Kapitel 8 - Neue alte Freunde von Molly

"Woher wußten Sie, daß ich es bin?" fragte Severus Snape, während er seine Maske abnahm und den durchnäßten Umhang ablegte. "Ich hatte so etwas erwartet... Ein kleines Vögelchen hat es mir schon vor vielen Jahren gezwitschert..." Dumbledore mußte schmunzeln, während er den Tee einschenkte. Severus beugte sich über Florence Farstalkers schwach atmenden Körper und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Ich wußte gar nicht, daß sie Ihre Nichte ist..." "Mein chaotischer Bruder hat sich zeitlebens nur in Schwierigkeiten gebracht. Ich glaube, Florence ist das Beste, was er der Menschheit hinterlassen konnte. Von ihm hat sie übrigens auch dieses unnatürliche Talent geerbt, Unglück magisch anzuziehen. Aber den Rest hat sie von ihrer Mutter, glaube mir! Meine Güte, was für eine Frau! Unvorstellbar, was sie jemals an Aberforth finden konnte..." träumerisch rührte er in seiner Teetasse herum, "Nun aber zu dir, mein Junge. Wie stellst du dir deine Zukunft vor, jetzt, wo du zwischen den Fronten stehst?" Betretenes Schweigen. "Ich... weiß es nicht... Es wird in jedem Fall Ärger geben... Ich hoffe nur, mein Stellvertreter erfüllt seine Aufgabe so gut, daß ich meine Rückkehr überlebe..." murmelte Severus und griff zum ersten Mal nach seiner Teetasse. "Ich wüßte da schon was... Allerdings könnte es sehr gefährlich werden für dich!" Dumbledore wirkte nun nicht mehr so großväterlich, sondern eher wie ein sehr schlauer Stratege, der seine Kämpfer auf einem Schlachtfeld positionierte.

In den frühen Morgenstunden kehrte Severus Snape in die Höhle des Löwen zurück. Igor Karkaroff fiel bei seinem Anblick fast vor Freude in Ohnmacht und plapperte schnell vor sich hin: "Du glaubst es nicht! Er hat mich vor zwei Stunden zu sich gerufen, um mit mir über einen Sportartikel im Tagespropheten zu diskutieren! Was heißt diskutieren! Er hat mich einfach eine halbe Stunde zugetextet mit irgendwelchen Sachen über Quidditch und ob er das nicht besser verbieten sollte in Zukunft... Dein Vater hatte recht: er ist wahnsinnig! Ach so, bisher hat noch niemand bemerkt, daß sie weg ist, ich hoffe, du hast sie sicher untergebracht?" Igor ließ sich von Severus aus dem Umhang zerren und suchte nun nach seinem eigenen. "Ja ja, alles in Ordnung. War sonst noch etwas, das ich wissen müßte?" fragte Severus ungehalten und wühlte nun seinerseits in dem Labor herum, bis er eine kleine Flasche zum Vorschein brachte und sie Karkaroff in die Hand drückte. "Nein, alles ruhig... Was ist das?" "Trink das und du siehst gleich wieder wie du selbst aus... Wenn jetzt jemand rein kommt und mich doppelt sieht, war alles umsonst!" Igor Karkaroff tat wie ihm geheißen und kurze Zeit später war er wieder er selbst, allerdings mit dem Geschmack von faulen Eiern auf der Zunge. "Ihgitt, an der Geschmacksnote mußt du aber noch ein bißchen arbeiten, mein Junge! Hast du hier irgendwo Pfefferminzbonbons? Das ist ja eklig..." "Mein Held!" grinste Severus hämisch und klopfte Igor versöhnlich auf die Schulter, "Keine Angst vor einem lebensgefährlichen Abenteuer, aber ein kleiner Nebengeschmack bringt ihn völlig aus der Fassung!" "Kleiner Nebengeschmack ist gut! Genauso hat der Sonntagsbraten meiner Mutter auch immer geschmeckt, und nun schau, was aus mir geworden ist! Du reaktivierst Kindheitstraumata in mir! Und hör endlich auf, so dämlich zu grinsen!" Weiter kamen sie nicht, ein gellender "ALARM!" - Schrei war ertönt und im ganzen Haus flogen Türen auf, Voldemorts Helfer strömten verschlafen und verschreckt auf die Gänge. Auch Severus und Igor mischten sich in das Gewühl, als würden sie von nichts wissen. Ein Krachen, grünes Blitzlicht und verzweifelte Schreie ließen alle anwesenden Todesser wissen, wie wütend Lord Voldemort an diesem Morgen war. Ehe sie sich versahen, waren Igor und Severus die einzigen, die noch auf dem Gang standen. Alle anderen waren zurück in ihre Zimmer oder ganz aus dem Anwesen verschwunden, keiner wollte die nächste Leiche sein, wenn