Verhandlungen
Nur ein Zufallsbesuch, wiederholte Alpha. Ganz zufällig glaube ich dir kein Wort, Kien. Das mit dem Knallbonbon war schon ganz schön link. Und Schicksal als den Überbringer zu nutzen durchaus riskant. was soll ich denn den armen Leuten erzählen, wenn sie wieder zurückkommen? Ja, Knallbonbons haben durchaus diese Eigenschaften, ich habe euch doch gesagt, dass ihr vorsichtig sein sollt...? Alpha liess den Satz in der Luft hängen. Vielleicht liess sich Kien ja zu ein paar erklärenden Bemerkungen hinreissen.
Ach, mein Junge – wie soll ich dich denn jetzt nennen? – erzähl' ihnen halt irgendwas. Kien wedelte mit der linken Hand wegwerfend in der Luft herum. Am Ende ist es doch sowieso egal. Ich helfe ihnen nur zufällig dabei, ihren Auftrag zu erfüllen... Der mindere Gott stützte sich auf den Tisch und paffte geistesabwesend an seiner Pfeife. ... was durch glückliche Umstände voll in deinem Interesse liegt. Oder sehe ich das falsch? Und wie soll ich dich jetzt nennen, Junge? die rechte Augenbraue wanderte in die Höhe.
antwortete der Agent widerwillig.
Die linke Augenbraue folgte ihrem Partner nach oben. Alpha, ja? Alpha wie Griechenland, Buchstabe, Anfang und Ursprung? Und den Namen hast du ganz zufällig bekommen? Das war wohl eine göttliche Fügung.
Alpha starrte Kien böse an. Lass' Schicksal da aussen vor. Die haben damit nichts zu tun. Wenn du dich lustig machen willst, können wir uns gerne in einer Kneipe treffen, wenn ich wieder zurück bin. Kien nahm die Pfeife aus dem Mund und grinste zurück. Er verstrahlte unschuldiges Unverständnis. Komm, Alpha – wenn ich es mir genau überlege, ist mir mein Junge doch lieber...
... weil mein Grossonkel das immer sagt. ergänzte Alpha. Er würde sich von dieser transzendenten Entität nicht auf die Palme bringen lassen. Kien wollte etwas von ihm, oder er hätte sich nicht hierher bemüht. Für einen minderen Gott war es durchaus anstrengend, durch einen ganzen Satz Dimensionen zu hüpfen und sich dann in eine Relaisstation zu projizieren. Warum kommst du nicht zur Sache, Kien? Wir wissen doch beide, dass jedes Treffen von euch beiden in schweren Katastrophen endet. Ganz zu schweigen davon, die Station überhaupt erst mal zu orten. Aber das war wohl Kiens kleinstes Problem gewesen – wenn er nicht genau wusste, was hier vor sich ging – und was wann warum und wie passiert war – würde Alpha einen Besen fressen. Wohlmöglich hatte Kien auch in der grauenhaften Ausrüstung der Station eine kleine Hand im Spiel.
Kiens Augenbrauen rutschten nach Alphas Bemerkung wieder in eine neutrale Stellung. Das verstehst du nicht. Er paffte an seiner Pfeife und blies Rauchkringel in Alphas Richtung.
Das Spiel wurde immer schöner. Er wusste noch genau, was das letzte Mal passiert war. Was verstehe ich nicht? Ich erinnere mich nur zu gut an ein Treffen von zwei gewissen Personen ... von denen eine sogar wunderbarerweise hier anwesend ist ... in dem Büro einer dritten Person. Alpha hatte seinen Grossonkel in den Raum hineineskortiert. Durch einen unglücklichen Umstand – oder Kiens nicht allzu zufälliges Wirken – hatte die Warnung, dass sich der mindere Gott noch in dem Büro befand, Alpha nicht rechtzeitig erreicht. Sein Grossonkel hatte ihm ein paar Urlaubsgeschichten aufgetischt, und als Alpha ihm an der Tür den Vortritt liess, war es schon Jahrhunderte zu spät. Die beiden alten Männer sahen einander, holten einmal tief Luft und beschimpften sich und ihre Gastgeberin wüst. Die Situation war nicht mehr zu retten, die Explosion spektakulär. Und ich erinnere mich an Aufräumarbeiten, die sich über Wochen erstreckten. Die Gründe interessieren mich nicht. Ich kenne die Wirkungen zur Genüge. Jedes von Kiens kleinen Projekten endete im Chaos. Ob es jetzt intelligente Lebewesen oder Götter traf. Und nein, ich werde dir nicht dabei helfen, was immer es ist.
