Dies Irae –
Kapitel 10: Spielregeln
Die Gänge des Schlosses Hogwarts waren düster und es herrschte eine angsteinflößende nächtliche Stille. Hermione, Harry, Ron, Dumbledore, McGonagall und Snape waren die einzigen, die um die diese Zeit durch die alten Gemäuer gingen. Das Rascheln ihrer Kleider und Roben und das Klacken der Absätze von Hermione und Professor McGonagall war alles, was Leben signalisierte.
Nicht einmal die Geister von Hogwarts ließen sich blicken. Im Nachhinein fiel den drei Gryffindor-Schülern nun auf, dass die Schlossgeister sich nicht einmal auf dem Halloween-Ball hatten sehen lassen. Ob das eine Anweisung Dumbledores oder auf den Fluch zurückzuführen war, war ihnen nicht klar und in diesem Augenblick eigentlich auch nicht so wichtig.
Plötzlich fuhr ein Blitz nicht weit vom Schloss wieder. Donner folgte ihm sogleich. Die sechsköpfige Prozession ließ sich dadurch nicht beirren und ging weiter. Sie wussten, dass dies das Zeichen für die baldige Rückkehr der Göttin war. Es war der erste Blitz seit ihrem Verschwinden. Dazu noch zogen immer mehr Wolken am nächtlichen Himmel auf. Es würde nicht mehr lange dauern, bis es zu regnen beginnen würde – und damit die Verhältnisse der nächsten Konfrontation mit Morrigan nicht gerade einfacher machen.
Schließlich standen die drei Lehrer und die drei Schüler vor dem Hauptportal von Hogwarts. Sie verharrten einen Augenblick, bevor Dumbledore die gewaltige Tür mit einer Geste seiner Hand öffnete. Vor ihnen erstreckte sich der weite, mit Steinen gepflasterte Schlosshof von Hogwarts. Sie traten hinaus. Ein leichter Wind zog über den Hof und ließ Hermione erfrösteln. Die Strähnen, die aus ihrer Hochsteckfrisur gelöst waren, wogten sanft in der Brise. Sie nahm diesen Wind aber gar nicht zur Kenntnis, auch die Kälte spürte sie kaum. Tatsächlich trat sie aus der kleinen Gruppe heraus und ging als Erste die Stufen zum Hof hinunter. Harry und Ron folgten ihr sofort nach. Die Lehrer setzten sich dann ebenfalls in Bewegung.
Hermione ging recht weit und stand nun mitten auf dem großen Hof allein da. Die Professoren machten am Ende der Treppe halt. Harry wollte zu Hermione gehen, doch Ron zog ihn mit sich ein Stück zur Seite.
„Was ist denn, Ron?"
„Ich muss kurz mit dir reden," erwiderte Ron leise und sah kurz zu den anderen, damit sie ihn nicht hörten.
„Ron, das ist jetzt wirklich nicht der passende Augenblick. Morrigan kann jeden Augenblick zurück sein," entgegnete Harry und senkte seine Stimme ebenso wie Ron.
„Dann reden wir eben, bis sie kommt," beharrte Ron.
„Ron, was soll das?" schüttelte Harry verwirrt den Kopf.
„Hermione," erwiderte Ron schlicht.
Harry zuckte leicht zusammen, als Ron ihren Namen nannte. Wenn er Rons Geheimnistuerei und seinen Blick richtig deutete, wusste er, was sein Freund ihm sagen wollte, aber trotzdem fragte er: „Was ist mit ihr?"
„Harry, ich kenne dich nun seit über fünf Jahren," begann Ron, „tu nicht so, als wüsstest du nicht, worauf ich hinaus will."
Harry erwiderte nichts. Das sagte mehr, als jede Antwort, die er hätte geben können.
„Ich will dich jetzt nicht fragen, wie lange du schon in sie verliebt bist oder warum du es ihr noch nicht gesagt hast," fuhr Ron leise fort, „aber ich finde, du solltest sofort zu ihr gehen und es ihr jetzt sagen!"
