Disclaimer: ...?????????
Ich kann euch nur eines raten: Geniesst dieses Kapitel-wer weiss, was nach
kommt.....
Für jeden Leser mit zu viel Testosteron gilt: Zähne zusammenbeissen und
durchhalten, oder bis zum nächsten Kapitel warten.
Als Entschuldigung: Zu viel Mahler, Williams und Elgar können auf die Dauer
schädlich sein.....
X Abend
Ohne dass Antonia es richtig bemerkte flogen die Wochen nur so an ihr vorbei. Ehe sie es sich versah, war der Mai vergangen und der Juni schon zur Hälfte vorrüber. Es kam ihr vor als hätte sie erst gestern in Elronds Rat gesessen und die Wahrheit über die Scherben erfahren. Unglaublich, wie schnell die Zeit vergehen konnte, wenn man genug zu tun und mehr als genügend zum nachdenken hatte.
Am Abend vor dem Mittsommertag war das Wetter so schön, wie man es sich nur wünschen konnte. Kleine Wolken, flockig wie Wattebäusche sprenkelten den sonst klaren Himmel über dem fernen Nebelgebirge, dessen schneebedeckte Gipfel den östlichen Horizont einnahmen. Eine leichte Brise wehte vom Westen her und vertrieb die angestaute Hitze des Tages. In ihrem Gefolge flutete der Geruch von Wäldern und blühenden Wiesen in das Tal um sich dort mit dem von Rosen und Veilchen zu vermischen. Nahe den Wasserfällen gesellte sich das Aroma von feuchtem Moos und Farn hinzu und vor dem Haus der Heiler wo Antonia stand, konnte sie gerade noch eine Ahnung scharfer Kräuter wahr nehmen.
Sie schloss die Augen und atmete bewusst tief ein. Lag es an den fehlenden Abgasen ihrer heimischen Zivilisation, dass ihr alles so neu vorkam, oder lag es vielmehr an der Umgebung selbst? An diesem Sommerabend begriff Antonia, dass es etwas in der Atmosphäre Bruchtals gab, das sie veränderte. Sie kam zu dem Schluss, dass es an den Elben liegen musste. Ihre bloße Anwesenheit hatte über die Jahrhunderte das Tal mit einem Hauch ihres Wesens getränkt. Aus diesem Grund schien selbst banalen Dingen ein versteckter Zauber inne zu wohnen. Er ließ selbstverständliches geheimnisvoll wirken und weckte verstohlene Hoffnung auf jederzeit mögliche Wunder. Außerdem lenkte der Aufenthalt in Bruchtal die Aufmerksamkeit auf die Schönheit, die allen Dingen zu eigen war. Antonias Sinne schienen plötzlich viel empfindlicher zu reagieren. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals derart bewusst dem Konzert der Grillen gelauscht zu haben. Gewebt aus dem Gesang unzähliger kleiner im Gebüsch sitzender Insekten flocht er sich so geschickt in das allgegenwärtige Rauschen der Wasserfälle, dass ein eigentümlicher Gesamtklang entstand.
"Nirgends in Mittelerde ist der Sommer lieblicher als in Imladris, das die Menschen Bruchtal nennen; es sei denn unter den Zweigen des fernen Lothlòriens. Und doch ist selbst diese Schönheit nur ein schwacher Abglanz der Altvorderenzeit als die Welt jung und die Elben noch zahlreich waren." Binala war unbemerkt neben sie getreten. Die blauen Augen der Elbin ruhten gedankenverloren auf dem Tal. Doch ein Funkeln war in ihnen, als seien sie nicht auf das gerichtet was sie sahen, sondern als blickten sie in weit entfernte Gefilde, die sich Antonias Vorstellung entzogen. "Nichts als eine blasse Erinnerung ist davon geblieben und auch sie wird eines Tages im Meer des Vergessens versinken."
Nachdenklich musterte Antonia die Heilerin. Über die Wochen hatten sie immer mehr Zeit miteinander verbracht und sie hätte Binala inzwischen ohne Bedenken als ihre Freundin bezeichnet. Aber da war es wieder: Dieses plötzliche Aufflackern einer völlig fremden Wesensart aus der sie nicht wirklich schlau wurde. Manchmal hatte sie den Verdacht, dass es sich als unlösbare Aufgabe erweisen würde, dieses Volk jemals verstehen zu wollen. Schweigend gingen sie nebeneinander her bis sie genau den Scheitelpunkt einer schmalen Brücke erreichten, die sich in kühnem Boden hoch über den gewaltigsten Wasserfall schwang. Dort blieben sie nach Westen gewandt stehen um den Sonnenuntergang zu betrachten.
Langsam sank die helle Scheibe dem Horizont entgegen und tauchte ganz Bruchtal in ein unwirkliches Farbenspiel. Das weiche gelbliche Licht des Abends wandelte sich unmerklich in leuchtende Pfirsichtöne bis es schließlich in kupfer- und blutrot glühte. Die letzten Strahlen fingen sich in Binalas rotem Haar und krönten sie mit lebendigem Feuer. Antonia beobachtete fasziniert ihre Begleiterin. Die blasse glatte Haut bildete einen herrlichen Gegensatz zu den flammenden Flechten, die ihr lose über den Rücken fluteten. Hochgewachsen und schlank wie eine Weide ragte sie neben ihr auf. Im zunehmenden Zwielicht glich sie einer Marmorstatue, überschüttet vom Glanz goldener Zeiten. Einzig die Augen, leuchtend blau wie Saphire doch tief und unergründlich, verrieten dass sie lebte. Unheimlich schön und als ein Wesen der Dämmerung erschien sie ihr in diesem Moment. Wenige kostbare Sekunden dauerte diese Verzauberung an, dann seufzte die Elbin leise und wandte sich wieder ihrer Freundin zu. Diese konnte nicht anders, als deren fließende Bewegungen zu bewundern. Natürlich bewegte sich auch Legolas mit der angeborenen Anmut seines Volkes, doch besaß diese bei Binala eine unübersehbar feminine Komponente, die sie ungleich graziler wirken ließ.
"Weshalb drängt sich mir die Vermutung auf, dass die Elben zu viele ihrer Gedanken in die Vergangenheit richten?" fragte Antonia, wobei sie an Binalas Worte vor dem Haus der Heiler dachte.
"Vielleicht weil wir von der Zukunft nicht viel erfreuliches erhoffen dürfen." Die Traurigkeit in ihrer Stimme wurde nur noch von der Melancholie in ihren Augen übertroffen. "Selbst ohne die Bedrohung des Schattens erscheint sie uns allzu dunkel und so viele Dinge sind auf immer verloren. Wenig Hoffnung für uns gibt es noch in Mittelerde und wir sind die letzten unseres Volkes."
Antonia wusste inzwischen vom Aufbruch der Elben nach Westen. Anfangs war es ihr natürlich merkwürdig, gerade zu albern vorgekommen. Nach ihrer Vorstellung stellte ein Land jenseits des Meeres nur einen weiteren Kontinent dar. Dann jedoch begriff sie, dass sie in Mittelerde andere Maßstäbe anlegen musste. Felix hatte völlig recht mit seinem argumentatorischen Bodenverlust. In einer Welt, in der ihre gewohnten Dimensionen nicht mehr galten, musste man sich verloren fühlen. Ihre Überlegungen mussten deutlich in ihrem Blick zu lesen sein, denn ein schwaches Lächeln erhellte die Züge ihrer Freundin.
"Für dich mag es schwer verständlich sein, aber die Elben sind mit ihrer Umgebung wesentlich stärker verbunden als alle anderen Lebewesen. Wir fühlen das langsame Vergehen um uns herum. Spüren das stille Schwinden des Lebens. Selbst was jetzt jung und stark erscheint, fällt schließlich doch dem Verfall anheim, dem nur der Tod folgen kann. Aus diesem Grund mischt sich stets der Schmerz in unsere Freude."
Antonia dachte an die Lieder und Verse, denen sie abends oft in Elronds Halle lauschte. Auch in den fröhlichsten davon schwang ein wehmütiger Unterton mit, der die Schönheit des Vorgetragenen noch verstärkte. Unbeschwertheit schien ein Begriff zu sein, der dem Wesen der Elben fremd war.
"Und was ist mit der Liebe?" fragte sie zögernd, weil ihr kurz Legolas' lachende Augen in den Sinn kamen.
"Die Liebe ist der größte Schmerz von allen." gab Binala zur Antwort. Es klang, als sei es ihr todernst damit. Bedrückt wandte Antonia sich ab. Von diesem Standpunkt aus hatte sie es noch niemals betrachtet. Ganz allein vielleicht deswegen weil sie ein Mensch war und diesen Gedankengang nicht in seiner ganzen Bedeutung nachvollziehen konnte. Wahrscheinlich musste man mindestens ein halbes Zeitalter erlebt haben, um zu einer solchen Sichtweise zu gelangen. Felix hätte daraus sicher eine Abend füllende Dislussion gemacht, doch Antonia zog es vor, darüber zu schweigen.
Um sich selbst aufzumuntern, verscheuchte sie jeden Anflug von Beklemmung. Sie wollte diesen herrlichen Sommertag nicht mit düsteren Grübeleien beenden. Zu lau war die Luft, die sanft über ihre bloßen Arme strich und in den Falten des weiten Kleides spielte, das sie heute Morgen in der Truhe neben ihrem Bett gefunden hatte. Ganz unten hatte es die ganze Zeit gelegen um erst am Höhepunkt des Sommers zufällig von ihr entdeckt zu werden. Der weiße Stoff besaß beinahe kein Gewicht und fiel halb durchsichtig wie ein zarter Schleier über ihre Haut. Wie ein kühler Hauch hatte er sich in der Mittagshitze angefühlt, als seien Wassertropfen in die Fäden eingewoben. Hätte Antonia es nicht besser gewusst, sie hätte geschworen, es sei aus dem Nebel der unzähligen Wasserfälle gesponnen. Ohne es ausprobiert zu haben, wusste sie, dass es sie außerdem nachts wärmen würde, wenn die Temperatur zu sehr fiel. Elbenkleidung war immer höchst kunstfertig gearbeitet und stets perfekt an den Zweck zu dem sie getragen wurde, angepasst. Dieses Stück hier bildete keine Ausnahme, doch schien es ihr ein besonders bemerkenswertes Beispiel elbischer Geschlicklichkeit zu sein. Des öfteren hatten ihre Hände heute staunend darüber gestrichen. Es floss bis zu ihren Knöcheln hinab. Einer kindlichen Eingebung folgend trug sie keine Schuhe und genoss das Gefühl des glatten Steins unter ihren Füßen, der nach und nach die gespeicherte Sonnenwärme abgab. Außerdem hatte sie gehofft, barfuß einmal fast so lautlos wie die Elben durch Bruchtal wandern zu können. Eine Hoffnung, die sich natürlich als unerfüllbar erwiesen hatte.
