Disclaimer:    Nix mir, alles Tolkien!

"Schäume nur, mein wildes Herz

 In des Zornes Wehen

 Bin aus leichtem Stoff gemacht

 Muss wie Luft vergehen

 Ohne Schiffer treibt mein Kahn

 Auf des Meeres Spiegel

 Niemals fesselt mich ein Band

 Riegelt mich ein Riegel

 Suchte meinesgleichen

 Fand nur Sünder ohne Zügel"

                             (In Extremo)

Kapitel 9

Licia brachte mich zurück zu nach Hause und hinauf in meine Kammer. Danach verschwand sie Richtung Küche und tauchte kurze Zeit später mit einer großen Tonflasche Kräuterschnaps und einem Stück geräuchertem Schinken wieder auf. Wir setzten uns auf mein Bett und tranken erst mal einen tüchtigen Schluck. Allmählich entnebelte sich mein Kopf und ich konnte wieder klar denken. Und erinnerte mich prompt an das, was passiert war.

„Licia, bist du verletzt?"

„Mach dir keine Sorgen, mir geht es gut! Aber was ist mit dir, du siehst ziemlich mitgenommen aus?"

Ich runzelte die Stirn, Malicia versuchte schon die ganze Zeit über ihr Grinsen zu unterdrücken, aber jetzt kicherte sie laut los und fand kein Halten mehr.

„Ich bin unverletzt, falls du das meinst."

„Oh Sharra, es tut mir leid, aber du hättest euch sehen sollen! Ihr gabt so ein nettes Paar ab, einen Moment lang dachte ich schon, er würde dich küssen. Wie aufregend!"

Genau das hatte ich in dem Moment auch gedacht. Ich goss mir noch einen Schnaps ein.

„Und ich hätte nie gedacht, dass du dich wirklich trauen würdest, ihn anzugreifen! Was hast du dir dabei eigentlich gedacht? Nein, beantworte das lieber nicht, ich kanns mir denken! Ob wir die zwei wohl wieder sehen?"

An der Stelle wäre ich am liebsten in Tränen ausgebrochen.

„Ach wie dumm und ungeschickt von mir, mach dir keine Sorgen Schwester! Ich hol ihn dir schon zurück und wenn ich den ganzen Wald nach ihm durchkämmen muss!

„Aber ich habe ihn verletzt!" brach es aus mir heraus.

„Ach was, nur ein Kratzer. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihm das viel ausmacht!"

„Und ich weiß auch nicht, ob ich ihn überhaupt wieder sehen will!" ich versuchte, ein letztes bisschen Würde zu behalten.

„Aber natürlich willst du ihn wieder sehen Schätzchen! Glaub mir, dein Gesichtsausdruck, als du ihn angesehen hast, hat Bände gesprochen! Hier, trink noch was!"

Ich kippte einen weiteren Schnaps runter. Dann kam mir eine Idee.

„Licia?"

„Ja, Asharra?"

„Meinst du, wir könnten einen Blick in die Kristallkugel deiner Mutter werfen? Nur einen ganz kleinen!"

Ich spielte verschämt mit einem Schinkenrest.

„Mutters Kristallkugel? Meinst du sie zeigt ihn dir? Gar nicht schlecht, die Idee, vielleicht können wir das morgen mal ausprobieren!"

„Ich möchte es jetzt ausprobieren. Vorher kann ich ja doch nicht schlafen, also können wir?"

„Laß mich überlegen. Mutter ist heute Nacht in ihrer Meditationskammer und vor dem Frühstück wird sie da wohl nicht herauskommen. Also gut, gehen wir!"

Leicht angeheitert und immer noch in unserer Tarnverkleidung schlichen wir uns in Tante Milikkas Arbeitszimmer. Normalerweise hätte ich die zahlreichen Artefakte und die kostbaren Bücher unwiderstehlich gefunden, aber heute interessierte mich einzig und allein die Kugel. Sie ruhte auf einem Samtkissen, welches auf einem pyramidenförmigen Podest aus edlem schwarzen Marmor lag. In den Büchern meiner Mutter hatte ich Abbildungen von Palantieren gesehen und fand dass diese magische Kugel dem Aussehen nach durchaus einer sein könnte. Licia bestritt dies jedoch vehement und behauptete, die Kristallkugeln der Hexen besäßen noch andere Kräfte, über die sie aber selber auch nicht vollkommen Bescheid wüsste. Sie entzündete einige Kerzen und Räucherstäbchen und zog dann das Schutztuch von der Kugel.

