### Wir haben es geschafft!!! Hier kommt nun das letzte Kapitel dieser Story! Es ist wie versprochen fast doppelt so lang wie üblich, doch irgendwie wäre es unpassend gewesen, hier noch eine Unterbrechung einzubauen. Glück für euch! *g*

### Die nächste Story „Schuld und Sühne" wird wahrscheinlich ab Mitte Mai auf FF.net erscheinen. Vielleicht schaut ihr einfach Samstags mal vorbei – so aus lauter Gewohnheit! *G*

### Jetzt geht's also dem Ende entgegen. Viel Spaß und nochmals ein dickes Danke an all unsere treuen Leser dort draußen! [ManuKu und Salara]

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Hauch des Lebens

von:
ManuKu und Salara

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~TEIL 15~

Viele Stunden waren seit dem Verabreichen des Gegenmittels bereits vergangen, doch Thranduil, der am Fenster von Legolas' Zimmer stand und von dort unverwandt in den Sternenhimmel hinaussah, hatte jede einzelne davon beinahe körperlich an sich vorbeiziehen gespürt. Lady Galadriel hatte ihm versichert, dass es seinem Sohn schon besser ging, ehe sie sich schließlich erschöpft zur Ruhe begeben hatte.

Der Elbenkönig glaubte ihr, auch wenn bisher nichts auf eine Besserung des Zustands hindeutete. Thranduil hatte sich an den Gedanken geklammert, dass er nur genug Geduld aufbringen musste, um seinen Sohn endlich erwachen zu sehen und hielt sich seither daran fest.

Und so fühlte er sich plötzlich wesentlich freier und ungezwungener als noch vor ein paar Tagen. Er war so im Anblick der schnell im ersten Tageslicht verblassenden Sterne gefangen, dass er Legolas' Erwachen schließlich gar nicht bemerkte.

***

Legolas fühlte sich so erholt und ausgeruht wie schon lange nicht mehr, als er übergangslos erwachte. Sein Blick hing, wie immer in der letzten Zeit, an der mit kunstvollen Mustern verzierten Zimmerdecke und er beobachtete, wie erste Sonnenstrahlen langsam über sie hinweg krochen. Durch irgendeines der Fenster wehte ein leichter Wind über ihn hinweg und brachte den Duft von Herbstblüten, taubenetzter Erde und Kräutern mit sich. Legolas schloss einen Moment lang unbewusst die Augen, atmete tief durch und genoss es, wie die frische Luft sanft sein Gesicht streichelte.

Er sah so nicht, wie ein kleines Blatt durchs Fenster in sein Zimmer gewirbelt wurde und endlich auf seinem Handrücken zu liegen kam. Als er spürte, wie ihn etwas an der Hand kitzelte, schüttelte er das Blatt mit einer unbewussten Drehung seines Handgelenks ab.

Es dauerte ein paar Sekunden, bis er begriff, was da eben geschehen war.

Habe ich wirklich meine Hand bewegt?

Legolas, der sich vergewissern wollte, dass er keiner Einbildung erlegen war, nahm allen Mut zusammen und drehte leicht seinen Kopf. Mitten in der Bewegung erstarrte er, dann begann ein Lächeln seine Lippen zu umspielen. Es war keine Einbildung! Das Gegenmittel begann zu wirken.

Er wandte seinen Kopf zur anderen Seite und sah seinen Vater am Fenster stehen.

„Vater?" flüsterte Legolas leise, doch sein Vater schien so in Gedanken vertieft zu sein, dass sein elbisches Gehör ihn im Stich ließ.

„Vater!" rief er daher etwas lauter und richtete sich halb auf.

Thranduil zuckte zusammen, wirbelte herum und sah in die Augen seines Sohnes, der sich auf die Ellenbogen gestützt hatte und ihn unverwandt ansah.

„Legolas!"

Die Anspannung vieler Tage fiel in einem einzigen Moment von dem Elben ab. Mit einem Schritt war er an Legolas' Seite und fiel neben dem Bett auf die Knie. Die Umarmung, in die er seinen Sohn gleich darauf hineinzog, war ausdrucksstärker als alle Worte und es dauerte einige Augenblicke, bis Thranduil bereit war, Legolas wieder freizugeben.

„Endlich bist du erwacht. Und du kannst dich wieder bewegen." Die Blicke des Vaters glitten rasch und unverkennbar erleichtert über die Gestalt seines Sohnes. „Hast du Schmerzen? Brauchst du einen Heiler? Soll ich jemanden rufen?" Thranduils Frageschwall ließ erkennen, wie sehr Freude und Besorgnis beim König Hand in Hand gingen.

„Nein, Vater, es geht mir gut. Ich brauche nichts," antwortete Legolas leise und musterte seinen Vater liebevoll. Der König Düsterwalds war in den letzten Wochen sichtlich gealtert und er fühlte sich irgendwie dafür verantwortlich.

„Es tut mir leid, Vater," sagte er, ließ sich erschöpft wieder auf sein Lager zurücksinken und sah Thranduil dann an.

Dieser schob seinem Sohn ein paar Kissen in den Rücken, damit Legolas etwas aufrechter liegen konnte, dann drückte er ihm einen Becher mit Kräutertee in die Hand. „Es gibt nichts, was dir leid tun müsste."

„Doch." Legolas nippte von dem Getränk, dann schob er es von sich. „Ich habe zu früh aufgegeben. Ich hätte stärker kämpfen müssen. Ich schäme mich dafür, dass der Tod nach einer gewissen Zeit etwas Tröstliches für mich hatte, auch wenn ich mir zuerst nicht vorstellen konnte, wie es sich anfühlen würde, zu sterben..." Legolas stockte, dann suchte er den Blick seines Vaters. „Ich habe es dir, Lady Galadriel und Lord Elrond so schwer gemacht. Ihr habt gekämpft, als ich nur noch loslassen wollte..."

„Shhh, mein Sohn, sprich nicht von Dingen, die schon längst vergangen sind. Du bist wieder bei uns... bei mir... Das ist alles, was zählt!" Thranduil strich seinem Sohn sanft durch das Haar und nahm sich insgeheim vor, dies auch in Zukunft zu tun, wann immer er das Bedürfnis danach verspürte.

Legolas indes genoss die liebevolle Geste seines Vaters mehr, als er es in den zurückliegenden Tagen für möglich gehalten hatte. Er spürte, wie sich ein Kloß in seiner Kehle bildete, und wusste, dass man das seiner Stimme anmerken würde, doch zum ersten Mal machte ihm der Gedanke daran nichts aus. Er nahm die Hand seines Vaters und hielt sie fest. „Ich habe es dir in den letzten Jahrhunderten nicht oft gesagt, Vater, aber ich liebe und verehre dich sehr!"

Thranduil wich dem Blick seines Sohnes nicht aus. „Es bedarf dieser Worte nicht, Legolas. Du hast es mir gezeigt, als du den Pfeil Damodins für mich abgefangen hast..." Thranduils Stimme zitterte leicht. „Welchen Liebesbeweis braucht ein Vater noch?"

Sie schwiegen nun beide. Es war eine heilende Stille, die sie mit all jenen Worten umhüllte, die beide Elben tief in ihrem Inneren spürten und doch nicht auszusprechen brauchten.

Minuten vergingen und Legolas fühlte, wie die Erschöpfung ihren Preis zu fordern begann. Kurz bevor er wieder einschlief, ließ ihn jedoch ein Gedanke noch einmal hochschrecken.

„Sag mir, was ist mit Aragorn? Wie geht es ihm?" Besorgt sah er seinen Vater an.

„Lord Elrond hat seine Verletzungen inzwischen versorgt." Thranduil wirkte ernsthaft bekümmert, als er sah, dass seine Antwort Legolas nicht zufrieden stellte. „Ich weiß nicht, wie es um ihn stand, denn ich war in Sorge um dich und habe an deinem Bett gewacht, aber er ist jung und stark und Lord Elrond ist ein Meister der Heilkunst. Du kannst also ganz unbesorgt sein und dich ausruhen."

Legolas war alles andere als beruhigt. Eindringlich sah er seinen Vater an. „Bitte sieh nach ihm. Mir geht es gut, doch ich würde ruhiger werden, wenn ich weiß, dass es auch Aragorn gut geht. Also geh bitte und bring mir Nachricht über seinen Zustand!"

Thranduil war von der Sorge seines Sohnes um den jungen Menschen seltsam berührt. Es widerstrebte ihm ernsthaft, seinetwegen Legolas' Krankenbett zu verlassen, doch er fügte sich der Bitte schließlich.

„Gut, aber nur, wenn dich ausruhst und wieder einschläfst," sagte er leise und stand auf. „Ich werde sehen, was ich erfahren kann!" Er strich seinem Sohn beruhigend über die Stirn, bis dieser wieder eingeschlafen war, dann verließ er schweren Herzens das Zimmer.

***

Aragorn hatte später Mühe, sich zumindest verschwommen an die Ereignisse zu erinnern, die diesen Abend beschlossen.

