### Weiter mit Kapitel 6 und viel Spaß beim Lesen!
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Hauch des Lebens
von: ManuKu und Salara
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~TEIL 6~
Die bedrohlich wirkende Enge des Flures beunruhigte Aragorn. Er war die weiten Räume und Hallen der Elben gewohnt und nicht diese in sich zusammenfallende Enge, die ihn kampfbereiter werden ließ, als es sonst der Fall gewesen wäre. Er wies Miro an, die Tür zu schließen, und ging auf die Tür am anderen Ende des kurzen Flurs zu. Vorsichtig öffnete er sie und stieß sie dann kraftvoll auf, so dass sie gegen die Wand schlug. Falls sich dahinter ein Angreifer befunden hätte, wüsste er es jetzt. Doch es erklang kein Schmerzenslaut. Wachsam schaute Aragorn in den Raum hinein.
Auf einem winzigen Tischchen aus grob zusammengezimmerten Brettern stand eine flackernde Kerze und verteilte ihr zaghaftes Licht nur unzureichend in der näheren und zudem unangenehm muffig riechenden Umgebung. Aragorn begann sich umzusehen. Der Großteil des Raums, in dem er und Miro nun standen, war bestenfalls schemenhaft erkennbar. Die beiden Seitenwände waren uneben, rau verputzt und wurden in regelmäßigen Abständen von alt aussehenden hölzernen Tragebalken durchzogen, die reliefartig aus dem Mauerwerk herausragten. In seinem Rücken wusste Aragorn die Eingangstür, vor der sicher Ilgats Wachhunde auf ihn warteten. Seine Augen glitten zum anderen Ende des winzigen Raumes. Dort versperrte ein schwarzer Vorhang ihm die weitere Sicht. Das ungute Gefühl, das er bereits bei seinem Eintritt verspürt hatte, wurde immer intensiver und ließ ihn nun vorsichtig nach seinen Waffen tasten.
'Wenn jemals etwas nach einer Falle ausgesehen hat, dann das hier.'
Grimmig hob Aragorn den Blick. Die Zimmerdecke, an der das Flackern des Kerzenscheins ein unruhiges Muster wob, hing gerade tief genug, dass er sie mit einem lang ausgestreckten Arm berühren konnte, und die Seitenwände ließen ihm auch keinen großen Bewegungsspielraum.
'Es ist kein guter Platz zum Kämpfen, sollte es diesem Kerl einfallen, hier seine Wachhunde auf mich zu hetzen...' dachte Aragorn und sah sich nach Miro um. Dieser stand eine halbe Armeslänge hinter ihm und es war nicht schwer zu erkennen, dass er es längst bedauerte, nicht geflohen zu sein, als er es noch gekonnt hatte.
Aragorn wandte sich missmutig ab. Er war sich plötzlich nicht mehr so sicher, ob es eine gute Idee gewesen war, Miro zum Mitkommen zu zwingen. Was, wenn der Dieb ihm im unpassendsten Augenblick in den Rücken fiel? Allein und auf sich gestellt hätte Aragorn sicher eine bessere Chance, als mit einem Gefährten, den er kaum kannte und dem er daher nicht vertrauen konnte. Er kam nicht dazu, weitere Überlegungen anzustellen, denn unvermittelt wurde der schwarze Vorhang an der gegenüberliegenden Seite des Raumes zur Seite gehoben und die untersetzte Gestalt eines Mannes schälte sich aus der Dämmerung.
„Worauf wartet Ihr? Kommt!" Ungeduldig winkte der Mann ihnen zu. Nach einem letzten flüchtigen Blick zu Miro, setzte Aragorn sich in Bewegung und ging in – wie er hoffte – lässig wirkendem Tempo an dem Mann vorbei ins Innere.
Der Mann – Ilgat, wie Aragorn annahm – wartete nicht, bis Miro zu ihm aufgeschlossen hatte, sondern schob sich mit einer erstaunlichen Behändigkeit an Aragorn vorbei und wieselte diesem voran in einen zwar schmalen, aber weitaus besser beleuchteten Gang hinein. Links und rechts gingen jeweils zwei Türen ab. Er steuerte auf die auf der rechten Gangseite nächstliegende zu und schob sie mit der beflissenen Eilfertigkeit eines guten Händlers vor seinem „Kunden" auf. „Hier herein, wenn's recht ist."
