Innenrevision


Alpha tippte die letzten Suchbefehle einhändig ein und leerte gleichzeitig seine Teetasse. Als das Gebräu endlich weg war, überprüfte er den dreizeiligen Befehl und löste das Programm aus. In ein oder zwei Stunden hätte er eine Liste aller Zeitmaschinen und transzendenter Persönlichkeiten der Ursprungsdimension, die fähig waren, die Relaisstation zu orten und zu betreten.

Er hatte die Vermutung, dass einer der lokalen Götter sich bemüssigt gefühlt hatte, das leidige Wortlaut-gegen-Sinn-Gewinnt – Spiel zu spielen. Zugegeben, er selbst war darüber auch nicht erhaben, aber wenn er am Empfangsende solcher Haarspaltereien sass, gefiel es ihm viel weniger, als wenn er das für ihn passende Schlupfloch fand.

Was sollte es. Die Feinanalyse musste sowieso auf den Rechner warten, für Recherchen war das Ding schliesslich gebaut worden.

Alpha stand auf und trug die Tasse zurück in die Küche. Dort lag immer noch der Rest der Erbswurst. Wollte er das Ding nicht Cell geben? Mit dem Umsetzen der Relativitäten und dem Anruf beim Omega-Team hatte er den Gefangenen wieder ganz vergessen. Das sollte eigentlich nicht passieren.

Also setzte er noch einen Wasserkessel auf und verrührte den Rest der Erbswurst mit der halben Tube Nahrungsmittelkonzentrat. Das Zeug roch immer noch so unbeschreiblich wie beim ersten Mal. Allerdings schien das Cell nicht zu stören, als er in die Zelle kam und das Fesselfeld teilweise aufhob. Der Android war sogar recht heiter.

"Habe ich das richtig verstanden, Son Goku hat eine Flasche Whisky getrunken?" war seine erste Frage, nachdem er die Erbsensuppe bekommen hatte. Essen ging bei dem Wesen eindeutig vor.

"Wie bitte?" sagte Alpha. Woher wusste der Gefangene das?

"Nun, du hast dich mit Son Goku unterhalten, und du erwähntest eine Schiesserei und hinterher eine Flasche Whisky." Cell kicherte.

Natürlich. Der Einweg-Kanal. Er musste daran denken, das Ding zu kappen, wenn Omega zurück kam. Sein Partner würde sich sowieso schon nicht zu knapp aufregen, da musste "mutwilliges Preisgeben von Informationen an angeklagte Objekte" nicht auch noch dazukommen.

"Erinnere mich nicht daran," stöhnte Alpha. "Der Idiot hat es geschafft, sich binnen sechs Stunden in seiner neuen Dimension blitzeblau zu saufen. Kneipenschlägerei inklusive."

Der Android wurde immer heiterer. "Das ist ja toll. Jemand hat es fertig gebracht, Son Goku auszuschalten, ohne dass er sich wehren konnte. Das muss ich mir merken!" Cell rang nach Luft. Das Fesselfeld liess ihm nicht genug Bewegungsfreiheit, um frei atmen zu können. Alpha lockerte es nicht.

"Wie meinst du das?" erkundigte er sich.

Cell kicherte weiter. "Göttlich. Ich absorbiere tausende von Energiequellen, um gegen Son Goku kämpfen zu können und die Sache zu überleben, und dann wird er von einem normalen Menschen auf die Matte geschickt! Hinterrücks und ohne Warnung, einfach genial!"

Alpha fehlte die Landkarte zu dieser Unterhaltung. Oder doch nicht. "Du meinst, jemand hat Goku abgefüllt?" fragte er das Rieseninsekt.

"Natürlich," japste Cell. "Son Goku hat in seinem ganzen Leben bestimmt noch keinen Tropfen Alkohol getrunken! Er ist stark, intelligent, naiv und weiss noch nicht einmal, was Bier ist." Der Android verstummte wegen Luftmangels.

"Wenn du dich weniger aufregst, reicht auch die Einstellung des Fesselfeldes." bemerkte Alpha. "Und du bist sicher, dass Goku ...?" das änderte die Situation natürlich beträchtlich.

