Er hatte es zuerst nur gehört. Nichts richtiges gesehen, doch er hatte alles miterlebt. Ihre Schreie gehört. Das Lachen und Brüllen dieses Geschöpfs. Ihre harten Aufschläge auf kaltem Stein.

Er hätte zwei Alternativen gehabt. Entweder hätte er sich aus der kleinen Kammer befreit und diesem... Ding jeden einzelnen Knochen gebrochen oder er hätte sich die Ohren zugehalten.

Doch beides war ihm nicht möglich gewesen. Um sich wiederholt seiner wahren Hilflosigkeit zu vergewissern zerrte er an den Ketten, die seine Hand- und Fußgelenke zusammenhielten und ihm keine Möglichkeit zur Flucht oder zur Hilfe ließen. Durch die Verletzung an seiner rechten Schulter war er zu der Zeit als er ihre Qual mitanhören musste kaum bei Sinnen gewesen.

Boromir erinnerte sich an ihr Gesicht, als er sie das letze Mal gesehen hatte. Nienna hatte ihn nicht erkannt, doch hatte sie mit ihm gesprochen. Als das Ungeheuer sie aus seiner Sicht wegzerrte, hatte er geglaubt, seinen Namen aus ihrem Mund zu hören, doch er war sich nicht sicher.

Boromir hatte versucht ihr zu helfen. Doch ihr Anblick hatte ihm alle Kraft geraubt.

Als die fremdem Geschöpfe, jedes so stark wie drei Pferde, ihn in den Saal geschleift hatten, nachdem er wieder zu Bewusstsein gekommen war, war das erste, dass Boromir entdeckte eine große Gestalt im Schatten am anderen Ende des Raumes, die ihn mit hartem Blick zu beobachten schien.

Erst dann bemerkte er die bekannte, kleine Person, die hinter dem Mann erschien, geschleppt von zwei seiner Helfer.

Boromir war auf die Knie gezwungen worden und die Königstochter kniete jetzt direkt vor ihm. Das Blut gefrohr ihm in den Adern als er seine stumme Freundin musterte.

Sie war der Anblick des Elends. Ihr grüner Mantel war voller Risse und Boromir konnte erkennen, dass er das einzige Kleidungsstück war, dass ihr geblieben war. Sie war nicht fähig aufrecht zu sitzen und schwankte eher und schien, als müsste sie sich gleich übergeben.

Ihre Augen blickten ihm schwach und voller Qual direkt in die Seele und Boromir konnte in ihnen lesen, dass man sie aus ihrer Verschlossenheit herausgeholt hatte. Mit welchen Methoden auch immer. Sie zitterte am ganzen Körper und ihr Gesicht war voller Schrammen und ein großer blauer Fleck leuchtete auf ihrer dünnen Wange.

Dann war der Moment vorbei. Ein kräftiger Arm zog Nienna von ihm fort. Sie wehrte sich nicht mehr. Als sie hinter einer schweren Eisentür verschwunden war, konnte Boromir Schritte hinter sich hören und das Geräusch des gezogenen Schwertes, dass jetzt direkt über seinem Kopf schwebte.

Boromir war noch zu schwach von der Verfolgung vor ein paar Stunden. Er schloss die Augen und betete für einen schnellen Tod. Doch er hatte nicht mit der gehässigen Stimme gerechnet, die erst hässlich lachte und darauf dem Geschehen Einhalt gebat.

Neor erschien viel größer, vielleicht durch das lange weiße Gewand, dass er trug, oder durch Boromirs unvorteilhafte Position am Boden. Sein einst so freundliches Gesicht war erfüllt von Überlegenheit, Arroganz und Hass, als er langsam aus dem Schatten trat und auf den Krieger zukam.

"Nein! Lasst es ihn miterleben." Das war alles, was Neor von sich gab, bevor er sich auf dem Absatz umdrehte und Nienna hinter die Eisentür folgte. Auf dem Weg hob er kurz die Hand und augenblicklich rammte ihm die Gestalt hinter ihm die Faust in den Nacken.

Seit einiger Zeit war es ruhiger draußen geworden. Boromir machte sich Sorgen. Das war kein gutes Zeichen. Doch er hielt sich an Neors Worte. Boromir sollte irgendetwas miterleben. Was das war, wagte er sich noch nicht vorzustellen.

Plötzlich vernahm er einen Schrei. "Nienna... ". Boromir konnte es sich nicht verkneifen ihren Namen zu flüstern. Ein zweiter Schrei, diesmal näher.

"Nienna?". Lauter. Der Tumult wurde lauter und war beinahe vor der Tür seines Gefängnisses.

"Nienna!". Er kam mühevoll auf die Füße. Gebrüll direkt hinter der Wand vor der er stand. Ein lautes Lachen. Und Nienna.

Die seinen Namen schrie.