Kapitel 15 - Illusionen von Molly

'Oha, das könnte länger dauern!' dachte Florence Farstalker und beobachtete Neville Longbottom's "Flugkünste" vom Boden aus. Sie hatte ihn dazu ermutigt, einige Runden um das Quidditchfeld zu fliegen, nachdem die Hausmannschaften ihr Training beendet hatten. Harry Potter war nach dem Training zurückgeblieben und beobachtete Neville's Nachhilfeunterricht ebenfalls vom Boden aus. Er schaute zu seiner Lehrerin hinüber und mußte grinsen: Madam Farstalker stand wie versteinert da und betrachtete Neville's Schlingerkurs mit kaum verhohlenem Entsetzen. 'Da hat sie sich ja echt was vorgenommen!' grinste Harry in sich hinein. Er hatte seine Gefühle der Lehrerin gegenüber immer noch nicht ordnen können. Sie war im Unterricht völlig in Ordnung und auch sonst grüßte sie immer nett, wenn sie sich auf den Korridoren begegneten. Aber sie war auch eine Freundin von Snape. Immerhin waren die beiden so gut befreundet, daß Snape gestern mitten in der Nacht in ihr Büro kam. Und sie mochte seinen Vater nicht, daß hatte sie selbst zugegeben. Aber Direktor Dumbledore hatte doch auch gesagt, daß sie nichts mit Voldemort zu tun hatte und gegen ihn war... Harry mochte sie auf eine Art, die er sich selbst nicht erklären konnte. Und er war immer noch mißtrauisch. Klein war sie. Trug immer nur hochgeschlossene schwarze Kleider und darüber einen weiten schwarzen Umhang, der hinter ihr genauso her flatterte, wie der von Snape. Sie war mindestens genauso blaß wie Snape und sie hatte tatsächlich grüne Haare. Grüne, widerspenstige Haare, auf dem Kopf zu einem wirren Knoten zusammengesteckt. Wenn diese Haare nicht gewesen wären, hätte man meinen können, Snape's kleine Schwester vor sich zu haben. Nur mit einer hübscheren Nase. Und einem netteren Wesen. "Mister Potter?" Harry zuckte zusammen. Er hatte überhaupt nicht mitbekommen, daß Madam Farstalker auf ihn zugekommen war. "Ja, Mam?" "Hätten Sie Lust, mit mir zusammen Mr. Longbottom ein bißchen Quidditch beizubringen?" Harry war verwirrt. "Wieso ich?" "Weil Sie es nicht geschafft haben, sich rechtzeitig vor mir in Sicherheit zu bringen und ich vermute, daß sich in der Kiste neben Ihnen die Trainingsbälle befinden, deshalb, Mr. Potter!" Madam Farstalker sah ihn fast flehend an und deutete auf die Quidditchkiste der Gryffindors, die neben ihm auf dem Boden lag. "Ich könnte natürlich auch die offiziellen Spielbälle holen, aber damit würde ich nur Zeit vertrödeln! Wären Sie zu einer Anfängerpartie bereit oder nicht?" Harry fühlte sich völlig überrannt und ein Blick in den Himmel versprach ihm nichts Gutes: Neville hatte sich gerade selbst bis zur Hälfte durch einen der Torringe befördert, das hieß, er hing bäuchlings im Tor, während der ungesteuerte Besen um ihn herum zischte. "Hilfe!" rief Neville und versuchte verzweifelt, seinen Besen wieder zu fassen zu bekommen, ohne aus dem Tor heraus zu rutschen und etliche Meter hinunter auf das Spielfeld zu stürzen. Madam Farstalker seufzte, zückte ihren Zauberstab und sprach einen Schwebezauber aus, der Neville langsam und sicher auf den Boden zurückbrachte, bevor sie "Accio!" rief und damit den Besen einfing. "Mr. Potter, ich brauche ihre Hilfe! Mr. Longbottom hat solche eine Angst vorm Fliegen, daß es sehr gut wäre, wenn er währenddessen beschäftigt würde. Zum Beispiel mit dem Fangen eines Quaffels! Helfen Sie mir nun oder nicht?" Harry nickte und suchte einen Quaffel aus der Kiste. "Und wie wollen wir spielen?" Madam Farstalker lächelte erleichtert und zog den zitternden und beschämten Neville näher heran. "Mr. Longbottom, Mr. Potter ist so freundlich, mit uns ein bißchen Ball zu spielen. Wir werden uns den Quaffel nur zuwerfen für den Anfang. Keine Angst, wir spielen