"Goku hat sich abfüllen lassen, nach Strich und Faden." erklärte der Gefangene. "Das werde ich mir merken. Wenn ich wieder gegen ihn antrete, bringe ich ein paar Flaschen Schnaps mit und lasse ihn die trinken. Vielleicht nenne ich das Zeugs Quittenwasser... Dann habe ich wenigstens den gefährlichsten von den Leuten abserviert, ohne das ich Schaden nehme..." fabulierte er weiter.

"Du bist ganz schön gut informiert...?" fragte Alpha.

"Ich bin ein Android," stellte Cell stolz fest. "Geschaffen, um die Gruppe Z und Son Goku zu töten. Ich weiss alles über sie."

Bevor Alpha nachhaken konnte – ihn interessierte vor allem die sogenannte "Gruppe Z" und Son Gokus Rolle in derselben – piepste einer der Transmitter. Dem Ton nach zu urteilen war es der von Nord 1. Bekamen Piccolo und Vegeta eigentlich nie den Hals voll?

"Auf Wiedersehen, Cell. Es könnte sein, dass ich in ein paar Stunden den offenen Kanal kappen muss..." Alpha reaktivierte das Fesselfeld und rannte in den Hauptraum. Hinter ihm zischten die Türen zum Gefängnistrakt zu.


"Hier IBFTARSDBZ 1-A"

"Alpha, bist du dran?" kam Piccolos Stimme aus dem Apparat.

"Sag' mal, Piccolo, wir haben Identifikationscodes. Du brüllst hier Namen durch das gesamte Ravanaversum, wenn' s recht ist. Die ersten 30 Silben einer Verbindung sind ein Broadcast an alle..."

Piccolo unterbrach ihn. "Alpha, ich möchte gerne wissen, was das gerade sollte?" fragte er.

"Was was gerade sollte?" erkundigte er sich verwirrt. Sie hatten das letzte Mal gesprochen, als er die Beiden durch das Tor gescheucht hatte. Hatte er etwas falsches gesagt?

"Der Austrittsort, verdammt noch eins. Der war nicht gerade unauffällig!" rief seine Gegenstelle zurück.

Austrittsort? Die sollten doch mittlerweile schon zwei Tage... Alpha warf einen Blick auf die Relativitätenanzeige und unterdrückte einen Fluch. Die Relativität war eine Torstunde auf 30 Portalsminuten. Eigentlich sollte es doch eine Torstunde auf 2 Portalstage sein... Er hatte vergessen, die Relativität neu zu setzen. Aber Piccolo wartete noch auf eine Antwort. "Was ist mit dem Austrittsort?"

"Wie – was damit ist? Was glaubst du denn? Wir sind auf einer Toilette herausgekommen!" beschwerte sich Piccolo.

Was hatte er denn damit? Toiletten waren doch in Ordnung! Die Kabinen waren handlich, klein und niemand konnte mit Sicherheit feststellen, ob die Personen, die aus der Toilette kamen, auch vorher hineingegangen waren. Das erklärte er dann auch seinem Gesprächspartner. "Toiletten sind ein idealer Ort," versicherte er. "Der Computer ist darauf programmiert, unauffällige Lokationen in Zielnähe zu finden und das Portal dort zu verankern. Das hat weniger Aufsehen zur Folge und..."

Auf einmal brüllte ihm Vegeta das Ohr ab. "Es war eine Damentoilette, du Trottel! Und die halbe Stadt hält uns jetzt für..."

Was? Damentoilette? Wie konnte das denn passieren? Solche Shifts hatten eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit. Sie traten eigentlich nie auf... Was war nur mit dem Rechner los? Die Zwei hatten alles Recht der Welt, sich zu beschweren. Aber Alpha hatte bei der Berechnung der Koordinaten keinen Fehler gemacht.

Er schaltete den Transmitter in die Freisprechanlage, setzte sich an den Computer und rief die Logs auf, während Vegeta weiter brüllte. Der Transmitter wackelte in seiner Halterung durch die Schwingungen des kleinen Lautsprechers, während die Sprechanlage des Raumes den Inhalt in gedämpfter Lautstärke wiedergab.