ihr Herr in dieser Stimmung war. "Ich glaube, ich verschwinde auch besser.." flüsterte Igor Karkaroff Severus zu. "Untersteh dich! Du weißt von nichts, bist erst vor einer halben Stunde hier angekommen und bist erstaunt, verstanden?" raunte Severus ihm zu und schob ihn in Richtung Kerker. "Bist du völlig wahnsinnig? Ich geh doch nicht da runter, wenn ER so eine Laune hat!" "Ich will aber wissen, was da passiert ist, außerdem ist das unsere Aufgabe, mein Freund!" knirschte Severus zwischen den Zähnen hervor und zerrte weiter an dem wie angewurzelt stehen gebliebenen Igor herum. "Aha! Also gibt es doch noch mutigere und treuere unter dem Gewürm meiner Anhänger..." kommentierte Lord Voldemort die Szene, die sich ihm auf dem Gang bot. Er schien seine erste Wut an den Umstehenden im Kerker zumindest soweit ausgelassen haben, daß er nun nicht mehr so mordlüstern war. "Fragt sich bloß, was der hier noch zu suchen hat..." bemerkte er und wies mit dem Kopf auf den zitternden Igor Karkaroff. "Verzeihung, Mylord, ich bin verschwunden, sobald Ihr das wünscht..." stammelte Igor und drückte sich fest an die Wand des Korridors. Voldemort starrte ihn mit rotglühenden Augen vernichtend an, bevor er beschloß: "Nein, Russe, du wirst dich um die Überreste unten im Verließ kümmern... der Giftmischer kommt mit mir... zu einer privaten Unterhaltung in meine Gemächer!" Severus hatte erwartet, daß ihn in diesem Moment die schiere Panik erfassen würde, doch er blieb relativ ruhig, was ihn selbst erstaunte. Voldemorts "Gemächer" waren der Abstand scheußlichste Raum auf dem ganzen Anwesen. Selbst Severus, der einen recht makaberen Einrichtungsstil pflegte wurde beim Anblick der meisten Gegenstände in diesen Räumen jedesmal mulmig zumute. "So, du sagtest mir vor ein paar Tagen noch, der Elbe ginge es wieder schlechter mit dem abnehmenden Mond... und daß ich, wenn ich wollte, daß sie bis Neumond überlebt, mein Temperament etwas zügeln sollte bei meinen täglichen Besuchen." Voldemort setzte sich auf eine Art Thron, dessen Leder angeblich aus der Haut der ersten Muggel, die der Schwarze Lord eigenhändig niedergestreckt hatte, gefertigt worden war. Severus blieb vor ihm stehen, bis der Wahnsinnige ihm mit dem Kopf bedeutete, ebenfalls Platz zu nehmen. Severus wählte eine Sitzgelegenheit, die aus den Kopfknochen eines Drachens bestand. Alle anderen Sessel und Stühle hätten in ihm im Moment nur Brechreiz verursacht. "Nun sage mir, Giftmischer: ging es der Elbe wirklich schlecht oder hatte sie noch genügend Kräfte, um sich selbst zu befreien?" Wenn Snape nun sagte, daß Florence kaum noch in der Lage gewesen wäre, sich selbst auf den Beinen zu halten, entspräche das zwar den Tatsachen, würde aber auch bedeuten, daß Lord Voldemort nach einem Fluchthelfer fahnden würde. Wenn er sagte, daß sie eventuell doch noch genug Kraft gehabt hätte, selbst zu fliehen, stellte sich anschließend die Frage, warum er Voldemort zuvor gebeten hatte, sie nicht mehr zu quälen, was ihn selbst wiederum verdächtig machte. "Ich bin mir nicht sicher... Sie hätte mich auch täuschen können, obwohl..." antwortete er zögerlich. "Ich sage dir, was ich glaube, Giftmischer: du hattest recht, sie war viel zu schwach und beinahe hätte ich sie vor der Zeit umgebracht. Deine Warnung kam keine Minute zu früh... Nein, sie hatte einen Helfer. Die Wache lag betäubt vor der Zelle und der Schlüssel steckte von außen im Schloß. Wir haben einen Verräter in unserer Mitte. Das war zwar zu erwarten, aber der Mut dieses Mannes erstaunt mich nun doch... mir mein liebstes Spielzeug vor der Nase weg zu stehlen... Was glaubst du, wer es war, mein Giftmischer?" Severus schwieg. Was hätte er auch sagen sollen? Ich war's, und Igor Volltrottel war mein Assistent? "Tja, ich weiß es auch nicht. Aber wir werden das ändern! Es gibt nur wenige unter meinen Anhängern, denen ich vertraue... Dich wollte ich schon damals, als du noch ein halbes Kind warst, in meine Obhut nehmen und formen, doch deine Mutter war dagegen. Und als