"Nicht zu locker und auch nicht zu stramm..." sagte er fast zu sich selbst und klopfte der schönen Stute ein paar Mal auf den Hals. "Du wirst damit zurechtkommen, hab ich recht?" Er lächelte sanft als die Stute ihren Kopf an seine Schulter rieb. Der schwarze Schopf hing lang von ihrer Stirn hinab und ihre dunklen Augen stachen schimmernd unter ihnen hervor. Ruhig wartete sie auf ihren Reiter und ertrug die Last des Gepäcks, welches ihr auferlegt wurde.
Es war nicht viel, wenn man bedachte, dass Lossë sich auf eine lange Reise begab.
Nur das Notwendigste hatte Eonwë zusammentragen lassen. Zu beiden Seiten hing jeweils ein Beutel gefüllt mit Lembas. Auch eine weiße, hölzerne Wasserflasche war an dem Riemen befestigt. Unter der Flasche hing ein kleiner Beutel aus einfachem Leinen, in dem sich ein kleiner Kessel befand. Die Holzschale und der Löffel waren in den Kessel gelegt worden. Eonwë überprüfte die Befestigung des Hithlains und der zwei Decken nun schon zum dritten Mal ohne zu merken, dass er sich nicht davon abbringen konnte, dies ständig zu wiederholen. Mit der Zeit wurde auch ihm etwas unwohl dabei.
Schließlich schickte er seinen besten Krieger und Herold in eine Welt fern der Valar und jeglichem Frieden. Und genau das beschwerte ihm das Herz. Wenn er jetzt Abschied von ihm nähme, so wäre das wohlmöglich von endgültiger Natur. Seine Hände arbeiteten immer langsamer. Loomien stupste ihn mit dem Nüstern an und zog ihn unweigerlich von dem schwarzen Abgrund fort, zu dem ihn seine trübsinnigen Gedanken geführt hatten. Er bannte die Schwermütigkeit aus seinem Geiste und lächelte Loomien verwegen an.
"Ist schon gut... Mit mir ist alles in Ordnung." sagte er und strich ihr über den silbernen Rücken.
Eonwë wusste, dass er hinter ihm stand als Loomien leicht aufgeregt auf der Stelle zu tänzeln begann. Und wieder hatte ihn der Schwermut eingeholt.
Mit leisen Schritten kam Lossë durch das Tor. Sein Gang war langsam fast träge als wenn ganz Aman auf seinen Schultern lastete und ihn am Gehen hinderte.
"Bist Du bereit?" fragte Eonwë ihn als er sich zu ihm umdrehte.
Sindenwë setzte seinen Reisebeutel vor seinen Füßen ab, schlang die Arme um seinen Körper und rieb an seinen Oberarmen als wenn er vor Kälte zittern würde. Doch war es ganz und gar nicht kühl. Die Fackeln an den Säulen wärmten den Raum auf ihre eigene Weise und der Wind wurde von den steinernen Wänden ausgeschlossen.
Sindenwë schwieg gedankenversunken einen Augenblick.
"Ich denke schon..." kam es dann doch etwas unsicher über seine Lippen. "Ich habe keine andere Wahl... Ich muss gehen... Jedes weitere Grübeln verzögert nur mein Vorhaben. Irgendetwas gibt mir das Gefühl, schnell handeln zu müssen... Es drängt mich regelrecht zum Aufbruch."
Eonwë ging in eine kleine Kammer und kam mit Lossës Bogen, Köcher und seinem Schwert wieder. "Ich habe die Pfeile vor langer Zeit von Aulë geschenkt bekommen. Er hat sie eigenhändig angefertigt. Sie sind besonders schnell und verfehlen niemals ihr Ziel." erklärte er fast beiläufig und strich mit dem Daumen nachdenklich über eine der weißen Federn. "Sie haben mir guten Dienst geleistet in der Großen Schlacht. Gib gut auf sie acht. In den falschen Händen können sie großen Schaden anrichten." Er reichte dem Vanya den Köcher.
"Hab Dank, mein Freund. Ich werde mich davor hüten sie zu verlieren." Mit diesen Worten gurtete er sich das Schwert um die Hüften und schulterte den Köcher über seinen Umhang, die Lederriemen durch die dafür vorgesehenen Löcher im weißen Stoff gezogen, damit der Umhang ihn noch vor Wind und Wetter schützen konnte.
Eonwë indes schnallte die Bogentasche am Köcher fest. Die filigrane Verzierung auf den Wurfarmen glitzerte silbern im Schein der Fackeln. Das dünne Leder war eng um das geschwungene Mittelstück geschnürt und passte sich farblich dem grauen Köcher an.
Seine Augen wanderten hinunter zu Lossës Beutel, welcher ihm immer noch zu Füßen lag.
"Ist das alles, was Du mitnehmen möchtest?" fragte er den Elda und hob den Beutel auf.
"Ja... Ich hatte keine Zeit um richtig nachzudenken, ob da noch etwas fehlt... Also hab ich nur das eingepackt, was wirklich notwendig ist..." Loomiens Wiehern unterbrach ihn. Stampfend protestierte sie gegen seine ungewöhnliche Ignoranz und warf den Kopf in den Nacken.
"Verzeih mir, Loomien." wandte er ein und hielt ihr schnell einen kleinen Leckerbissen vor den Nüstern, welches er aus seiner Jackentasche geholt hatte. "Ich wollte Dich nicht übergehen."
