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Kapitel 26

Wir standen vor dem Treppenschacht und starrten gebannt in die Tiefen.

Schließlich löste sich der Kloß in meiner Kehle und ich wappnete mich für den Aufbruch.

„Tja, dann sollte ich wohl mal losgehen. Die Nacht ist kurz!" ich setzte meinen Stiefel auf die erste Treppenstufe.

„Alleine? Kommt ja gar nicht in Frage, ich begleite dich natürlich!" sagte Licia energisch.

„Nein, das wirst du nicht!" erwiderte ich.

„Und warum nicht? Shoras Kessel, der Eingang ist schon seit Jahren nicht mehr benutzt worden. Wer weiß, was da unten alles lauert!"

„Du kannst mich nicht begleiten, weil einer von uns hier oben bleiben muss, um den Eingang offen zu halten, deswegen!" beharrte ich.

„Du willst mich nur nicht dabei haben, das ist alles! Trau mir doch auch einmal –

„Ich werde sie begleiten!" grollte Mauhur mit einem Gesichtsausdruck, der keinen Widerspruch duldete.

„Und der kleine Snaga kann dir Gesellschaft leisten!" fügte er hinzu und deutete auf Norgak, der mit ablehnendem Gesichtsausdruck so weit, wie möglich von uns entfernt stand und betont gelangweilt die Grabsteine betrachtete.

Und bevor einer der beiden widersprechen konnte, hatte er mich auch schon bei der Hand gefasst und schob mich auf den Treppenschacht zu. Ich drehte mich noch einmal zu Licia um.

„Wir versuchen, so schnell wie möglich wieder zurück zu sein, aber wenn wir es bis zur Morgendämmerung nicht schaffen, dann geh nach Hause zurück und sag den Anderen, ich wäre krank und möchte den Tag über nicht gestört werden. Abends kannst du dann die Gruft erneut öffnen und auf uns warten. Wünsch mir Glück!"

Licia schluckte.

„Für die Göttin, Schwester!"

„Für die Göttin, Schwester und Ruhm und Ehre für das Haus!" erwiderte ich.

Dann stieg ich resolut die dunkle, staubige Treppe hinab, Mauhur im Schlepptau.

Während wir schweigend die endlos lange Treppe mit den steilen und unregelmäßigen Stufen hinabstiegen, hatte ich genug Zeit, mich wieder an Dunkelheit der Höhlen zu gewöhnen. Nach den langen Wochen auf der Oberfläche stellten sich meine Augen nur zögerlich wieder auf die alles verschlingende Dunkelheit ein, doch Shora sei Dank hatte ich Mauhur hinter mir, der mit seinen lichtempfindlichen Orkaugen exzellent in der Finsternis sehen konnte. Wenn ich gelegentlich strauchelte fing er mich immer rechtzeitig ab und half mir wieder auf die Beine. Das schien ihn ungemein zu belustigen.

Überhaupt schien er sofort entspannter als wir endlich in dem Tunnel allein waren. Ich hatte von Anfang an weder romantische Gesten noch irgendwelche Gefühlsduselei von einem Uruk-hai erwartet und war in dieser Haltung auch nicht enttäuscht worden, aber nachdem wir Licia und Norgak auf der Oberfläche zurückgelassen hatten, war es erstmals möglich, sich ´verliebt´ zu geben.

„So, deine Sippe lebt also hier unten."

„Ganz Recht, aber nicht nur hier, es gibt auch noch andere, weit entferntere Höhlen, in denen Hexen leben."

Wir durchquerten eine kleine Senke, deren Boden mit Knochen bedeckt war. Aber was auch immer für ein Wächter hier gehaust haben musste, er war schon lange tot, das verriet uns die dicke Staubschicht, die über allem lag und in der unsere Schritte eine deutliche Spur hinterließen.

„Orks und Uruk-hai leben auch in Höhlen tief unter der Erde, aber von Hexen habe ich bis jetzt noch nie etwas gehört!"

„Weil wir darauf achten, Abstand zu allen anderen Rassen zu halten, deswegen. Aber ich weiß aus Büchern, das Hexen früher auch in der Nähe von Mordor und Angmar gelebt haben. Aber wir wollen unabhängig bleiben, und so haben wir uns immer schön aus allen großen und kleinen Kriegen rausgehalten."

Mauhur schnaubte.

„Aber das heißt nicht, dass wir uns nicht verteidigen können! Unsere Methoden sind lediglich subtiler. Oder hast du nie die Gruselmärchen der Menschen gehört, von Hexen, die Kinder stehlen, Ernten vernichten und ganze Dörfer verfluchen? Nun, sie entsprechen weitgehenst der Wahrheit, auch wenn heutzutage die Meisten behaupten, es wären Ammenmärchen, um unartigen Kinder Angst einzujagen."