"So wie du heute aussiehst, käme niemand auf den Gedanken, dass du nicht aus Mittelerde stammst." Sagte Binala schließlich, die Antonia die ganze Zeit nachdenklich betrachtet hatte. "Bis auf das allzu große Staunen in deinen Augen vielleicht."
"Oh das..." die Angesprochene flüchtete sich in ein verlegenes Grinsen. "Das kommt daher, dass ich mich hier fühle, als sei ich in ein Märchen geraten. In eine der fantastischen Geschichten, die ich als Kind immer so gern hatte. Ein so magischer Ort wie dieser kam jedoch in keiner davon vor. Wahrscheinlich, weil es unmöglich ist, sich Bruchtal vorzustellen, bevor man es nicht mit eigenen Augen gesehen hat. Und was mein Aussehen betrifft..." wieder blickte sie an sich herab und trat einen Schritt zu Seite um das Wogen des Stoffes zu bewundern. "Weißt du, ich hatte nie besonders viel für lange Kleider übrig, aber das hier ist einfach unbeschreiblich. Ich komme mir darin selbst wie eine Sagengestalt vor. Oder jedenfalls so, wie es meiner Vorstellung davon am nächsten kommt."
Die Elbin hob in einer gleichgültigen Geste die Schultern. "Ich kenne die alten Geschichten eures Volkes nicht, würde mich aber freuen, einige davon zu hören. Dieser Abend scheint mir dafür genau der richtige zu sein."
Ohne ein bestimmtes Ziel im Sinn zu haben, verließen sie die Brücke und schlenderten gemütlich durch das im Dämmerlich liegende Bruchtal. Die vom Sonnenuntergang noch rosa überhauchten Wolken verblassten zu violett und taubenblau während Antonia sich nicht entscheiden konnte, mit was sie anfangen wollte. Zu viele Legenden schwirrten mit einem Mal ungeordnet in ihrem Gedächtnis herum. Da gab es die zahlreichen griechischen und römischen Sagen, die sie in der Schule gelesen hatte, doch aus irgend einem Grund schienen sie ihr nicht zur heutigen Stimmung zu passen. Von was würde sie Binala am liebsten erzählen? König Artus? Siegfried? Kindermärchen?
Jäh wurde sie aus ihren Überlegungen gerissen, als ein kleine Gestalt blitzschnell um die Ecke eines Pavillions flitzte und in vollem Lauf gegen sie stieß. Ein spitzer Schrei ertönte, als der Aufprall Antonia von den Füßen riss und nach hinten plumpsen ließ. Glücklicherweise konnte sie sich gerade noch mit den Händen abfangen, bevor sie unsanft auf den Steinplatten landete. Verdutzt blickte sie in ein Kindergesicht mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen. Es war das Mädchen, das sie zum ersten Mal in Elronds Versammlung gesehen hatte. Halb saß, halb halb lag sie auf Antonias Beinen und starrte sie entgeistert an. Die dunklen Locken standen ihr wild in alle Himmelsrichtungen vom Kopf ab.
"Hey Kleine, du rennst ja, als wären alle Orks von Mordor hinter dir her." Meinte Antonia freundlich, als sie sich vom ersten Schock erholt hatte.
"Das nun nicht gerade, nur ihr Onkel, der sie ins Bett bringen möchte." ließ sich plötzlich eine tiefe Stimme vernehmen. Sie blickte auf und sah Ferron, den Schmied an einer der Säulen lehnen, hinter denen das Mädchen gerade hervor geschossen war. Mit einem halb belustigten, halb verärgerten Ausdruck in den dunklen Augen musterte er die Szene vor sich.
"Ich bin aber noch gar nicht müde!" protestierte die Kleine lauthals. Sie klammerte sich an Antonias Arm und verzog trotzig den Mund. "Immer muss ich so früh schlafen gehen! Ich will noch aufbleiben und die Sterne sehen."
"Davon hält deine Mutter aber gar nichts!" entgegnete Ferron, wobei es den Anschein hatte, als führe er diese Diskussion nicht um ersten Mal. "Und ganz bestimmt wäre sie nicht davon begeistert, wenn sie sehen könnte, wie du dich aufführst. Benimm dich einmal wie ein großes Mädchen und hör auf deinen armen alten Onkel."
Bei diesen Worte musste Antonia unwillkürlich grinsen, denn nichts lag ferner, als Ferron als "armen alten Onkel" zu bezeichnen. Der schwarzhaarige Schmied war allerhöchsten dreißig Jahre alt und sein Körperbau machte seinem Beruf alle Ehre. Wahrscheinlich wäre es für ihn ein leichtes gewesen, Antonia und seine ungezogene Nichte unter den Arm zu klemmen und ab zu transportieren.
Noch immer schmollend stand die Kleine zögernd auf, klammerte sich dabei aber noch an Antonias Schulter fest. "Ihr wollt mich bloß nicht dabei haben, weil Mutter heute in die Schale sieht." grummelte sie missmutig. Ihre kleinen Füße hinterließen dunkle Flecken auf dem weißen Stoff des Kleides.
"Sie sieht in die Schale?" Binalas schmale Augenbrauen wanderten fragend ein gehöriges Stück nach oben. "Ich dachte dieser alte Brauch sei unter den Menschen längst ausgestorben?"
"Vergessen vielleicht im Süden und Westen, Herrin, nicht jedoch in den nördlichen Landen." Mit einem Senken des Kopfes deutete er eine halbe Verbeugung an. "Doch auch in unserer Heimat werden es jährlich weniger, die den alten Riten beiwohnen. Jetzt sind wir wohl die letzten, die sie in Ehren halten." Ein Schatten zog bei diesen Worten über sein Gesicht und Bitterkeit färbte seine Stimme. Es war unschwer zu erraten, dass er an seine zerstörte Stadt und ihre für immer vernichteten Bewohner dachte. Es entstand eine kurze bedrückende Stille, die niemand zu unterbrechen wagte. Dann aber seufzte er beinahe unhörbar und fuhr fort: "Meine Schwester Silla ist eine der wenigen Geweihten, die den Brauch noch nach alter Tradition vollziehen. Wenn Ihr ihn kennt, Herrin, denn das genau entnehme ich Euren Worten, so werdet Ihr sicher verstehen, warum sie dabei strikt gegen die Anwesenheit eines Kindes ist."
Antonia hatte keine Ahnung, wovon die beiden eigentlich redeten. Ratlos blickte sie zwischen den beiden hin und her. Der Gedanke aufzustehen und sich aus dem Griff des kleinen Mädchens zu lösen, kam ihr überhaupt nicht.
Binala nickte."Die Regeln verbieten es, das ist mir wohl bekannt. Doch glaube ich nicht, dass Ihr das Eurer Nichte begreiflich machen könnt." sagte sie mit einer Geste auf die Kleine.
"Da habt Ihr ein wahres Wort gesprochen!" stimmte Ferron ihr müde lächelnd zu. Er richtete den Blick wieder auf das Kind und trat ungeduldig einen Schritt nach vorne."Jetzt komm endlich, Arret. Und entschuldige dich vorher gefälligst. Es gehört nicht zum feinen Ton, Leute einfach über den Haufen zu rennen."
"Ach, das macht nichts, mir ist nichts passiert."wehrte Antonia lachend ab. Dann blickte sie dem Mädchen fest in die großen braunen Augen. "Aber das nächste Mal solltest du vielleicht besser auf deinen Weg achten. Auf diese Weise kannst du deinem Onkel nämlich nicht davon laufen. So wird er dich immer einholen. Merkst du dir das?"
Arret nickte ernst und schien fest entschlossen, sich diesen Ratschlag ja zu merken. Trotzdem war sie inzwischen wohl doch zu müde um noch großen Widerstand zu leisten, als Ferron sie hoch hob und auf den Arm nahm.
"Oh je, ich sehe schwere Zeiten auf mich zukommen!" meinte er dabei belustigt während Antonia sich endlich vom Boden empor stemmte und den Staub aus den Falten ihres weißen Kleides kopfte. "Wenn Ihr dem Kind weiterhin solche Flausen in den Kopf setzt, werde ich diese Aufgabe mit Vergnügen an Euch übergeben. Dann könnt Ihr Euch mit dem kleinen Dickkopf herum schlagen."
"Gut, ich werde mich zurück halten." lenkte Antonia lachend ein. "Unter zwei Bedingungen."
"Welchen?"Ein prüfender Blick aus seinen fast schwarzen Augen musterte sie eingehend.
"Erstens:Nennt mich Antonia und du. Diese gräßliche Förmlichkeit geht mir langsam ziemlich auf die Nerven. Schließlich sitzen wir alle in ein und dem selben Boot."
Er nickte. "Einverstanden ,und die zweite?"
"Ganz einfach, du erklärst mir, was es mit diesem Schalen-Ritual auf sich hat. Einer meiner größten Fehler ist nämlich meine Neugier. Obwohl..." ihre Stirn legte sich kurz in düstere Falten"...ich mit mystischen Ritualen nicht besonders angenehme Erfahrungen gemacht habe." Für einen winzigen Augenblick befand sie sich wieder in Susannes Zimmer, sah den Kreidekreis und die flackernden Kerzen vor sich und nahm den schrecklichen Geruch frisch vergossenen Blutes wahr.Die Erinnerung war so greifbar, dass sie einige Sekunden brauchte um sich ins Gedächtnis zu rufen, dass sie sich in Bruchtal befand und somit keiner unmittelbaren Bedrohung ausgesetzt war. Als sie wieder in die Wirklichkeit zurück gefunden hatte, sah sich sich einem ernsten Blick von Ferron gegenüber.
"Ihr...du bist nicht von hier, nicht wahr?"sie merkte, dass ihm diese Frage unangenehm war, aber ihm brennend auf der Zunge gelegen hatte "Ich meine, nicht aus Mittelerde."