Zufall Persönlich betrachtete ihn mit Trauermine. Ach, mein Junge, seufzte er.
Das ging dann doch zu weit. warf er bissig ein.
Kien wechselte die Taktik und lächelte müde. Also, Alpha, das war doch ganz witzig.
An den verqueren Sinn für Humor dieses Gottes musste man sich erst mal gewöhnen. Dass Urd dich drei Monate durch alle Dimensionen gehetzt hat, war wohl deine Absicht? erkundigte er sich sarkastisch. Das Spiel konnten sie beide spielen.
Kien war zu kleinen Rauchwolken übergegangen und zeigte Alpha ein paar seiner erstklassigen Zähne. er dehnte das Wort, am Ende war es das wert. Ein langer Strom von weissem Dunst verräucherte die Küche weiter.
Alpha unterdrückte einen leichten Anfall von Reizhusten und griff Kiens letzte Bemerkung noch einmal auf. War es das wert. Wenn du meinst. Was hatte Kien mit der Aktion damals eigentlich beabsichtigt? Ich kann mich an ein paar andere war es das wert erinnern. Er kannte Kiens Projekte nur zu gut. Jedesmal, wenn seine Kreise mit denen von Schicksal kollidierten, musste Alpha es auf die eine oder andere Weise ausbaden. Das letzte Mal durfte er die Wiederherstellung des Bürogebäudes leiten. Es war eine interessante Erfahrung, auf die er durchaus verzichten konnte... In allen Fällen war es Arbeit für mich. fuhr er fort. Er würde so schnell nichts tun, was in Kiens direktem Interesse lag. Erst recht nicht, wenn der Chaosgott es auf ihn persönlich abgesehen hatte. Aufräumarbeit, um genau zu sein. Und jedesmal musste ich einen fuchsteufelswilden Verwandten aushalten. Oder eine stinkesaure Freundin.
Kien hatte sich wieder zurück gelehnt. Trotz der unbequemen Stühle schaffte er es, eine perfekte Imitation eines im Lehnstuhl lümmelnden Opas abzugeben. Vielleicht hatte er ja zufällig einen bequemen IBftA-Stuhl gefunden. Bei Alphas letztem Satz schoss er senkrecht hoch. Also, um das klar zu stellen: Werdandi ist deine Freundin.
Alpha beanspruchte diesen Punkt für sich. Werdandi ist meine Freundin, wenn ich das richtig stellen darf. er grinste Kien überaus liebenswürdig an. Und Skuld und Urd sind meine Freundinnen. Was Urd mit dir anstellt, ist deine Sache. er machte eine kleine Pause. Was du mit Werdandi anstellst, ist meine.
Kien liess sich langsam wieder auf den Stuhl sinken. Du musst ja nicht gleich ausfallend werden. brummte er. Aber wunderbarerweise habe ich gar nichts schlimmes vor.
Diesmal zog Alpha eine Augenbraue hoch. Ah, jetzt sind wir wieder beim Thema. Was genau hast du vor, erkundigte er sich, um gleich darauf mit natürlich nur damit ich ablehnen kann? fortzufahren. Er dachte, dass er nicht nur einen Punkt sondern die ganze Runde auf sein Konto verbuchen konnte.
Alpha, du enttäuscht mich. Ich bin nur ganz zufällig hier. Anscheinend hatte Kien die Pfeife in seiner Hand vergessen. Sie räucherte unbeeindruckt vor sich hin.
Und Schweine können fliegen. machte Alpha.
Wenn der Zufall hilft... können sie alles. Kien grinste boshaft. Aber hast du nicht schon etwas anderes zu tun als mit mir zu streiten? Der Punkt ging an Kien. So schnell wollte Alpha sich allerdings nicht geschlagen geben.
Wer sitzt denn hier in meiner Küche und macht einen Zufallsbesuch? erkundigte er sich mit allem Anschein von verwunderter Neugier, den er darstellen konnte.
Kien lehnte sich wieder auf den Tisch und schob ein paar Papiertüten aus seinem Gesichtsfeld. Dann überlegte er es sich wohl anders, hob eine auf und betrachtete sie eingehend. Ich war zufällig in der Gegend und dachte mir, ich bringe dir was frisches zu Essen vorbei. meinte er und drehte die braune Verpackung ins Licht der Leuchtstoffröhren. Und da treffe ich einen ausgehungerten Agenten der Interdimensionalen Behörde für temporale Angelegenheiten... fuhr er im sinnenden Tonfall fort
Alpha wurde langsam ungeduldig. Und der Gott ging ihm langsam auf die Nerven. Zur Sache, Kien.
