Kapitel 13 - Liebe und Leid von Molly

"Ich würde zu gern wissen, was Madam Farstalker vorhin zu Litigant gesagt hat... Muß was fieses gewesen sein, wenn Snape so loslacht!" rätselte Ron auf dem Weg zum Wahrsageunterricht. "Darauf kannst du wetten... Aber wenn ich das richtig mitbekommen habe, hat Litigant angefangen, zu stänkern..." sagte Harry und war dankbar dafür, daß Hermine in einen anderen Unterricht mußte und ihr Gespräch nicht mitbekam. "Wußte gar nicht, daß Snape auch Lachen kann, sah irgendwie seltsam aus!" "Vielleicht tut sie ihm mal ganz gut... Er hat ja nicht allzu viele Freunde hier... Ich denke, die meisten Lehrer akzeptieren ihn nur, weil er viel über Zaubertränke weiß." Harry war sehr nachdenklich geworden. Hatte Direktor Dumbledore nicht letztes Schuljahr irgendwas von "Hoffnungen zurückgeben" gesagt auf Snape bezogen? Ron lief schweigend neben ihm her. Im fürchterlich verräucherten Klassenzimmer von Professor Trelawney angekommen, ließen sie sich wieder so weit wie möglich hinten nieder und versuchten unauffällig ein Fenster einen Spalt breit zu öffnen. Ihre Lehrerin hatte ihren üblichen mystischen Auftritt, begrüßte sie und schien überrascht zu sein, daß Harry immer noch unter den Lebenden weilte. "Dieses Jahr werden wir uns verstärkt mit Omen, Prophezeiungen und Wesen befassen, die besondere Beziehungen zu ihrem inneren Auge haben, genannt seien da zunächst die Zentauren und natürlich einige Zeremonien, die zur Klärung der Zukunft abgehalten werden können..." bereitete Professor Trelawney ihre Klasse auf das nächste Schuljahr vor. Lavender Brown meldete sich: "Professor, wie sieht es eigentlich mit Voraussagen betreffend von Liebesbeziehungen aus?" Die Mädchen fingen ungehemmt an zu kichern und Harry und Ron stöhnten laut auf. DAS mußte ja kommen. "Lavender will doch nur wissen, wie ihre Chancen bei Snape stehen, wollen wir wetten?" wisperte Harry Ron zu und der nickte zustimmend.

Wenn Harry und Ron gedacht hatten, daß nichts mehr den Unterricht bei Professor Trelawney an diesem Vormittag an Peinlichkeit übertreffen könnte (beiden war geweissagt worden, daß sie ihrer großen Liebe schon begegnet wären), hatten sie nicht bedacht, daß auch noch Verteidigung gegen die Dunklen Künste auf dem Stundenplan stand. Professor Litigant war (außer Professor Binns) der langweiligste Lehrer, den sie je hatten. Im Gegensatz zu Binns bekam es Litigant aber leider sehr wohl mit, wenn seine Schüler im Unterricht einschliefen, was die Doppelstunde bei ihm fast so quälend machte, wie Zaubertränke bei Snape. Aber wenigstens waren sie bei Snape immer wach. Ron kritzelte auf ein kleines Stück Pergament und schob es Harry zu: "Wetten, Madam Farstalker hat ihn gefragt, warum er so langweilig ist?" Harry gniggerte und schrieb zurück: "Sicher, er hat sie ja gestern fast eingeschläfert beim Frühstück! Hast Du gesehen, wie verkniffen sie gegrinst hat?" Harry war gerade fertig mit Schreiben, als ein dunkler Schatten auf das Pergament fiel: Professor Litigant hatte sich direkt vor ihm aufgebaut. "So, so! Sie schreiben sich also kleine Zettelchen, ja? Darf ich den einmal lesen, Mr. Potter?" Harry kämpfte mit dem Wunsch, den Zettel einfach in den Mund zu stecken und runterzuschlucken, gab ihn dann aber doch an Litigant. Ron wurde immer kleiner und Harry erbleichte. Litigant's Gesicht hingegen zeigte eine recht abwechslungsreiche Farbpalette: zunächst grau - weiß, dann grün - gelb und zum Abschluß rot - violett. "Strafarbeit! Und zwanzig Punkte Abzug für Gryffindor. Wer ist der andere Schreiber?" Ron schluckte und meldete sich zögernd. "Gut! Noch einmal zwanzig Punkte Abzug für Gryffindor und eine Strafarbeit. Das Schuljahr fängt ja gut für Sie beide an, Mr. Potter, Mr. Weasley..." Litigant steckte den Pergamentfetzen in seinem Umhang und kehrte zu seinem Lehrerpult zurück. "Und damit Ihnen allen außerhalb meines Unterrichts nicht zu langweilig wird, schreiben Sie bis morgen Kapitel 3 ihres Buches ab und geben zusätzlich eine Inhaltsangabe. VOR dem Text. Ich möchte sichergehen, daß Sie das Kapitel auch wirklich gelesen haben!" Alles stöhnte und Ron blätterte verzweifelt durch sein Buch: "Aber Professor Litigant! Das sind 23 gedruckte Seiten! Das schaffen wir nie bis morgen!" "Das ist Ihr Problem! Meinetwegen können Sie jetzt schon mit der Aufgabe beginnen! Ich beende für heute meinen Unterricht!" sagte Litigant, packte seine Tasche und verließ den Klassenraum. Zuerst waren alle Schüler wie versteinert. Dann hagelte es Beschimpfungen und Papierknüddel auf Harry und Ron hernieder. "Das ist einfach nicht fair! Nur weil ihr beide so blöd seid, müssen wir darunter leiden!" Lavender Brown wollte schon mit ihrem Buch nach Harry werfen, überlegte es sich aber anders und ließ sich schluchzend wieder auf ihren Platz fallen. "Wir werden zu Direktor Dumbledore gehen. Mich und Ron soll Litigant gern bestrafen, aber die Hausaufgabe ist zuviel!" sagte Harry und hoffte, daß Dumbledore das genauso sah.

"Professor Litigant, so beruhigen Sie sich doch! Ich habe Professor Snape und Madam Farstalker bereits zurechtgewiesen. Und Schüler reden meistens schlecht über ihre Lehrer untereinander..." Albus Dumbledore hatte alle Mühe, Litigant von einer Kündigung abzuhalten. "Ich bin ein angesehener Kämpfer gegen die Dunklen Künste! Das Ministerium wollte, daß ich als Auror arbeite, aber ich habe abgelehnt! Und wissen Sie, weswegen? Weil ich es wichtiger fand, die heutige Jugend davon abzuhalten, in die Reihen von Sie - wissen - schon - wem einzutreten! Und wie wird es mir gedankt?" Litigant fing an, sich zu wiederholen. "Ich weiß, ..." "Unterbrechen Sie mich bitte nicht, Direktor! Meine Kollegen beleidigen mich bei den Mahlzeiten und den Schülern mangelt es völlig an Respekt! Nun weiß ich auch, warum Minister Fudge mich vor Ihnen und Ihrer Schule gewarnt hat!" Litigant lief rot an, "Ihre exzentrische Art wird uns eine Bande von Todessern bescheren, sobald ihre Schüler entlassen werden! Einer Ihrer Ehemaligen hat ja bereits versucht, uns zu vergiften!" Das war selbst für Dumbledore zuviel: "Professor Litigant, mäßigen Sie sich! Meine Differenzen mit Minister Fudge sind von anderer Tragweite als Sie in der Lage sind, zu ermessen! Und wenn ich mich recht entsinne, ist es vor allem Professor Snape, Madam Farstalker und Madam Pomfrey zu verdanken, daß es keine Tote gab! Zudem wissen wir nur, daß es ein ehemaliger Schüler war, der das Gift in das Hühnchen gab, durch die Nachforschungen von Professor Snape!" Er schlug mit der geballten Faust auf seinen Schreibtisch und fuhr fort: "Bevor Sie sich über mangelnden Respekt beklagen, sollten Sie zuerst einmal die Verdienste Ihrer Kollegen anerkennen! Ich erinnere mich nicht, daß Sie sich in irgendeiner Form in dieser Angelegenheit vor einer Woche bemerkbar gemacht haben!" Sollte Litigant doch kündigen, Dumbledore wäre im Moment nur froh darüber gewesen: "Und noch eins: solang Sie bei