Antonia nickte."Ich nehme an, es ist nicht zu übersehen. Warum fragst du?"
Der Ausdruck auf seinem Gesicht schwankte zwischen Bestürzung und Aufregung. "Dann stimmt es also! Ich habe es gehört, wollte es aber nicht glauben. Zu viele Gerüchte sind zur Zeit im Umlauf. Ich muss zugeben, dass mir dieses am absonderlichsten von allen vorkam. Nicht aus Mittelerde...wer hätte je von so etwas gehört. Jetzt wird mir einiges klar." Er verlagerte Arrets Gewicht in seinen Armen, doch sie strampelte derart, dass er sie schließlich mit einem ermahnenden Blick absetzte. "Die ganze Zeit habe ich mich gefragt, was du damals im Rat zu suchen hattest. Und dann gibt es da ja noch deinen merkwürdigen Freund."
"Felix? Oh ja, wobei ich mir keine Welt vorstellen kann, in der er nicht wenigstens ein bißchen auffallen würde." Sie zuckte wegwerfend mit den Schultern. "Wenn das alles ist, was man über mich erzählt, brauche ich mir keine Sorgen zu machen."
"Nun ja, es gibt da schon noch so einiges, aber bevor ich anfange dich damit zu belästigen, muss ich wohl diesen kleinen Quälgeist hier endlich ins Bett bringen." Mit seiner riesigen Pranke wuschelte er Arret liebevoll durch die dunklen Locken. "Wenn Silla wüsste, dass ich mich hier statt dessen mit zwei schönen Frauen unterhalte, dürfte ich mir wieder etwas anhören." Sein halb verlegenes Grinsen, in das er sich dabei flüchtete, ließ ihn ungemein sympatisch erscheinen. "Wenn du dich immer noch für das Vormittsommerritual und Klatsch und Tratschgeschichten interessierst, können wir uns gleich unten auf der Südterrasse treffen. Bevor ich lange Erklärungen abgeben muss, werde ich es dir einfach zeigen. Meine Schwester hat sicher nichts dagegen."
Antonia stimmte sofort zu. Wann würde sie schon noch einmal die Gelegenheit dazu bekommen, auf diesem direkten Wege etwas neues über Mittelerde zu erfahren? Außerdem war sie viel zu neugierig um seine Anspielung auf Gerüchte über sie einfach links liegen zu lassen. Ferron versprach noch, dass er nicht lange brauchen würde, dann verschwand er mit der inzwischen sehr müde aussehenden Arret zwischen den Säulen.
"Möchtest du denn nicht mitkommen?" fragte Antonia, als Binala sich mit wenigen Worten verabschieden wollte.
Die Elbin verneinte."Ich bin mit dem Ritual von dem er gesprochen hat bestens vertraut. Auch wenn es lange her ist, dass ich ihm begeiwohnt habe. Außerdem glaube ich nicht, dass die Einladung auch an mich gerichtet war." Den letzten Satz unterstrich sie mit einem bedeutungsvollen Lächeln, das ihre blauen Augen blitzen ließ. "Viel Spaß und wenn ich dir noch einen Rat mit auf den Weg geben darf: Bleib besser auch nicht mehr zu lange wach. Du wirst dich selbst verfluchen, wenn du morgen beim Mittsommerfest die Augen nicht offen halten kannst."
"Ich glaube, du verwechselst mich da mit jemandem." gab Antonia lachend zurück. "Mit jemandem der sooo groß ist." Sie hielt ihre Hand in Schenkelhöhe. So weit hatte Arret ihr ungefähr gereicht.
Die Elbin hob andeutungsweise die Schultern. "Wahrscheinlich bin ich nach Vernunft gegangen und nicht nach Körpergröße." Sie grinste ganz unelbenhaft und verschwand endgültig in der Dämmerung.
Zurück blieb eine halb lachende, halb empörte Antonia. Wahrscheinlich hatte Binala recht, dachte sie bei sich, während sie leise in sich hinein gluckste, viel kindischer und sturer als sie konnte man sich kaum mehr benehmen. - Eine eindeutige Anspielung auf ihre Weigerung, den Ratschlägen der Heilerin folge zu leisten. In Binalas Augen war sie sowieso nicht mehr als ein Kind, überlegte sie, als sie sich auf den Weg zur Südterrasse machte. Das letzte Licht verblasste rasch und am sommerlichen Himmel blinkten die ersten Sterne. Wenn Arret ihren Onkel lange genug aufhielt, könnte sie noch einen kurzen Blick auf sie erhaschen.
Dass dem nicht so war, erkannte sie als sie den Treffpunkt erreichte und Ferron bereits auf sie wartete.
"Meine Schwester und ihr Mann befinden sich unten am Fluss." erklärte er mit einer Geste in die entsprechende Richtung. "Die Nähe von fließendem Wasser ist sehr wichtig für das Ritual. Es versinnbildlicht den unaufhaltsamen Fluss der Zeit von der Vergangenheit in die Zukunft."
Antonia nickte. Symbole dieser Art schienen bei sämtlichen okkulten Dingen eine wichtige Rolle zu spielen. Deutlich erinnerte sie sich an den Dolch und die verschieden farbigen Kerzen in Susannes Zimmer. Zum Glück holte Ferrons Stimme sie gleich wieder in die Gegenwart.
"Um auf die Gerüchte zurück zu kommen; es gibt da ein ganz bestimmtes, das mich besonders interessiert." Sie entdeckte eine kleine senkrechte Falte dabei zwischen seinen Augenbrauen, als sei er sich nicht sicher, ob er es ansprechen sollte.
"Nur immer raus damit." ermunterte sie ihn. "Viel schlimer als die Realität kann es nicht sein."
"Nun, es heisst...es heisst du trügest den Erben des Prinzen von Düsterwald unter deinem Herzen." Er blickte dabei starr auf die Stufen, die zum Fluss hinunter führten, als müsse er sich völlig auf seine Füsse konzentrieren.
Antonia schluckte. Nun...Bruchtal war klein und nichts schien hier lange ein Geheimnis zu bleiben. Allerdings...Erbe? Dieser Gedanke war ihr noch nie in den Sinn gekommen. Angesichts der Bedrohung durch die Unguim hatte sie keine Zeit für derartige Überlegungen gehabt sondern ihre Aufmerksamkeit auf die Gegenwart und die unmittelbare Zukunft konzentriert.
"Das stimmt." Gestand sie schließlich, plötzlich ziemlich verwirrt. Woher stammte die Unruhe, die sie mit einem Mal erfasst hatte?
Glücklicherweise erreichten sie in diesem Augenblick das Flussufer. Silla und ihr Mann wirkten im ersten Moment überrascht, schienen aber sonst keine Bedenken wegen Antonias Anwesenheit zu haben. Ferrons Schwester zeigte sich im Gegenteil eher geschmeichelt über das ihr entgegen gebrachte Interesse. Sie zeigte Antonia die flache silberne Schale mit der das Ritual ausgeführt wurde.
"Im Grunde geht es darum, für einen kurzen Moment einen Blick in die Zukunft zu werfen. Das gelingt nur an diesem besonderen Abend im Jahr bevor der Sommer seinen Höhepunkt erreicht. Die Nebel, die das Schicksal sonst selbst vor dem sehenden Auge verbergen, sind heute dünn und gleichsam durchscheinend. Mit der nötigen Kenntis gelingt es den Eingeweihten dann einen raschen Blick darauf zu werfen. Die Schale," sie legte die Hand behutsam auf das glänzende Metall."dient nur als Spiegel um das unergründliche sichtbar zu machen. Etwa so, wie du den Wind in der Bewegung der Gräser sehen kannst." Ihr prüfenden Blick glitt über das Firmament an dem inzwischen die Sterne in all ihrer Pracht erstrahlten. "Von großer Wichtigkeit ist außerdem das Licht, das zu Verfüngung steht. Am meisten erblickt man in Nächten, in denen der Vollmond scheint. Heute wird mir das Licht der Sterne genügen müssen. Soll ich für dich in die Schale blicken?"
"Geht denn das?" fragte Antonia erstaunt. Sie hatte gedacht, es handle sich eher um ein Ritual allgemeiner Natur.
Silla lächelte. "Natürlich geht das. Dass es nur ein kurzer Blick ist, heisst nicht, dass man die Richtung nicht lenken kann. Es hängt ganz davon ab, wer die Schale hält. Möchtest du?"
Antonia nickt. So ganz wohl war ihr bei der ganzen Sache nicht denn es weckte schlimme Erinnerungen. Doch wie hätte sie dieses freundliche Angebot ausschlagen können, ohne unhöflich zu wirken? "Was muss ich tun?"
"Als erstes deinen Zopf lösen." lautete die überraschende Antwort. "Nichts an dir darf fest gebunden oder geknüpft sein. Das verhindert den Fluss der Magie."
Erst jetzt bemerkte Anmotia, dass Silla nichts als ein weites leinenfarbenes Gewand trug und die dunklen Haare ihr offen über den Rücken fielen. Ohne zu zögern, löste sie ihre Haare, die sie wegen der sommerlichen Hitze im Nacken zu einem Zopf zusammen gefasst hatte, hielt jedoch inne, als sie sah, wie Sillas Augen auf ihrem Amulett ruhten. Genauer auf dem Lederband, an dem es hing.
"Diesen Knoten kann ich unmöglich öffnen." erklärte sie entschieden und legte schützend die Hand um das mächtige Schmuckstück. "Ich darf es auch nicht abnehmen. Es ist...zu wichtig."
Sillas runzelte die Stirn. "Wie du willst. Niemand von uns würde es auch nur berühren ohne deine Erlaubnis. Doch ich kann es auch so versuchen."
Sie bedeutete Antonia, die Schlale zu nehmen und sie mit Wasser zu füllen. Das Metall des schlichten Gefäßes fühlte sich kühl und glatt unter ihren Fingern an. Selbst der Fluss schien heute träger als sonst dahin zu fließen. Das allgegenwärtige Gluckern wirkte gedämpft, als würde die schwere Luft alle Geräusche schlucken.
