, hatte sich aber natürlich alles genau erklären lassen – verwandelt. Bisher hatte er noch nie die Flügel des jungen Königs gesehen und im Normalfall konnte er auch darauf verzichten, weil Van sie nur im Notfall einsetzte. Aber jetzt wäre er froh darum gewesen – denn ein solcher Notfall wäre Hitomi mit Sicherheit aufgefallen.

„Wo fliegen wir eigentlich hin, Dryden?", erkundigte sich Millerna, die stirnrunzelnd aus dem Fenster sah. „Wir haben doch keine Ahnung, wo Van sich aufhalten könnte."

„Das ist richtig", gab er zu und schob seine Brille hoch. „Aber solange Hitomi uns keinen Hinweis geben kann, dachte ich mir, es wäre das Klügste, zum Tal der Wunder zu fliegen. Es wäre möglich, dass Van dorthin will, wo er einmal den Geist seiner Mutter gesehen hat."

„Denkst du wirklich, er würde mit Escaflowne so weit fliegen?", wandte Millerna ein, verbesserte sich jedoch gleich darauf selbst: „Ja, er würde es, du hast Recht. Er ist nun mal ein Dickkopf."

Als wenn er der einzige wäre, dachte Dryden im Stillen. Er hatte Millerna auch gebeten, lieber in Farnelia zu warten. Dass es zu gefährlich wäre, hatte er gar nicht angeschnitten, schließlich wusste er, dass sie dann aus Trotz mitgefahren wäre. Aber er hatte angeführt, dass doch einer von ihnen erreichbar sein sollte, wenn ein Bote aus Asturia kam. Wie auch immer, auch darauf hatte die blonde Frau nicht hören wollen, sondern hatte darauf beharrt, dass Hitomi und Van vielleicht Beistand brauchen würden. Ob er, Dryden, dieser Beistand sein wollte, hatte sie ihn gefragt. Danach hatte er seufzend nachgegeben. Er maß sie mit einem traurigen Blick. Seit er vor zwei Jahren seine Händlertätigkeit abermals aufgegeben hatte, weil die größten Teile Gaias wieder aufgebaut worden waren und Regent von Asturia geworden war, kam sie ihm von Tag zu Tag verlockender vor. Aber er war für sie nur ein Vertrauter, höchstens ein Freund. Würde es jemals anders sein? Würde sie Allen jemals vergessen können?

Natürlich sagte er nichts davon. „Stimmt", antwortete er. „Da wir selbst keine Möglichkeit haben, ins Tal vorzudringen, werden wir eben einfach warten müssen, bis Van auftaucht – oder Hitomi ihn findet." Er wusste nicht, welche Alternative er hoffnungsloser fand.

„Das ist dein ganzer Plan?", fragte Millerna zweifelnd und sah ihn an. „Was ist, wenn keins von beiden passiert?"

„Was sollen wir denn sonst tun?", fragte er aggressiv. „Willst du einfach herumfliegen, bis wir durch Zufall auf ihn treffen? Er könnte sonst wo sein! Wenn wir kreuz und quer herumfliegen, wäre es wahrscheinlicher, dass wir einem Drachen vor das Maul fliegen als Van!"

„Und was ist, wenn Hitomi ihn nicht erspüren kann, weil er zu weit weg ist?", widersprach die Prinzessin Asturias hitzig. „Wie sollen wir ihn dann finden?"

„Ähm, Regentin?", schaltete sich Gardes begütigend ein. Allerdings klang seine Stimme vorsichtig. Kein Wunder, man mischte sich nicht einfach in einen Streit des Herrscherpaares. „Ich glaube dennoch, dass Regent Dryden Recht hat. Momentan ist es zu gefährlich, offen herumzufliegen. Wir sollten erst einmal versuchen, ob das Mädchen Van im Tal der Wunder aufspüren kann und erst dann auf Eure Alternative zurückgreifen."

Da nun auch der Kapitän des Schiffes gegen sie war, schluckte Millerna ihren Ärger hinunter. Sie wusste, wann sie verloren hatte, auch wenn sie es fast nie zugab. „Na schön", knurrte sie und drehte sich demonstrativ wieder zum Fenster um. „Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dabei etwas herauskommt."

„Wie du meinst", kommentierte Dryden erleichtert. „Es steht dir ja frei, uns eine bessere Strategie vorzuschlagen. Wie lange werden wir noch bis zum Tal der Wunder brauchen, Kapitän?", wandte er sich an Gardes, der ebenfalls erleichtert wirkte.

„Mindestens noch einen ganzen Tag", überlegte Gardes. „Wir müssen zuvor noch ganz Freid durchqueren und dann in die Eissteppen fliegen."

„Dann habe ich ja Zeit für ein kleines Nickerchen", bemerkte Dryden und gähnte unverhohlen. „Wenn ihr mich braucht, dann findet ihr mich in meiner Kabine."

Millerna schnaubte. „Halt dich nicht für so wichtig, Dryden", empfahl sie schnippisch. „Das bisschen Weg schaffen wir schon noch ohne deine Hilfe. Man sollte meinen, deine Arbeit als Regent hätte dein Ego etwas zurechtgestutzt."

Er grinste sie an. „Da sieht man mal, wieso es heißt, Reisen halte jung. Übrigens wirkst auch du viel angriffslustiger, seit wir Asturia verlassen haben. Der kleine Ausflug scheint auch dir gut zu tun, Millerna."

Er überhörte ihr erst empörtes, dann amüsiertes Schnauben und drehte sich um. Während er die Brücke verließ, entschloss er sich, noch einen Umweg zu Hitomis Kabine zu machen. Verschlimmern konnte er die Situation kaum mehr, also war es auch egal, wenn er sie noch einmal in ihren düsteren Grübeleien störte. Außerdem sah sie dann vielleicht, wie wichtig es ihnen allen war, Van zu finden. Er hoffte es, denn ohne sie hatten sie sehr schlechte Chancen, den König von Farnelia aufzuspüren. Im Grunde konnte Van ebenso gut noch in der Nähe von Farnelia wie im Zaibacher Reich sein, um sich etwas „auszutoben". In der Laune, in der sich der junge Monarch momentan befand, war alles möglich.

Er ging den Gang entlang, der ihn zu den wenigen Kabinen des Crusado führte, als ihn die Erschütterung von den Beinen direkt an die Wand warf. Er stöhnte, schaffte es aber dennoch, sich an einem Türstock festzuhalten, bevor er zu Boden sinken konnte. Erleichtert stellte er fest, dass ihm nichts passiert war, aber gleich nach dieser elementaren Einsicht kam die Frage auf, warum das Luftschiff überhaupt so abrupt den Kurs geändert hatte.