sie sich dann auch noch selbst vergiftete, fürchtete ich, dein Vater würde ebenfalls abspringen... und das tat er dann ja auch leider letztes Jahr... Aber nun bist du immer noch hier und zeigst keine Angst vor mir... erstaunlich! Du lügst mich nicht an oder versuchst, deine eigenen Fehler auf Kosten anderer zu vertuschen... Du hast mir schon oft genug die Stirn geboten, so daß andere Treue schon vermuteten, du würdest das nur tun, weil du lebensmüde bist, nur weil du nicht so eine ölige Schleimspur hinter dir läßt wie andere... Seit du für mich mit den Tränken experimentierst, habe ich dich von den Einsätzen draußen zurückgestellt. Aber ich denke, es ist klug, dich nun bei der Planung zugegen sein zu lassen. Ab sofort werden nur noch wenige an diesen Sitzungen teilnehmen und du wirst einer davon sein!" schloß Lord Voldemort, der personifizierte Teufel seine Rede. Severus war kreideweiß geworden. Er mußte ihn durchschaut haben! Wenn nun etwas über die Aktionen der Todesser im Vorfeld bekannt wurde, hätte er den Kreis der Verdächtigen bereits eingegrenzt, und er, Severus, wäre darunter...

Severus Snape hatte einen Entschluß gefaßt, der ihn vorläufig über jeden Zweifel erheben würde. Er würde Dumbledore eine Aktion verraten, bei der seine besten Freunde aus Schulzeiten, Evan Rosier und Lance Wilkes beteiligt sein würden. Zuvor aber würde er Igor beseitigen müssen. Auch ihn würde er verraten, damit er nicht doch irgendwann anfing, die Geschehnisse jener schicksalhaften Nacht auszuplaudern... in Askaban könnte er so viel plaudern, wie er wollte. Und wenn er Dumbledore erzählte, daß Igor Karkaroff daran beteiligt war, Florence zu befreien, würde er später, wenn die Zeiten wieder etwas sicherer waren, schon wieder auf freien Fuß kommen... Für wen oder was tat er das eigentlich alles? Für Dumbledore? Gewiß nicht. Für einen höheren Zweck? Severus glaubte an gar nichts. Es war wahrscheinlich wirklich so, daß er, Severus, nur zu feige war, sich selbst umzubringen und einfach Wege suchte, damit andere ihm diese Arbeit abnehmen würde. Ja, genau das war es: er war ein höchst kreativer Lebensmüder, der neue Wege zur Selbstvernichtung erfand! Auf seinem Grabstein würde die Inschrift stehen: Er war so verrückt, sich dem Teufel anzuschließen, und als dieser ihn nicht tötete, stellte er sich auch noch gegen ihn, damit er schneller unter die Erde kam! Severus schüttelte den Kopf über seine eigenen Überlegungen und suchte den Portschlüssel, den Dumbledore ihm gegeben hatte, aus den Tiefen seines Umhangs hervor. Es war die kleine Schneekugel mit dem grimassenschneidenden Gargoyle drin, die er im 5. Schuljahr zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. Bis auf die Bücher hatte er alle Geschenke, einschließlich des "Shooting Star"- Rennbesens in der Schule zurückgelassen, als er nach der siebten Klasse abging. Zu vieles erinnerte ihn an Florence und sein Vater hatte Pläne mit ihm, die Sentimentalitäten nicht zuließen. Er war verwundert gewesen, als Dumbledore die Schneekugel aus seinem Morgenmantel gezogen hatte, aber in den nächsten Jahren sollte er lernen, daß es einfach keinen Sinn hatte, sich über Albus Dumbledore zu wundern. Es war einfacher, die Dinge nur hinzunehmen und seinen Anweisungen zu folgen. Der alte Mann hatte die Weisheit für sich gepachtet, oder zumindest große Teile davon. Alles ergab irgendwann einen Sinn. Der Portschlüssel konnte nur durch Severus aktiviert werden, und er würde ihn direkt in Dumbledores Büro bringen, nachdem er ihn mit seinem Zauberstab angetippt hatte. Der Rückweg sollte ähnlich funktionieren, nur daß Severus dann ein Ziel auswählen konnte, indem er fest daran dachte, wo er hinwollte. Severus hatte gerade seine Arbeit in der Apotheke des St.- Mungo- Hospitals für den heutigen Tag beendet und wollte offiziell nach Haus, doch er hatte einen kleinen Umweg über Hogwarts eingeplant. Er vergewisserte sich noch einmal, ob er auch alle Unterlagen dabei hatte, bevor er mit dem Zauberstab die Schneekugel antippte.