Ron deutete auf Hermione, die ganz allein auf dem Schlosshof stand, die Hände ineinander gefasst, ins Leere blickend und vom sanften Mondlicht umgeben, das immer wieder für wenige Augenblicke durch die dichten Wolken brach.
Harry sah zu Hermione, die ihm in diesem Licht und dem schimmernden Kleid wie ein Engel erschien, dann wanderte sein Blick zurück zu Ron. Er konnte sich nicht erinnern, dass Ron jemals in einem solchen Ton mit ihm gesprochen hatte. Und mit einem Mal wurde ihm so vieles klar, was in den letzten Tagen geschehen war; wie er sich verhalten hatte, wie Hermione sich verhalten hatte, wie ihre Freunde sich verhalten hatten – und Rons Worte klangen ihm in den Ohren. Harry senkte seinen Blick. Ron hatte insofern Recht, dass er es nicht vor sich selbst und auch nicht länger vor seinem besten Freund verleugnen konnte – aber: „Es ihr sagen? Jetzt?... Nein, das kann ich nicht."
„Und wenn du heute Nacht stirbst?" erwiderte Ron ernst.
Harry musste zugeben, dass das eine berechtigte Frage war – aber mit diesem Gedanken wollte er sich jetzt nicht abgeben. Das hatte er noch nie in solchen Situationen getan. Jetzt war keine Zeit, um über den Tod nachzudenken, jetzt musste gehandelt werden. Es war seltsam und er wusste auch nicht recht, warum, doch er nahm seit Jahren Kämpfe auf sich, die ihn immer wieder dem Tod ins Angesicht blicken ließen – aber vor einen Gespräch mit Hermione fürchtete er sich. „Ich kann einfach nicht, Ron," gab er traurig zu, sah seinen besten Freund eindringlich an und ging in Richtung Hermione.
Ron verstand. Er seufzte und ließ ihm hinterher.
„Hey," begrüßte sie Hermione leise und froh nicht länger alleine herumstehen zu müssen.
„Hey," erwiderte Harry sanft.
„Das Warten kann einen echt wahnsinnig machen," meinte Ron.
Bevor seine Freunde die Gelegenheit einer Erwiderung bekamen, grollte er Himmel wieder. Aber es war kein Gewittern wie zuvor. Es war ein anderes, merkwürdiges Geräusch.
Ron sah verdattert drein und fragte sich, ob er vielleicht ungewollt ein Stichwort genannt hatte.
„Ich schätze mal, das Warten ist vorbei," sagte Hermione. Sie sah in den Himmel, der nach dem Grollen seltsam still geworden war.
Die Professoren kamen nun näher und blickten ebenfalls nach oben. Genau in diesem Augenblick, bildete sich ein kleiner Wirbel in den Wolken, der etwas kleines Schwarzes ausstieß. Die sechs brauchten nicht lange, um in dem Objekt Morrigan in ihrer Rabengestalt zu erkennen. Sie breitete ihre Schwingen aus und schoss in einem großen Bogen auf den Schlosshof zu. Und kaum hatte sich der schwarze Vogel auf den Pflaster des Hofes niedergelassen, hatte er sich auf schon in die schwarz-gewandete Göttin verwandelt.
Morrigan sah mit einem seltsamen Lächeln auf den Lippen zu den sechs Zauberern und Hexen hinüber. „Die Schüler in ihren Häusern zu verstecken, wird euch nicht viel nützen," erklärte sie belehrend. „Sie werden noch vor Sonnenaufgang alle sterben."
„Sagtet Ihr nicht, es gäbe eine Möglichkeit, den Fluch abzuwenden?" erwiderte Dumbledore und versuchte die Sorge über diese Bemerkung der Göttin, aus seiner Stimme zu verbannen.
Sie sah ihn kalt an. „Nun, es gibt immer Möglichkeiten."
„Was treibt Ihr für ein Spiel mit uns?!" fuhr Snape sie scharf an.
Sie lächelte ihn kühl an. „Mein Spiel. Es ist ein Spiel nach meinen Regeln."
„Dann sagt uns, was Ihr in der Halle meintet," forderte Harry.