Aragorn, der stehen geblieben war, legte seine Hand wie beiläufig kurz auf den Griff seines Schwertes – eine Geste, die dem Untersetzten nicht verborgen blieb, wie ein hastig dorthin huschender Blick verriet –, dann schob er sich seitlich an Ilgat vorbei in das Zimmer hinein. Am Klang der zögernd gesetzten Schritte erriet er, dass Miro ihm folgte, doch er drehte sich nicht zu ihm um. Er durfte nun unter keinen Umständen Ilgat gegenüber den Anschein von Unsicherheit erwecken, und bemühte sich, einen möglichst gleichmütigen Eindruck zu machen. Diesen Anschein beizubehalten fiel ihm jedoch sehr schwer, als er gleich darauf hörte, wie die Tür wieder geschlossen wurde und gleich darauf das leise Geräusch eines einschnappenden Riegels zu vernehmen war.
'Warum schließt er uns ein?'
Alles in Aragorn verlangte danach, sich umzudrehen und Ilgat zur Rede zu stellen, doch sein Instinkt riet ihm, kein Zeichen jener Nervosität zu zeigen, die seine Hand ein weiteres Mal zum Schwertgriff führen wollte. Stattdessen blieb er stehen und überflog die Einrichtung des von einigen Kerzen und dem Lichts des ersterbenden Nachmittags halbwegs vernünftig beleuchteten Raumes.
Es schien sich um den „Geschäftsraum" zu handeln, denn zwei der vier Wände waren mit Regalen bedeckt, in denen eine Vielzahl von in Kisten, Säcken und Lederbündeln verpackten Dingen zu lagern schienen. Aragorn hatte keine Ahnung, was sich alles dort verbergen mochte, denn die Gestelle zu seiner Linken wurden fast vollständig von einem dicken, dunklen Vorhang – ähnlich dem im Seiteneingang – verborgen und die andere Wand verfügte über einen ähnlichen, dort jedoch zurückgezogenen Sichtschutz. Gewisse charakteristische Formen der ihm sichtbaren Bündel erlaubten es ihm anzunehmen, dass sich in ihrem Inneren auch Schwerter verbargen.
An der ihm gegenüberliegenden Seite schließlich standen unter einem kleinen, mit Milchglas ausgefüllten Fenster ein zierlicher, geschnitzter Tisch und zwei in ihrer Wuchtigkeit nicht dazu passende, über und über mit verschwenderischen Schnitzereien bedeckte Stühle. Ilgat steuerte nun auf einen davon zu, doch von der Beflissenheit, die eben noch in seinen Gesten gelegen hatte, war keine Spur mehr zu erkennen. Vielmehr ließ er sich mit der Sicherheit eines Mannes darin nieder, der wusste dass er sich auf eigenem und vor allem sicheren Territorium befand. Es war hell genug im Raum, dass Aragorn das abschätzende Lauern auf dem teigig wirkenden Antlitz Ilgats erkennen konnte.
'Er mag ja nicht der Mächtigste in dieser Stadt sein, aber er ist mit Gewissheit einer der Verschlagensten,' dachte Aragorn und spürte überrascht, wie aus seiner Nervosität und Furcht Entschlossenheit wurde. 'Was auch immer er vorhat – er wird mich nicht unvorbereitet antreffen.'
Einige Augenblicke lang schwiegen die beiden Männer.
„Man sagte mir, Ihr wollt etwas mit mir besprechen?" Ilgat deutete auf den anderen freien Stuhl. „Es redet sich besser im Sitzen, findet Ihr nicht auch?"
Er würdigte Miro, der reglos an der verschlossenen Tür stehen geblieben war und beinahe einer Statue glich, keines Blickes, sondern musterte Aragorns Kleidung und die Waffen, die unverkennbar Zeugnis darüber ablegten, dass ihr Besitzer über genügend Mittel zu verfügen schien, um ihn zu einem interessanten Geschäftspartner zu machen. Aragorn war sich der Musterung durchaus bewusst, ließ sich jedoch nichts anmerken und setzte sich. Er lehnte sich leicht zurück, legte die eine Hand auf das Tischchen und die andere wie gedankenverloren an den Waffengürtel. Ilgat hatte seine Gesten beobachtet.
„Man sagte mir, dass Ihr wisst, was Ihr wollt, und wie ich sehe, hat man nicht übertrieben."
'Der Wirt hat aber gründliche Arbeit geleistet,' dachte Aragorn und war insgeheim zufrieden, einen derart gefährlichen Eindruck auf den schmierigen Schenkeneigner gemacht zu haben. Nun musste er nur noch dafür sorgen, dass auch Ilgat diesen Eindruck bekam.
