Disclaimer: siehe vorherige Kapitel
„Die Sonne und Sterne tragen Kunde von dir.
Jeder Lufthauch erzählt mir von dir.
Jeder Atemzug, jeder Schritt
Trägt deinen Namen weit mit sich mit…"
(Schandmaul)
Kapitel 10
Den nächsten Tag war ich sonderlich guter Stimmung.
Da ich jetzt vor- wie nachmittags Unterricht abzuhalten hatte, hatte meine Tante mich meiner sonstigen häuslichen Pflichten enthoben. Das bedeutete, dass ich von nun an nicht mehr die groben, schmutzabweisenden Kittel tragen musste wie bisher, in denen ich noch plumper und breiter aussah als sowieso schon. Beschwingt von meinem Kristallkugel Abenteuer und entspannt durch einen erholsamen Nachtschlaf mit nicht gerade jugendfreien Träumen, saß ich vor meinem Spiegel und kämmte mein langes, grobes Haar, bis es glänzte. Dann beschloss ich, mich heute etwas hübscher anzuziehen. Ich wählte mein Lieblingskleid, ein Geburtstagsgeschenk unserer Oberhexe, über das ich mich seinerzeit sehr gefreut hatte. Es war ein Zweiteiler, mit einem kurzärmligen, bauchfreiem und enganliegendem Oberteil aus tiefvioletter, dicker Seide. Am Saum und an den Ärmeln war es mit winzigen silbernen Perlen in einem bizarren Muster bestickt. Dazu gehörte ein Rock aus demselben Material, der tief auf der Hüfte saß und weit bis über das Knie an beiden Seiten geschlitzt war. Ich legte einen passenden breiten, silbernen Gürtel an, an den ich den letzten Dolch festband und noch ein paar Beutelchen. Ein schmales silbernes Schlangenhalsband und große, schwingende Creolen rundeten meine Erscheinung ab und zu guterletzt legte ich noch einen Hauch meines Lieblingsparfüms auf. Derart gewappnet schwebte ich wie auf einer Wolke durch das Haus, leicht verträumt und vor mich hinsummend.
Der Unterricht mit Sonya zog sich genau so quälend langsam und endlos hin, wie ich es befürchtet hatte. Allerdings machte mir das heute nicht sonderlich viel aus. Mit einer Unnachgiebigkeit, die mich selbst überraschte, ließ ich sie immer und immer wieder denselben Trank brauen, bis sie schließlich gegen Ende des Vormittags ein einigermaßen akzeptables Ergebnis erzielt hatte. Ich schaffte es schließlich, sie aus meinem Gewächshaus herauszubefördern und machte mich daran, das von ihr hinterlassene Chaos zu beseitigen.
Kait-Elenis Unterweisung erwies sich glücklicherweise als wesentlich angenehmer. Allerdings muss ich zugeben, dass ich einem Kind im zarten Alter von neun Jahren nie im Leben schon so eine erschreckend genaue Menschenkenntnis zugetraut hätte. Man konnte wohl nicht viel vor ihr verbergen.
„Du, Asharra.."
„Ja, Schwesterchen, was ist? Brauchst du Hilfe mit dem Trank, warte, ich komm gleich rüber zu dir!"
Ich erhob mich von meiner Lektüre und ging zu Kait hinüber, die an einem Werktisch stand und die benötigten Zutaten für einen leichten Heiltrank abwog.
„Das ist ein schönes Kleid, das du da trägst, wer hat es geschneidert?"
„Ich weiß es nicht, es war ein Geschenk. Ich freue mich, dass es dir gefällt."
Kait legte den Kopf schief und blickt mich aus ihren Opalaugen sinnierend an.
„Du bist so gut gelaunt heute."
„Darf ich das nicht? Du tust ja so, als ob ich sonst immer ein Trauerkloß wäre!"
Die Wendung, die dieses Gespräch allmählich nahm, behagte mir nicht wirklich.
„Und seit dem Tag, an dem du zu uns gekommen bist, habe ich dich nicht mehr so hübsch und fröhlich gesehen. Hast du.."
Die Kleine hielt mitten im Satz inne und schien ihre Strategie noch einmal zu überdenken.
„Weißt du schon, was du nächsten Vollmond tragen wirst? Es ist nicht mehr lange bis dahin!"
Der plötzliche Themawechsel überraschte mich.
„Nein, ich habe noch nichts geplant, warum fragst du?"
„Du könntest etwas selber nähen. In Mutters Vorratskammern lagern noch etliche Ballen Stoff und Seide. Ich könnte dir helfen!"
„Ach ich weiß nicht, ich möchte euch nicht berauben.."
„Aber Mutter sagt bestimmt nicht nein. Und außerdem sollte du bei deinem ersten Mondfest hier bei uns wirklich etwas Neues tragen, ich gehe sie fragen!"
Kaits Augen leuchteten voll Enthusiasmus.
„Und willst du wirklich deinem neuen Freund in einem alten Fummel gegenüber treten?"
Ich war nun doch ein wenig geschockt.
„Wie kommst du nur auf so etwas?"
„Ach komm, wer so glücklich und verträumt aussiehst, der muss doch einfach verliebt sein!"
Und mit dieser letzten kindlichen Weisheit packte sie den letzten Kräutertopf weg und lief lachend ins Haus zurück.
Ich musste mich erst mal setzen.
Nachdem ich in meinem Refugium Ordnung geschaffen hatte, entschloss ich mich ein wenig in den Garten zu gehen. Es würde noch mindestens eine Stunde dauern, bis Licia die Zeit fand, mich aufzusuchen und die Abendmahlzeit war noch weit entfernt. Ich bewaffnete mich mit Korb, Harke und Gartenschere und ging die Beete inspizieren. Meine Tante war praktisch veranlagt. Neben allerlei nützlichen Kräutern fanden sich hier auch profanere Dinge, wie Rüben, Kohl, Salat, Tomaten und einige Beerensträucher. Ich ging die krummen Reihen entlang, zupfte hier etwas, pflückte da etwas und probierte ein paar Schwarzbeeren, aus denen meine Tante im Sommer allerlei Delikatessen zaubern würde.
Da ich mich jedoch nicht so richtig auf eine Sache konzentrieren konnte, verließ ich den Beetbereich und ging in den Abschnitt mit den Obstbäumen hinüber. Hier wuchsen neben Apfel-, Kirsch- und Pflaumenbäumen auch solch exotische Gewächse wie die inzwischen selten gewordene Würgefeige, die ihre mit ihren stark duftenden Früchten ahnungslose Opfer anlockte, die sie dann mit klebrigen Lianen einfing und im Stammesinnern verdaute. Aber wenn man wusste, wie man die Früchte ungefährlich ernten konnte, dann konnte man aus ihnen etliche starke Tränke brauen. Ich lächelte, ja ich freute mich schon darauf, wenn sie reif waren!
Jetzt jedoch waren noch die meisten Bäume kahl und ich kletterte in die ausladende kahle Krone eines großen, knorrigen Apfelbaums, von dem aus ich den Waldsaum bestens im Blick hatte.
Der Wind fuhr durch mein Haar, blies einige zerzauste Strähnen in mein Gesicht und ließ meinen Rock flattern. Ich sah zum verhangenen Himmel über mir auf und stimmte ein altes Lied an, das mir plötzlich in den Sinn kam.