nicht mit den Klatschern!" Die nächsten zwei Stunden verbrachten alle drei in der Luft und spielten Fangen mit dem Quaffel. Und Madam Farstalker hatte recht: nach kurzer Zeit war Neville so damit beschäftigt, auf den Ball zu achten, daß er fast vergaß, daß er sich mehrere Meter über dem Boden in der Luft befand. Als es Zeit zum Abendessen wurde, gaben Harry und Neville fast widerwillig ihr Spiel auf und folgten Madam Farstalker auf den Boden. "Gratuliere, Mr. Longbottom! Sie haben gerade ihre erste Trainingsstunde für Quidditch absolviert! Ohne Angst, ohne Unfälle und ohne große Schwierigkeiten!" Die Lehrerin lächelte und nahm Neville den Besen ab. Das stimmte, Neville war zwar kein Fliegeras, aber er war nicht allzu unsicher gewesen und sich bei weitem besser auf dem Besen gehalten, als jemals bisher in den letzten sechs Schuljahren. "Ich nehme an, daß Sie nächste Woche noch etwas weiter üben möchten, Mr. Longbottom?" Neville strahlte über das ganze Gesicht: "Aber natürlich, Mam! Könnte Harry nicht auch wieder dabei sein?" Madam Farstalker schaute kurz zu Harry hinüber und sagte: "Meinetwegen gern, aber das bleibt Mr. Potter überlassen!" Harry stand nun etwas unter Zugzwang: "Ich könnte auch Ron und Hermine fragen, ob sie mitmachen wollen, mit mehr Leuten macht es sicher noch mehr Spaß!" "Wir werden sehen, wer sich nächste Woche hier alles einfindet! Und nun sollten wir langsam zum Abendessen gehen, bevor man uns vermißt!" Madam Farstalker lächelte breit und schob die Schüler in Richtung Schloßgebäude.

Hühnchen! Wer war bloß so dämlich gewesen und hatte Hühnchen bestellt! Florence drehte sich der Magen um, als sie die Schüssel mit dem Hühnerfrikassee vor sich stehen sah. Severus schien davon ebenfalls nicht begeistert zu sein, auch Minerva McGonagall hatte sich für das heutige Abendessen auf Salat verlegt. "Du lebst ja noch! Hat Longbottom dich also heil gelassen, ja?" flüsterte Severus, als Florence nach der Salatschüssel griff. "Nicht nur das! Wir haben zwei wundervolle Stunden lang Ball gespielt und er selbst ist auch noch heil! Nimm doch etwas von dem Frikassee!" spöttelte Florence und jagte einem widerspenstigen Radieschen über den Tisch nach. Severus verzog das Gesicht und beendete die Gemüsejagd mit seiner Gabel. "Bitte sehr, ein Radieschen für die tapferste Fluglehrerin, die diese Schule jemals hatte! Fangen wir direkt nach dem Essen an zu arbeiten oder willst du dich erst ausruhen?" Florence zog das erstochene Gemüse mit den Fingern von Severus' Gabel ab und steckte es sich in den Mund. "Iff daffte, ffir ffreffen erfft mifft Ffifftiffant!" "Bitte sag das noch mal! Aber vergiß nicht, vorher noch etwas Gemüse in den Mund zu stecken, das macht deine Aussprache einfach unwiderstehlich!" Severus grinste und tat sich selbst Salat auf. "Affloff!" knurrte Florence und schluckte die Reste des Radieschens hinunter, "Ich meinte, wir sollten uns zuerst noch mit Litigant unterhalten! Wir schulden ihm immer noch eine Entschuldigung... auch wenn es mittlerweile wohl zu spät dafür ist. Aber unseren guten Willen sollten wir dennoch beweisen!" "Ich würde ihm viel lieber etwas anderes beweisen, außerdem habe ich keinen guten Willen, was ihn angeht!" "Und trotzdem! Du hast dich die ganzen letzten Tage drum gedrückt und ich will nicht mehr länger warten, ob du mitkommst oder nicht!" sagte sie bestimmt und schob die Schüssel mit dem Frikassee unauffällig etwas weiter zu Professor McGonagall hinüber. "Muß das sein?" maulte Severus und sezierte seinen Salat nach Farben. Alles was gelb oder grün war würde er liegenlassen, Tomaten, roten Paprika und Radieschen konnte er gerade noch hinunter würgen, aber damit war seine Toleranzgrenze rohes Gemüse betreffend auch schon erreicht.