Der Gott des Zufalls liess sich Zeit. Ja... mein Junge... da fällt mir zufällig ein: wissen deine Verwandten überhaupt, für wen du hier arbeitest?
Treffer. Ausser Werdandi, Urd und Skuld wusste keiner von seinem neuesten Projekt. Auch wenn sein Grossonkel immer auf der Tatsache herumritt, dass Alpha mal etwas produktiveres mit seiner Zeit anstellen sollte, als nur in diversen Dimensionen die lokale Mathematik zu studieren. Und bei Schicksal im Büro zu arbeiten fiel nicht unter – zumindest nicht in den Augen seines Grossonkels. Seine Mutter dachte da etwas anders, aber sie war in der Sache nicht relevant. Was soll das? erkundigte er sich scharf. Und bereute es sofort. Die Blösse hätte er sich nicht geben sollen.
Kien nutzte Alphas Ausrutscher auch sofort aus. Ja, ich dachte, dass ich vielleicht jemandem erzählen sollte, wer hier – welch wunderbarer Umstand – als Linienagent herumkrebst... Er wischte durch die Luft und bedeutete die gesamte Relaisstation. Und ein paar Dimensionen mehr.
Alpha verlor langsam aber sicher die Geduld. Jetzt hatte Kien seinen Angriffspunkt, und er konnte noch nicht einmal behaupten, dass er an seiner Situation unschuldig war. Was willst du? fragte er kurz.
Zufall liess sich nicht beirren. ... aber da ich ganz zufällig ein netter Gott bin, werde ich natürlich nichts weiter sagen... auch nicht, um deinen Grossonkel zu ärgern. Aber... er fand eine nicht ganz geleerte Tüte und schob sich ein paar Fritten in den Mund. Alpha war erfreut, als der mindere Gott wegen des schalen Geschmacks das Gesicht verzog.
Willst du dir alles aus der Nase ziehen lassen, oh grosser Gott des Absoluten Zufalls, Transzendente Entität der 6. Generation mit überplanetaren Befugnissen? Mit Titeln konnte er auch um sich schmeissen, so war das ja nicht.
Eine Augenbraue wanderte nach oben und senkte sich wieder in tiefer Enttäuschung. Nun, das ist kein Grund, sarkastisch zu werden, Alpha, mein Junge. Ich dachte nur, dass es etwas schwierig werden wird, mit all diesen verhängnisvollen Logbüchern in diesem unbeirrbaren Computern... mit Adjektiven konnte der Gott schon umgehen. Aber er hatte verdächtig wenig in seinen letzten Sätzen untergebracht. Und dabei hatte er seinen Finger zielsicher auf die Wunde gelegt. Es gab wohl keinen Zweifel mehr daran, dass er einen grossen Teil seiner preklären Lage dem manipulativen Gott zu verdanken hatte.
Darum sitzt du ja wohl in der Küche. sagte Alpha. Hier gab es keine Überwachungskameras. Nur die Lebenserhaltung konnte die unangemeldete dritte Lebensform hier feststellen. Und wenn doch... hatte er ein Druckmittel gegen Kien in der Hand. Und wenn du körperlich hier anwesend bist, werde ich dich persönlich bei Chronos abliefern, dass das klar ist.
Kien sah ihn mitleidig an. Ach, lass es doch, Alpha. Wir wissen beide, dass ich zu der Gelegenheit nicht mehr da sein werde, und du hast dann ganz zufällig ein kleines Problem. Jetzt hatte Kien zu seinen alten Sprechgewohnheiten zurückgefunden, wie es aussah. Und der Gott war jederzeit imstande, sich herauszuteleportieren, auch wenn das Wort den Sachverhalt nicht wirklich traf. Der Gott hatte nicht aufgehört zu sprechen. Aber darüber wollen wir nicht reden. Ich habe mich wie durch eine glückliche Fügung vor ein paar Stunden mit dem Basis-Hauptrechner beschäftigt... Natürlich im Rahmen eines Wartungsvertrages und nur, um Random Attacks [zufällige Angriffe] zu erschweren... Ah, da ging es zur Sache. Und mit schwerem Geschütz.
... Und?
Ja... Alpha, ganz zufällig habe ich ein oder zwei Passwörter, die dir helfen könnten... Und glücklicher Umstände wegen sind sie noch zwei lokale Stunden aktuell, mein Junge... Ein gewinnendes Lächeln breitete sich auf Kiens Gesicht aus. Alpha starrte ihn so fest wie möglich an.
Wo ist der Haken? erkundigte er sich.
