Alphas Albtraum
Er rang die Hände. "... Bitte, du kannst es ja auch als Geschäftsessen absetzen!" flehte er.
Der Andere sass in seinem bequemen Schreibtischsessel und schüttelte verständnislos den Kopf. "Sag mal, was soll das denn? Ich soll mit der ausgehen?" Der Tisch vor ihm war aufgeräumt, bis auf den kleinen Holoprojektor in der Mitte. Perfekt, vorschriftsmässig, steril.
"Du musst sie ja nur ablenken, bis ich mit ihrer Schwester gesprochen habe!" bettelte er. "Bitte! Du musst mir einfach helfen!" Er hatte die Tür nicht ganz geschlossen, als er in das Büro gehetzt war. Die Geräusche im Hintergrund - der Aufzug, der geholt wurde? Wie lange hatte er noch?
Sein Partner kam in Fahrt. "Was denkst du dir denn eigentlich dabei, dich mit denen anzulegen? Welchen Teil des Handbuches hast du denn nicht verstanden...?" gleich würde er in die Projektionsfläche fassen und das Online-Handbuch aufrufen. Altbekannte Routinen.
Er unterbrach ihn hastig. Das war definitiv der Aufzug... Eine Kapsel raste vorbei, die andere beschleunigte nach unten. Eine kam herauf. "Ich arbeite doch erst ein Jahr bei der Behörde. Meine Freundin habe ich schon viel länger!" versuchte er zu erklären.
Es kam nicht an. Der alte Agent war immer noch mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, Hologramm-Handbuch auf Abruf. "... Es steht da bernstein auf schwarz: Kapitel 3, Absatz 6, Allgemeine Bestimmungen für den Umgang..." Dann erreichte ihn endlich das vorher Gesagte. "Was hat denn deine Freundin damit zu tun?" damit schoss er aus dem Stuhl hoch. "Genau bitte WAS hast du angestellt?" bellte er.
Draussen verlangsamte eine Aufzugskapsel. Die Aufzugstüren zischten auseinander "Omega, du weisst doch, wie meine Freundin heisst!" er sah sich nach einem schnellen Fluchtweg um. In Omegas exakten Büro gab es keine Verstecke.
Sein Partner hatte immer noch nicht verstanden. "Ja, und? Du lenkst ab. Was hast du...?"
"Urd ist ihre Schwester." unterbrach er ihn verzweifelt.
"Dann heisst die eine halt Werdandi, und die andere Urd, na und?" Omega starrte ihn an und fuhr ärgerlich fort. "Zurück zum eigentlichen Thema. Was hast du gemacht, dass die alte Hexe dich besuchen kommt? Von allen Leuten! Welche Dummheit hast du angestellt?" Der Zeigefinger mit den perfekt gefeilten Nägeln deutete drohend auf ihn.
Keine Zeit mehr für delikate Andeutungen. Draussen wurden schwere, hastige Schritte vom dämpfenden Teppich verschluckt. Er versuchte es noch ein Mal. "Omega... Meine Freundin IST Werdandi. Und die 'alte Hexe' ist..."
Es war zu spät. Die Tür hinter ihm flog auf. "ALPHA! Das habe ich gehört. ALTE HEXE! Das ist ja wohl die Höhe! Erst beleidigst du meine Schwester, und dann das!" auf der Flucht vor ihr hechtete er über den Tisch und fiel. "Da hätte ich was Besseres von dir erwartet! Komm' her, du Wurm... Wo ist er hin? Na warte, wenn ich dich erwische!"
"Verehrte Frau Urd, was..." verlangte Omega. Urd beachtete ihn nicht wirklich.
"Omega, aus dem Weg! Ich krieg' dich, Alpha, warte nur..."
Alpha Fall endete auf einer harten Oberfläche. Seine rudernden Arme fanden an einem Tischbein und einem Flechtstuhl halt. Ein graues Buch lag auf dem Boden und eine leere Riesentasse stand neben ihm. Omega war weg. An der kahlen Wand hinter dem Stuhl hing eine schwarze Anzeigentafel, auf der lässig rote und grüne Lichter blinkten.
Eine Relaisstation.