Dann hielt Antonia die Schale mit ausgetreckten Händen vor sich, so dass das Sternenlicht hineinfallen konnte. Silla wartete bis das Wasser sich beruhigt und eine spiegelglatte Oberfläche hatte. Dann schloss sie Augen, atmete tief ein, beugte sich vor und sah hinein. Einige Sekunden lang passierte scheinbar nichts doch auf einmal begannen sich ihre Lippen stumm zu bewegen. Tonlos bildeten sie Worte während ihr Blick wie gebannt auf die Wasseroberfläche gerichtet blieb. Plötzlich begannen ihre Schultern zu beben. Ihre Augen weiteten sich entsetzt. Mit einem Aufschrei prallte sie zurück und schlug Antonia die Schale aus der Hand. Das Gefäß rollte ins Gras und das Wasser ergoss sich über Antonias nackte Füße.
"Was...?" Antonias Herz pochte, so erschrocken war sie über den heftigen Ausbruch der anderen.
Silla war zurück gewichen und hatte die Hände fest vor den Mund gepresst. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie Antonia fassungslos an. Sie zitterte immer noch. Schnell trat Ferron zu seiner Schwester und legte beruhigend die Arme um sie. Aus seinem Gesichtsausdruck sprach Bestürzung.
"Die Bilder, die die Schale zeigt können manchmal schlimme Eindrücke hinterlassen, gegen die man sich nicht wehren kann." versuchte er zu erklären, doch angesichts des Zustands seiner Schwester wirkte es ziemlich hilflos. "Was hast du gesehen, Liebes?" Sanft strich er ihr die dunklen Haarsträhnen aus der Stirn.
Die Angesprochene schüttelte den Kopf und befreite sich entschieden aus seiner Umarmung. Sie schien einen Teil ihrer Selbstbeherrschung wieder gefunden zu haben. Sie ging auf die verwirrte Antonia zu und ergriff deren Hände.
"Ich kann dir nicht alles sagen, was sich mir in der Schale gezeigt hat. Manches war zu verschwommen, als dass ich seine ganze Bedeutung erfassen konnte, manches vermag ich nicht auszusprechen. Nur so viel: Ich sah entsetzliche Dinge: Kampf, Betrug, Hass und furchtbaren Schmerz. Du bist um dein Schicksal wahrlich nicht zu beneiden. Und noch eines: Selbst im größten Verhängnis schlummert ein Funken Hoffnung. Vergiss das niemals."
Was hätte Antonia darauf erwidern sollen? Noch dazu, wo sie im Augenblick nicht einmal dazu fähig war einen halbwegs klaren Gedanken zu fassen. Das einzige, das sich aus dem Chaos hinter ihrer Stirn langsam heraus kristallisierte, war Angst. Gepaart mit einer Spur Entsetzen und Wut. Ohne ein Wort zu verlieren, befreite sie sich aus Sillas Griff, drehte sich um und stürzte davon. Sie wollte bloß noch weg von dieser gräßlichen Schale und jenem unsinnigen Ritual, das ihr nur Schrecken prophezeit hatte. Vor allem aber wollte sie den Ausdruck auf Sillas Gesicht vergessen, kurz bevor sie ihr das silberne Gefäß aus den Händen geschlagen hatte.
Ohne auf ihre Umgebung zu achten, stolperte sie durch die Dunkelheit. Zweige schlugen nach ihrem Gesicht, ihr Kleid verhakte sich in niedrigen Büschen. Ein spitzer Stein riss ihr die linke Fußsohle auf. Nichts davon drang bis in ihr Bewusstsein vor. Zu gewaltig war der Sturm an widersprüchlichen Empfindungen der in ihr tobte.
Erst als sie über eine hervorstehende Wurzel stolperte und stürzte, kehrte sie in die Realität zurück. Erschöpft lag sie auf dem weichen Boden Bruchtals und atmete tief den Duft der Linden ein, zwischen die sie sich verirrt hatte. Das Gras unter ihr, die leise flüsternden Blätter über ihr und das gelegentliche Aufblitzen der Sterne zwischen den Zweigen brachten sie wieder in die Gegenwart. Langsam beruhigte sich auch ihr aufgeregter Herzschlag. Erst jetzt spürte sie die zahlreichen Schrammen und Kratzer, die sie sich während ihrer kopflosen Flucht zugezogen hatte. Auch der Schnitt in ihrem linken Fuß machte sich nun brennend bemerkbar. Wie hatte sie nur dermaßen die Nerven verlieren können? Im Nachhinein erschien ihr ihre Reaktion maßlos übertrieben. Als Hüterin des Scherben hätte sie angesichts dieser schrecklichen Prophezeiung einen kühlen Kopf bewahren sollen.
Vernünftig betrachtet hatte Silla ihr eigentlich nichts neues erzählt. Wenn man den Plan der Unguim und deren Grausamkeit bedachte, musste man keine Seherin sein um Kampf und schreckliche Ereignisse voraus zu sagen. Aber die ganze Situation war einfach so erschreckend gewesen. Und sie war sich sicher, dass das Grauen in Sillas Augen keine Täuschung gewesen war. Noch in diese Überlegungen hinein hörte sie, wie jemand ihren Namen rief.
"Antonia?" jetzt erkannte sie die Stimme.
"Legolas." Um sich blickend stand sie auf und strich sich eine schweißnasse Haarsträhne aus dem Gesicht. Einige Sekunden lang versuchte sie noch in dem Gewirr aus Schatten und Sternenlicht etwas zu erkennen, dann fühlte sie sich von ihm in die Arme genommen. Mit seinen Elbenaugen konnte er im Zwielicht natürlich viel besser sehen als sie. Fest drückte sie sich an ihn, genoss einfach seine Nähe. Atmete den Geruch seiner Haut, überließ sich dem Gefühl seines inzwischen so vertrauten Körpers an ihrem. Wie so oft reichte allein seine Gegenwart aus, sie zu beruhigen. Seine Hände, die behutsam über ihren Rücken strichen, taten ein übriges.
"Antonia, was ist denn bloß los? Was machst du ganz allein hier im Dunkeln?" Ein flüchtiger Kuss streifte ihre linke Schläfe. "Ich habe ziemlich verwirrende Sachen von einem Orakel oder derartigem gehört."
Und da sprudelte alles aus Antonia heraus. Von Ferrons Einladung, dem Ritual beizuwohnen über Sillas Erklärungen bis hin zu jenem Punkt, an den die Seherin ihr die Schale aus der Hand geschlagen hatte."Du hättest ihren Gesichtsausdruck sehen sollen, Legolas. Es war schrecklich. Und ich habe einfach die Beherrschung verloren und bin davon gerannt. All das Entsetzen von damals, als Susanne für mich die Pristerin spielen wollte, brodelte wieder in mir hoch und ich hatte einfach furchtbare Angst." Unfähig weiter zu sprechen, krallte sie die Finger in Legolas' Hemd und presste sich noch fester an ihn. "Ich bin so froh, dass du da bist."
Einen kurzen Moment lang schwieg der Elb, begnügte sich einfach damit, sie in den Armen zu halten, bis sie sich wieder einigermaßen gefangen hatte. Dann sagte er: "Ich erinnere mich, dass wir bereits über das Schicksal im allgemeinen gesprochen haben und dass du im besonderen ein Problem damit zu haben scheinst. Wahrscheinlich hilft es dir nichts, wenn ich dir jetzt sage, dass niemand vor seinem Schicksal davon laufen kann. Du kannst es nicht abwenden, egal was du auch versuchst. Nur eines verspreche ich dir..." er schob Antonia ein kleines Stück von sich weg, so dass er ihr ins Gesicht sehen konnte. Sogar im Zwielicht bemerkte sie, dass seine Augen funkelten. "...Egal wie schrecklich oder düster dieses Schicksal auch aussehen wird, ich werde es an deiner Seite durchstehen."
Antonia wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, deswegen küsste sie ihn. Wie hätte sie sonst ihren Gefühlen Ausdruck verleihen sollen? Der Geschmack seiner Lippen... sie glaubte nicht, dass sie davon jemals genug bekommen würde. Er erwiderte ihre Berührung mit der gleichen Leidenschaft, die aus seinen Worten gesprochen hatte. Antonia spürte, wie alle Zweifel und Ängste mit einem Mal von ihr abfielen und sie gestärkt und mutig zurück ließen. Gemeinsam mit ihm würde sie allen Widrigkeiten gelassen die Stirn bieten.
"Wie kannst du im Ernst denken, ich würde dich jemals allein lassen?"meinte er grinsend, als sie sich leicht atemlos voneinander lösten. "Allein würdest du noch nicht einmal zurück in Elronds Haus finden."
Sie versetze ihm einen spielerischen Klaps auf den Oberarm."Idiot!" murmelte sie liebevoll und sandte dem Schlag einen Kuss hinterher. "Wie kann man über 2000 Jahre alt sein und doch noch so albern?!"
"Das muss an dir liegen."lachte er, zog sie an sich und begann ihren Hals zu küssen. "Du vernebelst mir den Verstand."
Daraufhin musste Antonia ebenfalls kichern. Sie schloss die Augen und überließ sich ganz der Berührung ihres Geliebten. Als sie ihr Gewicht verlagerte und dabei den verletzten Fuß belastete, zuckte sie vor Schmerz zusammen. Der Schnitt schien doch tiefer zu gehen, als sie gedacht hatte.
"Noch ein Grund, aus dem es gut ist, dass ich dir gefolgt bin." Stellte Legolas fest, als sie es ihm zeigte. "Wie wolltest du ins Haus kommen? Auf einem Bein hüpfen?" Mit diesen Worten hob er Antonia, die nicht einmal Zeit hatte zu protestieren, vom Boden hoch. "Mir scheint, da gibt es nur eine Lösung." Er grinste vielsagend. "Auf diese Art kriege ich dich wohl am schnellsten ins Bett."
"Schuft!" entgegnete Antonia, schlang die Arme um seinen Hals um besseren Halt zu haben und hauchte einen Kuss auf seine Ohrspitze.
"Was immer du willst."lautete die vergnügte Antwort, während er sich daran machte, sie durch das Wäldchen zurück in Elronds Haus zu tragen.
**************************************************************************** ***** Puhhh, da habt ihr endlich euer 10. Kapitel. Und für alle die so brav sooooooooo lange gewartet haben und so viele liebe Reviews geschrieben haben ist es diesmal wirklich ein bisschen länger geworden. (
Zu meiner Entschuldigung (ich weiss, sie wird mir nichts nützen): Es gibt zwei Dinge, die mich vom Schreiben abhalten: Stress in der Uni und Männer. In der Uni ist zur Zeit alles relaxed.......
