Hallo! Erst mal ganz lieben Dank für eure reviews. Ich habe mich total
gefreut. Am liebsten hätte ich euch allen ja eine Postkarte aus Schottland
geschickt. Es war ein wahnsinnig schöner Urlaub und sehr inspirierend.
Immer noch gehört natürlich alles J.K. Rowling.
Vielen Dank an meine Betaleserin Jenny.
18. Die Wahrheit
Harry Potter war einfach unglaublich.
Eigentlich hätte Draco nicht überrascht sein dürfen. Kein anderer schaffte es seine Gedanken zu beherrschen und ihn so zu verwirren. Das war schon immer so gewesen. Eigentlich hatte er geglaubt mittlerweile auf alles vorbereitet zu sein. Er hätte jede Zurückweisung, jede Demütigung und Beleidigung ertragen. Und gerade als er geglaubt hatte, alles unter Kontrolle zu haben, geschah das hier.
Wirklich! Was dachte sich dieser Junge, der jetzt zusammengerollt wie ein Igel in seinen Armen lag eigentlich? Draco hatte immer noch nicht verstanden, wie sie in diese Situation gekommen waren. Immer noch rechnete er damit im nächsten Moment aus diesem Traum aufzuwachen, in dem er splitternackt an einen ebenfalls unbekleideten Harry Potter gedrückt dalag. Es war ja nicht so, dass er ähnliche Träume nicht schon vorher gehabt hatte. Seit vorletztem Sommer quälten sie ihn und es war gar nicht so einfach zu glauben, dass sie sich plötzlich in Realität verwandelt hatten.
Aber so war es noch nie gewesen. Er hatte noch nie Harrys völlig zerwühlte Haare fühlen können, die an seinem Hals kitzelten, er hatte noch nie seine Finger über Harrys ganz leicht gebräunte Arme streichen können, um zu fühlen, wie sich die winzigen Härchen unter der Berührung aufrichteten und er hatte noch nie seinen leisen Atem dicht an seinem Ohr hören können.
Es war so schön Harry Potter schlafend im Arm zu halten, dass es Draco fast erschreckte. Er konnte einfach nicht aufhören über seinen warmen Körper zu streicheln. Und als Harry sich plötzlich umdrehte und sich noch näher an ihn drückte, ohne dabei zu erwachen, wurde ihm ganz warm ums Herz.
Warum fühlte er sich plötzlich, als sei irgendetwas in ihm gerade gerückt, als sei ein Splitter aus seiner Haut entfernt worden, als sei eine kleine hartnäckige Wunde endlich geheilt? Warum fühlte er sich innerlich so ruhig und zufrieden, wie seit . . . er konnte gar nicht mehr sagen, wann er sich zuletzt so gefühlt hatte.
Harry hatte ihn nicht zurückgewiesen. Er war ihm so nahe gekommen, wie man einem Menschen überhaupt kommen konnte. Er ist zu mir gekommen, zu mir, dachte Draco. Aber es machte keinen Sinn, zu viel darüber nachzudenken.
Natürlich wusste er, dass er sich etwas vormachte. Es war alles eine Illusion. Das hier konnte nicht weitergehen. Es war für einen Abend schön gewesen, es war immer noch schön, aber er durfte sich davon nicht hinreißen lassen. Sie hatten überhaupt keine Chance und das war gut so.
Vielleicht lag es ja gar nicht an Potter, dass er sich so wohl fühlte. Gestern Nacht war so überwältigend gewesen und Draco hatte sein erstes Mal mit dem gefeierten Helden der Zauberwelt erlebt, dem Jungen, der ihm immer ein Dorn im Auge gewesen war. Vielleicht war alles was er fühlte ja nur Triumph und Befriedigung.
Ganz bestimmt war es keine Liebe. Liebe war für Gryffindors und Hufflepuffs, das hatte er Harry schließlich selbst erklärt. Er war nicht nur aus Slytherin, er war auch noch ein Malfoy. Er handelte nur aus Berechnung und war immer auf seinen eigenen Vorteil aus.
Draco durfte sich von nichts ablenken lassen. Es war lebenswichtig, dass er seine
Beherrschung bewahrte. Wenn er sich jetzt verletzlich zeigte, war das Verrat an seinem Vater. Lucius hatte niemand mehr außer ihm, auf den er sich verlassen konnte.
Draco rollte sich auf den Rücken, weg von Harry Potter und fühlte einen Stich in seiner Brust, als Harry leise im Schlaf murmelte und sich ein Stück bewegte um sich sofort wieder an ihn zu kuscheln. Weiter konnte Draco nicht zurückweichen.
Sein Vater war verzweifelt gewesen, als er ihn vor ein paar Wochen zu sich rief. Draco hatte gleich gewusst, dass etwas nicht stimmte, als der Brief beim Mittagessen angekommen war. Er war noch nie während der Schulzeit nach Malfoy Manor gerufen worden.
Draco hatte Lucius niemals vorher ohne seine Fassade gesehen. Sein Vater hatte immer alles unter Kontrolle und wusste immer, was als nächstes zu tun war. Er war der gelassenste und beherrschteste Mensch, den Draco kannte. Dafür hatte er seinen Vater immer bewundert. Ihn so aufgelöst zu sehen, hatte etwas anderes bewirkt. Draco war zum ersten Mal bewusst geworden, dass er seinen Vater wirklich liebte. Er hätte einfach alles getan, um ihm beizustehen.
Er wusste bis heute nicht wirklich was geschehen war und wie sein Vater in diese Situation geraten war.
Offensichtlich waren seine Pläne nicht aufgegangen. Draco wusste, dass er immer versucht hatte sich mit beiden Seiten gut zu stellen, aber scheinbar hatte das nicht funktioniert. Stattdessen schien er jetzt alle gegen sich zu haben und von niemandem Hilfe erwarten zu können. Es schien, als sei man hinter sein doppeltes Spiel gekommen.
Aus den Worten von Harry Potter hatte Draco geschlossen, dass Voldemort höchstwahrscheinlich einen Vertrauensbeweis von seinem Vater verlangte. Auf der anderen Seite, der Seite des Lichtes, war er scheinbar angezeigt und verraten worden. Offenbar, so hatte Lucius es ihm erzählt, lagen jetzt genug Beweise gegen ihn vor, um ihn sein Leben lang nach Azkaban zu sperren. Draco stöhnte bei dem Gedanken daran auf. Sein Vater durfte nicht dorthin. Draco konnte den Gedanken nicht ertragen, dass jemand ihn zerbrechen und zerstören würde, wie es in Azkaban geschah.
Lucius hatte ihm erklärt, dass es für ihn nur eine einzige Chance gab, zu entkommen. Er hatte Draco gefragt, ob er sein Geheimnis-Wahrer werden würde, resigniert als rechne er nicht mir einer zustimmenden Antwort.