Morrigan lachte amüsiert auf. „Aber das wisst ihr doch – dies ist ein Spiel auf Leben und Tod," antwortete sie.
„Wenn es so ist," begann Minerva McGonagall. „Dann stellt Euch uns und fordert nicht unsere Schüler."
„Die Hauslehrerin von Gryffindor, nehme ich an?"
McGonagall nickte.
„Wenn diese drei tot sind, werdet Ihr ihnen als erste folgen."
„Dann ist es also wahr," begann Snape. „Zuerst sollen alle Gryffindors sterben."
„So ist es," erklärte die Göttin finster.
Donner grollte zu ihrer Bestätigung. Blitze zuckten wieder über den Himmel. Erste Regentropfen sanken auf den Steinboden des Schlosshofes nieder.
„Was hat es mit dem Requiem auf sich?" platze Hermione heraus. Diese Frage hatte sie schon die ganze Zeit beschäftigt.
Morrigan wandte sich ihr zu. „Es klang hübsch," erklärte sie schlicht.
Hermione sah sie verblüfft an und wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Das war aber auch gar nicht nötig. Die Göttin lachte, als sie sah, dass auch die anderen völlig verwirrt über diese Aussage waren.
„Nicht allem ist weltbewegende Bedeutung beizumessen. Statt euch an einem alten Text festzukrallen, hättet ihr euch lieber ein wenig mehr mit den Sternen beschäftigen sollen."
Hermione schüttelte den Kopf. Sie begriff jetzt gar nichts mehr. Sie hatte wirklich gedacht, dass das Requiem der Schlüssel wäre. Es konnte doch unmöglich nur ein kleiner, unbedeutender Teil dieses Puzzles sein. Sie strich sich die mittlerweile nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Der Regen hatte mittlerweile voll eingesetzt und ihr Kleid war schon halb durchnässt.
„Ich verstehe schon," fuhr Morrigan, die wie durch eine umfassende Aura vom Regen unberührt blieb, schließlich in spöttischem Ton fort. „Diese Möchte-gern-Hexe Rowena hat wohl etwas dick aufgetragen in ihrem ach so hoch gelobten Buch der Prophezeiungen."
„Sie hat niedergeschrieben, was sie über diesen Fluch wusste," antwortete Professor Dumbledore.
„Also nichts von Bedeutung," folgerte die Göttin. „Nun gut. Dann will ich euren Gedanken ein klein wenig auf die Sprünge helfen – so drückt Ihr euch doch aus, nicht wahr?" Sie fasste alle in ihren Blick. Einen nach dem anderen. „Welche Bedeutung das sogenannte Halloween hat, wisst ihr doch hoffentlich."
„Es ist das Fest der Geister," erwiderte Harry.
Morrigan sah ihn an. „Oh, es ist viel, viel mehr!" Ihr Blick gewann an hitziger Intensität, die sich ganz eindeutig auf sein Unwissen konzentrierte. „Es ist ein heiliger Feiertag. Ein Hexensabbat. Das Ende des keltischen Jahres. Diese Nacht ist Samhain. Die Nacht der Toten, die heilige Jahresnacht meines Bruders Samhan, dem Totengott. Nur in dieser einen Jahresnacht, nähern sich die Reiche der Lebenden und der Toten an."
„Darum konntet Ihr also wiedergeboren werden?" vermutete Harry. „Weil sich die Reiche um Mitternacht am nächsten waren?"
Morrigan neigte anerkennend den Kopf. „Dein Verstand ist scharf. Ja, tatsächlich konnte meine Rückkehr nur an Samhain und nur um Mitternacht sein. Doch diese Berechnung hat viel Geschick erfordert. Drei Schicksalssterne waren nötig, um mich in dieses Reich zurückzugeleiten. Sterne, die genau in einer solchen Nacht in einer exakten Dreierkonstellation stehen würden. Und es hat mehr als 1000 Jahre gedauert bis es endlich soweit war!" Sie war jetzt sichtlich erregt. Die angestaute Ungeduld von tausend Jahren trat zutage. „Aber nun bin ich hier. Feyt Slytherin hat damit seine Schuldigkeit getan. Nun bin ich an der Reihe."
