Kapitel 24 - Erlösung von Molly
Langsam reichte es Severus Snape. Er unterrichte gerade wieder die Siebtklässler von Slytherin und Gryffindor, als er seinen Entschluß fällte. Fast sieben Jahre waren vergangen, seitdem er sich bemühte, Neville Longbottom zu einem Zauberer zu erziehen. Seit Beginn des Schuljahres hatte sich Florence Farstalker ebenfalls darum bemüht, etwas aus dem Jungen herauszulocken. Und sie schien Erfolg damit zu haben, zumindest teilweise. Severus wußte, daß Neville in den Nachhilfestunden bei ihr nicht halb so viel zerstörte, wie in dem regulären Unterricht sonst. Severus schwebte scheinbar zwischen den Tischen in dem Labor hindurch, immer wieder argwöhnisch in die blubbernden Kessel seiner Schüler schauend. Er hatte ihnen wie allen neuen Schülern zu Beginn ihrer Zeit in Hogwarts gesagt, daß Zaubertränke zu brauen ebenfalls Magie sei, auch wenn die meisten Hexen und Zauberer dies anders sahen. Wenn die Zutaten und die Art der Zubereitung stimmten, konnte jeder Trank die vorgesehene Aufgabe erfüllen. Aber es gab Unterschiede zwischen den Tränken, die ein Meister und ein einfacher Brauer zubereitet hatten. Es war nichts physikalisches, nichts meßbares, nichts, was in irgendeiner Form zu beschreiben war. Es war ein Gefühl, ein Gedanke, den jeder Meister seinen Tränken irgendwie zugab. Severus war so ein Meister, ebenfalls Florence. Bei Florence lag das vor allem daran, daß sie aufgrund ihrer Herkunft und Erziehung in ständigem unterbewußten Dialog mit allem um sie herum stand. Darum war sie auch auf fast allen Gebieten eine Meisterin. Normale Hexen und Zauberer wie Severus entwickelten häufig nur auf einem oder zwei Gebieten außerordentliche Fähigkeiten, wenn überhaupt. Bei Severus waren das die Zaubertränke und Flüche. Es hatte etwas mit einer gewissen Offenheit und Verletzbarkeit zu tun, gelungene Magie zu praktizieren. Neville Longbottom sperrte sich gegen alles. Er tat es nicht bewußt, er verzweifelte schier in seinem Bemühen, es besser hinzubekommen. Hermine Granger war wie ein Roboter: sie konnte alles, weil sie es genauso tat, wie es in den Büchern stand, aber ihre Seele verbarg sie, ließ sich nicht ein auf das Wechselspiel der Energien um sie herum. Und genau darum wollte Severus ihr jedesmal den Hals umdrehen, wenn er wieder einen dieser ewig langen und roboterhaften Aufsätze von ihr bekam. Mißtrauisch schaute er in ihren Kessel: alles war so, wie es sein sollte, aber das Gefühl fehlte. Schweren Herzens wendete er sich nun Neville Longbottom zu und seine Miene wurde noch finsterer, als sie sonst schon war. Er spürte etwas in der blubbernden Suppe vor ihm, etwas war da. Aber es war wieder alles falsch zusammengerührt. Wenn der Junge doch bloß einmal in seinem Leben alles behalten würde! "Mr. Longbottom, was haben Sie sich denn bei dieser Brühe gedacht?" raunzte er den zitternden Schüler an. 'Heute oder nie!' dachte er und atmete tief durch. "Sir, ich habe alles genau so getan, wie es im Buch stand!" verteidigte sich Neville zaghaft und seine Hände krallten sich in seinen Umhang, während er unmerklich zurückwich. "Nein, Mr. Longbottom, das taten Sie nicht! Sie haben zuwenig Distelsporen genommen, zuviel Teufelskralle und das Bienenblut fehlt völlig. Also, wo waren Sie mit Ihren Gedanken, als Sie diese Pampe zusammenrührten?" fragte Severus leise und bedrohlich zischend. Alle Aufmerksamkeit im Raum war dieser Szene im hinteren Bereich des Labors zugewandt und Neville zitterte und schwitzte, daß einem übel werden konnte. Die Verzweiflung, die er ausstrahlte war schon fast körperlich zu spüren. "Sir, es tut mir leid..." "Ich will nicht Ihre Entschuldigung, ich will wissen, wo sie mit Ihren Gedanken waren!" Severus sprach nun so leise, daß seine Worte kaum noch jemand außer Neville hören konnte und seine Blicke bohrten sich tief und schmerzhaft in die Seele des Jungen. Wahrscheinlich würde Neville eher weinend zusammenbrechen, als eine wirkliche Antwort geben, aber Severus war das mittlerweile egal. Noch bevor Neville überhaupt seinen Mund öffnen konnte, fuhr der Lehrer fort: "Ich wette, Sie haben an ihre Eltern gedacht, nicht wahr? Wie sie sabbernd und hin und her wippend auf ihren Betten sitzen und Löcher in die Luft starren..." Er sprach so leise, daß nun wirklich niemand außer Neville ihn hören konnte. Und nun beugte er sich vor und flüsterte in das Ohr des Jungen: "Genau das kann ich auch aus dir machen, mein Junge... Es tut weh, sehr weh, aber ich würde es nur zu gern tun.... Denn du bist jetzt schon nicht viel mehr als die Zombies, die du deine Eltern nennst..." Das war's. Neville Longbottom rastete völlig aus. Er stieß den viel größeren Lehrer angewidert von sich und brüllte: "Sie Monster! Sie haben nicht das Recht, irgendetwas über meine Eltern zu sagen! Ich bin ein viel besserer Zauberer, als Sie es jemals sein werden! Ich werde nie jemanden verletzen und diesen verdammten Trank kann ich auch brauen! Ich weiß es, Madam Farstalker hat es mir gesagt, Sie Widerling!" Ein Grinsen huschte über Severus' Gesicht: "Na, dann zeigen Sie es mir, Mr. Longbottom!" Erst starrte Neville ihn vor Wut rasend zitternd an, dann griff er blind in die Zutaten, die auf seinem Tisch standen und kippte sie in den Trank. Einige Schüler gingen sicherheitshalber in Deckung unter ihren Tischen oder schlichen sich unauffällig in Richtung Ausgang, doch Severus Snape blieb mit verschränkten Armen und triumphierender Miene hinter Neville stehen, der heftig in dem Kessel rührte und die Flammen darunter hochschlagen ließ. Hermine wollte eingreifen, doch Severus hielt sie mit einer schnellen Bewegung zurück und... "Wunderbar! Mr. Longbottom, das ist der beste Trank, den in den letzten 10 Jahren ein Schüler von mir zubereitet hat!" "W...was?" stammelte Neville und seine gesamte Wut war verflogen. Ungläubig starrte er seinen Lehrer an, als hätte er nicht richtig gehört. "Sie haben schon richtig verstanden. 50 Punkte für Gryffindor und noch eines, Mr. Longbottom: noch einmal sollten Sie nicht fast sieben Jahre damit vertrödeln, sich hinter ihrem Selbstmitleid zu verstecken! Ich erwarte Sie nach der Stunde in meinem Büro!" Severus grinste und Neville Longbottom kippte rückwärts auf den Boden. Alle anderen Schüler starrten die beiden Protagonisten der seltsamsten aller undenkbaren Szenen mit offenen Mündern an. Hermine war die erste, die sich wieder bewegte und sich zu Neville auf den Boden kniete, um den Bewußtlosen wieder zu erwecken. Severus drehte sich nun wieder der erstarrten Klasse zu und fuhr sie in dem gewohnten giftigen Ton an, endlich weiter zu machen, schließlich wäre noch lang nicht Pause.