uns sind, sitzen Sie bei den Mahlzeiten ab sofort auf dem Platz von Professor McGonagall!" Dumbledore hatte durchaus mitbekommen, was Litigant seiner Nichte zum Frühstück an den Kopf geworfen hatte. Florence' Temperament ging manchmal mit ihr durch, aber Litigant hatte es provoziert. Wenn er, Albus Dumbledore, sie tadelte für ihre Unzuverlässigkeit, war das eine Sache, aber Litigant war nicht in der Position dazu. "Das Gespräch ist beendet! Es bleibt Ihnen überlassen, wie Sie sich in Zukunft verhalten, aber ich bin mir sicher, es gäbe Möglichkeiten zur Kooperation zwischen Ihnen und den anderen Lehrern hier in Hogwarts. Wir hatten hier schon exzentrischere Lehrer als Sie und konnten mit Ihnen arbeiten!" Albus stand auf und drehte Litigant demonstrativ den Rücken zu, als er sich dem Fenster zuwendete. Passenderweise konnte er genau auf den Hof schauen, wo Florence gerade ein paar Erstklässlern den ersten Flugunterricht gab. Litigant schnaubte und rauschte aus dem Büro des Direktors, der in Gedanken schon nach Alternativen zu Litigant suchte. Es klopfte und Dumbledore rief: "Was denn jetzt noch?" "Ähm, Direktor Dumbledore?" fragte Harry schüchtern und Albus drehte sich überrascht um. "Oh, Harry, Ron, entschuldigt. Ich hatte gerade ein etwas unangenehmes Gespräch... unter anderem wegen euch!" Dumbledore setzte sich und bot den beiden Freunden an, ebenfalls Platz zu nehmen. "Wenn es um die Strafarbeit und den Punktabzug geht, daß müßt ihr beide hinnehmen. Und das nächste Mal erwarte ich, daß ihr euch nicht erwischen laßt, ist das klar?" er lächelte leicht und fuhr fort: "Professor Litigant erzählte mir auch von der Hausaufgabe, die er eurer Klasse aufgetragen hat. Ihr braucht sie nicht zu machen. Ich habe ihm unser pädagogisches Konzept hier erklärt und darin sind keine derart drastischen Strafen für die Allgemeinheit vorgesehen. Hausaufgaben dürfen nicht einen gewissen Rahmen sprengen. So, und nun geht und beruhigt eure Klasse. Oder gibt es noch etwas, was ihr auf dem Herzen habt?" Harry räusperte sich, schaute Ron an, der nickte und fragte: "Sir, wer ist Madam Farstalker?" Dumbledore schmunzelte. "Ihr könnt sie nicht einordnen, nicht wahr? Nun, Harry, ich versichere dir und Ron, Madam Farstalker ist die letzte, die irgendetwas mit Lord Voldemort zu schaffen haben möchte. Sie steht auf unserer Seite! Bedingungslos."

Zum Mittagessen tauschten Professor McGonagall und Professor Litigant die Plätze. Das Grinsen, das Professor Snape wie Madam Farstalker kurz über die Gesichter huschte, war kaum zu übersehen. Während des Essens konnten Harry, Ron und Hermine gut beobachten, wie Dumbledore Madam Farstalker etwas zuflüsterte, die sie kurz darauf fixierte und dem Direktor zunickte. "Dumbledore hat ihr wohl gerade von der Sache mit Litigant erzählt..." mutmaßte Ron und seine Freunde stimmten zu. Als Madam Farstalker etwas später noch einmal in ihre Richtung sah, lächelte sie freundlich und senkte dann wieder ihren Blick. Der Rest des Nachmittags verlief relativ ruhig für alle. Während des Abendessens erhielt Professor Snape gleich drei Eulen auf einmal und er sah nicht besonders glücklich darüber aus. Er entschuldigte sich bei seinen Kollegen und rannte fast aus der Großen Halle. Harry, Ron und Hermine tauschten fragende Blicke, sagten jedoch zunächst nichts. "Schaut mal, Madam Farstalker ist ganz weiß geworden... was ist denn bloß zur Zeit los?" fragte Ron und alle drei schauten hinüber zum Lehrertisch.