Er weiß nicht, was ich alles für ihn tun würde, hatte Draco überrascht gedacht. Er weiß nicht, dass ich vielleicht für ihn sterben würde.
So war also in jenen zwei Tagen, das Geheimnis in ihm verschlossen worden, dass sie seitdem aus ihm herauszufoltern versuchten. Oft konnte er das Geheimnis in seinem Inneren fühlen. Es war wie ein brennender Punkt in seinem Geist. Er hatte sich sogar verboten, darüber nachzudenken. Immer wenn es an die Oberfläche drängte, dachte er an die tiefste Dunkelheit, die er sich vorstellen konnte, bis alles um ihn herum darin zu versinken schien.
Er wusste nicht einmal genau, wer es war der ihn folterte. Er vermutete, dass es Leute von WISO oder Auroren waren oder, die seinen Vater jagten. Manchmal hatten sie Dementoren dabei. Scheinbar waren nicht alle von ihnen zur Dunklen Seite hinübergewechselt. Wahrscheinlich waren sie immer dort, wo sie Opfer hatten. Aber das einzige, was Draco wirklich quälte, waren die körperlichen Schmerzen und der Schlafentzug. Weder die Dementoren, noch die Zauber schienen ihm viel anhaben zu können. Die Dementoren ließen ihn viel kälter als vor zwei Jahren.
Er fragte sich oft, ob das an dem Drachen- Amulett lag, das sein Vater ihm zum Geschenk gemacht hatte. Von dem zierlichen Anhänger, der sich unsichtbar an seine Haut schmiegte, schien eine beruhigende Wärme auszugehen, die durch seinen Körper floss und desto schlechter es ihm ging, desto stärker fühlte er die Kette. In manchen Momenten in diesem Schuljahr, war sie das einzige gewesen, das ihn aufrecht hielt. Wenn er seine Hand auf die Stelle unterhalb seines Halses legte, war es als würde ein sanfter Schauer durch seinen Körper rieseln und für einen Moment wich alle Anspannung von ihm.
Die Kette war kaum zu erfühlen, man spürte nur ihre Wärme und er musste immer eine Weile nach ihr tasten, wenn er sie von seiner Haut entfernen wollte, um sie zu betrachten. Das tat er nur wenn er sich völlig sicher war, dass ihn niemand dabei beobachten konnte. Es kam ihm vor, wie etwas höchst intimes, das er vor allen anderen geheim halten musste. Er fürchtete, die Drachenkette würde ihre geheimnisvolle Kraft verlieren, wenn irgendjemand sie sah. Manchmal schien es ihm jetzt, als bestünde sein Leben aus zwei Polen. Auf der einen Seite gab es die Dunkelheit des Geheimnisses, das in seinem Inneren tobte, auf der anderen Seite die Helligkeit und Wärme, die von der Kette ausging.
Und zwischen diesen Polen gab es wie immer Harry Potter. Ein Leben ohne ihn war seit Dracos elftem Geburtstag genauso unvorstellbar, wie ein Leben ohne zu atmen.
Vor gestern Abend war ihm noch nicht einmal klar gewesen, was er eigentlich von Harry Potter wollte. Manchmal hatte er gedacht, er wollte dass Harry litt, vielleicht sogar starb. Dann wieder hatte er ihn auf seine Seite ziehen und sein bester Freund sein wollen. Langsam glaubte er zu wissen, was er verlangte. Er wollte alles für ihn sein.
Harry war wie dieses verdammte Fieber letzten Sommer. Er raste durch seine Venen, wie Feuer und Eis.
Ihm war eigentlich immer klar gewesen, dass Harry, oder jedenfalls der Gedanke an ihn, der Verursacher der Krankheit gewesen war. Dieses Gefühl konnte niemand und nichts anderes in ihm hervorrufen.
Es war so unglaublich gefährlich, auf was er sich eingelassen hatte. Für ihn selbst, für seinen Vater und vor allem für Harry.
Eigentlich konnte er Harry Potter nichts vorwerfen. Es war einfach seine Art, seinen Gefühlen nachzugeben und sich mit aller Macht und ohne zu zögern in alles hineinzustürzen, zu dem sie ihn trieben. Er war wie ein Wirbelsturm, den man nicht aufhalten konnte, wenn er einmal losgebrochen war. Er war wie ein Selbstmörder, der sich über die Klippen stürzte. Er verließ sich immer auf seine Gefühle. Er konnte gar nicht anders.
Draco hätte die Fassung bewahren müssen. Er bewahrte immer die Fassung. Er hätte Harry von sich zurückstoßen müssen. Er hätte nie erlauben dürfen, dass es so weit kam. Aber er hatte es nicht gekonnt.
Gestern hatte er immerhin noch versucht, alles ins Lächerliche zu ziehen und ihm die Bedeutung zu nehmen, indem er verdeutlichte, dass es für ihn nur ein Spiel war, aber er fürchtete, dass Harry ihn durchschaute.
Der Morgen begann zu dämmern.
Sie hatten nicht mehr viel Zeit. Bald würde er diesen zusammengekauerten, schlummernden Menschen neben sich aufwecken müssen und wenn alles so lief, wie Draco es sich vorgenommen hatte, würden sie nie mehr so eng aneinandergekuschelt sein. Ein paar schwache Sonnenstrahlen krochen bereits durch die geschlossenen Fensterläden. Er musste Harry jetzt wecken.
Er ärgerte sich über sich selbst, dass er es nicht tat, sondern stattdessen mit seinen Fingern über Harrys warme Haut strich. Er befahl sich damit aufzuhören. Warum nur, fühlte sich ausgerechnet Harry Potter so gut an? Bei jedem anderen Menschen hätte Draco schon der Gedanke daran nackt neben ihm zu liegen eine Gänsehaut verursacht. Er hatte es noch nie gemocht, berührt zu werden.
Der einzige Mensch, von dem er sich mehr Zuwendung gewünscht hatte, sein Vater, hatte es immer vermieden ihn zu berühren, als sei er eine heiße Herdplatte und Draco dachte manchmal, dass seine Abneigung gegen die Berührung anderer vielleicht eine Art selbst schützende Reaktion darauf war.
Seit er das Geheimnis in sich bewahren musste, waren Berührungen ein Alptraum. Er fühlte sich, als habe er keine Haut so dass jeder der ihn anfasste direkt sein Innerstes berührte. Nur Harrys Berührung, die er schon immer gemocht hatte, schien ihm jetzt sogar noch angenehmer. Sie war beruhigend und tröstlich. Seine Hände waren warm und stark und manchmal ein wenig unsicher. Er legte seine Hand über Harrys. Das verursachte ein ähnliches Gefühl, wie das Drachen-Amulett und er fühlte sich augenblicklich entspannter.