„Was meint Ihr damit – er hat seine Schuldigkeit getan?" fragte Snape.
„Ein Pakt," erwiderte die Göttin. „Das Ende aller Götter war nah. Unsere Zeit neigte sich dem Ende zu, da für die Menschen das christliche Zeitalter begann. Diese lächerliche Religion, die die unsrige verdrängte."
„Und da kam Euch Feyt gerade recht," dachte Hermione laut. Jetzt wurde ihr einiges klarer. „Er suchte jemanden, mit dem er sich verbünden konnte und Ihr suchtet einen Weg, um nicht im ewigen Vergessen zu enden."
„Ich wählte einen Text für den Fluch. Ironischer Weise ein christliches Requiem – aber es schien mir passend. Ich gab ihm einen Dolch. Sein Zorn wuchs von selbst. Er sprach den Fluch und besiegelte ihn mit seinem Blut. Er brachte mir damit ein Opfer dar und schenkte mir eine unsterbliche Hülle, die mich mit den Sternen bis zu dieser Stunde verband."
„Hat er sein Leben für seine Rache und Euch gegeben?" erkundigte sich Professor McGonagall so ruhig es ihr möglich war.
„Ja und nein. Er gab etwas von seinem Blut. Er lebte ein unnatürlich kurzes Leben, da seine halbe Lebenskraft von da an mir gehörte."
Nach diesen Worten herrschte wieder Stille. Das hatte nicht im Buch gestanden. Das mussten sie jetzt erst einmal verdauen. Feyt Slytherin hatte sein junges Leben tatsächlich für seinen unbändigen, überzogenen Rachedurst gegeben.
„Nun wisst Ihr es," brach Morrigan schließlich die Stille. „Und darum werde ich nun meinen Teil des Paktes erfüllen."
Kaum hatte sie zuende gesprochen gingen nur wenige Meter von den drei Gryffindor-Schülern Blitze nieder und ließen sie zusammenzucken und Deckung suchend zu Boden gehen. Hermione war auf den Knien und stützte sich mit dem Armen am Boden ab, Ron hatte sich ganz zusammenrollt und die Arme schützend über dem Kopf zusammengeschlagen, Harry war nur ganz kurz zu Boden gesunken. Er stand sofort wieder auf, als die Blitze aufhörten. Alle drei sahen Morrigan entsetzt an. Diese ignorierte sie nun aber. Ihr Blick sagte unmissverständlich, dass sie nun genug geredet hatte und nun Taten folgen lassen wollte.
„Lasst sie gehen, Morrigan!" forderte Professor Snape. „Regelt diese Sache mit uns!"
Die Göttin funkelte die Lehrer an, die von den Blitzen verschont in ihrer Nähe standen. Eine Geste mit ihrer rechten Hand reichte aus und alle drei wurden von einer roten Energieentladung über den halben Hof geschleudert. „Ich entscheide über meine Gegner," gab sie kalt und unmissverständlich zu verstehen und bedachte sie einige Sekunden mit ihrem eisigen Blick.
Harry, Hermione und Ron sahen diese Szene fassungslos mit an. Sie mussten sich in diesem Augenblick eingestehen, dass sie diese ganze Angelegenheit nach den Geschehnissen in der Großen Halle als zu leicht angesehen hatten. Das hier war keine Rätselabfolge, die sie lösen mussten – wie damals beim Stein der Weisen. Das hier war ernster. Erst durch die Blitze und Morrigans dunkle Energie wurde den drein richtig klar, dass sie es hier nicht mit einer zornigen Hexe mit Zauberstab, sondern mit einer nahezu allmächtigen Göttin zu tun hatten, die über die Naturgewalten gebieten konnte.
Hermione war versucht, zu den Lehrern hinüber zu laufen, denn Minerva McGonagall schien verletzt zu sein. Snape war sofort wieder aufgestanden und auch Dumbledore hatte sich gleich wieder aufgerappelt, aber die Professorin hatte Probleme dabei. Dumbledore und Snape halfen ihr, doch sie konnte scheinbar ein Bein nicht richtig belasten. Sie blieb von beiden Kollegen gestützt stehen.
