Kapitel 8
Die Chance noch zu entkommen war mittlerweile wohl gleich null, dafür war der Verfolger schon zu nah.
Resignierend blieb er stehen, atmete einmal tief durch und schloss einen Moment die Augen.
Wenn er sich gründlicher konzentrierte würde er sicher den Schutzwall durchbrechen können bevor der andere ihn ansprach und sich so auf Kommendes vorbereiten.
Noch einmal atmete er tief durch, ignorierte erneut die sich nun langsamer nähernden Stiefel auf dem harten Plastikboden und ließ sich in die fremde Gefühlswelt fallen.
/Hass/.
Er spürte unendlich viel Hass. So stark, dass sie sich auf ihn auswirkte als wenn sie seine eigenen Gefühle unterdrücken wollte, als hätte sie vor seinen ganzen Körper zusätzlich zu dem ihren auszunehmen.
Doch er spürte auch Angst, wie seine eigene nur ebenfalls stärker und eine vollkommene Leidenschaft. Ein Besitz ergreifendes, verlangendes Gefühl von solchem Ausmaß, dass es ihn erschrocken taumeln ließ.
Verwirrt riss er die Augen wieder auf, spürte grade noch wie sein Körper erstarrte während er sich noch umdrehte und den Gang hinter sich zu erfassen versuchte.
/Abessinier./
Die Erkenntnis durchfuhr ihn wie ein Blitzschlag. Für einen Moment schien sein Atem, genau wie sein Herzschlag auszusetzen und sein ganzes Bewusstsein richtete sich nur auf den Mann vor sich.
/Viel zu viel Angst und keine Chance sich zu wehren..../
Oh welch ein Fluch Telepath zu sein. Er wäre mit dem Hass allein vielleicht fertig geworden, aber nicht mit dieser Verwirrung.
So sehr er sich bemühte schaffte er es, nun nachdem er sich erst einmal Zugang dazu verschafft hatte, nicht mehr auch nur Teile der gewaltigen Gefühlsflut abzuschirmen, die von dem Weißmitglied ausging.
Ayas Gesichtsausdruck schien scheinbar nichts von dem zu verraten was er eigentlich dachte, was er fühlte und was sich sonst in seinem tiefsten Inneren abspielte.
Er stand nur da, ließ Arm, mit zur Faust geballter Hand, lasch an der Seite seines Körpers herabhängen, während der andere sein Katana, kampfbereit auf den Gegner gerichtet, stütze.
"Du kannst nicht entkommen.", sprach er diese Erklärung seines tödlichen Vorhabens, mit einer Gelassenheit aus, deren wutentbrannter Unterton nur schwer erkennbar in der Stimme mitschwang, sich jedoch nicht in seinen Zügen bemerkbar machte.
Völlig ruhig lasteten die violetten, im Licht der Deckenlampen funkelnden Augen auf Schuldig, hielten es allem Anschein nach nicht für Nötig die Emotionen ihres Besitzers widerzuspiegeln und hatten dennoch etwas überlegenes an sich.
Schuldig wusste, er würde kämpfen müssen, wenn er überhaupt eine Chance haben wollte und die Tatsache, dass er im Augenblick kaum eine längeren Kampf gegen einen Gegner durchhalten würde, der wild entschlossen war ihn zu töten, versuchte er einfach zu verdrängen.
"Schuldig."
Überrascht zuckte er zusammen. Eigentlich hatte er nicht damit gerechnet, dass Abessinier vor hatte noch mehr mit ihm zu reden bevor er zum Angriff überging.
Hatte er etwas falsch gedeutet? Eins dieser fanatisch hasserfüllten Gefühle zu seinem Nachteil gedeutet? Und mit welcher Art von Leidenschaft hatte er es eigentlich zu tun?
Hoffnung keimte für einen Moment auf, als er seinen Namen hörte.
Niemals hatte er von sich selbst erwartet etwas in dieser Art fühlen zu können. Etwas, das gleichzeitig Feigheit ausdrückte und gleichzeitig den Wunsch einfach nur weiter zu leben, den er so lange bei sich vermisst hatte.
"Schuldig.", wiederholte sich Aya mit noch eisigerer Stimme, fast als erwarte er eine Reaktion, vielleicht sogar eine Antwort.
Die Betonung, die er beim Aussprechendes deutschen Wortes, ungeübt auf jede der Silben legte und sie damit leicht verzerrte erschien Schuldig in diesem Augenblick sogar komisch.
Aber es war nichts komisch daran zu sterben oder?