Albus Dumbledore blieb fast das Herz stehen, als urplötzlich ein etwas durcheinander gewirbelter Severus Snape vor seinem Schreibtisch auftauchte. "Upps... hätte ich mich vorher ankündigen sollen?" fragte der junge Mann unschuldig grinsend. "Nein, nein... Ich hatte nur nicht schon so früh mit dir gerechnet! Ich dachte, du würdest etwas länger brauchen als nur zwei Wochen, um Informationen zu sammeln..." stammelte der alte Zauberer und versuchte schwer atmend, sich zu beruhigen, 'Außerdem war ich kurz eingenickt, aber das werde ich dir nicht sagen, junger Freund!' setzte er in Gedanken hinzu. "Unglückliche Umstände... Voldemort hat mich in den innersten Zirkel aufgenommen, damit er mich besser überwachen kann... auch wenn er mir gegenüber behauptet, ich wäre einer seiner treuesten Anhänger und hätte diesen Aufstieg verdient!" Severus lächelte nun nicht mehr. Er hatte bereits die Unterlagen aus dem Umhang gekramt und weihte Albus Dumbledore schnell in die Pläne Voldemorts und seiner eigenen ein. Der Direktor nickte nur ab und zu und stellte wenige Nachfragen, er war viel zu sehr damit beschäftigt, Severus Snape zu beobachten. Die blassen Wangen schienen wieder Farbe zu bekommen und in seinen Augen war ein hoffnungsvolles Leuchten zu erkennen, ganz so wie früher, vor langer Zeit. Genau wie in jenem kurzen Frühsommer, der ihm doch so viele Schmerzen bereiten sollte im Nachhinein. Hoffentlich wird er diesmal nicht wieder so auf die Nase fallen, wie das letzte Mal, dachte Dumbledore und wußte es doch schon besser. Es gab nur wenig, was er tun konnte, um Severus die Zeit bis zum nächsten herben Rückschlag so angenehm wie möglich zu machen. "Wie geht es Flo?" fragte er schüchtern, den Portschlüssel bereits einsatzbereit in der Hand. "Besser, aber sie ist immer noch schwach. Wie du es wolltest, habe ich ihr nicht gesagt, wer sie befreit hat. Irgendwann wirst du es ihr selbst sagen müssen, mein Junge!" Dumbledore war besorgt und zeigte dies auch. Doch Severus schüttelte nur den Kopf, tippte den Portschlüssel an und verschwand.