„Wenn Ihr schon so viel wisst, dann wisst Ihr sicher auch, was ich suche und dass ich fest entschlossen bin, es zu finden. Bei Euch oder einem anderen." Bei diesem Worten schob sich Legolas' Bild vor Aragorns inneres Auge. Als er sich die todesähnliche Reglosigkeit, in der er seinen Freund zuletzt gefangen gesehen hatte, wieder in Erinnerung rief, ließ das die Heftigkeit des in ihm schwelenden Zorns wieder anwachsen. Aragorn wusste, dass man nun den Hass und die Wut gut in seinen Zügen erkennen konnte und somit seiner Gefährlichkeit Glaubwürdigkeit verlieh. Er hielt das Bild seines sterbenden Freundes fest, damit die Intensität seines Zorns nicht nur in ihm selbst, sondern auch für den Händler sichtbar zunahm.
Ilgat hatte die Veränderung sehr wohl bemerkt, bemühte sich jedoch, seine Emotionen im Zaum zu halten. „Dann lasst uns ohne Umschweife zur Sache kommen. Was sucht Ihr?"
„Ich suche ein ganz bestimmtes Gift und man sagte mir, Ihr handelt mit dergleichen Dingen."
Nun lehnte sich auch Ilgat zurück. Aragorn sah, wie die Berechnung des Mannes unverkennbarer Vorsicht wich.
„Man sagt viel, doch nicht alles stimmt, was sich das Volk so erzählt..."
„In diesem Fall bin ich von der Wahrheit dieser Behauptung überzeugt – stammt sie doch von jemandem, der auch Euch trefflich über alles zu unterrichten scheint."
„So?" Ilgat wusste, von wem Aragorn sprach, und hob abwehrend eine Hand. „Vielleicht... redet dieser Jemand manchmal einfach zu viel."
„Dieser Gedanke kam mir auch schon." Aragorn lächelte, doch Ilgat lief es eiskalt den Rücken herunter.
„Nun, das ist nicht Euer Problem. Sagt mir, führen Eure Regale..." Aragorn deutete mit einem Kopfnicken auf die Warenlager an den gegenüberliegenden Wänden. „...die Ware, die ich suche, oder muss ich mich nach jemanden umsehen, der besser ausgestattet ist, als Ihr?"
„Bevor ich Euch diese Frage beantworte, beantwortet mir erst die meine. Gesetzt den Fall, ich habe, was Ihr sucht: wie gedenkt Ihr mich zu bezahlen?"
Aragorn ließ sich nicht anmerken, wie tief ihn diese Frage erschütterte. Bei aller Besorgnis um Legolas und der gebotenen Eile hatte er völlig vergessen, sich um eine so wichtige Frage wie die der Bezahlung Gedanken zu machen. 'Wie konnte ich das übersehen?' Verzweifelt zählte er in Gedanken den Wert seiner wenigen Habe zusammen, doch das Ergebnis ließ ihn auch nicht ruhiger werden. Selbst, wenn er alle seine Waffen und sogar sein Pferd samt dem elbischen Sattelzeug verkaufte, würde der Erlös vermutlich nicht genügen, um die Forderung dieses Gauners zu begleichen.
'Und wenn ich gezwungen bin, es zu stehlen. Sollte Ilgat das Gegenmittel haben, werde ich es dir bringen, Legolas, mein Freund...'
Ohne eine Miene zu verziehen suchten seine grauen Augen den aufmerksamen Blick Ilgats.
„Sehe ich aus, als könnte ich Euren Preis nicht bezahlen?"
Ein amüsiertes Lächeln zog die Mundwinkel des Mannes auseinander.
„Sehe ich aus, als würde ich allein dem Wort eines – wenn auch edel gekleideten – dahergelaufenen Fremden Glauben schenken? Ich bin ... Händler, wenn auch einer für besondere Waren, und als solcher will ich erst sehen, dass sich ein Interessent wie Ihr sie sich auch leisten kann."
Aragorn hatte eine solche Antwort befürchtet, verbarg seinen inneren Aufruhr jedoch weiterhin hinter der gelassenen Fassade seines Antlitzes. Was nun? In diesem Augenblick fiel ihm das winzige Holzkästchen wieder ein, das Galadriel ihm vor seiner Abreise überreicht hatte.
„Es wird Euch von Nutzen sein auf Eurer Suche. Doch öffnet es erst, wenn der rechte Zeitpunkt herangerückt ist. Zeigt es nicht leichtfertig her...', hörte er erneut ihre ruhige Stimme.