Es war das Schulgespräch schlechthin. Severus Snape lobt Neville Longbottom, der einen Trank richtig zubereitet hatte. Mit Ausnahme der älteren Lehrer konnte oder wollte das niemand so recht glauben. Als Severus Snape sich an diesem Abend in die Große Halle zum Abendessen einfand, wurde es schlagartig still. Ungläubig wechselten die Blicke zwischen Severus und Neville, der sich schamerrötend unter dem Tisch zu verkriechen suchte, hin und her. Erst als Severus saß, kam wieder Bewegung und Gespräch in die Menge. "Du konntest es also nicht abwarten, ja?" flüsterte Florence ihm von der Seite zu und ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Severus schwieg und starrte den Eintopf vor sich an: einerseits wollte er sich zu ihr drehen und das Lob, das sie für ihn bereit hatte, genießen, doch andererseits hatte er sich gerade genug eingehämmert, daß er nichts von ihr wollte, in keinster Form. "Was ist das für eine Pampe?" knurrte er stattdessen und ließ die brockige Mahlzeit demonstrativ von seinem Löffel kleckern. "Lenk nicht ab, ich bin stolz auf dich!" flüsterte sie weiter und suchte unter dem Tischtuch verborgen seine Hand. Mit der Berührung war alles wieder zunichte, woran er seit fast drei Monaten gearbeitet hatte: es traf ihn wie ein Schlag: Kloß im Hals, glühende Ohren, Schmetterlinge im Bauch... "Du brauchst gar nicht so zu tun, als wärest du ein Monster. Ich kenne dich besser! Du bist ein Monster, und wenn ich noch etwas Zeit gehabt hätte, wäre mir das auch gelungen und das wußtest du, nicht wahr? Aber du wolltest den Sieg auf deine Art und er sei dir gegönnt!" Florence drückte kurz seine warme Hand und fuhr mit dem Essen fort. Severus Snape konnte nun erst recht nicht mehr essen. Der Kloß in seinem Hals schnürte seine Kehle zu sehr zu und das stolze und aufmunternde Grinsen der umsitzenden Lehrer machte es nicht besser. Hastig schnappte er sich ein Brotstück aus dem Korb und zerbröselte es über seinem Teller. Wenigstens war Remus so gütig, und sprach ihn nicht auch noch darauf an. Daß er allerdings breit grinste und provozierend mit den Augenbrauen zuckte, sobald Severus zu ihm hinüberblickte, war weniger gütig. Eher ärgerlich. 'Vielleicht sollte dir diese Woche einfach keinen Trank brauen, mein Freund!' dachte Severus und zog die übliche finstere Miene. Am nächsten Dienstag war wieder Vollmond. Und am Wochenende drauf war der Frühlingsball, den Albus Dumbledore angedroht hatte. Severus ahnte, daß sich Dumbledore etwas höchst widerwärtiges einfallen lassen würde, damit kein Lehrer den "Spaß" verpasste... Und wenn er sich vorher vom Astronomieturm stürzen würde? Nein, zur Zeit war Severus nicht so depressiv wie in den letzten Jahren seit Voldemort's Wiederauferstehung. Er hatte wieder eine echte Vertrauensposition im engsten Kreis um den Dunklen Lord bezogen, auch wenn außer Wurmschwanz und Lucius Malfoy keiner um seine Rückkehr wußte. Es ging ihm gut. Er genoß es sogar, für seinen Meister Tränke zu brauen und ihn in diversen Fragen zu beraten... Vielleicht eine Krankheit? Aber Poppy Pomfrey war eine gute Krankenhexe und sie kannte Severus schon fast sein ganzes Leben, wenn er vor diesem symbolträchtigen Ereignis plötzlich erkranken würde, wäre es denkbar, daß sie ihn trotzdem gesundschrieb... Aber vielleicht gelang es Florence ja, sich irgendwie dem Horror zu entziehen... Dann wäre Severus zumindest vor seiner größten Schwäche sicher. Mißmutig rührte er die Brotkrümel unter den schon kalt gewordenen Eintopf und bemerkte kaum, daß einige Lehrer bereits fertig waren und aufstanden... Er hatte solang seinen Gedanken nachgehangen, daß er bereits länger als die Anstandszeit sitzen geblieben war. Albus Dumbledore stellte sich hinter seinen Stuhl und flüsterte ihm zu: "Severus, in mein Büro, wenn ich bitten darf..."