Er war in Sicherheit. Urd gab sich mit Alpha-bei-der-Arbeit nicht ab. Alpha-mit-Freizeit war etwas anderes, vorausgesetzt, sie hatte gerade nichts besseres zu tun. Urd war sicherlich irgendwo unterwegs und garantiert nicht damit beschäftigt, ihn zu suchen. Sie wusste immer, wo er war - oder konnte es ohne Probleme herausfinden. Wie war er nur auf die irre Idee gekommen, seine Freundin in einem Brief "Dandy" zu nennen? Er wusste doch, dass die Drei jeden Morgen darum würfelten, wer die Post aufmachen und durchlesen musste. Er wusste genauso, wie Urd auf einen solchen Spitznamen reagieren würde.
Moment mal.
Er hatte Wer seit Beginn dieser verkorksten Mission keinen Brief geschrieben. Eigentlich schon seit Jahren nicht mehr, Briefeschreiben lag ihm nicht, und Wer bekam sowieso zu viele davon. Sie hatten sich nur zum Siegesmahl verabredet, fünf Stunden nach seiner Rückkehr, wie immer. Wie kam er überhaupt darauf, Werdandi einen so blöden Namen anzuhängen? Geschmacklos war ja noch eine milde Bezeichnung dafür.
Und Omega hatte sich noch verscheuklappter als normal verhalten. Üblicherweise konnte er sich schon zusammenreimen, was Alpha nicht aussprechen wollte. Omega war stur, nicht dumm. Irgendetwas stimmte da absolut nicht... Alphas Blick schweifte wieder zur relativen Zeitanzeige. In der Station war eine halbe Stunde vergangen.
Warum sollte er gerade jetzt so etwas träumen? Soweit er wusste, hatte das Schicksal Persönlich mit diesem Einsatz nichts zu tun. Werdandi hatte auch nichts angedeutet, als sie sich verabschiedet hatten. Normalerweise war sie ihm gegenüber recht frei mit solchen Hinweisen. Alpha sorgte dann dafür, dass Ronos ihnen irgendwelche anderen (natürlich absolut dringenden, bei der IBftA gab es keine anderen...) Jobs gab. Arbeit und Familie sollten nach Möglichkeit nicht kollidieren. Omega stellte in solchen Fällen tunlichst keine Fragen.
Hatte er irgend etwas getan, um Urd gegen ihn aufzubringen? Alpha konnte sich an nichts erinnern. Die Woche vor dieser Mission war sehr friedlich verlaufen, und die älteste der Schwestern hatte er nur beim Essen gesehen. Sie war mit irgendeinem Projekt beschäftigt gewesen.
Nein, er konnte sich an nichts erinnern. Es war wohl nur ein normaler Alltagsalbtraum. Ausserdem waren die Drei nicht für Träume verantwortlich. Alpha hörte Urd schon lachen. "Wir, den laschen Job vom Luschen Morpheus? Zurück auf den Boden, junger Mann!" Urd hatte für die subtile Kunst der Träume nichts übrig.
Er stellte die Tasse auf den Tisch, hob das Buch hoch und schob den Stuhl zurecht. Nach dieser Episode konnte er sowieso nicht mehr schlafen. Piccolo und Vegeta müssten eigentlich bald zurückkommen, und die Bank West sollte er auch noch reparieren. Danach hätte er sich von dem Schrecken erholt und würde sich richtig hinlegen können. Acht Stunden Schlaf... träum' weiter. Die Arbeit rief. Zuerst die Bank West.
Die Diagnoseprogramme von vor einer Stunde meldeten mittlerweile einen funktionsfähigen Computer und einen kaputten Generator, natürlich Bank West. Wo sonst auch? Naja, er wäre auch kaputt oder schlimmeres, wenn er morgens um 5, gerade aus dem Schlaf gerissen, 60 Liegestützen auf den Fäusten machen müsste. Trotzdem war diese Reparatur nicht gerade schnell zu erledigen. Vier oder mehr Stunden musste er schon rechnen, er hatte ja keine Ahnung und musste sich voll auf den Computer verlassen.