Bevor er jedoch eine Antwort auf diese Frage finden konnte, wurde eine Tür neben ihm aufgerissen und Hitomi stolperte heraus, sich ebenfalls an der Wand abstützend. Das Mädchen war blass und suchte mit panikerfüllten Bewegungen nach jemandem, der ihr sagte, was hier vor sich ging. Schön, dann waren sie schon zu zweit.

„Dryden!", sagte sie. „Was geht hier vor?"

„Ich habe keine Ahnung", entgegnete er und stemmte sich von der Wand weg. Allerdings bereute er das, als sich der Crusado auf einmal auf die andere Seite neigte und er an die gegenüberliegende Wand knallte. Hitomi hatte den Schwung etwas besser abgefangen, denn während er noch fluchte, hatte sie sich schon wieder hochgerappelt und reichte ihm die Hand. Er zog sich daran hoch und deutete dann wortlos Richtung Brücke. Hatte man denn nie seine Ruhe, wenn es um Van ging?

„Gardes!", rief er, als er und Hitomi nach kurzem, vorsichtigem Sprint ankamen. „Was beim Drachenvolk ist hier los?"

„Wir werden angegriffen!", rief der Schiffskapitän zurück, ohne sich umzudrehen. Jetzt verzichtete er auf die respektvollen Anreden, denn im Kriegsfall war er hier der ranghöchste Offizier. „Noch mal nach rechts! Vielleicht gibt er auf, wenn wir unser Tempo halten!"

Jetzt fiel den beiden Neuankömmlingen erst die riesige dunkle Fläche auf, die vor den Fenstern des Crusado erschienen war. Zunächst weiteten sich Hitomis Augen erschrocken, denn das viele Metall erinnerte sie sofort an die fliegenden Festungen der Zaibacher, aber sie bemerkte bald, dass das Etwas viel größer war als die Truppenstützpunkte ihrer alten Feinde.

„Dryden! Hitomi!" Millerna stellte sich neben die beiden und begutachtete sie eine Sekunde lang. „Ist euch etwas passiert?"

„Nein", antwortete Hitomi, nahm ihren Blick aber nicht von dem Gebilde, an dessen Seite sie nun entlang flogen. „Aber was ist das? Und wieso fliegen wir neben ihm her, wenn es uns angreift?"

„Wir fliehen nicht vor dieser Maschine, Hitomi", entgegnete Millerna mit leicht zitternder Stimme und warf einen nervösen Blick zu den Seitenfenstern. „Sondern vor einem Drachen."

„Ein Drache?", fragte Dryden erschrocken. „Wo ist der denn hergekommen?"

„Aus diesem Ding da", erklärte Gardes, ohne die Fenster aus den Augen zu lassen. „Es ist plötzlich aus einem Loch im Himmel erschienen und im nächsten Augenblick ist ein Drache daneben hergeflogen und hat uns beinahe gerammt."

„Ich hatte Angst, das Ungeheuer würde uns sofort verbrennen", gestand Millerna. „Gardes konnte im letzten Augenblick ausweichen, aber das Monster verfolgt uns. Wir dachten, wir könnten uns irgendwo an der Seite dieser riesigen Flugmaschine verstecken, aber er folgt uns noch immer."

„Drachen", murmelte Hitomi. „Überall, wo ich hinkomme, sind Drachen. Bin etwa schon wieder ich schuld, dass sich Gaia im Krieg befindet?"

„Unsinn", widersprach Dryden energisch und packte Hitomi an der Schulter. „Red dir das bloß nicht ein, hörst du? Dieses Ding hat offensichtlich hier auf uns gewartet. Gardes, wir müssen sofort..."

„Kapitän!", rief plötzlich eins der Crewmitglieder. „Noch ein Drache direkt vor uns!"

„Sofort abdrehen!", befahl Gardes dem Steuermann. „Sinkflug! Vielleicht können wir die Bestien gegeneinander ausspielen!"

„Alles klar!"

Der Steuermann drehte das Rad und die Crew zerrte hastig an einigen Vorrichtungen. Hitomi hatte gerade noch genug Zeit, um sich festzuhalten, als der Crusado plötzlich an Höhe verlor und auf den Boden zuflog. Draußen ertönte das disharmonische Kreischen der beiden Drachen, die ihre Beute entwischen sahen und ein Schrei, der von einem der Reiter stammen musste. Hitomi hatte nichts davon sehen können, wer diese Ungeheuer ritt, aber vermutlich war es ein Katzenmensch. Dennoch stießen sie nicht zusammen, sondern flogen knapp übereinander weg, machten eine Drehung und nahmen die Verfolgung des Luftschiffes auf.

„Macht nichts", murmelte Dryden schadenfroh lächelnd. „Jetzt haben wir einigen Vorsprung. Damit können wir sie abhängen."

„Kapitän!", rief wieder das Crewmitglied am Fenster, diesmal in heller Panik. „Vom Boden sind zwei weitere Drachen aufgestiegen und warten vor uns!"

„Nach backbord ausweichen!", brüllte Gardes hektisch und warf Blicke aus den Fenstern. „Wir müssen diesen Viechern entkommen!"

„Es sind zu viele", flüsterte Hitomi wie betäubt. „Einer allein ist schon ein furchtbarer Gegner, aber vier, die noch dazu fliegen..."

Keiner sagte etwas dagegen, auch wenn sie so taten, als hätten sie es nicht gehört. Dennoch versuchte der Crusado das Manöver durchzuführen und schaffte es sogar, knapp vor den Drachen zu wenden. Jetzt hatte Hitomi ausmachen können, dass es tatsächlich Katzenmenschen waren, welche die Drachen lenkten, auch wenn sie winzig im Vergleich zu den Tieren wirkten. Dennoch waren die Bestien gleich wieder vor ihm und die beiden anderen folgten ihm von hinten. Es war hoffnungslos.

„Gebt auf!", forderte plötzlich eine laute, mechanische Stimme aus Richtung der Flugmaschine. Jetzt erst kam Hitomi auf die Idee, sich das Gebilde einmal anzusehen. Aber als sie es tat, bekam sie große Augen. Sie kannte es. Sie hatte es bei ihrem ersten Besuch schon einmal gesehen.

„Die Guymelef-Werkstatt von Ispano", hauchte Dryden. „Aber...?"

„Was haben die Ispano mit den Drachen zu schaffen?", beendete Millerna seinen Satz.

