Der Drachenkrieg Folge 16 – Der Kampf um die Menschheit
Ist es nur ein Traum oder ist es Wirklichkeit? Als Llorin, der Katzenmann, gegen Dilandau antritt, wird er beinahe getötet. Nur ein altbekannter Gegner für den Wahnsinnigen bewahrt ihn vorerst davor. Währenddessen klärt Millerna mich und Van auf, was in der Zeit unserer Ohnmacht geschehen ist. Das Hallo ist groß, als wir unversehrt den Crusado verlassen. Als Dryden schließlich meldet, dass er die Ispanos gefunden hat und diese uns helfen wollen, ist die Moral wiederhergestellt. Aber die Situation ist nicht so rosig, wie es scheint: Der Krieg zwischen Zaibach und Asturia tobt noch immer und Juseela, die Königin des Drachenvolkes, hat den Schauplatz fast erreicht. Van will sie mit Escaflowne aufhalten und ich bete, dass ihm nichts geschieht... nicht jetzt. Und als wäre dies alles nicht genug, hört Allen aus dem Schlachtenlärm die Stimme von Dilandau heraus. Mit einem Gesichtsausdruck, den ich nur mit absolutem Schmerz vergleichen kann, stürzt sich auch er in den Kampf...
Es war ein seltsames Gefühl, als Van mit Escaflowne aus dem Frachtraum stürzte. Einen Moment lang ertappte er sich bei dem Gedanken, sich einfach fallen zu lassen, bis er am Boden aufschlug, so sehr genoss er das Gefühl des Windes. Gleich darauf schüttelte er es ab. DAS konnte er sich jetzt am wenigsten leisten. Nach einigen Zügen an den Hebeln im Inneren von Escaflowne verwandelte sich die Wundermaschine der Ispano in ein drachenähnliches Gebilde. Van schrie begeistert auf und erhob sich auf dem Rücken des gespenstisch weißen Flugtieres. Seine Augen glitzerten, als er die echten Drachen sah, die nun vom Boden abhoben. Ihre Absicht war klar. Sie wollten ihre Herrin schützen.
Van sah hoch zu dem Gebilde, das einige hundert Meter über ihm in der Luft schwebte. Auf dem Schlachtfeld hatte es niemand bemerkt, aber das war es, weswegen er hierher gekommen war: ein ispanisches Schiff, das etwas beherbergte, das gefährlicher war als alle Guymelefs dort unten auf der Ebene. Und die Person, die willens war, diese Waffe einzusetzen. Seine Tante.
Van biss sich auf die Lippen, als er an den Kontrollen riss. Escaflowne bäumte sich im Flug auf und stieg plötzlich steil nach oben, dem Schiff zu. Seine Gefühle in diesem Augenblick waren sehr zweigespalten. Einerseits wurmte es ihn gewaltig, dass Juseela es gewagt hatte, ihn in einem Moment der Schwäche auszunutzen. Damals, als er geglaubt hatte, Hitomi hätte ihn betrogen, hatte sie ihm weisgemacht, die ganze Welt hätte sich gegen ihn verschworen – und er hatte sich von ihr einlullen lassen! Er kniff kurz seine Augen zusammen. Andererseits war die Königin des Volkes des Drachengottes seine einzige noch lebende Verwandte. Er hatte ihr in die Augen gesehen. Van glaubte nicht, dass sie ihn aus Bosheit oder Berechnung angelogen hatte. Sie empfand wirklich etwas für ihn, den Sohn ihrer Schwester Varie.
Und das machte es so schwer für ihn, zu tun, was getan werden musste. Aber es war unvermeidlich. Juseela war besessen davon, die beiden Heere unter ihr auszulöschen und sie würde sich durch nichts davon abhalten lassen. Er hatte keine Wahl. Er musste sie töten.
Wenn er konnte. Er riskierte einen raschen Blick hinter sich. Die ersten Drachen in Fleisch und Blut hatten sehr schnell gemerkt, was er vorhatte und ihre Reiter holten das letzte aus den Tieren heraus, um ihn einzuholen. Sie wussten, was er vorhatte und es war Van klar, dass sie ihre Königin bis zum letzten Atemzug verteidigen würden. Er biss die Zähne zusammen und warf einen raschen Blick über das Schlachtfeld.
Sah nicht sehr gut aus. Die meisten der Drachen befanden sich noch immer am Boden, da sie noch nichts von ihm mitbekommen hatten, aber Warnrufe flogen nur so über die Ebene und immer mehr der Bestien hoben ab. Mit Ziel auf ihn und das Schiff Juseelas. Verflixt! Wenn ihn einige der Viecher einholten, dann würde es sehr schwierig werden, Juseela noch aufzuhalten. Wie besessen zerrte Van an den Drahtseilen, mit denen er Escaflowne steuerte, aber es nützte nichts. Er holte bereits das Äußerste aus der Maschine heraus. Mehr ging nicht. Und einige der Drachenreiter waren ihm bereits sehr nahe gekommen.
Allerdings war zwischen den ersten und den Nachfolgern auch etwas Abstand. Van traf seine Entscheidung blitzschnell. Mit einem Schrei riss er an einem der Seile, sodass sich seine Muskeln protestierend spannten. Mit dem metallischen Äquivalent seines Schreis warf sich Escaflowne im Flug herum und rammte den ersten Drachen, der vollkommen überrascht wurde und nicht mehr ausweichen konnte, an der Seite. Van hatte Glück. Er war darauf gefasst gewesen und hielt sich entschlossen an allem fest, was zur Verfügung stand. Der Drachenreiter hatte dieses Glück nicht. Mit einem Blick des abgrundtiefen Entsetzens glitt der Draconier aus dem Sattel, als sein Tier sich zur Seite neigte, und fiel zu Boden. Der aus dem Gleichgewicht gebrachte Drache folgte ihm.
Aber Van konnte es sich nicht leisten, jetzt stolz auf seine Leistungen zu sein. Noch waren die anderen Gegner zwar überrascht, aber das würde nicht auf ewig so bleiben. Noch einmal riss er den Metalldrachen im Flug herum und nahm Kurs auf einen weiteren Gegner. Dieser allerdings war nun vorgewarnt und holte tief Luft, um Van mit seinem alles versengenden Feuer vom Himmel zu holen. Dieser flog weiterhin unbeirrt auf ihn zu. Der Katzenmann, der den Drachen lenkte, schien nicht damit gerechnet zu haben, dass Van sich in derartige Gefahr begab, aber er zögerte nicht lange: Die Feuerlanze hüllte ihn und Escaflowne vollkommen ein.
Und nach einer Sekunde tauchten sie beide wieder am anderen Ende auf und Escaflownes metallische Klauen bohrten sich in den Hals des Untiers. Bevor der Katzenmann seine Überraschung überwinden konnte, riss Van die Klaue wieder aus dem Hals, bevor sein Gegner ihn in seinem Todeskampf zum Boden riss. Er erlaubte sich ein grimmiges Lächeln. Vielleicht lag es an dem Drachenherz, das im Energisten von Escaflowne pulsierte... das Feuer der Tiere konnte ihm nichts mehr anhaben, das hatte er selbst verblüfft im Kampf mit den beiden Botschaftern festgestellt. Gut, dass diese Gegner das nicht gewusst hatten.