Er hatte trotz der eindringlichen Bitten seines Ziehvaters lange darauf beharrt, in Legolas' Zimmer zu bleiben, bis eine Besserung in dessen Zustand eintrat. Seine Verletzungen und die Erschöpfung der durchwachten Nacht forderten allerdings nun, da seine Mission erfüllt war, schließlich auch von ihm ihren Preis. Ohne, dass er es verhindern konnte, begann ihn bald die Müdigkeit zu überwältigen. Seine Beine wollten ihn kaum noch tragen und die Augenlider waren von Moment zu Moment schwerer offen zu halten gewesen. Schließlich hatte er Elrond gebeten, ihn zu einem Sessel zu führen.

Der Elbenfürst, der gespürt hatte, dass er mit vernünftigen Argumenten bei seinem jüngsten Sohn an diesem Abend nicht weiterkommen würde, war reglos neben Aragorn stehengeblieben. „Nun gut, wenn du es denn so willst. Heute Abend führe ich dich also. Aber wer, glaubst du, wird das in Zukunft tun, wenn dein Augenlicht unrettbar verloren ist?"

Aragorn hatte sich einige Augenblicke über die harschen Worte seines Vaters geärgert, erst dann war ihm klar geworden, was Elrond ihm auf diese Art hatte mitteilen wollen.

„Du meinst..." Er hatte wie betäubt dem Klang seiner eigenen Stimme nachgelauscht. „Du meinst, du kannst noch etwas tun?"

„Das habe ich dir in den vergangenen Minuten ja immer wieder mitzuteilen versucht. Allerdings kann ich es nur, wenn du jetzt mit mir kommst. Und ich meine SOFORT!"

Die Hoffnung, sein Sehvermögen wiederzuerhalten, hatte bei Aragorn dann letztendlich für Einsicht gesorgt und er folgte seinem Vater.

Aragorn hatte Miro in ein separates Zimmer bringen lassen wollen, doch der Junge weigerte sich beharrlich, in dieser fremden Umgebung allein zu bleiben. Zu müde, um mit Mirodas zu diskutieren, war Aragorn schließlich einverstanden gewesen, dass der ehemalige Dieb ihn und Elrond begleitete. Es hatte ihm ein schnelles, aber nicht so verstohlenes Lächeln entlockt, als er sich angesichts dieser neuen Entwicklung die skeptischen Blicke seines Vaters vorstellte, der die zwei ohne jeden Kommentar in ein Zimmer geführt hatte. Irgendwann, nachdem Elrond seine Augen und die anderen Verletzungen behandelt hatte, war Aragorn schließlich in einen tiefen traumlosen Schlaf gefallen.

Wie lange er geschlafen hatte, wusste der junge Mann nicht, doch bei seinem Erwachen war es heller im Zimmer.

'Es muss früh am Morgen sein, dem Licht nach zu urteilen...' Erstaunt sah er sich um, doch sein Sehvermögen ließ ihn noch immer nicht mehr als Schemen erkennen, die jedoch schon schärfere Konturen aufwiesen, als noch bei seiner Ankunft. 'Habe ich wirklich nur ein paar Stunden geschlafen?'

Aragorn erinnerte sich plötzlich daran, dass sein Vater ihm einen stärkenden Tee zu trinken gegeben hatte. So, wie er Elrond kannte, war im Tee wahrscheinlich auch ein leichtes Schlafmittel gewesen. Nicht, dass er das in seinem Zustand noch gebraucht hatte, doch seine Sorge um Legolas hätte den Schlaf vermutlich sehr kurz werden lassen – und Elrond hatte das gewusst...

'Ich habe also vermutlich die ganze Nacht und einen vollen Tag lang geschlafen. Demzufolge dürfte das jetzt nicht der Morgen, sondern bereits wieder die erste Abenddämmerung sein.'

Aragorn wandte seinen Blick zum Fenster und sah zu seiner Überraschung dort jemanden stehen. Er versuchte seinen Blick zu klären, doch die unscharfen Flecken wollten sich einfach nicht auflösen. Er blinzelte und glaubte zu erkennen, dass die Gestalt am Fenster lange, silberfarbene Haare hatte.

„Legolas?"

Erfreut richtete Aragorn sich auf, als die Gestalt sich vom Fenster abwandte und auf ihn zu kam.

„Es tut mir leid, aber mein Sohn kann Euch nicht besuchen." Thranduil blieb stehen und sah, wie Schock und Schmerz über das Gesicht des Menschen zogen.

„Ist er..." flüsterte Aragorn, hielt unwillkürlich den Atem an und wagte es nicht, die Frage zu Ende zu stellen.

Als Thranduil erkannte, welche Befürchtungen der junge Mann vor ihm hatte, hob er beschwichtigend die Hände. „Nein, nein, habt keine Sorge. Legolas kann Euch nicht besuchen, weil er selbst erst vor einiger Zeit aufgewacht ist. Er ist noch schwach, doch es geht ihm wieder besser. Nicht zuletzt dank Euch!"

„Ilúvatar sei Dank. Ich fürchtete schon, zu spät gekommen zu sein!" Aragorn atmete erleichtert aus und ließ sich zurück aufs Kissen fallen.

Thranduil schwieg, musterte den Menschen und war plötzlich auf eine seltsam unangenehme Art von Estels Verhalten berührt.

Wie konnte es sein, dass ausgerechnet ein Mensch so viel für einen Elben wagte? Menschen waren in Düsterwald noch nie gern gesehene Gäste gewesen. Und doch – ausgerechnet ein Mensch hatte es geschafft, das Herz seines Sohnes zu erreichen. Thranduil fand selten gute Worte für die Menschen, wenn er über sie sprach. Doch sein Sohn hatte sich offenkundig eine eigene Meinung gebildet und in Estel einen ungewöhnlichen Freund gefunden.

Der Elbenkönig war bisher gegen diese emotionale Bindung gewesen und hatte bis zu Damodins Angriff überlegt, seinem Sohn den Kontakt nach Bruchtal und damit zu Estel zu verbieten. Die Ereignisse ließen ihm nun jedoch kaum eine andere Wahl, als sich der Entscheidung seines Sohnes zu beugen und Elronds menschlichen Ziehsohn zumindest als Gast zu akzeptieren. An diesem Punkt seiner Überlegungen angekommen, begriff der Elbenkönig schließlich, dass zu vieles sich verändert hatte. Weder er noch Legolas konnten in alten Bahnen bleiben. Von nun an würde für sie beide einiges anders werden, und dazu gehörte auch, dass er akzeptierte, dass er absolut kein Recht hatte, sich in das Leben seines Sohnes einzumischen.

'Wären alle Menschen, denen ich in meinem langen Leben begegnete, so wie Estel gewesen, hätte meine Einstellung zu Menschen sicher anders ausgesehen. Doch die Menschen, mit denen die Valar mich zusammenführten, waren verlogen und hinterhältig. Viele Jahrhunderte gelebter Erfahrung hatten mir immer wieder gezeigt, dass man Menschen nicht trauen darf. Und nun das!'

Er seufzte unhörbar, als er vor Aragorn stand, dessen noch immer müde Züge studierte und nach den richtigen Worten suchte, ihm seine Dankbarkeit auszudrücken.

'Vielleicht ist es auch für mich an der Zeit, zumindest einem von ihnen zu vertrauen...'

„Estel, ich bin gekommen, um Euch zu danken. Das gesamte Reich Düsterwalds steht tief in Eurer Schuld," sagte Thranduil und verbeugte sich leicht vor Aragorn.

Aragorn sah die Gestalt Thranduils immer noch verschwommen und konnte daher dessen Mimik nicht erkennen. Doch der bewegte Tonfall des Königs sagte ihm, dass das Schicksal seines Sohnes Thranduil nicht nur tief getroffen, sondern offenkundig auch verändert hatte. Während er sich im Stillen fragte, was in den letzten Tagen vor seiner Ankunft in Düsterwald geschehen sein mochte, legte er sich sorgfältig eine Antwort zurecht.

„Euer Sohn ist mein Freund, Thranduil von Düsterwald. Nichts auf dieser Welt hätte mich davon abgehalten, alles in meiner Macht stehende zu tun, ihm zu helfen. Heute bin ich froh, dass meine Kraft dazu tatsächlich ausgereicht hat."

„Ihr tragt mehr Stärke in Euch, als Ihr ahnt." Thranduil näherte sich nun Aragorns Bett und ließ sich nach kurzem Zögern schließlich vorsichtig auf dem Rand nieder.

„Jetzt beginne ich zu begreifen, warum mein Sohn Euch so vertraut, wie er es tut. Wißt Ihr, Estel, große Dinge werden durch viele kleine Entscheidungen bestätigt. Legolas' Herz hat das viel früher begriffen als das meine." Er verstummte, streckte unvermittelt eine Hand aus und legte sie dem erstaunten Aragorn auf die Schulter. „Hört auch Ihr immer auf Euer Herz, denn es ist das Herz eines Elben, das in Eurer Brust schlägt."

Aragorn wusste darauf nichts zu erwidern, daher neigte er respektvoll den Kopf vor Thranduil. „Ich danke Euch. Eure Worte bedeuten mir sehr viel..."