"Es ist dir also gelungen, Neville Longbottom aus der Reserve zu locken, ja?", fragte Albus Dumbledore freundlich, nachdem Severus sich zu ihm an den Kamin im Büro des Direktors gesetzt hatte. Severus nickte nur und schwieg. Fawkes kam herüber geflattert und setzte sich auf die Schulter des Zaubertranklehrers, der automatisch begann, in den Taschen seines Umhangs nach Süßigkeiten zu suchen. "Es ist aber noch zu früh, unsere stille Reserve im St. Mungo zu wecken, das weißt du doch, oder?", fuhr Dumbledore fort, während Severus immer verzweifelter nach Keksen oder ähnlichem in seiner Kleidung fahndete. Der Phönix war von seiner Schulter herab gehüpft und saß nun auf der Sessellehne, den Kopf argwöhnisch zur Seite geneigt, Severus genau beobachtend. Seit er nicht mehr regelmäßig in das Büro des Direktors ging, um Bericht zu erstatten, füllte er auch nicht mehr die Süßigkeitenvorräte auf. "Tut mir leid, Fawkes, ich habe nichts für dich!", schloss Severus seine Suche ab und der Vogel blickte ihn mit blanken Augen an, als hätte er nicht verstanden. Dumbledore grinste verschmitzt in seinen Bart hinein, während er eine Schüssel mit Keksen aus dem Nichts beschwor. "Nimm einen von diesen, Severus. Verwandlungen waren noch nie wirklich deine Stärke, nicht wahr?" Severus schnaubte nur verächtlich, griff sich aber einen Keks aus der Schüssel und hielt ihn dem Phönix hin, der gierig danach schnappte. "Ich weiß, ich hätte noch warten sollen, aber der Junge macht mich einfach wahnsinnig! Und ich wußte schon immer, daß er es kann. Bei seinen Eltern ist so eine Minderbegabung, wie er sie seit diesem Vorfall mit seinen Eltern an den Tag legte, schlicht nicht möglich!" "Hmmm... Wir verdanken Frank Longbottom sehr viel, nicht wahr? Und es waren deine Schulfreunde, die Lestranges und die junge Barty Crouch, die damals diesen... - wie nanntest du es gerade? Vorfall? - inszeniert hatten. Du fühlst dich doch nicht etwa schuldig, oder?", fragte Dumbledore ernst und beobachtete Severus' Reaktionen genau. "Natürlich fühle ich mich schuldig. Ich wußte doch, wo sie standen und habe sie dennoch nicht verraten.", antwortete Severus leise. Eine Zeitlang schwiegen beide. Severus rührte sich nicht, aber in seinem Inneren tobte derselbe Kampf wie damals, als er von dem Anschlag auf die Longbottoms erfuhr. "Freundschaft ist etwas Seltsames, nicht wahr? Wenn man jemanden mag, neigt man dazu, ihn oder sie in Schutz zu nehmen, auch wenn sie im Unrecht sind und man es besser wissen müßte. Ich hatte mir auch gewünscht, daß sie sich nach Voldemorts Verschwinden ruhiger verhalten würden. Keiner von uns, auch ich nicht, ahnte damals, zu was sie fähig wären. Sie waren auch meine Schüler, Severus, auch ich sah sie in einem romantisch verklärten Licht, bis zu jenem Tag." Albus Dumbledore sprach leise und Severus hatte das Gefühl, daß sein Freund noch nie so alt und gebrochen geklungen hatte, wie gerade eben. Die Lestranges saßen noch immer in Askaban und harrten ihrer unvermeidlichen Befreiung durch Lord Voldemort, an den sie immer geglaubt hatten. "Wie steht es um Askaban?", fragte Severus. Albus sog tief die Atemluft ein, bevor er antwortete: "Es tut sich etwas. Alastor berichtete, die Dementoren wären zur Zeit sehr freudig erregt, als würden sie etwas kaum abwarten können. Ich nehme an, zu Ostern oder kurz darauf ist es soweit. Dann wird Askaban unter die Herrschaft Voldemort's fallen. Und dann ist es auch für St. Mungo soweit." Severus schwieg. Genau das war es, wozu er dem Dunklen Lord geraten hatte. Ostern nutzen, um Askaban zu erobern. Die Dementoren hungerten nach frischen Seelen, die ihnen Voldemort zuhauf besorgen konnte. Und während der Ostertage waren viele Auroren und andere Mitarbeiter des Ministeriums im Urlaub, so daß Lucius Malfoy eine gute Erklärung bereit hatte für die Öffentlichkeit. Es wären einfach zu wenig Mitarbeiter gewesen, um die Todesser und die Dementoren zu stoppen. Kein Versagen Malfoy's, nur ein ungünstiger Zeitpunkt. Und Malfoy hatte dafür gesorgt, daß die meisten Auroren, die ihm nicht bedingungslos folgten, obwohl er nun ihr Minister war, über Ostern frei haben würden. "Was ist mit Arthur Weasley?" "Der gute Arthur ist immer noch suspendiert wegen dieser Anzeige gegen ihn. Und dabei war es wirklich nicht sein Toaster, der da verzaubert war. Aber seit der Sache mit dem fliegenden Auto glaubt ihm niemand mehr. Arthur hat einfach zu oft an Dingen herum gezaubert, auch wenn er sich in den letzten drei Jahren gebessert hat. Und sein Sohn Percy ist wahrlich keine große Hilfe.", antwortete der Direktor niedergeschlagen. Sie alle wußten, was auf sie zukommen werden würde, als sie sich das letzte Mal getroffen hatten, aber im Moment sah es düster aus. Es konnte durchaus geschehen, daß einige der Schwächeren in den Reihen des Widerstands die Seiten wechselten, aus purer Verzweiflung. Darum war es wichtig, die Opfer der Todesser-Angriffe erst nach dem Fall von Askaban aus ihrer Starre zu erlösen. Als Lichtpunkt in dieser dunklen Zeit, kurz vor dem letzten Kampf. Albus Dumbledore und Severus Snape saßen noch lang an diesem Abend zusammen. Sie sprachen wenig, denn es gab nicht viel zu bereden, was sie nicht schon etliche Male beredet hatten.
"Und da wären wir also!" Remus Lupin lächelte einigen Schülern, die begierig auf die Öffnung der Türen zur Großen Halle warteten, zu. Alle hatten sich festlich herausgeputzt, selbst Ron und Ginny Weasley hatten zu diesem Anlass neue Festumhänge bekommen. Den Sirius - Hund hinter sich her zerrend betrat Remus die festlich geschmückte Halle durch eine Nebentür. Severus war von Albus Dumbledore nur mit einem Fluch aus seinem Büro zu jagen gewesen und bis zum Ende der Veranstaltung würde ein mißmutiger Ghoul davor Wache halten. Severus knurrte nur kurz auf die Begrüßung von Remus und ließ sich noch tiefer in seinen Stuhl am Lehrertisch gleiten. Sobald das Essen vorüber war und der erste Tanz des Frühlingsballes begann, würde man von Severus nur noch einen davoneilenden Schatten sehen, soviel stand für ihn fest. Es gab noch genügend Orte in Hogwarts, an denen sich Severus die Zeit bis Mitternacht vertreiben konnte, außerhalb seiner Räume. Kurz bevor die Türen für die Schüler geöffnet wurden, huschte auch Florence auf ihren Platz. Sie hatte es vor einigen Wochen gänzlich aufgegeben, ihre Haare hochzustecken oder anderweitig zu bändigen. Ein geflochtener Zopf war nun ihre übliche Frisur, die sie auch an diesem Abend wieder trug. Als einzige Zugeständnissen die Feierlichkeit hatte sie eine Efeuranke hinein geflochten und trug einen dunkelgrünen Umhang, nicht den üblichen Schwarzen. Florence mußte zwar nicht mit einem Fluch aus ihren Räumen vertrieben werden, aber einige Drohungen ihres Onkels und gutes Zureden von Remus, Sirius und Minerva McGonagall waren schon von Nöten gewesen. "Na, das kann ja was werden..." brummelte sie leise vor sich hin und bemühte sich redlich, sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen. Verkrampft grinsend verfolgte sie den Einzug der Schüler in die Große Halle, während sie unter dem Tisch die Fäuste ballte. Sirius knurrte leise und kassierte einen leichten Tritt von Remus, der sich köstlich amüsierte, während Albus Dumbledore begann, die Eröffnungsrede zu halten: "Liebe Schülerinnen und Schüler! Es ist schon fast Ewigkeiten her, seit in Hogwarts der Frühlingsball gefeiert wurde. Als die meisten Ihrer Eltern noch selbst hier zur Schule gingen, wurde mit dieser Tradition gebrochen, da viele glaubten, mit der damaligen Machtübernahme Lord Voldemorts wären die Zeiten für unbeschwertes Feiern vorüber. Nun steht der alte Feind erneut gerüstet da und ich sage: Jetzt erst recht! Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem wir Feiern sollten! Noch einmal werden wir uns nicht verstecken vor dem Bösen! Wir werden feiern und unsere Tage genießen, denn wir werden noch genug trauern und kämpfen müssen in der nächsten Zeit. Ja, Hogwarts wird sich erneut gegen den Dunklen Lord stellen! Selbst mit seinem letzten Angriff auf diese Schule ist es ihm nicht gelungen, die Schulmauern oder unseren freien Willen zu brechen! Wie damals wird Hogwarts jedem Asyl gewähren, der draußen verfolgt wird! Die Dunkelheit senkt sich über Britannien, aber in Hogwarts soll immer ein Licht brennen: das Licht der Freiheit und Freude! Und nun wollen wir feiern! Das Fest möge beginnen!" Der Direktor klatschte kurz in die Hände und ein umwerfendes Festmenü tauchte scheinbar aus dem Nichts hervor und ließ fast die kleinen Tische bersten, die für den heutigen Abend aufgebaut worden waren. "Das war eine gute Rede, Albus!" flüsterte Minerva McGonagall und beobachtete lächelnd die Gesichter der Schüler. Alle hatten sie sich herausgeputzt für diesen Ball und die Versicherung, daß Hogwarts sich energisch gegen die Einflußnahme Voldemorts stellte, ließ sie hoffen. Minerva's Blick schweifte von den Schülern zu den Lehrern und stockte: Severus Snape hatte gerötete Wangen und starrte auf das Tischtuch vor ihm, während Florence Farstalker kreideweiß geworden den Blick ins Nirgendwo gerichtet hatte. Remus Lupin war das Lächeln vergangen und er sah nun sehr ernst aus. "Severus, ich muß nachher mit dir reden!" hauchte Florence fast unhörbar und der Zaubertranklehrer nickte betreten. Ja, sie mußten reden. Albus hatte es ihnen zwischen den Zeilen gesagt: alle mußten nun zusammen arbeiten, es war keine Zeit, um sich hinter Eitelkeiten zu verstecken.