"So so, Sie haben sich also doch noch entschlossen, mich um Verzeihung zu bitten..." höhnte Litigant und warf Severus einen abfälligen Blick zu. Florence hielt Severus am Ärmel fest, zum Einen, damit er sich nicht fluchtartig aus Litigant's Büro verdrücken konnte, zum anderen, damit sie ihn notfalls zurückhalten konnte, wenn sein Hass auf sein Gegenüber übermächtig wurde und er die Situation vielleicht noch verschlimmerte. Sie lächelte Litigant umwerfend falsch an: "Sie müssen verstehen, wir sind beide zutiefst betroffen, daß Sie uns so mißverstanden haben. Wir unterhalten uns untereinander fast nur so... spöttisch! Aber wir sind ja auch aus einer anderen Generation, vielleicht liegt es daran...?" Litigant zweifelte zu recht an Florence' Aufrichtigkeit und das Mienenspiel des Zaubertranklehrers an ihrer Seite zeigte keinerlei Reue, sondern nur kaum verhohlenen Hass. "Vielleicht gehe ich zu weit, aber ich möchte doch auch etwas von Professor Snape dazu hören..." Severus war kurz vorm Platzen. Dieser selbstgerechte Wichtigtuer! Dieser halbglatzige Widerling! Dieses Etwas mit Lehrauftrag, dieser.... "Ich war geradezu schockiert, als Direktor Dumbledore mich und Madam Farstalker darüber aufklärte, wie tief wir Sie doch getroffen haben mußten! Es war nie unsere Absicht gewesen, Sie in ihrer Würde zu verletzen!" Florence starrte Severus an, als hätte sie noch nie einen Menschen gesehen. Hatte er das gerade wirklich gesagt, so wohl formuliert und höflich? Bei allen Elementen, er würde jetzt doch nicht noch... doch, er tat es! Er lächelte Litigant zu... unschuldig wie ein Schuljunge! In seinen Augen blitzte es merkwürdig und sein Körper entspannte sich... Mit diesem Ausdruck im Gesicht hätte man ihn vor jedem Gericht der Welt selbst von der Erbsünde freigesprochen und zu einem Gott erklärt! Wo hatte er das nur gelernt? Litigant war mindestens so überrascht wie Florence und für den Bruchteil einer Sekunde schien ihm alles aus dem Gesicht zu fallen Dann jedoch straffte er sich und erklärte: "Nun denn, ich will mal nicht so sein, ich denke, wir werden noch eine Ebene der Zusammenarbeit finden... Jetzt, wo das geklärt ist! Möchten Sie beide vielleicht noch eine Tasse Tee mit mir trinken?" Bevor Florence etwas sagen konnte, kam ihr Severus, immer noch unschuldig lächelnd, zuvor: "Das müssen wir leider dankend ablehnen, so leid es uns tut! Es wird sich in der nächsten Zeit sicher noch mal die Gelegenheit dazu bieten, aber heute Abend müssen Madam Farstalker und ich noch etwas erledigen für Direktor Dumbledore... Sie entschuldigen doch?" Severus zog die völlig verblüffte Florence von ihrem Stuhl mit hoch, als er aufstand. Sie lächelte Litigant verstört an und wollte Severus zur Tür folgen, als Litigant fragte. "Ach ja... diese ominöse Forschungsarbeit, von der ich gehört habe... Um was handelt es sich denn dabei?" Florence blickte Severus nun panisch an: auf seiner Stirn hatten sich erste Schweißtropfen gebildet... lange würde seine bravourös gespielte Freundlichkeit nicht mehr aufrecht erhalten können. "Madam Farstalker hat auf ihren Reisen eine sehr interessante Pflanze entdeckt, die in bestimmten Regionen als eine Art Allheilmittel gilt. Wir versuchen nun, die speziellen Wirksamkeiten dieser Pflanze zu ermitteln, ebenso die Möglichkeiten, sie hierzulande zu kultivieren. Professor Sprout wird uns in nächster Zeit auch noch zur Hand gehen. Sobald wir die Unbedenklichkeit der Arbeit mit der Pflanze feststellen, werden wir den höheren Klassen im Rahmen des Kräuterkunde- und Zaubertrankunterrichts die Möglichkeit zu Halbjahresprojekten bieten. Aber Sie verstehen doch sicher, daß wir uns etwas ranhalten müssen, nicht war?" Hätte Florence Severus nicht schon seit 30 Jahren gekannt, hätte sie ihm diese Vorstellung ohne Bedenken abgenommen. Draußen auf dem Korridor fiel Severus' Maskerade fast hörbar von ihm ab. "Komm mit!" knurrte er und zog Florence mit sich mit, die immer noch nach Worten suchte. Sie setzte zum Sprechen an, aber Severus raunzte: "Wage es ja nicht, etwas zu fragen! Bete einfach nur, daß uns weder Potter noch Longbottom über den Weg laufen. Ich bin in genau der richtigen Stimmung, um einen Mord zu begehen!" "Du... du tust mir weh!" fauchte Florence, als sie schon fast die Treppen hinunter zum Verließ waren und riss sich aus seinem schraubstockartigen Griff los. Er schnaubte und blieb mitten auf der Treppe stehen, während Florence sich bemühte, etwas Blut in ihrem Arm durch Massieren zum Zirkulieren zu bekommen. Er blickte nun etwas betreten drein und zog sie sanft in seine Arme. "Es tut mir leid, hörst du? Ich habe gar nicht mitbekommen, daß ich dir weh tue... Ich vergesse immer, wie klein du bist!" Florence war wie betäubt, bevor sie Wut aufsteigen spürte. Für was hielt er sie eigentlich? Für ein zerbrechliches Porzellanpüppchen? "Ich bin nicht klein und zerbrechlich, ich bin es nur nicht gewohnt, durch die Gegend gezerrt zu werden!" Sie wand sich aus seiner Umarmung und fauchte: "Wenn du nur so etwas wie Manieren entwickeln kannst, wenn du dich bei jemandem entschuldigen mußt, dann kann ich auch auf deine Gesellschaft verzichten!" Sie rannte die Treppen wieder hoch und wollte in ihr Zimmer, doch Severus hatte sie schon nach ein paar Schritten eingeholt und versperrte ihr den Weg. Sie versuchte, an ihm vorbei zu gelangen, doch er stellte sich ihr immer wieder in den Weg. Schließlich schlug sie nach ihm und traf ihn ins Gesicht. Sekunden später spürte sie durch ihre rechte Faust einen heftigen Schmerz durchzucken: sie war gebrochen, genau wie seine Nase.

