Disclaimer: siehe vorherige Kapitel!

„Zeigt der Sinn, so wie ich wirklich bin

 Lenkt der Sturm mich stets woanders hin

 Trügt der Schein, ich kehre niemals heim

 Am festen Band und bin dann doch allein"

                                           (In Extremo)

Kapitel 22

Allmählich kam das Haus zur Ruhe.

Bis zum späten Nachmittag waren die meisten Gäste wieder abgereist und hinterließen einen Berg von Chaos, den Malicia und ich beseitigen durften. Wir hatten uns schweren Herzens von Lillith und Sunavoa verabschiedet, nicht aber, ohne von ihnen genötigt worden zu sein, sie so bald wie möglich in ihrer Höhle zu besuchen. Licia machte einen leicht bedrückten Eindruck, wie ich fand. Nachdem wir die größte Unordnung aufgeräumt hatten, gingen wir in die Kräuterküche, wo sie sich mit einer Tasse Tee auf die Eckbank flezte. Ich holte derweil meine alchimistische Ausrüstung hervor und machte mich daran, die Reste des Lakh´cha zu untersuchen. Ich nahm einen Destillierkolben zur Hand und entkorkte die Weinflasche. Mit Sorgfalt füllte ich den Kolben bis zum Messtrich und fügte dann einige Tropfen einer Indikatorlösung hinzu. Mit einer Zange hielt ich den Kolben schließlich über die Glut meines kleinen Kohleofens und erwärmte den Inhalt unter stetigem Schwenken vorsichtig. Malicia beobachtete mich interessiert.

„Sharra, glaubst du wirklich, Mutter hat etwas in den Trank getan? Ich jedenfalls habe keinen großen Unterschied zu den üblichen Tränken gespürt."

„Ich habe diesen Trank schon etliche Male gebraut, Licia. Ich kenne seinen Geschmack, seine Färbung und seine Wirkung genau."

Aus dem Destillierkolben stieg gelblicher Rauch auf.

„Und dieser Lakh´cha wurde nachträglich verändert. Milikka muss etwas hineingetan haben. Der Trank war stärker als er sein sollte. Und er hatte Nebenwirkungen, die eigentlich nicht hätten auftreten dürfen!"

Licia richtete sich auf.

„Was für Nebenwirkungen?"

„Der Lakh´cha nach meinem Rezept soll entspannen, er soll dich in gute Stimmung versetzten und deinen Geist für die Magie des Vollmondes und der Rituale öffnen. Dieses Gebräu versetzt einen in Vollrausch, schon nach wenigen Schlücken. Was meinst du, warum wir alle heute Morgen so einen Kater hatten? Deine Pupillen waren extrem geweitet und du hast angefangen, unkontrolliert zu kichern. Du hast mit Männern geflirtet, die du sonst nicht einmal eines Blickes gewürdigt hättest. Und es greift das Gleichgewichtsgefühl an, dir entgleitet die Kontrolle über deine Bewegungen. Ich konnte mich nicht gegen diesen Elb wehren, ich konnte noch nicht einmal zurückschlagen oder mich aus seinem Griff befreien. Und das macht diesen Trank so gefährlich!"

Die Flüssigkeit begann, sich von dunkelrot zu schwarzviolett zu färben.

„Meinst du, sie hat das beabsichtigt?"

„Das kann ich nicht sagen. Vielleicht wusste sie nicht, dass die Wechselwirkung mit meinem Rezept so stark sein würde. Aber andererseits ist deine Mutter eine Kräutermeisterin. Sie hätte es ahnen müssen!"

Ich nahm den Kolben von der Flamme und stellte ihn zum abkühlen auf ein Drahtgitter.

„Was wirst du jetzt tun?" fragte Licia mich.

„Wegen des Trankes? Wenn ich es beweisen kann, werde ich sie wohl darauf ansprechen müssen!" ich blickte zur Seite.

„Das habe ich nicht gemeint und das weißt du. Ich meine, was willst du jetzt mit deinem Leben anfangen? Wenn du eine feste Bindung mit diesem Mauhur eingehen willst, kannst du nicht hier bleiben. Mutter wird das nicht dulden und ich fürchte, sie hat Mittel und Wege, ihren Willen durchzusetzen!"

„Nun, zurück in meine Höhle kann ich auch nicht. Dort werden keine Männer geduldet, selbst wenn es keine Uruk-hai sind."

Ich kramte in einer Schublade und holte eine lange, dünne Pipette hervor.

