Der Blitzschnelle Vollidiot

Die Relaisstation der IBftA war aufgebaut wie jedes andere Quadrat auch. Vier Ecken, vier Zimmer; vier Seiten, vier Torbänke. Pro Bank drei Tore. Und in der exakten Mitte ein beschädigter Computer.

Der Hauptrechner verfügte über zwei zentrale Recheneinheiten (CPUs) pro Tor. Bei 12 Toren also 24 CPUs. Die Bank Nord verankerte Tore, die nur durch die Zeit führten, die Bank Ost war für ankommende Tore jeder Art, Bank Süd diente als Reserve und Bank West als Ausgangspunkt für Langstreckenportale.

Kleine Tore verlangten zwei CPUs - diese zwei CPUs wurden eingesetzt, um die Koordinaten für lokale Dimensionstransfers zu berechnen. Das unbeschädigte Tor 1 Nord beherbergte mittlerweile das Portal, das Piccolo und Vegeta benutzt hatten, Tor 2 Nord war auf die Zeitkoordinaten von Son Goku und Son Gohan programmiert.

Die Bank West, Ausgangspunkt für Langstreckenportale, war nicht mehr benutzbar. Bank Ost, die die Eindringlinge benutzt hatten, um Omega und Alpha zu überfallen, war auch beeinträchtigt - Tor 1 und 2 waren weg, und Tor 3 Nord hatte auch etwas abbekommen. Aber wenigstens schienen Bank Ost und Nord 3 ein Computerproblem zu sein.

Alpha verstaute Cell im Sicherheitsraum, der eine eigene Energieversorgung hatte. Er wollte nicht riskieren, dass der gefährliche Gefangene bei seinen nächsten Aktionen wieder dem Fesselfeld entkam. Man konnte ja nie wissen.



"Transponder, Transmitter, Transistoren... Ah, da!" Alpha zog die Schublade auf und nahm drei Trans-Heta-II - Konnektorkarten aus den Halterungen. Vier zerschossene Verbindungen, meinte das Diagnoseprogramm. Dann sollte das erst einmal reichen. Er legte sie zu der erklecklichen Sammlung anderer Ersatzteile, konsultierte ein letztes Mal seine Liste und schob den Rolltisch in den Torraum.

Und nun? Die letzte grosse Wartung, an der Alpha teilgenommen hatte, war ein paar Monate her - während des Orientierungskurses bei der IBftA, um genau zu sein. Und da wurde die gesamte Anlage heruntergefahren, die Hardware ersetzt und dann der Rechner neu gestartet. Ganz einfach. Aber niemand hatte ihm je gezeigt, wie man einen laufenden Rechner reparierte.

Alpha verstand Computer. Er hatte im Laufe seines Lebens auch schon ein paar Rechner zu verantworten gehabt. Der Letzte war sogar eine Fünf- Prozessor-Maschine, die er von der Platine aus entworfen hatte.

Mit diesem Schätzchen (und ein bischen Hardware, von der sein neuer Arbeitgeber besser nicht wissen sollte, dass er sie besaß; seine Freundin hatte sie ihm unter der Hand besorgt) hatte er endlich seine Lieblingstheorie "zum chaotischen Verhalten von Partikeln im Dimensionstransfer durch eine wurmlochähnliche Struktur" beweisen können, aber ... Er war Mathematiker für multidimensionale Räume, kein Informatiker.

Der Hauptrechner musste unter allen Umständen an bleiben, sonst wären die Koordinaten für die beiden Rettungsteams (und seinen Partner und den Delinquenten) unwiederbringlich verloren. Warum mußte die IBftA auch unbedingt flüchtige Speicher für wichtige Informationen verwenden. Zu viel Paranoia, ganz bestimmt. Allerdings war das absichtliche Zerstören von Daten wirklich einfach: Strom abschalten. Mit formatierten Festplatten liess sich immer noch viel anstellen.

Lokale Tore verlangten nicht viel Energie und auch nicht viel Rechenzeit, aber es war genauso unmöglich, zweimal den gleichen Fluß zu überqueren, wie ohne die exakten Koordinaten zwei identische Tore aufzubauen. Waren die Daten einmal futsch, müsste sich jemand in Mikrosprüngen an die alten Koordinaten anpirschen. Ohne sie je zu treffen.

