KAPITEL 1

Helms Klamm, Rohan

Am späten Morgen nach der Großen Schlacht

Legolas lehnte erschöpft an der Wand. Die Schlacht war vorbei und er beobachtete, wie zahlreiche Verletzte versorgt wurden. Man sagt zwar, Elben seien unerschöpflich, aber nach solch einer Schlacht hätte selbst der stärkste und kühnste Elb nicht mehr viel Kraft. Legolas sah Gimli kommen und richtete sich auf. Er sah wieder eine Chance, seinen Freund ein wenig zu ärgern, und diese Gelegenheit nahm er nur zu gerne wahr. Gimli kam und stellte sich wortlos neben den Elb.

Legolas fragte Gimli scheinheilig: " Lieber Freund, wie geht es dir?"

Der Zwerg jedoch grummelte nur etwas vor sich hin.

"Ich kann verstehen, dass du erschöpft bist, nach dieser Schlacht...aber selbst meine Ohren sind nicht so gut, als dass ich verstehen könnte, was du in deinen Bart hineinmurmelst. Also bitte sprich etwas lauter!" Legolas lächelte in sich hinein.

"Ich sagte, dass ich genau weiß, was du mit dieser Frage beabsichtigt hast. Zwerge sind nicht blöd, das solltest du so langsam wissen!", entgegnete Gimli laut.

Legolas lachte und klopfte seinem Freund auf die Schulter. "Und, wieviele Uruks hast du denn erschlagen?"

" Zweiundvierzig, um genau zu sein." Gimli blickte zu Legolas auf " Und du, wenn ich fragen darf?

"Lass mich mal überlegen... ach was solls, du hast einen mehr als ich. Aber freu dich nicht zu früh, mein lieber Freund! Noch ist nicht aller Tage Abend!"

Legolas blickte auf und bemerkte einen Elbenkrieger, der zwischen den Menschen irgendwie fehl am Platz wirkte. Er lief von einer Gruppe zur nächsten und fragte etwas, aber Legolas verstand nicht, nach was er suchte. Erst als der Krieger bei zwei Männern in der Nähe haltmachte, verstand Legolas ihn.

"Verzeiht, könnt Ihr mir vielleicht sagen, wo Haldir ist? Nein, er ist kein Mensch, er ist ein Elb aus Lothlórien, wie ich! Oh...habt trotzdem vielen Dank..."

Etwas kam Legolas seltsam an der Stimme vor, der Krieger konnte noch nicht sehr alt sein, denn sie war heller als es für einen Elbenkrieger üblich war.

Der Prinz wurde traurig, wenn er an Haldir dachte. Er blickte zu Gimli und fragte, ob er verstanden hatte, was der Elb gesagt hatte, aber der Zwerg war damit beschäftigt, seine Axt zu inspizieren. "So was... sieh mal, dieser Kratzer..."

Gimli redete noch etwas vor sich hin, aber der Elb hörte nicht weiter zu. Er sah zu dem Krieger hin, der in einiger Entfernung an der Wand zusammengesunken war. Legolas achtete nicht mehr auf Gimli, der ihm unbedingt einen tiefen Kratzer zeigen wollte, der seine Axt verunstaltete, sondern ging langsam zu dem anderen Elb.

Der saß zusammengesunken an der Wand und hatte den Kopf auf die Knie gelegt.

"Verzeiht..." , begann Legolas, und der Soldat blickte auf.

Legolas sah, dass auf seinen Wangen unter dem Helm Tränen glitzerten "Kann ich Euch vielleicht irgendwie helfen?"

Der Elb aus Lorien wischte sich mit der Hand kurz durch das Gesicht und antwortete leise: "Ich...weiß nicht...ich suche Haldir. Ihr kennt ihn doch sicher, oder?"

"Natürlich, nur...wie soll ich es sagen..." Legolas schaute zu Boden.

Der andere Elb erhob sich rasch und fragte: "Ihr wisst also wo er ist?"

"Also gut..." Der Elbenprinz seufzte und vermied es, dem anderen in die Augen zu blicken, "Es tut mir leid, dass Ihr das jetzt und so erfahren müsst...aber...Haldir ist tot. Er fiel auf der Mauer unter dem Schwert eines Uruk-Hais."

Plötzlich schien alle Kraft aus dem fremden Elb gewichen zu sein. Er sank zu Boden und schluchzte leise.

Legolas hockte sich zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Es...es tut mir sehr leid und ich kann Eure Trauer nur allzu gut verstehen. Aber seid versichert, er hat dort, wo auch immer er jetzt ist, keine Schmerzen und es geht ihm gut..."