Die Abendluft war angenehm warm und es roch nach frisch gemähtem Gras, während die ersten Insekten des Jahres in der Luft schwirrten. Es hatte schon kältere Abende kurz vor Ostern gegeben, doch dieses Jahr war es schon sehr warm geworden. Steine, die von Innen heraus leuchteten säumten die Wege im Innenhof und tauchten alles in ein mildes Licht, als Severus Snape und Florence Farstalker sich von der Festgemeinschaft hierher zurück zogen. Ein unangenehmes Schweigen stand zwischen ihnen, bis Florence mit belegter Stimme begann: "Seit wann arbeitest du wieder für ihn?" Severus schwieg und blickte in die Nacht. Am Himmel zogen Wolken über die Sterne und den fast vollen Mond. Obwohl es für die Jahreszeit viel zu warm war, überlief ihn ein kalter Schauer. "Du brauchst nicht zu leugnen, ich weiß es." flüsterte sie und blickte in die selbe Richtung wie er, als könnte es dort etwas geben, das ihr seine Gedanken verrieten. "Eine ganze Weile." Seine Stimme klang rauh und er schluckte hart. Florence senkte den Blick und trat nun direkt vor Severus. "Wie geht es dir?" fragte sie und suchte seinen Blick, doch Severus wandte sich ab und ging langsam weiter. "Wie soll es mir schon gehen? Entweder ich tue, was er verlangt oder er verwandelt mich in ein Häuflein Asche. Keine große Auswahl, oder?" "Nein, das wohl nicht..." Florence ging neben ihm und hüllte sich fester in ihren Umhang. Schweigend gingen sie eine Weile weiter, bis sie fast am See angekommen waren. Dort hielt Severus an und blickte über das stille Wasser, in dem sich der Nachthimmel spiegelte. "Weißt du, was ich schon seit einer Ewigkeit von dir wissen möchte?" fragte er plötzlich unvermittelt und Florence blickte erstaunt zu ihm auf. "Nein... Was denn?" "Trägst du immer noch diesen kitschigen Anhänger oder war das im November Zufall?" "Der Anhänger ist nicht kitschig!" empörte sich Florence. "Doch, das ist er! Kitschig und nichtssagend!" Abrupt drehte sich Severus um und schlug den Weg zurück zum Schulgebäude ein. "ICH finde ihn nicht kitschig! Und mir sagt er eine ganze Menge!" fauchte Florence hinter ihm her, folgte ihm aber nicht. Severus ging noch ein paar Schritte, dann drehte er sich zu ihr um und in seinen Augen funkelte es bedrohlich: "Ach? Und was sagt dir diese Geschmacklosigkeit? 'Ich bin ein Relikt aus alten Zeiten, die nie wieder kommen'?" Wut stieg in ihr auf: "Nein! Der Anhänger bedeutet für mich... Ach, vergiß es!" Trotzig stapfte sie an Severus vorbei, der sie jedoch am Arm festhielt. "Was? Ich will es wissen! Oder war das nur ein Trick von deinem Onkel? Hast du ihn nur wieder hervor gekramt, weil er etwas vom Angriff vorher erfahren hatte?" Wut und Verzweiflung gingen in ihrem Schluchzen unter: "Ich trage ihn immer. Als Erinnerung an dich. Wie du warst. Was wir hatten... Aber es ist wohl wirklich nur ein Relikt." Mit Tränen in den Augen riß sie sich los und zerrte den Anhänger unter ihrem Kleid hervor. "Du kannst ihn wieder haben!" Sie zog und zerrte, doch die Kette riß nicht durch, während die Tränen über ihr blasses Gesicht liefen. Einem Impuls folgend legte Severus seine Arme um die verzweifelt mit der Kette kämpfenden Florence und beruhigte sie, indem er sie energisch an sich zog, während sie sich wand und schließlich aufgab. "Ich will ihn nicht. Ich denke so schon zu oft an früher. Und daran, wie ich plötzlich ohne dich dastand. Zweimal. Und wenn man dieses Weihnachten mitzählt, sogar dreimal." Vorsichtig wischte er ihr mit dem Ärmel die Tränen vom Gesicht. Immer noch schluchzend schaute sie hoch und genau in seine Augen: schwarz wie die Nacht waren sie, leer und traurig, ängstlich? "Es tut mir leid. Ich bin wirklich eine Katastrophe, nicht wahr?" "Hmm... Ja! Allerdings... wenn auch nur für mich..." "Ich wollte dir nicht weh tun... Aber ich weiß doch auch nicht, was ich will. Alles ist so schwierig und..." Erneut liefen dicke, heiße Tränen über ihr Gesicht und sie schmiegte sich zitternd an ihn. Eine Weile standen sie so da: Arm in Arm, während Florence immer weiter weinte. Severus starrte über den See in die Nacht und ein Sturm von Gefühlen brach über ihn hinein. Angst vor der Zukunft, Wut über die verlorenen Jahre - Voldemort - Malfoy, Trauer, Verzweiflung, Schmerz, Hoffnung... Als Florence wieder aufblickte, sah sie eine Träne über sein Gesicht laufen: die erste, die er seit seiner Kindheit vergoß... Der erste Kuß an diesem Abend war zurückhaltend und scheu, schmeckte nach Tränen und Verzweiflung. Der zweite war wie Feuer...