Jener Satz brachte unvermittelt eine Saite in Aragorn zum Klingen. Spontan fiel ihm das Versprechen ein, das er Assat statt des Steins als Bezahlung gegeben hatte. Der junge Mann schluckte verlegen. Ob Legolas' Vater auch nach seinem Geständnis noch so hoch von ihm denken würde?

„Majestät, es gibt da noch etwas, das Ihr wissen solltet..."

Schweren Herzens erzählte er Thranduil von dem Handel, den er um Legolas' Willen mit Assat eingegangen war.

„Ich weiß, dass es nicht in meiner Macht lag, so ein Zugeständnis zu machen. Doch ich hatte keine andere Wahl." Bittend sah er zu dem hellen Fleck empor, der Thranduils Antlitz war und verfluchte einmal mehr, noch immer keine Details erkennen zu können. „Assat scheint ein ehrenwerter Mensch zu sein, der bestimmte Grenzen nicht überschreitet. Also gab ich die Zusage. Sollte dies falsch gewesen sein, so werde ich damit leben müssen, ihm gegenüber wortbrüchig zu werden."

Thranduil, der stumm zugehört hatte, behielt sein Schweigen noch einige Momente bei, nachdem Aragorn geendet hatte. Er war nicht glücklich darüber, dass sich von nun an zwielichtige Menschen durch sein Königreich bewegen würden. Doch wenn sie es wagten, sich auch den darin wohnenden Gefahren und Kreaturen zu stellen, dann war das ihre eigene Entscheidung. Sie brauchten nicht auf den Schutz der Wächter der Alten Waldstrasse zu hoffen.

„Nun gut, Ihr werdet Eure Ehre behalten, Estel. Ich übernehme die Zusage und toleriere seine Durchreise durch Düsterwald, auch wenn es mir schwer fällt." Dann stahl sich ein verstehendes Lächeln auf seine Züge. „Doch ich hätte an Eurer Stelle wahrscheinlich nicht anders gehandelt."

Aragorn atmete hörbar auf. Er hatte nicht gewusst, wie Thranduil auf seine Eigenmächtigkeiten reagieren würde und war froh, dass alles eine so gute Wendung zu nehmen schien.

„Wie kann ich nun aber Euch meine Dankbarkeit beweisen?" Thranduils Stimme riß ihn aus den Grübeleien. „Lasst mich irgendetwas für Euch tun."

'...irgendetwas für Euch tun...' hallten die Worte des Königs durch Aragorns Verstand. Im nächsten Augenblick kam ihm eine Idee, als er sich plötzlich an Miro erinnerte.

Aragorn richtete sich auf und spähte angestrengt auf der anderen Seite seines Bettes zu Boden.

Der ehemalige Dieb hatte sich dort in einem Winkel zwischen dem Bett und der Tür ein kleines Lager aus Decken bereitet, in dem er auch jetzt noch tief und fest schlief. Selbst der leise Wortwechsel hatte ihn nicht aufwecken können. Nun, da sie in Sicherheit waren, konnte der Junge seinen sonst üblichen leichten Schlaf unbesorgt tiefer werden lassen.

Elronds Sohn wandte sich dem König wieder zu. „Ich habe tatsächlich eine Bitte!"

„Sie sei Euch jetzt schon erfüllt!" erwiderte Thranduil spontan.

„Nehmt meinen jungen Begleiter Mirodas für eine Weile an Eurem Hof auf. Er ist jung und sein Leben verlief bisher nicht eben einfach."

Aragorn sah nicht, wie Thranduil die Stirn runzelte und über das Bett hinweg einen Seitenblick auf den leise schnarchenden Mirodas warf.

„Er kann sich noch nicht so schnell von seiner Heimat lösen. Er braucht Zeit dazu, auch wenn ihm das selbst nicht bewusst ist. Er kann sehr gut mit Pferden umgehen. Vielleicht könntet ihr ihn ja eine Weile in Eurem Reitstall beschäftigen."

Thranduil schwieg zunächst. Aragorn spürte instinktiv die Vorbehalte, die der König seiner Bitte gegenüber hatte, und beschloss, dem Glück des Jungen noch etwas intensiver nachzuhelfen.

„Ohne Mirodas hätte ich das Gegenmittel nie rechtzeitig nach Düsterwald bringen können..."

Aragorn wusste, dass er alles gesagt hatte, was gesagt werden konnte, und so schwieg er schließlich. Insgeheim verfluchte er jedoch seine fehlende Sehkraft und wünschte sich, jetzt in Thranduils Augen sehen zu können.

Dieser war zwischen seinem Versprechen und seinen Vorbehalten hin und her gerissen. Er hatte zuvor nicht gelogen. Er vertraute Estel wirklich, doch gleichzeitig klangen ihm nun wieder Caleans Worte in den Ohren. 'Ich wünschte mir, als Mensch geboren worden zu sein!'

Thranduil hatte sich während des Wartens auf Legolas' Erwachen wieder und wieder mit ein und derselben Frage beschäftigt: Was fanden manche Elben so faszinierend an den Menschen?

Etwas musste da sein, das ihm bislang entgangen war, denn aus welchem Grund hätte ein Elbenfürst wie Elrond Estel bei sich aufnehmen sollen? Oder dieser Heiler, der über der fixen Idee, ein Mensch sein zu wollen, offenkundig den Verstand verloren hatte. Warum wollte Calean so sehr ein Mensch sein, dass er sogar bereit war, einen Elben zu töten, um seinen Standpunkt zu unterstreichen? Und nicht zuletzt Legolas... Aus welchem Grund hatte sein Sohn so schnell Freundschaft mit einem Menschen geschlossen? Was war so besonderes an den Menschen? Was war ihm bisher entgangen? Vielleicht war es langsam an der Zeit, genau diesen Fragen nachzugehen.

Thranduil nickte, wenn auch zögernd, dann stand er auf. „Gut, Eure Bitte sei erfüllt. Ich werde den Jungen in mein Haus aufnehmen und beherbergen, solange er es wünscht!"

Aragorn vermochte seinen Ohren kaum zu trauen. Hatte Legolas' Vater eben wirklich zugestimmt, Miro, einen ihm völlig Fremden, noch dazu einen Menschen, bei sich aufzunehmen?

„Ich danke Euch, Majestät." Ohne, dass er es verhindern konnte, breitete sich ein Lächeln auf dem Gesicht des Menschen aus. „Miro ist zwar noch sehr jung, doch Ihr werdet schnell feststellen, dass viel in ihm steckt. Er ist gelehrig und beherrscht sicher auch bald alles, was Ihr für nötig erachtet."

„Nun, zunächst würde ich es für nötig erachten, dass der junge Mann lernt, in einem Bett zu schlafen und nicht auf dem Fußboden, dass er sich um ordentliche Kleidung kümmert und sich regelmäßig wäscht. Das wäre doch ein Anfang, meint Ihr nicht auch?" Thranduil lächelte nun ebenfalls. Er war um Aragorns Bett herumgegangen und vor dem nach wie vor schlafenden Mirodas stehengeblieben war. „Bringt ihm das bei, ehe Ihr mit Eurem Vater nach Bruchtal zurückkehrt. Das ist meine Bitte an Euch."

„Ich gebe Euch mein Wort darauf, dass ich dafür sorgen werde..." Noch ehe Aragorn den Satz vollenden konnte, kam plötzlich Leben in das Deckenbündel am Boden. Einen Augenblick später schob sich ein dunkler Haarschopf zwischen den Deckenschichten hervor.

„Estel, was...?"

„Es ist alles in Ordnung, Miro," beruhigte Aragorn den Jungen, der sich inzwischen aufgesetzt hatte und mit großen, verwirrt blickenden Augen zwischen seinem menschlichen Freund und dem hochgewachsenen, respekteinflößenden Elben hin und her sah.

„Hmmhmm."

Es klang so ungläubig, dass sowohl Aragorn als auch Thranduil leise schmunzelten. Miros Gesichtsausdruck wurde angesichts der ihm unverständlichen Erheiterung sofort noch eine Spur unsicherer.

„Habe ich etwas falsch gemacht?"

„Nein, nein, ganz und gar nicht." Aragorn wurde wieder ernst und wandte sich jenem hellen Fleck zu, der Miros Gesicht sein musste. „Im Gegenteil. Ich habe König Thranduil gerade erzählt, dass ich ohne deine Hilfe nie rechtzeitig zurückgekommen wäre."

„Du übertreibst." Miro schüttelte den Kopf und sah Aragorn an. „Schließlich warst du es, der uns trotz deiner Blindheit hierher geführt hat, nicht ich!"

„Ihr seid blind, Estel?"

Die Bestürzung in Thranduils Stimme war nicht zu überhören. Er hatte zwar den leicht unsicheren Blick des Menschen bemerkt, doch nicht an so fatale Folgen gedacht. Aragorn hob beschwichtigend eine Hand. „Mein Vater sagte mir, er könne mein Augenlicht bewahren. Es besteht also kein Grund zur Besorgnis, mein König."

„Aber Ihr hättet blind bleiben können!"

Es war ein Feststellung, keine Frage. Was Elronds Worte nicht vermocht hatten, bewirkte dieser eine Satz: er enthüllte Aragorn fast schlagartige alle denkbaren Konsequenzen seines Handelns.