Aragorn runzelte die Stirn. 'Ist jetzt der rechte Zeitpunkt gekommen? Enthält das Kästchen vielleicht etwas wertvolles, mit dem ich das Gegengift kaufen kann?
Langsam zog er das Kästchen aus dem Lederbeutel, wog es kurz in der Hand und sah dann auf. In Ilgats Blick hatte sich unverkennbar Neugier gemischt. Aragorn konnte sehen, dass dieser es gar nicht abwarten konnte, zu erfahren, was er da in der Hand hielt. Aragorn zögerte einen letzten Augenblick. 'Hoffentlich missdeute ich Eure Worte nicht, Lady.'
Mit unendlicher Behutsamkeit öffnete er das Kästchen. In seinem Inneren lag etwas in weiße Seide gewickelt. Er ließ das kleine Bündel in seine Handfläche fallen, stellte das Kästchen zur Seite und begann dann die Seide zurückzuschlagen. Nicht nur ihm stockte der Atem, als er schließlich auf einen wunderschön geschliffenen, von einer zarten goldenen Fassung gehaltenen, dunkelgrünen Edelstein hinabsah, dem man die elbische Herkunft ansah. Das Licht der Kerzen und die letzten Tageslichtschimmer brachen sich in den Facetten des runden kastaniengroßen Steines und entfachten tief in seinem Inneren ein gewaltiges Feuer, das sogar Aragorns Blicke für einige Momente gefangen hielt. So sah er nicht, dass selbst Miro von seinem Standpunkt aus einen Blick auf das Juwel werfen konnte. Er war genauso fasziniert von dem Anblick wie die beiden Männer. Ohne es zu registrieren, trat er näher an die beiden heran und bemerkte so nicht, dass sich der Vorhang neben ihm ganz leicht bewegte.
'Was habt Ihr mir da überlassen, Lady Galadriel?' Aragorn konnte unterdessen kaum glauben, was er da in seiner Hand sah.
Er hatte sich jedoch schneller wieder in der Gewalt als Ilgat. Etwas sagte ihm, dass es besser war, nicht allzu lange mit einer solchen Kostbarkeit herumzuspielen. Aragorn glaubte deutlich Enttäuschung auf Ilgats Gesicht zu erkennen, als er den Edelstein wieder in die Seide einwickelte und so dessen Blicken entzog.
„Genügt dies, um Eure Ware zu bezahlen?" Aragorn konnte kaum glauben, wie unbeteiligt seine Stimme klang. Er hatte nicht geahnt, dass er sich so sehr unter Kontrolle halten konnte.
„Wie..." Ilgats Stimme war so heiser, dass man glauben konnte, er hätte sie aus Schock über den unerwarteten Anblick verloren. Er setzte erneut zum Sprechen an. „Wie kommt Ihr zu einer solchen Kostbarkeit?" Seine Augen, in denen das ungezügelte Begehren nach dem Stein zu lesen war, wanderten hastig zwischen dem Seidenbündel in Aragorns Hand und dessen distanziertem Blick hin und her.
„Wir sind nicht hier, um über ... meine ... Geschäftsbeziehungen zu reden." Aragorn schloss die Hand um die Seide und entzog sie und ihren Inhalt damit gänzlich Ilgats Blick. Der konzentrierte sich nun voll und ganz auf ihn und es fiel Aragorn nicht schwer, zu erkennen, dass Ilgat alles zu tun bereit war, um das Juwel zu bekommen. „Wollt Ihr Euch den Stein verdienen?"
„Was soll ich Euch besorgen?" Von einem Augenblick ließ Ilgat seine Maske fallen. Nun zeigte er sein wahres Antlitz: das des berechnenden Verbrechers, der bereit war, für die richtige Bezahlung alles zu tun.
„Ich brauche ein Gift. Genauer gesagt, das Gegengift zu einem ganz speziellen Gift." Aragorn konnte seine wachsende Ungeduld nur noch mühsam zügeln.
„Mehr nicht?" Ungläubig beugte sich Ilgat zu Aragorn hinüber. „Mit diesem wahrhaft königlichen Schmuckstück wollt Ihr nichts weiter als ein lumpiges Gegengift bezahlen?"