Langsam reichte es Severus Snape. Er unterrichte gerade wieder die Siebtklässler von Slytherin und Gryffindor, als er seinen Entschluß fällte. Fast sieben Jahre waren vergangen, seitdem er sich bemühte, Neville Longbottom zu einem Zauberer zu erziehen. Seit Beginn des Schuljahres hatte sich Florence Farstalker ebenfalls darum bemüht, etwas aus dem Jungen herauszulocken. Und sie schien Erfolg damit zu haben, zumindest teilweise. Severus wußte, daß Neville in den Nachhilfestunden bei ihr nicht halb so viel zerstörte, wie in dem regulären Unterricht sonst. Severus schwebte scheinbar zwischen den Tischen in dem Labor hindurch, immer wieder argwöhnisch in die blubbernden Kessel seiner Schüler schauend. Er hatte ihnen wie allen neuen Schülern zu Beginn ihrer Zeit in Hogwarts gesagt, daß Zaubertränke zu brauen ebenfalls Magie sei, auch wenn die meisten Hexen und Zauberer dies anders sahen. Wenn die Zutaten und die Art der Zubereitung stimmten, konnte jeder Trank die vorgesehene Aufgabe erfüllen. Aber es gab Unterschiede zwischen den Tränken, die ein Meister und ein einfacher Brauer zubereitet hatten. Es war nichts physikalisches, nichts meßbares, nichts, was in irgendeiner Form zu beschreiben war. Es war ein Gefühl, ein Gedanke, den jeder Meister seinen Tränken irgendwie zugab. Severus war so ein Meister, ebenfalls Florence. Bei Florence lag das vor allem daran, daß sie aufgrund ihrer Herkunft und Erziehung in ständigem unterbewußten Dialog mit allem um sie herum stand. Darum war sie auch auf fast allen Gebieten eine Meisterin. Normale Hexen und Zauberer wie Severus entwickelten häufig nur auf einem oder zwei Gebieten außerordentliche Fähigkeiten, wenn überhaupt. Bei Severus waren das die Zaubertränke und Flüche. Es hatte etwas mit einer gewissen Offenheit und Verletzbarkeit zu tun, gelungene Magie zu praktizieren. Neville Longbottom sperrte sich gegen alles. Er tat es nicht bewußt, er verzweifelte schier in seinem Bemühen, es besser hinzubekommen. Hermine Granger war wie ein Roboter: sie konnte alles, weil sie es genauso tat, wie es in den Büchern stand, aber ihre Seele verbarg sie, ließ sich nicht ein auf das Wechselspiel der Energien um sie herum. Und genau darum wollte Severus ihr jedesmal den Hals umdrehen, wenn er wieder einen dieser ewig langen und roboterhaften Aufsätze von ihr bekam. Mißtrauisch schaute er in ihren Kessel: alles war so, wie es sein sollte, aber das Gefühl fehlte. Schweren Herzens wendete er sich nun Neville Longbottom zu und seine Miene wurde noch finsterer, als sie sonst schon war. Er spürte etwas in der blubbernden Suppe vor ihm, etwas war da. Aber es war wieder alles falsch zusammengerührt. Wenn der Junge doch bloß einmal in seinem Leben alles behalten würde! "Mr. Longbottom, was haben Sie sich denn bei dieser Brühe gedacht?" raunzte er den zitternden Schüler an. 'Heute oder nie!' dachte er und atmete tief durch. "Sir, ich habe alles genau so getan, wie es im Buch stand!" verteidigte sich Neville zaghaft und seine Hände krallten sich in seinen Umhang, während er unmerklich zurückwich. "Nein, Mr. Longbottom, das taten Sie nicht! Sie haben zuwenig Distelsporen genommen, zuviel Teufelskralle und das Bienenblut fehlt völlig. Also, wo waren Sie mit Ihren Gedanken, als Sie diese Pampe zusammenrührten?" fragte Severus leise und bedrohlich zischend. Alle Aufmerksamkeit im Raum war dieser Szene im hinteren Bereich des Labors zugewandt und Neville zitterte und schwitzte, daß einem übel werden konnte. Die Verzweiflung, die er ausstrahlte war schon fast körperlich zu spüren. "Sir, es tut mir leid..." "Ich will nicht Ihre Entschuldigung, ich will wissen, wo sie mit Ihren Gedanken waren!" Severus sprach nun so leise, daß seine Worte kaum noch jemand außer Neville hören konnte und seine Blicke bohrten sich tief und schmerzhaft in die Seele des Jungen. Wahrscheinlich würde Neville eher weinend zusammenbrechen, als eine wirkliche Antwort geben, aber Severus war das mittlerweile egal. Noch bevor Neville überhaupt seinen Mund öffnen konnte, fuhr der Lehrer fort: "Ich wette, Sie haben an ihre Eltern gedacht, nicht wahr? Wie sie sabbernd und hin und her wippend auf ihren Betten sitzen und Löcher in die Luft starren..." Er sprach so leise, daß nun wirklich niemand außer Neville ihn hören konnte. Und nun beugte er sich vor und flüsterte in das Ohr des Jungen: "Genau das kann ich auch aus dir machen, mein Junge... Es tut weh, sehr weh, aber ich würde es nur zu gern tun.... Denn du bist jetzt schon nicht viel mehr als die Zombies, die du deine Eltern nennst..." Das war's. Neville Longbottom rastete völlig aus. Er stieß den viel größeren Lehrer angewidert von sich und brüllte: "Sie Monster! Sie haben nicht das Recht, irgendetwas über meine Eltern zu sagen! Ich bin ein viel besserer Zauberer, als Sie es jemals sein werden! Ich werde nie jemanden verletzen und diesen verdammten Trank kann ich auch brauen! Ich weiß es, Madam Farstalker hat es mir gesagt, Sie Widerling!" Ein Grinsen huschte über Severus' Gesicht: "Na, dann zeigen Sie es mir, Mr. Longbottom!" Erst starrte Neville ihn vor Wut rasend zitternd an, dann griff er blind in die Zutaten, die auf seinem Tisch standen und kippte sie in den Trank. Einige Schüler gingen sicherheitshalber in Deckung unter ihren Tischen oder schlichen sich unauffällig in Richtung Ausgang, doch Severus Snape blieb mit verschränkten Armen und triumphierender Miene hinter Neville stehen, der heftig in dem Kessel rührte und die Flammen darunter hochschlagen ließ. Hermine wollte eingreifen, doch Severus hielt sie mit einer schnellen Bewegung zurück und... "Wunderbar! Mr. Longbottom, das ist der beste Trank, den in den letzten 10 Jahren ein Schüler von mir zubereitet hat!" "W...was?" stammelte Neville und seine gesamte Wut war verflogen. Ungläubig starrte er seinen Lehrer an, als hätte er nicht richtig gehört. "Sie haben schon richtig verstanden. 50 Punkte für Gryffindor und noch eines, Mr. Longbottom: noch einmal sollten Sie nicht fast sieben Jahre damit vertrödeln, sich hinter ihrem Selbstmitleid zu verstecken! Ich erwarte Sie nach der Stunde in meinem Büro!" Severus grinste und Neville Longbottom kippte rückwärts auf den Boden. Alle anderen Schüler starrten die beiden Protagonisten der seltsamsten aller undenkbaren Szenen mit offenen Mündern an. Hermine war die erste, die sich wieder bewegte und sich zu Neville auf den Boden kniete, um den Bewußtlosen wieder zu erwecken. Severus drehte sich nun wieder der erstarrten Klasse zu und fuhr sie in dem gewohnten giftigen Ton an, endlich weiter zu machen, schließlich wäre noch lang nicht Pause.
