Disclaimer:  Mittelerde und seine Bewohner gehören Tolkien!

                   Asharra und ihre Sippe + der traumatisierte Norgak gehören mir!

Kapitel 27

Wir gingen schweigend und lautlos durch die Korridore.

Allmählich erkannte ich die Umgebung wieder. Wir hatten wirklich Glück gehabt, in einer größtenteils unbewohnten Gegend der Höhle gelandet zu sein, denn ich wollte um jeden Preis vermeiden, dass man uns entdeckte. Wir hatten außerdem einen günstigen Zeitpunkt erwischt. Die Abendmahlzeit war gerade vorbei und aus unserem Versteck am Ende eines besonders dunklen und staubigen Korridors konnten wir beobachten, wie meine Schwestern dem großen Tempel entgegenstrebten, um an dem Hautgottesdienst des Tages teilzunehmen.

Nachdem ich mir sicher war, dass sie alle im Tempel waren, packte ich Mauhur am Arm und zog ihn im Laufschritt quer über einen der kleineren öffentlichen Plätze, bis in einen überdachten Bogengang hinein. Dort blieben wir stehen. Ich breitete meine Arme aus.

„Willkommen in Mallenroh, meiner Geburtsstadt und Residenz unserer mächtigen und Hochverehrten Oberhexe!" ich strahlte ihn an.

Mauhur blickte sich staunend um und versuchte, die Pracht um ihn herum in sich aufzunehmen.

„Genieße den Anblick, wir haben dieser Tage nicht mehr viele Gäste und Männer sowieso nicht mehr!"

Der Boden unter unseren Füssen war ein exquisites Mosaik aus schwarzen und grauen Marmor und in der Mitte des kleinen Platzes stand ein wundervoller Brunnen aus Obsidian, in den Knochen und Schädel hineingeschnitzt waren. Um ihn herum standen flache Sitzbänke, ebenfalls ganz aus Obsidian. Das Wasser plätscherte sanft. Eingerahmt wurde diese Idylle aus ebenjenem Bogengang, in dem wir nun standen und von dem aus sternförmig acht weitere Ausgänge warteten. In der Ferne konnte man die mächtige silberne Kuppel des Tempels erkennen. Das anfängliche Stimmengewirr, das aus seiner Richtung kam, war nun verstummt und wir hörten noch schwach den Widerhall von großen, schweren Flügeltoren, die zuschlugen. Dann herrschte Stille.

Ich scheuchte Mauhur aus seiner stillen Beobachtung auf, in dem ich ihn abermals am Arm packte und auf einen der acht Ausgänge zusteuerte. Der kurze Gang führte auf einen weiteren Platz, ähnlich dem ersten, aber mit einer Statue, statt eines Brunnens in der Mitte. Wir überquerten ihn und benutzten einen weiteren Bogengang. Der sich daran anschließende Platz beinhaltete einen kleinen tropischen Garten in voller Blüte, aus dem man allerhand Vogelstimmen hören konnte. In demselben Schema ging es noch eine ganze Weile weiter. Es reihte sich Platz an Platz, immer eingerahmt von einem runden, überdachten Bogengang, mit acht oder noch mehr Ausgängen, die wiederum auf andere Plätze führten.

Kurzum, es war verwirrend.

„Ich verstehe das nicht, wo sind die Häuser? Wo leben die ganzen Leute denn?" fragte mich Mauhur, als wir einen Platz mit einer kleinen, geschlossenen Garküche überquerten. Ich grinste.

„Diese Stadt wurde nicht nur auf einer Ebene erbaut, mein Liebster! Nicht alle Ausgänge führen auf weitere Plätze, es gibt auch Treppen, die auf die nächst tiefere Ebene führen und da sind unsere Behausungen!" erklärte ich ihm.

„Hier auf dieser Ebene spielt sich nur das öffentliche Leben ab, in der Mitte steht der Tempel und rundherum sind die Plätze wie Bienenwaben angegliedert. Und was du bis jetzt gesehen hast, waren nur die kleinen Plätze. Um den Tempel herum gibt es ganze Märkte."

