Montagmorgen, 8.36 Uhr

Jetzt kam er genau auf mich zu, Augen schreckensweit aufgerissen und auch sonst ziemlich verwirrt. Mit einem katzengleichen Sprung rettete er sich hinter meinen Stuhl und dort versteckte er sich. Die Bedienung kümmerte es nicht im Geringsten, daß er da so nackig hockte, und brachte mir, ohne die Mine zu verziehen, den Kaffee. Ich machte ein Gesicht wie 3-Tage-Regenwetter, um ihr deutlich zu machen, daß er nicht zu mir gehörte. Doch sie schien es falsch zu verstehen, und fragte mich, ob ich meinem Irren auch was zu trinken kaufen will.
Ich schaute ihn an und sah in seine blauen Augen, die so bemitleidenswert in meine zurückblickten, daß ich ihm ein Wasser bestellte. Als das kam, schlürfte er es schnell auf, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten.

Bisher hatte er noch nicht gesprochen. Ich auch nicht, aber ich schaute ihn mir ganz genau an. Irgendwie sah er aus wie...nein, aber das konnte doch nicht sein? Doch ich war mir fast sicher, so konnte nur einer aussehen! Legolas Grünblatt, der Elb aus Tolkien's Geschichte "Der Herr der Ringe" oder aus dem gleichnamigen Film von Peter Jackson. Ich traute mich nicht zu fragen, aber er schien zu wissen, daß ich eigentlich etwas sagen wollte.

"Mein Name ist Legolas Grünblatt." sagte er und stand auf, mit beiden Händen das Nötigste verbergend. Ich mußte mir mein Grinsen verkneifen, denn er sah echt zum Anbeißen aus.
"Ich heiße Maxi Wimmer..." meinte ich, und er schaute mich erstaunt an.
"Das ist ja ein seltsamer Name..."
"Was ist daran seltsam...und was bitte schön ist mit Legolas Grünblatt?"
"Das ist mein Name..."
"Ja, ich weiß, dass das dein Name ist." grummelte ich, er ging mir ein bisschen auf den Keks. "Warum hast du keine Hose an?"
"Ich weiß es ja auch nicht, ich bin gerade mit der Ringgemeinschaft unterwegs und da geht man einmal hintern Busch und so, da passieren gleich die merkwürdigsten Dinge."

"Was denn für Dinge?" fragte ich, doch schon etwas neugierig geworden.
"Naja...plötzlich bin ich hier...und weiß nicht mal, wo dieses Hier überhaupt ist."
"Das ist Berlin, in Deutschland, und das liegt in Europa auf der Erde..."
"Erde? Mittelerde?" fragte der verwirrte Elb.
"Nein...Mittelerde existiert doch gar nicht!" Das war mir einfach so herausgerutscht. "Ich meine, es existiert nicht für uns...so wenig wie wir und unsere Erde bei euch in Mittelerde existieren."

„Ausserdem ist alles, was du mit der Gemeinschaft des Ringes erlebst, auch nur eine Geschichte hier bei uns, aufgeschrieben vom weltgrößten Genie J.R.R. Tolkien. Gut, der war auch ein bissel anders...ich denke, er hielt sich ebenfalls für einen Elben oder Hobbit." Meinte ich, und dachte, dass ich es ihm jetzt ein bisschen leichter gemacht hätte, aber da hatte ich mich arg getäuscht. Er sah noch fertiger aus als zuvor.

„Woher weißt du denn von uns Elben und den Hobbits?" fragte er schüchtern.
„Naja, das ist so, ich hab das Buch gelesen und auch den Film gesehen..."
„Film?"
„Ja, Film..." sagte ich gereizt, da er mich nicht ausreden ließ. Da fiel mir ein, er wusste ja nicht, was ein Film überhaupt war. „Na ja, eben was so im Kino läuft, Dias oder so..."
Er starrte mich an, als würde ich mordorianisch mit ihm reden.

„Sag mal, welche Sprache sprichst du eigentlich? Ich kann dich nämlich verstehen..." fragte ich wieder.
„Sindarin, oder Quenya, je nach dem in welchem Land ich mich befinde. Ich wusste gar nicht, dass alle Menschen diese Sprachen sprechen können."
"Können sie auch nicht...gerade jetzt sprichst du deutsch, mit einem ziemlich starken Berliner Dialekt."
„Was?" Nun hatte ich ihn vollends verwirrt.
„Das kommt bestimmt daher, weil ich selbst deutsch bin, am Buch und am Film kann's ja nicht liegen, denn ich hab beides nur in Englisch..." dachte ich laut nach, und wurde die ganze Zeit von einem Paar blau-grünen Augen verfolgt.
Als ich ihn fragte, ob er auch Englisch könnte, fing er fast an zu weinen.