Allerdings sah die Sache nicht sehr rosig aus. Langsam gingen ihm die Geheimwaffen aus. Dennoch, davon würde er sich nicht aufhalten lassen. Er sah sich nach dem nächsten Gegner um. Zwei weitere Drachenreiter, ein Katzenmensch und ein Draconier, hatten zu ihm aufgeschlossen. Gut, diese zwei musste er noch schaffen, dann würde er sich um Juseela kümmern. Sonst kamen die anderen Drachen ihm noch nach und mit einer Hundertschaft der Biester konnte er es keinesfalls aufnehmen.
Die Draconierin, die näher an ihm dran war, wartete nicht auf ihre Verstärkung, sondern griff ihn sofort mit brennenden Augen an. Dumm für sie, gut für Van. Hätte sie zusammen mit dem Katzenmann angegriffen, hätte sie eine gute Chance gehabt, denn für einen Luftkampf war Escaflowne denkbar schlecht gerüstet. Offenbar schien sie die gleiche Taktik zu verfolgen wie er auch: Sie wollte ihn so rammen wie er seinen ersten Gegner. Gut, noch hatte er einen Trick in petto.
Mit einem grimmigen Lächeln drückte er mit dem Fuß eine gut verborgene Taste, die er vor fünf Jahren durch bloßen Zufall entdeckt hatte. Allerdings zeigte sie große Wirkung. Hinter ihm glitt an Escaflownes Hinterteil ein Metallstück zur Seite und gab ein Triebwerk frei, dass er erst einmal eingesetzt hatte, damals, als er mit Allen und Hitomi aus Zaibach geflohen war. Er wappnete sich gegen den Rückstoß, trotzdem wurde er beinahe umgerissen, als der Guymelef einen gewaltigen Ruck nach vorn machte. Die überraschte Draconierin sauste an der Stelle vorbei, an der er gerade noch gewesen war. Er ließ ihr dennoch keine Zeit, um ihre Fassung wiederzufinden.
Escaflowne flog eine Kurve und hielt nun wieder genau auf die verwirrte Lenkerin und ihr Tier zu. Sie begriff noch immer nicht, warum er auf einmal so an Geschwindigkeit gewonnen hatte. Das machte es einfach. Einige Sekunden, bevor Escaflowne und der Drache kollidieren würden, riss Van den Guymelef um 90° herum. Die Draconierin begriff erst im letzten Augenblick, was er vorhatte und ihr vor Schreck erstarrtes Gesicht würde ihm lange in Erinnerung bleiben. Der metallene Flügel Escaflownes traf die Bauchseite des Drachen und schlitzte ihn der Länge nach auf. Während Van sich dem letzten Gegner zuwandte, warf der tödlich verwundete Drache seine Reiterin ab und stürzte neben ihr in die Tiefe.
Nun war nur noch der Katzenmann übrig. Dieser hatte zwar mitbekommen, was seiner Herrin passiert war, aber das nützte ihm nichts. Er versuchte, seinen Drachen Feuer spucken zu lassen, aber die Lanze verfehlte Van um mehrere Meter. Nicht, dass es etwas gebracht hätte, wenn sie getroffen hätte, aber immerhin wurde er so nicht in seiner Sicht behindert. Van lenkte den nun an Geschwindigkeit weit überlegenen Escaflowne so dicht über den Drachen, dass sich der Katzenmann ducken musste, um nicht geköpft zu werden. Einige Metallteile schrammten an den Hornplatten des Untiers entlang.
Auch Van musste einen Rüttler hinnehmen, aber dank seine großen Schnelligkeit riss er den Drachen mehr mit als dieser ihn. Das Biest kam ins Trudeln und der ohnehin schon aus dem Gleichgewicht geratene Katzenmann konnte sich nicht mehr halten. Mit einem gellenden Schrei folgte auch er seinen Kameraden zur Erde und der herrenlos gewordene Drache entfernte sich vom Schlachtfeld, so schnell er konnte. Er scheint viel klüger zu sein als seine Herren, dachte Van.
Er trat von der Taste und die Klappe über dem Triebwerk schloss sich wieder. Allmählich kehrte Escaflowne wieder zu seiner Normalgeschwindigkeit zurück, was auch Van erleichterte. Egal, was für Vorteile ihm diese Schnelligkeit im Kampf auch einbrachte... sie war mindestens so gefährlich für ihn wie für seine Gegner. Einige Male bei diesem rasanten Flug hatte er Angst gehabt, hinunterzufallen. Dennoch gönnte er sich keine Pause und riss Escaflowne mitten im Bremsvorgang herum, sodass Juseelas Schiff wieder im Blickfeld war.
Das und die mindestens 10 Drachen, die es schützend umkreisten.
Van fluchte ungehemmt. Er hatte die Zaibacher Drachen vergessen! Sie hatten einen kürzeren Weg gehabt als die auf der Seite der Asturianer und hatten sich dem Schiff von hinten genähert, als er mit den anderen Drachen gekämpft hatte. Jetzt hatte er keine Chance mehr, das Schiff zu erreichen. Ratlos verharrte Van in der Luft, während immer mehr Drachen von beiden Seiten sich dem lebenden Schutzschild hinzugesellten. Zum Glück verzichteten die Drachenreiter nun, ihn anzugreifen, denn in seiner momentanen abgelenkten Lage wäre er ein leichtes Ziel gewesen. Die vier von vorhin hatten offenbar nur versucht, ihn abzulenken, bis ihre Kameraden das Schiff erreicht hatten. Es war ihnen gelungen.
Aber auch wenn die Drachenreiter ihn nicht mehr angriffen – vermutlich auf Juseelas Wunsch, schließlich war er ihr Neffe – konnte er das Schiff nun nicht mehr erreichen. Gute zwei Dutzend Drachen umschwirrten das Schiff nun schon in immer größer werdenden Kreisen. Je länger er hier ziellos umherflog, desto länger hatte Juseela Zeit, die Letzte Waffe zu starten! Und dann war es endgültig vorbei mit den beiden Armeen dort unten! Das durfte nicht geschehen!
Van seufzte. „Vergib mir, Hitomi", sagte er zu sich selbst und riss an den metallenen Zügeln Escaflownes. Gleichzeitig drückte er die verborgene Taste, sodass das Triebwerk wieder zum Vorschein kam. Er wusste nicht, ob es klug war, es so kurz hintereinander einzusetzen, aber wenn es nicht funktionierte, war ohnehin alles egal. „Ich muss es einfach versuchen. Es tut mir Leid, dass meine Eifersucht uns unsere letzten Tage geraubt hat."
