Disclaimer:  Mittelerde und seine Bewohner gehören Tolkien!

                   Asharra und ihre Sippe gehören mir!!

Kapitel 31

Ich erwachte unvermittelt.

Heute war der Tag der Entscheidung.

Heute Abend würde Mauhur mich am Waldesrand erwarten und gemeinsam würden diesen Ort verlassen, um uns eine eigene Zukunft aufzubauen.

Ich seufzte und überlegte, was für Abenteuer uns wohl auf unseren Reisen erwarten würden und was für Abschiedsgeschenke meine Mutter uns wohl zugedacht hatte. Draußen dämmerte es erst, aber mein Körper produzierte bereits so viel Adrenalin, daß ich unmöglich noch länger still liegen konnte. Unrast hatte mich erfasst, dabei gab es im Moment nichts mehr zu tun für mich. Meine Habseligkeiten warteten ordentlich verstaut in einem kompakten Bündel, daß ich bequem auf dem Rücken würde tragen können. Das Gewächshaus und die Kräuterküche waren ordentlich aufgeräumt und sauber gefegt.

Ich wusste nicht mehr, wie ich den gestrigen Tag verbracht hatte, nur noch, daß ich mich so oft wie möglich außerhalb des Hauses aufgehalten hatte, damit meine Nervosität und Unruhe nicht so auffallend waren. Milikka hatte seit dem verhängnisvollen Fest auffällig oft durch Abwesenheit geglänzt, ich hatte sie selten öfters als zu den Mahlzeiten gesehen und auch dann manchmal nicht. Weder Malicia, noch Kait-Eleni kannten den Grund dafür, aber es machte ihnen nicht viel aus, denn sie waren an die mangelnde Aufmerksamkeit ihrer Mutter längst gewöhnt. Auch an diesem Morgen fehlte sie beim Frühstück, aber Licia erzählte mir, daß sie ihr auf ihren Wunsch hin einen heißen Tee in ihr Schlafzimmer gebracht hatte. Zu Tisch herrschte eine ausgesprochene trübsinnige Stimmung an diesem Morgen, nur Licia war ganz entspannt und lächelte wie eine äußerst zufriedene Katze, die eben einen saftigen Vogel verspeist hatte. Ich hatte sehr wohl bemerkt, daß sie auch in der letzten Nacht nicht in ihrem Bett geschlafen hatte! Hoffentlich hatte sie den armen Norgak nicht überfordert.

Kait-Eleni betrachtete mich die ganze Zeit über traurig aus rotgeränderten Augen und sah aus, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. Sonya hingegen war wie immer ihr morgenmuffeliges und ungesprächiges Selbst. Ich hatte keinen Appetit, zwang mich aber, ein großes Stück knuspriges Brot mit dick Butter, das Licia mir unaufgefordert auf den Teller geschoben hatte, zu verspeisen. Sie nötigte mir ebenfalls einen großen Becher heißen Gewürztee auf, in den sie großzügig drei Löffel von dem dunklen Waldhonig gab, den ich so gern mochte. Ermutigend drückte sie unter dem Tisch meinen Arm.

„Egal, was passiert, vergiss nicht, daß ich immer für dich da bin!" flüsterte sie mir zu.

Ich nickte dankbar.

Kait, die den leisen Wortwechsel mitbekommen hatte, sprang vom Tisch auf und stürmte hinaus. Sonya warf mir einen gehässigen Blick zu.

Ich wäre ihr gern nachgelaufen, denn die Jüngste in diesem Haus war mir mit der Zeit ebenso ans Herz gewachsen wie Malicia, aber jetzt hatte ich keine Zeit dafür. Ich würde mich später um sie kümmern müssen.

Malicia hob die Tafel auf und klammen Herzens begab ich mich in den ersten Stock, wo Milikka residierte.

**

Vor ihrer Schlafzimmertür sammelte ich mich ein letztes Mal innerlich und hob dann die Hand, um anzuklopfen.

Bevor meine geballte Faust auf das schwere und dunkle Eichenholz traf, hörte ich Milikkas Stimme von innerhalb.

„Tritt ein!"