'Ihr Valar, er hat recht. Was, wenn Ilgats Männer mich besiegt hätten? Was, wenn Assat nicht so ehrenhaft gehandelt hätte, wie er es tat? Was, wenn ich dennoch zu spät gekommen wäre? Wie leichtsinnig ich doch gewesen war...'

Das Gewicht seiner Gedanken wollte den jungen Menschen fast erdrücken und er wusste, dass der Elbe den emotionalen Aufruhr unschwer an seiner Miene erkennen konnte. Daher drehte er den Kopf so weit zur Seite, bis er Thranduil nicht mehr anzublicken glaubte.

„Möglich, aber wie ich schon sagte: Euer Sohn ist mein Freund. Er war mir wichtiger als alles andere. Ich will übrigens nicht, dass er etwas davon erfährt. Von niemandem! Er würde sich nur unnötig aufregen. Ich werde selbst mit ihm sprechen, wenn alles wieder in Ordnung ist. Bis dahin schweigt zu ihm darüber, ich bitte Euch!"

Thranduil starrte mit fassungslosem Blick auf Aragorn hinunter. Er hatte keine Ahnung, warum dem Menschen die Richtung, den die Unterhaltung genommen hatte, plötzlich unangenehm zu sein schien. Der junge Mann starrte so intensiv zum Fenster hinüber, als wäre das Geschehen dort draußen viel interessanter. Nach einigen Momenten des Schweigens beschloss der Elbenkönig, ihn nicht weiter zu bedrängen. Es hatte sich alles zum Guten gewandt. Das allein zählte – und das würde Aragorn mit der Zeit auch begreifen.

„Ich verstehe Eure Bitte zwar nicht, werde sie aber respektieren."

Er sah, dass Aragorn sich nicht rührte, und beschloss, dass es Zeit zum Gehen war. Sein Blick wanderte zu Mirodas hinab, der die in Sindarin gesprochenen letzten Sätze nicht verstanden hatte und der plötzlichen Stimmungsveränderung ratlos gegenüberstand.

„Estel wird dir sagen, was du wissen musst, junger Mann. Hör auf ihn," sagte er in Westron und wandte sich unvermittelt zum Gehen. 'Selbst mir hat Estel heute etwas beizubringen vermocht,' fügte er in Gedanken hinzu, während seine Schritte ihn zurück zu den Gemächern seines Sohnes trugen.

***

Tage waren seit jener Unterhaltung in Aragorns Zimmer vergangen.

Legolas hatte seither viel von seiner alten Vitalität und Kraft zurückgewonnen und es geduldig über sich ergehen lassen, dass man ihn wie ein rohes Ei behandelte. Er genoss es, sich wieder bewegen, wieder sprechen und selbst essen zu können und badete förmlich in der neu gefundenen Selbstständigkeit. Elrond hatte sich inzwischen auch um die Pfeilwunde in der Schulter gekümmert und dank seiner Bemühungen war nun auch diese Verletzung auf dem besten Wege, vollends zu verheilen.

Dem Elbenprinzen ging es wieder gut, doch auf seine Fragen nach Aragorns Verbleib hatte man ihm eher allgemein geantwortet.

Es ginge seinem Sohn gut, hatte Lord Elrond ihm erklärt, er wäre nur sehr erschöpft und bedürfe der Ruhe. Auch sein Vater und Lady Galadriel hatten ihm ähnlich ausweichende Antworten gegeben und ihm zu Geduld geraten. Es sah Aragorn nicht ähnlich, nicht selbst nach Legolas' Befinden zu schauen, doch niemand wollte ihm Genaueres sagen und so legte sich das Gefühl der Sorge um den Freund auch nicht – trotz der Ablenkung, die man dem Prinzen bot.

Galadriel hatte Legolas nach seinem Erwachen auch weiterhin oft Gesellschaft geleistet und mit ihm hin und wieder, wenn sie ungestört waren, über das Erlebte gesprochen. Legolas hatte die Gelegenheit genutzt, um sich bei der Herrin von Caras Galadhon formvollendet zu bedanken, doch diese hatte auf ihre unnachahmlich geheimnisvolle Weise gelächelt und geantwortet, dass nichts, was nötig sei, Dank bräuchte.

Legolas begriff nicht, was sie damit ausdrücken wollte, doch er fragte auch nicht nach. Ein unbestimmtes Gefühl sagte ihm, dass er das eigentlich gar nicht wissen wollte. Er war ihr einfach nur dafür dankbar, dass sie für ihn da gewesen war, als niemand anderes es mehr vermochte.

Am Nachmittag des dritten Tages hatte Legolas jedoch genug von ausweichenden Antworten, vom Warten und vertröstet werden. Da man ihm bereits wieder kleinere Spaziergänge innerhalb des Palastes gestattete, benutzte er einen unbeobachteten Augenblick dazu, sein Zimmer zu verlassen und sich auf den Weg zu Aragorn zu machen. Von einem zufällig vorbeikommenden Diener erfuhr er, wo man den Freund untergebracht hatte.

'Nur ein Stockwerk und zwei Gänge von hier entfernt. Das schaffe ich,' dachte er und machte sich entschlossen auf den Weg.

***

„Wie oft muss ich das noch über mich ergehen lassen, Vater?" Widerstrebend legte Aragorn den Kopf in den Nacken und richtete den Blick an die Decke, die unterdessen bereits wieder klarere Konturen für ihn angenommen hatte.

Seine unzufriedene Stimme ließ Elronds Gedanken einmal mehr zu seinen Zwillingen wandern. Ihr Verhalten während einer Gesundung ähnelte auf frappierende Weise der Ungeduld seines jüngsten Sohnes.

„Ich wiederhole es gern noch einmal: So oft, bis du alles wieder klar erkennen kannst." Er seufzte lautlos, während er ein paar Tropfen einer leicht violett gefärbten Flüssigkeit in dessen linkes Auge tropfen ließ. „Oder willst du deine Umgebung später nur erahnen statt  erkennen?"

„Nein, natürlich nicht. Entschuldige." Aragorn, nun schon etwas kleinlauter, musste alle Willenskraft zusammennehmen, um nicht mit dem Handrücken über die Augen zu wischen, die sich von dem Mittel wie verklebt anfühlten. „Mir wird nur die Zeit immer länger, während ich darauf warte, dass endlich alles wieder in normale Bahnen läuft."

„Da seit der Verätzung sehr viel Zeit vergangen war, ist bereits schlimmer Schaden angerichtet worden. Hab Geduld, mein Sohn. Noch ein oder zwei Mal, dann dürften deine Augen wieder in Ordnung sein."

Elrond ließ nun auch auf Aragorns rechte Pupille einige violette Tropfen rinnen, stellte das Fläschchen mit dem Mittel dann beiseite und sah seinen jüngsten Sohn fragend an.

„So, du weißt, dass deine Augen nun Ruhe brauchen, damit die Medizin wirken kann. Soll ich dir etwas geben, damit du schlafen kannst?"

„Nein, nein..." In einer abwehrenden Geste riss Aragorn die Hände hoch. „Ich habe in den letzten Tagen genug geschlafen. Wirklich, Vater, ich will nicht. Reicht es nicht, wenn ich die Augen in den nächsten Stunden einfach nur geschlossen halte?"

„Ja, im Grunde schon," antwortete der Elbenfürst gedehnt und warf ihm einen skeptischen Blick zu. „doch ich bezweifele, dass du es auch tust!"

„Das werde ich. Ich verspreche es dir!"

„Und ich werde dafür sorgen, dass er sein Versprechen auch hält!" ließ sich eine leise, aber wohlvertraute Stimme aus dem Hintergrund vernehmen.

Die beiden fuhren herum und starrten zur Tür, die inzwischen von ihnen unbemerkt und lautlos geöffnet worden war. Im Türrahmen stand ein zwar noch blasser, aber wieder sehr lebendig wirkender Legolas.

„Legolas?!"

Erleichterung und Verlegenheit hielten sich in Aragorns Stimme die Waage und so wandte er sein Antlitz gleich darauf von der Tür ab, damit sein Freund ihn nicht so sah. „Du weißt nicht, wie froh ich bin, dass es dir wieder gut geht."

„Ihr solltet noch gar nicht hier sein, Prinz." Elrond erhob sich währenddessen von Aragorns Bettstatt und ging ein paar Schritte auf Legolas zu. „Euer Zustand..."

Der hob ruhig, aber abwehrend die Hand. „Mein Zustand erlaubt es mir, nach einem Freund zu sehen, um den ich mir offenbar zu Recht Sorgen machte, Lord Elrond."

Nie zuvor hatte der Herr von Bruchtal Legolas bestimmter als in diesem Augenblick erlebt und er ahnte im selben Moment, dass keine Macht Mittelerdes den Prinzen jetzt noch aus Aragorns Zimmer entfernen konnte. Elrond wusste, wann er sich geschlagen geben musste, und so nickte er in einer Geste des Nachgebens.

„Nun gut, wie Ihr wünscht. Dann lasse ich euch beide jetzt allein." Er zögerte kurz und maß Legolas mit einem nachdenklichen Blick. „Ich werde unterdessen Eurem Vater sagen, wo Ihr seid, damit er keinen Suchtrupp losschickt, wenn er Euch nicht in Euren Gemächern antrifft."