Und hier Oma Lanjanas Rat für diesen Abend: Hütet euch vor blonden Männern! (keine Übertreibung!! Ehrlich!)
X Abend
Ohne dass Antonia es richtig bemerkte flogen die Wochen nur so an ihr vorbei. Ehe sie es sich versah, war der Mai vergangen und der Juni schon zur Hälfte vorrüber. Es kam ihr vor als hätte sie erst gestern in Elronds Rat gesessen und die Wahrheit über die Scherben erfahren. Unglaublich, wie schnell die Zeit vergehen konnte, wenn man genug zu tun und mehr als genügend zum nachdenken hatte.
Am Abend vor dem Mittsommertag war das Wetter so schön, wie man es sich nur wünschen konnte. Kleine Wolken, flockig wie Wattebäusche sprenkelten den sonst klaren Himmel über dem fernen Nebelgebirge, dessen schneebedeckte Gipfel den östlichen Horizont einnahmen. Eine leichte Brise wehte vom Westen her und vertrieb die angestaute Hitze des Tages. In ihrem Gefolge flutete der Geruch von Wäldern und blühenden Wiesen in das Tal um sich dort mit dem von Rosen und Veilchen zu vermischen. Nahe den Wasserfällen gesellte sich das Aroma von feuchtem Moos und Farn hinzu und vor dem Haus der Heiler wo Antonia stand, konnte sie gerade noch eine Ahnung scharfer Kräuter wahr nehmen.
Sie schloss die Augen und atmete bewusst tief ein. Lag es an den fehlenden Abgasen ihrer heimischen Zivilisation, dass ihr alles so neu vorkam, oder lag es vielmehr an der Umgebung selbst? An diesem Sommerabend begriff Antonia, dass es etwas in der Atmosphäre Bruchtals gab, das sie veränderte. Sie kam zu dem Schluss, dass es an den Elben liegen musste. Ihre bloße Anwesenheit hatte über die Jahrhunderte das Tal mit einem Hauch ihres Wesens getränkt. Aus diesem Grund schien selbst banalen Dingen ein versteckter Zauber inne zu wohnen. Er ließ selbstverständliches geheimnisvoll wirken und weckte verstohlene Hoffnung auf jederzeit mögliche Wunder. Außerdem lenkte der Aufenthalt in Bruchtal die Aufmerksamkeit auf die Schönheit, die allen Dingen zu eigen war. Antonias Sinne schienen plötzlich viel empfindlicher zu reagieren. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals derart bewusst dem Konzert der Grillen gelauscht zu haben. Gewebt aus dem Gesang unzähliger kleiner im Gebüsch sitzender Insekten flocht er sich so geschickt in das allgegenwärtige Rauschen der Wasserfälle, dass ein eigentümlicher Gesamtklang entstand.
"Nirgends in Mittelerde ist der Sommer lieblicher als in Imladris, das die Menschen Bruchtal nennen; es sei denn unter den Zweigen des fernen Lothlòriens. Und doch ist selbst diese Schönheit nur ein schwacher Abglanz der Altvorderenzeit als die Welt jung und die Elben noch zahlreich waren." Binala war unbemerkt neben sie getreten. Die blauen Augen der Elbin ruhten gedankenverloren auf dem Tal. Doch ein Funkeln war in ihnen, als seien sie nicht auf das gerichtet was sie sahen, sondern als blickten sie in weit entfernte Gefilde, die sich Antonias Vorstellung entzogen. "Nichts als eine blasse Erinnerung ist davon geblieben und auch sie wird eines Tages im Meer des Vergessens versinken."
Nachdenklich musterte Antonia die Heilerin. Über die Wochen hatten sie immer mehr Zeit miteinander verbracht und sie hätte Binala inzwischen ohne Bedenken als ihre Freundin bezeichnet. Aber da war es wieder: Dieses plötzliche Aufflackern einer völlig fremden Wesensart aus der sie nicht wirklich schlau wurde. Manchmal hatte sie den Verdacht, dass es sich als unlösbare Aufgabe erweisen würde, dieses Volk jemals verstehen zu wollen. Schweigend gingen sie nebeneinander her bis sie genau den Scheitelpunkt einer schmalen Brücke erreichten, die sich in kühnem Boden hoch über den gewaltigsten Wasserfall schwang. Dort blieben sie nach Westen gewandt stehen um den Sonnenuntergang zu betrachten.
Langsam sank die helle Scheibe dem Horizont entgegen und tauchte ganz Bruchtal in ein unwirkliches Farbenspiel. Das weiche gelbliche Licht des Abends wandelte sich unmerklich in leuchtende Pfirsichtöne bis es schließlich in kupfer- und blutrot glühte. Die letzten Strahlen fingen sich in Binalas rotem Haar und krönten sie mit lebendigem Feuer. Antonia beobachtete fasziniert ihre Begleiterin. Die blasse glatte Haut bildete einen herrlichen Gegensatz zu den flammenden Flechten, die ihr lose über den Rücken fluteten. Hochgewachsen und schlank wie eine Weide ragte sie neben ihr auf. Im zunehmenden Zwielicht glich sie einer Marmorstatue, überschüttet vom Glanz goldener Zeiten. Einzig die Augen, leuchtend blau wie Saphire doch tief und unergründlich, verrieten dass sie lebte. Unheimlich schön und als ein Wesen der Dämmerung erschien sie ihr in diesem Moment. Wenige kostbare Sekunden dauerte diese Verzauberung an, dann seufzte die Elbin leise und wandte sich wieder ihrer Freundin zu. Diese konnte nicht anders, als deren fließende Bewegungen zu bewundern. Natürlich bewegte sich auch Legolas mit der angeborenen Anmut seines Volkes, doch besaß diese bei Binala eine unübersehbar feminine Komponente, die sie ungleich graziler wirken ließ.
"Weshalb drängt sich mir die Vermutung auf, dass die Elben zu viele ihrer Gedanken in die Vergangenheit richten?" fragte Antonia, wobei sie an Binalas Worte vor dem Haus der Heiler dachte.
"Vielleicht weil wir von der Zukunft nicht viel erfreuliches erhoffen dürfen." Die Traurigkeit in ihrer Stimme wurde nur noch von der Melancholie in ihren Augen übertroffen. "Selbst ohne die Bedrohung des Schattens erscheint sie uns allzu dunkel und so viele Dinge sind auf immer verloren. Wenig Hoffnung für uns gibt es noch in Mittelerde und wir sind die letzten unseres Volkes."
Antonia wusste inzwischen vom Aufbruch der Elben nach Westen. Anfangs war es ihr natürlich merkwürdig, gerade zu albern vorgekommen. Nach ihrer Vorstellung stellte ein Land jenseits des Meeres nur einen weiteren Kontinent dar. Dann jedoch begriff sie, dass sie in Mittelerde andere Maßstäbe anlegen musste. Felix hatte völlig recht mit seinem argumentatorischen Bodenverlust. In einer Welt, in der ihre gewohnten Dimensionen nicht mehr galten, musste man sich verloren fühlen. Ihre Überlegungen mussten deutlich in ihrem Blick zu lesen sein, denn ein schwaches Lächeln erhellte die Züge ihrer Freundin.
"Für dich mag es schwer verständlich sein, aber die Elben sind mit ihrer Umgebung wesentlich stärker verbunden als alle anderen Lebewesen. Wir fühlen das langsame Vergehen um uns herum. Spüren das stille Schwinden des Lebens. Selbst was jetzt jung und stark erscheint, fällt schließlich doch dem Verfall anheim, dem nur der Tod folgen kann. Aus diesem Grund mischt sich stets der Schmerz in unsere Freude."
Antonia dachte an die Lieder und Verse, denen sie abends oft in Elronds Halle lauschte. Auch in den fröhlichsten davon schwang ein wehmütiger Unterton mit, der die Schönheit des Vorgetragenen noch verstärkte. Unbeschwertheit schien ein Begriff zu sein, der dem Wesen der Elben fremd war.
"Und was ist mit der Liebe?" fragte sie zögernd, weil ihr kurz Legolas' lachende Augen in den Sinn kamen.
"Die Liebe ist der größte Schmerz von allen." gab Binala zur Antwort. Es klang, als sei es ihr todernst damit. Bedrückt wandte Antonia sich ab. Von diesem Standpunkt aus hatte sie es noch niemals betrachtet. Ganz allein vielleicht deswegen weil sie ein Mensch war und diesen Gedankengang nicht in seiner ganzen Bedeutung nachvollziehen konnte. Wahrscheinlich musste man mindestens ein halbes Zeitalter erlebt haben, um zu einer solchen Sichtweise zu gelangen. Felix hätte daraus sicher eine Abend füllende Dislussion gemacht, doch Antonia zog es vor, darüber zu schweigen.
Um sich selbst aufzumuntern, verscheuchte sie jeden Anflug von Beklemmung. Sie wollte diesen herrlichen Sommertag nicht mit düsteren Grübeleien beenden. Zu lau war die Luft, die sanft über ihre bloßen Arme strich und in den Falten des weiten Kleides spielte, das sie heute Morgen in der Truhe neben ihrem Bett gefunden hatte. Ganz unten hatte es die ganze Zeit gelegen um erst am Höhepunkt des Sommers zufällig von ihr entdeckt zu werden. Der weiße Stoff besaß beinahe kein Gewicht und fiel halb durchsichtig wie ein zarter Schleier über ihre Haut. Wie ein kühler Hauch hatte er sich in der Mittagshitze angefühlt, als seien Wassertropfen in die Fäden eingewoben. Hätte Antonia es nicht besser gewusst, sie hätte geschworen, es sei aus dem Nebel der unzähligen Wasserfälle gesponnen. Ohne es ausprobiert zu haben, wusste sie, dass es sie außerdem nachts wärmen würde, wenn die Temperatur zu sehr fiel. Elbenkleidung war immer höchst kunstfertig gearbeitet und stets perfekt an den Zweck zu dem sie getragen wurde, angepasst. Dieses Stück hier bildete keine Ausnahme, doch schien es ihr ein besonders bemerkenswertes Beispiel elbischer Geschlicklichkeit zu sein. Des öfteren hatten ihre Hände heute staunend darüber gestrichen. Es floss bis zu ihren Knöcheln hinab. Einer kindlichen Eingebung folgend trug sie keine Schuhe und genoss das Gefühl des glatten Steins unter ihren Füßen, der nach und nach die gespeicherte Sonnenwärme abgab. Außerdem hatte sie gehofft, barfuß einmal fast so lautlos wie die Elben durch Bruchtal wandern zu können. Eine Hoffnung, die sich natürlich als unerfüllbar erwiesen hatte.
