Bankraub

2. Die fünfte Mumie

In der Mitte zwischen den anderen Särgen lag ein einzelner, mit schwarzen Flügeln verziert, die links und rechts an der Seite bis zu den Füßen reichten. Er wirkte durch seine schwarze und weiße Bemalung irgendwie trist und langweilig. Rath aber sprang vor Freude um den Sarkophag wie ein kleines Kind, hörte aber sofort damit auf, als Nefertina und Presley in den Raum kamen. Dann ging er und öffnete vorsichtig den Deckel. Im Inneren des Sarkophages blinzelte eine andere Mumie, öffnete die Augen und sprang vor Schreck aus ihm heraus und rief: "Eine Mumie!" Mit schreckgeweiteten Augen, in Angriffshaltung und wie es aussah mit einem unglaublichen Herzrasen stand die fremde Mumie Rath gegenüber. Als aber ihr Blick auf den Holzkasten, aus dem sie grade rausgesprungen war und auf die eigenen verbundnen Arme und Beine fiel, wurde sie ruhiger und setzte ein Grinsen auf.

Jetzt kamen auch Armon und Ja-kal, welche die neue Mumie, die sich Siptah nannte, aufmerksam musterten. Er war sowohl vom Alter her als auch von der Größe zwischen Nefertina und den anderen gelegen. Das bedeutet, er war fast jung, um eine echte Hilfe zu sein, und sah außerdem ziemlich klein und schmächtig aus. Um den Kopf hatte er die Bandagen gewickelt, doch an seinem Hinterkopf war eine Stelle frei, an der ein langer grauer Zopf herauslugte und bis weit über die Schultern reichte. Er wirkte schmutzig, aber hellhäutig, obwohl man anhand seiner jetzt grauen Hautfarbe nicht mit Bestimmtheit sagen konnte, welche Färbung seine Haut früher gehabt haben mag. Alles in allem allerdings wirkte er wie ein gesunder junger Mann, und es war eine Frage, woran er wohl gestorben sein mochte.

"Fertig", fragte Siptah ungeduldig nach einigen Minuten der Musterung. Alle, einschließlich Presley, sahen weg, und Ja-kal ging zu dem Fremden hin und reichte ihm die Hand zur Begrüßung: "Hallo, mein Freund. Ich bin Ja-kal und das sind unser werter Prinz Rapses, Armon, Rath und Nefertina."

Siptah grüßte alle wortlos mit einem nicken, nur Nefertina starrte er einige Sekunden böse an, bevor er an Ja-kal gewandt meinte: "Ich weiß schon. Ich habe bei Ra etwas gut zu machen, ich soll euch helfen!" Ja-kal nickte und musterte ihn noch mal demonstrativ. Dann nickte er ihm zu und meinte: "Wir haben ein Problem mit Rapses' Auge des Ra. Es wurde von Scarab gestohlen und in einer Bank gelagert. Ich schätze, du sollst es da raus holen!"

Ein fieses Grinsen erschien auf Siptahs Lippen: "Scarab? Wird Zeit, dass auch er mal bestohlen wird." Die anderen sahen ihn verständnislos an, und nur Nefertina fand es an der Zeit, nun noch mal schlafen zu gehen, allerdings ging sie Richtung Wohnzimmer, damit die anderen sie nicht störten. Siptah blickte ihr mit bösem Blick hinterher.

"Sei nett zu ihr", befahl Ja-kal dem Neuen scharf, "sie ist ein guter Leibwächter für Rapses." - "Aber ein schlechter Streitwagenfahrer", musste Rath einfach hinzufügen, worauf er einen bösen Blick von Ja-kal erhielt. Natürlich war er von ihren Fahrkünsten nicht sonderlich begeistert, aber im Moment ging es darum, einen Freund vor anderen zu verteidigen. Es dauerte eine Weile, bevor er sich gefangen hatte und wieder wusste, was er eigentlich wollte: "Woher kennst du Scarab?"

Siptah rümpfte die Nase und wollte dadurch bewusst arrogant wirken, als er meinte: "Ich habe früher für ihn gearbeitet!" - "Und woran bist du dann gestorben", fragte Rath und kam näher zu den beiden anderen Männern, "wurdest du als sein Gehilfe hingerichtet?" - "Blödsinn", herrschte ihn Siptah scharf an, dann aber grinste er breit, "er selbst hat mich mit in den Tod gerissen, als er euch ausschalten wollte."

Ja-kal hob die Augenbrauen, sagte aber nichts, sondern ging ein Stück Richtung Wohnzimmer, blieb dann aber stehen und rief: "Nefertina, komm, wir wollen fahren!" Dann drehte er sich zu Rath und Siptah um und meinte: "Wir wollen die Sache doch schnell hinter uns bringen, oder?" Die beiden nickten.

