10. EISKALT

Rasend schnell vergingen die Wochen. Harry erlebte alles nur durch einen Schleier. Nach Weihnachten hatte er sich immer mehr zurückgezogen, redete kaum noch. Seine besten Freunde, die wie erwartet in den Ferien ein Paar geworden waren, machten sich schreckliche Sorgen um Harry. Mehrere Gespräche hatten zu keinem Ergebnis geführt, zu Dumbledore wollten sie nicht gehen, kurzum: Sie hatten keine Ahnung, wie sie Harrys Zustand ändern oder wenigstens verstehen sollten. Zudem stand demnächst das gefürchtete Quittichspiel gegen die Slytherins an und Harry hatte nur sehr spärlich am Training teilgenommen, was ihm wiederum Ärger mit Angelina, dem neuen Mannschaftskapitän, einbrachte.
„Wenn wir dich nicht in unserer Mannschaft brauchen würden, dann hätte ich dich schon längst rausgeschmissen." hatte sie einmal gesagt. Seitdem ging Harry wenigstens wieder regelmäßig zum Training.

Heute war ein perfekter Tag für ein Quittichspiel: Die Sonne strahlte und kein Lüftchen regte sich. Das Stadion war voll besetzt, alle machten sich auf ein spannendes Spiel bereit. Die Mannschaften flogen ein. Harry begab sich auf seinen Platz und blickte in das Gesicht seines Gegenspielers. Graue Augen blitzten ihn feindselig an. Es tat noch immer weh. Aber er musste eiskalt bleiben, es war besser für sie beide.
/Reiß dich zusammen, Harry! Du musst den Schnatz fangen!/ sagte der Gryffindor zu sich selbst.
Madame Hoochs Anpfiff löste ihn aus seiner Starre und er flog los.

Das Spiel lief schon eine knappe Stunde, der Schnatz hatte sich noch immer nicht gezeigt und das Spiel lief schleppend. Jeder hoffte nur noch darauf, dass das Spiel endlich beendet wurde. Harry kreiste über dem Geschehen und langweilte sich. Plötzlich sah er nahe am Boden ein goldenes Glitzern. So schnell es eben ging setzte Harry zu einem Stuzflug an. Auch Malfoy hatte sich fast zeitgleich auf den Weg gemacht und flog von der anderen Seite auf den goldenen Ball zu. Das Publikum beobachtete atemlos, was die beiden Sucher machten. Harry hatte seinen Besen gerade noch rechtzeitig herumgerissen, so das er knapp über dem Boden schwebte. Er flog direkt auf den Schnatz zu, streckte den Arm aus. Nur noch 5 Meter, 4, 3, 2, 1. Seine Hand schloß sich um den Ball, doch im selben Moment hatte auch Draco nach dem Ball greifen wollen und packte stattdessen Harrys Arm. Dieser wollte sich losreißen, was jedoch nur das Ergebnis hatte, dass beide unsanft auf dem Boden landeten. Harry lag unter Draco, der ihn mit kalten Augen ansah.
„Das ist für mein gebrochenes Herz." zischte er und holte mit der Faust aus. Harry schloß die Augen. Doch nichts geschah. Als der Gryffindor seine Augen wieder öffnete, sah er, dass die gesamte Mannschaft Draco von ihm herunterzerrte.
„Haben Sie sich etwas getan?" fragte Madam Hooch besorgt.
„Nein, alles in Ordnung." meinte Harry und stand auf. Er verzog sein Gesicht. Nichts war in Ordnung, sogar Körperstellen von denen er nicht mal gewusst hatte, dass es sie gab taten ihm weh.
„Von wegen, Mr Potter, Sie begeben sich sofort in den Krankenflügel und auch Sie Mr Malfoy."
„Aber mir gehts gut." widersprach der Slytherin.
„Nichts da. Sie gehen mit."

„Es wäre besser, wenn Sie beiden über Nacht hier bleiben würden. Ich werde jeweils einen Schüler beauftragen, dass sie etwas zum Anziehen hierherbringen. Ihre Quittichumhänge können sie nicht mehr tragen, die sind völlig zerfetzt." Die Krankenschwester verließ den Krankenflügel. Wenig später trug Madame Pomfrey zwei Wäschebündel herein und legte sie auf Harrys und Dracos Bett.
„Und streiten Sie sich nicht wieder, Gute Nacht."
Harry setzte sich auf. Er konnte jetzt nicht einfach schlafen. Er nahm die Kleidung von seiner Decke und legte sie auf den Stuhl neben seinem Bett. Er spürte, dass die Augen des Slytherin auf ihm ruhten.
„Du hast es also noch immer?" fragte der Blonde.
„Was meinst du?"
„Mein Hemd." antwortete Draco tonlos.
„Ich habe es niemandem erzählt. Ich habe es behalten als....Erinnerung."
„Du weißt gar nicht, was du mir angetan hast. Wie ein Spielzeug, das du nicht mehr brauchst hast du mich einfach liegenlassen."
„Du wusstest worauf du dich eingelassen hast. Ich hab es dir klar gesagt." sagte Harry kühl.
„Es war für dich also wirklich nur ein Spiel?" krächzte Draco und blickte Harry in die Augen.
Harry konnte dem Blick nicht standhalten und schloß die Augen.
„Du hast es erfasst Malfoy." Harry hatte den harten Ton in seiner Stimme wiedergefunden. „Ich konnte doch nicht ahnen, dass du damit seelisch nicht fertig wirst!"
„Du verdammter Bastard!" schrie Draco. Er war an einem Punkt, an dem er schreien musste, denn wenn er es nicht tat, würde er weinen. Auch Potter musste das sehen. Er wollte nicht weinen. Er war ein Malfoy und Malfoys weinen nicht! „Shit.." flüsterte der Slytherin, als er die erste Träne spürte, die über seine Wange lief.
„Tränen? Wegen mir?" fragte Harry, sein verletzender Ton war nicht zu überhören.
„Renn doch zu Weasley und Granger und erzähl es ihnen!" gab Draco bissig zurück.
„Nicht so empfindlich, Malfoy...du willst doch wohl nicht behaupten, dass du auch nur das Geringste für mich empfindest?"
Draco schluchzte.
„Doch? Liebst du mich vielleicht sogar?" fragte Potter eiskalt grinsend.
Warum konnte diese Nacht nicht einfach vorbei sein? Warum kam jetzt nicht Madam Pomfrey und erlöste ihn? Draco konnte nichts anderes als schluchzen. Potter stand auf und bewegte sich auf ihn zu. Auch jetzt noch fing sein Herz an höher zu schlagen, auch jetzt, als Harry ihn sosehr verletzte.
Er zuckte zusammen, als eine warme Hand seine Wange streichelte. „Das mit uns beiden hätte sowieso nicht funktioniert, Draco.." flüsterte der schwarzhaarige Gryffindor leise und drückte seine rosigen Lippen auf die des Slytherins. Dann verschwand er, aber nicht ohne seine Kleidung mitzunehmen.
Draco Malfoy starrte an die Decke. „Das mit uns beiden hätte sowieso nicht funktioniert, Draco.." hatte er gesagt.
„Woher weißt du das Harry Potter, wenn wir es nicht wenigstens versucht haben...?" sagte er leise. „Du wirst schon sehen, es wird funktionieren!" setzte er mit Nachdruck hinzu.

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