"Ich habe keine Ahnung, was Sie beide unter Spaß verstehen, aber an irgendetwas erinnert mich diese Angelegenheit schon..." Madam Pomfrey konnte sich das Grinsen nur schlecht verkneifen. Florence und Severus blickten sich an und begannen erst zu lächeln, bevor sie laut loslachten. Sie waren nun mittlerweile das dritte Mal gemeinsam in der Krankenabteilung, nachdem sie aneinander gerasselt waren. An ihrem ersten Schultag, nach ihrem ersten Quidditchspiel und nun heute Abend. Es dauerte nur ein paar Minuten, dann waren ihre Knochenbrüche geheilt, doch der Abend war gelaufen. Weder Severus noch Florence verspürten die geringste Lust, nun noch in das kalte und düstere Labor hinunter zu gehen und zu arbeiten. Außerdem hatten sie beide Hunger, der Salat vom Abendessen war doch nicht so reichhaltig gewesen. Florence ging direkt vom Krankenflügel in die Küche und schwatzte den Hauselfen etwas vernünftiges zu Essen ab, während Severus in seinem Büro ihre Unterlagen und seine Abschriften zusammen sammelte. Als er ihre Räume erreichte, brannten dort nur wenige Kerzen und das Kaminfeuer prasselte fröhlich vor sich hin. Es erschien ihm irgendwie mehr wie ein Rendezvous als alles andere. Auf dem kleinen Tisch bei der Sitzecke am Kamin war das erbeutete Essen aufgebaut, aber Florence war nirgendwo zu sehen. Auf der Rückseite der Tür meckerte Sir Cadogan immer noch vor sich und seine Unmutsäußerungen darüber, daß Florence "jedem Dahergelaufenem" das Paßwort gesagt hätte, waren direkt hinter der Tür noch gut zu verstehen. Severus schlug mit der Faust gegen die Tür und das Bild verstummte. "Flo?" Severus trat nun weiter in den Raum und suchte eine Ablagefläche für die Pergamente, die er mit sich herumschleppte. "Komme gleich!" kam es aus dem benachbarten Schlafzimmer und Severus ließ die Papiere mit einem Seufzen auf ihren völlig überfüllten Schreibtisch fallen. Neugierig schaute er sich um: sie hatte eine Menge merkwürdige Dinge in den letzten Jahren gesammelt auf ihren 'Reisen', wie sie ihren Schülern erzählte. Auf ihrer jahrelangen Flucht war zwar treffender, ging die Schüler aber nichts an. Und einige Kollegen auch nicht. "So, da bin ich!" Flo kam aus dem Nebenraum und hatte ein sauberes Kleid an. Im Laufe des Abends unterhielten sich Florence und Severus, als wäre es nie zu der Auseinandersetzung nach dem Gespräch mit Litigant gekommen. Sie arbeiteten für die nächsten Wochenenden einen Arbeitsplan aus, nach dem sie ihre Experimente aufbauen wollten, aßen nebenbei und irgendwann glitt ihr Gespräch ins Private ab. Severus erzählte von den langweiligen Jahren in Hogwarts und Florence berichtete von ihren 'Reisen' und den Hexen und Zauberern, die sie auf der ganzen Welt kennengelernt hatte. "... und dann fragte Dragomira: 'Aber was hat das eigentlich alles mit Joe zu tun?'" endete Flo ihre Anekdote über eine der letzten erfolgreichen Todesser - Verfolgungen, an denen sie für das kanadische Zaubereiministerium