„Ihr habt gegen vier Drachen nicht die geringste Chance", teilte ihnen die Stimme mit. „Ihr seid nicht bewaffnet und sie könnten euch in wenigen Sekunden vom Himmel holen. Wenn ihr überleben wollt, kommt an Bord! Die Werkstatt wird eine Schleuse für euch öffnen. Das ist die erste und letzte Warnung. Von nun an werden die Drachen jeden Fluchtversuch endgültig unterbinden."

„Haben wir denn eine Wahl?", fragte Dryden und ließ den Kopf hängen. „Gardes, flieg den Crusado zu dieser Schleuse."

„Aber das ist doch eine Falle!", regte sich Millerna auf. „Wenn wir erst dort landen, werden wir nicht wieder wegkommen!"

„Aber wir haben keine Wahl, Millerna", flüsterte Hitomi und versuchte, die Erinnerung an den Drachen auf der Erde aus ihrem Kopf zu verbannen. Es gelang ihr nicht. „Wir können gegen die Drachen nicht gewinnen. Wenn wir nicht landen, werden wir sterben."

Ein Blick in das furchtverzerrte Gesicht ihrer Freundin ließ selbst die energische Millerna verstummen. Gardes nickte und erteilte den Befehl, sofort auf die Guymelef-Werkstatt zuzufliegen. Einige Minuten später landete das Luftschiff im Hangar des Monumentbaus. Wer sie dort allerdings empfing, war für alle eine Überraschung.

„Aber das kann doch nicht sein!"

Herzog Chid war vollkommen fassungslos. Gerade war ein Bote im Palast eingetroffen, der ihm eine furchtbare Nachricht überbracht hatte. Wenn er nicht im Gesicht des Mannes sehen könnte, dass es stimmen musste, dann hätte er ihn für verrückt erklärt. Aber den Ausdruck unbeschreiblicher Furcht auf dem Gesicht eines Kriegers konnte er nicht ignorieren. Er sagte die Wahrheit.

„Und doch ist es so, Majestät", meldete der Soldat, der vor ihm und Vicozar kniete. Er war ein junger Krieger, der jedoch schon den Krieg mit Zaibach erlebt haben musste – Armeen waren ihm also nicht fremd. „Die Asturier haben mit dieser unbezwingbaren Armee unsere Grenze überschritten. Wir konnten nichts dagegen tun."

„Heißt das, alle Truppen sind tot?", fragte Vicozar ungläubig. „Das ist doch nicht möglich!"

„Nein, sie sind nicht tot, Herr", entgegnete der Soldat. „Nur einige Luftschiffe wurden zerstört, aber den Asturiern schien daran gelegen zu sein, möglichst schnell zur Hauptstadt vorzustoßen. Erst einige Meilen von hier machten sie halt, um noch einmal auszuruhen."

„Aber wie konnten sie unsere Abwehr überwinden, ohne zu kämpfen?", fragte Chid. „Haben sie einen neuen Pass entdeckt?"

Der Soldat schluckte. „Nein, mein Herzog", sagte er. Panik flackerte in seinen Augen. „Als ich die Nachricht bekam, konnte ich sie selbst kaum glauben, aber auf dem Weg hierher konnte ich die Armee, die sich gerade niedergelassen hatte, mit eigenen Augen sehen. Sie hat es gar nicht nötig, mit uns zu kämpfen. Sie ist unbesiegbar."

„Rede keinen Unsinn, Mann!", herrschte ihn Vicozar an, auch wenn er sicher nicht so beherrscht war, wie er tat. „Die Zaibacher dachten auch, sie wären unbesiegbar und trotzdem wurden sie besiegt! Was soll das für eine Armee sein, die unsere ohne Kampf überwinden kann."

„Es... ist eine Armee aus Drachen, Herr", stieß der Soldat hervor. „Ich hätte nie gedacht, dass es so viele auf Gaia gibt! Es müssen mindestens zwanzig sein, die da draußen vor der Stadt lauern! Sie sind furchtbar, Herr! Sie sind größer als unsere Luftschiffe und ich hörte von dem Boten, der mir die Nachricht übergab, dass, als einige von ihnen diese Ungeheuer angriffen, diese Drachen sie mit ihrem Feuer vom Himmel gefegt haben!"

„Drachen? Bist du betrunken, Soldat? Es gibt keine zwanzig Drachen mehr auf Gaia!", rief Vicozar, der aussah, als wolle er sich auf den Boten stürzen. Dieser wurde zwar noch etwas blasser, blieb aber knien.

„Auch mir fällt schwer zu glauben, was du mir da berichtest", stimmte Chid wesentlich beherrschter bei. „Hast du Beweise für deine Aussage?"

„Nein, Herzog", hauchte der Mann, aber seine Augen wanderten nach oben. „Aber die sind auch gar nicht nötig. Hört Ihr nicht? Die Menschen schreien in Panik. Die Drachen sind bereits da. Geht hinaus und Ihr werdet sie selbst sehen."

Jetzt erst hörte Chid, dass vor dem Palast der Lärmpegel wirklich angestiegen war. Wortlos rannte er an Vicozar vorbei an eins der großen Fenster, die ihm freien Ausblick auf die Stadt gewährten und sah hinaus. Anfangs sah er lediglich, wie die Menschen der Stadt in Panik umherrannten, aber als er den Blick hob, merkte er mit Schaudern, dass der Bote die Wahrheit gesagt hatte. Über der schutzlosen Hauptstadt von Freid schwebten Drachen.

„Das kann doch nicht sein!", rief der junge Monarch hilflos und presste seine Fingernägel ins Holz des Fensterbretts. „Warum...?"

„Weil diese Hunde, die Millerna und Dryden von Asturia um ihr Reich gebracht haben, machtgierig sind, mein Herzog", antwortete Vicozar tonlos. Auch er war von diesem Schauspiel zutiefst betroffen. „Vermutlich wollen sie Euch mit dieser Armee erpressen, um Tribut für Asturia herauszuschlagen. Und dann werden sie dasselbe bei allen anderen Staaten machen."

„Das dürfen wir nicht zulassen!", regte sich Chid auf und schlug mit der Faust gegen das Glas. Dennoch konnte er nicht verhindern, dass ihm eine Träne über das Gesicht lief. Fünf Jahre lang war das Leben friedlich gewesen und jetzt... „Diese Blutsauger werden Freid ruinieren!"

„Aber wir können auch nichts gegen diese Monster tun. Und sie sind sehr wohl in der Lage, die Stadt abermals in Schutt und Asche zu legen", wandte Vicozar ein. Einen Moment lang schwieg der muskulöse Mann, dann schien er sich zu einer Entscheidung durchgerungen zu haben. „Mein Herzog", teilte er Chid mit und legte dem Jungen die Hand auf die Schulter, „Ihr müsst sofort fliehen."

