Disclaimer: Siehe vorherige Kapitel!
„Du hast nur mein Gesicht berührt,
da starb er einfach hin, der harte Mann
Weil´s solche Liebe nicht mehr gibt
Ich hab mich in dein rotes Haar verliebt!"
(In Extremo)
Kapitel 12
Am nächsten Tag kam mir Kait mit einem Schlüssel entgegengelaufen.
„Schau nur, Asharra! Mutter hat mir den Schlüssel für die Vorratskammer gegeben, sie sagt, du darfst dir nehmen, was dir gefällt! Ist das nicht toll?"
Sie schwenkte den dicken Schlüsselbund triumphierend vor meiner Nase.
Ich musste lachen.
„Na, dann wollen wir doch mal schauen, was für Schätze ihr dort gehortet habt!"
Kait lief mir voraus und führte mich in die hinteren Räume des Hauses, in dem sich auch die Waschküche und die Speisekammer befanden. Ich schloss die Tür auf und wir betraten einen düsteren, voll gepackten großen Raum. Nachdem ich einige Lampen entzündet hatte, starrten Kait und ich uns mit offenen Mündern an, das war kein simples Vorratslager, das hätte viel besser das Lager eines reichen gondorianischen Händlers sein können, der sich auf Waren aus aller Welt spezialisiert hatte. Es gab Pferdefelle und Schnitzereien aus Rohan, Ziergegenstände und Lampen aus Gondor, Fässchen voll Pfeifentabak aus dem Auenland, Schmuckkassetten aus zwergischer Handarbeit und vieles mehr, das ich nicht recht zuordnen konnte. Wie hatte meine Tante es bloß geschafft, so viele Kostbarkeiten anzuhäufen?
Kait zog mich aufgeregt tiefer in den Raum zu den Stoffballen, die ordentlich und sauber nebeneinander auf Tischen aufgereiht lagen. Ich betrachtete staunend die riesige Auswahl und stellte mir Ellenas Gesicht vor, falls sie jemals erfahren sollte, welch Reichtümer meine Tante so offensichtlich besaß, obwohl sie doch dachte dass diese auf der Oberfläche in Armut und Kargheit lebte.
Ich ging an den Tischen entlang und strich sanft mit den Fingerspitzen über sämtliche Ballen, als ich hinter mir Schritte hörte. Licia hatte sich zu uns gesellt.
„Schau doch nur Sharra, smaragdgrün! Das müsste dir gut stehen!"
Sie hielt einen Tuchzipfel hoch.
„Oder hier, ein mitternachtsblau, wie wunderschön!" hörte ich Kait hinter meinem Rücken begeistert rufen.
So ging es noch eine ganze Weile weiter, aber ich konnte mich noch nicht so richtig entscheiden.
Bis Kait einen Ballen von ganz unten hervorholte.
Als sie ihn ans Licht hielt, sogen wir alle die Luft ein. Das war es!
Feine Spinnenseide in einem wunderbar dunklem, satten scharlachrot! Ich war begeistert.
„Oh Licia, glaubst du wirklich, ich könnte etwas davon nehmen, es ist doch viel zu kostbar für mich!"
„Mutter hat extra betont, dass du etwas aussuchen sollst, was dir auch wirklich gefällt!" mahnte Kait.
„Nimm es ruhig, Schwester. Es wird dir wunderbar stehen!" Licia ging rüber zu einer großen Truhe und kramte in ihr rum.
„Sieh mal, was ich gefunden habe! Es gibt noch Leder im gleichen Farbton!"
Mit Schwung klatschte sie eine dicke Rolle roten Leders auf den Tisch. Mir kam eine Idee.
„Meinst du, mir würde ein Lederbustier stehen und dazu ein Rock aus der roten Seide?"
Kait nickte begeistert.
„Weißt du schon, welche Kontrastfarbe du für die Schleier haben willst?"
Schleier waren ein wesentlicher Bestandteil eines Mondfestkleides. Man knotete sie an den traditionellen Kettengürtel, den man über dem Rock trug, damit sie beim Tanzen durch die Luft wirbelten. Es galt die Faustregel je mehr Schleier, desto knapper die darunter liegende Kleidung. Und je mehr Schleier, desto besser. Ein extra langer, separater Schleier wurde beim Tanzen in den Händen getragen, der Optik wegen, aber auch um Männer damit zu locken. Erfahrene Hexen, die schon lange tanzten, konnten ihn sogar wie ein Lasso um den Hals ihres Auserwählten werfen und ihn so in den Kreis der Tanzenden ziehen. Umgekehrt konnte man ihn auch als Peitsche nutzen und unerwünschte Verehrer damit in die Flucht schlagen. Einem Mann, den man nach dem Fest wieder sehen wollte, konnte man einen Schleier schenken und einige Männer versuchte sogar, welche zu erbeuten!