Es war das Schulgespräch schlechthin. Severus Snape lobt Neville Longbottom, der einen Trank richtig zubereitet hatte. Mit Ausnahme der älteren Lehrer konnte oder wollte das niemand so recht glauben. Als Severus Snape sich an diesem Abend in die Große Halle zum Abendessen einfand, wurde es schlagartig still. Ungläubig wechselten die Blicke zwischen Severus und Neville, der sich schamerrötend unter dem Tisch zu verkriechen suchte, hin und her. Erst als Severus saß, kam wieder Bewegung und Gespräch in die Menge. "Du konntest es also nicht abwarten, ja?" flüsterte Florence ihm von der Seite zu und ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Severus schwieg und starrte den Eintopf vor sich an: einerseits wollte er sich zu ihr drehen und das Lob, das sie für ihn bereit hatte, genießen, doch andererseits hatte er sich gerade genug eingehämmert, daß er nichts von ihr wollte, in keinster Form. "Was ist das für eine Pampe?" knurrte er stattdessen und ließ die brockige Mahlzeit demonstrativ von seinem Löffel kleckern. "Lenk nicht ab, ich bin stolz auf dich!" flüsterte sie weiter und suchte unter dem Tischtuch verborgen seine Hand. Mit der Berührung war alles wieder zunichte, woran er seit fast drei Monaten gearbeitet hatte: es traf ihn wie ein Schlag: Kloß im Hals, glühende Ohren, Schmetterlinge im Bauch... "Du brauchst gar nicht so zu tun, als wärest du ein Monster. Ich kenne dich besser! Du bist ein Monster, und wenn ich noch etwas Zeit gehabt hätte, wäre mir das auch gelungen und das wußtest du, nicht wahr? Aber du wolltest den Sieg auf deine Art und er sei dir gegönnt!" Florence drückte kurz seine warme Hand und fuhr mit dem Essen fort. Severus Snape konnte nun erst recht nicht mehr essen. Der Kloß in seinem Hals schnürte seine Kehle zu sehr zu und das stolze und aufmunternde Grinsen der umsitzenden Lehrer machte es nicht besser. Hastig schnappte er sich ein Brotstück aus dem Korb und zerbröselte es über seinem Teller. Wenigstens war Remus so gütig, und sprach ihn nicht auch noch darauf an. Daß er allerdings breit grinste und provozierend mit den Augenbrauen zuckte, sobald Severus zu ihm hinüberblickte, war weniger gütig. Eher ärgerlich. 'Vielleicht sollte dir diese Woche einfach keinen Trank brauen, mein Freund!' dachte Severus und zog die übliche finstere Miene. Am nächsten Dienstag war wieder Vollmond. Und am Wochenende drauf war der Frühlingsball, den Albus Dumbledore angedroht hatte. Severus ahnte, daß sich Dumbledore etwas höchst widerwärtiges einfallen lassen würde, damit kein Lehrer den "Spaß" verpasste... Und wenn er sich vorher vom Astronomieturm stürzen würde? Nein, zur Zeit war Severus nicht so depressiv wie in den letzten Jahren seit Voldemort's Wiederauferstehung. Er hatte wieder eine echte Vertrauensposition im engsten Kreis um den Dunklen Lord bezogen, auch wenn außer Wurmschwanz und Lucius Malfoy keiner um seine Rückkehr wußte. Es ging ihm gut. Er genoß es sogar, für seinen Meister Tränke zu brauen und ihn in diversen Fragen zu beraten... Vielleicht eine Krankheit? Aber Poppy Pomfrey war eine gute Krankenhexe und sie kannte Severus schon fast sein ganzes Leben, wenn er vor diesem symbolträchtigen Ereignis plötzlich erkranken würde, wäre es denkbar, daß sie ihn trotzdem gesundschrieb... Aber vielleicht gelang es Florence ja, sich irgendwie dem Horror zu entziehen... Dann wäre Severus zumindest vor seiner größten Schwäche sicher. Mißmutig rührte er die Brotkrümel unter den schon kalt gewordenen Eintopf und bemerkte kaum, daß einige Lehrer bereits fertig waren und aufstanden... Er hatte solang seinen Gedanken nachgehangen, daß er bereits länger als die Anstandszeit sitzen geblieben war. Albus Dumbledore stellte sich hinter seinen Stuhl und flüsterte ihm zu: "Severus, in mein Büro, wenn ich bitten darf..."