Der Elbenprinz dankte ihm mit einem Kopfnicken, rührte sich jedoch nicht von der Stelle. Es war offensichtlich, dass er mit Aragorn allein sprechen wollte, also wandte Elrond sich schließlich zum Gehen. An der Tür blieb er noch einmal stehen und sah zu seinem Ziehsohn zurück, der sein Schweigen noch immer beibehielt. „Und du denk' an dein Versprechen..."

Aragorn nickte, ohne ihn anzusehen, und da es für Elrond nichts mehr zu sagen oder zu tun gab, verließ er das Zimmer schließlich.

Legolas beobachtete seinen Freund einen Moment lang. Aragorn hielt sein Gesicht noch immer von ihm weg der Fensterfront zugewandt. Seine Silhouette hätte im nachmittäglichen Gegenlicht beinahe friedlich gewirkt, wenn da nicht die Hände des Menschen gewesen wären, die – von ihm offenbar unbemerkt – unruhig mit der Bettdecke spielten.

'Etwas bedrückt dich, Mellonamin,' dachte Legolas. 'Ich muss nur dahinter kommen, was es ist.'

Er sah sich suchend in Aragorns Zimmer um, ging dann kurzentschlossen zu einem an der Wand stehenden Stuhl hinüber und stellte diesen neben das Bett des Menschen. Dann setzte er sich und sah Aragorn ruhig an. „Ich hatte erwartet, dich schon eher zu sehen, doch da du nicht kamst, wollte ich mal nachsehen, was dich so lange aufhält."

„Es hieß, du brauchst Ruhe und ich... ich war müde von den Anstrengungen. Das ist alles." Aragorn wich Legolas' Blick noch immer aus.

„Ach, und deine Augen haben nicht zufällig auch etwas damit zu tun?" Der Elbe verschränkte die Arme vor der Brust. „Was mich übrigens daran erinnert, dass ich Lord Elrond versprochen habe, auf dich acht zu geben. Also leg' dich wieder hin und mach' die Augen zu."

„Sei ehrlich, du genießt das," knurrte Aragorn missmutig statt einer Antwort, tat es aber, und Legolas sah, wie die Spannung langsam von dem Menschen abfiel.

„Ja. Ich kann nicht leugnen, dass es amüsant ist, dir endlich mal Befehle erteilen zu können. Außerdem tut es gut, zur Abwechslung mal wieder auf der gesunden Seite zu sitzen." Legolas grinste. „Also... Erzählst du mir nun, was mit deinen Augen los ist oder soll ich deinen Vater fragen?"

„Na ja..." Aragorn zog die Worte verdächtig lang. „Ich hatte einen unerfreulichen Zusammenstoß mit zwei üblen Strolchen, die mir einen Hinterhalt gelegt hatten. Leider funktionierte er besser, als meinen Augen lieb war. Ende der Geschichte."

„Wohl kaum. Etwas hast du ausgelassen, nämlich wieso du glaubtest, mir das verheimlichen zu müssen."

„Weil mir klar geworden ist, dass ich einfach nur Glück hatte, dass meine Suche erfolgreich war." Aragorns Stimme war leise geworden. „Meine Fehler hätten dich fast dein Leben gekostet und mit diesem Wissen konnte ich dir nicht gegenübertreten."

Jetzt, wo heraus war, was Aragorn in den langen Stunden seit seinem Gespräch mit Thranduil unablässig durch den Kopf gegangen war, begann er sich wieder etwas besser zu fühlen. Da er die Augen noch immer geschlossen hielt, sah er nicht, wie Legolas fassungslos den Kopf zu schütteln begann.

„Da riskierst du dein Leben für mich, kannst meines retten und machst dir dann noch Vorwürfe dafür, dass du nicht alle Zufälle deines Weges vorhergesehen hast? Wenn du es so betrachtest, hätte bei dir alles glatt laufen können und ich wäre trotzdem gestorben." Der Elbe meinte seine Worte ernst und erntete auch prompt einen fassungslosen Blick von Aragorn.

„Wie meinst du das?"

„Das werde ich dir erklären." Legolas stand auf, setzte sich an Aragorns Seite, legte seinem Freund eine Hand auf die Augen und zwang ihn so, diese zu schließen. „Es reicht allerdings, wenn du mir dabei nur zuhörst." 'Mir fällt es so nämlich auch leichter, dir meine Schwäche einzugestehen...' dachte er bitter.

„Der Zustand, in dem ich mich seit Tagen befand, gestattete es mir nur, begrenzt zu sehen. Ich konnte mich jedoch nicht bewegen. Mein Körper war gefesselt durch das Gift, doch ich war nicht mit Bewusstlosigkeit gesegnet. So quälten mich Gedanken und Sorgen: um dich, um meinen Vater, um das Leben, das vor mir liegen würde, wenn du nicht erfolgreich sein würdest..."

Legolas schwieg einen Augenblick und nahm die Hand von Aragorns Augen. Dieser hielt seine Lider jedoch weiterhin geschlossen und stellte sich gerade vor, wie Legolas sich gefühlt haben musste. Ein Schauder rann ihm über den Rücken, als er sich Legolas' Lage bewusst machte.

„Die Zeit wurde zu einer unendlichen Größe, die ich nicht mehr messen konnte. Stunden wurden für mich zu Tagen. Tage wurden zu Wochen. Ich verlor jede Hoffnung und resignierte... Letztendlich gab ich auf und machte mich auf den Weg zu den Hallen von Mandos!"

„WAS???" Geschockt riss Aragorn die Augen auf, stützte sich auf die Ellenbogen und starrte seinen Freund an. „Sag mir, dass das ein schlechter Scherz ist!"

„Das kann ich leider nicht," sagte Legolas leise und sah bedauernd in die silbergrauen Augen seines menschlichen Freundes. „Du siehst, meine Fehlentscheidungen waren gravierender als die deinen."

Aragorn setzte zweimal zum Sprechen an, doch erst beim dritten Mal wollte seine Stimme ihm gehorchen. „Du...du warst in den Hallen von Mandos? Du warst tot?"

„Beinahe, ja." Legolas schluckte nervös. „Du warst noch unterwegs und für mich schien die Zeit immer erdrückender zu werden. Während du verbissen um mein Leben gekämpft hast, habe ich es einfach so aufgegeben. Es tut mir leid."

Beschämt ließ der Elbenprinz den Kopf hängen. Jetzt war seine Kehle wie zugeschnürt und sein Herz klopfte heftig. Er erwartete, dass Aragorn ihm jeden Moment die Enttäuschung über seine Schwäche zeigen würde, doch stattdessen spürte Legolas, dass sich die Hände des Menschen links und rechts an seine Wangen legten und seinen Kopf so wieder anhoben, bis sich beider Blicke trafen.

„Es gibt nichts, hörst du, NICHTS, das dir leid tun müsste." Aragorns Stimme war so sanft, wie der Elbe sie noch nie zuvor gehört hatte, und ihr Klang grub sich tief und unauslöschlich  in seine Seele ein. „Niemand, am allerwenigsten ich, kann ermessen, was du durchgemacht hast, also kann auch niemand anderes außer dir selbst ein Urteil über deine Entscheidungen fällen. Und was das angeht, so denke ich, dass du zu hart mit dir ins Gericht gehst."

Legolas wollte aufbegehren, doch der Mensch schüttelte den Kopf. „Nein, hör' mich erst zu Ende an. Die Situation, in der du warst, ist schlimmer als alles, was ich mir vorstellen könnte. Doch du hast durchgestanden, was mich wahrscheinlich zerbrochen hätte. Wenn du dabei zwischendurch für kurze Zeit Ängsten nachgabst, so ist das keine Schande, sondern menschlich..." Aragorn begann zu lächeln. „...oder in deinem Fall elbisch. Du bist noch hier, das ist alles, was zählt. Also hör damit auf, dich zu verurteilen, denn ich werde es nicht tun!"

Thranduils Sohn ertrug die Intensität, die in Aragorns Blick brannte, nicht länger. Er löste sich aus dem Griff des Menschen, behielt dessen Hände jedoch in den seinen und sah ihn nach Minuten des Zögerns schließlich wieder an. Deutliche Erleichterung lag nun auf seinen Zügen. „Ich danke dir!"

Dann umspielte ein Lächeln seine Lippen und er legte erneut eine Hand über Aragorns Augen. „Schließ deine Augen, Aragorn. Du musst sie schonen!"

„Spielst du jetzt meinen Beschützer?" fragte Aragorn mit einem Schmunzeln, beließ Legolas' Hand jedoch auf seinem Gesicht.

Der Elbe sah auf Aragorn hinab. „Ich habe es deinem Vater versprochen..." Der Elbe wog seine nächsten Worte genau ab, ehe er fortfuhr. „...und ich beabsichtige, dieses Versprechen  zu halten."

„Ja, schon gut," brummte der Mensch und schob die Hand des Elben weg. „Ich habe es ja begriffen."

„Das glaube ich kaum," erwiderte Legolas leise, ohne seinen Freund aus den Augen zu lassen. „Ich rede nicht von Lord Elrond, sondern von Arathorn, deinem richtigen Vater."