Harry drängte sich im Schlaf noch näher an ihn. Draco wäre fast selber in seinen Schlaf zurückgesunken. Die letzten Tage waren so erschöpfend gewesen. Manchmal hatte er die ständige Anspannung und die Angst vor Schmerzen kaum noch ausgehalten. Zum ersten Mal seit Wochen fühlte er sich wieder entspannt und sicher. Es wäre so schön gewesen, jetzt einfach wieder einzuschlafen . . . aber dann gab er sich einen Ruck.
Er richtete sich auf und schüttelte Harry ein bisschen sanfter, als er vorgehabt hatte an der Schulter.
Harry weigerte sich aufzuwachen. Er zog sich zurück und rollte sich noch enger zusammen, als wollte er vor Dracos Weckversuchen fliehen. Draco schüttelte ihn fester. "Wach auf, Potter!"
"Nein, lass mich", murmelte Harry und kniff die Augen zusammen.
Draco musste grinsen. Er gab Harry einen kleinen Schubs. "Nein, ich lasse dich nicht!" Endlich schlug Harry unwillig die Augen auf. Er blickte Draco völlig verwirrt an.
Er war wie immer ein unglaublicher Anblick. Sein Haar stand mal wider in alle Richtungen ab, seine Wangen waren vom Schlafen leicht gerötet und seine grünen Augen funkelten, obwohl er sie vor lauter Müdigkeit noch gar nicht ganz offen halten konnte. Plötzlich dämmerte ihm, wo er sich befand und mit wem und er fuhr erschrocken auf. "Was ist passiert?" fragte er und sah sich gehetzt um.
Draco musste sich zurückhalten, um nicht zu lächeln und Harry zu umarmen. Stattdessen lehnte er sich an Harry vorbei und angelte nach dessen Brille, die gestern im Eifer des Gefechts vom Bett gefallen war. Er reichte sie Harry und der setzte sie auf, wobei er, wenn das möglich war noch ein wenig verwirrter aussah.
Dann lachte er zu Dracos Überraschung plötzlich leise auf. "Deine Haare sind durcheinander!" kicherte er und sah Draco fast fröhlich an.
Draco war fassungslos. Erstens war das jawohl eine etwas unpassende Aussage für die Situation in der sie sich befanden, zweitens durfte sich Harry Potter, dessen Haare immer aussahen, als hätte er sie kopfüber trocknen lassen und danach in eine Steckdose gefasst, wirklich nicht aus dem Fenster lehnen und drittens waren Dracos Haare nie durcheinander. Trotzdem strich er die Haarsträhnen, die ihm ungebändigt ins Gesicht hingen, hinter die Ohren zurück.
"Lass ruhig, mir gefällt das so", sagte Harry und hielt seine Hand fest. Dann beugte er sich vor und küsste Dracos Hand. Draco zog seinen Arm zurück, als hätte er einen kleinen Stromschlag bekommen. Dachte Harry Potter etwa tatsächlich, dass sie einfach so weitermachen konnten, wie gestern Abend?
Offensichtlich, denn er rückte schon wieder näher an Draco heran, als könnte er es nicht erwarten, seinen Körper wieder zu spüren.
"Harry, du musst zurück zur Schule!" rief Draco mit einem Anflug von Panik in der Stimme. Warum nur sah Harry so atemberaubend aus, mit diesem Verlangen in den Augen? "Sie suchen bestimmt schon nach dir!"
Harry hielt inne. "Ja, du hast Recht. Ich muss zurück, sonst kommen Hermione und Ron vielleicht auf die Idee, dass ich dich hier versteckt habe."
Draco nickte. Es war ihm ganz egal, aus welchem Grund Potter zurück zur Schule ging. Hauptsache er verschwand, so lange Draco sich noch unter Kontrolle hatte und sich davon zurückhalten konnte, diesen abgemagerten, aber kräftigen Körper an sich zu ziehen. Harry rutschte widerwillig vom Bett und wühlte sich durch den Klamottenhaufen davor. "Außerdem muss ich dir etwas zu essen bringen und mehr Decken." Er sah auf. "Tut mir Leid, dass ich das gestern nicht hingekriegt habe."
Draco nickte und zog seine Knie an sich. Er zitterte vor Kälte, seit er Harrys Körperwärme nicht mehr hatte. Harry zog seine Unterhose und seinen Pullover über. "Ich komme gleich nach dem Mittagessen und bringe dir etwas. Hältst du es so lange aus?" Er sah Draco fragend an, der zusammengekauert auf dem Bett saß und war mit einem Satz wider neben ihm. "Ich würde lieber bei dir bleiben", flüsterte er und küsste seinen Hals. Dann stand er wieder auf und zog seine Hose und seine Robe über. "Du wartest doch hier auf mich, oder?" fragte er besorgt.
"Natürlich, wo soll ich denn sonst hin?" fragte Draco bissig.
"Draco?" Harry sah auf den Boden.
"Hm?"
"Ich kann gut verstehen, dass du deinen Vater schützt. Ich würde es genauso machen." Draco nickte.
"Also bis nachher Draco", sagte Harry ein wenig unsicher zum Abschied und verschwand. Draco stand auf, um sich anzuziehen. Dann setzte er sich wartend auf sein Bett. Aber er wartete nicht auf Harrys Rückkehr. Harry war vielleicht so naiv zu denken, dass er hier in Sicherheit war. Das war typisch für ihn. Manchmal war er wie ein kleines Kind, das daran glaubte, dass es für alle unsichtbar wurde, wenn es sich die Hände vor das Gesicht hielt. Draco fragte sich manchmal, wie er es schaffte, sich nach allem was er erlebt hatte immer noch diese Unschuld und diesen Optimismus zu bewahren. Wahrscheinlich brauchte er das, um zu überleben.
Draco wusste jedenfalls, dass er nur noch nicht gefunden worden war, weil ihm jemand eine Nacht der Erholung gönnte und daher noch nicht ernsthaft nach ihm gesucht hatte.
Er war sich ziemlich sicher, dass er wusste, wo er sich befand. Sein Orientierungssinn war sehr gut und wenn ihn nicht alles täuschte, hatte Harry ihn in Richtung Hogsmeade geführt und dieses verlassenen Haus musste die Heulende Hütte sein.
Wie kam Harry bloß auf die absurde Idee, dass er hier in Sicherheit war?
Draco sollte Recht behalten. Nach nicht einmal einer halben Stunde hörte er Schritte auf der Treppe.
Er sah erst auf, als er Professor Snapes Stimme hörte. "Draco, es tut mir Leid, aber ich muss dich mitnehmen. Ich werde dich nicht fragen wie du hierher gekommen bist, aber ich nehme an, du wusstest, dass wir dich finden."