Ich drückte die alte massive Tür mit Leichtigkeit auf und betrat zum Ersten Mal seit Ankunft das Schlafzimmer meiner Tante, ihr Allerheiligstes. Die schweren Vorhänge aus dunkelrotem Samt waren noch halb zugezogen und tauchten den Raum in ein düsteres rotes Licht. Dicke, flauschige Teppiche lagen auf dem Boden und dämpften den Tritt. An einer Wand stand ein kleiner, zierlicher Schminktisch mit einem großen ovalen Spiegel und einem Höckerchen, ansonsten aber wurde der Raum durch das riesige Himmelbett in der Mitte des Raumes dominiert. Milikka, die auf einem Berg von Kissen und Decken darauf thronte, wirkte winzig inmitten all dieser verschwenderischen Pracht. Fragend blickte sie von dem Buch auf ihrem Schoß auf. Sie trug einen schwarzen, mit Pfauen bestickten Morgenmantel aus Seide.

„Ich nehme an, du hast einen guten Grund, mich so früh zu stören?" sagte sie und hob die Augenbrauen.

Es ist erstaunlich, wie man sich manchmal in solchen Situationen noch Jahre später an winzige Details erinnern kann. Nur Nebensächlichkeiten und obwohl mir vor unterdrückter Angst fast schlecht war und das reichliche Frühstück wie ein Stein in meinem Magen lag, kann ich mich auch jetzt noch mit erschreckender Klarheit daran erinnern, daß unter den Augen meiner mir damals übermächtig erscheinenden Tante dunkle Ringe lagen, daß auf dem Tischen neben ihrem Bett eine kleine Flasche starken Aufputschmittels stand und daß in dem prächtigen Schlafgemach ein säuerlicher Geruch lag, der meiner geschulten Nase durchaus nicht unbekannt war.

Und während ich meine Tante anstarrte, wie ein hypnotisiertes Kaninchen eine Schlange, registrierte mein Unterbewusstsein alle diese Dinge und setzte sie in meinem Kopf zu einem kompletten Mosaik zusammen.

Milikka ging es nicht gut, das war nicht zu übersehen.

Normalerweise hätte sie dafür gesorgt, daß sie keiner in diesem Zustand zu Gesicht bekam, aber ich hatte sie überrumpelt.

Und die Wirklichkeit gesehen.

Meine Nervosität verschwand und ich wurde ruhig. Sehr ruhig. Wortlos ging ich zu ihrem Bett hinüber und setzte mich auf die Kante. Dann zog ich die Petrischale aus der Rocktasche und hielt sie meiner Tante hin. Sie nahm sie und betrachtete sie spöttisch.

„Nun?" fragte sie.

„Ein Gemisch aus Ambrawurzel, Cattenia und Elorisextrakt, im Verhältnis 5:2:9. Mit bloßer Zunge nicht herauszuschmecken, aber sehr wohl chemisch nachzuweisen. Gut, aber nicht gut genug!" stellte ich ruhig fest.

Milikka gab ein kurzes, raues Lachen von sich.

„Du brauchst wahrlich keine Meisterprüfung mehr abzulegen, du weißt bereits mehr, als ich oder eine andere Meisterin dir noch beibringen könnten. Kein anderer, außer mir selbst, hätte diese Rezeptur entschlüsseln können!" der letzte Satz klang ein wenig pikiert.

Ich zuckte nonchalant mit den Schultern.

„Komm, komm. Du bist doch nicht nur deswegen zu mir gekommen, oder?" fragte sie unwirsch.

Ich straffte meine Schultern.

„Ich werde euch verlassen, heute abend. Ich gehe fort." sagte ich würdevoll und machte mich innerlich auf das Schlimmste gefasst.

Milikka musterte mich unverhohlen und machte ein missbilligendes Geräusch, das in einem Pfeifen endete. Offensichtlich war sie etwas kurzatmig.

„So, tust du das. Sehr interessant. Darf man fragen wieso?"

„Ich habe einen Gefährten gefunden, mit dem ich fortgehen werde. Mehr braucht dich nicht interessieren."

„Der Elb?" fragte sie interessiert.

„Der Elb ist tot." sagte ich kalt.

„Falls es dich wirklich so interessiert, mein Gefährte ist ebenso so ein „Untier", wie mein Vater es war!" versetzte ich schneidend. So, jetzt war es raus.

Milikka warf sich zurück auf ihren Kissenberg und lachte wie eine Irrsinnige, ihre schmächtigen Schultern bebten.

„Und das heißt, ich habe wieder einmal versagt!" sie richtete sich auf und betrachtete mich mit schmalen Augen.