Ein verletztes Lächeln ersetzte das Gewinnende. Da ist kein Haken. erklärte er im Brustton der Überzeugung. Ich werde mich an deinen Hauptrechner setzen, ein paar Programme aktivieren und dann, mein Junge, hast du garantiert keine Probleme mit deinen Vorgesetzten mehr. Mit welchen auch immer. Ausserdem werden sie wunderbarerweise immer etwas wirklich dringendes zu tun haben, wenn sie diese Station überprüfen wollen, Alpha. Zwei direkte Anreden in ebensovielen Sätzen. Und das Angebot war wirklich ungemein verlockend. Kien konnte mit seiner speziellen Macht all das vollbringen, das Alpha nur mit grössten Schwierigkeiten (und einiger Unterstützung von Schicksal) erledigen konnte. Und in diesem Fall war es ein Musste.
Er liess Kien trotzdem eine Minute lang zappeln, während er sich mit den Motiven des Zufallsgottes auseinandersetzte. ... und all das machst du ganz uneigennützig?
Naja, etwas will ich schon von dir. räumte der Gott ein.
Alpha verschränkte die Arme. Rück' es raus, Kien.
Die transzendente Entität lehnte sich zurück und zählte seine Bedingungen an den Fingern ab. Die Pfeife war verschwunden, ebenso der Rauch, der Alpha fast zu einem Husten gezwungen hatte. Der Gott war also nicht körperlich anwesend sondern, wie Alpha schon vermutet hatte, eine Projektion. Ewige Liebe, Treue und Anbetung, vollkommener Gehorsam und ...
Alpha unterbrach die Aufzählung mit einem trockenen Ha, ha, ha.
Kien senkte die Hände und verschränkte sie vor sich auf dem Tisch. Verschwiegenheit in dieser Angelegenheit reicht mir schon. bemerkte er ernst.
Das war etwas eigenartig. Selbst für einen Chaoten. Als ob ich das zu Ronos schleppen würde. sagte Alpha überaus verwundert.
Der Gott liess sich auf das Spiel ein. Schicksal und andere Bekannte inklusive. Darum ging es also. Schicksal sollte im dunkeln Bleiben. Das hiess dann wohl, dass Werdandi nichts davon erfahren sollte. Das war aber Kiens Problem. Was hatte der Kerl nun wirklich vor?
Ach... darf ich fragen, warum?
Kien arrangierte sein Gesicht bis er einen glaubenswerten Anschein von mitleidheischend-und-verfolgt erreicht hatte. Alpha, du musst auch auf mich Rücksicht nehmen! rief er aus.
Was sollte denn das? Ich? Rücksicht auf dich?
Ich habe einen schlechten Ruf. erklärte Kien.
Alpha wollte zumindest den vordergründigen Grund wissen – die Entschuldigung, die Kien ihm anbot, um sein Werk zu ignorieren und damit zu unterstützen. Zu Ungunsten der IBftA, wenn Alpha die Zeichen auch nur annähernd richtig gelesen hatte. Allerdings war Kiens Eingreifen in dieser Situation im Prinzip die einzige Möglichkeit, alles sauber unter dem Teppich zu halten. Und da Kien daran interessiert war, dass die Behörde nichts davon erfuhr, war seine ganze verkorkste (oder war sie nicht besser mit ver-Kiente beschrieben?) Mission sicher. Kien liess sich mit der Geschichte auch nicht lumpen. Vielleicht enthielt sie ja sogar ein winziges Körnchen Wahrheit. Der Gott war – wenn es denn den Tatsachen entsprach – wirklich stolz auf seinen schlechten Ruf. In gewissen Grenzen konnte Alpha das auch nachvollziehen: Welcher mindere Gott konnte sich schon darauf berufen, regelmässig in das Büro eines der regierenden Prinzipien des Universums gerufen zu werden – und sei es nur wegen Regelüberschreitungen?
Diesen meinen schlechten Ruf möchte ich gerne behalten. erläuterte Kien weiter. Ich bin stolz darauf, dass Urd sich drei Monate lang nur mit mir beschäftigt hat – und den Orden Magnissimum Chaotiae für die Zerstörung ihres ureigensten Arbeitsplatzes habe ich mir hart erarbeitet. Ich wäre etwas enttäuscht, wenn ich den wegen einer guten Tat wieder abgeben müsste. Also halt' bitte die Klappe, Alpha, ja? er warf ihm wieder einen mitleidheischenden Blick zu.
Auch wenn Alpha Kiens Hilfe annahm, allzu leicht musste er es ihm nicht machen. Ich werde dich genau beobachten.
Natürlich, mein Junge. meine Kien grossväterlich. Was immer du willst.
Alpha stand auf. Gehen wir.
