6. DAS ANGEBOT

„Wann hast du gemerkt, dass du auf Jungs stehst?" Will fuhr mit einem Finger Harrys Lippen nach. Harry sah nachdenklich in die braunen Augen seines Gegenübers. „Ich schätze, dass war bei unserem ersten Kuss am Abschlußball...in diesem Moment hab ich mir gewünscht ich selbst zu sein." Harry kuschelte sich in die weißen Laken. Überall im Raum fand er Überbleibsel der letzten Nacht. Kleidungsstücke lagen überall auf dem Fußboden. Er erinnerte sich an die Schmetterlinge im Bauch und das Feuer in Wills Augen. War das wirklich geschehen oder nur ein Traum?
Wills Kuss brachte Harry wieder zurück auf den Boden der Tatsachen.
„Ich muss zur Arbeit, Harry, wir sehn uns Freitag abend. Sei mir nicht böse." Will verließ das warme Bett und begann seine Kleidung einzusammln.
„Ja, Freitag abend." wiederholte der Junge der lebt und lächelte seinen Freund traurig an.
„Kopf hoch." meinte Will und knöpfte sein Hemd zu. „So lang ist eine Woche doch nicht." Er kam nocheinmal ans Bett. „Ich liebe dich, vergiss das nicht...ja?" Der Braunhaarige drückte Harry eien Kuss auf die Lippen.
Er schmeckte nach Abschied, wie jedes Mal.

Seit dem Abschlußball waren knapp zwei Monate vergangen. In den ersten zwei Wochen der Trennung hatte Harry vor Sehnsucht kaum Schlaf gefunden. Als die Zeit als Mädchen dann endlich vorbei gegangen war, hatte er gleich Will benachrichtigt. Seitdem trafen sie sich einmal in der Woche, immer Freitag abends, in Wills Apartment. Harry musste sich jedes Mal nach Hogsmeade schleichen und von dort aus in Wills Zimmer apparieren. Zum Glück durfte er die Prüfung schon früher machen, als es normal üblich war.
Will machte jedes Mal Essen für sie beide, danach landeten sie normalerweise im Bett. So ging das nun schon wochenlang und Harry hatte manchmal das Gefühl, dass alles falsch war. Er wollte mit Will reden, etwas unternehmen oder einfach mit ihm zusammen schweigen und von ihm im Arm gehalten werden!

Harry kam unbemerkt wieder in Hogwarts an und ging gleich in die große Halle. Er spürte die Blicke der Slytherins in seinem Rücken. Sollten sie doch Witze reißen! Er machte sicher nicht gerade den besten Eindruck an diesem Morgen.
Er setzte sich gegenüber von seinen Freunden Ron und Hermine und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein Wortlos nahm er ein Brötchen aus dem Korb und schnitt es in zwei Hälften. Lustlos kaute er auf seinem Marmeladenbrötchen herum und legte die andere Hälfte des Gebäcks wieder zurück.
„Was ist mit dir los, Harry?" fragte ihn Hermine plötzlich.
„Es ist nichts, mach dir keine Sorgen."
„Du warst wieder bei 'ihm', stimmt's?"
„Ich weiß nicht, wovon du redest." blockte der Junge der lebt ab.
„Oh doch, das weißt du sehr wohl!" mischte sich Ron ein.
„Hör zu, er ist nicht gut für dich, sieh dich an, du lässt dich völlig gehn. Er macht dich kaputt!" erklärte Hermine heftig, aber doch so leise, dass kein anderer etwas von ihrem Gespräch mitbekam.
„Ich pass schon auf mich auf. Und bitte mischt euch nicht in meine Angelegenheiten ein, verstanden?" Harry stand ruckartig vomTisch auf und verließ ohne ein weiteres Wort die Halle.

Auf dem Gang prallte Harry mit mehreren Schülern zusammen, doch Harry kümmerte es nicht, sollten alle doch denken, was sie wollten.
„Schläfst du du mal wieder mit offenen Augen?" Malfoy versperrte ihm den Weg zur Bibliothek.
„Tu' ,mir einen Gefallen, Malfoy, verzieh dich!" zischte Harry und funkelte ihn aus grünen Augen wütend an.
„Heute schlecht aufgelegt? Gab's Streß mit dem Geliebten?" stichelte Malfoy weiter.
Harry schob den Slytherin zur Seite und betrat die Bibliothek. Er griff sich irgendein Buch, das er an einem Tisch sitzend aufschlug.
/Ein Buch über Geschichte, na toll!/
Trotz allem blätterte er das Buch durch, las ab und zu ein paar Sätze, bis er ein interessantes Kapitel fand, in das er sich vertiefte.
„Bist du plötzlich zum Streber mutiert?" flüsterte ihm eine bekannte Stimme ins Ohr.
Dracos warmer Atem jagte eine Reihe angenehmer Schauer über den Rücken.
„Was willst du Malfoy?" Harrys Stimme klang rauher als sonst. Es kam nicht oft vor, dass er mit seinem Erzfeind so auf Tuchfühlung ging, außer sie prügelten sich mal wieder.
„Ich will dich." sagte Draco leise.
„WAS!?"
Draco lagte ihm eine Hand auf den Mund. „Nicht so laut!" schärfte er dem Gryffindor ein.
Harry drehte sich zu dem Slytherin um. „Du hast wohl nen Knall! Selbst wenn ich wollte, würde ich nichts mit dir anfangen!"
„Überleg's dir. Du würdest es sicher nicht bereuen."
Wenig später verdrängte Harry dieses eigenartige Gespräch und vergrub sich in Arbeit. Bis zu den Weihnachtsferien verbrachte der Gryffindor seine Freitag Abende mit Will. Auch den letzten vor den Ferien.