„Nur zu, geh nur, ich werde dich nicht davon abhalten, in dein Unglück zu rennen! Aber du wirst schon früh genug merken, daß du dir damit alles verdirbst, was deine Mutter für dich retten wollte. Ich habe es Cassandra gesagt, immer wieder habe ich es ihr gesagt! Aber ihre eigene Tochter wird sie verraten und ihr ihr teures Geschenk vor die Füße werfen, geh nur!" ihre kleine Ansprache endete in einem Hustenanfall.

„Um meine Mutter brauchst du dir keine Sorgen machen, die ist stärker als man vermutet!"

Ungerührt beugte ich mich nach vorne und bemerkte den gelblichen Farbton, den ihre Haut angenommen hatte.

„Was willst du noch? Du hast gesagt, was du sagen wolltest und ich werde dir nicht in die Quere kommen. Jetzt lass mich endlich allein!" schnappte meine Tante.

„Du stirbst." stellte ich sachlich fest. Mein Triumph war verflogen und wich einem schalen Gefühl.

„Ich weiß, ich bin weder blind noch dumm." sie war wieder ernst geworden.

„Es gibt eine Medizin, die-

„Und du weißt genau so gut wie ich, daß sie nur die Beschwerden lindert und mir etwas mehr Zeit verschafft. Für mein Leiden gibt es keine endgültige Heilung!" unterbrach sie mich resigniert. Offenbar hatte sie sich bereits mit dem Schlimmsten abgefunden.

„Warum gehst du dann nicht zurück in den Untergrund?"

„Dort ist nichts mehr, was mich hält. Ich bin eine einsame Frau geworden, Asharra und eine stolze obendrein. Ich will nicht, daß sie mich so sehen!" sagte sie bitter.

„Warum bist du überhaupt auf die Oberfläche gezogen, daß hat man mir nie erklärt." fragte ich mutig.

Einen Moment lang befürchtete ich, mein Glück überstrapaziert zu haben.

„Nun, warum wohl? Aus dem gleichen unsinnigen Grund, aus dem du nun auch alles hinter dir zurücklassen wirst!"

Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sich erinnerte.

„Ihm zuliebe habe ich meiner Sippe den Rücken gekehrt und bin hier heraufgezogen. Wir verbrachten ein paar gute Jahre und ich verspottete meine Verwandten, weil sie mich warnten und beschworen, umzukehren! Es war ein herrliches Leben und ich dachte, es würde immer so weitergehen!" ihr Mund wurde hart.

„Und dann hat er mich sitzen lassen, mit zwei kleinen Kindern und einer Bruchbude von Haus. Und ich konnte die Demütigung nicht ertragen, mit gesenktem Haupt zurückzukehren. Also blieb ich und sagte, alles wäre gut! Und jetzt verlassen mich meine Töchter nach und nach, zwei sind schon weg und bei Malicia wird es auch nicht mehr lange dauern, denn ich spüre bereits jetzt ihre Unruhe." sie rang nach Atem.

„Aber das kümmert mich nicht mehr. Ich werde eh nicht mehr lange leben." erschöpft sank sie in die Kissen.

Ich schluckte. Aber Cassandra hatte betont, ich könnte jederzeit nach Hause zurückkehren.

„Geh jetzt, damit ich mich etwas ausruhen kann. Noch liege ich nicht im Sterben!" matt wedelte sie mit der Hand. Die Konfrontation hatte uns beide erschöpft.

Behutsam erhob ich mich und ging zur Tür.

„Eine Sache noch, Nichte!" sagte Milikka, als ich nach der Türklinke griff. Ich drehte mich ein letztes Mal zu ihr um.

„Du wirst ihnen nichts von meiner Krankheit sagen, hörst du?!"

Ich nickte und verließ den Raum. Sie würden es schon noch früh genug selbst entdecken.

**

Als die schwere Tür hinter mir ins Schloss fiel, fiel auch von meinen Schultern eine zentnerschwere Last.

Der schwerste Teil war geschafft.

Erleichtert und beschwingt ging ich die Treppe hinunter und holte mir aus der Küche ein Glas Wein. Zufrieden summend blickte ich beim Trinken aus dem Fenster und entdeckte eine kleine Gestalt, mit zerzaustem silbrigem Haarschopf, die sich unter dem großen, jetzt in voller Blüte stehenden Grünfruchtbaum zusammengerollt hatte. Seufzend stellte ich mein Glas ab, steckte eine Süßigkeit in meine Tasche und ging in den Garten, um Kait zu trösten.