"Es ist dir also gelungen, Neville Longbottom aus der Reserve zu locken, ja?", fragte Albus Dumbledore freundlich, nachdem Severus sich zu ihm an den Kamin im Büro des Direktors gesetzt hatte. Severus nickte nur und schwieg. Fawkes kam herüber geflattert und setzte sich auf die Schulter des Zaubertranklehrers, der automatisch begann, in den Taschen seines Umhangs nach Süßigkeiten zu suchen. "Es ist aber noch zu früh, unsere stille Reserve im St. Mungo zu wecken, das weißt du doch, oder?", fuhr Dumbledore fort, während Severus immer verzweifelter nach Keksen oder ähnlichem in seiner Kleidung fahndete. Der Phönix war von seiner Schulter herab gehüpft und saß nun auf der Sessellehne, den Kopf argwöhnisch zur Seite geneigt, Severus genau beobachtend. Seit er nicht mehr regelmäßig in das Büro des Direktors ging, um Bericht zu erstatten, füllte er auch nicht mehr die Süßigkeitenvorräte auf. "Tut mir leid, Fawkes, ich habe nichts für dich!", schloss Severus seine Suche ab und der Vogel blickte ihn mit blanken Augen an, als hätte er nicht verstanden. Dumbledore grinste verschmitzt in seinen Bart hinein, während er eine Schüssel mit Keksen aus dem Nichts beschwor. "Nimm einen von diesen, Severus. Verwandlungen waren noch nie wirklich deine Stärke, nicht wahr?" Severus schnaubte nur verächtlich, griff sich aber einen Keks aus der Schüssel und hielt ihn dem Phönix hin, der gierig danach schnappte. "Ich weiß, ich hätte noch warten sollen, aber der Junge macht mich einfach wahnsinnig! Und ich wußte schon immer, daß er es kann. Bei seinen Eltern ist so eine Minderbegabung, wie er sie seit diesem Vorfall mit seinen Eltern an den Tag legte, schlicht nicht möglich!" "Hmmm... Wir verdanken Frank Longbottom sehr viel, nicht wahr? Und es waren deine Schulfreunde, die Lestranges und die junge Barty Crouch, die damals diesen... - wie nanntest du es gerade? Vorfall? - inszeniert hatten. Du fühlst dich doch nicht etwa schuldig, oder?", fragte Dumbledore ernst und beobachtete Severus' Reaktionen genau. "Natürlich fühle ich mich schuldig. Ich wußte doch, wo sie standen und habe sie dennoch nicht verraten.", antwortete Severus leise. Eine Zeitlang schwiegen beide. Severus rührte sich nicht, aber in seinem Inneren tobte derselbe Kampf wie damals, als er von dem Anschlag auf die Longbottoms erfuhr. "Freundschaft ist etwas Seltsames, nicht wahr? Wenn man jemanden mag, neigt man dazu, ihn oder sie in Schutz zu nehmen, auch wenn sie im Unrecht sind und man es besser wissen müßte. Ich hatte mir auch gewünscht, daß sie sich nach Voldemorts Verschwinden ruhiger verhalten würden. Keiner von uns, auch ich nicht, ahnte damals, zu was sie fähig wären. Sie waren auch meine Schüler, Severus, auch ich sah sie in einem romantisch verklärten Licht, bis zu jenem Tag." Albus Dumbledore sprach leise und Severus hatte das Gefühl, daß sein Freund noch nie so alt und gebrochen geklungen hatte, wie gerade eben. Die Lestranges saßen noch immer in Askaban und harrten ihrer unvermeidlichen Befreiung durch Lord Voldemort, an den sie immer geglaubt hatten. "Wie steht es um Askaban?", fragte Severus. Albus sog tief die Atemluft ein, bevor er antwortete: "Es tut sich etwas. Alastor berichtete, die Dementoren wären zur Zeit sehr freudig erregt, als würden sie etwas kaum abwarten können. Ich nehme an, zu Ostern oder kurz darauf ist es soweit. Dann wird Askaban unter die Herrschaft Voldemort's fallen. Und dann ist es auch für St. Mungo soweit." Severus schwieg. Genau das war es, wozu er dem Dunklen Lord geraten hatte. Ostern nutzen, um Askaban zu erobern. Die Dementoren hungerten nach frischen Seelen, die ihnen Voldemort zuhauf besorgen konnte. Und während der Ostertage waren viele Auroren und andere Mitarbeiter des Ministeriums im Urlaub, so daß Lucius Malfoy eine gute Erklärung bereit hatte für die Öffentlichkeit. Es wären einfach zu wenig Mitarbeiter gewesen, um die Todesser und die Dementoren zu stoppen. Kein Versagen Malfoy's, nur ein ungünstiger Zeitpunkt. Und Malfoy hatte dafür gesorgt, daß die meisten Auroren, die ihm nicht bedingungslos folgten, obwohl er nun ihr Minister war, über Ostern frei haben würden. "Was ist mit Arthur Weasley?" "Der gute Arthur ist immer noch suspendiert wegen dieser Anzeige gegen ihn. Und dabei war es wirklich nicht sein Toaster, der da verzaubert war. Aber seit der Sache mit dem fliegenden Auto glaubt ihm niemand mehr. Arthur hat einfach zu oft an Dingen herum gezaubert, auch wenn er sich in den letzten drei Jahren gebessert hat. Und sein Sohn Percy ist wahrlich keine große Hilfe.", antwortete der Direktor niedergeschlagen. Sie alle wußten, was auf sie zukommen werden würde, als sie sich das letzte Mal getroffen hatten, aber im Moment sah es düster aus. Es konnte durchaus geschehen, daß einige der Schwächeren in den Reihen des Widerstands die Seiten wechselten, aus purer Verzweiflung. Darum war es wichtig, die Opfer der Todesser-Angriffe erst nach dem Fall von Askaban aus ihrer Starre zu erlösen. Als Lichtpunkt in dieser dunklen Zeit, kurz vor dem letzten Kampf. Albus Dumbledore und Severus Snape saßen noch lang an diesem Abend zusammen. Sie sprachen wenig, denn es gab nicht viel zu bereden, was sie nicht schon etliche Male beredet hatten.
"Und da wären wir also!" Remus Lupin lächelte einigen Schülern, die begierig auf die Öffnung der Türen zur Großen Halle warteten, zu. Alle hatten sich festlich herausgeputzt, selbst Ron und Ginny Weasley hatten zu diesem Anlass neue Festumhänge bekommen. Den Sirius - Hund hinter sich her zerrend betrat Remus die festlich geschmückte Halle durch eine Nebentür. Severus war von Albus Dumbledore nur mit einem Fluch aus seinem Büro zu jagen gewesen und bis zum Ende der Veranstaltung würde ein mißmutiger Ghoul davor Wache halten. Severus knurrte nur kurz auf die Begrüßung von Remus und ließ sich noch tiefer in seinen Stuhl am Lehrertisch gleiten. Sobald das Essen vorüber war und der erste Tanz des Frühlingsballes begann, würde man von Severus nur noch einen davoneilenden Schatten sehen, soviel stand für ihn fest. Es gab noch genügend Orte in Hogwarts, an denen sich Severus die Zeit bis Mitternacht vertreiben konnte, außerhalb seiner Räume. Kurz bevor die Türen für die Schüler geöffnet wurden, huschte auch Florence auf ihren Platz. Sie hatte es vor einigen Wochen gänzlich aufgegeben, ihre Haare hochzustecken oder anderweitig zu bändigen. Ein geflochtener Zopf war nun ihre übliche Frisur, die sie auch an diesem Abend wieder trug. Als einzige Zugeständnissen die Feierlichkeit hatte sie eine Efeuranke hinein geflochten und trug einen dunkelgrünen Umhang, nicht den üblichen Schwarzen. Florence mußte zwar nicht mit einem Fluch aus ihren Räumen vertrieben werden, aber einige Drohungen ihres Onkels und gutes Zureden von Remus, Sirius und Minerva McGonagall waren schon von Nöten gewesen. "Na, das kann ja was werden..." brummelte sie leise vor sich hin und bemühte sich redlich, sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen. Verkrampft grinsend verfolgte sie den Einzug der Schüler in die Große Halle, während sie unter dem Tisch die Fäuste ballte. Sirius knurrte leise und kassierte einen leichten Tritt von Remus, der sich köstlich amüsierte, während Albus Dumbledore begann, die Eröffnungsrede zu halten: "Liebe Schülerinnen und Schüler! Es ist schon fast Ewigkeiten her, seit in Hogwarts der Frühlingsball gefeiert wurde. Als die meisten Ihrer Eltern noch selbst hier zur Schule gingen, wurde mit dieser Tradition gebrochen, da viele glaubten, mit der damaligen Machtübernahme Lord Voldemorts wären die Zeiten für unbeschwertes Feiern vorüber. Nun steht der alte Feind erneut gerüstet da und ich sage: Jetzt erst recht! Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem wir Feiern sollten! Noch einmal werden wir uns nicht verstecken vor dem Bösen! Wir werden feiern und unsere Tage genießen, denn wir werden noch genug trauern und kämpfen müssen in der nächsten Zeit. Ja, Hogwarts wird sich erneut gegen den Dunklen Lord stellen! Selbst mit seinem letzten Angriff auf diese Schule ist es ihm nicht gelungen, die Schulmauern oder unseren freien Willen zu brechen! Wie damals wird Hogwarts jedem Asyl gewähren, der draußen verfolgt wird! Die Dunkelheit senkt sich über Britannien, aber in Hogwarts soll immer ein Licht brennen: das Licht der Freiheit und Freude! Und nun wollen wir feiern! Das Fest möge beginnen!" Der Direktor klatschte kurz in die Hände und ein umwerfendes Festmenü tauchte scheinbar aus dem Nichts hervor und ließ fast die kleinen Tische bersten, die für den heutigen Abend aufgebaut worden waren. "Das war eine gute Rede, Albus!" flüsterte Minerva McGonagall und beobachtete lächelnd die Gesichter der Schüler. Alle hatten sie sich herausgeputzt für diesen Ball und die Versicherung, daß Hogwarts sich energisch gegen die Einflußnahme Voldemorts stellte, ließ sie hoffen. Minerva's Blick schweifte von den Schülern zu den Lehrern und stockte: Severus Snape hatte gerötete Wangen und starrte auf das Tischtuch vor ihm, während Florence Farstalker kreideweiß geworden den Blick ins Nirgendwo gerichtet hatte. Remus Lupin war das Lächeln vergangen und er sah nun sehr ernst aus. "Severus, ich muß nachher mit dir reden!" hauchte Florence fast unhörbar und der Zaubertranklehrer nickte betreten. Ja, sie mußten reden. Albus hatte es ihnen zwischen den Zeilen gesagt: alle mußten nun zusammen arbeiten, es war keine Zeit, um sich hinter Eitelkeiten zu verstecken.