Nun waren es bereits gute vierzig Drachen, die um das ispanische Schiff umherschwirrten und die anderen, noch ebenso viele, waren kurz davor, es zu erreichen. Er hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Mit einem lauten Schrei trat Van auf das Pedal. Das Triebwerk spie Feuer und Escaflowne beschleunigte immer weiter, während er auf das Knäuel Drachen und das Schiff zuhielt. Vielleicht, vielleicht schaffte er es durch bloße Geschwindigkeit, den Ring aus Drachen zu durchstoßen und Juseelas Schiff zu rammen.
Van machte sich keine Illusionen. Selbst wenn er durch den Ring kam, würde er mindestens einen Drachen frontal rammen und das würde ihn unweigerlich von Escaflowne herunterschleudern. Aber vielleicht reichte die Wucht des Aufpralls, um den Guymelef gegen das ispanische Schiff zu stoßen, sodass dieses vorzeitig explodierte. So oder so, tot war er auf jeden Fall. Aber bitte, betete er mit zusammengebissenen Zähnen, während die Drachen sich vor ihm formierten, um seinem Angriff zu begegnen, bitte, lasst mein Opfer nicht umsonst gewesen sein!
Im nächsten Moment explodierte die Welt vor ihm.
Merle hatte Angst. Riesige Angst. Normalerweise wäre sie in diesem Moment sofort umgedreht und hätte ihr Heil in der Flucht gesucht. Aber die Umstände waren eben nicht normal. Zum Glück waren die beiden kriegsführenden Parteien momentan ebenso ratlos wie sie, sonst wäre sie gewiss schon von einem Fußsoldaten oder einem Guymelef getötet worden. Aber momentan starrten fast alle Kämpfer entweder auf die beiden Kampfmaschinen, die in der Mitte des Schlachtfeldes gegeneinander kämpften oder auf die Luftschlacht über ihnen. Keiner bemerkte die kleine Katzenfrau, die, jede Deckung nützend, sich immer näher an die beiden kämpfenden Guymelefs heranschlich.
Dabei waren Sherezade und diese alte Zaibacher Guymelef, wie Merle festgestellt hatte, gar nicht ihr Ziel. Ihr war rätselhaft, wieso Allen aus der ispanischen Guymelef-Werkstatt, die plötzlich am Himmel erschienen war, gesprungen war und nun mit diesem Zaibacher kämpfte. Aber ihr war es Recht, denn so waren die anderen Kämpfer in der Nähe abgelenkt. Der Zaibacher schien einer der höchsten zu sein, wenn alle so gespannt auf den Ausgang dieses Duells warteten. Egal.
Das interessierte sie nicht, jedenfalls nicht brennend. Natürlich wünschte sie Allen alles Gute für diesen Kampf. Sie wollte auf keinen Fall, dass dem Ritter des Himmels etwas zustieß, denn auch wenn sie sich nicht immer gut verstanden, hatte ihr der Mädchenschwarm Asturias schon einige Male einen guten Rat geben können. Wie oft hatte er ihr nicht schon aus der Patsche geholfen, wenn ihr zugegeben oft mit ihr durchgehendes Temperament sie in Schwierigkeiten mit Farnelias Bürgern gebracht hatte?
Auch Van wünschte sie alles Glück der Welt. Natürlich hatte sie ihn sofort erkannt, als Escaflowne aus dem Bauch dieses Monsterschiffes gefallen war, und ihr Herz hatte sofort höhergeschlagen. Niemand außer ihm konnte Escaflowne so vollendet beherrschen, darum stand es außer Frage, wer dort oben kämpfte. Obwohl er sie aus Farnelia verbannt hatte, liebte Merle ihn noch immer. Diesen sturen, seine Gefühle verleugnenden Dummkopf, mit dem sie aufgewachsen war und den sie früher noch mehr als nur geschwisterlich geliebt hatte. Bevor Hitomi aufgetaucht war. Und auch Llorin.
Das brachte sie wieder in die Gegenwart zurück. Hastig drückte sie sich an einigen Fußsoldaten vorbei, die noch vor einigen Sekunden gegeneinander gekämpft hatten und nun mit offenen Mündern in den Himmel starrten. Sie wollte nicht ausprobieren, ob diese Leute Katzenmenschen verschonten, nur weil sie nicht wussten, ob sie auf ihrer Seite standen oder auf der anderen. Sie erinnerte sich noch lebhaft an all die Vorurteile, die die Menschen gegenüber ihrem Volk hegten, deswegen rannte sie so schnell sie konnte durch die Menschenmassen, bevor diese sie zur Kenntnis nehmen und als Gefahr einstufen konnten. Einige Male schrie ihr zwar jemand etwas hinterher, aber niemand verfolgte sie. Gut.
Sie hatte keine Zeit, um sie Vans Kampf anzusehen, denn jetzt kam war sie fast bei Allen und seinem Gegner angekommen. Irgendetwas an dem Kerl kam ihr komisch vor, auch wenn sie wegen des Kampfroboters nicht erkennen konnte, wer es war. Aber diese Wildheit, mit der er angriff... irgendwo hatte sie das schon gesehen. Und diese zornigen Laute, die aus dem Visier klangen... wo hatte sie die nur schon gehört? Sie schüttelte den Kopf, während sie keuchend die letzten Meter ihres Laufs hinter sich brachte. Nie war sie so schnell so lang gelaufen. Aber es war wichtig.
Nun hatte sie endlich den toten Drachen erreicht. Sie ließ sich eine Sekunde lang Zeit, um tief Luft zu holen, dann ging sie immer noch heftig atmend um das riesige Tier herum. Auf dem Plateau hatte sie genau gesehen, wie Llorin seine Freunde weggeschickt hatte, um allein gegen diesen Zaibacher zu kämpfen. Atemlos hatte sie den Kampf verfolgt, auch den Ausgang. Einige quälend lange Sekunden lang hatte sie gedacht, ihr Liebster würde sterben, ohne dass sie ihm etwas von ihren Gefühlen hätte mitteilen können, aber dann war plötzlich Allen vom Himmel gefallen.
Sie hatte nicht gewusst, was das zu bedeuten hatte, aber sie hatte auch nicht gezögert. Sofort war sie losgelaufen, ins Getümmel des Kampfes, um zur Stelle zu kommen, wo sie Llorin hatte fallen sehen. Zum Glück hatten die meisten Menschen die Kämpfe eingestellt, als die Drachen plötzlich alle weggeflogen waren. Auch Merle war verblüfft gewesen, allerdings hatte sie diese glückliche Wendung ausgenützt, um unbeschadet hierher zu kommen. Viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf, während sie immer langsamer um den Drachen herumging.
Was war, wenn Llorin den Sturz nicht überlebt hatte?
Was war, wenn einer der Guymelefs aus Versehen auf ihn getreten war?
Was war, wenn...?
Dann, als sie um das riesige Bein des toten Drachen herumgegangen war, sah sie ihn. Llorin sah furchtbar aus. Seine Uniform, die er vorher mit so viel Stolz getragen hatte, war von Blut und Schlamm verunstaltet und kaum mehr zu erkennen. Sein Arm lag in einem Winkel da, der keinesfalls natürlich sein konnte und war ebenfalls mit Blut bedeckt. Der Katzenmann lag leblos auf der Erde und schien nichts von dem Kampf zu bemerken, der einige Meter neben ihm ausgetragen wurde.