Alpha erwartete auch sein zweites Suchteam in den nächsten Stunden zurück - ausser, die Zwei waren versessen darauf, 500 Jahre durch Durchleben abzusuchen. So dumm konnten die beiden aber wirklich nicht sein.
Wenn Piccolo und Vegeta anriefen, während er auf dem Rücken unter dem Generator lag, war das nicht allzu passend. Und jeder Kontakt zerrte die Station in die Dimensionsgrenzen und -Gesetze der Anrufer. Nicht allzu toll für die sowieso gestörte Energieversorgung der Anlage. Er brauchte Zeit, um den Generator zu reparieren.
Etwas genervt liess er sich auf einen der Computerstühle plumpsen und schaute sich die wenig hilfreichen Wände der Station an. Unter der Hauptanzeigentafel mit den zwei aktiven Toren und der "Defekt"-Bemerkung für die Bank West war eine Vertiefung. Alpha betrachtete sie abwesend. In der Vertiefung befanden sich drei Tasten. Die mittlere leuchtete abwechselnd rot-grau-grün-grau. Die Station war im Standardzustand einer jeden Relaisstation, "Sprungbereit". Jedes beliebige Portal konnte konnektieren, jedes beliebige Tor innerhalb der Reichweite des Computers und der Generatoren konnte angewählt werden.
Die rechte Taste, inaktiv und schwarz, würde die Station an die nächste Dimension koppeln und sie in den Zeitfluss integrieren. In dieser Dimension würde die Station dann als normale Behausung erscheinen - selbstverständlich mit einem sehr merkwürdigen Innenleben, das zum äusseren, unschuldigen und normalen Erscheinungsbild absolut nicht passte. Dimensionszeit wäre dann Stationszeit.
Die linke Taste, inaktiv und weiss, würde die Station in einer eigenen Dimensionsblase einschliessen und damit hermetisch abriegeln. Wenn die Station wieder in sprungbereiten Zustand überging, wäre in keiner Dimension, ausser ihrer eigenen natürlich, Zeit vergangen.
Das Problem war nur - in den Logdateien würde diese Aktion durchaus auftauchen. Ronos würde ein paar geladene Fragen für Omega und ihn bereithalten, wenn er das spitz bekam. Relaisstationen gingen nie in Isolationszustand. Es widersprach ihrer Funktion: Portale verankern und öffnen.
Kurzentschlossen brach Alpha die Siegel der Abdeckplatte und drückte den weissen Schalter nach unten. Die Sicherungen protestierten mit einem Heulton und Alpha bestätigte seine Absicht mit einem Aus-An. Die Station hüpfte in acht Richtungen gleichzeitig, dann froren die Anzeigen auf der Tafel vor ihm ein und färbten sich blau. Ein Doppelpiepsen der Anlage, und die Station war los.
Mit einem tiefen "pling-plong" schaltete die Uhr auf interne Zeit. Solange die Station im Blasenmodus war, würde sie sich alle 10 Minuten vernehmlich melden. "Logbucheintrag" blinkte eine hektische Anzeige. Logbuch? Ach ja, jeder Zustandswechsel einer Station musste begründet werden. Tja, was sollte er sagen? Wahrheit - halbe würde es schon tun. Alpha legte den Daumen auf das Kontaktfeld.
"IBFTARSDBZ der Interdimensionalen Behörde für Temporale Angelegenheiten, Agent Alpha, Dienstnummer ALPHA-14398-329785-236-IBftA-P. Vorhergenannte Relaisstation zu diesem Datum umgestellt auf isoliert für Reparatur des Generators ..." seine Augen suchten hastig die Statusanzeige von West, wo war nur der Name des Teils? Ach, da! "... 3ml23glch69war-tmp der Bank West, beschädigt beim Aufbau eines Basisportals..."
Mit einen grossen Haufen Ersatzteile aus dem Lager in Reichweite schob sich Alpha unter den riesigen Generator der Bank West. Der jetzt vollständig funktionsfähige Computer war sehr kooperativ. Da Alpha die grossen Generatoren auch nur aus hübschen Bilderbüchern für Unphysiker kannte, war das auch recht praktisch.