 „Du hast meinen Vater kennengelernt, als er noch lebte?" Aragorn runzelte die Stirn. „Wieso hast du mir das vorher nie erzählt?"

„Weil..." Legolas holte tief Luft. „...ich ihn erst vor ein paar Tagen kennengelernt habe!"

'So, jetzt ist es heraus,' dachte er und wartete auf Aragorns Reaktion, doch die fiel zunächst anders als erwartet aus.

„Versteh mich nicht falsch, Legolas, aber du musst dich irren." Aragorns Stimme hatte jenen Klang, den Erwachsene für gewöhnlich Kindern gegenüber anschlugen, die behaupten, etwas Unwahrscheinliches erlebt zu haben. „Erstens warst du in den letzten Tagen gar nicht in der Lage, neue Bekanntschaften zu schließen, und zweitens weißt du doch, dass mein Vater schon seit vielen Jahren tot ist."

„Das weiß ich," sagte Legolas ruhig. „Ich bin ihm in den Hallen von Mandos begegnet."

Aragorn schwieg eine Weile und Legolas ließ ihm Zeit, die Neuigkeit zu verarbeiten. Nach einer Weile schüttelte Aragorn den Kopf, so als würde er versuchen, seine wirren Gedanken in die richtigen Bahnen zu lenken.

„Wie kann das sein?" fragte er schließlich. „Er ist doch ein Mensch. Menschen ziehen nach ihrem Tod jedoch weiter. Nur Elben ist es bestimmt, in den Hallen zu verweilen."

„Dein Vater fand die Gnade der Valar, und sein Wille, dir noch für eine Weile nah zu sein, ließ ihn einen Ort aufsuchen, an dem er mit dir verbunden war und deinen Gedanken lauschen konnte. So nahm er weiterhin an deinem Leben Anteil."

„Du hast mit ihm geredet? Wie ist er so? Wie sieht er aus? Was hat er dir erzählt?" Ungeduldig wartete Aragorn darauf, dass sein Freund ihm all seine Fragen beantwortete. Nur mühsam konnte er sich dazu durchringen, seine Augen geschlossen zu halten.

„Du ähnelst ihm sehr, nicht nur äußerlich, sondern auch in deinem Wesen." Legolas sah Arathorns Bild erneut vor sich. „Ehe mich Lady Galadriel hierher zurückholte, bat er mich, dir zu sagen, dass er dich sehr liebt."

Selten hatte Aragorn etwas so bewegt wie diese wenigen Worte. Plötzlich brannten Tränen in seinen Augen, die er erfolglos zu unterdrücken versuchte. Als Kind hatte er lange Stunden damit zugebracht, sich seinen richtigen Vater vorzustellen. Zwar hatte Elrond ihm oft gesagt, dass sein Vater ein wundervoller Mensch gewesen war und ihn geliebt hatte, doch den Beweis plötzlich aus dem Mund eines Freundes zu hören, war etwas völlig anderes.

Mein Vater war mir in all der Zeit so nah. Hätte ich es denn nicht irgendwie spüren müssen?

Unvermittelt fielen Aragorn viele Fragen ein, die er seinem Vater gern gestellt hätte. Erwartungsvoll öffnete er nun doch die Augen und sah Legolas eindringlich an.

„Es tut gut, zu wissen, dass ich meinen Vater kurz wiedersehen werde, wenn ich durch die Hallen von Mandos gehe."

„Es tut mir leid, aber du wirst ihn nicht mehr sehen." Der Elbe hasste es, seinem Freund die Hoffnung so schnell wieder nehmen zu müssen. „Der Aufenthalt deines Vaters dort war begrenzt. Als ich ihm versprach, dir zur Seite zu stehen und dich zu beschützen, so lange die Valar es mir gestatten, fühlte er, dass seine Zeit in den Hallen von Mandos abgelaufen war. Er musste gehen."

Aragorn schwieg einen Augenblick. Der Schmerz, mit dem Legolas die gerade von ihm geweckten Hoffnungen wieder zerbrach, drohte ihn fast zu zerreißen.

„Das ist schade. Ich hätte ihn gern noch einmal gesehen." Aragorns Stimme war tonlos vor Enttäuschung.

Er wusste, dass der Elbe nichts am vorgeschriebenen Lauf der Dinge ändern konnte, doch die Worte des Freundes hatten eine Erwartung in ihm geweckt, deren Vergeblichkeit er nun nur noch als grausam empfand. So dauerte es einige Momente, bis er sich wieder gefangen hatte. „Jedenfalls danke ich dir, mein Freund. Versteh' mich bitte nicht falsch, aber ich würde jetzt gern allein sein." Er legte einen Arm über die Augen und versuchte so, die Welt um sich herum auszuschließen

Legolas sank bei diesem Anblick der Mut, während eine innere Stimme ihn tadelte, dass er doch besser geschwiegen hätte, statt dem Mann, dem er sein Leben zu verdanken hatte, so weh zu tun. Warum hatte er seinem Freund nicht den Glauben gelassen, seinen Vater noch einmal wiederzusehen? Den Elben war es vergönnt, zu wissen, dass verstorbene Familienmitglieder und Freunde in den Hallen von Mandos auf sie warteten. Die Menschen mussten jedoch mit der Endgültigkeit des Abschieds leben. Betrübt, den Freund nicht trösten zu können, legte er ihm schließlich eine Hand auf den Arm. „Ich werde gehen, doch zuvor musst du noch eines erfahren. Ehe dein Vater ging, bat er mich, dich vor einer Gefahr zu warnen."

Aragorn sah ihn nicht noch einmal an, daher fuhr Legolas fort. „Als junger Mann, so sagte er, hat er in den Südlanden eine Schuld auf sich geladen, die mit seinem Tod auf dich übergegangen ist. Solange du lebst, bist du in Gefahr."

„Ich verstehe." Aragorns Stimme klang nicht so, als hätte er die Warnung begriffen. Zudem hatten seine Worte plötzlich jede Sanftheit verloren. „Wenn du dann gesagt hast, was du sagen wolltest, geh bitte."

Die schroffen Worte verletzten Legolas mehr, als er es sich eingestehen wollte, doch er drängte dieses Gefühl zurück. 'Da riskierst du dein Leben für mich und ich bringe dir zum Dank nichts als Kummer. Es tut mir leid, Estel!'

Er stand ohne ein weiteres Wort auf, ging zur Tür und öffnete sie leise. Ein letztes Mal sah er zu Aragorn zurück, doch dieser hatte sich tief in sich selbst zurückgezogen. In der Hoffnung, dass wenigstens der Schlaf dem bekümmerten Menschen für eine Zeitlang Vergessen schenken würde, verließ Legolas den Raum.

***

Ein weiterer Tag war verstrichen, doch Legolas hatte keine Spur von Aragorn entdecken können. Er wagte es nicht, Lord Elrond nach seinem Sohn zu fragen, doch seine Sorge ließ ihm keine Ruhe. Schließlich beschloss der Prinz sich abzulenken und den neuen Stallburschen in Augenschein zu nehmen, den Aragorn ins Schloss mit zurück gebracht hatte. Sein Vater hatte ihm kurz etwas darüber erzählt und Legolas war neugierig, den Jungen kennenzulernen.

Als er sich dem Stall näherte, erkannte er schon vor der Stalltür Aragorns Stimme.

Überrascht und unsicher blieb Legolas stehen. Das letzte, was er jetzt wollte, war, durch sein Auftauchen bei Aragorn womöglich neuen Schmerz zu verursachen. Andererseits jedoch brannte er darauf, zu erfahren, wie es Aragorn ging. Konnte dieser trotz der schlechten Nachrichten, die er ihm überbracht hatte, noch als Freund von ihm denken?

„Du wirst sehen, es wird dir hier gefallen, Miro," hörte er Aragorns Stimme. „Du wirst hier viel lernen können, man wird sich gut um dich kümmern und wenn du Lust hast, kommst du mich in Bruchtal besuchen. Dann kann ich auch mein Versprechen einlösen und dir meinen Lieblingsplatz zeigen."

„Das werde ich bestimmt." Die jugendlich-helle Stimme, die Legolas nicht kannte, musste zu dem Jungen, Miro, gehören. „Und es gefällt mir hier jetzt schon. Man ist hier freundlich zu mir. Niemand behandelt mich abfällig und essen kann ich, wann immer ich Hunger habe. Man hat mir sogar ein eigenes Zimmer mit einem riesigen Bett gegeben."

„Dann tu mir den Gefallen und benutze es auch." Aragorns Stimme klang leicht amüsiert. „Ich habe es König Thranduil nämlich versprochen."

„Das werde ich." Die mangelnde Begeisterung in der Stimme des Jungen ließ Legolas schmunzeln.

Einen Moment lang herrschte Stille, dann erklang wieder Aragorns Stimme. „Tust du mir noch einen Gefallen, Mirodas?"

„Sicher, jeden!"

„Wirf, während ich fort bin, für mich ein wachsames Auge auf den Prinzen, ja? Er hat die unglückliche Neigung, sich gelegentlich in Schwierigkeiten zu bringen, und ich fürchte, ich kann nicht immer rechtzeitig zur Stelle sein, um ihn da wieder herauszuholen."