Draco erhob sich resigniert vom Bett. "Ist es also wieder so weit? Wie lange soll das noch gehen? Ich habe doch gesagt, dass ich nichts weiß."
Professor Snape war dicht hinter ihm als er die Treppe hinunter lief. "Das glauben sie dir nicht. Du bist der einzige, dem Lucius vertrauen würde, Draco. Es tut mir Leid."
Schweigend legten sie die Strecke von Hogsmeade zur Schule zurück. Sie gingen nicht durch den Tunnel. Draco war dem Professor sehr dankbar, dass er nicht versuchte, ihn fest zu halten. Er wusste, dass Severus Snape tatsächlich Mitleid mit ihm hatte und Draco hatte auch nicht vor abzuhauen. Er hätte überhaupt nicht gewusst, wohin er sich wenden sollt. Sein Vater war der einzige Mensch dem er noch etwas bedeutete. Er wusste noch nicht einmal wo seine Mutter sich befand. Sie hatte sich nicht bei ihm gemeldet.
Also würde er diese Folter einfach so lange aushalten, wie sie dauerte. Er fühlte dass er noch nicht in Gefahr war das Geheimnis preis zu geben. Die Foltersprüche schienen meistens an ihm abzuprallen und die Schmerzen würde er schon irgendwie aushalten, schließlich war es nicht erlaubt, ihn wirklich zu verletzen, da er minderjährig war. Es war zwar alles sehr quälend und ging an seine Substanz, aber es war zu ertragen. Er würde noch nicht so bald daran zerbrechen. Außerdem hatte er das Gefühl, dass die letzte Nacht ihm Kraft gegeben hatte.
Professor Snape lief durch die Gänge von Hogwarts voran und Draco war so in Gedanken verloren, dass er erst überrascht aufsah, als sie vor Dumbledores Büro standen.
Normalerweise fanden die Verhöre nicht hier statt, sondern in einem abgelegenen Raum des Schlosses. Manchmal wurde er sogar von Hogwarts weggebracht.
Snape murmelte das Passwort und sie stiegen die Stufen der Wendeltreppe hinauf. Im Büro befanden sich außer Professor Dumbledore noch die zwei Männer, die Draco bereits von den Verhören kannte. Sie sahen ziemlich blass aus. Er wusste, dass es ihnen keinen Spaß machte ihn zu quälen
Er betrachtete interessiert den wunderschönen roten Vogel, der auf einer Stange neben Dumbledores Schreibtisch saß. Offensichtlich ein Phoenix.
Draco war für jede Ablenkung dankbar. Desto weniger seine Gedanken um seinen Vater und um das Geheimnis kreisten, desto geringer war die Chance, dass sie etwas aus ihm herausbekamen. Interessiert betrachtete er den seltenen Vogel. Er hatte gehört, dass sie sich selbst verbrannten und dann wieder auferstanden.
"Draco?" sprach Dumbledore ihn an.
Draco riss seinen Blick von dem Phoenix los.
"Ich habe dir eine Mitteilung zu machen. Sie wird dich nicht erfreuen, aber wir alle glauben, dass es das Beste für dich ist. Wir wollen dich nicht noch weiteren Schmerzen aussetzen." Der Junge sah alarmiert auf.
"Das Mittel, das wir bei dir anwenden wollen, wird nur in sehr wenigen Ausnahmefällen benutzt, da es als ein scharfer Eingriff in die persönliche Sphäre gilt. Aber wir alle glauben, dass es in deinem Fall keinen anderen Ausweg gibt. Wir haben beschlossen, dir Veritaserum zu verabreichen."
Draco wurde leichenblass und wich zurück. "NEIN!" gehetzt sah er sich nach einem Fluchtweg um. Er wäre auch aus dem Fenster gesprungen, aber jeder Ausweg war ihm versperrt. Er saß wie ein Tier in der Falle. "Das können sie nicht tun!" stöhnte er. "Draco!" Professor Snape streckte die Hand nach ihm aus, berührte ihn aber nicht. "Denk daran, dass es dann vorbei ist. Du musst nicht mehr leiden. Es ist das Beste für dich." Draco sank in sich zusammen und schüttelte den Kopf. "Bitte nicht", flüsterte er. "ich habe doch gesagt, dass ich nichts weiß", seine Stimme brach.
"Wir wissen, dass du deinen Vater schützen willst", sagte eine der Männer. "Aber es muss sein. Er ist der einzige Anhaltspunkt den wir haben. Er ist der einzige, der uns Informationen über die Dunkle Seite geben könnte. Seitdem auch noch das Ministerium korrupt ist, müssen wir jede Spur nutzen, die wir haben."
"Ihr wollt meinen Vater einsperren!" fauchte Draco. "Aber das lasse ich nicht zu. Ich nehme euer Serum nicht!"
Im selben Moment packte ihn auch schon einer der zwei Männer. Er war unglaublich stark und obwohl sich Draco wehrte wie eine Raubkatze, konnte er sich nicht befreien. Nach einem kurzen Kampf hatte ihn der andere auf den Stuhl verfrachtet, den Draco bereits kannte. Seine Arme und Beine wurden festgeschnürt, so dass er sich nicht mehr bewegen konnte. Snape händigte dem Mann widerwillig eine kleine Flasche mit einer durchsichtigen Flüssigkeit aus. Dann drehte er sich weg.
Draco presste die Lippen fest aufeinander und drehte den Kopf zur Seite, als der Mann sich mit dem Serum näherte, aber er hatte keine Chance. Während der eine Mann mit starken Händen seinen Kopf festhielt, hielt ihm der andere die Nase zu und als Draco den Atem nicht länger anhalten konnte, flößte er ihm zwei Tropfen ein.
Draco fühlte wie sich Kälte in ihm ausbreitete. Es war als würde Blausäure durch seine Adern fließen. Er fühlte sich als würde er von innen her aufgeschnitten, als würde sein Innerstes nach Außen gekehrt, als würde ihm seine Haut geraubt. Er wand sich in seinem Stuhl, und versuchte sich dagegen zu wehren. Das hier war schlimmer, als die Schmerzen. Alle Schmerzen konnte man wegdenken, aber nicht dieses Gift, das durch ihn hindurchströmte. Er konnte fast körperlich spüren, wie es in seinem Gehirn ankam und sich ausbreitete. Schon jetzt fühlte er sich so schwach und aufgebrochen, dass er glaubte jede Willenskraft verloren zu haben. Sicherlich würde er nicht mehr die enorme Beherrschung aufbringen, die es kostete zu lügen und das Schlimmste war, dass er plötzlich nicht mehr wusste, warum er überhaupt lügen wollte. Er hatte vergessen, warum es so wichtig war, manche Dinge in seinem Inneren zu verschließen und nicht an die Oberfläche gelangen zu lassen. Er fühlte sich eiskalt und völlig schutzlos.