Für so etwas bräuchte Alpha Hilfe aus der Zentrale. Dann müßte er aber erst einmal zugeben, dass die letzte Mission ein absolutes Desaster war - Omega und ein Delinquent durch ein instabiles Tor gefallen, vier nicht-Agenten unterwegs, um die Beiden wieder einzusammeln, und der Hauptrechner kaputt. Und dass der Fehler voll und ganz in Alphas schlampiger Programmierung der Neuronalisolatoren lag.

"Niemand hat uns gesagt, daß dort Nicht-Menschen leben" zog bei seinem Chef, dem hochverehrten dritten Sekretär der Interdimensionalen Behörde für Temporale Angelegenheiten C.H. Ronos, bestimmt nicht. Und ausserdem konnte er die Zentrale nicht erreichen, solange der Rechner nicht alle 24 CPUs voll einsetzen konnte. Langstrechenportale zur Basis brauchten halt alle Rechenzeit, die sie kriegen konnten.

Ganz zu schweigen vom Vorrechner, der in sehr ominöser Weise noch keinen einzigen Pieps von sich gegeben hatte.

Wenn er also den Rechner jetzt abschaltete, musste er auf jeden Fall zu Ronos. Gleichzeitig konnte die Sache aber ganz schön ins Auge gehen. Wenn der Computer sich weigerte, zu booten, waren nicht nur alle Koordinaten für seine sechs verlustig gegangenen Leute verloren, sondern er hätte nichts gewonnen, weil er die Zentrale immer noch nicht erreichen konnte.

Schalte den Rechner aus, und er funktioniert vielleicht. Repariere ihm beim laufenden System, und er stürzt vielleicht ab. Doppelte Verlustrechnung. Wie repariert man einen laufenden Computer? In diesem Fall war ein Informatiker auch fehl am Platze - er brauchte einen Administrator. Mit Erfahrung. Nur war gerade keiner da. Nur Alpha.

Grundsätzlich war es ja seine Pflicht, die Zentrale zu benachrichtigen. Er würde es überleben, wenn Ronos ihn feuerte. Aber er würde Omega auf keinen Fall auf dieser hinterwäldlerischen Welt zurücklassen. Und das Portal, das seine beste Chance darstellte, würde er auch nicht kampflos aufgeben.

Alpha nahm den Schraubenschlüssel und entfernte die Abdeckbleche über dem Rechenpult. Schliesslich hob er die dritte Metallplatte von den ehemals grünen, jetzt von Zentimetern Staub weiss gepuderten Platinen. Wenn er den erwischte, der diese Station gewartet hatte... Es war ein Wunder, dass Omega und er überhaupt hier angekommen waren. Geschweige denn, dass das Basisportal in einer Stunde berechnet gewesen war.

Er stellte die farblich nicht mehr einzuordnende Abdeckung zu den anderen und nieste heftig. Es landete noch mehr Staub in der Luft. Hustend flüchtete Alpha ins Lager und besorgte sich einen Staubsauger, der selbst nicht unbedingt gut gepflegt aussah.

Mit dem Reinigungsgerät bewaffnet nahm er den Kampf gegen den Dreck von mindestens vier Jahren auf. Nach einer Stunde hatte er gewonnen - zumindest am Kontrollpult der Bank Ost. Zum Abschluß saugte er noch die Abdeckplatten ab und fand etwas Merkwürdiges.

Ein grauer Umschlag, so fein mit dem Metall verbunden, dass man ihn bei Routinekontrollen garantiert übersehen würde, klebte auf der Innenseite der mittleren Platte. Alpha zog die Lasche auf und ein dünnes, fein bedrucktes Heft fiel heraus. Drinnen lag eine Notiz. "Lieber Mit-Lehrling. Dieses Heft existiert nicht. Pack' es später wieder zurück, und wir sind quitt."