Es dauerte drei Wochen, bis Severus wieder unangemeldet in Dumbledores Büro auftauchen sollte. Igor Karkaroff war verhaftet worden und Evan Rosier getötet, ebenso Lance Wilkes. Warum hatten sie sich auch gewehrt? Severus war erschüttert gewesen und Voldemort beeindruckt. Damit hatte der Schwarze Lord wohl nicht gerechnet. Severus hatte sich vorgenommen, nur noch kleinere Räder im Getriebe und unwichtigere Anschläge zu verraten, seine Tarnung stand immerhin auf dem Spiel. Doch im innersten Zirkel wurden hauptsächlich größere Aktionen geplant, also brauchte er für die kleineren mehr Zeit, um sie herauszufinden. Am liebsten hätte er Lucius Malfoy ans Messer geliefert, den Mann, der Florence Farstalker diesem Scheusal ausgeliefert hatte. Doch damit gefährdete er sich selbst zu sehr, also hatte er sich vorgenommen, lieber zu schweigen. Er würde noch andere Wege finden, es Lucius heimzuzahlen! "Albus?" fragte er, kaum daß er im Büro angekommen war, doch Direktor Dumbledore war nicht anwesend. Dafür fing Fawkes, der Phönix, an zu kreischen, als Severus seine Unterlagen auf dem Schreibtisch ablegte und eine kurze Notiz dazu kritzelte. "Fawkes, sei still, du großer blöder Vogel!" Kreischen. "Ist ja gut, ich habe was für dich..." Severus ging um den Schreibtisch herum und kramte ein paar Zitronenkekse aus seinem Umhang, die er Fawkes in den Schnabel steckte. "Und das nächste Mal machst du bitte nicht so einen Lärm, klar?" fuhr er den Vogel an und lächelte kurz darauf, als dieser ihm zärtlich am Finger knabberte. "Hi Severus!" erklang hinter ihm eine Stimme, die er nur zu gut kannte. Mit hochrotem Kopf drehte er sich um und sah Florence in einem Sessel an der Wand neben dem Kamin sitzen, eingehüllt in eine Decke, ein Buch aufgeschlagen auf dem Schoß. Er hatte sie gar nicht bemerkt bei seiner Ankunft. Und sie war wohl eingeschlafen gewesen, zumindest sah sie danach aus. Überhaupt sah sie noch ziemlich elend aus. "Hi Flo..." 'Toll, waaaahnsinnig einfallsreich! Hätte dir nicht was besseres einfallen können?' Die Stimme in seinem Hinterkopf machte ihn manchmal wirklich wütend, aber es war ja auch so: begrüßt man so jemanden, den man (offiziell) seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte? Zudem, wenn man plötzlich unangemeldet in dem Büro ihres Onkels auftaucht und sich benimmt, als wäre man hier zu hause? Florence rappelte sich mühsam in dem Sessel auf und schlug das Buch zu, bevor sie es auf den Boden gleiten ließ. 'Nun steh hier doch nicht rum, als wolltest du Wurzel schlagen! Beweg dich!' Wieder diese Stimme. Severus hatte aber die Befürchtung, daß ihn seine Beine nicht tragen würden, daher rührte er sich nicht von der Stelle. Florence war mittlerweile auf die Beine gekommen und schritt langsam auf ihn zu. "Ich sollte dir wohl danken. Aber ich bin viel zu enttäuscht darüber, was aus dir geworden ist... Dachtest du ernsthaft, ich würde dich hinter dieser dämlichen Maskerade nicht erkennen?" Sie war fast bei ihm und er hatte das Gefühl, jemand würde gerade einen glühend heißen Dolch in seinen Magen rammen. "Vielleicht erklärst du mir mal..." Weiter kam sie nicht, denn ihre Beine versagten ihr den Dienst. Schnell fing Severus sie auf und trug sie zurück zu dem Sessel, aus dem sie gerade aufgestanden war. "Psst, nicht jetzt. Du mußt dich noch etwas ausruhen. Ich komme wieder..." Severus wollte sich so schnell wie möglich verdrücken, doch Flo hielt ihn am Kragen fest. Tränen liefen über ihr Gesicht, als sie flüsterte: "Wieso..?"

Albus Dumbledore zog sich hinter der Tür zum Treppenaufgang weiter zurück und lächelte. Ja, es war die richtige Entscheidung gewesen. Florence wußte schon sehr früh, wer der "Giftmischer" Lord Voldemorts war. Es war zwar ein Jahrzehnt her, daß sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, doch an seine Stimme, seine Bewegungen und die Art, wie er sie berührte konnte sie sich nur zu gut erinnern. Und sie war unsagbar wütend gewesen. Hätte er sie nicht schlußendlich doch noch befreit, wäre sie wohl eher mit den Händen an Severus' Hals gestorben, als jemals Voldemorts Mätresse geworden. Eigenwillig, tapfer und stark, auch im Angesicht des sicheren Todes. Ihr eigenes Leben wäre ihr nie so viel wert gewesen, daß sie ihre Seele dafür an Lord Voldemort verkauft hätte. Leider war sie aber auch noch jung und töricht genug, ihre eigene moralische Festigkeit von anderen ebenfalls zu erwarten. Doch wenn er die Szene in seinem Büro gerade richtig deutete, hatte Florence Severus verziehen. Immerhin lagen sie sich gerade verzweifelt aneinander geklammert in den Armen. Und sie küssten sich... Dumbledores Blick verklärte sich, als er an seine erste Liebe zurückdachte... Erstaunlich, daß er sich noch soweit zurückerinnern konnte! Er mußte kichern. Vielleicht sollte er langsam einschreiten, bevor das Ganze zu weit ging... immerhin war das sein Büro und kein Schlafzimmer! Aber das war den jungen Leuten wohl auch bewußt gewesen, zumindest traf er 10 Minuten später nur ein einsame und schluchzende Florence in seinem Büro vor. Severus war verschwunden fürs erste. Liebevoll nahm er seine Nichte in den Arm und drückte sie. So viel Leid geschah in diesen Tagen und seine Sorge war doch hauptsächlich auf das Wohlergehen seiner Familie und Freunde gerichtet. Und Severus war für ihn ein Freund. Ein Freund, den er ohne mit der Wimper zu zucken in die größten Gefahren schickte. Aber schließlich war er es auch, der den finnischen Zaubereiminister gebeten hatte, seine Nichte nach Großbritannien mitzunehmen. Damit sie in Gefahr geriet, damit Severus sie retten konnte... Manchmal bekam Albus Dumbledore, der Mann, den die meisten seiner Zeitgenossen für den größten und gütigsten Zauberer seiner Zeit hielten, Angst vor sich selbst.