„Ich habe nicht vor, deiner Mutter irgendetwas von Mauhur oder meinen Zukunftsplänen zu erzählen. Ich weiß noch nicht genau, was ich machen werde, Licia, aber ich glaube ich möchte reisen!"

„Reisen, wohin?"

„Überall hin. Vielleicht nach Mordor, oder nach Isengard, dort soll es schön sein, habe ich gehört. Und irgendwo muss es doch ein Fleckchen geben, wo jemand wie ich akzeptiert wird."

Während des Abkühlens hatte sich die Flüssigkeit giftgrün gefärbt. Sorgfältig saugte ich mit der Pipette einige Topfen ab, die ich in eine kleine Petrischale laufen ließ.

„Willst du wirklich deiner gesamten Sippe den Rücken kehren?" fragte Malicia entsetzt.

„Ich habe nicht gesagt, dass ich dich, oder Lili und Nova niemals wieder sehen möchte, dazu habe ich euch zu gerne! Aber ich möchte mein eigenes Leben leben, ich habe es satt, von einer Nische zur anderen geschubst zu werden. Hexen sind nachtragend, Licia, falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, sie werden mich niemals wirklich als eine der Ihrigen betrachten. Ich kann ja noch nicht einmal richtig zaubern!"

Sie betrachtete mich nachdenklich.

„Das stimmt nicht ganz, Sharra. Die Magie ist in dir, sie scheint nur irgendwie blockiert zu sein. Aber als du Mauhur gerettet hast, funktionierte der Zauber doch einwandfrei!"

Ich stäubte ein Puder über die Schale.

„Vielleicht, weil ich unter Druck stand. Aber du hast Recht, seitdem ist irgendetwas anders. Sieh nur!"

Ich hielt ihr meine Hände hin.

„Seit dem Zauber letzte Nacht, kribbeln meine Handinnenflächen."

Licia nahm meine Hände in ihre und strich mit einem Zeigefinger federleicht über die Lebenslinie meiner rechten Hand.

„Tatsächlich, ich spüre was! Lass mich einen leichten Zauber probieren!"

Sie zog eine Rune mit dem Zeigefinger über meiner Hand und murmelte eine Formel. Meine Handflächen glühten in einem goldenen Licht auf.

„Was hat das zu bedeuten?" wollte ich wissen.

„Siehst du, hier über der Lebenslinie ist der goldene Schimmer am stärksten. Du hast einen sehr mächtigen Zauber gewirkt, Sharra und nun versucht dein Körper, sich dieser Magie anzupassen. Na los, versuch mal einen Zauber!"

Ich deckte die Schale ab und stellte sie in einen Schrank. Dann räumte ich alle zerbrechlichen Dinge beiseite und deckte das Feuer ab. Licia betrachtete mich amüsiert.

„Eine reine Vorsichtsmaßnahme!" versuchte ich mich zu rechtfertigen.

„Welchen Spruch soll ich versuchen?" fragte ich unsicher.

„Versuche mal, dieses Buch in Stein zu verwandeln. Die Formel kennst du ja!" sie legte ein altes, zerfleddertes Lehrbuch über Kräuterarten auf den Tisch.

Ich deutete mit dem rechten Zeigefinger auf das Buch und konzentrierte mich. Dann sprach ich die Formel.

Ich fühlte, wie die Magie durch meinen Körper lief, stärker als je zuvor in meinem Leben. Sie brannte von meiner Körpermitte aus durch meinen rechten Arm in die ausgestreckte Hand und konzentrierte sich in meinem Zeigefinger.

Und dann spürte ich die Überreste der Blockade. Die Magie weigerte sich, meinen Körper zu verlassen! Der Druck stieg unaufhaltsam, mein Arm brannte im magischen Feuer und meine Hand drohte in dem übermächtigen Druck zu verglühen. Wie durch Watte hörte ich Licias Stimme.

„Du musst loslassen, Asharra, lass die Magie frei, oder sie wird sich selber einen Weg suchen!"

Ich musste an den Dolch denken, der Mauhur beinahe das Leben gekostet hätte und meine Wut löste schließlich die Blockade. Die aufgestaute Magie entlud sich durch meinen Zeigefinger und traf das Buch.

*WUMM*

Es explodierte.

Licia und ich blickten uns an. Winzige Papierfetzen wirbelten wie Schneeflocken durch die Kräuterküche und auf dem Werktisch prangte ein dicker Russfleck.

„Nun, das müssen wir wohl noch ein bisschen üben!" brachte Malicia schließlich hervor.

Dabei konnte ich ihr nur zustimmen.