„Es ist kein normales Gegengift. Das Gift, das es bekämpfen soll, war dazu gedacht, einen Elben zu töten. Es setzt sich aus den Komponenten Ninthla, Athinar und Chayapa zusammen. Ich bin bereit, für ein entsprechendes Gegenmittel mit diesem Edelstein zu bezahlen. Ob Ihr es nun habt oder mir von jemand anderem besorgt ist mir gleich, wenn es nur rasch geht. Also, könnt Ihr mir besorgen, was ich suche?"
„Die Gifte, die Ihr mir nanntet, sind sehr selten." Ilgat runzelte die Stirn. „Ich biete vieles an, doch das..."
Er schüttelte kurz den Kopf. Dann, nach Augenblicken intensiven Nachdenkens, hellte sich sein Gesicht wieder auf. „Aber für diesen Preis werde ich es Euch besorgen. Gebt mir 3 Tage Zeit."
„Drei Tage? Könnt Ihr es nicht schneller beschaffen?"
„Drei Tage sind das Mindeste für eine so rare Sache."
Aragorn konnte nicht sagen, ob Ilgat ihn anlog und ihm gefiel auch der Gedanke nicht, so lange warten zu müssen, doch er wusste, dass ihm keine Wahl blieb. So nickte er schließlich. „Abgemacht. In drei Tagen von heute an liefert Ihr mir das Gegengift. Dafür erhaltet Ihr den Stein als Bezahlung."
„In drei Tagen dann." Ilgat stand auf. „Ihr habt mein Wort."
'Das Wort eines Schurken, der alles macht, solange es nur Geld bringt und der Verrat begeht, wenn es ihm nützt...' Aragorn musste sich sehr beherrschen, um nichts von dem Widerwillen, den er verspürte, zu zeigen. Er erhob sich ebenfalls, verstaute den eingewickelten Stein wieder in dem Kästchen, welches er dann sorgsam in den Lederbeutel zurückschob. „Ich werde hier sein."
„Nein, wartet auf eine Nachricht von mir. Meine Männer werden Euch zu finden wissen." Ilgat ging zur Tür, entriegelte sie und schob sie schließlich vor Aragorn auf. „Verlasst mein Haus durch den Seitenausgang. Er wird nur von wenigen Augen bewacht."
Aragorn bedachte Ilgat mit einem letzten, langen, entschlossenen Blick. „Versucht nicht, mich zu betrügen." Er dachte an Legolas, dessen Schicksal nun nicht mehr nur in den seinen, sondern auch in den Händen eines Gauners lag. „Es wäre mit Gewissheit Euer Tod."
Ilgat schwieg und ließ durch nichts erkennen, ob die Drohung irgendeinen einen Eindruck auf ihn gemacht hatte. Seine Miene blieb unbewegt, als er dem noch immer reglos neben dem Eingang stehenden Miro bedeutete, Aragorn zum Ausgang zu folgen. Er wartete, bis die schwere Tür des Seiteneingangs offen war und seine beiden Besucher wieder in der Gasse standen, dann blieb er hinter ihnen im Türrahmen stehen. „Ob es Euch nun passt oder nicht: Ihr werdet mir schon vertrauen müssen. Doch vergesst nicht, ich bin Händler. Ohne zufriedene Käufer wäre ich schnell aus dem Geschäft."
Die Tür schloss sich wieder.
Miro, der sich erleichtert und misstrauisch zugleich nach allen Seiten umsah, packte Aragorn am Unterarm. „Kommt, verschwinden wir hier. Es ist nicht gut, zu lange hier zu sein oder von den falschen Augen gesehen zu werden."
„Du hast recht." Aragorn, der gezwungen war, Miros Kenntnissen dieser Stadt zu vertrauen, ließ es zu, dass der Dieb ihn aus der Gasse und zum belebteren Hauptweg zurückführte.
***
Als Ilgat das Zimmer verlassen hatte, wurde der dunkle Vorhang auf der linken Seite zurückgeschoben und seine Wächter betraten den Raum.
„Hast du den Klunker gesehen?" Der Große, der im Streit mit Aragorn das Wort geführt hatte, wandte sich zu seinem schräg hinter ihm stehenden Gefährten um. „Der ist sicher ein Vermögen wert."
„Ja, aber eines, von dem wir nichts abbekommen, wenn Ilgat das Geschäft mit diesem Kerl macht." Dassarh, der Kleinere, blieb vor seinem Kameraden stehen, der ihn mit funkelndem Blick anstarrte. „Wir werden wie üblich mit einem Hungerlohn abgespeist."
Dassarh konnte erkennen, wie sich der Ausdruck von Unwillen über das Gesicht des Großen zu legen begann.