Mit einem verzweifelten Schrei stürzte Merle zu ihm hin. Vergessen waren all die Strapazen, die sie auf sich genommen hatte. Vergessen die Gefahr, in der sie sich befanden. Alles, was sie von der Welt noch wahrnahm, war Llorins Körper, der regungslos vor ihr lag. Ohne Rücksicht auf ihre ohnehin schon verschmutzte Kleidung ließ sie sich in den Schlamm fallen und tastete zitternd nach seinem Puls. Zunächst fühlte sie eine klamme, quälend lange Sekunde nichts, aber dann plötzlich fast unmerklich kleine Stöße, die das Blut zwar schwach, aber noch immer durch seinen Körper pumpten.
Unglaublich erleichtert setzte sie sich auf und legte seinen Kopf sanft auf ihre Beine. Rasch untersuchte sie, ob er ernsthaft verwundet war, aber bis auf seinen Arm schien er keine gefährlichen Wunden davongetragen zu haben. Im Stillen dankte Merle den Mächten, dass sie ihre Bitte erhört und Llorin beschützt hatte. Tränen rannen ihr über die Wangen, als sie sein Gesicht streichelte.
„Du Dummkopf", schluchzte sie. „Wieso hast du nicht auf mich gehört, hm? Ich hab dir doch gesagt, du sollst bei mir bleiben." Das Verlangen in ihr wurde übermächtig, also beugte sie sich über ihn und küsste ihn auf den Mund. Immer noch rannen ihr salzige Tränen dabei über das Gesicht. Plötzlich spürte sie, wie sich sein Körper wieder bewegte. Hastig brach sie ihre Kuss ab und sah ihn mit aufgerissenen Augen an.
Llorin schien zunächst gar nicht mitzubekommen, was überhaupt passiert war. Mit leeren Augen sah er Merle an. Sie konnte kein Erkennen darin lesen. Allerdings schien ihre Gegenwart seine Kraftreserven zu mobilisieren, denn er kämpfte sich zusehends Stück für Stück von der Schwelle des Todes zurück. Mit einem Mal zwinkerte er und als er die Augen wieder öffnete, waren sie zwar von Schmerz getrübt, aber wieder klar. Ihr Herz machte einen Sprung, als er sie erkannte!
„Merle?", fragte er mit ungläubiger, schwacher Stimme. „Bist du es... wirklich? Oder bilde ich... mir das nur ein?"
„Nein!", wehrte sie entschieden ab und streichelte sein Gesicht. „Nein! Ich bin es wirklich, Llorin! Ich bringe dich hier weg!"
„Weg?" Er versuchte ein schräges Grinsen, aber es gelang ihm nicht sehr gut. „Wo...hin denn? Wir sind auf einem Schlachtfeld, Merle. Ich... kann nicht laufen."
„Ist mir egal!", fauchte Merle und tauchte ihre Krallen in sein Gesicht, als sie fühlte, dass er wieder in die Bewusstlosigkeit abzugleiten drohte. „Ich bringe dich hier irgendwie raus, hörst du? Und wenn ich dich durch die ganze verdammte Ebene tragen muss!"
„Lass... es, Merle", wehrte Llorin ab, aber sein Protest war nur schwach. „Du hättest nicht... herkommen sollen. Geh zu deinem Freund... Allen Shezar, wenn er diesen Kampf gewonnen hat. Er wird... dich wegbringen... falls er dann noch lebt."
„Kommt nicht in Frage!", brauste das Katzenmädchen auf, doch dann drängte sich eine Frage in ihr Bewusstsein. „Llorin... gegen wen kämpft Allen? Wer hat dich fast getötet?"
„Hätte nie gedacht... dass er noch lebt", murmelte der Katzenmann. Er versuchte einen Blick auf den Kampf werfen zu können, aber sein Hals schien zu schmerzen. „Hätte ihm... nicht allein... gegenübertreten sollen." Dann erst schien er Merles Frage zu realisieren. „Albatou", hauchte er. „Es ist... Dilandau Albatou!"
In Merle gefror etwas unter diesen Worten zu Eis. Das war unmöglich! Absolut unmöglich! Dilandau war to... fort, und das schon seit fünf Jahren! Als er realisiert hatte, dass Allen für seine Schwester sterben würde, hatte ihn Serena mit einer Vehemenz in die tiefsten Winkel ihres Geistes verbannt, die bis heute angehalten hatte. Es war doch nicht möglich, dass er nach all dieser Zeit wieder Kontrolle über sie hatte. Oder... doch?
„Das kann nicht sein!", rief sie, mehr um sich zu beruhigen, als weil sie daran glaubte. „Das ist unmöglich, Llorin! Dilaudau ist nicht mehr!"
„Und doch... kämpft er gerade vor uns", erwiderte dieser leise, während er nachdenklich in den Himmel starrte. „Du kennst ihn, nicht wahr? Hörst du nicht... seine Stimme? Fühlst du nicht... seinen Hass?"
Darauf konnte Merle nichts erwidern, als sie zu dem Zaibacher Guymelef hinsah. Die Brutalität, mit der dieser Sherezade zu treffen versuchte, war ihr nur zu gut bekannt. Auch erkannte sie nun die wütende Stimme, die Allen anschrie, er solle endlich richtig kämpfen. Sie war zwar durch das Metall verzerrt, aber Dilandaus Stimme war unverkennbar. Merles Augen füllten sich mit Tränen. Warum? Warum ging nur alles schief?
„Merle..." Sofort sah sie wieder zu Llorin hinunter. Eine ihrer Tränen landete dabei auf seinem Gesicht, aber das schien ihn nicht zu stören. Obwohl er große Schmerzen haben musste, versuchte er sie anzulächeln. „Es tut... mir Leid. Du hattest Recht, ich hätte wohl... bei dir bleiben sollen." Er schnitt eine Grimasse. „Jetzt werde... ich ehrlos hier sterben."
„Ehre! Ehre!", schrie Merle plötzlich. „Ich kann dieses verdammte Wort nicht mehr hören! Du bist genauso wie Van früher! Er konnte sich selbst auch nichts eingestehen wegen seiner Ehre! Deine Herrin interessiert es nicht, ob du lebst oder stirbst, Llorin!"
Einen Moment lang flackerte Zorn in seinen Augen auf und sein Mund öffnete sich zum Protest, aber dann ließ er es bleiben. Vielleicht hatte er doch etwas dazugelernt. Er sah weg. „Vielleicht hast... du ja Recht... vielleicht auch nicht. Das spielt... keine Rolle mehr." Er öffnete die Augen wieder und sah sie an. Merle konnte es kaum glauben, als sie eine einzelne Träne die Wangen dieses großen Kriegers herunterrinnen sah! „Seltsam... früher dachte ich immer... es würde mich glücklich machen... für die Herrin zu sterben. Aber jetzt... da es soweit ist... fühle ich nur Bedauern." Wieder lächelte er und dieses Mal gelang es ihm. „Bedauern darüber... dass ich dir unser Volk nicht mehr vorstellen kann." Er versuchte, die Hand zu ihrem Gesicht zu heben, aber es gelang ihm nicht. „Bedauern darüber... dass ich dich nun nicht mehr beschützen kann... wie ich es hätte tun sollen."