teilgenommen hatte. Sie lächelte verträumt, als sie an eben jenen Joe zurückdachte. Er war ein netter Auror in ihrem Alter und sie waren sich trotz der kurzen Zeit, in der sie zusammengearbeitet hatten, sehr nahe gekommen. Severus entging ihr Blick nicht, sagte aber nichts dazu. Was er in den letzten Stunden gehört hatte, waren aufregende und auch lustige Geschichten gewesen, die seinen Eindruck, den er von Flo's Aufzeichnungen schon gewonnen hatte, noch verstärkt hatten. Flo hatte nie wirklich gesagt, daß sie nur durch die Welt gehetzt war, teils als Gejagte, jedoch häufiger als er gedacht hatte als Jägerin, dennoch hatte er es zwischen den Zeilen heraus gehört. Severus erschien die Kluft, die sich zwischen ihnen in den letzten 15 Jahren aufgetan hatte, nun noch viel größer als vor ihrem heutigen Gespräch. Sie hatte so viel erlebt, während er an Dumbledore gekettet ein ruhiges und beschauliches Leben hinter den Schulmauern geführt hatte. "Es ist schon spät. Ich denke, ich sollte gehen, wenn wir morgen nach dem Frühstück anfangen wollen zu arbeiten..." sagte er und erhob sich aus dem Sessel, in dem er die letzten Stunden gesessen hatte. 'Außerdem muß ich nachdenken.' setzte er in Gedanken hinzu. Florence nickte und gähnte. Sie hätte ihn auch spätestens in einer halben Stunde hinaus komplimentiert. Als Severus gegangen war, verspürte sie eine seltsame Leere. Hatte sie ihn irgendwie verärgert? Er war zum Schluß so still gewesen... Nun, viel erzählt hatte er ja eigentlich noch nie, aber er schien sich während des Gesprächs verändert zu haben. Sie seufzte und ordnete noch die Papiere auf ihrem Schreibtisch. Dabei fiel ihr Blick auch auf seine Zusammenfassung ihrer wirren Notizen und sie setzte sich auf ihren Schreibtischstuhl. Seine Handschrift war so gestochen scharf und klar, so geordnet und doch kraftvoll und vorwärtsstrebend. Ihre hingegen war mal rund, mal spitz, undeutlich, verkringelt und überhaupt durch und durch unstrukturiert. Sie schaffte es nicht auch nur eine einzige Seite zu schreiben, ohne nicht mindestens eine zusätzliche Anmerkung an den Rand zu kritzeln. Sie hatten sich verändert, alle beide. Sie konnten miteinander arbeiten, weil sie dabei schon immer ihre völlig eigene Struktur hatten, und sie konnten sich wohl auch ohne weiteres wieder miteinander anfreunden, aber mehr? Nein. Es war Florence seit ihrer Ankunft in Hogwarts noch nie so deutlich gewesen, aber ihre Zeit war vorüber. Wer sagte noch: 'Nach der Liebe kommt die Freundschaft'? Florence wußte es nicht mehr. Sie war desillusioniert aber seltsamerweise nicht traurig. War die Leere, die sie spürte, etwa die Erleichterung darüber? Daß sie von den dramatischen Erinnerungen an ihre Liebe Abstand gewinnen und endlich vorwärts blicken konnte? Mit einem letzten Seufzer warf sie alle Papiere wieder ungeordnet auf ihren Schreibtisch und ging zu Bett. Aufräumen konnte sie auch morgen. Oder übermorgen. Sie hatte nun viel Zeit.