Es galt also, die Wahl des Materials für die Schleier sorgfältig zu treffen. Man konnte im Allgemeinen sagen, dass junge Hexen mit wenigen Schleiern anfingen und sich dann langsam emporarbeiteten. Oftmals verzichteten sie am Anfang auch auf den Handschleier, da dieser bereits einige Übung voraussetzte.
Da ich persönlich schon seit einigen Jahren tanzte, hatte ich nicht vor, auf irgendetwas zu verzichten. Ich entschied mich schließlich für dünne, aber sehr reißfeste schwarzdurchsichtige Seide, aus denen ich die Schleier selber nähen wollte. Neben mir wählte Malicia den mitternachtsblauen Stoff für ihr Kleid und silbernen für ihre Schleier. Wir wussten jetzt schon beide, dass wir die gleiche Anzahl an Schleiern tragen würden. Im Geiste ging ich meine Besitztümer durch. Bei einem Mondfest ging und tanzte man barfuss, also brauchte ich keine passenden Schuhe zu diesem Kleid. Ferner benötigte ich noch Fußkettchen und Massen von klirrenden Armreifen. Hmm, vielleicht noch ein Glöckchenband? All das befand sich aber Shora sei Dank in meiner Truhe, denn meine Mutter hatte mich vor meiner Abreise kontrolliert ob ich auch ja nichts vergessen hatte.
„Du Licia, wann bekomme ich denn ein Schleierkleid?" fragte Kait hinter meinem Rücken sehnsüchtig.
„Schätzchen, du weißt doch, dass du erst auf einem Mondfest mittanzen kannst, wenn du fünfzehn bist!"
Im Stillen dankte ich dafür, dass Sonya erst dreizehn war. Noch zwei Jahre Galgenfrist!
„Und vorher bekommst du auch noch kein eigenes Kleid. Aber dafür hast du noch genügend Zeit um Nähen und Tanzen zu lernen!"
Kait machte ein bedröppeltes Gesicht. Ich beugte mich zu ihr hinunter.
„Sei nicht traurig, wenn du willst, dann üben wir mit dir tanzen! Nicht wahr, Licia?"
„Au ja! Aber Sonya darf nicht mitmachen, versprichst du´s mir? Die tritt mir immer absichtlich auf die Füße."
„Gut ich verspreche es, aber erzähls nicht weiter!"
„Mach ich nicht!" und damit lief sie auch schon in ihr Zimmer, um sich für unsere Tanzstunde umzuziehen.
Licia und ich lächelten uns an und packten unsere Stoffe zusammen, um sie in unsere Zimmer zu bringen. Licia setzte sich auf die Ledertruhe und sah mich an.
„Und, wie war es bei dir bis jetzt, ich meine auf den Festen?"
„Nun ja, was soll ich da erzählen. Ein paar von den Kerlen waren wohl ganz nett, einige weniger. Aber das große Los war bis jetzt noch nicht dabei. Jedenfalls ist es schwierig einen Passenden zu finden, wenn man so aussieht wie ich. Ein oder Zwei hatten sogar Angst vor mir und haben mich beschimpft, kannst du dir das vorstellen?"
Malicia sah mich schockiert an.
„Du beliebst zu scherzen! Wer sollte denn so etwas tun?"
„Schwesterchen, du kennst nur diesen Wald und nur wenige verirren sich hierher. Wir feiern unsere Mondfeste immer an einem Ort, der allen frei zugänglich ist, vergiss das nicht! Glaub mir, es gibt viel Gesindel auf der Welt!"
Licia schluckte.
„Nun im letzten Jahr, da hatte ich mich verliebt. In einen Waldläufer, ein süßer Kerl, sag ich dir!"
„Und?"
„Es ist nichts draus geworden. Mutter meinte, das wäre unter meiner Würde. Wenn ich einen Gefährten wollte, sollte ich mir einen Zauberer suchen, oder zumindestens einen reichen Verwalter, der mir die schönen Dinge des Lebens bieten könnte! Hah! Sie will doch nur Enkelkinder, mein Liebesglück interessiert sie doch gar nicht!"
Ich legte ihr mitfühlend einen Arm um die Schulter und wir gingen wieder zu unseren Zimmern hoch.