Er unterdrückte ein Gähnen, las die Anleitung auf dem winzigen tragbaren Monitor durch, schloss die Diagnosegeräte nach Anleitung an und machte dann genau das, was das Handbuch ihm vorschlug. Es schien zu funktionieren. Zumindest beschwerte sich der Hauptrechner nicht, auch wenn er alles zweimal verdrahten musste, damit es hielt. Der Schraubenzieher fiel ihm aus der Hand. Die winzigen Kabelenden verschwammen vor seinen Augen.
Schliesslich war er fertig und stiess sich am unteren Ring des Generators ab. Er rollte auf dem Pony unter der Anlage weg und in den Gang zurück. Als er aufstand, schlug der flache Rollwagen hoch, und Alpha fiel auf den staubigen Boden. Er war schon fast zu müde, um wieder aufzustehen, obwohl das Pony mit einer Rolle auf seiner Hand stand.
Als er sich wieder aufrappelte, tanzten kleine schwarze Flecken auf der Wand vor ihm. Alpha stüzte sich am Generatorgehäuse ab. Er sollte wohl besser etwas essen, und zwar schnell. Unterzuckerte Leute machten dumme Fehler. Und ausserdem hatte er sich seine acht Stunden Schlaf redlich verdient.
Alpha stakste vorsichtig zum Hauptrechner und startete einen vollen Systemtest für alle Tore und die gesamte von ihnen abhängige Hardware. Der Test selbst würde so an die sieben Stunden brauchen, mehr, wenn irgend etwas nicht stimmte. Alphas Werkzeug lag immer noch auf dem Fussboden der Generatorhalle verstreut, und der Generator für West war noch nicht verschalt, aber was sollte es.
Heute würde hier garantiert nichts mehr passieren. Und zum Teufel mit den Bestimmungen, der Computer arbeitete ja, und eine ausgiebige Systemanalyse war im normalen Sprungzustand nicht machbar. Sobald die Station wieder erreichbar war, würde er mehr als genug Arbeit haben. Piccolo und Vegeta würden sich schnell melden, die Sons waren auch bald fällig, oder Alpha müsste sie anrufen, um eine Relativität zu etablieren.
Sobald Omega wieder da war, müssten sie sowieso Überstunden einlegen, um das von der "Rettungstruppe" verursachte Chaos zu beheben. Wobei, wenn er ehrlich war, "Vertuschen" es wohl eher traf. Aber was hätte er sonst machen sollen?
In der winzigen Küche setzte er einen Kessel auf den Herd und stöberte durch den Vorratsschrank. Am Boden des unbestückten Möbels fand er eine Erbswurst, die sich noch zu Suppe verarbeiten liess. Er platzierte sich auf den Küchenhocker und starrte den Kessel an, der es nicht wagte, zu kochen.
Omega würde wohl friedlich auf ein Team der IBftA warten. Was er wohl sagen würde, wenn Vater und Sohn auftauchten, um ihn abzuholen? Von Rechts wegen hätte Alpha alle fünf Leute paralysieren und einsperren müssen, um dann Computer und Generator zu reparieren. Danach hätte er ein Basisportal zur Zentrale aufbauen sollen, um von dort Unterstützung zu holen. Warum hatte er das nicht gemacht? Am Anfang des Endes seiner Mission war es ihm als die einzige Möglichkeit erschienen. Omega würde auf seinem Grab tanzen, und Ronos dazu bis zum erlösenden Morgengrauen die Geige spielen. Für Jahrhunderte.
Der altmodische Kessel pfiff und Alpha recycelte seine Teetasse für die Erbsensuppe. Seine kalten Hände waren schon mit dem Abbrechen der Wurst überfordert. Er verrührte die Paste und zwang sich, das ... riechende ... Gebräu zu schlucken. Am Ende der Mahlzeit ging es ihm etwas besser.
Recht unsicher stolperte er in den Ruheraum und klappte ein spartanisches Feldbett aus der Wand. Er fiel hinein und war eingeschlafen, bevor er sich zudecken konnte. Durch die offene Tür des Torraums liess sich alle 10 Minuten der warnende Gong der internen Uhr vernehmen.