Severus hatte eine einsame Nacht hinter sich. Zum ersten Mal seit langem hatte er das Gefühl, nicht geträumt zu haben, weder Alpträume noch irgend etwas anderes. Auch er war desillusioniert, wollte es jedoch vor sich selbst nicht zugeben. Er hatte Florence so lang vermißt und nun, da sie zurück gekommen war, war alles anders als erwartet. Im Gegensatz zu Florence war er über diese Tatsache allerdings nicht erleichtert, sondern er litt still vor sich hin. Wo war eigentlich Draco Malfoy? Es war schon kurz nach neun an diesem Sonntag und sein sonst so pünktliches Weckkommando war noch nicht erschienen. Eigentlich hatte er Draco diese Woche überhaupt nur im Unterricht gesehen. Er war in dieser Woche noch nicht einmal in seinem Büro gewesen. Vielleicht hatte Florence recht gehabt und er hatte wirklich Probleme. Severus nahm sich vor, nach dem Frühstück mit ihm zu reden. Als er durch die Große Halle zum Lehrertisch ging, sah er den jungen Malfoy an seinem angestammten Platz, umgeben von seinen beiden Spießgesellen Crabbe und Goyle, sitzen. Severus hielt kurz am Slytherintisch und sprach Draco an: "Mr. Malfoy, wenn es Ihnen recht ist, würde ich mich nach dem Frühstück gern kurz mit Ihnen in meinem Büro unterhalten." Draco war überrascht: "Ja sicher, Sir!" Crabbe und Goyle schauten ihn mit ihrem üblichen intelligenzgeminderten Ausdrücken im Gesicht an. Er befürchtete schon, daß sie ihn nach dem Grund für diese ungewöhnliche Einladung von Professor Snape fragen würden, auf die er natürlich keine Antwort geben konnte. Also ließ er sich seine Überraschung nicht weiter anmerken und setzte ein "Na, endlich!" in die Welt, was ihn zumindest so erscheinen ließ, als hätte er, Draco, nur auf diese Einladung gewartet. Crabbe, Goyle und die anderen Slytherins in Hörweite waren damit beruhigt, Draco hatte immer irgendetwas mit ihrem Hauslehrer zu besprechen, immerhin war er ja Vertrauensschüler. Pansy Parkinson war zwar offizielle Schülersprecherin für Slytherin, aber es war kein Geheimnis, daß sie die Aufgaben, die ihr dieses Amt mitbrachten, gern auf Draco abwälzte. Und dem hatte das bisher nie Schwierigkeiten bereitet, immerhin hatte er dann ja noch mehr Gründe gehabt, bei Professor Snape im Büro aufzuschlagen. Immer noch verwundert folgte er Professor Snape und Madam Farstalker nach dem Frühstück in die Verliese, ließ es sich aber nicht anmerken. "Professor Snape, ich bräuchte noch Alaun für das erste Experiment." teilte Madam Farstalker mit und verließ das Büro sofort, nachdem Snape ihr das weiße Pulver gegeben hatte. Vor den Schülern duzten sich die Lehrer untereinander nie, auch wenn alle Schüler wußten, welche Lehrer miteinander befreundet waren und welche sich nicht ausstehen konnten. Draco fand das zwar relativ lächerlich, aber es schien wohl zu den üblichen Umgangsformen gehören, genauso wie schon Erstklässler nur mit dem Nachnamen von den Lehrern angesprochen wurden, was mindestens genauso absurd war. "Setzen Sie sich, Mr. Malfoy!" gebot Severus und setzte sich selbst in seinen Schreibtischsessel. Wie um alles in der Welt sollte er nur beginnen? 'Mr. Malfoy, mir ist aufgefallen, daß Sie mich die ganze Woche über nicht genervt haben...' Blödsinn. "Madam Farstalker hat mir berichtet, daß Sie sie am Dienstag angesprochen haben..." mal abwarten, was jetzt kam! "Ich wollte mich nur bei Madam Farstalker für mein unmögliches Betragen in der Woche zuvor entschuldigen. Ich habe über die Strenge geschlagen und wollte die Situation klären!" antwortete Draco prompt. "Und? Ist es Ihnen gelungen?" "Ja Sir, das ist es." Severus dachte kurz nach. Wie bekam er den Jungen dazu, mit dem eigentlichen Problem heraus zu rücken? "Madam Farstalker hatte allerdings den Eindruck, daß Sie noch etwas loswerden wollten, aber es nicht taten." Schweigen. "Und das stimmt auch mit meinen Beobachtungen Sie betreffend überein." Draco blickte nun skeptisch. Was für Beobachtungen? "Möchten Sie vielleicht mit mir darüber sprechen, Mr. Malfoy? Gibt es etwas, was ich für Sie tun kann?" Schweigen. Severus seufzte innerlich. "Haben Sie vielleicht schlechte Nachrichten von zu Haus erhalten?" Wenn Draco jetzt nicht