„Gehen wir bis zum Tempel?" wollte er wissen.

„Nein, nein. Das wäre unklug, denn das Risiko, entdeckt zu werden, wäre viel zu groß! Nicht umsonst haben wir eben einige Umwege gemacht. Und außerdem ist die Behausung meiner Mutter schon ganz in der Nähe!"

„Gibt es noch weitere Ebenen unter den Behausungen?"

„Ja, aber darüber möchte ich nicht reden. Besser gesagt, ich darf nicht darüber reden!" sagte ich bestimmt.

Wir erreichten einen weiteren Bogengang und ich steuerte auf einen gut verborgenen Treppenschacht zu. Die kleine Wendeltreppe brachte uns auf die Wohnebene und direkt in einen mittelgroßen kreisrunden Raum mit drei Türen, die mit unterschiedlichen Symbolen geschmückt waren. Ich öffnete die mittlere und zog Mauhur hindurch.

„Wir machen einen kleinen Umweg und benutzen den Dienstboteneingang!" sagte ich.

Unbehelligt durchquerten wir einen langen, aber gut beleuchteten Flur, an dem sich Speisekammer, Nähzimmer, Küche und weitere Räume anreihten und standen schließlich vor der Tür zum eigentlichen Wohnbereich. Ich legte mein Ohr an das Holz und lauschte. Die Augen schließend ließ ich meinen Geist wandern und suchte nach etwaigen Bewohnern des Hauses. Ich öffnete die Augen und atmete aus. Es war keiner zu Hause.

Behutsam öffnete ich die Tür und wir betraten das Haus meiner Mutter.

Es hatte sich nichts verändert. Der Wohnbereich war mit dicken flauschigen Teppichen in dunklen Rot und Violettönen ausgelegt und große Kissen auf üppigen flachen Sitzbänken luden zum Ausruhen ein. Mehrere schön geschwungene Öllampen erhellten sanft den Raum und in einem großen Kohlebecken in der Mitte des Raumes verströmten verbrannte Kräuter einen würzigen Geruch. Es war behaglich, sogar Mauhur, der nur die wilde Kargheit Isengards kannte, entspannte sich sichtlich. Ich ließ mich behutsam auf eine Liege sinken und winkte ihn zu mir.

„Jetzt müssen wir nur noch warten, bis meine Mutter vom Gottesdienst zurückkehrt."

Mauhur setzte sich vorsichtig neben mich und sah sich aufmerksam um.

„Hier hast du also gelebt?"

„Ja, das ist das Haus meiner Mutter. Ich habe auch meine eigenes Zimmer, ein paar Gänge weiter." Ich streichelte gedankenverloren ein Samtkissen und spielte mit den Troddeln.

„Was für ein Luxus! Warum sollte man das alles für eine schmierige Bauernkate auf der Oberfläche aufgeben?" fragte er ungläubig.

„Man hat mir nie den richtigen Grund verraten, warum Milikka nach oben gezogen ist. Ich kann auch nur raten." Mauhur hatte mich nie gefragt, warum ich auf der Oberfläche war, obwohl Hexen doch im Untergrund lebten und ich spürte auch keine große Lust, es ihm zu erklären.

Und während wir beide so unseren Gedanken nachhingen, kehrte meine Mutter schließlich heim.

Sie schien nicht überrascht zu sein, mich zu sehen.

Ruckartig sprang ich von der Liege auf und verbeugte mich kurz. Dann lief ich auf sie zu und warf mich in ihre Arme.

„Shh, ist ja gut, Preciosa, ist ja gut!" Cassandra lächelte und strich mir über das Haar.

„Ich hatte schon damit gerechnet, dich früher oder später hier zu finden!" meinte sie zwinkernd.

Ich riss mich zusammen und löste mich von ihr, Mauhur sollte nicht denken, ich wäre schwach. Hinter meinem Rücken fühlte ich, dass er sich ebenfalls erhoben hatte. Ich räusperte mich verlegen.

„Mutter, das ist Mauhur..

„Ah, dein Gefährte?" kam sie mir zuvor.