„Fliehen?" Chid glaubte, nicht recht gehört zu haben. „Ich kann mein Volk doch nicht einfach im Stich lassen, Vicozar! Nicht schon wieder!"

Da drehte sich der große Mann zu seinem Herzog um und sah ihn mit eisernem Blick an. „Im Gegenteil, Ihr habt keine andere Wahl", entgegnete er. „Wie wir festgestellt haben, können wir nicht gegen die Asturier kämpfen und wir können auch nicht zulassen, dass sie unser Land aussaugen. Aber Ihr seid der einzige, der über solche Dinge mit ihnen verhandeln kann. Deshalb müsst Ihr Euch vor ihnen verbergen!"

„Das geht nicht!", versuchte Chid seinen Berater umzustimmen. „Dann werden sie aus Rache vielleicht das Land zerstören, wie die Zaibacher!"

„Nein, das werden sie nicht tun", widersprach ihm Vicozar. „Weil sie dann nämlich nichts mehr aus uns herausholen können. Ihr MÜSST fliehen, Herzog! Jetzt! Ich werde die Asturier aufhalten, aber Ihr müsst es allein zu einem unserer Verbündeten schaffen, am besten zu Van Farnel. Er wird Euch sicher im Kampf beistehen."

„Und was ist, wenn sie Euch töten, Vicozar?", fragte Chid leise. „Ich will nicht, dass wegen mir Leute sterben."

„Ich habe geschworen, Euch zu beschützen, Herzog, und genau das tue ich jetzt", bestimmte Vicozar ernst. Er deutete Richtung Ausgang. „Los, lauft! Jetzt, wo die ganze Stadt in Panik ist, wird niemand auf einen einzelnen Jungen achten. Lebt wohl und viel Glück."

Chid konnte nichts erwidern, weil er wusste, dass ihm sonst die Tränen gekommen wären. Deshalb nickte er einfach nur und rannte los. Vicozar hatte ja Recht mit dem, was er sagte... aber warum hatte er dann so ein schlechtes Gefühl dabei? Dennoch hielt er nicht an, als er beim Palasttor ankam und ihm die überraschten Wachen hastig aus dem Weg traten. Genau in diesem Moment erklang die Stimme.

„Bürger von Freid!", erschallte sie über der Stadt, so laut, dass sie selbst den Lärm der Drachen übertönte. Sie schien von einem der Reiter zu kommen, welche die Drachen lenkten. Irgendetwas war Chid komisch an diesen Leuten vorgekommen, als er aus dem Fenster gesehen hatte, aber er hatte nicht genug von ihnen betrachten können, um herauszufinden, was ihn störte. Die Stimme klang tief und befehlsgewohnt. „Wir sind hier auf Befehl der neuen Führung von Asturia! Wenn ihr uns keinen Widerstand leistet, wird euch nichts geschehen. Alles, was wir verlangen, werden wir mit eurem Herrscher, Herzog Chid, aushandeln. Solltet ihr euch allerdings sträuben..."

Der Mann sprach den Satz nicht zu Ende, aber einer der größten Drachen schwang sich in diesem Moment in die Höhe und stieß eine Flammenwelle in den Himmel. Chid wurde etwas blass, als er sich wieder in Bewegung setzte. Mit nur wenigen dieser Flammenstöße könnten die Drachen seine Heimat abermals so gründlich zerstören wie die Zaibacher. Er hoffte, dass Vicozar Recht mit seiner Vermutung hatte, die Asturier würden Freid lieber ausbeuten als zerstören. Er hoffte es...

„Au!"

Es gelang dem jungen Herzog gerade noch, auf den Beinen zu bleiben, während die Person, in die er hineingerannt war, zu Boden fiel. Er hielt sich kurz den Kopf, der eher unsanft Bekanntschaft mit einem Gelenk des anderen gemacht hatte, dann fasste er sich wieder.

„Entschuldigt", stieß er hastig hervor. „Ich bin sehr in Eile. Bitte sagt niemandem..."

„Herzog Chid?"

Dieser hatte bereits weiterlaufen wollen, aber diese Stimme war ihm bekannt. Überrascht sah er nach unten. Und seine Augen weiteten sich.

„Lady Merle?", fragte er fassungslos. „Was macht Ihr denn hier?"

Es war tatsächlich die junge Katzendame, die Freundin von Van Farnel, die ihn ebenso entgeistert anstarrte wie er sie. Sie war gewachsen, seit er sie vor fünf Jahren das letzte Mal gesehen hatte... an vielen Stellen. Aber bevor er seine Überraschung überwinden konnte, war Merle bereits aufgestanden.

„Was ist hier los?", verlangte sie zu wissen und klopfte sich den Staub aus ihrem Kleid. „Wieso lauft Ihr hier draußen rum? Solltet Ihr nicht mit diesen Geldgeiern da oben sprechen?"

„Das geht nicht", beeilte er sich zu sagen. Er musste weg hier, und das schnell! „Sie werden Freid ausbluten lassen, wenn ich ihnen nachgebe. Ich muss fliehen, Lady Merle. Ich muss Unterstützung gegen die Angreifer finden. Lasst mich bitte gehen!"

„Und was ist mit Eurem Volk?", verlangte die Katzenfrau zu wissen und kniff die Augen zusammen. „Ist es Euch etwa egal?"

„Nein, ist es nicht!", rief er empört. „Ihm wird nichts geschehen. Die Asturier wollen Geld von uns, es nützt ihnen nichts, wenn sie das Land zerstören! Kommt bitte mit mir! Hier ist es zu gefährlich!"

„Moment mal", rief Merle, als Chid an ihr vorbeirannte. „Und was ist mit Serena? Ist sie noch hier?"

Chids Rücken wurde heiß und kalt, aber er lief weiter. Dankbar registrierte er, dass Merle zu ihm aufschloss. Nicht nur, weil es zu gefährlich war... sie würde ihm auch eine große Hilfe sein, wenn er außerhalb der Stadt zurecht kommen musste. „Lady Serena wird schon nichts zustoßen", versuchte er sowohl Merle als auch sein Gewissen zu beruhigen. „Sie ist Asturierin und ihren eigenen Leuten werden sie nichts antun. Kommt! Wir müssen aus der Stadt hinaus, bevor sie mich entdecken!"

Merle sagte nichts mehr, sondern rannte einfach hinter ihm her. Chid hoffte nur, dass das, was er ihr gerade gesagt hatte, auch tatsächlich wahr war. Sonst würde Allen ihm nie verzeihen.