„Er sollte uns gehören, nicht diesem Dreckskerl Ilgat," setzte er hinzu und sprach damit aus, was Yulith, sein Gefährte, offenbar zu denken schien.
Die Blicke der beiden trafen sich – und stumme Übereinstimmung lag in ihnen. Es war nicht nötig, noch mit Worten auszudrücken, was beide in diesem Augenblick dachten. Auf einen offenen Kampf mit diesem Fremden konnten sie es zwar nicht ankommen lassen, denn er machte den Eindruck eines Mannes, der seine Waffen gut zu gebrauchen verstand, doch sie konnten ihm eine Falle stellen und ihm zu zweit den Stein dann abnehmen.
Dassarh sah seinen Begleiter forschend an. „Was ist, machst Du mit?"
Der nickte grimmig. „Klar. Dann sind wir nicht mehr auf Ilgats Gnade angewiesen."
Das Geräusch sich schnell nähernder Schritte ließ beide verstummen. Gleich darauf wurde die Tür geöffnet und Ilgat trat in den Raum. Er schien nicht überrascht, seine beiden Wächter zu erblicken.
„Habt ihr alles mitbekommen?"
„Haben wir," bekräftigte Dassarh und warf seinem Kameraden eine raschen Blick zu.
„Dann wisst ihr, was ich jetzt von euch erwarte?" Ilgat schien sich der Antwort bereits sehr sicher zu sein.
„Wir werden ihn im Auge behalten, damit er das Geschäft nicht mit einem anderen macht. Wie üblich. Und wenn er sich doch an einen anderen wenden sollte..."
„...wisst ihr, was ihr zu tun habt," vollendete Ilgat den Satz. „In diesem Fall bringt mir den Stein sofort her. Ich muss ihn besitzen. Unter allen Umständen. Und jetzt geht."
Er winkte den beiden, ihn allein zu lassen. Solchermaßen entlassen, wandten sich die zwei wortlos zum Gehen. Den Blick, den sie dabei wechselten, bemerkte Ilgat nicht mehr, denn seine Gedanken weilten bereits beim Juwel...
***
Galadriel saß reglos neben Legolas und sah auf den Elbenprinzen hinab, der soeben endlich in die schmerzlosen Tiefen des Schlafes hinübergeglitten war. Die Herrin des Goldenen Waldes hatte dessen heftigen Wundschmerz und die rasch nachlassende Konzentration durch die enge Geistesverbindung hindurch deutlich gespürt und es hatte sie zunehmend mehr Kraft gekostet, sich dagegen abzuschirmen. Nur vor sich selbst gab sie zu, dass es sie besorgte, den körperlichen Verfall des Prinzen so unerwartet schnell voranschreiten zu sehen. Die Sorge um sein Wohl hatte schnell den Zweifel wieder laut werden lassen, der sich schon bei ihrer Abreise aus Caras Galadhon gemeldet hatte.
'Ich hoffe, ich habe das Schicksal von Thranduils Sohn in die richtigen Hände gelegt. Was wird, wenn Aragorn die Erwartungen nicht erfüllt, wenn er das Gegenmittel nicht rechtzeitig findet? So viel steht hier auf dem Spiel, doch mehr noch ist verloren, da ich nicht mehr eingreifen kann...'
Sie hatte die letzten Tage meist an Legolas' Seite verbracht, hatte seine Gedanken geteilt, versucht, seine Ängste zu zerstreuen und sich schließlich entgegen der Warnungen des Spiegels dazu entschlossen, seine Qualen etwas zu mildern. Entsetzt hatte sie feststellen müssen, dass es ihr nicht mehr möglich gewesen war. Zunächst hatte sie geglaubt, etwas übersehen zu haben, doch eine zweite Überprüfung hatte genau jene drei Gifte enthüllt, die sie bereits Aragorn genannt hatte. Nichts schien sich verändert zu haben, und doch konnte sie sich nicht erklären, warum der Prinz von Düsterwald unter ihren Händen dahinzuschwinden schien.
Ein letzter Blick glitt über die blassen, erschöpften Züge des Prinzen, dann erhob sich Galadriel. Sie verließ den Prinzen nur ungern, doch es war nun endlich an der Zeit, mit ihrem Schwiegersohn zu reden. Sie hatte die Begegnung mit ihm lange hinausgezögert, denn sie kannte Elrond gut genug um zu wissen, dass er ihr das anfängliche Bekenntnis ihrer Machtlosigkeit nicht geglaubt hatte und früher oder später auf eine Erklärung drängen würde. Diese Erklärung würde jedoch die schwerste in ihrem gesamten, langen Dasein werden. Ihm würde nicht gefallen, was sie zu sagen hatte – gefiel es ihr ja selbst nicht, sich einzugestehen, dass aus jenem Bekenntnis nun überraschend Wahrheit geworden war.