„Da bist du ja, ich hab mir schon Sorgen gemacht." begrüßte Will den Jungen der lebt und half ihn aus seinem Mantel.
„Der Gang nach Hogsmeade war eingeschneit,es ging nicht schneller, tut mir leid." Harry senkte den Kopf.
„Hey, ich bin doch nicht böse auf dich! Komm her." Will zog den kleineren Jungen an sich. „Schön, dass du da bist." Sie versanken in einem langen Kuss. Harry war ausgehungert nach Wills Nähe, verzweifelt schlang er seine Arme um den Braunhaarigen. Als Wills Lippen sich von seinen lösten versuchte Harry sie wieder einzufangen.
„Was ist denn heute mit dir los? Du hast dich verändert. Das ist mir schon die letzten Male aufgefallen." Will blickte ihn ernst an. Harry war mager und blass. „Willst du es mir nicht sagen?"
„Später?" bot ihm Harry an.
„Gut, setz dich erstmal."
Gehorsam setzte sich der schwarzhaarige Gryffindor. Schweigend saßen sie sich gegenüber. Schließlich hielt es Will nicht mehr aus: Er stand auf und nahm Harrys Hand. „Bitte sag mir doch was mit dir los ist..." stammelte er. „So kann es doch nicht weitergehen mit uns..."
Grüne Augen sahen ihn traurig an. „Uns? Gibt es das denn überhaupt?" fragte er leise.
„Natürlich:" Will schlang seine Arme um Harrys Nacken und zog ihn nah an sein Gesicht. In beider Augen glitzerten Tränen. In einem Meer aus Gefühlen versanken beide in einen verzweifelten Kuss.
Salzige Sturzbäche rannen ihm übers Gesicht. Harry leckte Will vorsichtig die Tränen aus dem Gesicht, während die Hände des ehemaligen Ravenclaw das Hemd des anderen aufknöpfte. Er bedeckte dessen Oberkörper mit unzähligen Küssen und zog ihn zum Bett. Harry zog Will dsn Pulli über den Kopf und drückte ihn sanft in die Kissen. Seie Hände wanderten über den Körper des Anderen, immer weiter nach unten, und öffnete Wills blaue Jeans.
EIn Keuchen entrann Wills Kehle. Harry hielt inne. „Nein...nicht aufhören...bitte." Die Stimme des Braunhaarigen klang fast weinerlich, aber ganau so fühlte sich auch der Schwarzhaarige. Er entledigte Will seiner Beinkleider und ersetzte seine Finger durch seine Zunge, die sanft seine Oberschenkel streichelte. Er wandte sich der harten Männlichkeit Wills zu. Sanft nahm er das Liebessymbol in den Mund und begann daran zu saugen.
Der Braunhaarige stöhnte leise. Harry sah auf und ließ von Will ab, aber nur kurz: Er presste seinen Mund auf den des anderen. Grüne Augen sahen in braune. Will drückte den zarten Jungenkörper an sich. „Oh, Harry, warum muss es so enden?" fragte er leise.
„Noch ist es nicht zu Ende." flüsterte Harry, doch er wusste, dass er log. Doch für diese letzte Nacht wollte er an diese Lüge glauben....

Er umarmte Will noch einmal.
„Willst du wirklich schon gehen?" Will sah ihn hoffnungsvoll an.
„Ich glaube es ist besser so." Harry schlang seinen Schal ein paar Mal um den Hals.
„Pass auf dich auf."
„Mach ich."
„Sehn wir uns wieder?"
„Wer weiß?"
„Leb wohl, Harry."
„Leb wohl."

Auf dem Weg nach Hogwarts kam Harry ein Gedicht in den Sinn. Als sie es in der Schule einmal behandelt hatten, hatte er es nicht verstanden, doch nun wusste er was es bedeutete:

Als sie einander acht Jahre kannten
und man darf sagen: sie kannten sich gut,
kam ihre Liebe abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.

Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wussten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.

Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre sch Viertel nach vier
und Zeit, irgendwo Kaffe zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.

Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.

(Erich Kästner: „Sachliche Romanze")