Serena hatte Angst. Als die Drachen über Freid aufgetaucht waren, war sie gerade draußen im Park gewesen und hatte die Schönheit der Blumen genossen. Sie liebte Blumen. Die Pflanzen gaben ihr ein Gefühl der Sorglosigkeit, dass sie seit diesem Zwischenfall mit Chid dringend benötigt hatte. Dann hatten plötzlich Schatten die Sonne verdunkelt und als sie hinaufgeblickt hatte, waren diese riesigen Echsen über der Stadt gewesen.

Sie war sofort in den Palast gelaufen, aber hier waren alle ebenso sehr in Panik wie sie selbst. Als das Ultimatum des Drachenreiters über der Stadt erklang, duckte sie sich furchtsam in eine Mauerecke. Allen, dachte sie unter Tränen. Wieso bist du nicht da, um mich zu beschützen? Einige Minuten lang blieb sie in ihrem Versteck, bevor sie den Entschluss fasste, zu Chid zu gehen. Er würde ihr sicher sagen können, was jetzt passierte. So schnell sie konnte lief sie den Gang entlang, der zum Thronsaal des Herzogs führte, wo der Junge jetzt sicher war. Er würde alles wieder ins Lot bringen.

„... ist nicht hier", drang eine Stimme durch die halbgeöffnete Tür, als Serena schließlich ankam. Sofort blieb sie stehen und presste sich an die andere Türhälfte. Das war die Stimme von Vicozar, Chids Berater. Aber sie klang so grimmig, weshalb Serena es nicht wagte, hineinzugehen. Ihr Glück, wie sich herausstellte.

„Was heißt das, er ist nicht hier?"

Serena sog erschrocken Luft ein. Das war die Stimme, die zu den Menschen von Freid gesprochen hatte. Aber wie war der Mann so schnell hierher gekommen? Dann fiel ihr ein, dass er wahrscheinlich durch ein Fenster eingestiegen war. Wer einen Drachen besaß, war schließlich nicht auf Türen angewiesen.

„Das heißt, ich habe ihm geraten, die Stadt zu verlassen." Vicozars Stimme war angespannt, wie sie bemerkte. Sogar dieser starke Mann hatte Angst? Serenas Herz krampfte sich zusammen. „Wenn ihr Asturier mit Freid verhandeln wollt, müsst ihr ihn wohl oder übel suchen."

„Das war wirklich nicht klug von euch", tadelte der andere Mann mit kalter Stimme. Serena nahm all ihren Mut zusammen und riskierte einen schnellen Blick in den Raum. Als ihr Kopf wieder zurückzuckte, war sie käseweiß und ihre Augen waren aufgerissen. Der Mann hatte... Flügel! Er war vom verfluchten Volk! Und das war noch nicht einmal das Schlimmste an ihm. Denn die Augen, die Serena gesehen hatte, waren voll Verachtung gewesen, als sie Vicozar angesehen hatten, und von Hass. Sie zweifelte keine Sekunde daran: Wenn dieser Mann nicht bekam, was er wollte, dann würde er ganz Freid zerstören.

„Ihr könnt froh sein, dass die Asturier mir aufgetragen haben, Euer Land möglichst zu schonen, ansonsten wäre bereits diese gesagte Stadt nur ein Trümmerhaufen. Aber du solltest meine Geduld dennoch nicht auf die Probe stellen, Mensch. Antworte! Wo ist dein Herzog?"

„Ich weiß es nicht", gab Vicozar zur Auskunft. „Und das ist die Wahrheit. Ich habe ihm aufgetragen, vor euch zu fliehen, aber ich weiß nicht, wo er jetzt ist. Geht zurück zu euren Herren und sagt ihnen, der Herzog von Freid wird sich der Gewalt nicht beugen."

Serena atmete zischend aus. Vicozar war entweder unglaublich mutig... oder unglaublich dumm, dass er diesen gefährlichen Mann derart herausforderte. Sie selbst hätte schon nach einem einzigen Blick aus diesen Augen alles gesagt, was sie wusste. Sie war eben nur ein schwaches Mädchen. Warum nur war Allen nicht da, um ihr zu helfen? Eine weitere Träne der Angst rann über ihr Gesicht, obwohl sie sich krampfhaft bemühte, keinen Laut zu verursachen. Seltsamerweise begann der Mann leise zu lachen.

„Du imponierst mir, Mensch", gab er amüsiert zu. „Hast du denn gar keine Angst, dass ich den Befehl der Asturier missachten und deinen Palast einfach nur zum Spaß vernichten könnte? Aber keine Sorge", spöttelte er gleich darauf. „Ich werde es nicht tun. Aber glaub nicht, dass dein Herzog sehr weit kommen wird. Ich werde zwei Drachen hier lassen, die die Stadt im Auge behalten und beim kleinsten Angriffsversuch zurückschlagen werden. Die anderen werden diesen unvernünftigen Jungen suchen... und glaub mir, sie werden ihn schnell gefunden haben."

Nach dieser Drohung hörte Serena Schritte und das Öffnen eines Fensters. Kurz darauf klang ein tierisches Fauchen durch den Raum, was annehmen ließ, dass der Draconier seinen Drachen bestiegen hatte und zu seiner Meute zurückflog. Das Mädchen sank zusammen. Angst... sie hatte so viel Angst. Was würden diese Männer mit Chid machen, wenn sie ihn fanden? Würden sie ihm wehtun, damit er tat, was sie wollten? Sie wusste noch aus ihrer Zeit bei den Zaibachern, dass manche Menschen so etwas taten.

Oder anders gefragt... was würden sie machen, wenn sie ihn NICHT fanden? Ein kurzer Erinnerungsfetzen tauchten in ihrem Gehirn auf, der eine brennende Stadt zeigte. Kein Leben herrschte mehr, nur noch die Dämonen des Feuers, die auf den Häusern tanzten. Sie hielt sich den Kopf und schüttelte ihn hilflos. Wenn sie doch nur etwas tun könnte!

Du musst hier bleiben und auf Chid aufpassen, erklang Allens Stimme in ihrem Kopf.

Aber ich kann nicht, dachte sie beinahe panisch. Ich bin nur ein schwaches Mädchen.

Unwillkürlich kam ihr die Szene in den Sinn, in der sie auf das Wissen von Dilandau zugegriffen hatte. Der Krieger hätte hier keine Angst. Er würde gegen die Drachen kämpfen und... nein! Er wollte nur töten, nichts anderes!

Du bist nicht Dilandau, Serena, bekräftigte Hitomi in Gedanken.

Aber hier konnte Serena nichts ausrichten. Sie hatte ja sogar zuviel Angst, um sich irgendwo zu verstecken, dachte sie, während sie schluchzend vor der Tür saß. Allen, hilf mir doch!