Liebevoll griff er ihr in die schwarze, volle Mähne und kraulte sie hinterm Ohr.
»Ich bin froh, dass Du mich nicht alleine reisen lässt, meine Schöne. Was würde ich nur ohne Dich tun?« Leise seufzend ließ er von ihrer Mähne ab und streichelte ihr über den Kopf.
Eonwë stand plötzlich hinter ihm mit einer kleinen Dose in der Hand, eingewickelt in einfaches Leinen. "Das hier ist Balsam. Es hilft bei den meisten Wunden und Verletzungen." Er entfaltete das Leinen kurz, um die Dose darin zu zeigen. Sie war aus einfachem Eichenholz ohne großartige Verzierungen. Schließlich packte er es wieder ein und ließ die Dose im Reisebeutel verschwinden.
Sie standen sich schweigend gegenüber.
Der Morgen graute bereits und die Vögel wagten sich aus den Tiefen der Baumkronen an die äußeren Äste, um ihre prachtvollen Federkleider zu zeigen und ihre Melodien zu zwitschern. Ihr Gesang drang durch das leicht geöffnete Tor. Die Flammen der Fackeln wurden immer kleiner und schwächer. Das schummrige Licht schlich sich durch das Tor und über den Boden.
"Du musst gehen." Drei Worte... und doch empfand Eonwë sie wie ein lähmendes Stechen in seiner Zunge, das ihn am Reden hindern wollte.
Betroffen fiel Lossës Blick zu Boden. Einzig sein Atem durchbrach das Schweigen zwischen ihnen.
"Ich weiß..." Er griff fest in die Mähne seiner Weggefährtin, zögerte dennoch sich auf ihren Rücken zu schwingen. »Geh endlich!« sagte eine innere Stimme.
Er sog den süßen Duft des silbernen Fells ein, seine Stirn auf ihren Rücken gestützt. Ein missmustiges Stöhnen entrann seiner Kehle und dann hatte er doch den Rücken der Stute bestiegen. Ein unerwartetes Feuer loderte kalt in seinen grauen Augen, leidenschaftlich loderten seine Flammen Endor entgegen.
Ihr Blicke trafen sich.
"Pass auf Dich auf, Sindenwë." sagte der Maia und trat einen Schritt zurück.
Loomien warf entzückt den Kopf auf und ab und ihre Hufe tänzelten ungeduldig auf der Stelle als sie den Galopp ihrer verheißenden Reise nicht mehr missen wollte. Trotzig schnaubte sie als sich Lossës Griff in ihrer Mähne festigte und ihr Protest erstickte im Keim. Versöhnend klopfte er ihr über den geschwungenen Hals. Ihr Nüstern bebte doch beruhigte sich ihr Tänzeln bis auf einige Hufstapfer. Plötzlich griff Lossë mit beiden Händen hinter seinen Hals und löste den Verschluss seiner Kette an der das Amulett mit dem Wappen seiner Familie hing. "Das werde ich..." sagte er im gedämpften Ton. Er trieb Loomien einige Schritte weiter vor und hielt Eonwë das Amulett an der Kette hängend vor Augen.
Schweigend starrte Eonwë erst das Amulett an und dann Sindenwë selbst.
Der Vanya lächelte warm und das Feuer in seinen Augen wich der Liebe zu seinem Mentor. "Ich werde es mir wieder abholen, wenn ich erst von meiner Reise wiedergekehrt bin. Bis dahin möchte ich, dass Du es behütest. Ich vertraute Dir einst mein Leben an. Nun möchte ich, dass Du es als Hoffnungsträger behältst, damit ich einen Grund habe heimzukehren. Koste es was es wolle..." Er ließ das Amulett in Eonwës geöffnete Hand fallen. "Als Zeichen unserer Freundschaft." Der Maia verschloss die Kette samt Anhänger in seiner Faust und nickte nur kurz.
"Namaarië, enwína Eonwëndil-nya."
Sie schwiegen beide einige Sekunden und ließen nicht die Augen voneinander bis Lossë die Fersen in Loomiens Flanken stieß und das Pferd leichten Schrittes durch das Tor galoppierte.
Staub wirbelte unter ihren Hufen auf.
Die winzigen Staubkörnchen glitzerten wie kleine Sterne unter dem Grauen des nahenden Morgens. Es kitzelte leicht in Eonwës Nase doch ließ er sich nicht davon stören. Seine Beine waren so schwer als wenn alle Eisenketten Amans an ihnen hingen. Als er dann unter dem Torbogen stand und hinausschaute, war von Lossë bereits nichts mehr zu sehen.
Er schüttelte leicht den Kopf wie um Zweifel und Bedauern loszuwerden.
"Il-namaarië... Eleni siluvar lumenn' omentielvo."
ER stand noch eine Weile dort.
Die Schulter gegen den Pfosten gelehnt. Verzücktes Gezwitscher drang an seine Ohren und vor ihm eröffnete sich ein neuer Tag. Die Baumkronen und Wiesen lagen noch unter einer dünnen Nebeldecke. Das Dunkel der Nacht wich der goldenen Morgenröte und von weit entfernt erklang Niennas Klagen.
Worterklärung:
"Namaarië, enwína Eonwëndil-nya." ("Lebwohl, mein alter Freund Eonwë."
"Eleni siluvar lúmenn' omentielvo." ("Die Sterne werden scheinen über der Stunde unseres Wiedersehens.")