Nachdem in den letzten Monaten nur unwesentliche Todesser verhaftet worden waren und das Ministerium bei den großen Aktionen gerade noch rechtzeitig kam, um Todesfälle zu verhindern, verlor Voldemort fürs erste das Interesse an Severus. Der hingegen hatte nun wieder mehr Zeit, hinter der Bühne zu arbeiten. Auch seine Arbeit im Hospital erreichte wieder altgewohnte Qualitäten und er war insgesamt sogar freundlicher! Dr. Herba war schwer beeindruckt, als Severus ihr zum Geburtstag eine Blume schenkte, die niemals einging oder Wasser benötigte (die Apothekerin war berühmt - berüchtigt dafür, selbst Kakteen vertrocknen zu lassen). In seiner Wohnung hielt sich Severus Snape kaum noch auf. Meistens disapparierte er nach der Arbeit direkt zum Unterschlupf von Lord Voldemort oder tauchte in Albus Dumbledores Büro auf. Auch wenn er regelmäßig Unterlagen mitbrachte, so kam er doch am häufigsten, um bei Florence zu übernachten. Albus Dumbledore war über diese Verbindung ziemlich erfreut, allerdings plagten ihn auch Gewissensbisse deswegen. Er wußte, daß Florence sich noch sehr lange verstecken mußte und ewig würde sie nicht in Hogwarts bleiben können. Fürs erste zwar schon, aber nicht für immer. Bei den Treffen der Widerständler erwähnte er nie Severus' Namen. Es waren zu viele alte Gryffindors dabei, die mit dem Namen Snape nur Ärger verbanden. Sie würden niemals Informationen vertrauen, die er geliefert hatte, wenn sie wüßten, daß sie von ihm kamen.

Fast ein Jahr nun dauerte Severus' Tätigkeit als Spion schon, als er zum zweiten Mal in echte Konflikte mit seinem Gewissen geriet. James Potter, sein Erzfeind stand ganz oben auf Voldemorts Liste derer, die bald das Zeitliche segnen sollten, dicht gefolgt von Sirius Black. Voldemort wollte sich Potter höchstpersönlich annehmen, so sehr hatte der gute James ihn und seine Aktionen schon gestört. Und Severus erwischte sich bei dem Gedanken, Dumbledore nichts davon zu erzählen. Sollte Voldemort doch erst James und dann Sirius erledigen! Wenn er den beiden jemals wieder über den Weg laufen sollte, würde er wohl das gleiche tun! 'Nein, würdest du nicht! Und du weißt das! Du bist kein halbunsterblicher Wahnsinniger, der nur zum Spaß durch die Gegend zieht und Leute umbringt!' Wieder diese Stimme in seinem Kopf... was war das? Sein Gewissen oder nur ein böser Scherz? Ein Fluch, den jemand auf ihn gehetzt hatte? Nein, er war nur ein sterblicher Halbwahnsinniger, der früher im Auftrag Leute umgebracht oder wenigstens ihrer Gedächtnisse und damit ihrer Identität beraubt hatte. Aber war es wirklich so einfach? Hatte er nicht auch Anteil an dem, was er anderen angetan hatte? Es war zu einfach, sich darauf zu berufen, er hätte nur im Auftrag gehandelt. Er war auf Wunsch seines Vaters ein Todesser geworden, oder etwa nicht? Und er hatte im Auftrag Leute umgebracht oder in leblose Hüllen verwandelt, oder etwa nicht? Fast eine Woche lang quälte er sich mit diesen Gedanken im Kopf herum, bis er letztendlich doch zu Dumbledore ging und ihm von den Plänen Voldemorts erzählte. James Potter hatte ihm einmal das Leben gerettet, er war es ihm schuldig, auch seines zu retten.