Von seinem Versteck hinter der Tür konnte Legolas Aragorns Gesicht nicht erkennen, doch die Worte ließen ihn hoffen.

'Es klingt so, als würde er sich Sorgen um mich machen.'

„Ich werde auf ihn acht geben. Das verspreche ich dir," versicherte Miro Aragorn unterdessen. Kurz darauf verließ dieser den Stall.

Legolas wartete einen Augenblick, kam dann aus seinem Versteck hervor und trat auf Miro zu. Als der Junge den Elben bemerkte, blieb er wie angewurzelt stehen und rührte sich nicht von der Stelle. Noch immer war er von tiefer Erfurcht erfüllt, wenn er einen der Erstgeborenen sah.

Legolas, der dessen Verlegenheit sehr wohl wahrnahm, trat mit einem Lächeln auf Miro zu ... und gewann mit dieser einen Geste das Vertrauen des Jungen. Den anderen Elben begegnete Mirodas nur mit ängstlichem Respekt, doch Legolas' Lächeln hieß ihn auf eine Art willkommen, die er zuvor nur bei Estel kennengelernt hatte.

„Ihr seid Prinz Legolas, richtig?" stotterte er schließlich und betrachtete fasziniert das silberne Haar des Elben, das in einer fließenden Bewegung über dessen Schulter rutschte, als dieser sich dem Jungen zuwandte.

„Das ist richtig, mein junger Freund. Man sagte mir, dass ich Euch viel zu verdanken habe," sagte Legolas ruhig und verbeugte sich leicht vor Mirodas. „Ich stehe in Eurer Schuld!"

Miro war sprachlos. Plötzlich begann er zu fühlen, warum Estel alles getan und riskiert hatte, um diesen Elben zu retten.

„Ich glaubte gerade noch Estel bei Euch gesehen zu haben. Geht es ihm gut? Was machen seine Augen?" fragte Legolas, von echter Sorge um den Freund bewegt.

„Seine Augen haben die alte Sehkraft fast wiedererlangt," beruhigte Miro den Elben irritiert und begriff nicht, warum dieser ihn nicht selbst danach fragte.

„Das freut mich," erwiderte Legolas abwesend und seine Stimme klang bedrückt. Er wandte sich ab, doch bevor er ging, drehte er sich noch einmal zu dem Jungen zurück. „Willkommen in Düsterwald, Mirodas!"

***

Es war Abend geworden.

Während die ersten Sterne am Himmel aufzublitzen begannen, richteten die Diener die große Banketttafel in der Festhalle des Schlosses her. Thranduil hatte am Nachmittag alle zu einem Fest eingeladen und gleichzeitig verkündet, dass seine Gäste am nächsten Tag Düsterwald verlassen würden.

Noch immer hatten Legolas und Aragorn nicht miteinander gesprochen, und trotz der heimlich mitangehörten Unterhaltung war der Prinz unsicher, was seine Freundschaft zu Aragorn anging. Er nahm sich vor, Aragorn nach dem Ende des Banketts in dessen Zimmer aufzusuchen, falls sie bis dahin noch immer kein Wort miteinander gewechselt hatten, doch als Legolas die Treppe hinabstieg, die zum Festsaal hinabführte, bog der Mensch schließlich ebenfalls um die Ecke.

Er blieb stehen, als er den Elben gewahrte.

Legolas, der diese Geste spontan als Ablehnung auslegte, konnte nicht verhindern, dass der Schmerz darüber auch in seinen Zügen zu erkennen war, und wandte betrübt den Kopf ab. Gleich darauf hörte er, wie Aragorn sich ihm näherte und dann neben ihm stehen blieb.

„Legolas..."

Aragorns Stimme klang bittend, doch der Elbe sah ihn nicht an. „Was?"

„Was unsere Unterhaltung gestern angeht..." begann der Mensch, doch Legolas ließ ihn nicht ausreden.

„Schon gut. Ich verstehe, dass ich dir weh getan und jede Hoffnung genommen habe, deinen Vater je wiederzusehen. Das war rücksichtslos von mir und es tut mir unendlich leid, doch ich fürchte, ich kann nicht zurücknehmen, was ich sagte." Er starrte weiterhin an Aragorn vorbei die Treppe hinab, denn die Furcht, in dessen Augen tatsächlich Ablehnung zu erkennen, ließ ihn den Freund nicht ansehen.

„Nein, du verstehst gar nichts."

Es war Aragorns brüsker Ton, der Legolas so überrumpelte, dass er ihn gegen seinen Willen schließlich doch verletzt anstarrte – direkt in das um Verzeihung bittende Lächeln des Menschen hinein.

„Ich muss mich bei dir entschuldigen, denn ich habe mich schrecklich ungehobelt benommen. Die Ereignisse der letzten Tage hatten mich stärker geschwächt, als ich es mir selbst eingestehen wollte. Doch das ist keine Entschuldigung für mein unsensibles Verhalten. Als mir das endlich klar wurde, war es tiefe Nacht, und unsere beiden Väter hätten mich gemeinschaftlich aus dem Schloss geworfen, wenn ich es da gewagt hätte, dich zu stören. Und heute ... heute hatte ich erst noch ein paar Dinge zu regeln, bevor ich mit dir reden konnte."

Legolas gestattete es sich endlich, jene Erleichterung zu zeigen, die ihn bei den Worten seines Freundes durchflutet hatte. „Dann vergibst du dem Überbringer schlechter Nachrichten?"

„Es gibt nichts zu vergeben!" Er streckte seinem Elbenfreund eine Hand hin, die dieser gleich darauf ergriff.

Legolas lächelte – befreiter, als Aragorn es ahnen konnte, während diesem offensichtlich eine Last vom Herzen fiel. „Also, weder Engstirnigkeit noch Tod haben unserer Freundschaft etwas anhaben können, wie du siehst. Was kann uns jetzt noch passieren?"

„Nun..." Ein übermütiges Grinsen stahl sich auf die Züge des Elben, als er den Freund mit sich die Treppe hinabzuziehen begann. „Mein wütender Vater kann uns zum Beispiel eine Strafpredigt halten, wenn wir zu spät zum Fest kommen. Das willst du nicht erleben, glaub mir. Weißt du, er hasst es, wenn die höfischen Etikette nicht gewahrt werden."

Gemeinsam liefen die Freunde die Stufen hinab, nicht ahnend, dass Galadriels Blicke ihnen von oben folgten. Als die beiden außer Sicht waren, zog sie das Kästchen hervor, in dem sich jener grüne Edelstein befand, den sie Aragorn als Bezahlung für das Gegenmittel mitgegeben hatte. Elronds jüngster Sohn hatte ihr das Juwel am Vormittag zurückgebracht und erzählt, was er stattdessen als Preis bezahlt hatte.

Sie öffnete das Kästchen, verlor sich für einen Moment im grünen Funkeln des Steins, dann sah sie die Treppe hinab, über die Aragorn eben noch hinweggeeilt war.

'Ihr habt mir den Elbenstein zurückgebracht, Aragorn von Gondor. Dies ist ein Zeichen, dass das Schicksal, welches Euch vorherbestimmt ist, sich wirklich erfüllen wird. Ihr werdet diesen Stein wiederbekommen, doch nicht aus meiner Hand.'

Sie lächelte wissend, als sie den Edelstein wegsteckte und sich auf den Weg zum Bankettsaal machte.

***

Noch vor Sonnenaufgang war man an Thranduils Hof schon dabei gewesen, alles für die sichere Rückreise der Abordnungen aus Lórien und Bruchtal vorzubereiten. Mit den ersten verschüchterten Sonnenstrahlen waren die Gäste aufgebrochen – beschützt von den besten Reiterpatrouillen Düsterwalds und begleitet von dem bewegenden Dank Thranduils und seines Sohnes.

Vor allem Legolas war es schwer gefallen, im Schloss zurückzubleiben, doch sowohl sein Vater wie auch Lord Elrond und Lady Galadriel hatten ihm klargemacht, dass er noch nicht kräftig genug für einen solchen Ritt war. Schweren Herzens hatte er sich ihrem Rat schließlich gebeugt.

Vom höchsten Fenster aus hatte er den sich schnell entfernenden Reitern nachgesehen, bis endlich auch der letzte Punkt aus seinem Blickfeld verschwunden war.

Sein Vater hatte ihm geraten, sich zu schonen und dann etwas davon gemurmelt, dass er ihm ja bei der Erledigung seiner täglichen Pflichten Gesellschaft leisten könne, doch Legolas hatte schnell durchschaut, dass der Elbenkönig nur ein wachsames Auge auf ihn werfen wollte. So lehnte er mit dem Hinweis ab, dass es da noch etwas gäbe, das er in der Bibliothek nachlesen wollte. Damit hatte Thranduil sich zufrieden gegeben.

Legolas, der nun seinerseits nicht gelogen haben wollte, begab sich tatsächlich in die Bibliothek seines Vaters. Er hatte sich nun wieder an jenes seltsame Wappen erinnert, das er auf dem Tuch in Rivars Hütte gesehen hatte und nach dessen Bedeutung er vor dem Anschlag Damodins schon auf der Suche gewesen war. Und so blätterte er gemächlich in uralten Folianten herum, während über dem Wald ein weiterer schöner Herbsttag anbrach.