Die Elbin seufzte leise und machte sich auf den Weg zu Elrond.
***
Es war still geworden am Hofe des Königs, seit der junge Prinz verwundet worden war. Aller Gesang war verstummt, die Fröhlichkeit schien aus Düsterwald verschwunden zu sein und selbst normale Unterhaltungen wurden nur noch in gedämpfter Lautstärke geführt. Die Trauer des Vaters schien sich wie ein dichter Nebel auch über die Herzen der Elben gelegt zu haben und es gab kein Gespräch, in dem Legolas' Schicksal nicht beklagt wurde.
Calean, Heiler am Königshof, hatte das schmale Holzkästchen mit den Heiltinkturen unter den Arm geklemmt und bewegte sich gemessenen Schrittes durch die lange Wandelhalle auf den rückwärtigen Garten zu, in den man Prinz Legolas auch an diesem Morgen wieder gebracht hatte. Der Prinz, so wusste Calean, würde dort noch bis zum Abend bleiben, ehe man ihn wieder in seine Gemächer zurücktrug. Auch Galadriel war in Moment nicht an seiner Seite. Calean hatte sie vor kurzem ins Schloss gehen sehen. Das hieß, dass Legolas allein war. Eine bessere Gelegenheit bot sich ihm heute wahrscheinlich nicht mehr, um das zu tun, was seiner Ansicht nach notwendig war.
Die Wachen, die beiderseits des Zugangs postiert waren, kannten Calean und ließen ihn den Garten ungehindert betreten.
Der Pavillon, unter dessen Baldachin Legolas gebettet war, stand in der Nähe eines uralten, großen Baumes und die im Wind tanzenden Zweige strichen sanft und gleichsam tröstend immer wieder über das Dach hinweg, das in seiner Mitte eine Öffnung aufwies, durch die der bewegungslose Prinz das Blau des Himmels betrachten konnte. Calean unterdrückte die letzten Reste seines fast verkümmerten Schuldbewusstseins, die seine Schritte hemmen wollten. So selbstverständlich wie an allen vorangegangenen Tagen näherte er sich Legolas auch diesmal. Die Reglosigkeit des Elben dauerte ihn zwar, doch sie brachte sein Vorhaben nicht mehr ins Wanken.
'Ihr werdet es nie erfahren, mein Prinz, und es ändert nichts mehr an den Dingen, die kommen werden, aber ich bedauere beinahe, was mit Euch geschieht. Es war im Grunde nicht Euch als Schicksal zugedacht, doch in Euren Adern fließt das gleiche Blut. Ihr seid wie Euer Vater, und auch Ihr werdet später anderen den Tod bringen. Das kann ich nicht zulassen.'
Vorsichtig stellte Calean seine Tinkturen ab, dann beugte er sich zu Legolas hinab und beobachtete ihn genau. Er wusste, worauf er achten musste. Legolas' Atemzüge kamen in langen gleichmäßigen Intervallen, die dem Heiler zeigten, dass Legolas tief schlief. Er würde gar nicht merken, dass jemand an seinem Lager weilte.
Calean öffnete das mitgebrachte Kästchen und zog eine Phiole daraus hervor, deren Inhalt granatrot im Licht schimmerte.
'Die Farbe des Blutes. Niemandem wird auffallen, dass es nicht allein Blut ist, das Euren Verband tränkt und die Heilung der Wunde hinauszögert.'
Mit geschickten Handgriffen schob Calean die Tunika zur Seite, die Legolas' verletzte Schulter bedeckte. Dann entfernte er den alten Schulterverband. Die Wunde, die der Pfeil geschlagen hatte, war nicht groß, doch das wütende Rot einer in der Schulter tobenden Entzündung hatte einen großen, hässlichen Hof um die noch immer nachblutende Eintrittsstelle gezogen.
Vorsichtig öffnete Calean die Phiole und ließ rasch etwas von der Flüssigkeit auf die Wunde tropfen. Fast spurlos verteilte sich ihr Rot auf der entzündeten Oberfläche.