"Kind, es wird schon gut gehen. Albus und er haben das lange geplant..." versuchte Professor McGonagall ihre Sitznachbarin zu beruhigen. Ihr war nicht entgangen, daß Florence kreidebleich geworden war, als Severus fluchtartig die Halle verließ. Florence schluckte hart und stammelte: "Ich glaube, ich werde in meine Räume gehen. Wenn etwas sein sollte, bin ich dort zu erreichen..." und stand auf. Beim Hinausgehen stolperte sie fast über ihre Füße, raste jedoch die Treppe zum dritten Stock hoch, als wäre der Teufel hinter ihr her. "Waterloo!" sagte sie zu dem Bild mit Sir Cadogan und zwängte sich schon hindurch, als das Bild gerade einen Spalt breit geöffnet war. Niemand sollte sehen, wie sie in Tränen ausbrach. Was war bloß los mit ihr? Sie hatte jahrelang ohne Gewissensbisse Todesser gejagt, wurde selbst über den ganzen Erdball verfolgt, mußte sich verstecken und war in einem permanenten Zustand von Angst und Wut gewesen. Und hier? Hier war sie sicher... eigentlich. Aber seit dem sie wieder in Hogwarts war, hatte sie mehr geheult als in den ganzen Jahren zuvor. Ihre Gefühle waren einer Achterbahn gleich: absolute Hochgefühle und schwerste Depressionen wechselten sich in den letzten Tagen stetig miteinander ab. 'Und ich dachte immer, mich könnte nichts mehr schocken!' dachte sie verzweifelt und wischte sich die Tränen mit den Ärmeln ab. Sicher, wenn es nur um sie selbst ging, war sie gefühlsmäßig völlig abgestumpft: es war ihr im Grunde egal, was mit ihr geschah. Ihr einziger Lebenszweck war es doch sowieso nur, den Dunklen aus der Prophezeiung zu bestimmen und Voldemort zu vernichten. Den Rest würden die Kämpfer des Lichts erledigen. Wenn das nicht gelang, mußte sie sich umbringen, um noch größeres Unheil abzuwenden. Bis dahin aber mußte sie unter allen Umständen überleben. Sie hatte sich oft überlegt, ob es nicht besser wäre, wenn sie nie geboren worden wäre. Und als ob Albus Dumbledore ihre Gedanken über Tausende von Meilen hinweg lesen konnte, flatterte kurze Zeit später immer ein Brief von ihm herein. Und in diesen Briefen stand immer, daß er sie so schnell wie möglich wieder sehen wollte, daß Severus sie vermissen und überhaupt alles wieder gut werden würde. Ihre Mutter hatte ihr damals gesagt, daß eine Elbe sich nur einmal und dann nie wieder verlieben würde. Und Florence hielt das immer für ausgemachten Blödsinn. Sie hätte sich garantiert in einen der vielen jungen Auroren, mit denen sie in den letzten Jahren zusammengearbeitet hatte, verliebt, wenn sie nur die Zeit dazu gehabt hätte. Aber genau daran hatte es immer gehapert: Zeit. Sie hatte nie welche. Sie war immer im Stress gewesen, keine Zeit für Gefühle, nur logische Überlegungen, planen, angreifen, verteidigen, flüchten. Und nun saß sie zum ersten Mal seit 15 Jahren in einem Zimmer, daß sie länger als einen oder zwei Monate bewohnen würde. Umgeben von Menschen, die sie gut kannten und beschützten. Und die Schüler: neugierig, unschuldig... sogar Draco Malfoy war unschuldig: er war nicht schuld an dem, was sein Vater ihr angetan hatte. Hier war sie wirklich zu Haus: nicht bei ihrer Mutter und ihrem Volk, nicht bei den anderen Hexen und Zauberern auf der Welt, keinesfalls bei den Muggeln, nein, nur hier in Hogwarts. Und hier war auch der Mann, den sie immer noch liebte, egal was sie sich vorzumachen versuchte. Sie ging hinüber zu ihrem Schreibtisch und drehte an einer Messingkugel, die über einem kleinen Holzsockel schwebte. Musik erklang und Florence entspannte sich langsam.