/Wie die Sache mit den Engeln... Ich denke Dinge, die ich nicht denken sollte./
"Engel. ", zischte er auf ebenfalls ein wenig ungeübtem Deutsch und machte dabei wieder einen Schritt auf Aya zu.
Natürlich verstand der gebürtige Japaner das Wort nicht, folglich noch weniger war Schuldig eigentlich damit verband, doch sein zu einem seltsam erstaunten Ausdruck wechselndes Gesicht passte hervorragend zu der Bezeichnung.
/Wirklich wie ein Engel.../
Die leichte Verwirrung hatte dem Gesicht des Killers für einen kurzen Moment etwas Göttliches verliehen, etwas gnädiges, schönes, auf seine Art perfektes.
Viel zu schnell wich die angenehme Veränderung jedoch wieder der kühlen Maske des Hasses.
Fast unhörbar knirschten Abessiniers Stiefel auf dem nicht besonders sauberen Flurboden, als er langsam auf Schuldig zuzugehen begann und immer noch war sein Katana bereit jeden Moment zuzustoßen.
/Engel.../
Das Aufblitzen des Lichtes in den ansonsten ruhigen Augen war einem zornigen Funkeln gewichen. Fest zusammengekniffene Lippen spiegelten die Nervosität und Entschlossenheit wieder, die klar zu erkennen von Aya ausging.
Als er nur noch knapp einen Schritt vor dem Telepathen stand bewegte sich sein Arm mit mechanischer Ruhe hinauf, richtete sich die Stählerne Spitze seiner Waffe direkt auf Schuldigs Herz.
"Du wirst sterben.", flüsterte er, holte nun aus und rammte die Spitze noch bevor Schuldig überhaupt darüber nachdenken konnte - zumal er es ohnehin kaum noch fertig brachte seine eigenen Gedanken zu ordnen - durch den Mantel hindurch tief in das Fleisch.
Schuldig spürte wie die Klinge immer tiefer in seinen Körper eindrang, spürte wie Rippen, Muskeln und andere Gewebe in unbeschreiblichem Tempo fast mühelos durchtrennt zu werden schienen.
Dann hörte er sich selbst schreien und es erschien ihm lauter als bei jedem seiner Opfer, doch er schaffte den Schmerz der folgte zu unterdrücken. Schmerz wie er ihn noch nie bei sich selbst empfunden hatte und dann, ein einziger Gedanke
/..Racheengel../
Hilflos drohte er zusammenzusinken, hatte die Kontrolle über seinen Körper im Angesicht des Todes fast gänzlich verloren, als er den Aufprall des Katana auf dem Boden als leises Klirren wahrnahm.
Dieselben Arme, die es grade noch gehalten hatte, glitten nun fast selbstverständlich um Schuldigs Körper, bemühten sich mit aller Kraft ihn aufrecht zu halten.
Blutverschmierte Hände begannen sanft durch sein Haar zu streichen. Zitternd, angsterfüllt, jedoch voller Zärtlichkeit war jede dieser Berührungen von einer verzweifelten Schönheit, die er einfach nicht mehr begreifen konnte, geschweige denn wollte.
Als der erste Schmerz langsam nachließ - die Verkrampfung einer gleichmäßigen Taubheit wich - schaffte er es wieder ein wenig zu sehen.
Aya sagte nichts, stützte ihn nur ohne Rücksicht auf das Blut zu nehmen, das unaufhaltsam aus Schuldigs Wunde strömte und auch seine eigene Kleidung völlig durchnässte.
Die eben noch so extremen Gefühlsausbrüche langen nur noch als sanfte Schwingungen in der Luft, schafften es kaum noch Besitz von dem geschwächten Körper des Telepathen zu ergreifen.
Unter Mobilisierung seiner letzten Kräfte versuchte Schuldig sich zu bewegen, schaffte jedoch nicht mehr als seinen Arm bis auf Höhe von Abessiniers Schulter zu heben, bevor er gestoppt wurde.
"Gib dir keine Mühe."
Vollkommen gelassen fasste Aya die Hand des anderen und hielt sie fest mit der eigenen umschlossen. Schuldig wusste nicht was er tun sollte, wusste nur, dass er sterben musste und keine Chance zur Rache hatte. Verzweifelt hob er seinen Kopf so weit wie möglich um Aya direkt anblicken zu können. Sein Blick blieb an den violetten Augen hängen, saugte nahezu gierig jede Nuance dieser einzigartigen Farbe auf. Glitzerndes Flackern in den Augenwinkeln des Weißmitgliedes, ließen ihm langsam bewusst werden, dass es Tränen waren, die das Licht zu noch größerer Schönheit brachen. Tränen in den Augen eines Mörders. Er weinte ganz offensichtlich nicht weil er jetzt keinen Sinn mehr zum Töten hatte, auch nicht wegen seiner Schwester, oder aus anderen Gründen die nur ihn etwas angingen, sondern nur wegen Schuldig.
