Varahir
Müde sah der alte König Cardolans von seiner Halle aus in die Ferne. Das hügelige Land, das die Hauptstadt umgab, war noch immer von Schnee bedeckt, aber die Sonne wurde mit jedem Tag etwas wärmer, so dass er beständig schmolz. Doch konnte dieses gute Zeichen Varahir nicht aufheitern. Wiederum hatte er Boten empfangen und ihre Nachrichten machten das Herz des Königs schwer. Mit Entsetzen und stiller Verzweiflung erkannte Varahir, dass er die Unruhen an seiner Ostgrenze richtig eingeschätzt hatte.
Nur der Ablenkung hatten sie gedient und dazu, seine Streitmacht zu schwächen. Viele gute Krieger waren von seiner Halle fort und in den Osten gegangen, um die Orks und anderen Geschöpfe zu jagen, die dort wüteten. Nun brauchte er sie, doch wie sollte er die Männer erreichen? Und wenn es ihm gelang, dann würde mehr als ungewiss sein, ob sie rechtzeitig da sein würden. Zudem liefen sie in eine große Gefahr, wenn sie sich auf den Weg zurück machten ...
Denn es kam ein Heer von Norden, so groß wie es Arnor seit vielen Jahrhunderten nicht mehr gesehen hatte, und es kam aus Angmar. Sein Ziel war der Amon Sûl, so hatten die aufgeregten Späher berichtet,
Varahir wusste genau, was den Herrn von Angmar bewog, sich dorthin zu wenden.
Er zweifelte nicht daran, dass der Hexenkönig diesen Feldzug schon lange geplant hatte. In der Vergangenheit war Arnor immer wieder mit Krieg überzogen worden. Der Böse aus Angmar trug einen gewaltigen Hass auf die Dúnedain im Herzen und er trachtete sei jeher danach, sie zu vernichten.
Langlebig war der Schatten aus dem Nordosten und geduldig, hatte seine Feinde in Sicherheit gewiegt und schlug nun zu, da sich die Fürsten von Arnor nur noch um ihre eigenen Streitereien kümmerten. Rhudaur hatte er sich schon Untertan gemacht, indem er die Fürsten des Reiches auf seine Seite zog, damit sie ihm dienten im Kampf gegen ihre eigenen Brüder und Schwestern. Der Lohn für ihre Hilfe war zweifelhaft, aber dessen waren sie sich nicht bewusst.
Und nun sollte Cardolan überrannt werden!
In seiner Not schickte Varahir Boten nach Fornost, die König Arveleg von Arthedain über das drohende Unheil informieren und seinem Rivalen um die Herrschaft über Arnor ein Bündnis vorschlagen sollten. Denn nur gemeinsam konnten Cardolan und Arthedain gegen die Horden aus Angmar bestehen, so viel war gewiss. Zudem war die Kampfkraft des Reiches derart geschwächt, dass Varahir keinen weiteren Gedanken daran verschwendete, Angmar ohne Beistand die Stirn zu bieten. Wenn es Rettung gab, dann lag sie einzig in einem gemeinsamen Vorgehen.
König Varahir hoffte inbrünstig, dass sich Arveleg zu einem Bündnis bereit erklären würde – und wenn, dass er rechtzeitig kam.