Wir bogen um eine weitere Ecke und betraten einen weiteren Korridor, der stetig nach unten führte.

„Wie weit müssen wir eigentlich gehen? Woran wirst du merken, das wir da sind?" fragte Mauhur und pflückte eine dicke Staubflocke aus meinem Haar.

„Ich bin mir momentan nicht sicher, wo genau wir uns befinden, aber früher oder später müssen wir an einem Schrein vorbeikommen und dort hängt immer eine Karte, die uns zeigen wird, wo wir sind!"

„Ist es nicht unvorsichtig, solche Karten offen für alle, die vorbeikommen, herumliegen zu lassen?"

„Die Karte nützt einem nur etwas, wenn man sie auch lesen kann und dafür benötigt man Magie. Problem gelöst!" ich kicherte.

„Aber es kann nicht mehr ganz so weit sein, merkst du nicht auch, dass es allmählich heller wird?"

Die absolute Finsternis des Treppenschachtes wich allmählich einem diffusen Zwielicht, das die Korridore trüb erhellte.

Wir gelangten in eine Höhle, die von einem kleinen, stillen See ausgefüllt wurde, der an den Ufern dicht mit schleimigem Seetang zugewuchert war.

„Ah, das muss eines der kleineren Wasserreservoirs sein, von dem unsere Wohnungen gespeist werden."

Wir hangelten uns an einem sehr schmalen, glitschigen Uferstreifen entlang zur anderen Seite. Mauhur betrachtete das Gewässer mit Abscheu, größere Wassermassen schienen ihm Unbehagen zu bereiten. Vielleicht konnte er nicht schwimmen.

„Und das eklige Zeug trinkt ihr?" fragte er angewidert.

„Es fließt noch kilometerlang durch Filterrohre, bis es im Trinkwassersee ankommt, sei unbesorgt. Wenn es dort ankommt, ist es glasklar!" beruhigte ich ihn lachend.

Einen Korridor hinter dem See fanden wir dann endlich einen kleinen Schrein. Erleichtert tippte ich mit meinem Zeigefinger auf die an der Wand abgebildete Karte und aktivierte sie. Schweigend studierte ich das auf ihr auftauchende Höhlenlabyrinth, während Mauhur sich neugierig umsah. Der Schrein war eine kleine, nach einer Seite offene Felsenkammer, in deren Mitte eine hüfthohe Skulptur von Shora auf einem kleinen Podest ruhte, die von einigen kleinen Öllampen erhellt wurde. Offensichtlich wurde dieser Ort des öftern besucht, denn das Öl in den Lampen war noch frisch und es gab keine Staubschichten, weder auf der Skulptur, noch auf dem Boden. Rechts an der Wand hing die Karte und auf der linken Seite war der Boden mit roten und schwarzen Samtkissen ausgelegt, die zum Ausruhen einluden.  

„Weißt du nun, wo wir sind?"

Mauhur taucht plötzlich hinter mir auf und einem Impuls folgend lehnte ich mich mit meinem Rücken gegen seine Brust und schloss einen Moment lang die Augen. Er legte seine starken Arme um meine Taille und schnurrte beruhigend. Dann beugte er sich hinunter und biss genüsslich in mein Ohrläppchen. Spielerisch versetzte ich ihm einen Klaps gegen den Oberarm und entzog mich seiner Umarmung.

Besser gesagt, ich versuchte es.

„Mauhur, lass mich sofort los, wir haben wichtigeres zu tun!" sagte ich in einem nur halb ernst gemeinten Ton.

Der Klammergriff um meine Taille verstärkte sich nur.

„Warum machen wir nicht eine kleine Pause? Immerhin sehen diese Kissen wirklich einladend weich aus." grummelte er in mein Ohr.

Die Vorstellung, mit Mauhur ein kleines Schäferstündchen auf diesem verführerischen Kissenberg einzulegen war sehr erregend. Aber leider waren wir nicht zu unserem Spaß hier unten. Und ich konnte meiner Mutter unmöglich in aus uruk´scher Leidenschaft halb zerfetzter Kleidung mit Liebesbissen am Hals gegenüber treten. Dieser Gedanke wirkte ernüchternd. Resolut, aber mit Bedauern befreite ich mich aus Mauhurs Umarmung und sah ihn an.

„Das ist zwar sehr verlockend, aber leider sind wir schon zu nah am bewohnten Teil, jemand könnte uns überraschen und das wäre sehr unangenehm, glaub mir!"

Widerstrebend stimmte er mit mir darin überein und somit machten wir uns auf zur letzen Etappe.

Ich hatte ein flaues Gefühl in der Magengegend. Würde meine Mutter mich verstehen?