Aber dann fühlte er noch etwas anderes. Von der Stelle oberhalb seines Solar Plexus breitete sich Wärme in ihm aus.
Immer noch gehört natürlich alles J.K. Rowling.
Vielen Dank an meine Betaleserin Jenny.
18. Die Wahrheit
Harry Potter war einfach unglaublich.
Eigentlich hätte Draco nicht überrascht sein dürfen. Kein anderer schaffte es seine Gedanken zu beherrschen und ihn so zu verwirren. Das war schon immer so gewesen. Eigentlich hatte er geglaubt mittlerweile auf alles vorbereitet zu sein. Er hätte jede Zurückweisung, jede Demütigung und Beleidigung ertragen. Und gerade als er geglaubt hatte, alles unter Kontrolle zu haben, geschah das hier.
Wirklich! Was dachte sich dieser Junge, der jetzt zusammengerollt wie ein Igel in seinen Armen lag eigentlich? Draco hatte immer noch nicht verstanden, wie sie in diese Situation gekommen waren. Immer noch rechnete er damit im nächsten Moment aus diesem Traum aufzuwachen, in dem er splitternackt an einen ebenfalls unbekleideten Harry Potter gedrückt dalag. Es war ja nicht so, dass er ähnliche Träume nicht schon vorher gehabt hatte. Seit vorletztem Sommer quälten sie ihn und es war gar nicht so einfach zu glauben, dass sie sich plötzlich in Realität verwandelt hatten.
Aber so war es noch nie gewesen. Er hatte noch nie Harrys völlig zerwühlte Haare fühlen können, die an seinem Hals kitzelten, er hatte noch nie seine Finger über Harrys ganz leicht gebräunte Arme streichen können, um zu fühlen, wie sich die winzigen Härchen unter der Berührung aufrichteten und er hatte noch nie seinen leisen Atem dicht an seinem Ohr hören können.
Es war so schön Harry Potter schlafend im Arm zu halten, dass es Draco fast erschreckte. Er konnte einfach nicht aufhören über seinen warmen Körper zu streicheln. Und als Harry sich plötzlich umdrehte und sich noch näher an ihn drückte, ohne dabei zu erwachen, wurde ihm ganz warm ums Herz.
Warum fühlte er sich plötzlich, als sei irgendetwas in ihm gerade gerückt, als sei ein Splitter aus seiner Haut entfernt worden, als sei eine kleine hartnäckige Wunde endlich geheilt? Warum fühlte er sich innerlich so ruhig und zufrieden, wie seit . . . er konnte gar nicht mehr sagen, wann er sich zuletzt so gefühlt hatte.
Harry hatte ihn nicht zurückgewiesen. Er war ihm so nahe gekommen, wie man einem Menschen überhaupt kommen konnte. Er ist zu mir gekommen, zu mir, dachte Draco. Aber es machte keinen Sinn, zu viel darüber nachzudenken.
Natürlich wusste er, dass er sich etwas vormachte. Es war alles eine Illusion. Das hier konnte nicht weitergehen. Es war für einen Abend schön gewesen, es war immer noch schön, aber er durfte sich davon nicht hinreißen lassen. Sie hatten überhaupt keine Chance und das war gut so.
Vielleicht lag es ja gar nicht an Potter, dass er sich so wohl fühlte. Gestern Nacht war so überwältigend gewesen und Draco hatte sein erstes Mal mit dem gefeierten Helden der Zauberwelt erlebt, dem Jungen, der ihm immer ein Dorn im Auge gewesen war. Vielleicht war alles was er fühlte ja nur Triumph und Befriedigung.
Ganz bestimmt war es keine Liebe. Liebe war für Gryffindors und Hufflepuffs, das hatte er Harry schließlich selbst erklärt. Er war nicht nur aus Slytherin, er war auch noch ein Malfoy. Er handelte nur aus Berechnung und war immer auf seinen eigenen Vorteil aus.
Draco durfte sich von nichts ablenken lassen. Es war lebenswichtig, dass er seine
Beherrschung bewahrte. Wenn er sich jetzt verletzlich zeigte, war das Verrat an seinem Vater. Lucius hatte niemand mehr außer ihm, auf den er sich verlassen konnte.
Draco rollte sich auf den Rücken, weg von Harry Potter und fühlte einen Stich in seiner Brust, als Harry leise im Schlaf murmelte und sich ein Stück bewegte um sich sofort wieder an ihn zu kuscheln. Weiter konnte Draco nicht zurückweichen.
Sein Vater war verzweifelt gewesen, als er ihn vor ein paar Wochen zu sich rief. Draco hatte gleich gewusst, dass etwas nicht stimmte, als der Brief beim Mittagessen angekommen war. Er war noch nie während der Schulzeit nach Malfoy Manor gerufen worden.
Draco hatte Lucius niemals vorher ohne seine Fassade gesehen. Sein Vater hatte immer alles unter Kontrolle und wusste immer, was als nächstes zu tun war. Er war der gelassenste und beherrschteste Mensch, den Draco kannte. Dafür hatte er seinen Vater immer bewundert. Ihn so aufgelöst zu sehen, hatte etwas anderes bewirkt. Draco war zum ersten Mal bewusst geworden, dass er seinen Vater wirklich liebte. Er hätte einfach alles getan, um ihm beizustehen.
Er wusste bis heute nicht wirklich was geschehen war und wie sein Vater in diese Situation geraten war.
Offensichtlich waren seine Pläne nicht aufgegangen. Draco wusste, dass er immer versucht hatte sich mit beiden Seiten gut zu stellen, aber scheinbar hatte das nicht funktioniert. Stattdessen schien er jetzt alle gegen sich zu haben und von niemandem Hilfe erwarten zu können. Es schien, als sei man hinter sein doppeltes Spiel gekommen.
Aus den Worten von Harry Potter hatte Draco geschlossen, dass Voldemort höchstwahrscheinlich einen Vertrauensbeweis von seinem Vater verlangte. Auf der anderen Seite, der Seite des Lichtes, war er scheinbar angezeigt und verraten worden. Offenbar, so hatte Lucius es ihm erzählt, lagen jetzt genug Beweise gegen ihn vor, um ihn sein Leben lang nach Azkaban zu sperren. Draco stöhnte bei dem Gedanken daran auf. Sein Vater durfte nicht dorthin. Draco konnte den Gedanken nicht ertragen, dass jemand ihn zerbrechen und zerstören würde, wie es in Azkaban geschah.
Lucius hatte ihm erklärt, dass es für ihn nur eine einzige Chance gab, zu entkommen. Er hatte Draco gefragt, ob er sein Geheimnis-Wahrer werden würde, resigniert als rechne er nicht mir einer zustimmenden Antwort.
Er weiß nicht, was ich alles für ihn tun würde, hatte Draco überrascht gedacht. Er weiß nicht, dass ich vielleicht für ihn sterben würde.