„Ja." Sagte ich schlicht und trat zur Seite. Cassandra trat einen Schritt vor und musterte Mauhur ohne jede Verlegenheit. Dieser richtete sich hoch auf und warf sich in Positur.

Meine Mutter war eine beeindruckende Frau. In ihrer Jugend war sie eine Schönheit gewesen, die so manchen Mann ins Verderben gerissen hatte. Nun durchzogen silberne Strähnen ihr schwarzes Haar und feine Fältchen hatten sich um ihre Augen gelagert, aber sie strahlte immer noch eine Macht und Würde aus, die einem Respekt abverlangte. Milikka hatte vergeblich versucht, das zu imitieren, wie mir auf einmal klar wurde, aber keinen Erfolg damit erzielt. Und obwohl sie in meiner Gegenwart kein einziges schlechtes Wort über ihre ältere Schwester gesagt hatte, war die geschwisterliche Rivalität doch immer unterschwellig zu spüren gewesen.

Cassandra hatte inzwischen ihre Musterung beendet und wandte sich mir zu.

„Du hast gut gewählt." War alles, was sie zu sagen hatte.

Ich atmete erleichtert aus.

„Wir müssen noch über einiges reden, Asharra!" sagte sie und winkte mit einer lässigen Handbewegung eine unserer vielen Dienerinnen herbei.

„Savviye, bring unseren geschätzten Gast in die Küche und bewirte ihn! Und sorg dafür, daß wir hier ein wenig Wein und Gebäck bekommen!" die Dienerin verneigte sich und nachdem sich Mauhur mit einem Blick bei mir versichert hatte, verließ er mit ihr den Wohnraum und begab sich in die Küche.

Meine Mutter ließ sich auf einem Diwan nieder und winkte mich zu sich. Ich setzte mich neben ihr auf den Boden und stütze mich mit den Ellenbogen auf die Liege. Das hatte ich als Kind oft gemacht, wenn Cassandra mir und Elthia Geschichten erzählt hatte.

Eine Dienerin kam mit einem Tablett und nachdem sie uns bedient hatte, eröffnete meine Mutter das Gespräch.

„Aus deinem überstürzten Besuch schließe ich, dass es auf der Oberfläche mit Milikka nicht gerade zum Besten steht, hab ich Recht?"

„Nun, man könnte sagen, wir haben gewisse…Differenzen." sagte ich zögerlich. Ich wusste nicht so recht, wo ich beginnen sollte.

Cassandra nickte mir ermunternd zu.

„Sie weiß zwar nichts von Mauhur, aber vor dem letzten Mondfest hat sie mir in aller Deutlichkeit klargemacht, daß sie keinen ´Skandal´ dulden würde. Und dabei hat sie angedeutet, meine Empfängnis hätte mit einem Skandal zu tun gehabt."

Ich fasste mir Mut.

„Maman, wer war mein Vater?" fragte ich mit schwankender Stimme.

Meine Mutter schwieg lange und betrachtete versunken den Inhalt ihres Weinkelches.

Dann seufzte sie.

„Nun gut, ich wusste immer, dass dieser Tag kommen würde und du hast ein Recht, es zu erfahren!"

Ich blickte sie erwartungsvoll an.

Ihr Blick richtete sich in die Ferne, als sie anfing zu erzählen.

„Es war vor fünfundzwanzig Jahren, im Sommer. Deine Großtante Serafina, ich und noch ein paar andere, wir waren auf dem Rückweg von einem Besuch. Wir hatten Nessas Sippe besucht, die damals noch in den Höhlen in der Nähe von Mordor gelebt haben."

Sie stockte und nahm einen weiteren Schluck Wein.

„Es war ein herrlicher Sommer und wir mussten eine große Strecke der Reise auf der Oberfläche zurücklegen. Aber es waren kaum andere Reisende unterwegs. Und mit der Zeit sind wir leichtsinnig geworden! Wir waren noch nicht weit von Mordor entfernt, da haben sie uns überrascht, als wir geschlafen haben. Weißt du, wir sind nachts gewandert und haben uns tagsüber ausgeruht, aber wir waren leichtsinnig genug, keine Wachen aufzustellen. Waldläufer haben uns schließlich gefunden und sie hatten Elbenjäger dabei, eine denkbar ungünstige Kombination, wie du dir denken kannst!"