„Ihr habt die Wahl. Ihr könnt ins Schloss zurückkehren," bot Morrigan den Lehrern an, „und den Tod in Ruhe abwarten – oder ihr könnt hier bleiben und diesen drein als erste ins Totenreich nachfolgen."
„Wir bleiben!" entgegnete Snape augenblicklich.
„Wie Ihr wünscht." Morrigan deutete eine leichte Verneigung an, die von einem spöttischen Lächeln begleitet wurde.
Dumbledore schwieg und McGonagall senkte im Glauben versagt zu haben den Kopf
„Dann ist es so. Es liegt nun alles in der Hand dieser Kinder..." brachte die Professorin heiser hervor, so dass nur Dumbledore und Snape es hörten.
Die Göttin hatte sich längst schon von ihnen abgewandt und stolzierte durch den Regen auf die drei Schüler zu. Alle drei standen inzwischen wieder, aber sie waren völlig durchnässt. Harry präparierte seine Brille schnell mit einem Wasser-abweisenden Zauber. Ron fluchte leise vor sich hin, dass er längst zum Friseur hätte gehen sollen und strich sich die nassen Haare aus der Stirn. Hermione löste ihre Hochsteckfrisur mit einem kleinen Zauber, da sie dem Wasser ohnehin nicht länger standgehalten hätte und wünschte sich, etwas Bequemeres und Wärmeres, als dieses Kleid zu tragen, das durch das Wasser unangenehm schwer wurde. Leider kannte sie dafür im Augenblick nicht den richtigen Spruch.
Die Göttin baute sich einige Meter vor ihnen auf und verschränkte genüsslich die Arme vor der Brust. „Also, spielen wir weiter – hatte ich schon erwähnt, wie sehr ich Blitze mag?" Wie beiläufig und ohne die Verschränkung ihrer Arme vollständig zu lösen, machte sie eine kleine Bewegung mit ihrer rechten Hand.
Ein weiterer Blitzhagel ging auf den Schulhof nieder, verfehlte Ron nur um Haaresbreite. Hermione war heilfroh, dass eine Regel von Hogwarts besagte, dass man – egal wie man gekleidet war – seinen Zauberstab immer dabei zu haben hatte. Sie zog ihren ein weiteres Mal hervor und schrie in das laute Zischen und Explodieren der Blitze Verteidigungs- und Schutzzauber. Harry und Ron taten es ihr gleich. Aber es brachte leider kaum etwas.
„Aufhören!" brüllte Ron Morrigan an.
Morrigan jedoch dachte nicht im Traum daran. Sie betrachtete das ganze Spektakel amüsiert und genoss die entsetzten Mienen der Lehrer, die alles hilflos mit ansehen musste.
„Bitte!" schrie Hermione. Sie murmelte „Scutum" und legte damit eine Art Schutzschild gegen die Blitze um sich, der nicht lange halten würde wie ihr klar war. Sie rief sich noch einmal das Requiem in Gedanken. Natürlich wusste sie, dass ihr das nicht viel helfen würde – aber der richtige Satz... Vielleicht könnte er Morrigan wenigstens ganz kurz Einhalten lassen.
„Mione," rief Harry. „Was machst du da?" Er sah, dass sie bewegungslos in ihrer kurzweiligen Schutzblase verharrte.
Hermione beachtete seine Frage nicht. Ihr Schild brach zusammen, der Regen strömte weiter auf sie ein und sie versuchte sich durch die Blitze zu der Göttin vorzukämpfen. „Wolltet Ihr uns nicht die Möglichkeit geben, den Fluch von uns abzuwenden?" schrie sie so laut sie konnte. „Was seid Ihr nur für ein niederträchtiges Geschöpf, dass Ihr Euer Wort brecht?!"