"So wie du heute aussiehst, käme niemand auf den Gedanken, dass du nicht aus Mittelerde stammst." Sagte Binala schließlich, die Antonia die ganze Zeit nachdenklich betrachtet hatte. "Bis auf das allzu große Staunen in deinen Augen vielleicht."
"Oh das..." die Angesprochene flüchtete sich in ein verlegenes Grinsen. "Das kommt daher, dass ich mich hier fühle, als sei ich in ein Märchen geraten. In eine der fantastischen Geschichten, die ich als Kind immer so gern hatte. Ein so magischer Ort wie dieser kam jedoch in keiner davon vor. Wahrscheinlich, weil es unmöglich ist, sich Bruchtal vorzustellen, bevor man es nicht mit eigenen Augen gesehen hat. Und was mein Aussehen betrifft..." wieder blickte sie an sich herab und trat einen Schritt zu Seite um das Wogen des Stoffes zu bewundern. "Weißt du, ich hatte nie besonders viel für lange Kleider übrig, aber das hier ist einfach unbeschreiblich. Ich komme mir darin selbst wie eine Sagengestalt vor. Oder jedenfalls so, wie es meiner Vorstellung davon am nächsten kommt."
Die Elbin hob in einer gleichgültigen Geste die Schultern. "Ich kenne die alten Geschichten eures Volkes nicht, würde mich aber freuen, einige davon zu hören. Dieser Abend scheint mir dafür genau der richtige zu sein."
Ohne ein bestimmtes Ziel im Sinn zu haben, verließen sie die Brücke und schlenderten gemütlich durch das im Dämmerlich liegende Bruchtal. Die vom Sonnenuntergang noch rosa überhauchten Wolken verblassten zu violett und taubenblau während Antonia sich nicht entscheiden konnte, mit was sie anfangen wollte. Zu viele Legenden schwirrten mit einem Mal ungeordnet in ihrem Gedächtnis herum. Da gab es die zahlreichen griechischen und römischen Sagen, die sie in der Schule gelesen hatte, doch aus irgend einem Grund schienen sie ihr nicht zur heutigen Stimmung zu passen. Von was würde sie Binala am liebsten erzählen? König Artus? Siegfried? Kindermärchen?
Jäh wurde sie aus ihren Überlegungen gerissen, als ein kleine Gestalt blitzschnell um die Ecke eines Pavillions flitzte und in vollem Lauf gegen sie stieß. Ein spitzer Schrei ertönte, als der Aufprall Antonia von den Füßen riss und nach hinten plumpsen ließ. Glücklicherweise konnte sie sich gerade noch mit den Händen abfangen, bevor sie unsanft auf den Steinplatten landete. Verdutzt blickte sie in ein Kindergesicht mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen. Es war das Mädchen, das sie zum ersten Mal in Elronds Versammlung gesehen hatte. Halb saß, halb halb lag sie auf Antonias Beinen und starrte sie entgeistert an. Die dunklen Locken standen ihr wild in alle Himmelsrichtungen vom Kopf ab.
"Hey Kleine, du rennst ja, als wären alle Orks von Mordor hinter dir her." Meinte Antonia freundlich, als sie sich vom ersten Schock erholt hatte.
"Das nun nicht gerade, nur ihr Onkel, der sie ins Bett bringen möchte." ließ sich plötzlich eine tiefe Stimme vernehmen. Sie blickte auf und sah Ferron, den Schmied an einer der Säulen lehnen, hinter denen das Mädchen gerade hervor geschossen war. Mit einem halb belustigten, halb verärgerten Ausdruck in den dunklen Augen musterte er die Szene vor sich.
"Ich bin aber noch gar nicht müde!" protestierte die Kleine lauthals. Sie klammerte sich an Antonias Arm und verzog trotzig den Mund. "Immer muss ich so früh schlafen gehen! Ich will noch aufbleiben und die Sterne sehen."
"Davon hält deine Mutter aber gar nichts!" entgegnete Ferron, wobei es den Anschein hatte, als führe er diese Diskussion nicht um ersten Mal. "Und ganz bestimmt wäre sie nicht davon begeistert, wenn sie sehen könnte, wie du dich aufführst. Benimm dich einmal wie ein großes Mädchen und hör auf deinen armen alten Onkel."
Bei diesen Worte musste Antonia unwillkürlich grinsen, denn nichts lag ferner, als Ferron als "armen alten Onkel" zu bezeichnen. Der schwarzhaarige Schmied war allerhöchsten dreißig Jahre alt und sein Körperbau machte seinem Beruf alle Ehre. Wahrscheinlich wäre es für ihn ein leichtes gewesen, Antonia und seine ungezogene Nichte unter den Arm zu klemmen und ab zu transportieren.
Noch immer schmollend stand die Kleine zögernd auf, klammerte sich dabei aber noch an Antonias Schulter fest. "Ihr wollt mich bloß nicht dabei haben, weil Mutter heute in die Schale sieht." grummelte sie missmutig. Ihre kleinen Füße hinterließen dunkle Flecken auf dem weißen Stoff des Kleides.
"Sie sieht in die Schale?" Binalas schmale Augenbrauen wanderten fragend ein gehöriges Stück nach oben. "Ich dachte dieser alte Brauch sei unter den Menschen längst ausgestorben?"
"Vergessen vielleicht im Süden und Westen, Herrin, nicht jedoch in den nördlichen Landen." Mit einem Senken des Kopfes deutete er eine halbe Verbeugung an. "Doch auch in unserer Heimat werden es jährlich weniger, die den alten Riten beiwohnen. Jetzt sind wir wohl die letzten, die sie in Ehren halten." Ein Schatten zog bei diesen Worten über sein Gesicht und Bitterkeit färbte seine Stimme. Es war unschwer zu erraten, dass er an seine zerstörte Stadt und ihre für immer vernichteten Bewohner dachte. Es entstand eine kurze bedrückende Stille, die niemand zu unterbrechen wagte. Dann aber seufzte er beinahe unhörbar und fuhr fort: "Meine Schwester Silla ist eine der wenigen Geweihten, die den Brauch noch nach alter Tradition vollziehen. Wenn Ihr ihn kennt, Herrin, denn das genau entnehme ich Euren Worten, so werdet Ihr sicher verstehen, warum sie dabei strikt gegen die Anwesenheit eines Kindes ist."
Antonia hatte keine Ahnung, wovon die beiden eigentlich redeten. Ratlos blickte sie zwischen den beiden hin und her. Der Gedanke aufzustehen und sich aus dem Griff des kleinen Mädchens zu lösen, kam ihr überhaupt nicht.
Binala nickte."Die Regeln verbieten es, das ist mir wohl bekannt. Doch glaube ich nicht, dass Ihr das Eurer Nichte begreiflich machen könnt." sagte sie mit einer Geste auf die Kleine.
"Da habt Ihr ein wahres Wort gesprochen!" stimmte Ferron ihr müde lächelnd zu. Er richtete den Blick wieder auf das Kind und trat ungeduldig einen Schritt nach vorne."Jetzt komm endlich, Arret. Und entschuldige dich vorher gefälligst. Es gehört nicht zum feinen Ton, Leute einfach über den Haufen zu rennen."
"Ach, das macht nichts, mir ist nichts passiert."wehrte Antonia lachend ab. Dann blickte sie dem Mädchen fest in die großen braunen Augen. "Aber das nächste Mal solltest du vielleicht besser auf deinen Weg achten. Auf diese Weise kannst du deinem Onkel nämlich nicht davon laufen. So wird er dich immer einholen. Merkst du dir das?"
Arret nickte ernst und schien fest entschlossen, sich diesen Ratschlag ja zu merken. Trotzdem war sie inzwischen wohl doch zu müde um noch großen Widerstand zu leisten, als Ferron sie hoch hob und auf den Arm nahm.
"Oh je, ich sehe schwere Zeiten auf mich zukommen!" meinte er dabei belustigt während Antonia sich endlich vom Boden empor stemmte und den Staub aus den Falten ihres weißen Kleides kopfte. "Wenn Ihr dem Kind weiterhin solche Flausen in den Kopf setzt, werde ich diese Aufgabe mit Vergnügen an Euch übergeben. Dann könnt Ihr Euch mit dem kleinen Dickkopf herum schlagen."
"Gut, ich werde mich zurück halten." lenkte Antonia lachend ein. "Unter zwei Bedingungen."
"Welchen?"Ein prüfender Blick aus seinen fast schwarzen Augen musterte sie eingehend.
"Erstens:Nennt mich Antonia und du. Diese gräßliche Förmlichkeit geht mir langsam ziemlich auf die Nerven. Schließlich sitzen wir alle in ein und dem selben Boot."
Er nickte. "Einverstanden ,und die zweite?"
"Ganz einfach, du erklärst mir, was es mit diesem Schalen-Ritual auf sich hat. Einer meiner größten Fehler ist nämlich meine Neugier. Obwohl..." ihre Stirn legte sich kurz in düstere Falten"...ich mit mystischen Ritualen nicht besonders angenehme Erfahrungen gemacht habe." Für einen winzigen Augenblick befand sie sich wieder in Susannes Zimmer, sah den Kreidekreis und die flackernden Kerzen vor sich und nahm den schrecklichen Geruch frisch vergossenen Blutes wahr.Die Erinnerung war so greifbar, dass sie einige Sekunden brauchte um sich ins Gedächtnis zu rufen, dass sie sich in Bruchtal befand und somit keiner unmittelbaren Bedrohung ausgesetzt war. Als sie wieder in die Wirklichkeit zurück gefunden hatte, sah sich sich einem ernsten Blick von Ferron gegenüber.
"Ihr...du bist nicht von hier, nicht wahr?"sie merkte, dass ihm diese Frage unangenehm war, aber ihm brennend auf der Zunge gelegen hatte "Ich meine, nicht aus Mittelerde."
Antonia nickte."Ich nehme an, es ist nicht zu übersehen. Warum fragst du?"