So war also in jenen zwei Tagen, das Geheimnis in ihm verschlossen worden, dass sie seitdem aus ihm herauszufoltern versuchten. Oft konnte er das Geheimnis in seinem Inneren fühlen. Es war wie ein brennender Punkt in seinem Geist. Er hatte sich sogar verboten, darüber nachzudenken. Immer wenn es an die Oberfläche drängte, dachte er an die tiefste Dunkelheit, die er sich vorstellen konnte, bis alles um ihn herum darin zu versinken schien.
Er wusste nicht einmal genau, wer es war der ihn folterte. Er vermutete, dass es Leute von WISO oder Auroren waren oder, die seinen Vater jagten. Manchmal hatten sie Dementoren dabei. Scheinbar waren nicht alle von ihnen zur Dunklen Seite hinübergewechselt. Wahrscheinlich waren sie immer dort, wo sie Opfer hatten. Aber das einzige, was Draco wirklich quälte, waren die körperlichen Schmerzen und der Schlafentzug. Weder die Dementoren, noch die Zauber schienen ihm viel anhaben zu können. Die Dementoren ließen ihn viel kälter als vor zwei Jahren.
Er fragte sich oft, ob das an dem Drachen- Amulett lag, das sein Vater ihm zum Geschenk gemacht hatte. Von dem zierlichen Anhänger, der sich unsichtbar an seine Haut schmiegte, schien eine beruhigende Wärme auszugehen, die durch seinen Körper floss und desto schlechter es ihm ging, desto stärker fühlte er die Kette. In manchen Momenten in diesem Schuljahr, war sie das einzige gewesen, das ihn aufrecht hielt. Wenn er seine Hand auf die Stelle unterhalb seines Halses legte, war es als würde ein sanfter Schauer durch seinen Körper rieseln und für einen Moment wich alle Anspannung von ihm.
Die Kette war kaum zu erfühlen, man spürte nur ihre Wärme und er musste immer eine Weile nach ihr tasten, wenn er sie von seiner Haut entfernen wollte, um sie zu betrachten. Das tat er nur wenn er sich völlig sicher war, dass ihn niemand dabei beobachten konnte. Es kam ihm vor, wie etwas höchst intimes, das er vor allen anderen geheim halten musste. Er fürchtete, die Drachenkette würde ihre geheimnisvolle Kraft verlieren, wenn irgendjemand sie sah. Manchmal schien es ihm jetzt, als bestünde sein Leben aus zwei Polen. Auf der einen Seite gab es die Dunkelheit des Geheimnisses, das in seinem Inneren tobte, auf der anderen Seite die Helligkeit und Wärme, die von der Kette ausging.
Und zwischen diesen Polen gab es wie immer Harry Potter. Ein Leben ohne ihn war seit Dracos elftem Geburtstag genauso unvorstellbar, wie ein Leben ohne zu atmen.
Vor gestern Abend war ihm noch nicht einmal klar gewesen, was er eigentlich von Harry Potter wollte. Manchmal hatte er gedacht, er wollte dass Harry litt, vielleicht sogar starb. Dann wieder hatte er ihn auf seine Seite ziehen und sein bester Freund sein wollen. Langsam glaubte er zu wissen, was er verlangte. Er wollte alles für ihn sein.
Harry war wie dieses verdammte Fieber letzten Sommer. Er raste durch seine Venen, wie Feuer und Eis.
Ihm war eigentlich immer klar gewesen, dass Harry, oder jedenfalls der Gedanke an ihn, der Verursacher der Krankheit gewesen war. Dieses Gefühl konnte niemand und nichts anderes in ihm hervorrufen.
Es war so unglaublich gefährlich, auf was er sich eingelassen hatte. Für ihn selbst, für seinen Vater und vor allem für Harry.
Eigentlich konnte er Harry Potter nichts vorwerfen. Es war einfach seine Art, seinen Gefühlen nachzugeben und sich mit aller Macht und ohne zu zögern in alles hineinzustürzen, zu dem sie ihn trieben. Er war wie ein Wirbelsturm, den man nicht aufhalten konnte, wenn er einmal losgebrochen war. Er war wie ein Selbstmörder, der sich über die Klippen stürzte. Er verließ sich immer auf seine Gefühle. Er konnte gar nicht anders.
Draco hätte die Fassung bewahren müssen. Er bewahrte immer die Fassung. Er hätte Harry von sich zurückstoßen müssen. Er hätte nie erlauben dürfen, dass es so weit kam. Aber er hatte es nicht gekonnt.
Gestern hatte er immerhin noch versucht, alles ins Lächerliche zu ziehen und ihm die Bedeutung zu nehmen, indem er verdeutlichte, dass es für ihn nur ein Spiel war, aber er fürchtete, dass Harry ihn durchschaute.
Der Morgen begann zu dämmern.
Sie hatten nicht mehr viel Zeit. Bald würde er diesen zusammengekauerten, schlummernden Menschen neben sich aufwecken müssen und wenn alles so lief, wie Draco es sich vorgenommen hatte, würden sie nie mehr so eng aneinandergekuschelt sein. Ein paar schwache Sonnenstrahlen krochen bereits durch die geschlossenen Fensterläden. Er musste Harry jetzt wecken.
Er ärgerte sich über sich selbst, dass er es nicht tat, sondern stattdessen mit seinen Fingern über Harrys warme Haut strich. Er befahl sich damit aufzuhören. Warum nur, fühlte sich ausgerechnet Harry Potter so gut an? Bei jedem anderen Menschen hätte Draco schon der Gedanke daran nackt neben ihm zu liegen eine Gänsehaut verursacht. Er hatte es noch nie gemocht, berührt zu werden.
Der einzige Mensch, von dem er sich mehr Zuwendung gewünscht hatte, sein Vater, hatte es immer vermieden ihn zu berühren, als sei er eine heiße Herdplatte und Draco dachte manchmal, dass seine Abneigung gegen die Berührung anderer vielleicht eine Art selbst schützende Reaktion darauf war.
Seit er das Geheimnis in sich bewahren musste, waren Berührungen ein Alptraum. Er fühlte sich, als habe er keine Haut so dass jeder der ihn anfasste direkt sein Innerstes berührte. Nur Harrys Berührung, die er schon immer gemocht hatte, schien ihm jetzt sogar noch angenehmer. Sie war beruhigend und tröstlich. Seine Hände waren warm und stark und manchmal ein wenig unsicher. Er legte seine Hand über Harrys. Das verursachte ein ähnliches Gefühl, wie das Drachen-Amulett und er fühlte sich augenblicklich entspannter.