Severus Snape rannte die Treppen hinauf zur Eulerei und hätte fast Professor Litigant im engen Treppenaufgang umgerannt, der gerade wieder hinunter wollte. "Entschuldigung!" sagte er und zwängte sich an Litigant vorbei. "Oh, Sie kennen das Wort also doch!" rief Litigant hinter ihm her und Severus stoppte. Langsam drehte er sich um und kämpfte seine plötzlich aufkeimende Wut nieder. "Ja, ich kenne dieses Wort... und ich kenne auch dessen Bedeutung..." schnaubte er und starrte Litigant genau in die Augen. "Sie können mich nicht einschüchtern, Professor Snape... das gelingt Ihnen vielleicht mit allen anderen, einschließlich Dumbledore, aber nicht mit mir! Ich bin schon mit anderen als Ihnen fertig geworden!" giftete Litigant und seine Augen funkelten ebenso böse wie die von Severus. "Was meinen Sie damit: 'fertig geworden'? Ich wußte nicht, wir einen Krieg führen, Herr Kollege!" "Oh, den führen wir spätestens seit heut morgen! Ich möchte nur wissen, wie es ausgerechnet Ihnen gelungen ist, Madam Farstalker so zu beeinflussen, daß sie sich öffentlich gegen mich stellt!" Severus ging eine Stufe hinunter, auf Litigant zu. "Lassen Sie sie aus dem Spiel, ja? Wenn Sie Ärger wollen, wenden Sie sich direkt an mich. Wenn ich jemals hören sollte, daß Sie Madam Farstalker auch nur beleidigen, könnte dieser Ärger mehr als nur unangenehm werden. Haben Sie mich verstanden?" Litigant grinste hämisch bevor er sich abwendete und die Stufen weiter hinabstieg. Er hatte sein Ziel erreicht: er hatte Severus' wunden Punkt entdeckt. Und das war Severus auch klar: er hatte sich bis auf's Blut reizen lassen. Es hatte nicht mehr viel gefehlt und er hätte sich auf Litigant gestürzt. Er kämpfte seine Wut nieder und schickte drei kleine Phiolen mit einem Gegenmittel gegen das Veritaserum ab. Er hatte drei Namen von Todessern im Ministerium. Zwei sollten mindestens noch folgen, aber wahrscheinlich würden es mittlerweile mehr sein. Auf dem Weg in Dumbledores Büro überlegte er, ob er Albus nicht auch von seinem Gespräch mit Litigant erzählen sollte. Aber er entschied sich dagegen. Das war eine Angelegenheit zwischen Litigant und ihm.

"Hmhm... unser 'Opfer' ist noch nicht dabei. Du bist Dir aber ganz sicher, daß Mcnair für Voldemort arbeitet?" fragte Dumbledore. "Ja. Der Potterjunge hatte es doch auch gehört..." Severus fühlte sich an die Diskussionen vom Sommer erinnert. Er wollte wenn dann alle auffliegen lassen. Doch das wäre sein Todesurteil gewesen und Dumbledore wollte das nicht zulassen. Severus war das natürlich auch bewußt, aber er wollte sowieso nicht mehr leben. Zwei Monate lang hatten Dumbledore, McGonagall und Madam Pomfrey auf ihn eingeredet, bis er sich einfach nur noch in sein Schicksal ergab. Solang er unter der Aufsicht der Drei stand, würde er sich nicht umbringen können. Und seit einer Woche hatte er das auch gar nicht mehr vor. Andere hatten einen Lebenswillen, Severus jedoch hatte eine Lebenswut, die er wieder entdeckt hatte. Und Florence war absolut nicht unschuldig daran. Er wollte sie zurück (wie sollte er das bloß anstellen?), wollte sie beschützen (brauchte sie das eigentlich noch?) und glücklich werden (was war das überhaupt?). Nach ewig langen Diskussionen hatten Dumbledore und er beschlossen, Mcnair auffliegen zu lassen. Harry Potter hatte damals seinen Namen schon gehört, er war am gefährdetesten von allen Todessern im Ministerium, das ideale 'Opfer' also. Sie hofften nur, daß Cornelius Fudge dann nicht glaubte, die Gefahr in seinem Ministerium sei gebannt. Doch eigentlich rechneten sie genau damit. Fudge war völlig inkompetent und bewies dies jeden Tag aufs Neue. "Hm. Habt ihr schon etwas mit der Wurzel erreicht?" riss Dumbledore ihn aus seinen Gedanken. "Nicht