Alpha grinste. Das würde er auf jeden Fall tun. "Wartung und Datenrettung der DTL-Computer unter allen Umständen" war der Titel des nichtexistenten Handbuchs. Er würde sich beim Schicksal persönlich bedanken müssen.



Vier Stunden später war alles erledigt. Alle Ersatzteile waren eingebaut, was zu reparieren war, war repariert, und weil er gerade so schön in Fahrt war, hatte er auch das gesamte System entstaubt. Dafür war der Staubsauger jetzt voll. Aber den würde er nicht ausleeren. Das durfte der nächste Wartungstechniker machen, der hier durchkam. Weder Rechner reparieren noch Putzen war Teil der Jobbeschreibung eines Zeitagenten.

Er startete seine Diagnoseprogramme (diesmal im Paranoid-Modus, er wollte keine weiteren Überraschungen in dieser Hinsicht) und ging in die Entschuldigung für eine Küche, um sich einen Tee zu kochen. Vielleicht gab es ja sogar Tee ohne Beutel...

Alpha loungierte im Ruheraum mit einer Halblitertasse Kümmel-Anis- Fencheltee aus dem Beutel (oh ja, der Kerl, der hier für Wartung und Bestückung verantwortlich war, konnte sich auf etwas gefasst machen...) und schmökerte in dem nichtexistenten Buch, als der Transmitter von Nord 1 piepste.

"Hier IBFTARSDBZ 1-A" meldete er sich.

"Hier ist Piccolo. Alpha, kannst du mich hören?..." meldete sich die Gegenstelle. Von Funketikette hatten die Beiden auch noch nichts gehört. Er warf einen Blick auf die Relativitätenanzeige, die an der einen Wand des Möchtegern-Wohnzimmers hing und jetzt auf dem aktiven Kanal 5 Torstunden versus 10 Portaltage anzeigte. Das andere Tor war noch im undefinierten Zustand. Beim nächsten Anruf von Nord2 würde es eine eigene Zeitrelativität etablieren.

"Ja, seid ihr denn schon durch? Soll ich euch zurückholen?"

Nein, das waren sie nicht. Sie brauchten seine Hilfe. Für irgendein Quiz. Naja, das war es zwar nicht unbedingt, was Alpha sich unter einer Pause vorstellte, aber er musste sowieso noch auf die Ergebnisse der Diagnoseprogramme warten. Und mit ein bischen Systemlast war die Diagnose auch zuverlässiger.

Er stellte die Filter der Datenbank auf die Raumzeitkoordinaten der Beiden ein und liess den Rechner Antworten auf ihre Fragen suchen. Verrückte Dinger. Ein Holz der lokalen tropischen Zone, dass mit "M" anfing. Der Rechner spuckte eine Liste mit Mahagoni, Makoré, Mangrovebaum... aus, aber seine Leute waren schon mit Mahagoni schon zufrieden. Das Ganze wurde mit der Zeit ein klitzekleines bißchen albern.

Vor seinem geistigen Auge sah er seine Freundin in ihrem Haus sitzen und mit ihren Schwestern diese "Kreuzworträtsel" lösen. Nur dass die drei keine Lust hatten, die Dinger auf Papier zu bearbeiten, und normale Rätsel sie etwas langweilten. McKillip-Rätsel, das waren ihre Sache.

Die Älteste würde von ihrer Strickarbeit aufsehen und ein paar Fakten in den Raum werfen. Raumzeit Soundso. Welt Wasauchimmer. Berühmte Person in Jenem Land, hat fünf andere Länder entscheidend beeinflusst.

Dann kam seine Freundin und stocherte ein bischen in den gegebenen Hinweisen herum, während sie die Strickwolle für den nächsten Pulli auf Knäule wickelte. Angestellter, Philosoph, Bauer, Mediziner, Politiker, Gott...

Und die Jüngste löste das Rätsel. Dann ging die Sache eine Person weiter und die Kleine begann mit einer Person. Oder Sache. Oder Wasauchimmer. Irgendwo in Raum und Zeit.

Die Drei waren in der Sache wirklich gut. Jedesmal, wenn Alpha von einer solchen Kamin-Session nach Hause kam, hatte er einiges gelernt. Und das war nicht nur, wie man einen Wollstrang hielt.