Ich nickte mitfühlend.

„Natürlich haben wir uns gewehrt, aber sie hatten alle Vorteile auf ihrer Seite und wir waren nur zu zehnt. Sechs von uns sind sofort während des Kampfes gestorben, was haben wir um sie getrauert! Uns restliche haben sie schließlich gefangen genommen."

„Bitte sag mir nicht, dass mein Vater ein Elb war!" rief ich schreckensbleich.

„Unterbrich mich nicht, die Geschichte ist doch noch gar nicht zu Ende!" sagte Cassandra vorwurfsvoll.

„Wir hatten Glück im Unglück! Nessas Sippe betrieb einen kleinen aber äußerst regen Handel mit benachbarten Orkstämmen und das hat uns gerettet. Nachdem sie uns drei endlose, qualvolle Tage durch das blendende Sonnenlicht getrieben hatten, trafen wir auf einen großen gemischten Trupp Orks und Uruk-hai. Und gegen die zwölf, dreizehn Elben, die noch übrig waren, hatten sie natürlich leichtes Spiel. Jedenfalls haben sie uns befreit und uns angeboten, uns bis zur Grenze mit ihnen ziehen zu lassen und da wir alle reichlich angeschlagen waren, haben wir natürlich angenommen! Leider hat Tripha die nächste Nacht nicht überlebt, ihre Verletzungen waren einfach zu schwer. Da waren wir dann nur noch zu dritt. Die Reise war lang und wir hatten genug Gelegenheit, uns bekannt zu machen. Und so habe ich schließlich deinen Vater kennen gelernt."

Ich hätte mich fast vor Aufregung an meinem Kuchen verschluckt.

Ihr Blick wurde träumerisch.

„Sein Name war Lokshod und er war der Anführer der zweiten von den insgesamt drei Gruppen. Ein Uruk-hai aus Mordor. Noch ein ganzes Stückchen größer als dein Mauhur und seine Haut war auch anders gefärbt. Er war ein mutiger Krieger! Und er hat gut für mich gesorgt. Als wir uns der Grenze näherten, merkte ich, dass ich schwanger war und er bot mir an, mich sicher bis zu meiner Höhle zurückzubringen. Es war ein beschwerlicher Weg, aber wir sind alle heil wieder hier angelangt!"

„Lebt er noch?" ich war bleich geworden.

Cassandra seufzte.

„Ich weiß es nicht, aber es ist möglich. Er ist zu seiner Meute zurückgekehrt und ich habe nie wieder etwas von ihm gehört!"

„Nun jedenfalls ist Asparga kurz nach unserer Rückkehr an schierer Erschöpfung gestorben und ich fürchte, ihre ältere Schwester Iphania hat das nie verkraftet. Sie gab mir die Schuld daran. Und ein paar Monate später habe ich dich zur Welt gebracht!" schloss meine Mutter lächelnd.

Das Puzzle in meinem Kopf setzte sich zusammen.

Es war ja nur logisch. Ich war zur Hälfte Hexe und zur Hälfte Uruk-hai.

Kein Wunder, daß Mauhur darauf beharrte, ich wäre seine ideale Gefährtin!

Und ebenfalls kein Wunder, daß Iphania mich so leidenschaftlich hasste, wenn ich sie an ihre verlorene Schwester erinnerte.

Der Knoten in meinem Hals löste sich und ich konnte wieder frei atmen.

Aber es war noch nicht vorbei.

„Mutter, ich bin nicht nur deswegen hierher gekommen!"

Sie sah mich an.

„Ich wollte, daß du Mauhur kennenlernst-

„Und nun willst du uns mitteileilen, daß du uns verlassen willst!" sagte eine neue Stimme vom Eingang her.

Puuh, über zweitausend Worte in drei Stunden! Dafür hab ich doch wohl ein Review verdient, oder??

~Kyrillia~