antwortete, würde er es vorläufig dabei belassen. Noch mehr bedrängen wollte er ihn nicht. Der Junge blickte plötzlich zu Boden und in seinen Augen funkelte es seltsam. Draco hatte während der Sommerferien durchaus mitbekommen, daß es zwischen seinen Eltern bald zum Bruch kommen würde. Lucius Malfoy verbrachte mehr Zeit mit dem Dunklen Lord als zu Haus mit seiner Frau. Er hatte Angst davor, zu Weihnachten nach Malfoy Manor zu kommen und noch mehr Streit zu erleben. Er hatte sich dieses Jahr auch deswegen darauf gefreut, wieder nach Hogwarts zu kommen, seiner kleinen heilen Welt. Aber hier veränderten sich die Dinge nun auch. Sein großes Vorbild, Professor Snape war vollauf damit beschäftigt, Erstklässler zu hüten und mit einer neuen Lehrerin... ja, was eigentlich? Sie arbeiteten zusammen an irgendetwas, aber auch sonst waren sie oft zusammen zu sehen und gingen recht vertraut miteinander um. Es war sein letztes Jahr in der Schule und er hatte keinerlei Vorstellung davon, wie es weiter gehen sollte. Er war sich sicher, daß sein Vater ihn zu einem Todesser machen lassen wollte, doch Draco waren Zweifel gekommen an den Thesen, die sein Vater vertrat. Irgendwie schienen sie immer absurder zu werden. Und die Reinheit des Blutes... es gab in Hogwarts keine bessere Schülerin als die muggelstämmige Hermine Granger. Crabbe war 'reinblütig' und einer der schlechtesten Schüler. Auch Draco's Leistungen waren nur knapp über dem Durchschnitt. "Sir, ich habe in der Tat einige Probleme, auch zu Haus. Es gibt aber kaum etwas, was etwas daran ändern könnte." Severus war überrascht, daß Draco überhaupt irgendetwas gesagt hatte, aber nun wollte er den Faden nicht so einfach abreißen lassen: "Hm... Beginnen wir doch einfach damit, was ICH für Sie ändern könnte. Ich könnte zum Beispiel Miß Parkinson darauf aufmerksam machen, was eigentlich ihre Pflichten sind. Wenn Sie nicht ständig die Arbeit von ihrer Schulsprecherin mit übernehmen müßten, hätten Sie vielleicht etwas mehr Zeit zur Lösung Ihrer anderen Probleme..." Draco blickte Severus nun wieder direkt an: glaubte er etwa, jeden Morgen in seinem Büro aufzutauchen wäre eine Belastung für Draco? " Das ist sehr nett von Ihnen, Sir, aber die Arbeit macht mir Spaß und ist keine Belastung... Allerdings stehe ich vor einigen Problemen, was die diesjährigen Erstklässler angeht." "Welcher Art?" wollte der Lehrer wissen. "Ein Junge, Kevin Rabanus, Sie erinnern sich vielleicht... Er scheint mir... etwas problematisch..." Severus zog eine Augenbraue hoch: problematisch war jeder der siebzig Schüler in seinem Haus. Und er konnte sich immer an alle seine Schützlinge erinnern. Was war Draco denn nun an Kevin aufgefallen? "Ich erinnere mich sehr gut an Mr. Rabanus. Was für Probleme macht er Ihnen denn?" "Sir, er.. ist noch nicht so weit wie die anderen in seinem Jahrgang... Er hat Probleme, Freundschaften zu finden und hat oft Alpträume nachts.." Mit einem Seufzen beschloß Severus, Draco einzuweihen: "Das, Mr. Malfoy, liegt daran, daß Mr. Rabanus erst neun Jahre alt ist. Er ist anscheinend hochbegabt und wurde von Direktor Dumbledore deswegen früher aufgenommen. Ich habe auch meine Probleme mit ihm, da er sehr anhänglich ist." Draco war völlig überrascht, hörte aber schweigend weiter zu. "Ich muß Sie bitten, niemandem davon zu erzählen, Mr. Malfoy! Aber es könnte nicht schaden, wenn Sie sich vielleicht etwas um ihn bemühen würden, ich als Lehrer stehe vor dem Problem, alle meine Schüler gleich behandeln zu müssen..." Severus lächelte schräg und Draco mußte ebenfalls lächeln... Natürlich bevorzugte Severus die Slytherinschüler insgesamt vor allen anderen Schülern, aber er konnte innerhalb seines Hauses nur schwerlich jemand einzelnen gesondert behandeln, auch nicht wenn dieser Jemand erst neun Jahre alt war. "Das werde ich tun, Sir!" Draco strahlte nun über das ganze Gesicht. Sein Lieblingslehrer hatte ihn ins Vertrauen gezogen und damit sehr viel erklärt. Draco würde ihn nicht enttäuschen. Wenn er sich um Kevin Rabanus kümmerte, würde er in seiner Gunst vielleicht noch etwas steigen können... Und noch öfter in Professor Snape's Büro auftauchen...