Der Ausdruck auf seinem Gesicht schwankte zwischen Bestürzung und Aufregung. "Dann stimmt es also! Ich habe es gehört, wollte es aber nicht glauben. Zu viele Gerüchte sind zur Zeit im Umlauf. Ich muss zugeben, dass mir dieses am absonderlichsten von allen vorkam. Nicht aus Mittelerde...wer hätte je von so etwas gehört. Jetzt wird mir einiges klar." Er verlagerte Arrets Gewicht in seinen Armen, doch sie strampelte derart, dass er sie schließlich mit einem ermahnenden Blick absetzte. "Die ganze Zeit habe ich mich gefragt, was du damals im Rat zu suchen hattest. Und dann gibt es da ja noch deinen merkwürdigen Freund."
"Felix? Oh ja, wobei ich mir keine Welt vorstellen kann, in der er nicht wenigstens ein bißchen auffallen würde." Sie zuckte wegwerfend mit den Schultern. "Wenn das alles ist, was man über mich erzählt, brauche ich mir keine Sorgen zu machen."
"Nun ja, es gibt da schon noch so einiges, aber bevor ich anfange dich damit zu belästigen, muss ich wohl diesen kleinen Quälgeist hier endlich ins Bett bringen." Mit seiner riesigen Pranke wuschelte er Arret liebevoll durch die dunklen Locken. "Wenn Silla wüsste, dass ich mich hier statt dessen mit zwei schönen Frauen unterhalte, dürfte ich mir wieder etwas anhören." Sein halb verlegenes Grinsen, in das er sich dabei flüchtete, ließ ihn ungemein sympatisch erscheinen. "Wenn du dich immer noch für das Vormittsommerritual und Klatsch und Tratschgeschichten interessierst, können wir uns gleich unten auf der Südterrasse treffen. Bevor ich lange Erklärungen abgeben muss, werde ich es dir einfach zeigen. Meine Schwester hat sicher nichts dagegen."
Antonia stimmte sofort zu. Wann würde sie schon noch einmal die Gelegenheit dazu bekommen, auf diesem direkten Wege etwas neues über Mittelerde zu erfahren? Außerdem war sie viel zu neugierig um seine Anspielung auf Gerüchte über sie einfach links liegen zu lassen. Ferron versprach noch, dass er nicht lange brauchen würde, dann verschwand er mit der inzwischen sehr müde aussehenden Arret zwischen den Säulen.
"Möchtest du denn nicht mitkommen?" fragte Antonia, als Binala sich mit wenigen Worten verabschieden wollte.
Die Elbin verneinte."Ich bin mit dem Ritual von dem er gesprochen hat bestens vertraut. Auch wenn es lange her ist, dass ich ihm begeiwohnt habe. Außerdem glaube ich nicht, dass die Einladung auch an mich gerichtet war." Den letzten Satz unterstrich sie mit einem bedeutungsvollen Lächeln, das ihre blauen Augen blitzen ließ. "Viel Spaß und wenn ich dir noch einen Rat mit auf den Weg geben darf: Bleib besser auch nicht mehr zu lange wach. Du wirst dich selbst verfluchen, wenn du morgen beim Mittsommerfest die Augen nicht offen halten kannst."
"Ich glaube, du verwechselst mich da mit jemandem." gab Antonia lachend zurück. "Mit jemandem der sooo groß ist." Sie hielt ihre Hand in Schenkelhöhe. So weit hatte Arret ihr ungefähr gereicht.
Die Elbin hob andeutungsweise die Schultern. "Wahrscheinlich bin ich nach Vernunft gegangen und nicht nach Körpergröße." Sie grinste ganz unelbenhaft und verschwand endgültig in der Dämmerung.
Zurück blieb eine halb lachende, halb empörte Antonia. Wahrscheinlich hatte Binala recht, dachte sie bei sich, während sie leise in sich hinein gluckste, viel kindischer und sturer als sie konnte man sich kaum mehr benehmen. - Eine eindeutige Anspielung auf ihre Weigerung, den Ratschlägen der Heilerin folge zu leisten. In Binalas Augen war sie sowieso nicht mehr als ein Kind, überlegte sie, als sie sich auf den Weg zur Südterrasse machte. Das letzte Licht verblasste rasch und am sommerlichen Himmel blinkten die ersten Sterne. Wenn Arret ihren Onkel lange genug aufhielt, könnte sie noch einen kurzen Blick auf sie erhaschen.
Dass dem nicht so war, erkannte sie als sie den Treffpunkt erreichte und Ferron bereits auf sie wartete.
"Meine Schwester und ihr Mann befinden sich unten am Fluss." erklärte er mit einer Geste in die entsprechende Richtung. "Die Nähe von fließendem Wasser ist sehr wichtig für das Ritual. Es versinnbildlicht den unaufhaltsamen Fluss der Zeit von der Vergangenheit in die Zukunft."
Antonia nickte. Symbole dieser Art schienen bei sämtlichen okkulten Dingen eine wichtige Rolle zu spielen. Deutlich erinnerte sie sich an den Dolch und die verschieden farbigen Kerzen in Susannes Zimmer. Zum Glück holte Ferrons Stimme sie gleich wieder in die Gegenwart.
"Um auf die Gerüchte zurück zu kommen; es gibt da ein ganz bestimmtes, das mich besonders interessiert." Sie entdeckte eine kleine senkrechte Falte dabei zwischen seinen Augenbrauen, als sei er sich nicht sicher, ob er es ansprechen sollte.
"Nur immer raus damit." ermunterte sie ihn. "Viel schlimer als die Realität kann es nicht sein."
"Nun, es heisst...es heisst du trügest den Erben des Prinzen von Düsterwald unter deinem Herzen." Er blickte dabei starr auf die Stufen, die zum Fluss hinunter führten, als müsse er sich völlig auf seine Füsse konzentrieren.
Antonia schluckte. Nun...Bruchtal war klein und nichts schien hier lange ein Geheimnis zu bleiben. Allerdings...Erbe? Dieser Gedanke war ihr noch nie in den Sinn gekommen. Angesichts der Bedrohung durch die Unguim hatte sie keine Zeit für derartige Überlegungen gehabt sondern ihre Aufmerksamkeit auf die Gegenwart und die unmittelbare Zukunft konzentriert.
"Das stimmt." Gestand sie schließlich, plötzlich ziemlich verwirrt. Woher stammte die Unruhe, die sie mit einem Mal erfasst hatte?
Glücklicherweise erreichten sie in diesem Augenblick das Flussufer. Silla und ihr Mann wirkten im ersten Moment überrascht, schienen aber sonst keine Bedenken wegen Antonias Anwesenheit zu haben. Ferrons Schwester zeigte sich im Gegenteil eher geschmeichelt über das ihr entgegen gebrachte Interesse. Sie zeigte Antonia die flache silberne Schale mit der das Ritual ausgeführt wurde.
"Im Grunde geht es darum, für einen kurzen Moment einen Blick in die Zukunft zu werfen. Das gelingt nur an diesem besonderen Abend im Jahr bevor der Sommer seinen Höhepunkt erreicht. Die Nebel, die das Schicksal sonst selbst vor dem sehenden Auge verbergen, sind heute dünn und gleichsam durchscheinend. Mit der nötigen Kenntis gelingt es den Eingeweihten dann einen raschen Blick darauf zu werfen. Die Schale," sie legte die Hand behutsam auf das glänzende Metall."dient nur als Spiegel um das unergründliche sichtbar zu machen. Etwa so, wie du den Wind in der Bewegung der Gräser sehen kannst." Ihr prüfenden Blick glitt über das Firmament an dem inzwischen die Sterne in all ihrer Pracht erstrahlten. "Von großer Wichtigkeit ist außerdem das Licht, das zu Verfüngung steht. Am meisten erblickt man in Nächten, in denen der Vollmond scheint. Heute wird mir das Licht der Sterne genügen müssen. Soll ich für dich in die Schale blicken?"
"Geht denn das?" fragte Antonia erstaunt. Sie hatte gedacht, es handle sich eher um ein Ritual allgemeiner Natur.
Silla lächelte. "Natürlich geht das. Dass es nur ein kurzer Blick ist, heisst nicht, dass man die Richtung nicht lenken kann. Es hängt ganz davon ab, wer die Schale hält. Möchtest du?"
Antonia nickt. So ganz wohl war ihr bei der ganzen Sache nicht denn es weckte schlimme Erinnerungen. Doch wie hätte sie dieses freundliche Angebot ausschlagen können, ohne unhöflich zu wirken? "Was muss ich tun?"
"Als erstes deinen Zopf lösen." lautete die überraschende Antwort. "Nichts an dir darf fest gebunden oder geknüpft sein. Das verhindert den Fluss der Magie."
Erst jetzt bemerkte Anmotia, dass Silla nichts als ein weites leinenfarbenes Gewand trug und die dunklen Haare ihr offen über den Rücken fielen. Ohne zu zögern, löste sie ihre Haare, die sie wegen der sommerlichen Hitze im Nacken zu einem Zopf zusammen gefasst hatte, hielt jedoch inne, als sie sah, wie Sillas Augen auf ihrem Amulett ruhten. Genauer auf dem Lederband, an dem es hing.
"Diesen Knoten kann ich unmöglich öffnen." erklärte sie entschieden und legte schützend die Hand um das mächtige Schmuckstück. "Ich darf es auch nicht abnehmen. Es ist...zu wichtig."
Sillas runzelte die Stirn. "Wie du willst. Niemand von uns würde es auch nur berühren ohne deine Erlaubnis. Doch ich kann es auch so versuchen."
Sie bedeutete Antonia, die Schlale zu nehmen und sie mit Wasser zu füllen. Das Metall des schlichten Gefäßes fühlte sich kühl und glatt unter ihren Fingern an. Selbst der Fluss schien heute träger als sonst dahin zu fließen. Das allgegenwärtige Gluckern wirkte gedämpft, als würde die schwere Luft alle Geräusche schlucken.
Dann hielt Antonia die Schale mit ausgetreckten Händen vor sich, so dass das Sternenlicht hineinfallen konnte. Silla wartete bis das Wasser sich beruhigt und eine spiegelglatte Oberfläche hatte. Dann schloss sie Augen, atmete tief ein, beugte sich vor und sah hinein. Einige Sekunden lang passierte scheinbar nichts doch auf einmal begannen sich ihre Lippen stumm zu bewegen. Tonlos bildeten sie Worte während ihr Blick wie gebannt auf die Wasseroberfläche gerichtet blieb. Plötzlich begannen ihre Schultern zu beben. Ihre Augen weiteten sich entsetzt. Mit einem Aufschrei prallte sie zurück und schlug Antonia die Schale aus der Hand. Das Gefäß rollte ins Gras und das Wasser ergoss sich über Antonias nackte Füße.