"Das ist sehr anständig von dir, Severus. Was ist mit dir?" fragte Dumbledore und wußte doch die Antwort. Severus schwieg zunächst. "Möchtest du mir etwas sagen?" "Ich weiß nicht. Ich... ich glaube... wenn er zuerst Sirius umbringen wollte... dann hätte ich..." stammelte Severus und stockte. "Dann hättest du erst danach etwas von einem Anschlag auf James Potter berichtet, ist es nicht so?" fragte Dumbledore verständnisvoll. Severus nickte nur und hielt den Blick gesenkt. "Ich weiß, das wird dir kein Trost sein, aber Sirius hätte im ersten Moment auch so gedacht, wenn es um dich gehen würde. Aber ich bin mir ziemlich sicher, daß auch er rechtzeitig zu mir gekommen wäre. Und das bist du, mein Freund. Noch können wir alles verhindern. Und ich weiß sogar schon, wie..." Severus griff sich plötzlich an den linken Arm, als hätte er einen Krampf. "Ich muß gehen, er ruft mich!" Überstürzt verließ Severus Hogwarts und tauchte zunächst in seiner Wohnung auf, um den Portschlüssel zu verstecken, bevor er zu Voldemort reiste.

"Ah, mein Giftmischer! Etwas spät heute, nicht wahr?" empfing Lord Voldemort einen etwas gequält aussehenden Severus, als dieser in der Runde auftauchte. "Ich konnte nicht sofort weg. Habe ich etwas verpaßt?" "Noch nicht viel... Du bist doch mit James Potter zur Schule gegangen, nicht wahr? Dann weißt du sicher auch, wer damals seine Freunde waren... und die wirst du mir nun alle nennen, wenn es dir recht ist...!" diabolisch grinsend drehte sich Voldemort nun zu den anderen Todessern um, die an der Besprechung teilnahmen. Wie konnte es Severus nicht recht sein? Einer gegen zwanzig, davon war mindestens einer komplett wahnsinnig, und er war das nicht! "Sirius Black, Peter Pettigrew, Lily Evans... Remus Lupin." Severus wußte, Voldemort würde alle umbringen, aber was sollte er tun? Wie ein Held einen sinnlosen Tod sterben? Er würde es sowieso herausfinden, ob Severus es ihm nun sagte oder nicht. "Gut, gut... Lily Evans heißt mittlerweile auch Potter, bleiben also nur drei über... warum hast du den letzten, Remus Lupin erst so zögernd genannt?" hakte Voldemort nach. "Weil Lupin doch mehr mit anderen zu tun hatte, obwohl er auch zu Potter's Freunden zählte." 'Und mit wem er mehr zu tun hatte, werde ich dir garantiert nicht sagen, du Bastard!' setzte Severus in Gedanken dazu. "Du meinst also, Potter würde Lupin nicht unbedingt als seinen Geheimnisverwahrer engagieren?" fragte ein fremder Todesser Severus. "Nicht unbedingt... aber am allerwenigsten wohl Pettigrew..." entgegnete dieser. 'Was soll der Quatsch mit Geheimnisverwahrer?' fragte Severus sich im Stillen. "Nun, lieber Severus Snape, es verhält sich nämlich so, daß James Potter gewarnt wurde. Und er hat sich, seine Frau und seinen Sohn vor mir versteckt. Und das Geheimnis, wo sie sich aufhalten, hat er einem Geheimnisverwahrer anvertraut, einem alten Freund aus der Schulzeit. Und den müssen wir nun finden... Du bist es nicht zufällig?" fragte Voldemort hinterhältig und grinste ihn nun wieder direkt an. 'Er wußte es bereits! Und mich läßt er im Glauben, ich würde etwas für James Potter tun!' schoß es Severus durch den Kopf, während er antwortete: "Mir hätte er nicht mal den Dreck unter seinen Fingernägeln anvertraut! Und das auch mit gutem Grund!" Severus rang sich ein Grinsen ab. Lord Voldemort sah ihn zuerst zweifelnd an, bevor er schallend anfing, zu lachen. "Das ist gut! Wirklich zu gut! Giftmischer, dein Humor gefällt mir! Wir werden jetzt ein bißchen was trinken, während sich der Rest der Horde hier auf die Suche nach Black und Pettigrew macht!" er schlug Severus freundlich auf die Schulter und zog ihn zu einem Sessel, während die Runde sich mit leisen Plopp - Geräuschen auflöste. Den restlichen Abend verbrachte Severus mit Voldemort, wobei er immerzu an Dumbledore denken mußte: er hatte bereits von dem geplanten Anschlag gewußt und Potter war bereits in Sicherheit! Und es gab nichts, was Severus tun konnte, im Moment jedenfalls nicht. Ihm blieb nur zu hoffen übrig, daß sie weder Sirius, Remus oder Peter in die Finger bekamen. Aber warum hatte Dumbledore ihm nicht gesagt, daß er bereits davon wußte? Wie viele seiner Informationen waren denn überhaupt nützlich gewesen? Es gab offensichtlich noch einen Spion unter den Todessern, der wahrscheinlich sogar noch schneller arbeitete, als er...