Harry drängte sich im Schlaf noch näher an ihn. Draco wäre fast selber in seinen Schlaf zurückgesunken. Die letzten Tage waren so erschöpfend gewesen. Manchmal hatte er die ständige Anspannung und die Angst vor Schmerzen kaum noch ausgehalten. Zum ersten Mal seit Wochen fühlte er sich wieder entspannt und sicher. Es wäre so schön gewesen, jetzt einfach wieder einzuschlafen . . . aber dann gab er sich einen Ruck.
Er richtete sich auf und schüttelte Harry ein bisschen sanfter, als er vorgehabt hatte an der Schulter.
Harry weigerte sich aufzuwachen. Er zog sich zurück und rollte sich noch enger zusammen, als wollte er vor Dracos Weckversuchen fliehen. Draco schüttelte ihn fester. "Wach auf, Potter!"
"Nein, lass mich", murmelte Harry und kniff die Augen zusammen.
Draco musste grinsen. Er gab Harry einen kleinen Schubs. "Nein, ich lasse dich nicht!" Endlich schlug Harry unwillig die Augen auf. Er blickte Draco völlig verwirrt an.
Er war wie immer ein unglaublicher Anblick. Sein Haar stand mal wider in alle Richtungen ab, seine Wangen waren vom Schlafen leicht gerötet und seine grünen Augen funkelten, obwohl er sie vor lauter Müdigkeit noch gar nicht ganz offen halten konnte. Plötzlich dämmerte ihm, wo er sich befand und mit wem und er fuhr erschrocken auf. "Was ist passiert?" fragte er und sah sich gehetzt um.
Draco musste sich zurückhalten, um nicht zu lächeln und Harry zu umarmen. Stattdessen lehnte er sich an Harry vorbei und angelte nach dessen Brille, die gestern im Eifer des Gefechts vom Bett gefallen war. Er reichte sie Harry und der setzte sie auf, wobei er, wenn das möglich war noch ein wenig verwirrter aussah.
Dann lachte er zu Dracos Überraschung plötzlich leise auf. "Deine Haare sind durcheinander!" kicherte er und sah Draco fast fröhlich an.
Draco war fassungslos. Erstens war das jawohl eine etwas unpassende Aussage für die Situation in der sie sich befanden, zweitens durfte sich Harry Potter, dessen Haare immer aussahen, als hätte er sie kopfüber trocknen lassen und danach in eine Steckdose gefasst, wirklich nicht aus dem Fenster lehnen und drittens waren Dracos Haare nie durcheinander. Trotzdem strich er die Haarsträhnen, die ihm ungebändigt ins Gesicht hingen, hinter die Ohren zurück.
"Lass ruhig, mir gefällt das so", sagte Harry und hielt seine Hand fest. Dann beugte er sich vor und küsste Dracos Hand. Draco zog seinen Arm zurück, als hätte er einen kleinen Stromschlag bekommen. Dachte Harry Potter etwa tatsächlich, dass sie einfach so weitermachen konnten, wie gestern Abend?
Offensichtlich, denn er rückte schon wieder näher an Draco heran, als könnte er es nicht erwarten, seinen Körper wieder zu spüren.
"Harry, du musst zurück zur Schule!" rief Draco mit einem Anflug von Panik in der Stimme. Warum nur sah Harry so atemberaubend aus, mit diesem Verlangen in den Augen? "Sie suchen bestimmt schon nach dir!"
Harry hielt inne. "Ja, du hast Recht. Ich muss zurück, sonst kommen Hermione und Ron vielleicht auf die Idee, dass ich dich hier versteckt habe."
Draco nickte. Es war ihm ganz egal, aus welchem Grund Potter zurück zur Schule ging. Hauptsache er verschwand, so lange Draco sich noch unter Kontrolle hatte und sich davon zurückhalten konnte, diesen abgemagerten, aber kräftigen Körper an sich zu ziehen. Harry rutschte widerwillig vom Bett und wühlte sich durch den Klamottenhaufen davor. "Außerdem muss ich dir etwas zu essen bringen und mehr Decken." Er sah auf. "Tut mir Leid, dass ich das gestern nicht hingekriegt habe."
Draco nickte und zog seine Knie an sich. Er zitterte vor Kälte, seit er Harrys Körperwärme nicht mehr hatte. Harry zog seine Unterhose und seinen Pullover über. "Ich komme gleich nach dem Mittagessen und bringe dir etwas. Hältst du es so lange aus?" Er sah Draco fragend an, der zusammengekauert auf dem Bett saß und war mit einem Satz wider neben ihm. "Ich würde lieber bei dir bleiben", flüsterte er und küsste seinen Hals. Dann stand er wieder auf und zog seine Hose und seine Robe über. "Du wartest doch hier auf mich, oder?" fragte er besorgt.
"Natürlich, wo soll ich denn sonst hin?" fragte Draco bissig.
"Draco?" Harry sah auf den Boden.
"Hm?"
"Ich kann gut verstehen, dass du deinen Vater schützt. Ich würde es genauso machen." Draco nickte.
"Also bis nachher Draco", sagte Harry ein wenig unsicher zum Abschied und verschwand. Draco stand auf, um sich anzuziehen. Dann setzte er sich wartend auf sein Bett. Aber er wartete nicht auf Harrys Rückkehr. Harry war vielleicht so naiv zu denken, dass er hier in Sicherheit war. Das war typisch für ihn. Manchmal war er wie ein kleines Kind, das daran glaubte, dass es für alle unsichtbar wurde, wenn es sich die Hände vor das Gesicht hielt. Draco fragte sich manchmal, wie er es schaffte, sich nach allem was er erlebt hatte immer noch diese Unschuld und diesen Optimismus zu bewahren. Wahrscheinlich brauchte er das, um zu überleben.
Draco wusste jedenfalls, dass er nur noch nicht gefunden worden war, weil ihm jemand eine Nacht der Erholung gönnte und daher noch nicht ernsthaft nach ihm gesucht hatte.
Er war sich ziemlich sicher, dass er wusste, wo er sich befand. Sein Orientierungssinn war sehr gut und wenn ihn nicht alles täuschte, hatte Harry ihn in Richtung Hogsmeade geführt und dieses verlassenen Haus musste die Heulende Hütte sein.
Wie kam Harry bloß auf die absurde Idee, dass er hier in Sicherheit war?
Draco sollte Recht behalten. Nach nicht einmal einer halben Stunde hörte er Schritte auf der Treppe.
Er sah erst auf, als er Professor Snapes Stimme hörte. "Draco, es tut mir Leid, aber ich muss dich mitnehmen. Ich werde dich nicht fragen wie du hierher gekommen bist, aber ich nehme an, du wusstest, dass wir dich finden."
Draco erhob sich resigniert vom Bett. "Ist es also wieder so weit? Wie lange soll das noch gehen? Ich habe doch gesagt, dass ich nichts weiß."