viel. Sie reagiert ziemlich heftig auf fast alle anderen Substanzen. Ich bin noch nicht durch Flo's Aufzeichnungen durch, aber wir werden weiterarbeiten. Wenn du willst, gleich heute Abend..." "Nein, lies du nur, Florence hat sich in ihrem Zimmer eingeschlossen und macht sich Sorgen um dich..." Dumbledore grinste verschmitzt und zwinkerte Severus zu. Mit Genugtuung sah er einen Hauch von Rot über die blassen Wangen des Jüngeren ziehen. "Wie du meinst... Wenn etwas ist, ich bin in meinen Räumen..." sprach's und rannte fast aus dem Büro des Direktors. Das Herz schlug ihm immer noch bis zum Hals, als er sein Büro betrat. Hatte er das nur gesagt, um ihn zu testen? Severus war sich nicht sicher: Flo und er hatten seit gestern wieder eine Ebene erreicht, auf der sie sich begegnen konnten, auch wenn er mehr wollte. Und heute Morgen ihr Spruch Litigant gegenüber... sie hatte einfach für ihn mit geantwortet, als wäre das selbstverständlich. Als wüßte sie noch immer ganz genau, was in seinem Kopf vorginge, als wären sie noch immer eine Einheit. Er mußte lächeln und kramte ihre Aufzeichnungen hervor, die er heute Morgen nur in seinen Schreibtisch gestopft hatte. Weiter verknicken konnten sie ja eh nicht mehr... "25. Dezember 19.. Pünktlich heute morgen war mein Weihnachtsgeschenk von Onkel Albus da: Eine Destille! Und viel besser, als die, die ich in Australien zurücklassen mußte! Allerdings fliegt immer noch jedes Mal alles um die Ohren, wenn ich die Wurzel mit etwas anderem als Alkohol oder Wasser in Berührung bringe... Ich glaube, ich sollte zurück nach Guatemala und noch mal fragen, wie sie dort die Wurzel nutzen... Mir fällt langsam nichts mehr ein, vielleicht sollte ich dann auch gleich einen Schluck von dem Trank nehmen... schaden kann es in meinem derzeitigen Zustand eh nicht..." Severus mußte Lächeln: Flo's Aufzeichnungen wurden immer mehr zu einer Art Tagebuch. Drei Jahre lang hatte sie immer wieder vermerkt, wie weit sie mit ihren Forschungen gekommen war, aber im letzten Jahr wurde es immer persönlicher. Sollte er weiterlesen oder doch lieber aufhören und Flo ihre Zettelsammlung zurückgeben? Letztendlich siegte seine Neugier und er las weiter. Als er zum Sommer diesen Jahres kam, hatten ihre Aufzeichnungen kaum noch etwas mit ihrer Forschung zu tun. Der letzte Eintrag lautete: "28. Juli 19.. Nun denn, es ist soweit. Als ich heute morgen aufstand, hörte ich ein Rascheln im Gebüsch. Der gute Igor kann froh sein, daß ich ihn nur geschockt habe. Er sieht ziemlich alt aus, finde ich... In seinem Umhang fand ich zwei Briefe von Onkel Albus. Der eine war geöffnet und darin stand, wo ich mich gerade verstecke und daß Igor mich aufsuchen soll. Der andere Brief war verschlossen und für mich. Voldemort hat Britannien fast wieder unter seiner Kontrolle und Severus hat versucht, sich umzubringen. Dieser große blöde Dummkopf! Jedes Mal, wenn ich ihn für ein paar Jahre allein lasse, kommt nur Unsinn dabei raus! Ich muß nach Haus, nächstes Jahr um diese Zeit ist alles entschieden. Ich lasse meine Sachen hier, vielleicht komme ich ja doch noch mal hierher. Igor habe ich in ein altes Versteck geschickt, mal sehen, wie lang er überlebt..." Großer blöder Dummkopf? Was sollte denn das heißen? Früher hatte sie auch schon zärtlichere Namen für ihn gefunden... aber eigentlich war das Flo, wie sie leibt und lebt. Sicher, sie war ernster geworden und Severus war auch klar, warum. Aber irgendwie hatte er sich gewünscht, daß sie etwas mehr zu ihren Gefühlen auf ihn bezogen geschrieben hätte. Er wollte doch nur wissen, woran er war. Und ob er überhaupt Grund hatte, sich Hoffnungen zu machen. Aber dann hätte er sicherlich ein schlechteres Gewissen gehabt als jetzt schon.