Das Bild verschwamm vor Merles Augen, als sie dieses Geständnis von ihm hörte. Sie schluchzte leise, als sie seine zitternde Hand nahm und sie sanft an ihrer Wange rieb. „Nein!", flüsterte sie schluckend. „Ich erlaube dir nicht zu sterben, Llorin, hörst du? Ich verbiete es dir! Ich bringe dich hier heraus und dann kommst du gefälligst wieder auf die Beine!" Bei den letzten Sätzen war sie immer lauter geworden. Sie krallte sich an Llorin fest, als dessen Augen wieder trübe wurden. „Ich lasse dich nicht hier zurück!"
Noch einmal kämpfte sich Llorin aus der drohenden Bewusstlosigkeit zurück. „Nein, Merle. Du musst... weg von hier. Geh mit Shezar... er wird dich sicher hier herausbringen. Lass mich hier... ich behindere dich nur."
„Nein!", schrie sie noch einmal und hielt mit beiden Händen sein Gesicht fest. Seine Augen wurden groß, als sie ihres ganz nah an seines heranbrachte. Obwohl ihre Augen noch immer feucht waren, stand eine sonderbare Mischung aus Zorn und Entschlossenheit in ihnen. „Ich bin dir durch halb Gaia gefolgt", sagte sie plötzlich ganz ruhig und gelassen. „Und das nur, weil ich dir etwas sagen will, du dummer Narr! Etwas, dass ich schon seit unserer ersten Begegnung weiß, das du aber anscheinend noch immer nicht begriffen hast." Llorins Augen weiteten sich ungläubig. Offenbar begriff er, was sie ihm sagen wollte. „Ich liebe dich, Llorin! Es ist mir gleich, ob ich dich hier herausbringe oder ob wir beide hier auf diesem Schlachtfeld sterben... aber ich werde dich nicht mehr verlassen, hörst du? Ich bleibe für immer bei dir!"
Offenbar wollte der Katzenmann etwas sagen, aber aus seiner Kehle kam nur ein heiseres Krächzen, bevor Merle ihm den Mund mit einem Kuss verschloss. Mochte dieser Tag doch enden, wie er wollte... Merle hatte erreicht, was sie wollte.
Hastig parierte Allen die Flüssigmetalllanzen, die auf ihn zuschossen, drehte sich um die eigene Achse und stoppte das Schwert, mit dem ihn sein Gegner gleich darauf attackierte. Er überhörte den zornigen Schrei aus dem anderen Guymelef und versuchte, das Schwert des Zaibachers abzuschlagen, indem er nach dem metallenen Arm hieb. Der andere war indes auch nicht auf den Kopf gefallen und wich einen Schritt zurück. Die beiden Schwerter trafen wieder aufeinander.
Eine Sekunde lang trennten sich die beiden Kontrahenten. Allen ging sofort wieder in Verteidigungsstellung, während Dilandau mit gesenkten Armen dastand. Allen konnte den heftigen Atem seines Gegners hören. Dilandau war nicht mehr so gut trainiert wie früher, auch wenn er seinen geringfügigen Mangel an Ausdauer durch seine Raserei wettmachte. Diese Entschlossenheit mochten ihm in einem kurzen Kampf von enormem Nutzen sein, tatsächlich hatte Allen in den ersten Minuten ihres Kampfes nichts anderes getan, als die Hiebe des anderen zu parieren. Je länger der Schlagabtausch allerdings währte, desto mehr Kraft verbrauchte Dilandau, während Allen noch immer Reserven hatte. Das würde Allen letztendlich den Sieg bringen.
Wenn den Ritter des Himmels nicht etwas daran hinderte, mit aller Entschlossenheit anzugreifen. Hätte er keine Skrupel, sein Gegenüber zu töten, wäre der Kampf vermutlich schon entschieden. Allen hatte seine Schwertkunst in den zahlreichen Kämpfen mit Van sogar noch verbessern können, ebenso wie der junge König, während Dilandau in den letzten Jahren nicht einmal ein Schwert in der Hand gehalten hatte. Aber einen Vorteil, von dem er allerdings nicht wusste, hatte der Zaibacher doch: Allen konnte ihn nicht töten.
„Was soll das, Shezar?", erklang plötzlich die schrille Stimme des Wahnsinnigen. Allen spürte förmlich, wie die irren Augen des Zaibachers ihn zu durchbohren versuchten. „Wieso greifst du nicht an? Bist du etwa zu feige?"
„Ich bin nicht feige, Dilandau", entgegnete Allen ruhig. „Aber ich will meine Schwester nicht verletzen."
Dem folgte ein wütendes Knurren und ein Angriff von Dilandau. Die beiden Schwerter krachten wieder aufeinander und blieben zitternd in der Mitte der Kontrahenten.
„Wovon redest du, Shezar? Willst du mich verwirren?"
Allen blockte einen weiteren, seitwärts geführten Hieb mit dem Flüssigmetallschwert ab.
„Kommt es dir nicht komisch vor, dass du dich nicht an die letzten fünf Jahre erinnern kannst, Dilandau?", fragte Allen forschend. „Was hast du in ihnen gemacht?"
Das schien den Zaibacher etwas aus dem Konzept zu bringen. Allerdings war Dilandau die Sorte Mensch, die wütend wird, wenn man sie verunsichert. Allen sprang hoch, und als die Metalllanzen sich dort in die Luft bohrten, wo er eben noch gestanden war, landete er bereits hinter Dilandau.
„Siehst du?", bohrte Allen weiter. „Du weißt es nicht. Und warum? Weil du diese fünf Jahre niemals erlebt hast. Weil in dieser Zeit jemand anders in diesem Körper war. Serena Shezar."
„Shezar?", knurrte Dilandau und musterte Allen. „Deine Schwester, wie? Denkst du, du kannst mir alles einreden? Was sollte dieses Weibsbild in mir verloren haben?"
Diesmal griff Dilandau mit einer schnell geführten Kombination von unterschiedlich gezielten Schlägen an. Allerdings hatte sich Allen im Kampf mit Van schnelle Reflexe angeeignet, wodurch er imstande war, alle Hiebe abzuwehren. Einmal gelang es ihm sogar, dem anderen Guymelef einen Schnitt am linken Handgelenk zuzufügen. Dieser zog sich daraufhin jedoch mit einem Fluch zurück.