Zum Schluss erneuerte Calean den Schulterverband, dann schob er die Tunika an ihren Platz zurück und richtete sich auf. Er hatte lange genug hier verweilt. Es wurde Zeit zu gehen. Galadriel würde bald an Legolas' Lager zurückkehren.
'Dies war nun die vierte Dosis seit Eurer Verwundung. Noch zwei, Prinz Legolas, dann habt Ihr es überstanden und könnt Eure Reise in die Hallen von Mandos antreten. Und ich...' Ein bitterer Zug legte sich über sein Antlitz. '...werde dafür sorgen, dass Ihr dort nicht lange allein bleiben werdet. Euer Vater wird Euch schon bald Gesellschaft leisten. Ich werde vollenden, wo Damodin versagt hat.'
***
wird fortgesetzt
Lady-of-Gondor: Du hast absolute recht – Legolas weilt
immer in Aragorns Gedanken. So ist das nun mal bei guten Freunden!
Stoffpferd: Ja, ja, auch in Mittelerde verfallen Menschen dem Alkohol und wenn
man nicht aufpasst... Nun ja, Mittelerde ist nun mal gefährlich!
Kaeera: Schön, dass Miro dir gefällt. So ganz allein
konnten wir Aragorn natürlich nicht in der gefährlichen Stadt der Menschen
herumstolpern lassen. Und da Legolas sich entschieden hatte, ein etwas längeres
Nickerchen zu halten, musste schnell mal jemand anderes her... Nein, nein,
keine Angst, Miro kann Legolas keine Konkurrenz machen!!!
Queen-of-Gondor: Diese Story wird so um die 14 oder
15 Kapitel haben. Wir sind noch nicht so ganz beim Ende und manchmal hat die
Story ihren eigenen Willen und nimmt plötzlich eine Wende. Jeder, der schreibt,
weiß, dass man als Autor manchmal seinen freien Willen verliert und sich den
Charakteren ausliefern muss... Als ob wir das bei Legolas und Aragorn nicht
gerne tun würde! *g*
Jelly: Hey, würden wir die beiden nicht vorher
halbwegs abkrepeln lassen, dann hättest du doch nur
halb so viel Spaß, oder?
Black Pearl: Du hast uns falsch verstanden - in der nächsten Story, nicht im
nächsten Kapitel, wird Legolas wieder einen sehr aktiven Part übernehmen. Also
Geduld, geliebter Leser!!!
Atlantis: Wie kann man Legolas vergessen? Würden wir nie wagen! Ohne ihn wäre
Aragorn doch nur die Hälfte eines perfekten Ganzen! *g*
Asahi: Ja, du hast recht, Miro spielt noch eine
Rolle, aber da lass dich einfach mal überraschen!
Stareyes: Danke für die Review.
Beim nächsten Surfgang im Internet werden wir mal bei dir vorbeischauen!
Feanil: Wir sind auch ganz begeistert von den vielen
unzähligen Reviews, die wir bekommen haben. Alle, die
sich die paar Minuten Zeit nehmen und eine Review
schreiben, wissen vielleicht gar nicht, wie viel es jedem Autor bedeutet,
dieses Feedback zu bekommen. Es muss ja nicht gleich eine seitenfüllende Review werden. Jede kleine Zeile als Reaktion zeigt uns,
dass unsere von Tolkien inspirierte Phantasie tatsächlich fesseln kann...
Linthal: Dir war das Kapitel zu kurz? Schon mal was
davon gehört, dass man mit kleineren Bissen die Mahlzeit viel besser genießen
kann, als wenn man alles auf einmal herunter schlingt? *grins*
Kadda: An etwas mehr Aragorn hast du also nichts
auszusetzen? Dann werden dir die nächsten Kapitel gefallen. Seit Part ist
entsprechend der Handlung etwas größer, als der von Legolas! Also viel Spaß mit
unserem Lieblingsranger!
Nili: Ach, Nili, sind wir
wirklich so schlimm? Lassen wir unsere beiden Helden wirklich so oft von einer
in die andere Falle oder Gefahr laufen? *Autorinnen sehen sich das bisher
Geschriebene an* Okay, du könntest recht haben! Aber hey,
du hast gut reden. Bei uns stürzen sie wenigstens nicht von Bäumen!
Feyween: Legolas Einschränkung hält ihn momentan zwar
davon ab, körperlich aktiv zu werden, aber er darf seinen Gefühlen freien Lauf
lassen... Na, warte einfach auf die nächsten Kapitel!
### Ein dickes
Danke an alle Reviewer und an die stillen Leser, die
immer noch dabei sind!