Aber Allen war nicht hier. Er beschützte Hitomi in Farnelia. Er hatte ihr einmal gesagt, dass sie niemals wieder Angst zu haben brauchte, weil er sie immer beschützen würde. Und jetzt? Jetzt war sie wieder schutzlos und allein. Niemand konnte ihr jetzt helfen. Niemand... außer...

Es war nur ein flüchtiger Gedanke, ein Wunsch, der nur eine Sekunde lang Bestand hatte. Aber er reichte völlig aus. Wer an Serena vorübergegangen wäre, hätte vermutlich nur ein Mädchen gesehen, dessen Schultern vor Schluchzern zuckten. Aber es waren keine Schluchzer. Ersticktes Keuchen erklang aus ihrem Mund, als sich die Muskeln unter ungewohnten Bedingungen verkrampften. Die Augen schlossen und öffneten sich unkontrolliert und die zitternden Hände ballten sich zu Fäusten, als wollten sie irgendetwas greifen, um sich festzuhalten. Ein leiser Schrei entkam der Kehle.

Und dann war es vorbei. Die weißhaarige Gestalt stand langsam mit gesenktem Kopf auf. Die roten Augen blickten ungläubig auf die sehnigen Hände hinab und weiteten sich, als sie das silbergraue Kleid sahen, das den Körper umspannte. Bevor sich der Mund jedoch zu einem Zähnefletschen verziehen konnte, dehnten sich die Lippen schon über die Wangen aus. Die Gestalt lachte zunächst leise, kaum hörbar, dann stieß sie einen triumphierenden Schrei aus.

Dann lief sie schnell davon, als sie Vicozar hörte, der zur Tür kam. Als der Berater sie jedoch öffnete und den silbrigen Haarschopf sah, erkannte er nur Serena und ließ sie weiterlaufen. Das arme Kind, dachte er. Ich werde sie später besuchen. Hätte er jedoch gewusst, wer da gerade in Freids Schloss herumlief, wäre er entsetzt gewesen.

„Jetzt bin ich wieder frei", flüsterte Dilandau mit leuchtenden Augen, während er Kurs auf Serenas Zimmer nahm. Er wusste nicht, was in den letzten Jahren geschehen war, aber einige Dinge waren neu in seinem Gedächtnis, zum Beispiel der Ort, an dem (er?) bis jetzt in diesem Palast gewohnt hatte. Erst mal würde er sich anständige Kleidung besorgen, nicht diese lächerlichen Fetzen... und dann würde er einen anderen Raum hier aufsuchen, wo (ihm?) etwas gezeigt worden war, das seit der Invasion der Zaibacher hier in Freid geblieben war.

Die Lippen verzogen sich zu einem Grinsen, als er Serenas Tür aufstieß. „Endlich wieder mal ein bisschen Spaß!", rief er. „Das wurde auch höchste Zeit!"

„Wieso sollen wir überhaupt dieses kleine Land angreifen?", fragte der Katzenmann, während sein Drache misstrauisch die Stadt im Auge behielt. „Das Ziel der Herrin sind nur die beiden großen Länder."

„Aber wir haben den Befehl, den Wünschen der Menschen von Asturia so lange Folge zu leisten, bis der Plan der Herrin aufgegangen ist", belehrte ihn seine Gefährtin, eine etwas ältere Katzenfrau, die wie er nach Freid geschickt worden war, um das Herzogtum für Asturia einzunehmen. „Und solange werden wir ihre primitiven Machtspiele mitspielen."

„Natürlich, du hast Recht", brummte der Mann und zerrte an den Zügeln seines Tiers. Der Drache, der schön langsam unruhig wurde, weil er so lange an einem Fleck bleiben musste, schnaubte, bewegte sich aber nicht weiter vorwärts. Der Katzenmensch hätte viel darum gegeben, mit den anderen fliegen zu können, um diesen kleinen Bengel zu finden, der sich Herrscher nannte. Aber leider hatte ihr Herr gerade ihn als Wachposten eingeteilt. „Aber es gefällt mir nicht. Unsere Gefährten werden alle bei unserem glorreichen Sieg dabei sein. Und wir? Wir schieben hier Wache!"

„Wichtig ist nur, dass das Ziel der Herrin erreicht wird!", entgegnete die Katzenfrau scharf und blickte ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Egal, was wir dazu beitragen. Und wenn wir auch nur die Menschen in die falsche Sicherheit wiegen, wir würden ihnen in allen Dingen gehorchen... auch das wird zum Sieg der Herrin beitragen!"

„Schon gut", murmelte der Katzenmann missmutig. „Erlaubst du mir wenigstens, einmal über die Stadt zu fliegen oder soll ich völlig an Langeweile hier sterben?"

„Flieg schon, im Namen der Herrin! Vorher gibst du ja doch keine Ruhe. Ich hoffe nur, deine Laune bessert sich etwas dadurch." Sie machte eine einladende Handbewegung. „Aber bleib nicht zu lange weg. Vielleicht schafft es die Armee, die wir überflogen haben, früher zur Stadt als erwartet. Auch wenn es nur Fußsoldaten sind, wäre es besser, wenn du dann wieder hier bist, damit wir ihnen erklären können, wer hier das Sagen hat."

Der Mann nickte kurz und zerrte dann in einem gewissen Rhythmus am Geschirr des Drachen. Das Tier, welches ihn erkannte, erhob sich auf seine Gliedmaßen und breitete mit einem erfreuten Knurren seine mächtigen Schwingen aus. Die ledernen Flügel flatterten einige Male immer schneller und erzeugten auf dem Boden Staubwolken, dann erhob sich der Drache majestätisch in die Luft und brüllte seine Begeisterung ebenso laut hinaus wie sein Reiter.

Die Katzenfrau schüttelte den Kopf und zerrte ihr eigenes Geschirr etwas fester, damit ihr eigener Drache nicht in Versuchung kam. Die Disziplin dieser jungen Leute ließ zu wünschen übrig. Wäre nicht der Befehl der Herrin, würden sie sich Hals über Kopf ins nächste Abenteuer stürzen, das ihr Verderben sein würde. Dennoch würde dieser Elan, wenn er in die richtigen Bahnen gelenkt würde, nützlich sein, wenn der große Sieg der Herrin näher rückte. Dann würden sie...

Der Schmerzschrei eines Drachen riss sie aus ihren Gedanken. Ungläubig riss sie die Augen auf und konnte gerade noch verfolgen, wie sich drei lange Metallgreifer tief in die verwundbare Haut am Bauch des Drachen bohrte. Es gelang den tödlichen Eisen zwar nicht, den jungen Katzenmann zu erwischen, weil dieser durch die harten Schuppen am Rücken des Tieres geschützt war, aber das half ihm auch nicht mehr. Der Drache, dem Tode nahe bäumte sich in der Luft auf, als die Waffe wieder eingeholt wurde und warf den jungen Mann ab. Die Katzenfrau bildete sich fast ein, seinen Todesschrei zu hören, als er über der Stadt zu Boden stürzte.