„Sie hat nichts in dir verloren", antwortete Allen verspätet. Nun atmete auch er etwas heftiger. Normalerweise waren seine Kämpfe immer schnell entschieden. Er hätte Dilandau schon mindestens dreimal töten können, aber das konnte und durfte er nicht. Dadurch war die Sachlage sehr schwierig. „Sondern DU in IHR! Sie wurde als Kind von den Zaibachern entführt. Die Hexer haben Experimente mit ihnen durchgeführt und irgendwann bist DU daraus entstanden." Allen wartete auf einen neuerlichen Angriff, aber seltsamerweise kam er nicht. Vielleicht wusste der Verrückte ihm gegenüber tief im Inneren, dass Allen die Wahrheit sagte. „Serena, ich weiß nicht, ob du mich hören kannst", fuhr Allen vorsichtig fort. „Aber ich bitte dich, kämpfe gegen dieses Monster an! Du hast ihn schon einmal besiegt und du kannst es wieder schaffen!"
„SEI STILL!", schrie Dilandau und griff Allen mit derartiger Gewalt an, dass der Ritter des Himmels einen Schritt zurückweichen musste. Gleich darauf züngelten die Metalllanzen wieder nach ihm, welchen er zwar ausweichen konnte, aber eine davon streifte sehr nahe am Visier von Sherezade vorbei. „Egal, ob das, was du da von dir gibst, stimmt oder nicht... ich bin hier und ich bleibe hier! Und nichts, NICHTS, wird mich davon abhalten, dich zu töten!"
Allen machte sich mit einem beidhändig aufwärts geführten Hieb etwas Luft, aber Dilandau nützte diese Pause, um beide Hände zu heben. Allen konnte lediglich noch die Augen erschrocken aufreißen, als ihm zwei Flammenstrahlen entgegenschossen. Dem einen konnte der Ritter des Himmels zwar noch ausweichen, aber der andere traf ihn an der Seite. Zwar konnte ihm das Feuer selbst in so kurzer Zeit nicht sehr viel Schaden beibringen, aber er war einen Augenblick geblendet, was Dilandau sofort ausnützte. Aus dem Arm seines Guymelefs fuhren die Metalllanzen heraus.
„Jetzt hab ich dich, Shezar", brüllte der Zaibacher triumphierend. „Du hast versagt!"
Allen blinzelte, aber die bunten Schwaden vor seinen Augen verschwanden nicht schnell genug. Jeden Moment musste der tödliche Schuss kommen, aber statt dessen hörte er zu seiner Verwunderung Dilandaus gepresste Stimme, die „Nein! Nicht jetzt!", wimmerte. Fest presste Allen noch einmal die Augen zusammen und als er sie öffnete, konnte er wieder klar sehen. Gerade noch zur letzten Zeit, denn sein Gegner hatte seinen Anfall offenbar überwunden und schoss nun die Metalllanzen auf ihn ab. Der Ritter fegte sie mit dem Schwert beiseite, stürmte vor und schlug den Arm ab. Heulend wich Dilandau zurück.
„Was ist los, Dilandau?", fragte Allen mit einem grimmigen Lächeln. „Hat dich etwas davon abgehalten, mich zu töten? Hat Serena kurz mit dir gerungen? Serena, mach weiter! Du kannst ihn besiegen! Ich glaube an dich!"
„HALT DEINEN MUND!" Dilandau wahrte zwar sicheren Abstand, aber irgendwie hatte Allen das Gefühl, dass das Zittern, dass auf den Guymelef übertragen wurde, nicht durch den fehlenden Arm verursacht wurde. „Hier gibt es keine Serena! Nur uns beide!"
„Aber nur im Moment!", triumphierte Allen. „Ich wette, dass in diesem Moment Serena immer stärker wird. Vielleicht kann sie hier auf dem Schlachtfeld nicht ihre volle Stärke erreichen, aber wenn ich dich erst besiegt und nach Hause gebracht habe, wird sie früher oder später wieder hervorkommen. Und dann wirst du für immer verschwinden, Dilandau!"
„Niemals!", hauchte der Wahnsinnige mit brennendem Hass in der Stimme. Einen Moment lang schwieg er. „Vielleicht hast du Recht, Shezar. Mein Guymelef ist am Fuß und am Arm verletzt. Du bist im Vorteil. Wahrscheinlich wirst du mich besiegen." Der Unterton in seiner Stimme gefiel Allen nicht. „Aber bevor ich das geschehen lasse, bringe ich uns beide um! Mich... und deine heißgeliebte Schwester!" Damit setzte er sich den verbliebenen Arm an den Kopf.
„Nein!", rief Allen entsetzt. „Tu das nicht!"
„Komm nicht näher!", knurrte Dilandau voller Freude über seine Überlegenheit. „Sonst hast du keine Gelegenheit mehr, mich zu bekehren! Wirf deine Waffe weg, Shezar." Als Allen zögerte, schrie er: „WIRF DEINE WAFFE WEG!"
Noch einen Moment lang zögerte Allen, aber dann nahm er das meterlange Schwert und stieß es vor sich tief in die Erde. Dann streckte er die Arme des Guymelefs zur Seite. „Wie du willst, Dilandau. Ich werde nicht mehr kämpfen."
„Du überraschst mich, Shezar." Nun klang die Stimme des Zaibachers gar nicht mehr so verrückt. Offenbar war er wirklich überrascht, dass Allen so weit ging. „Ist es nicht deine Pflicht als Ritter, die Welt vor mir, diesem Ungeheuer zu bewahren?"
„Pflicht!" Allen schnaubte traurig. „Mein ganzes Leben lang bestand nur aus meinen Pflichten! Immerzu habe ich mich bemüht, Asturia zu dienen! Aber in diesem Fall kann ich es nicht." Allen richtete einen traurigen Blick aus das Visier des gegnerischen Guymelefs. „Weil ich Serena liebe. Egal, was die Konsequenzen sind, ich kann es nicht zulassen, dass sie stirbt."
Dilandau nahm den Roboterarm von der Stirn und zielte damit auf Sherezade. Im Inneren des Arm sah Allen heißes Feuer aufglühen.
„Dann wirst du hier sterben, du Narr", stellte Dilandau fest und lachte irr auf. „Wer hätte gedacht, dass der Ritter des Himmels einmal ein so schmähliches Ende nehmen würde. Aber ich will mal nicht so sein." Allen konnte das Grinsen unter dem Visier förmlich sehen. „Du darfst dich vorher noch von deiner Schwester verabschieden, Shezar!"
Allen schloss die Augen. „Serena", fing er an, gerade laut genug, dass sein Gegenüber es verstehen konnte. „Es tut mir Leid. Ich habe dir versprochen, dich zu beschützen, aber ich habe versagt. Vielleicht hat dich diese Verzweiflung dazu getrieben, Dilandau wieder hervorzurufen, ich weiß es nicht." Allen schluckte. „Du hast allen Grund, mich zu hassen. Ich hätte dich nicht allein in Freid zurücklassen dürfen. Ich habe vergessen, wie zart du bist, Schwester. Wie verletzlich. Nun stehen wir uns gegenüber und mein Eid Asturia gegenüber verpflichtet mich dazu, dich zu töten." Allen schüttelte den Kopf, als seine Augen feucht wurden. „Aber das kann ich nicht. Nicht um alles in der Welt. Weil du die einzige Person auf ganz Gaia bist, die ich lieben kann, ohne jemanden zu verletzen, Serena. Marlene... Millerna... Hitomi... Eries... jede Frau, die ich liebe oder die mich liebt, mache ich unglücklich. Nur dich durfte ich mit jeder Faser meines Herzens lieben, Serena... und dafür danke ich dir. Lebewohl, liebste Schwester."