"Was sollte das? James ist schon längst in Sicherheit! Und ich bin nur durch Zufall nicht auseinander gepflückt worden! Was hat denn überhaupt etwas genützt? Ich habe ein Jahr lang meinen Kopf riskiert, nur um zu erfahren, daß du offensichtlich noch bessere Quellen hast, als mich! Und zuverlässigere obendrein!" Severus tobte vor Wut. Es war noch mitten in der Nacht und Dumbledore war entsetzt, von dem blanken Hass, der ihm entgegen schlug. "Severus, beruhige dich! Natürlich habe ich noch andere Quellen. Aber deine Informationen haben vielen das Leben gerettet. Und jetzt, wo du mir erzählst, daß Voldemort von dem Geheimnisverwahrer weiß, können wir diesen auch schützen. Die meisten Dinge, die mir die anderen Informanten zugetragen haben, bezogen sich hauptsächlich auf die großen Aktionen! Deine aber waren viel zahlreicher und haben weit mehr bewirkt, als du glaubst!" versuchte Dumbledore ihn zu beruhigen. Severus hatte bereits einen Stuhl zerschmissen in seiner Wut und drehte immer noch hektische Runden in seinem Büro. "Zwanzig, Albus! Zwanzig Todesser waren diese Nacht unterwegs um zwei Männer zu finden! Und sie werden sie gefunden haben! Und sie werden den Richtigen ausgequetscht haben! Es besteht nicht die geringste Chance, das James Potter in zwei Tagen noch am Leben ist! Es war alles umsonst!" verzweifelt ließ Severus sich auf einem noch heilen Stuhl nieder und verbarg sein Gesicht hinter den Händen. "Severus, geh nach nebenan, leg dich in mein Bett und versuche zu schlafen! Ich kümmere mich um alles! Nun geh schon!"

Severus Snape behielt Recht. James Potter starb keine 24 Stunden nach ihrem nächtlichen Gespräch. Mit ihm starb auch Lily Potter. Nur ihr Sohn Harry überlebte. Und Lord Voldemort verschwand für viele Jahre. Sirius Black wurde verhaftet, nachdem er Peter Pettigrew und etliche Muggel mit einem Schlag getötet hatte. Florence Farstalker blieb noch ungefähr ein weiteres Jahr in Hogwarts, bevor sie ging, sagte sie Severus Snape nichts davon. Der Auror Frank Longbottom war von Dumbledore über alles unterrichtet worden, was sich in dem Jahr vor Voldemorts Verschwinden abgespielt hatte. Er sorgte dafür, daß Severus nie angeklagt wurde und Igor Karkaroff so bald wie möglich wieder auf freien Fuß kam. Albus Dumbledore bot Severus Snape die freie Stelle als Lehrer für Zaubertränke in Hogwarts an, als Professor Salve in den Ruhestand gehen wollte. Und Severus nahm an. Er hatte außer Dumbledore niemanden mehr. In den nächsten zehn Jahren wurde Severus Snape zunehmend verbitterter und einsamer, auch wenn Albus Dumbledore alles dagegen unternahm, was in seiner Macht stand. Doch beide wußten, daß Severus seine erste Chance, Voldemort auszulöschen verspielt hatte. Und der würde wiederkommen, denn er war nicht tot. Seine Anhänger waren immer noch zahlreich, besonders in Britannien. Und so lange sie nicht alle erkannt und unschädlich gemacht worden wären, konnte Florence Farstalker nicht zurückkehren. Und ohne Florence war Severus nicht glücklich.