"Was...?" Antonias Herz pochte, so erschrocken war sie über den heftigen Ausbruch der anderen.
Silla war zurück gewichen und hatte die Hände fest vor den Mund gepresst. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie Antonia fassungslos an. Sie zitterte immer noch. Schnell trat Ferron zu seiner Schwester und legte beruhigend die Arme um sie. Aus seinem Gesichtsausdruck sprach Bestürzung.
"Die Bilder, die die Schale zeigt können manchmal schlimme Eindrücke hinterlassen, gegen die man sich nicht wehren kann." versuchte er zu erklären, doch angesichts des Zustands seiner Schwester wirkte es ziemlich hilflos. "Was hast du gesehen, Liebes?" Sanft strich er ihr die dunklen Haarsträhnen aus der Stirn.
Die Angesprochene schüttelte den Kopf und befreite sich entschieden aus seiner Umarmung. Sie schien einen Teil ihrer Selbstbeherrschung wieder gefunden zu haben. Sie ging auf die verwirrte Antonia zu und ergriff deren Hände.
"Ich kann dir nicht alles sagen, was sich mir in der Schale gezeigt hat. Manches war zu verschwommen, als dass ich seine ganze Bedeutung erfassen konnte, manches vermag ich nicht auszusprechen. Nur so viel: Ich sah entsetzliche Dinge: Kampf, Betrug, Hass und furchtbaren Schmerz. Du bist um dein Schicksal wahrlich nicht zu beneiden. Und noch eines: Selbst im größten Verhängnis schlummert ein Funken Hoffnung. Vergiss das niemals."
Was hätte Antonia darauf erwidern sollen? Noch dazu, wo sie im Augenblick nicht einmal dazu fähig war einen halbwegs klaren Gedanken zu fassen. Das einzige, das sich aus dem Chaos hinter ihrer Stirn langsam heraus kristallisierte, war Angst. Gepaart mit einer Spur Entsetzen und Wut. Ohne ein Wort zu verlieren, befreite sie sich aus Sillas Griff, drehte sich um und stürzte davon. Sie wollte bloß noch weg von dieser gräßlichen Schale und jenem unsinnigen Ritual, das ihr nur Schrecken prophezeit hatte. Vor allem aber wollte sie den Ausdruck auf Sillas Gesicht vergessen, kurz bevor sie ihr das silberne Gefäß aus den Händen geschlagen hatte.
Ohne auf ihre Umgebung zu achten, stolperte sie durch die Dunkelheit. Zweige schlugen nach ihrem Gesicht, ihr Kleid verhakte sich in niedrigen Büschen. Ein spitzer Stein riss ihr die linke Fußsohle auf. Nichts davon drang bis in ihr Bewusstsein vor. Zu gewaltig war der Sturm an widersprüchlichen Empfindungen der in ihr tobte.
Erst als sie über eine hervorstehende Wurzel stolperte und stürzte, kehrte sie in die Realität zurück. Erschöpft lag sie auf dem weichen Boden Bruchtals und atmete tief den Duft der Linden ein, zwischen die sie sich verirrt hatte. Das Gras unter ihr, die leise flüsternden Blätter über ihr und das gelegentliche Aufblitzen der Sterne zwischen den Zweigen brachten sie wieder in die Gegenwart. Langsam beruhigte sich auch ihr aufgeregter Herzschlag. Erst jetzt spürte sie die zahlreichen Schrammen und Kratzer, die sie sich während ihrer kopflosen Flucht zugezogen hatte. Auch der Schnitt in ihrem linken Fuß machte sich nun brennend bemerkbar. Wie hatte sie nur dermaßen die Nerven verlieren können? Im Nachhinein erschien ihr ihre Reaktion maßlos übertrieben. Als Hüterin des Scherben hätte sie angesichts dieser schrecklichen Prophezeiung einen kühlen Kopf bewahren sollen.
Vernünftig betrachtet hatte Silla ihr eigentlich nichts neues erzählt. Wenn man den Plan der Unguim und deren Grausamkeit bedachte, musste man keine Seherin sein um Kampf und schreckliche Ereignisse voraus zu sagen. Aber die ganze Situation war einfach so erschreckend gewesen. Und sie war sich sicher, dass das Grauen in Sillas Augen keine Täuschung gewesen war. Noch in diese Überlegungen hinein hörte sie, wie jemand ihren Namen rief.
"Antonia?" jetzt erkannte sie die Stimme.
"Legolas." Um sich blickend stand sie auf und strich sich eine schweißnasse Haarsträhne aus dem Gesicht. Einige Sekunden lang versuchte sie noch in dem Gewirr aus Schatten und Sternenlicht etwas zu erkennen, dann fühlte sie sich von ihm in die Arme genommen. Mit seinen Elbenaugen konnte er im Zwielicht natürlich viel besser sehen als sie. Fest drückte sie sich an ihn, genoss einfach seine Nähe. Atmete den Geruch seiner Haut, überließ sich dem Gefühl seines inzwischen so vertrauten Körpers an ihrem. Wie so oft reichte allein seine Gegenwart aus, sie zu beruhigen. Seine Hände, die behutsam über ihren Rücken strichen, taten ein übriges.
"Antonia, was ist denn bloß los? Was machst du ganz allein hier im Dunkeln?" Ein flüchtiger Kuss streifte ihre linke Schläfe. "Ich habe ziemlich verwirrende Sachen von einem Orakel oder derartigem gehört."
Und da sprudelte alles aus Antonia heraus. Von Ferrons Einladung, dem Ritual beizuwohnen über Sillas Erklärungen bis hin zu jenem Punkt, an den die Seherin ihr die Schale aus der Hand geschlagen hatte."Du hättest ihren Gesichtsausdruck sehen sollen, Legolas. Es war schrecklich. Und ich habe einfach die Beherrschung verloren und bin davon gerannt. All das Entsetzen von damals, als Susanne für mich die Pristerin spielen wollte, brodelte wieder in mir hoch und ich hatte einfach furchtbare Angst." Unfähig weiter zu sprechen, krallte sie die Finger in Legolas' Hemd und presste sich noch fester an ihn. "Ich bin so froh, dass du da bist."
Einen kurzen Moment lang schwieg der Elb, begnügte sich einfach damit, sie in den Armen zu halten, bis sie sich wieder einigermaßen gefangen hatte. Dann sagte er: "Ich erinnere mich, dass wir bereits über das Schicksal im allgemeinen gesprochen haben und dass du im besonderen ein Problem damit zu haben scheinst. Wahrscheinlich hilft es dir nichts, wenn ich dir jetzt sage, dass niemand vor seinem Schicksal davon laufen kann. Du kannst es nicht abwenden, egal was du auch versuchst. Nur eines verspreche ich dir..." er schob Antonia ein kleines Stück von sich weg, so dass er ihr ins Gesicht sehen konnte. Sogar im Zwielicht bemerkte sie, dass seine Augen funkelten. "...Egal wie schrecklich oder düster dieses Schicksal auch aussehen wird, ich werde es an deiner Seite durchstehen."
Antonia wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, deswegen küsste sie ihn. Wie hätte sie sonst ihren Gefühlen Ausdruck verleihen sollen? Der Geschmack seiner Lippen... sie glaubte nicht, dass sie davon jemals genug bekommen würde. Er erwiderte ihre Berührung mit der gleichen Leidenschaft, die aus seinen Worten gesprochen hatte. Antonia spürte, wie alle Zweifel und Ängste mit einem Mal von ihr abfielen und sie gestärkt und mutig zurück ließen. Gemeinsam mit ihm würde sie allen Widrigkeiten gelassen die Stirn bieten.
"Wie kannst du im Ernst denken, ich würde dich jemals allein lassen?"meinte er grinsend, als sie sich leicht atemlos voneinander lösten. "Allein würdest du noch nicht einmal zurück in Elronds Haus finden."
Sie versetze ihm einen spielerischen Klaps auf den Oberarm."Idiot!" murmelte sie liebevoll und sandte dem Schlag einen Kuss hinterher. "Wie kann man über 2000 Jahre alt sein und doch noch so albern?!"
"Das muss an dir liegen."lachte er, zog sie an sich und begann ihren Hals zu küssen. "Du vernebelst mir den Verstand."
Daraufhin musste Antonia ebenfalls kichern. Sie schloss die Augen und überließ sich ganz der Berührung ihres Geliebten. Als sie ihr Gewicht verlagerte und dabei den verletzten Fuß belastete, zuckte sie vor Schmerz zusammen. Der Schnitt schien doch tiefer zu gehen, als sie gedacht hatte.
"Noch ein Grund, aus dem es gut ist, dass ich dir gefolgt bin." Stellte Legolas fest, als sie es ihm zeigte. "Wie wolltest du ins Haus kommen? Auf einem Bein hüpfen?" Mit diesen Worten hob er Antonia, die nicht einmal Zeit hatte zu protestieren, vom Boden hoch. "Mir scheint, da gibt es nur eine Lösung." Er grinste vielsagend. "Auf diese Art kriege ich dich wohl am schnellsten ins Bett."
"Schuft!" entgegnete Antonia, schlang die Arme um seinen Hals um besseren Halt zu haben und hauchte einen Kuss auf seine Ohrspitze.
"Was immer du willst."lautete die vergnügte Antwort, während er sich daran machte, sie durch das Wäldchen zurück in Elronds Haus zu tragen.
**************************************************************************** ***** Puhhh, da habt ihr endlich euer 10. Kapitel. Und für alle die so brav sooooooooo lange gewartet haben und so viele liebe Reviews geschrieben haben ist es diesmal wirklich ein bisschen länger geworden. (
Zu meiner Entschuldigung (ich weiss, sie wird mir nichts nützen): Es gibt zwei Dinge, die mich vom Schreiben abhalten: Stress in der Uni und Männer. In der Uni ist zur Zeit alles relaxed.......
Und hier Oma Lanjanas Rat für diesen Abend: Hütet euch vor blonden Männern! (keine Übertreibung!! Ehrlich!)