Morrigan funkelte Hermione böse an. „Ich habe Euch nichts im Sinne eines lächerliches Tests versprochen. Ich sagte lediglich, dass wir Götter gerne die Menschen prüfen und dass es eine Möglichkeit gibt, die Vernichtung von Hogwarts abzuwenden. Aber du erwartest doch nicht etwa, dass ich dir auch noch sage, wie – du dummes, kleines Mädchen?! Ich habe euch schon genug über diesen Pakt erzählt!"
Hermione machte noch zwei Schritte auf Morrigan zu, die immer noch einige Meter von ihr entfernt war. Ron und Harry wichen weiter den Blitzen aus, die den Himmel mittlerweile fast taghell erleuchteten. Da sie nicht wusste, was sie sonst tun konnte, ließ sich Hermione auf die Knie fallen. Sie legte ihren Zauberstab nieder und breitete ihre Arme aus – um sich zu ergeben. „Preces meae non sunt dignae, sed tu bonus fac benigne, ne perenni cremer igne," rief sie der Göttin halb heiser entgegen.
(Wenig gilt vor dir mein Flehn, doch aus Gnade lass geschehn, dass ich mög' der Höll' entgehn.)
Morrigans Blick blieb so hart wie zuvor, doch es schlich sich ein Funke Überraschung ein. Wie Hermione erhofft hatte, ließen die Blitze nach.
„Ich kenne schon lange keine Gnade mehr. Nicht nachdem, was die Menschen mir und Meinesgleichen angetan haben," erklärte sie kühl. Sie löste ihre verschränkten Arme und näherte sich Hermione ein paar Schritte. „Steh auf."
Hermione folgte Morrigans Aufforderung und sah sie fragend an. Der Blick der Göttin war nun von einem Augenblick zum anderen seltsam verschlossen. Kälte und Wut waren nach wie vor präsent, doch im gleichen Zuge schien dennoch jedwede Emotion verschwunden zu sein.
„Nun gut," fuhr die Göttin schließlich fort. „Ich bin dieser Veranstaltung hier auch überdrüssig. Ich könnte euch alle mit einer einzigen Geste vernichten – das wäre jedoch langweilig." Ihre Lippen verzogen sich zu einem gefährlichen Lächeln. „Darum wollen wir das Ganze etwas interessanter gestalten..." Sie breitete ihre Arme aus und sah in den Himmel. Sie flüsterte einige Worte in einer alten Sprache, die entfernt an Parsel erinnerte, aber keiner der Anwesenden verstand.
Der Regen schien ein wenig schwächer zu werden. Der Himmel grollte leise weiter vor sich hin, doch an einer Stelle zogen die Wolken auseinander. Drei ungewöhnlich helle Sterne leuchteten durch das Wolkenloch hindurch.
Mit Morrigans letztem Wort färbte sich das Licht dieser drei Sterne blutrot und sie stießen urplötzlich rote Energieblitze in alle Richtzungen aus, die – als ob sie sich erst justieren mussten – dann auf eine Stelle am anderen Ende des Schlosshofes zuschossen. Das Grollen in den Wolken wurde in diesem Augenblick wieder lauter und einige Gewitterblitze, die nicht von Morrigan gerufen worden waren, lösten sich aus den Wolken und schlossen sich ihren roten Brüdern an. Ein gewaltiges Tosen und Zischen war die Folge. Die Lehrer und Schüler mussten ihre Augen abwenden und schützen um nicht zu erblinden, während die Göttin zufrieden zusah.
Als das Licht abflaute, wagten es die sechs wieder hinzusehen. Aus den Energien hatte sich nun eine Art ovale Energieplatte geformt, die wie ein Portal aus dem Steinboden ragte und ein unregelmäßiges Muster aufwies. An den Kanten dieses wirbelartigen Gebildes zuckten kleine Energieblitze nach außen, die aber kaum noch zerstörungsfähige Energie in sich bargen.
Während alle sprachlos darauf starrten, gab Ron eine panische Mischung aus Wimmern und Stöhnen von sich. „Das ist nicht gut... gar nicht gut..."
Kaum hatte er das gesagt, veränderte sich das Energiemuster und eine verhüllte Gestalt, dem Gang nach ein Mann, verließ mit einem Schwert in der rechten Hand das Energietor.