In der ganzen Nostalgie waren die zwei wohl mit ihrem Rätsel zu Rande gekommen, denn Vegeta buchstabierte etwas in der Richtung von "R-A-V-A-N-A, komisches Wort..." und unterbrach die Verbindung.

"Danke, Alpha. Das war wirklich nett von Dir," meinte Alpha etwas verstimmt zum Transmitter, der oben auf dem Hauptrechner lag. Das machte keinen Spaß mehr. "Du hast uns sehr geholfen." Wofür brauchten die zwei denn überhaupt ein gelöstes Kreuzworträtsel? Ach, er wollte Omega einsammeln und dann nach Hause. Selbst Ronos wäre eine willkommene Abwechslung gewesen.

Was Omega jetzt wohl machte? Er war ohne jede Ausrüstung in das instabile Portal gefallen. Naja, er hatte noch seinen Neuronalisolator, aber obwohl das Ding ein nützliches Werkzeug war, so ganz allein war das Teil recht nutzlos. Obwohl... es war Omega. Omega brachte manchmal sogar Ronos dazu, das zu tun, was Omega wollte... Solange die Familie Son ihm den Transmitter und damit ihr Portal brachten, würde er schon heile zurück kommen. Alpha freute sich schon richtig auf seinen Wutanfall darüber, dass er zwei Nichtagenten hatte Zeitreisen lassen.

Ein leises Piepsen hinter ihm zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Das letzte Diagnoseprogramm war endlich fertig. Und es zeigte eine lange Liste fehlerhafter Dateien.

"Nein!" stöhnte Alpha. "Nicht auch das noch!" Das schlaue, nichtexistente Buch konnte ihm da nicht weiterhelfen. Das musste es auch nicht. Wie man Dateien reparierte, das war wohl jedem Idioten bekannt. Aber wenn die Fehlerliste so lang war, sollte er lieber gleich die gesamten Speicher kontrollieren. Was für ein Sch...

PIEPS! machte der Transmitter über ihm. "Hier IBFTARSDBZ 1-A," meldete er sich ungnädig. Auf der Gegenseite waren mittlerweile drei Stunden vergangen. Die Helden hatten noch ein Rätsel auf Lager. Die sollten doch ihren Trunx suchen, und nicht Welchen-Schrott-Auch-Immer machen! Und ausserdem hatte er genug mit wichtigeren Sachen zu tun.

Piccolo war gerade am Ende des Rätsels angekommen. Es war lächerlich leicht, wenn man 90 Grad in die Höhe dachte. Wer hätte es sofort gelöst. Alpha sah da auch wenig Probleme. Die sollten ihren Scheiss doch alleene machen. Er fasste das in etwas mehr Worte.

"Was macht ihr da eigentlich die ganze Zeit? Und nein, ich habe keine Ahnung, was das sein soll. Ich will auch keine Ahnung haben. Ich bin nur der Administrator. Ich bin nicht dazu da, eure Probleme zu lösen. Und ruft mich an, wenn es wichtig ist, das heisst, wenn ich euch abholen soll!"

Er unterbrach die Verbindung und liess seine Wut an der Tastatur aus. Die protestierte nicht, und wehren tat sie sich auch nicht. Alpha er beruhigte sich langsam. Er hätte es ihnen sagen sollen, so schlimm wäre es ja nicht gewesen.

Ein Blick auf die Relativitätenanzeige über Nord 1 zeigte ihm, dass er mit seiner Hilfsbereitschaft einen ganzen Tag zu spät war. Naja, wenn die Zwei sich nicht mehr gemeldet hatten, dann hatte wohl alles geklappt.

Etwas später war auch der Computer fertig und meldete alle Probleme behoben, X Sektoren repariert, Y Speicherbereiche als Fehlerhaft ausgeschlossen und eine Konnektorkarte als ausgefallen. Um die würde sich Alpha später kümmern. Er musste ja auch noch das nichtexistente Buch verschwinden lassen. Er nahm seine Riesentasse mit und döste beim Lesen auf dem relativ bequemen Sessel im Ruheraum ein.