„Nun, wenn du Gewissheit haben möchtest, dann konzentriere dich und schau hinein, die Kugel wird dann schon wissen, was du zusehen begehrst!"

Mit klopfendem Herzen trat ich an das Podest heran und beugte mich über die Kugel. Plötzlich begann sie im Inneren zu funkeln und ein tiefes Summen erfüllte den Raum. Ich blinzelte. Auf einmal schien mir, als ob sich die Kugel ausbreitete und mich in ihre unendlichen Tiefen hinabziehen würde, Unten wurde Oben und Oben wurde zu Unten und dann war es genau so schnell vorbei, wie es begonnen hatte.

Ich fand mich plötzlich im Wald wieder, an einer Stelle, von der ich mir sicher war, sie noch nicht gesehen zu haben.

Und dann sah ich ihn.

Er hatte seine Rüstung abgelegt und saß nun, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, auf dem Waldboden, Rücken und Kopf an einen Baum gelehnt, die Augen geschlossen. Seine Hände lagen in seinem Schoß und umschlossen den Dolch, den ich in seiner Wunde zurückgelassen hatte, seine Finger zeichneten wie im Schlaf die in das Metall eingravierten Runen und Bilder nach. Ich erkannte diese Bewegungen mit Leichtigkeit wieder, denn ich hatte das oft genug selbst getan, wenn ich keinen Schlaf finden konnte. Meine Augen wanderten zu der Wunde an seinem linken Oberarm, die ich verursacht hatte. Sie war mit einem Fetzen verbunden.

Als ich schließlich merkte, dass er mich weder hören noch sehen konnte, wurde ich mutiger. Ich ließ mich neben ihm in der Hocke nieder und betrachtete sein Gesicht. Im Wald war es stickigheiß an diesem Abend und ich konnte sehen, wie sich ein Tropfen Schweiß von seiner Schläfe löste und seinen Hals hinunter rann. Fasziniert beobachtete ich das kleine Rinnsal und zeichnete die Spur federleicht mit meinem Zeigefinger nach, von der Schläfe aus über das kantige Kinn, den kräftigen Hals hinunter. Als ich beim Schlüsselbein anlangte, kam wieder dieses tiefe Schnurren aus seiner Kehle, als könne er meine Berührung tatsächlich spüren.

Ich fuhr über das Schlüsselbein hinweg mit dem Zeigefinger über einen muskulösen Brustkorb bis zum Bauchnabel hinab. Die Vibrationen breiteten sich durch meinen Arm hindurch in den Rest meines Körpers aus und zum ersten Mal seit unserem Kampf fühlte ich mich entspannt. Es ging ihm gut.

Ich war noch nicht sicher, warum mir das auf einmal so wichtig war, aber jedenfalls konnte ich nun beruhigt schlafen gehen. Wie auf mein Kommando begann sich die Welt um mich herum wieder zu verzerren und ich spürte den Sog, der mich zurück in das Arbeitszimmer zog. Der Wald begann sich zu verzerren und ein paar Momente später stand ich wieder da, wo ich angefangen hatte. Licia blickte mich vom Bücherregal aus an.

„Deinem zufriedenen Gesichtsausdruck nach schließe ich, dass es ihm gut geht, nicht wahr?"

Ich nickte verträumt und setzte mich auf eine Tischkante.

„Nun, während du mit deinem Romeo geflirtet hast, habe ich mich ein wenig schlau gemacht. Ich habe in Mutters Sammlung ein Buch über Orks gefunden und ich glaube, ich weiß nun, mit was wir es da zu tun haben."

Ich warf ihr einen ermunternden Blick von meiner Tischkante aus zu.

„Diesem Buch nach sind es Uruk-hai, eine Kreuzung aus Orks und Bilwißmenschen. Extrem stark, ausdauernd, gute Kämpfer und das Sonnenlicht macht ihnen nichts aus. Schau, hier ist eine Zeichnung!"

Ich warf einen Blick auf dieselbige und musste Licia Recht geben, die Ähnlichkeit mit den lebenden Exemplaren war frappierend.

„Nun, dann sind wir jetzt zumindestens ein wenig schlauer!" und mit diesen Worten klappte sie das Buch zu und stellte es wieder an seinen Platz.

In dieser Nacht kam der Schlaf leicht und unbeschwert.

Und in meinen Händen hielt ich den verbliebenen Dolch und zeichnete im Traum die Gravuren mit den Fingern nach.