Professor Snape war dicht hinter ihm als er die Treppe hinunter lief. "Das glauben sie dir nicht. Du bist der einzige, dem Lucius vertrauen würde, Draco. Es tut mir Leid."
Schweigend legten sie die Strecke von Hogsmeade zur Schule zurück. Sie gingen nicht durch den Tunnel. Draco war dem Professor sehr dankbar, dass er nicht versuchte, ihn fest zu halten. Er wusste, dass Severus Snape tatsächlich Mitleid mit ihm hatte und Draco hatte auch nicht vor abzuhauen. Er hätte überhaupt nicht gewusst, wohin er sich wenden sollt. Sein Vater war der einzige Mensch dem er noch etwas bedeutete. Er wusste noch nicht einmal wo seine Mutter sich befand. Sie hatte sich nicht bei ihm gemeldet.
Also würde er diese Folter einfach so lange aushalten, wie sie dauerte. Er fühlte dass er noch nicht in Gefahr war das Geheimnis preis zu geben. Die Foltersprüche schienen meistens an ihm abzuprallen und die Schmerzen würde er schon irgendwie aushalten, schließlich war es nicht erlaubt, ihn wirklich zu verletzen, da er minderjährig war. Es war zwar alles sehr quälend und ging an seine Substanz, aber es war zu ertragen. Er würde noch nicht so bald daran zerbrechen. Außerdem hatte er das Gefühl, dass die letzte Nacht ihm Kraft gegeben hatte.
Professor Snape lief durch die Gänge von Hogwarts voran und Draco war so in Gedanken verloren, dass er erst überrascht aufsah, als sie vor Dumbledores Büro standen.
Normalerweise fanden die Verhöre nicht hier statt, sondern in einem abgelegenen Raum des Schlosses. Manchmal wurde er sogar von Hogwarts weggebracht.
Snape murmelte das Passwort und sie stiegen die Stufen der Wendeltreppe hinauf. Im Büro befanden sich außer Professor Dumbledore noch die zwei Männer, die Draco bereits von den Verhören kannte. Sie sahen ziemlich blass aus. Er wusste, dass es ihnen keinen Spaß machte ihn zu quälen
Er betrachtete interessiert den wunderschönen roten Vogel, der auf einer Stange neben Dumbledores Schreibtisch saß. Offensichtlich ein Phoenix.
Draco war für jede Ablenkung dankbar. Desto weniger seine Gedanken um seinen Vater und um das Geheimnis kreisten, desto geringer war die Chance, dass sie etwas aus ihm herausbekamen. Interessiert betrachtete er den seltenen Vogel. Er hatte gehört, dass sie sich selbst verbrannten und dann wieder auferstanden.
"Draco?" sprach Dumbledore ihn an.
Draco riss seinen Blick von dem Phoenix los.
"Ich habe dir eine Mitteilung zu machen. Sie wird dich nicht erfreuen, aber wir alle glauben, dass es das Beste für dich ist. Wir wollen dich nicht noch weiteren Schmerzen aussetzen." Der Junge sah alarmiert auf.
"Das Mittel, das wir bei dir anwenden wollen, wird nur in sehr wenigen Ausnahmefällen benutzt, da es als ein scharfer Eingriff in die persönliche Sphäre gilt. Aber wir alle glauben, dass es in deinem Fall keinen anderen Ausweg gibt. Wir haben beschlossen, dir Veritaserum zu verabreichen."
Draco wurde leichenblass und wich zurück. "NEIN!" gehetzt sah er sich nach einem Fluchtweg um. Er wäre auch aus dem Fenster gesprungen, aber jeder Ausweg war ihm versperrt. Er saß wie ein Tier in der Falle. "Das können sie nicht tun!" stöhnte er. "Draco!" Professor Snape streckte die Hand nach ihm aus, berührte ihn aber nicht. "Denk daran, dass es dann vorbei ist. Du musst nicht mehr leiden. Es ist das Beste für dich." Draco sank in sich zusammen und schüttelte den Kopf. "Bitte nicht", flüsterte er. "ich habe doch gesagt, dass ich nichts weiß", seine Stimme brach.
"Wir wissen, dass du deinen Vater schützen willst", sagte eine der Männer. "Aber es muss sein. Er ist der einzige Anhaltspunkt den wir haben. Er ist der einzige, der uns Informationen über die Dunkle Seite geben könnte. Seitdem auch noch das Ministerium korrupt ist, müssen wir jede Spur nutzen, die wir haben."
"Ihr wollt meinen Vater einsperren!" fauchte Draco. "Aber das lasse ich nicht zu. Ich nehme euer Serum nicht!"
Im selben Moment packte ihn auch schon einer der zwei Männer. Er war unglaublich stark und obwohl sich Draco wehrte wie eine Raubkatze, konnte er sich nicht befreien. Nach einem kurzen Kampf hatte ihn der andere auf den Stuhl verfrachtet, den Draco bereits kannte. Seine Arme und Beine wurden festgeschnürt, so dass er sich nicht mehr bewegen konnte. Snape händigte dem Mann widerwillig eine kleine Flasche mit einer durchsichtigen Flüssigkeit aus. Dann drehte er sich weg.
Draco presste die Lippen fest aufeinander und drehte den Kopf zur Seite, als der Mann sich mit dem Serum näherte, aber er hatte keine Chance. Während der eine Mann mit starken Händen seinen Kopf festhielt, hielt ihm der andere die Nase zu und als Draco den Atem nicht länger anhalten konnte, flößte er ihm zwei Tropfen ein.
Draco fühlte wie sich Kälte in ihm ausbreitete. Es war als würde Blausäure durch seine Adern fließen. Er fühlte sich als würde er von innen her aufgeschnitten, als würde sein Innerstes nach Außen gekehrt, als würde ihm seine Haut geraubt. Er wand sich in seinem Stuhl, und versuchte sich dagegen zu wehren. Das hier war schlimmer, als die Schmerzen. Alle Schmerzen konnte man wegdenken, aber nicht dieses Gift, das durch ihn hindurchströmte. Er konnte fast körperlich spüren, wie es in seinem Gehirn ankam und sich ausbreitete. Schon jetzt fühlte er sich so schwach und aufgebrochen, dass er glaubte jede Willenskraft verloren zu haben. Sicherlich würde er nicht mehr die enorme Beherrschung aufbringen, die es kostete zu lügen und das Schlimmste war, dass er plötzlich nicht mehr wusste, warum er überhaupt lügen wollte. Er hatte vergessen, warum es so wichtig war, manche Dinge in seinem Inneren zu verschließen und nicht an die Oberfläche gelangen zu lassen. Er fühlte sich eiskalt und völlig schutzlos.
Aber dann fühlte er noch etwas anderes. Von der Stelle oberhalb seines Solar Plexus breitete sich Wärme in ihm aus.