Albus Dumbledore beobachtete seinen Phönix, als dieser sich über einen Haufen Kekse hermachte. Eigentlich sollten weder er noch der Vogel davon essen, hatte zumindest Madam Pomfrey gesagt. Aber Poppy war immer etwas zu fürsorglich, oder? Er seufzte und dachte nach: Florence und Severus waren auf eine Art wieder zusammen, aber würde das ausreichen? Wie konnte er sie bloß dazu bekommen, noch enger zusammen zu kommen... Eifersucht? Nein, Sirius Black jetzt ins Spiel zu bringen war noch zu verfrüht. Er würde sich noch etwas gedulden müssen. Severus war immer noch zu depressiv, um für Flo wirklich zu kämpfen. Er würde viel wahrscheinlicher alles aufgeben und sich erneut absichtlich in Gefahr bringen. Dumbledore war immer bewußt gewesen, daß es für Erwachsene in Hogwarts fürchterlich langweilig war. Und Severus gehörte nicht zu den Personen, die am Wochenende mit anderen Lehrern nach Hogsmeade loszogen, um in den Drei Besen etwas zu trinken. Gesellschaft konnte der junge Lehrer nur bedingt ertragen, so war er schon als Kind gewesen. Und die wenigen Freunde, die er je gehabt hatte, waren entweder tot, auf der Flucht oder in Askaban. Seltsam. Warum hatte Voldemort eigentlich noch nicht damit begonnen, die Gefangenen zu befreien? Genug Zeit hätte er dazu ja mittlerweile gehabt... Und was sollte er bloß mit Litigant anstellen? Der Mann ging ihm auf die Nerven. Florence und Severus hatten sich mit ihm öffentlich gestritten und der gute Flitwick war von seinem neuen Sitznachbar auch nicht gerade begeistert gewesen. Es würde wohl nur wenige Tage dauern, bis der kleine Professor darum bat, sich umsetzen zu dürfen. Florence hatte recht: ein Einzeltisch für Litigant war wohl doch das Beste... Selbst mit Lockhart waren sie irgendwie klar gekommen. Gut, Severus hatte sich im letzten Moment noch zusammen gerissen und den Schnösel nicht in die Luft gejagt sondern nur entwaffnet, aber im Fall Litigant könnte es durchaus zu ernsten Komplikationen kommen. Noch ahnte Dumbledore nicht, wie Recht er mit dieser Überlegung haben sollte.

"...Where two hearts become one, who could ask for anything more? Lovin one, who loves You..." Weiter kam die Sängerin in dem Lied nicht, ein arg gebeuteltes Kissen hatte die schwebende Musikkugel von ihrem Platz gerissen. "Okay, Mädel, reiß dich zusammen!" sagte Florence zu sich selbst und stand von dem Kissenberg, den sie Bett nannte, auf und suchte die Messingkugel. Sie seufzte tief und platzierte die Kugel wieder über dem Holzsockel auf ihrem Schreibtisch. Musik entspannte Flo sonst immer, aber Liebeslieder waren ihr im Moment ein echtes Greuel. Sie war schon fast eingeschlafen gewesen, als dieses Lied einen Wutanfall bei ihr auslöste. Sie versuchte es noch einmal und drehte die Kugel. Ein anderes Lied ertönte, der Text allerdings war noch schlimmer zu ertragen für sie: "This aching heart of me is singing, lover come back to me..." Florence schnaubte und drehte die Kugel erneut: "Good morning, heartache, You old loomy sight, good morning heartache, thought we said goodbye last night.." Hatte sich denn alles gegen sie verschworen? Sie hielt die Kugel an, zerrte das Kissen, daß sie geworfen hatte, hinter sich her und ging zurück ins Bett. Sie starrte das Kissen an und war kurz vorm Verzweifeln: es war DAS Kissen... das Severus - Kissen! Laut aufschluchzend pfefferte sie das Kissen in die Dunkelheit, bevor sie es wieder so malträtieren würde wie letzte Nacht. Gab es denn absolut kein Gegenmittel? Vielleicht sollte sie noch einmal nach unten gehen, in sein Büro und sich ihn genau ansehen: er hatte so viele Fehler, wenn sie sich diese nur immer wieder ins Gedächtnis zurückrufen würde, würde diese Obsession vielleicht enden...