Die Abendluft war angenehm warm und es roch nach frisch gemähtem Gras, während die ersten Insekten des Jahres in der Luft schwirrten. Es hatte schon kältere Abende kurz vor Ostern gegeben, doch dieses Jahr war es schon sehr warm geworden. Steine, die von Innen heraus leuchteten säumten die Wege im Innenhof und tauchten alles in ein mildes Licht, als Severus Snape und Florence Farstalker sich von der Festgemeinschaft hierher zurück zogen. Ein unangenehmes Schweigen stand zwischen ihnen, bis Florence mit belegter Stimme begann: "Seit wann arbeitest du wieder für ihn?" Severus schwieg und blickte in die Nacht. Am Himmel zogen Wolken über die Sterne und den fast vollen Mond. Obwohl es für die Jahreszeit viel zu warm war, überlief ihn ein kalter Schauer. "Du brauchst nicht zu leugnen, ich weiß es." flüsterte sie und blickte in die selbe Richtung wie er, als könnte es dort etwas geben, das ihr seine Gedanken verrieten. "Eine ganze Weile." Seine Stimme klang rauh und er schluckte hart. Florence senkte den Blick und trat nun direkt vor Severus. "Wie geht es dir?" fragte sie und suchte seinen Blick, doch Severus wandte sich ab und ging langsam weiter. "Wie soll es mir schon gehen? Entweder ich tue, was er verlangt oder er verwandelt mich in ein Häuflein Asche. Keine große Auswahl, oder?" "Nein, das wohl nicht..." Florence ging neben ihm und hüllte sich fester in ihren Umhang. Schweigend gingen sie eine Weile weiter, bis sie fast am See angekommen waren. Dort hielt Severus an und blickte über das stille Wasser, in dem sich der Nachthimmel spiegelte. "Weißt du, was ich schon seit einer Ewigkeit von dir wissen möchte?" fragte er plötzlich unvermittelt und Florence blickte erstaunt zu ihm auf. "Nein... Was denn?" "Trägst du immer noch diesen kitschigen Anhänger oder war das im November Zufall?" "Der Anhänger ist nicht kitschig!" empörte sich Florence. "Doch, das ist er! Kitschig und nichtssagend!" Abrupt drehte sich Severus um und schlug den Weg zurück zum Schulgebäude ein. "ICH finde ihn nicht kitschig! Und mir sagt er eine ganze Menge!" fauchte Florence hinter ihm her, folgte ihm aber nicht. Severus ging noch ein paar Schritte, dann drehte er sich zu ihr um und in seinen Augen funkelte es bedrohlich: "Ach? Und was sagt dir diese Geschmacklosigkeit? 'Ich bin ein Relikt aus alten Zeiten, die nie wieder kommen'?" Wut stieg in ihr auf: "Nein! Der Anhänger bedeutet für mich... Ach, vergiß es!" Trotzig stapfte sie an Severus vorbei, der sie jedoch am Arm festhielt. "Was? Ich will es wissen! Oder war das nur ein Trick von deinem Onkel? Hast du ihn nur wieder hervor gekramt, weil er etwas vom Angriff vorher erfahren hatte?" Wut und Verzweiflung gingen in ihrem Schluchzen unter: "Ich trage ihn immer. Als Erinnerung an dich. Wie du warst. Was wir hatten... Aber es ist wohl wirklich nur ein Relikt." Mit Tränen in den Augen riß sie sich los und zerrte den Anhänger unter ihrem Kleid hervor. "Du kannst ihn wieder haben!" Sie zog und zerrte, doch die Kette riß nicht durch, während die Tränen über ihr blasses Gesicht liefen. Einem Impuls folgend legte Severus seine Arme um die verzweifelt mit der Kette kämpfenden Florence und beruhigte sie, indem er sie energisch an sich zog, während sie sich wand und schließlich aufgab. "Ich will ihn nicht. Ich denke so schon zu oft an früher. Und daran, wie ich plötzlich ohne dich dastand. Zweimal. Und wenn man dieses Weihnachten mitzählt, sogar dreimal." Vorsichtig wischte er ihr mit dem Ärmel die Tränen vom Gesicht. Immer noch schluchzend schaute sie hoch und genau in seine Augen: schwarz wie die Nacht waren sie, leer und traurig, ängstlich? "Es tut mir leid. Ich bin wirklich eine Katastrophe, nicht wahr?" "Hmm... Ja! Allerdings... wenn auch nur für mich..." "Ich wollte dir nicht weh tun... Aber ich weiß doch auch nicht, was ich will. Alles ist so schwierig und..." Erneut liefen dicke, heiße Tränen über ihr Gesicht und sie schmiegte sich zitternd an ihn. Eine Weile standen sie so da: Arm in Arm, während Florence immer weiter weinte. Severus starrte über den See in die Nacht und ein Sturm von Gefühlen brach über ihn hinein. Angst vor der Zukunft, Wut über die verlorenen Jahre - Voldemort - Malfoy, Trauer, Verzweiflung, Schmerz, Hoffnung... Als Florence wieder aufblickte, sah sie eine Träne über sein Gesicht laufen: die erste, die er seit seiner Kindheit vergoß... Der erste Kuß an diesem Abend war zurückhaltend und scheu, schmeckte nach Tränen und Verzweiflung. Der zweite war wie Feuer...