Der andere Elb blickte mit tränenverschleiertem Gesicht auf und sagte: "Ihr...wisst ja nicht...was...bei den Valar, das kann nicht wahr sein! Ihr beliebt zu scherzen, nicht wahr? Sagt, dass er noch lebt!"

Der Elb stand verzweifelt auf und Legolas erhob sich ebenfalls. Der Krieger konnte die Antwort auf seine Frage buchstäblich von Legolas' Gesicht ablesen, er klammerte sich jedoch an die Hoffnung wie an einen letzten Strohhalm.

Der Prinz legte seine Hände auf die Schultern des anderen und schüttelte langsam den Kopf. Daraufhin lies der Krieger den seinen sinken und nahm leise schluchzend den Helm ab.

Legolas erstarrte. Es konnte nicht sein, was er sah. Der vermeintlich männliche Elbenkrieger war eine Frau! Sie hatte blaugrüne Augen, die jetzt, von Tränen verschleiert, wahrhaftig wie tiefe Ozeane aussahen und langes, fast weißes Haar, das nach Art der Galadrhim zurückgekämmt und zu kleinen Zöpfen geflochten war. Über ihr fein geschnittenes, blasses Gesicht rann eine einzelne Träne.

Legolas stammelte: "Was...was macht Ihr denn hier? Und wer seid Ihr, dass Ihr bei den Kriegern aus Lothlorien kämpft, als Frau?"

Die Elbin blickte ihn verstört an. Er zweifelte schon daran, ob sie verstanden hatte, was er gefragt hatte, als sie leise antwortete:

"Mein Name ist Valenya, ich bin die Tochter von Valhiriel und Tarenon aus Lothlorien. Mein Vater war gut mit Haldirs Eltern befreundet und...Haldir..." wieder rann eine Träne über ihr Gesicht "...Haldir und ich wuchsen wie Geschwister auf...Ich gehöre zu den Kriegern Lothloriens, eine Ausnahme, weil es eigentlich keiner Frau gestattet ist im Heer der Herrin zu dienen. Ich habe Jahre damit verbracht, mich im Kampf auszubilden und eiferte Haldir so gut es ging nach und er brachte mir alles bei, was ich wissen musste. Und nun...ich kann es nicht glauben..."

Legolas hörte erstaunt zu, was die Elbe ihm erzählte. Würde sie nicht leibhaftig hier vor ihm stehen, würde er es nicht glauben: eine Frau die in den Krieg zog... nicht, dass er Frauen für unfähig hielt, aber es gab auch bei den Elben gewisse Vorschriften...

Legolas wurde durch ein Zupfen an seinem Umhang aus seinen Gedanken gerissen und bemerkte plötzlich, dass er immer noch seine Hände auf den Schultern der Elbin liegen hatte. Er nahm sie schnell runter und wandte den Blick. Neben ihm stand Gimli, der ihm stumm bedeutete, sich etwas hinunterzuneigen, damit er ihm etwas ins Ohr flüstern konnte.

"Legolas, ich denke, es ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt zum Flirten! Und wer ist sie überhaupt?"

Legolas ignorierte Gimli wiedermals und wand sich wieder Valenya zu, deren Interesse der Zwerg sichtlich geweckt hatte.

Sie schaute Gimli noch kurz an, dann fragte sie Legolas ihrerseits: "Nun bitte ich Euch, mir zu sagen, mit wem ich mich unterhalte..."

"Ich bin Legolas, Sohn von Thranduil aus dem Düsterwald. Ich bin mit meinem Gefährten Gimli" er deutete zu dem Zwerg, " dem Weißen Zauberer Gandalf und Aragorn, Arathorns Sohn aus Gondor hier."

Die Elbin schaute ungläubig. "Ihr seid Prinz Legolas? Aber was macht Ihr hier?"

Legolas musste schmunzeln. Diese Reaktion...

"Ich brach mit acht weiteren Gefährten aus Bruchtal auf. Wir begleiteten den Hobbit Frodo, der die große Aufgabe trägt, den Einen Ring zum Schicksalsberg zu bringen. Außer meinen drei jetzigen Begleitern waren noch drei andere Hobbits bei uns und Boromir, Sohn des Statthalters von Gondor."

Legolas beobachtete, wie Valenyas Augen immer größer wurden. Plötzlich holte sie tief Luft...und fiel langsam nach vorne. Legolas konnte sie noch gerade so auffangen und hörte auf Höhe seiner Hüfte Gimlis Stimme:

"Das war wohl alles etwas zu viel für sie..."