Wieder wallten Wogen von unendlicher Verzweiflung durch den Raum, rissen den Telepathen hilflos mit sich und zwangen sein Bewusstsein noch näher an die Grenze des Todes.
Als die fremden Wahrnehmungen wieder wichen spürte er Blut auf seinen Lippen.
Nicht seines - davon war er überzeugt - sondern Ayas, vereint mit der grausamen Antwort auf viele seiner Fragen: Einem vollkommen sanften, hingebungsvollen Kuss.
Ein blutiger Kuss, leidenschaftlich, doch düster und gequält von Fragen und Vorwürfen, gegen den er sich einfach nicht wehren brauchte.
Liebe?
Er konnte einfach nicht sagen ob das was er in diesem Moment selbst fühlte mehr als Überraschung war, doch Ayas Herz strahlte eindeutige Zuneigung aus.
Nur wieso dann dieses ganze Spiel?
Hass?
Wer tötete schon jemanden, den er offensichtlich liebte?
Immer mehr ließ er sich fallen. Vergaß alles andere und fand nur noch für diesen letzten Kuss seines Lebens genug Kraft um selbst den unerträglichen Schmerz auszuschließen.
Ja, es blieb ihm nichts anderes übrig als zuzugeben, dass er es mit jeder Faser seines Körpers genoss.
Ob er die entgegengebrachten Gefühle erwiderte konnte er nicht klar sagen, denn wann hatte er schon jemals über die Möglichkeit nachgedacht Aya könnte in ihn verliebt sein?
Aya, dieses rätselhafte Geschöpf mit dem engelsgleichen Auftreten und den wunderschönen violetten Augen?
Wohl kaum. Das passte einfach nicht zu dem jungen Mann, dessen auffälligste Merkmal ein Katana war und ein Blick der nichts als bis nahezu zum letzten Funken durch Hass ersetzte Gefühle ausdrückte.
Was half einem die Fähigkeit die Gedanken anderer Menschen zu lesen, wenn man nicht wusste wonach man suchen sollte?
Oberflächliches war leicht zu erkennen, aber die tiefsten Empfindungen der Menschen waren halt auch ihm nur schwer zugänglich.
Er hätte schreien mögen als er Ayas Lippen nicht mehr spürte, als ihm die Schwärze diesen letzten Funken von Schönheit nahm, doch seine Stimme würde sicher auch nicht mehr ihren Dienst erfüllen.
Ein Satz wie "Ich hasse dich.", hätte Aya in diesem Moment wahrscheinlich ohnehin weniger oder bestenfalls genauso sehr verletzt wie eine Liebeserklärung.
Gefühle konnte man nicht ergründen, seine Fähigkeit war von Beginn an unnütz gewesen.
Völlig von allem anderen abgeschirmt lauschte er in völliger Schwärze den Gedanken des anderen. Der Tod war nur noch eine Haaresbreite entfernt und trotz all der Einblicke in die Gedanken anderer Sterbender anders als er ihn sich jemals ausgemalt hatte.
Eine beruhigende Wirkung ging entgegen aller Verzweiflung von seinem Mörder aus, seinem Geliebten, dem Menschen der ihn von etwas erlöst hatte, dass ohnehin keinen Sinn machte.
Und dann nahm er etwas wahr, das im Entferntesten nach gedichteten Zeilen klang. Ob es von Aya ausging wusste er nicht und darüber nachzudenken vermochte er ebensowenig, denn danach war Stille. Die Unendlichkeit hatte ihn wohl endgültig eingeholt.
Siehst du das Blut,
das Rot,
als sanfte Farbe der Vernichtung?
Siehst du es,
wie ich?
Wenn auch aus einer andren Richtung?
Wie mein Herz so heiß,
so kühl ist mein Verlangen.
Ich weiß,
es wird auch deines fließen
und bist du dann vergangen,
gehör ich dir.
*END*
So.. ^^;
Das war also das Ende. Sicher nicht das was viele Leute als gutes Ende für eine Fanfiction ansehen aber mit Abstand das Passenste was ich für mich als Abschluss dieser Story finden konnte.
Wer's nicht mag, der kann's ruhig sagen wenn er noch dazu sagt warum es ihm nicht passt.
Außerdem bitte ich um Reviews von allen Seiten… ^^;
Bitte. Ihr würdet mir einen großen Gefallen tun J.