Hatte Vegeta gerade eine Schlägerei erwähnt? Wenn... Die Beiden waren eine wandelnde Zeitbombe. Im wahrsten Sinne des Wortes. Zuerst die Sache mit Goku, die vielleicht etwas anders war als sie am Anfang aussah, und dann das. Aber im Zweifel... "Habt ihr die Schlägerei angezettelt?" wollte er wissen.

Vegeta war noch nicht bereit, sich zu beruhigen. "Nein, das hast du ganz allein geschafft!" kam die wütende Antwort.

Alpha war mittlerweile bei den richtigen Logsegmenten angekommen. Die dimensionalen Berechnungen für das Portal hatten absolute Priorität und waren deshalb ohne Unterbrechung von der kaputten Diskette weitergelaufen. Die Feinanalyse des Austrittsortes allerdings war von niedrigerer Priorität, und der Lesefehler auf dem Laufwerk hatte diese Programme kurzzeitig aus dem Bearbeitungskreislauf herausgenommen. Das verzögerte die endgültige Berechnung der Daten, aber das Portal war schon freigegeben, da die Hauptberechnungen abgeschlossen waren. Als Piccolo und Vegeta durch das Portal gegangen waren, war der Austrittsort noch um etwa einen Meter verschoben. Herrenklo zu Damentoilette. Fünf Sekunden später wäre die Sache in Ordnung gewesen.

"Ja, ich sehe es jetzt. Das war ein Computerfehler. Es tut mir sehr leid, Vegeta. Das war keine Absicht. Der Rechner läuft gerade nicht sehr zuverlässig, und deshalb seid ihr ganz knapp am eigentlichen Ziel vorbeigeschossen... Normalerweise passiert so etwas nicht."

Wieso musste das alles jetzt passieren? Man könnte schon bald sagen, dass die ganze Sache verhext war. Nur war leider das Equipment der IBftA gegen sogenannte "magische" Einflüsse immun, also fiel diese Entschuldigung flach. Gegen göttliche Einflüsse war der Rechner allerdings nicht gesichert.

Ausserdem... Warum trat der Lesefehler auf der Diskette erst zu diesem Zeitpunkt auf? Kien hatte hier sowieso schon seine Finger im Spiel; liess er ganz herzlich grüssen? Aber was hatte er mit Alpha vor? Kien war ein minderer, mit Chaos liierter Gott, der etwas für praktische Scherze übrig hatte.

"Kien ..." Alpha biss den Satz ab, als er bemerkte, dass der Transmitter noch an war. "Ich muss mich um diesen Programmierfehler kümmern, damit nicht noch mehr passiert. Ihr Beide seid ab sofort bitte so unauffällig wie möglich, ja?" er wartete nicht auf eine Bestätigung und brach die Verbindung mit einem kurzen "Alpha aus." ab. Wenn die Zwei sich schon nicht um Funketikette scherten, dann musste er es auch nicht tun.

Dann sackte er über der Konsole zusammen. "Womit hab' ich das verdient?" fragte er die leere Luft. Die Betriebsgeräusche der Lebenserhaltungssysteme, der laufende Generator und das tiefe Summen des Computers waren die einzigen Geräusche im Raum. Schweigen antwortete. Alpha hatte nicht mehr erwartet.

Trübsal blasen brächte ihn jetzt auch nicht weiter. Zuerst bräuchte er eine vertretbare Relation auf dem Tor 1. Eine Torstunde, zwei Portalstage, das sollte passen. Als das erledigt war, startete Alpha zur Sicherheit noch einen Systemtest.

In der letzten Zeit hatte er mehr Systemtests durchgeführt als selbst bei der Programmierung seines illegalen interdimensionalen Rechners. Werdandi hatte ihm damals einen ganzen Satz Komponenten über den Kopf der IBftA hinweg beschafft; um sicher zu gehen, dass die Teile, die aus den verschiedensten Dimensionen stammten, zuverlässig liefen, hatte er jedes einzeln ausgetestet. Und hinterher den ganzen Rechner. Aber die ganze Testerei in dieser Station, das wurde schon albern. Er hatte hier ein Arbeitssystem, keine Experimentierstation! Kien musste sich kringeln vor lachen.