"Autsch!" schrie Florence und zog ihre Hand zurück. Der Kessel mit ihrem Experiment hatte unvorhergesehen eine Spritzfontäne kochend heißen Wurzeltranks abgesondert und ihre Hand getroffen. "Wasch dir die Hand, ich hole Salbe..." Severus suchte in seinem Notfallschrank nach der Brandsalbe und nahm sich vor, noch vor der nächsten Stunde mit Neville Longbottom die Bestände wieder aufzufüllen, die Reihen leerten sich allmählich... "Ich möchte mal wissen, warum das Zeug jetzt schon wieder hochgegangen ist! Ich habe doch nur etwas Sativus dazu gegeben!" meckerte Florence und ließ sich die Hand mit Salbe einstreichen. "Auch, das müffelt hier so... Ich hatte schon gedacht, du hättest heute morgen vergessen zu duschen!" spöttelte Severus und versuchte nicht allzuviel von dem Übelkeit erregenden Gestank, der sich im Labor ausbreitete, einzuatmen. "Wirklich komisch, der Herr! Deine Witze stinken so wie dieses Zeug! Laß uns hier bloß schnell lüften, das hält ja keiner aus!" Nachdem sie die wenigen Fenster des Labors aufgerissen hatten, rannten beide auf den Gang hinaus und knallten die Tür hinter sich zu. "Äh, das sitzt auch in den Klamotten..." Florence riss sich den Umhang hinunter und bearbeitete ihn mit ihrem Zauberstab. Severus schnappte immer noch nach Luft. Ihm war viel zu schlecht, als daß er hätte denken können. Dankbar nahm er Florence' "Entlüftung" seiner Kleidung mittels Magie an und unterdrückte den Brechreiz. "Soviel dann zu der Theorie mit den üblichen Kräutern... Diese Wurzel verträgt sich wohl mit rein gar nichts, was sonst noch so wächst." konstatierte er, als er sich wieder halbwegs gefangen hatte. Wie konnte etwas nur so derartig stinken? Diese Wurzel in Neville Longbottom's Nähe zu bringen wäre gleichbedeutend mit dem Beginn der Apokalypse, dachte er und unterdrückte ein Lachen. Und er hatte Litigant vorgemacht, daß sie den Schülern die Wurzel zum Experimentieren überlassen wollten... Wenn dem wirklich so wäre, wäre Hogwarts bald nur noch ein großer Krater in der Landschaft... Ein großer, stinkender Krater! "Was lachst du?" fragte ihn Florence, "Ich will mitlachen!" "Och, nichts... Ich stellte mir nur gerade vor, was passieren würde, wenn zwanzig Schüler gerade zur gleichen Zeit dasselbe ausprobiert hätten, wie wir eben!" "Das kann ich dir sagen: Ich wäre auf der Stelle gestorben! Und halb Britannien wohl auch... Vielleicht ist das ja die ultimative Waffe gegen Voldemort! Wir sollten sein häßliches Gesicht nur einfach in diesen Kessel da drinnen stecken und dann ist es egal, ob er unsterblich ist, oder nicht! Das überlebt garantiert keiner!" "Gut, daß die Weasley - Zwillinge letztes Jahr abgegangen sind... Die hätten daraus die schlimmsten Stinkbomben der Welt gebastelt! Das riechen ja sogar Geister..." Geister! Peeves! Oh nein! Severus holte tief Luft und rannte zurück ins Labor. Wenn der Poltergeist davon etwas in die Nase bekam, würden sie ihres Lebens nicht mehr froh werden! Dieser Geist würde fortan täglich Gestankattacken gegen alle in Hogwarts starten, das Zeug mußte so schnell wie möglich entsorgt werden! "Ach du meine Güte! Was habt ihr denn hier fabriziert?" Albus Dumbledore stand in der Tür zum Labor und hielt sich die Nase zu. Florence schwang ihren Zauberstab und versuchte die Luft im Raum zu reinigen, während Severus eilig den Kessel auskippte. "Läßt sich wohl nicht so gut an, was?" fragte Albus und half beim Lüften. "Nicht wirklich!" Severus war schon wieder speiübel und er klammerte sich an das Waschbecken. Der Zufluß führte direkt in den See vor dem Schloß... Hoffentlich fing der nicht auch noch an zu stinken! "Ich wollte euch eigentlich zum Essen holen... Aber ich glaube, mir ist auch gerade der Appetit vergangen! Wie haltet ihr das bloß aus?" Dumbledore hatte nie besonderes Interesse für Zaubertränke aufgebracht, viele der wirksamsten Zaubertränke hatten recht eigentümliche Duftnoten... Aber nichts roch so, wie das hier! "Reine Willenskraft!" Florence war auch etwas grün um die Nase geworden, hielt sich aber tapferer als Severus, der sich gerade zu Boden gleiten ließ. "Abendessen... Lecker! Gibt es wieder Hühnchen?" fragte der Zaubertranklehrer und stand auf, um den Wasserhahn abzudrehen. Der Gestank hatte sich verzogen, aber die Erinnerung daran blieb. Er glaubte, in der gesamten nächsten Woche keinen Bissen runter zu bekommen. Draußen vor dem Schloß rumorte es im See und ein grünlich verfärbter Riesenkrake sprang urplötzlich aus dem Wasser ans Ufer und klammerte sich mit allen Tentakeln an einen nahen Baum. Wenn jemand diese Szene beobachtet hätte, besonders ein Muggel, er hätte gedacht, jetzt völlig zu spinnen. Und was war das für ein seltsamer Geruch?