Damit verstummte er und wartete auf den Flammenball, der sein Leben auslöschen würde. Er fühlte sich gar nicht so schlecht, wie er angenommen hatte. Er hatte gesagt, was er schon lange hätte sagen sollen. Vielleicht würde Van Dilandau besiegen und irgendwann würde Serena wieder über ihn siegen. Dann würde sie über alle ihrer Trauer zumindest wissen, was er für sie empfunden hatte. Erst, nachdem er diese Gedanken abgeschlossen hatte, bemerkte er, dass er noch immer keine Hitze fühlte. Erstaunt öffnete er die Augen.
Der Zaibacher Guymelef stand völlig starr. Sein Arm hatte sich keinen Zentimeter bewegt und noch immer kochte das Feuer in ihm. Aber er schoss nicht. Man hörte keinen Laut aus dem Visier, kein Zischen, kein Fluch, keine Schmährede. Gerade, als Allen etwas sagen wollte, erklang der Schrei. Er war nicht einmal laut, wenn man bedachte, dass er von Dilandau stammte, eigentlich klang er eher so, als hätte ihn der Krieger völlig verkrampft ausgestoßen. Ein Zittern lief durch den gesamten Guymelef und für einige Augenblicke leuchtete das Feuer im Arm noch heller als zuvor.
Dann erlosch es. Eine halbe Minute lang wagte Allen nichts zu sagen, hörte nur dem heftigen Atemzug zu, der aus dem Visier des Zaibacher Guymelefs drang. Schließlich hielt er es jedoch nicht mehr aus.
„Serena?"
„Allen!"
Serenas Stimme klang genauso wie damals, als sie beobachtet hatte, wie er und Van kämpften. Traurig über all das, was geschehen war, ängstlich, aber auch unglaublich erleichtert, dass er in ihrer Nähe war. Der Ton, auch wenn es ein Schluchzen war, ließ sein Herz höher schlagen. Nichts mehr konnte ihn halten. Mit zwei großen Schritten war er bei dem Zaibacher Guymelef. Hastig öffnete er das Visier von Sherezade und entledigte sich der Mechanik, mit der er ihn steuerte. Sofort sprang er auf und schlug mit der Faust gegen das Visier des anderen Guymelef.
„Serena!", rief er laut. „Ist alles in Ordnung?"
Er machte einen kleinen Schritt rückwärts, als plötzlich Dampf aus den Ritzen des Visiers kam und dieses hochklappte. Als sich der Dampf verzogen hatte, sah er im Inneren der Kampfmaschine das wohlbekannte Gesicht Serenas, das ihn mit unendlicher Trauer und Tränen in den Augen musterte. Der Anblick stimmte ihn zugleich froh wie traurig. Das Mädchen riss sich von den Armaturen los und floh mit einem Klagelaut in seine ausgestreckten Arme.
„Allen!", schluchzte sie, während sie hemmungslos Tränen über seine Uniform vergoss. „Es... tut mir so Leid..."
Die ersten Augenblicke lang sagte der Ritter des Himmels nichts. Er genoss einfach das Gefühl ihrer Nähe und hielt sie fest an sich gepresst. Immer wieder wurde ihr Körper von Schluchzern geschüttelt, woraufhin er sie sanft streichelte.
„Es muss dir nicht Leid tun, Serena", flüsterte er ihr zu. „Ich hätte dich nicht allein lassen dürfen."
„A-aber was passiert... wenn ER wiederkommt?", schniefte das Mädchen. Offenbar wusste sie nun ebenso wie Dilandau, wer sie waren.
„Das kann er nicht", entgegnete Allen überzeugt. „Er kann nur kommen, wenn du ihn rufst. Und ich verspreche dir... ab jetzt werde ich immer in deiner Nähe sein, um dich zu beschützen, Serena."
Langsam beruhigte sich die junge Frau, auch wenn sie noch immer zitterte. Aber zumindest hatte sie aufgehört zu weinen. Einige Augenblicke lang blieben die beiden still, dann fragte Serena zaghaft: „Allen... das, was du vorhin gesagt hast..."
„Es war die Wahrheit", erwiderte er fest und sah ihr ins Gesicht. „Ich liebe dich, Serena. Du bist diejenige, die meinem Leben Halt gibt. Ich habe unserer Mutter versprochen, dich zu beschützen... und dieses Mal werde ich meinen Schwur halten!"
In den Augen seiner Schwester sammelten sich bereits wieder glitzernde Tränen, aber das scheue Lächeln, das ihre Lippen umspielte, zeigte, dass es diesmal keine Tränen der Trauer waren. Bevor sie sich allerdings wieder in die Arme fallen konnten, erklang tief unter ihnen auf einmal eine bekannte Stimme.
„Allen! Serena! Hier unten!"
Verwundert sahen beide hinunter – und rissen erstaunt die Augen auf.
„Merle!", rief Serena fassungslos. „Was machst du hier?"
„Ist nicht wichtig", winkte das Katzenmädchen ab. Sie hatte den Arm eines anderen Katzenmenschen um ihre Schulter geschwungen und ihn scheinbar bis hierher getragen, ihrer roten Gesichtsfarbe und dem heftigen Atem nach zu urteilen. Allen glaubte, diesen Katzenmann zu kennen. „Allen, du musst uns schnell hier herausbringen. Jeden Moment können die Kämpfe wieder beginnen!"
Allen sah sich um. Tatsächlich. Momentan waren beide Seiten noch unschlüssig, was sie tun sollten. Erst waren die Drachen verschwunden, dann waren Escaflowne, Allen und Dilandau aufgetaucht und schließlich hatten er und Serena sich umarmt. Die Kämpfer mussten völlig verwirrt sein, aber ewig würde das nicht so bleiben.
„Du hast Recht", sagte er und zog Serena sanft mit sich. „Ich nehme euch auf der Handfläche mit. Nur weg von hier."
Im selben Augenblick explodierte der Himmel in einem Lichtmeer.
Zutiefst erleichtert wandte Juseela den Kopf von dem Aussichtsfenster ab. Einen Augenblick lang hatte sie wirklich Angst gehabt, ihr Neffe würde sie angreifen und zum Absturz bringen, aber jetzt waren ihre getreuen Drachenreiter gekommen und formten einen Schutzschild aus Fleisch, Hornplatten und Klauen.
Trotzdem beeilte sie sich, als sie durch das Schiff zu dem Raum marschierte, in dem das Schicksal von Gaia auf seinen großen Auftritt wartete. Sie durfte Van nicht unterschätzen. Er war stur und mutig, genau wie seine Mutter. Wenn sie ihm genug Zeit ließ, würde er vielleicht einen Weg finden, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Bis dahin musste sie die Letzte Waffe, welche sie den Ispano entwendet hatte, über den beiden Menschenheeren abgeworfen haben.