So wie die Situation aussah, hatte Kien es wohl auf Chronos abgesehen. Und er hatte sich Alpha und Omega als passende Opfer ausgesucht – die Frage war nur, warum.

Das die Chaoten auf die Congregatio Ordium nicht gut zu sprechen waren, war Allgemeingut. Und das Chronos sich aus Faulheit mit seiner Behörde auf die Seite der Ordnung gestellt hatte, gefiel der Chaos-Fraktion mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ebenso wenig. War Kien also unterwegs, um Chronos zu ärgern und nebenbei die IBftA zu schädigen? Oder griff er noch weiter nach Oben?

Alpha schüttelte den Kopf. Das waren leere Spekulationen – ohne Zugriff auf Nachrichten von daheim hatte er keine Chance, die Situation zu durchschauen. Sache war aber, dass er und seine Leute – und das waren in diesem Fall Piccolo und Vegeta – zumindest am Rande Teil eines Spiels von Kien waren.

Piccolo und Vegeta waren ausserhalb von Alphas Reichweite, und ganz abgesehen davon hatten sie Kiens kleines Geschenk dabei. In einem solchen Fall war Unwissenheit ein sehr zuverlässiger Schutz, Kien mochte keine unwissenden Opfer. Alpha konnte ihnen also keine explizitere Warnung als "seid Vorsichtig" zukommen lassen. Und das war schon geschehen.

Goku und Gohan waren Kien auch schon auf den Leim gegangen – wenn das, was Cell von sich gegeben hatte, auf Wahrheit beruhte. Und irgendwoher mussten sie ja die hirnrissige Idee haben, Schiessen und Reiten zu lernen. Das konnte auch auf einen subtilen Einfluss von Kien zurückzuführen sein. Aber mehr als noch ein "seid Vorsichtig" konnte er an Vater und Sohn auch nicht los werden.

Kien hatte Alpha kalt erwischt, und jetzt, wo die Situation Konturen annahm, war er nicht mehr in einer Position, irgendetwas dagegen zu tun. Wenn er jetzt die Zentrale anrief, um – ja, wen denn? Seinen Grossonkel? – zu warnen, zerfiel sein ganzer Rettungsplan. Wenn er nichts tat, wusste keiner in der Zentrale, dass Kien irgendetwas vor hatte. Alpha sass in der Falle, und er würde und hatte sich für Omega und seine Teams entscheiden. Zufall hatte schliesslich schon ein paar Äonen Erfahrung in dem Geschäft.

Dazu kam, dass Alpha zwar einen Verdacht, aber keine Ahnung hatte, was wirklich los war. Und das würde wahrscheinlich bis an Alphas Lebensende so bleiben.

Ronos, Omegas und sein unmittelbarer Vorgesetzter, würde Kiens Eingreifen wahrscheinlich nicht verstehen, auch wenn Alpha versuchte, es ihm zu erklären. Der alte Paragraphenreiter war noch engstirniger als Omega. Alpha und sein Partner mussten die Sache unbedingt vertuschen. Denn wenn Ronos Lunte roch und von den Revisoren einen echten Missionsbericht rekonstruieren lies, würde die Sache ganz schnell auf dem Schreibtisch des Gottes der Zeit Persönlich landen.

Leider hatte der zweite Sekretär Ronos kein Gefühl dafür, wann Informationen besser unter dem Teppich – oder mündlich – blieben. Wenn Alpha dazu gezwungen wäre, hohe Politik auf Papier zu bannen, dann wäre nicht nur Alpha geliefert – das gäbe aktiven Streit zwischen den Götterfraktionen.

Ganz abgesehen davon, dass Agent-auf-Probe der IBftA "Alpha" eigentlich keine Ahnung haben sollte, worüber er gerade nachdachte.

Zum Glück piepste in dem Moment der Rechner und Alpha konnte das Lesegerät mit dem Inhalt der Datenbankabfrage füllen. Er wollte mindestens eine Stunde nicht mehr an Kien denken müssen.

Vielleicht würde er auch herausfinden, wie die vier Leute es geschafft hatten, seine Station auseinanderzunehmen.