***

Lange waren Elrond, Galadriel und Aragorn schweigend nebeneinander her geritten, doch als sich die Sonne dem höchsten Punkt ihrer Bahn näherte, ließ die Elbin die Reiter anhalten. Dann wandte sie sich den beiden Männern zu.

„Es ist Zeit, sich zu trennen. Mein Weg führt mich nun nach Süden, während eurer euch nach Bruchtal trägt."

Sie sah ihren Schwiegersohn an, ließ einen nachdenklichen Blick über sein Gesicht gleiten, dann hob sie in einer Geste des Abschieds die Hand.

„Namaarie, Elrond. Mögen die Valar dir die Schritte deines Weges leicht machen und die Sterne dir Trost spenden, wenn sonst nichts es mehr vermag."

Elrond neigte respektvoll den Kopf, ohne erkennen zu lassen, dass der Inhalt ihrer Worte ihn irritierte. „Namaarie, Galadriel. Ich hoffe, unser nächstes Wiedersehen steht unter einem glücklicheren Stern."

Die Herrin von Caras Galadhon lächelte auf ihre weise, unnachahmliche Art, dann wanderte ihr Blick weiter zu Aragorn.

„Namaarie, Aragorn von Gondor. Vergesst niemals, dass Eure Freundschaft zu Legolas von Düsterwald etwas ganz Besonderes ist..." Sie zögerte kurz. „...etwas, das Engstirnigkeit und Tod überstanden hat."

Aragorn starrte die Elbin so verblüfft an, dass er vergaß, ihren Gruß angemessen zu erwidern. Die letzten Worte hatte er sofort wiedererkannt. Es waren jene, die er Legolas gegenüber gebraucht hatte. 'Sie muss mein Gespräch mit ihm gestern Abend mitangehört haben,' dachte er verlegen.

'Es war ja auch kaum zu überhören, wenn man eine halbe Treppe höher stand,' antwortete ihm gleich darauf Galadriels gedankliche und deutlich amüsierte Stimme, während die Elbin ihn nachsichtig anlächelte.

„Namaarie, Lady Galadriel." Endlich hatte Aragorn sich wieder in der Gewalt. „Und Danke!"

Sie nickte nur, dann setzte sie ihr Pferd unvermittelt in Bewegung und ritt an der Spitze ihrer Reiterschar nach Süden.

Der Elbenfürst und sein menschlicher Sohn sahen ihr noch einen Moment lang nach, dann gaben auch sie ihren Kriegern ein Zeichen, den Weg auf der Alten Waldstraße nach Westen fortzusetzen.

Vater und Sohn waren so auf ihren Weg konzentriert, dass sie nicht sahen, wie Galadriel nach wenigen Metern noch einmal anhielt und den zweien über die Schulter hinweg gedankenvoll nachsah.

'Noch ist es nicht zu spät... Sollte ich meinen Schwiegersohn nicht doch zurückhalten, ihn warnen?'

Vor ihrem geistigen Auge tauchten jene Bilder wieder auf, die ihr der Spiegel unmittelbar vor ihrem Aufbruch nach Düsterwald als letztes gezeigt hatte.

Sie hatte Elrond gesehen, der mit unendlichem Gram reglos auf eine Steinplatte starrte, die vor seinen Augen langsam über eine Öffnung im Fels geschoben wurde.

Es war die Steinplatte zu einer Gruft!

Galadriel hatte nicht sehen können, wen Elrond zu Grabe trug. Diese Information wollte der Spiegel nicht preisgeben. Also sollte dieses Schicksal nicht beeinflusst werden.

'Noch ist es nicht zu spät... Sollte ich ihn nicht wenigstens mit einem Wort vor dem warnen, was ihn erwartet?'

Schließlich entschied sie sich dagegen.

'Nein, das ist ein Schicksal, das ich nicht beeinflussen kann und darf. Das Leid, das ihn und seine Familie erwartet, wird sie nicht zerbrechen. Es wird sie stärken...'

Sie flüsterte ihrem Pferd ein paar leise, sanfte Worte zu. Es war Zeit, heimzukehren.

ENDE

### Ein Aufruf an alle stillen Leser: Bitte schreibt uns doch zum Ende der Story eine kleine Review und sagt auch ihr uns mal eure Meinung. Hat euch die Story gefallen? Habt ihr überhaupt Interesse an einer Fortsetzung? Lasst es raus! *g*

Shelley:
Hey, mal ein neuer Name unter den Reviewern! Schönen Dank, dass dir unsere Geschichte gefällt. Es gibt sicher einige FanFic-Autoren, die gerne zu zweit schreiben würden. Schade, dass es nicht ein Forum oder so etwas ähnliches auf FF.net gibt, wo sich vielleicht zwei Gleichgesinnte finden könnten. Gibt es doch nicht oder?
Lady-of-Gondor:
Ähäm... wie sollen wir es dir sagen? Wenn du das letzte Kapitel gelesen hast, dann wirst du sehen, dass das Buch irgendwie noch nicht so vollständig ist... Nun, du wirst es selbst lesen... Angefangen haben wir schon mal mit der nächsten Story!
Atlantis:
Ups, wir sind ganz schön berechenbar geworden... Da müssen wir wohl etwas gegen unternehmen! *g* Wir haben uns wirklich schon ein kleines fieses Mittel für das Ende der Story überlegt, um euch Leser weiter bei uns zu behalten...
Arlessiar:
Tja, wenn wir überlegen, dass Miro anfangs gar nicht eingeplant war, dann hat der Junge letztendlich aber doch ganz schön Raum von uns bekommen. Es war praktisch und notwendig, Aragorn einen Helfer zur Seite zu stellen. Schön, dass uns Mirodas gelungen ist!
Dragon-of-the-north:
Ja, ja, Aragorn ist einfach zu gut. Da muss er noch etwas dran arbeiten, bis er König wird, sonst wird ihm das Böse noch so einige Male ordentlich zusetzen. Aber seine Blindheit vor Familie und Freunden verheimlichen zu wollen, ist so typisch. Die könnten sich ja Sorgen machen und Legolas links liegen lassen. Also erst mal Held sein und still vor sich hinleiden! *g*
Mystic Girl:
Tja, warum haben sie das Gegenmittel nicht dem vorauseilenden Posten mitgegeben? Gute Frage! Antwort: Weil es emotional einfach langweilig wäre, wenn ein „Fremder" es bringen würde! Außerdem war Aragorn jetzt schon so lange mit Miro unterwegs, mit wenig Schlaf und nur einem Ziel– das Gegenmittel sicher nach Düsterwald zu bringen und Legolas zu retten. Da noch logisch zu denken und das Gegenmittel dem Boten mitzugeben, der ihnen vorausgeeilt ist, kann man von ihm nicht mehr erwarten. *g* Du hast recht! In „Braveheart" wird tatsächlich viel mit Schwertern gewirbelt. Bleibt trotzdem schwierig, das Gesehene dann realistisch zu beschreiben...
jacobs_angel86:
Jawohl, master Anna, euer Wunsch sei uns Befehl. Die nächste Story ist schon begonnen worden und wird demnächst in einem FanFic-Universum in ihrer Nähe auftauchen. Augen aufhalten! *g*
Queen-of-Gondor:
Der dezente Hinweis, dass wir Legolas nicht töten könnten, war eine Vorsichtsmaßnahme für die herzschwachen Leser unter euch! Schließlich wollen wir keinen Berg an Schadenersatzansprüchen in unseren Email-Boxen finden! *g*
Asahi:
Besser spät als nie. Da hast du recht! Wir dachten schon, unsere treuesten Reviewer würden uns zum Ende der Story verlassen. Wir waren schon ganz deprimiert! *g* Du bist als Au pair in Amiland, richtig? Die Flatrates zum Surfen sind dort doch verschwindend niedrig oder?! Gimli finden bestimmt einige Fans ganz knuddelig. Im 2. Teil hatte er so gewisse Momente, wo er zum Knuddeln witzig war! Und Faramir... Also Faramir war anfangs wirklich nicht sympathisch... doch als er zum Schluss sein Leben für Frodos Mission aufs Spiel setzte und sich gegen seinen Vater wendet, da bekam er diesen melancholischen Gesichtsausdruck und wurde für mich [ManuKu] zum tragischen Helden. Wir sind absolut gespannt auf den 3 Film...
Nili:
FF.net hat in letzter Zeit ja so einige Probleme, doch wie du lesen kannst, ist deine Review doch angekommen! *Autorinnen freuen sich* Und nun hack mal nicht so auf den armen Legolas rum! Du hast schließlich noch nie im Koma gelegen und weißt dementsprechend gar nicht, wie sehr man sich nach einer gewissen Zeit nach dem Tod sehnen kann... [Salara flüstert] Pst, wir doch auch nicht! [ManuKu] Stimmt! Okay, dann ist das Hin und Her, Tod oder nicht, Sein oder Nichtsein eben eine typisch elbische Verhaltensweise bei absoluter Bewegungsunfähigkeit! *g*