Sie seufzte, als sie den großen Raum betrat, in dem der ungefähr zwei Meter große wie breite Kanister ruhte. Beinahe hätte sie es geschafft, dass Van zu ihr zurückgekehrt wäre. Hätte sie nur dieses verfluchte Mädchen etwas früher beseitigt, dann wäre er jetzt immer noch hier. Dann würden sie nicht gegeneinander kämpfen. Sie hoffte, dass er nichts Dummes tat und hier auf diesem Schlachtfeld starb. Wenn das Drachenvolk erst wieder über Gaia herrschte, dann würde er vielleicht irgendwann einsehen, wohin er gehörte. Juseela hoffte es.
Langsam stieg sie die Leiter hinauf, die sie zum Kontrollpult der Letzten Waffe brachte. Dämonengerät! Normalerweise verabscheute sie alle Technologie, mit der die Ispano die letzten Atlanter hier auf Gaia bekämpft hatten. Diese Vernichtungswaffe, die Guymelefs, das Geheimnis der Stahlbearbeitung... all diese Dinge, welche diese verfluchten Techniker den Menschen überlassen hatten, hatten ihr Volk an den Rand der Ausrottung gebracht. So viele Draconier waren schon deswegen gefallen. Sie presste ihre Lippen zu einem Strich zusammen. Das würde hier und jetzt ein Ende haben!
Stirnrunzelnd betrachtete sie die Schalttafel und gab langsam die Daten ein, welche sie von den Ispano bekommen hatte. Sie hatte keine Garantie, dass sie richtig waren. Aber da sie den Ispano angedroht hatte, sie mit auf dieses Schiff zu nehmen, um die Waffe abzuwerfen, waren sie es vermutlich. Diese Maulwurfgesichter hatten nicht genug Mumm, sie zu belügen!
Zufrieden stellte sie nach der letzten Eingabe fest, dass die Daten tatsächlich korrekt gewesen waren. Die Dämonenwaffe war aktiviert, in einer Minute würde sie explodieren. Nun hing alles von dem letzten Knopf ab. Der große, rote, der die Letzte Waffe auf die Armeen der Menschen abwerfen lassen würde und ein neues Zeitalter einleiten würde. Juseela wollte ihn gerade drücken, als sie einige Drachen aufkreischen hörte. Offenbar versuchte Van noch immer, sie aufzuhalten. Sie gestattete sich ein trauriges Lächeln. Ja, er war wirklich wie seine Mutter. Verfolgte stur sein Ziel, egal, was es ihm am Ende auch einbringen mochte.
„Varie", flüsterte die Königin des Drachenvolkes. „Das hier tue ich für dich. Für alles, was dir die Menschen angetan haben."
„Was denn, liebe Schwester?", erklang plötzlich eine milde Stimme hinter ihr. Der Finger, der soeben den roten Knopf drücken wurde, erstarrte, als Juseela langsam den Kopf drehte. Ihre Augen weiteten sich, als sie sah, wer hinter ihr stand.
„Varie", hauchte sie entsetzt. „Das... das ist unmöglich. Du bist doch..."
„Tot", beendete Varie den Satz. Nun erst sah Juseela, dass der Körper ihrer Schwester durchsichtig war, wie der eines Geistes. Das schöne Gesicht, Juseelas so ähnlich, war sehr entschlossen. „Ja. Aber du darfst mich nicht rächen, Juseela. Ich war glücklich in Farnelia."
„Aber die Menschen haben dich nie akzeptiert", brauste Juseela verzweifelt auf. Wieso verstand Varie nur nicht, dass sie das alles nur aus Liebe zu ihr tat? „Sie haben dich in den Tod getrieben! Hätten sie dich als Königin von Farnelia anerkannt, wärst du noch immer am Leben!"
„Nein, das wäre ich nicht", entgegnete die Stimme ihrer Schwester. „Denkst du denn, mir war die Königswürde wichtig? Nur meine Familie lag mir am Herzen. Ich konnte es nicht ertragen, Folken und Goau zu verlieren, nur deshalb habe ich den Tod gewählt, Juseela."
„Aber verstehst du denn nicht, dass ich das nur für dich und unser Volk tue?", rief Juseela gequält. „Ich will doch nur, dass alles so ist, wie es früher war. Früher... als..."
„Als wir noch zusammen waren", beendete Varie sanft. Ihre Augen leuchteten und ihr Lächeln war verständnisvoll. „Unser Volk lebt schon seit Urzeiten mit den anderen auf diesem Planeten, Juseela. Und solange wir beide noch zusammen waren, hast du nie an Krieg gedacht. Wir reden davon, wie mächtig wir dereinst waren, ja, aber nie haben wir ernsthaft bezweckt, die Menschen zu unterwerfen. Und warum? Weil wir uns mit unserem Leben abgefunden hatten. Wir hatten einander und waren glücklich. Das kann wieder so sein."
Juseelas Augen tränten, als sie ihrer Schwester zuhörte. „Wie?", hauchte sie. „Wie, Varie?"
Varie öffnete ihre Arme und lächelte sie an. „Komm zu mir, Schwester. Komm zu mir."
Einen Augenblick lang war Juseela noch unentschlossen, dann aber hastete sie die Leiter hinunter und warf sich in die Arme ihrer Schwester. Zumindest versuchte sie es. Da Varie nur ein Geist war, fiel sie durch sie hindurch, dem Boden entgegen. Und in diesem Moment drängte sich ein schrecklicher Gedanke zu ihrem Selbst durch. Die Letzte Waffe war zwar nicht abgeworfen... aber bereits aktiviert! Noch bevor sie den Boden berührte, erkannte sie, was Varie wirklich damit gemeint hatte, als sie „Komm zu mir" sagte.
Sie fühlte nicht einmal Schmerzen, als die Letzte Waffe explodierte. Aber in ihrem letzten Moment war es ihr, als würde sie unzählige Geister sehen, die neben ihrer Schwester standen und sie anlächelten. Goau, Varies Mann war dabei, Folken mit seinen beiden Dienerinnen vom Katzenvolk, ihre und Varies Eltern, Wargas, der Schwertmeister, der Zaibacher Dornkirk und viele andere, die sie noch nie gesehen hatte. Und als sich ihr Körper auflöste, verstand Juseela endlich... und gesellte sich zu ihnen.
In der nächsten Folge...
Van fällt aus großer Höhe und seine Mutter Varie erscheint Hitomi... sie fragt das Mädchen, ob es bereit ist, für Van zu sterben... Dryden und Millerna bieten den Zaibachern den Frieden an... in Farnelia feiert das Volk die siegreichen Heimkehrer... Prinz Chid möchte mehr über den Krieg erfahren, aber Merle und Llorin, Dryden und Millerna und Allen und Serena sind zu sehr miteinander beschäftigt (und dass mir jetzt keiner hentai denkt!)... auch das letzte Paar hat keine Zeit für ihn, denn Hitomi kündigt an, Gaia zu verlassen...
Titel: Die Irrwege der Liebe