Behutsam ließ ich mich neben dem schniefenden Häufchen Elend zu Boden sinken, lehnte mich an den Baumstamm und fing an, ein altes Lied zu singen, das von Abschiedsschmerz und Wanderlust handelte.

Die beruhigende Wirkung setzte fast unmittelbar ein, denn die Kleine hörte auf zu schluchzen und lauschte meiner Altstimme. Als ich fertig war, setzte sie sich auf und fuhr sich mit dem Handrücken über das rotgeweinte Gesicht.

„Warum gehst du weg?" fragte sie mich.

„Weil ich mit meinem Gefährten zusammenleben will und du weißt doch, daß das hier nicht geht." erklärte ich sanft.

„Warum nicht?" fragte sie trotzig.

„Weil Hexen nicht mit Männern in einem Haus zusammenleben, wie du sehr wohl weißt, Schätzchen!"

„Er könnte doch im Wald wohnen bleiben, dann kannst du ihn immer besuchen, wenn du willst!"

„Sei nicht albern, Kait. Er möchte nicht für immer in diesem Wald wohnen bleiben. Und ich auch nicht. Hast du daran schon einmal gedacht?" tadelte ich milde.

„Magst du mich nicht mehr, dass du fortgehst?" schniefte sie.

„Natürlich mag ich dich noch und den Rest von deiner Sippe auch!" beruhigte ich sie.

Dann holte ich die Schachtel mit den kandierten Früchten heraus und begann, die kleine Kait damit zu füttern. Obwohl das Kind bereits sehr erwachsen war, war es aber immer noch Kind genug, um einer Bestechung mit Süßkram nicht widerstehen zu können und eine Viertelstunde später war ihre kleine Welt wieder in Ordnung.

„Kommst du uns denn aber besuchen?" nuschelte sie mit vollen Wangen.

„Natürlich!" ich grinste.

„Und wenn du lieb bist, dann bring ich dir auch was mit!" lockte ich sie.

„Wirklich, wann kommst du uns besuchen?" fragte sie strahlend. Die kindliche Gier hatte bereits über den Abschiedsschmerz gesiegt.

„Ich weiß nicht, es könnte durchaus ein paar Jahre dauern, bis wir wieder in dieser Gegend sind." sagte ich im Plauderton.

„Oh." war alles, was sie darauf erwidern konnte.

Licia und ich verabschiedeten uns in aller Ruhe, aber nicht ohne einige Tränen.

Es fiel mir nicht leicht, sie zurückzulassen, aber ich merkte, daß Malicia innerlich noch nicht bereit war, den Zauberwald zu verlassen. Sie würde noch Zeit brauchen, um sich abzunabeln und in Anbetracht von Milikkas Zustand wurde sie hier momentan einfach dringender gebraucht.

Licia drückte mich fest und schenkte mir dann einen ihrer Lieblingsgürtel „weil man nie genug gute Gürtel haben kann" wie sie mir mit einem zittrigen Lächeln versicherte. Ich revanchierte mich, indem ich ihr ein Sortiment verschiedener Kosmetika hinterließ, die ich während meines Aufenthaltes gebraut hatte. Es war schlicht und einfach zu viel, um es alles mitzunehmen.

Ich umarmte sogar eine schreckensstarre Sonya, die mich ansah, als ob ich verrückt geworden wäre. Und zu ihrem noch größeren Entsetzen schenkte ich ihr eine Phiole mit einem Mittelchen gegen ihre Akne.

Und ich schwöre, bei allem was mir heilig ist, das war das einzigste Mal während der gesamten Zeit, daß ich diesem Mädchen ein echtes, entzücktes Lächeln entlockt habe!

Dann ging die Sonne unter und ich schulterte mein Bündel, umarmte noch einmal jeden und schickte mich an, loszugehen.

Kait zupfte mich am Ärmel.

„Das hier hat Mutter mir für dich gegeben!" sagte sie und streckte mir ein zusammengerolltes Pergament entgegen.

Zögernd nahm ich es ihr ab und entrollte es. Und bekam große Augen.

„Sieh nur, Asharra, Mutter hat dich in den Meisterrang erhoben. Du bist jetzt eine Meisterzaubertrankbrauerin!" sagte Licia ehrfürchtig.

Wie betäubt rollte ich das Dokument wieder zusammen und verstaute es sicher. Aus dem Augenwinkel sah ich eine schlanke Gestalt am Fenster stehen.

Es sah so aus, als hätte ich doch noch Frieden mit meiner Tante geschlossen.

Beschwingt machte ich mich auf den Weg.