Wie betäubt musste die Katzenfrau mit ansehen, wie nun auch der Drache sich in der Luft in Todeskrämpfen wand. Er kam mehrmals den Dächern der Stadt gefährlich nahe, streifte aber nur ein oder zwei, bevor er sich mit einem animalischen Kreischen wieder in die Luft erhob und schließlich auf der anderen Seite der Stadt schwer auf dem Boden aufschlug. Sein Weg war durch grünes Drachenblut überall in der Stadt deutlich markiert. Und über all dem Lärm, der nun in der Stadt herrschte, hörte die Katzenfrau ein Geräusch deutlich heraus: Lachen.

„Wer bist du?", schrie sie mit aller Macht hinaus und riss an den Zügeln. Ihr eigener Drache erhob sich und blickte misstrauisch vor sich hin. Er besaß natürlich nicht die nötige Intelligenz, um zu begreifen, was gerade geschehen war, aber er wusste, dass sein Artgenosse tot war. „Zeig dich mir!"

„Wie du es wünschst!", schrie eine metallene Stimme, der irres Lachen folgte. In der Stadt, hinter einem großen Haus, erhob sich eine eiserne Gestalt, die entfernt menschenähnlich aussah und ihr spöttisch zuwinkte. Dann veränderte sie sich, zog die Gliedmaßen ein und flog den kurzen Weg von der Stadt bis zu ihr. Sie klappte ihre Arme und Beine wieder aus und stellte sich herausfordernd hin. „Da bin ich!"

„Wer bist du?", wiederholte die Drachenreiterin schrill. Sie hatte große Mühe, sich zu beherrschen. „Und wie kommst du an einen verfluchten Guymelef?"

Wieder ertönte lautes Lachen aus dem Visier des Metallgiganten. „Ich bin Dilandau Albatou!", schrie der Mann mit überschnappender Stimme auf. „Und diesen Guymelef haben die Bürger von Freid großzügigerweise seit dem Großen Krieg für mich aufgehoben! Und jetzt lass uns etwas Spaß haben, Mischling!"

Mit diesen Worten hob er seine Hand und die tödlichen Flüssigmetalldolche glitten wieder daraus hervor. Allerdings trafen sie nur die Hornschuppen des Drachen, welche sie nicht durchdringen konnten. Die Drachenreiterin sah mit Befriedigung, dass der Mann offensichtlich überrascht zu sein schien.

„Du dachtest wohl, du hättest leichtes Spiel, wie?", rief sie. „Nun, dann zeige ich dir, wozu ein wahrer Drache fähig ist!"

Sie riss an den Zügeln und der Drache gehorchte dem Befehl mit einem tiefen Knurren. Er machte einen mächtigen Sprung vorwärts, den man ihm mit seiner Körpermasse nie zugetraut hätte und landete direkt an der Stelle, wo soeben noch der Guymelef gestanden hatte. Dieser war im letzten Moment zur Seite gesprungen und hob abermals die Hand, woraus diesmal ein Schwert floss. Er hieb damit nach der Seite des Drachen, was diesen jedoch nur noch wütender machte. Das Ungeheuer hieb mit den Pranken nach dem Guymelef, was dieser nur mühsam mit dem Schwert blocken konnte.

„Uoh, nicht schlecht", knurrte die Stimme des Menschen aus dem Visier. „Gar nicht schlecht. Aber jetzt zeige ich dir mal, was ein Drachentöter aus Zaibach alles kann!"

Damit wich er einem weiteren Prankenhieb des Drachen aus und hob seine andere Hand. Der Drache kam ihm allerdings zuvor und blies ihm eine Feuerwalze entgegen. Dilandau riss die Augen auf und reagierte ganz instinktiv, indem er sich umdrehte und hinkniete. Er merkte, wie das Metall des Guymelef sich erhitzte, aber er biss die Zähne zusammen und wartete ab, bis das Inferno vorüber war. Das Feuer würde ihn nie besiegen. Er war der Herr des Feuers!

„Nun, was ist jetzt, Mensch?", fragte die Drachenreiterin spöttisch. „Dein Spielzeug sieht etwas mitgenommen aus. Aber keine Sorge, noch ein paar Feuerstöße und es ist hübsch eingeschmolzen."

„Denkst du, Katzenweib", entgegnete Dilandau und auf seinem Gesicht breitete sich Häme aus. „Jetzt bin ich mal dran!"

Damit hob er einen Arm und aus diesem schoss ebenfalls ein Feuerstrahl hervor. Er zielte direkt auf das Gesicht des Drachen. Dieser konnte zwar die Augen schließen, aber das Feuer hatte ihn dennoch geblendet. Mit der Wut eines verletzten Tieres brüllte er auf und die Reiterin verlor für einige Momente die Kontrolle über ihn. Als er wieder auf dem Boden stand, stand Dilandau mit ausgefahrenem Schwert vor ihm.

„Das war's dann wohl, Drachenbraut!", sagte er grinsend und stieß das Schwert dem Drachen in den Hals. Das Tier bäumte sich auf und seine Reiterin wurde abgeworfen. Sie prallte hart auf dem Boden auf und blieb einige Momente benommen liegen. Als sie wieder klar sehen konnte, bemerkte sie einen Schatten, der über ihr lag. Sie hatte allerdings keine Zeit mehr, den Kopf zu heben, bevor der Drache sterbend über ihr zusammenbrach.

„Na, das war doch ganz unterhaltsam", meinte Dilandau triumphierend. Seine Augen blitzten im Angesicht des Todes. „Jetzt muss ich mir nur noch einige wirkliche Gegner zum Spielen suchen!" Damit verwandelte er seinen Guymelef wieder und flog Richtung Asturia. Er wusste schon ganz genau, wer sein nächstes Opfer sein sollte. Dieser Jemand würde sehr, sehr überrascht sein...

„Herzlich willkommen!", erschallte die Stimme des Draconiers im Raum. Er stand auf einem noch jungen Drachen, der mit wenigen anderen in der Guymelef-Werkstatt zurückgeblieben war. „Wir haben euch bereits erwartet."

„Botschafter Kayd!", brachte Dryden völlig perplex hervor. „Was macht Ihr denn hier?"