"Herein..." sagte Severus Snape beiläufig, während er Florence' Aufzeichnungen zur Wurzel noch einmal zusammen faßte und leserlicher niederschrieb... ohne wirre Pfeile, Sternchen mit Anmerkungen und zwischen den Zeilen eingefügtes Gekritzel. "Entschuldigung, Sir..." Severus sah erstaunt auf und starrte seinen mitternächtlichen Besucher an: in der Tür stand der kleinste seiner Slytherin - Schützlinge, der erst neunjährige Kevin Rabanus. "Was tun Sie hier, Mr. Rabanus? Sollten Sie nicht in ihrem Bett liegen und schlafen?" Es war für Severus immer seltsam gewesen, Erstklässler mit Mr. oder Miß anzusprechen, aber in diesem Fall war es einfach nur lächerlich. Der Junge stand völlig verheult immer noch im Türrahmen, gekleidet nur mit einem Frottee - Schlafanzug mit Quidditch - Motiven, ohne Socken oder Schuhen an den Füßen, einen Teddybären unter den Arm geklemmt, zitternd vor Angst. "Das habe ich auch getan, Sir... Aber ich hatte einen schlimmen Traum..." sagte der Junge und eine neue Träne lief seine Wange hinab. Ein Alptraum! Das schlimmste, was so einem kleinen Kind im Normalfall geschehen konnte und die Eltern nicht in der Nähe... Verflucht! Warum hatte Albus den Kleinen bloß schon jetzt aufgenommen? Severus war zu dem weinenden Kind hinübergegangen und setzte sich vor ihm in die Hocke. Irgendwo mußte er doch noch ein Taschentuch in seinem Umhang versteckt haben... Kaum hatte er die Tränen getrocknet, fiel ihm Kevin um den Hals. "Ich will nicht mehr zurück in den Schlafsaal, die anderen Jungs sind immer so gemein zu mir!" sagte der Junge und ein neuerlicher Weinkrampf deutete sich an. Severus seufzte und nahm den Kleinen auf den Arm. Seine Füße mußten schon fast erfroren sein auf dem kalten Steinfußboden. Was sollte er jetzt bloß tun? Er konnte Kevin schlecht allein lassen, aber wenn er ihn schon wieder in seinem Bett schlafen ließ, wurde der Junge nie erwachsen. Und das war ja der Sinn von Internaten, oder nicht? Aber er war einfach noch zu klein, um ohne elterliche Fürsorge auszukommen. Severus mußte dringend mit Albus Dumbledore über ihn sprechen. Selbst wenn er hochbegabt war, konnte Dumbledore nicht von Severus erwarten, daß er den Ersatzvater machte. Außerdem würden die anderen Schüler sich vernachlässigt vorkommen, wenn er ständig Rücksicht auf Kevin nahm. Er trug den Jungen hinüber zu seinem Schreibtisch und setzte sich wieder, Kevin eingewickelt in seinem Umhang auf dem Schoß. "Vielleicht kannst du mir ja helfen, dieses Gekritzel zu entziffern, kleiner Mann! Vier Augen sehen mehr als zwei!" Severus lächelte den Kleinen an, der sich sofort neugierig über die zerknitterten Pergamente beugte. Kurze Zeit später war Kevin Rabanus eingeschlafen und kuschelte sich daumennuckelnd an Severus an. Draco Malfoy verließ seinen Beobachtungsposten hinter der spaltbreit geöffneten Bürotür und kehrte unbemerkt zurück in den Slytherinbereich. Wann war sein Vater jemals so zärtlich mit ihm umgegangen? Sicher, Lucius Malfoy war nicht so ein fürchterlicher Vater, wie es der von Severus in dessen Jugend gewesen war, aber Draco kannte Liebe und Anerkennung nur von seiner Mutter, sein Vater pflegte ihn nur mit Geschenken zu verwöhnen, nicht aber mit Aufmerksamkeit. Er hatte sich öfter in den letzten Jahren, seitdem er in Hogwarts war, bei dem Gedanken erwischt, daß er lieber der Sohn von Professor Snape gewesen wäre. Und dieser Erstklässler drängte sich nun zwischen ihn und sein großes Vorbild - Draco war eifersüchtig, er wollte seinen Lehrer nicht teilen! Wenn Professor Snape diese seltsam grünhaarige Fluglehrerin ihm vorzog, konnte Draco Malfoy das ja unter Umständen noch verstehen, aber der Erstklässler war zu viel für sein neidisches Herz.