„Wir haben auf euch gewartet, Regent Dryden", entgegnete der Draconier, der inzwischen seine Flügel ausgefahren hatte. Er sah damit viel größer aus als früher... was auch dadurch verstärkt wurde, dass er auf dem Rücken des Drachen stand. „Wir wussten, ihr alle würdet früher oder später nach König Van suchen."

„Wir?", fragte Millerna und sah zu dem anderen Mann hin, der ebenfalls auf einem Drachen neben Kayd stand, bisher aber noch nichts gesagt hatte. „Wer ist Euer Freund?"

„Mein Name ist Siran", stellte sich der andere Draconier vor. Wie auch Kayd war sein Oberkörper nackt und er trug seine Flügel weiß ausgebreitet. „Ihr kennt mich nicht, Prinzessin Millerna, aber ich war ebenso wie mein Bruder Botschafter bei den Menschen."

„Und was habt ihr mit uns vor?", wollte Gardes wissen, der vor den beiden Regenten seines Reiches stand, obwohl das eine völlig sinnlose Geste war. Wenn diese Drachen angriffen, würden sie alle auf einmal zermalmen.

„Nun, unsere Herrin glaubt, ihr, insbesondere die Seherin vom Mond der Illusionen könntet ihren Plänen in die Quere kommen", erklärte Kayd und warf Hitomi einen nachdenklichen Blick zu. Das Mädchen trat einen Schritt zurück. „Meiner Meinung nach ist das eine überflüssige Sorge. Was sollte ein Kind wie sie schon gegen uns ausrichten können? Aber sie ist unsere Herrscherin und wir werden ihr gehorchen."

„Was habt ihr mit Hitomi vor?", wollte Millerna wissen und legte beschützend ihre Arme um ihre Freundin. Obwohl auch sie Angst hatte, blitzten ihre Augen streitsüchtig auf. „Wenn ihr ihr auch nur ein Haar krümmt..."

„Keine Sorge, ihr wird nichts geschehen", erwiderte Siran, der mit seinem Drachen einen Schritt näher kam. „Jetzt, da sie in unserer Gewalt ist, wird sie wie ihr eine Zeitlang unsere Gefangene sein. Wenn der Plan der Herrin erst einmal erfolgreich war, werdet ihr wählen müssen, ob ihr euch uns unterwerft... oder sterbt."

„Unterwerfen?" Gardes schnaubte und auch seine Männer blickten kampflustig. „Glaubt ihr im Ernst, die Armeen der Menschen würden tatenlos zusehen, wie ihr mit euren Monstern einfallt?"

„Glaub, was du willst, Mensch", antwortete Siran kalt. „Du wirst schon bald sehen, dass niemand der Herrin gewachsen ist."

„Aber wer IST eure Herrin überhaupt?", wollte Dryden wissen. „Ist sie etwa eine Ispano?"

„Eine Ispano?" Kayd lachte kurz. „Ich hätte mehr von Euch erwartet, Regent Dryden! Ihr müsstet doch wissen, dass zwischen den Ispano und dem Drachenvolk ewige Feindschaft besteht! Nein, wir haben uns die Wohnstätte der Ispano nur untertan gemacht, damit sie uns nicht dazwischenkommen können... genauso wie die Seherin."

„Aber warum bin ich eigentlich eine Gefahr für euch?", fragte Hitomi zögernd. Sie glaubte schon die ganze Zeit zu wissen, was es mit dieser Herrin auf sich hatte, aber der Gedanke war einfach zu erschreckend.

„Weil du die Zukunft vorhersehen kannst, du dummes Kind!", rief Kayd. „Mit dieser Gabe hättest du den Plan der Herrin möglicherweise verhindern können!" Dann stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht. „Aber glücklicherweise kam ja der Bruch zwischen dir und Van Farnel zustande. Die Herrin hat triumphiert, als sie davon erfuhr. Denn durch deine verwirrten Gefühle konntest du ihr nicht mehr dazwischenfunken. Außerdem hat sie noch... persönliches Interesse an dem jungen Draconier."

Nun konnte Hitomi das Bild nicht mehr zurückhalten: Van, der von hinten von dieser Draconierin umarmt wurde... ihre Flügel, die sich gegenseitig berührten... sein kalter Ausdruck, als die Stadt brannte... „Sie ist gerade bei Van, nicht?", fragte sie. „Sie hat ihm Lügen eingeflüstert, damit wir uns streiten und jetzt will sie ihn verführen!"

„Sie hat ihn nicht belogen, törichtes Mädchen!", widersprach Siran. „Das würde sie nie tun. Du selbst hast ihn so sehr verletzt, dass er sich von dir zurückzog und dadurch konnte sie ihn erreichen. Und jetzt wird sie ihn nach Hause holen!"

„Nach Hause holen?", fragte Millerna angespannt. „Heißt das etwa...?"

„Ja, er wird den Menschen so wie wir den Rücken kehren", bekräftigte Kayd und sah Hitomi kalt an. „Er wird nie wieder von ihnen verletzt werden, dafür werden wir sorgen! Selbst wenn ihr überleben solltet, werdet ihr ihn nie wiedersehen!"

Die anderen riefen irgendetwas, aber Hitomi hörte nicht mehr hin. All ihre Gedanken kreisten um die Worte „nie wiedersehen". Vor einigen Stunden hatte sie noch beschlossen, Van und Gaia zu verlassen, aber zumindest hätte sie gewusst, dass er immer noch in Farnelia war und seine Freunde sich um ihn kümmerten. Aber wenn diese Draconierin seinen Schmerz ausnutzen konnte, würde er nie wieder der Mann sein, den sie kannte... den sie liebte. Ja, sie liebte ihn noch immer, auch wenn er sie verletzt hatte. Das gestand sie sich jetzt, viel zu spät, endlich ein.

„Van", flüsterte sie und eine Träne tropfte auf den Metallboden. Sie sank auf die Knie. „Ich... ich wünschte, du könntest mich hören. Weil ich dir nämlich sagen möchte... dass es mir Leid tut. Ich weiß nicht, womit ich dich verletzt habe, aber ich wollte es nicht. Weil ich dich über alles liebe, Van. Leb wohl, mein Liebster. Leb wohl."

In der nächsten Folge...

Chid und Merle werden von Katzenmenschen gefangengenommen, bei denen auch Llorin ist... Van träumt von Folken, der ihm ins Gewissen redet und Hitomis Worte übermittelt... Juseela nimmt ihn gefangen, als er trotz allem Hitomi helfen will... Allen kämpft gegen die Botschafter, aber Van ist durch Ispano-Technologie wie gelähmt... Juseela verlässt die Guymelef-Werkstatt, um ihren Plan, die menschlichen Armeen auszulöschen, zu Ende zu bringen...

Titel: Das Herz eines Drachen