Rath sah zu dem neben ihm stehenden Mann und fragte leicht schnippisch: "Ich wüsste zu gern, was dich als eine gute Hilfe auszeichnet." - "Ich war der beste Grabräuber, den Ägypten je gesehen hatte", sagte Siptah und war eindeutig sehr stolz darauf, "und wie gesagt, Ra würde mich mit Sicherheit dafür vernichten, was ich seinen anderen Söhnen angetan habe, wenn ich nicht diesem letzten hier helfen würde."

Diese kühle berechnende Art machte sogar Rath ein wenig Angst, aber dann beschloss er, er würde mit ihm wohl doch ganz gut auskommen, eben aus dieser Sprechweise heraus. Außerdem war ihm grade klar geworden, dass das Tier auf dem Sarkophag eine Elster darstellte, und er wusste nun auch zu gut, warum. Nefertina erschien nun endlich, sah aber deprimiert und auf irgendeine weise sauer aus, als sie zu Ja-kal meinte: "Könntet ihr nicht heute ohne mich fahren? Ich könnte hier bleiben und auf Presley aufpassen..."

Presley und Armon wechselten vielsagende Blicke. Niemals würde Nefertina eine Spaß verheißende Jagd mit dem Hotra quer durch die Stadt ablehnen. Armon machte schon den Mund auf, um die Vermutung zu äußern, dass man sie gegen einen gefühlslosen Shabti ausgetauscht hatte, als sich Siptah mal wieder einmischte und durch den ganzen Raum rief: "Wer ist den Presley? Ich dachte, ihr beschützt Rapses?" - "Ich heiße Presley", sagte Presley genauso laut, wie es Siptah zuvor getan hatte, "aber in mir ist Rapses wiedergeboren!" Siptah rümpfte nur erneut die Nase.

"Von einem einfachen Streitwagenfahrer kann man auch nicht erwarten, dass er den Unterschied zwischen einem Gefäß, in dem der Pharao steckt, und dem Pharao selber kennt", sagte er in verächtlichen Tonfall, "und von einer Frau schon gar nicht." Nach Nefertina wäre Siptah vermutlich im nächsten Moment tot, was heißt, entgültig tot, umgefallen, aber selbst ihr böser Blick half da nicht viel.

Ja-kal entgingen diese bitterbösen Blicke und Bemerkungen nicht, aber er wusste andererseits auch nicht, was er dagegen tun sollte, also versuchte er es zu ignorieren und meinte: "Alle Mann in den Hotra, wir fahren los!" Nefertina sah ihn mit einem mitleiderregenden Blick an: "Ja-kal... bitte!" Eine ganze Zeit überdachte er ihre Bitte, wog Vor- und Nachteile ab. Dann aber schüttelte er den Kopf: "Nein, tut mir leid. Wenn euch etwas passiert, habt ihr keine Möglichkeit mir uns Kontakt aufzunehmen!" -"Aber...", versuchte sie einzuwenden, aber ein wirklich triftiger Grund fiel ihr nicht ein.

Schweren Herzens seufzte sie und folgte Ja-kal in die Garage. Auf halben Weg trat Siptah an sie heran, und meinte grinsend: "Autoritätsprobleme?" - "Pass nur auf, dass ich der diebischen Elster nicht die Flügel stutze", fauchte sie zurück, während er nur darüber lachte und frage: "Du willst dich mit mir anlegen? Ein Mädchen, wie niedlich!"

Nun wurde es selbst Rath zuviel. So ungern er auch Nefertinas unverantwortliche Art hasste, desto mehr musste es eben Freundschaft sein, die sie verband. Und dieser Siptah wurde langsam aber sich nervig, also ging Rath zu Ja-kal und flüsterte: "Merkst du das nicht? Durch diese beiden Streithähne ist das Wohl unseres Prinzen wesentlich mehr gefährdet als durch Scarab, denn wenn einer von den beiden zu kämpfen anfängt... du kennst doch Nefertinas wilde Art? Und gegen diesen Widerling würde ich es ihr nicht mal übel nehmen?"

Ja-kal seufzte nur auf. Er konnte einerseits nicht das Risiko eingehen, irgendwo durch das Gestreite aufzufallen, andererseits konnte er Presley auch nicht mit der noch immer geschwächten Nefertina alleine lassen. Armon wollte er nicht dalassen, weil seine übermenschliche Stärke mit Sicherheit von Nutzen war, und Rath Magie brauchten sie bestimmt auch. Als Anführer musste er selbst natürlich da sein, wo es was anzuführen gab, und konnte nicht däumchendrehend in der Sphinx sitzen. Er hatte also wohl oder übel keine andere Wahl, als sowohl den Prinzen als auch Nefertina mitzunehmen.

"Wartet mal, wollt ihr so gehen", fragte Presley entsetzt und musterte seine verbundenen Freunde. Irgendwie hatten sie diesen Teil mit dem Umziehen unter dem ganzen Stress wohl vergessen, und so mussten sie zurück in die Wohnräume. Als sie all nach wenigen Minuten wieder da waren, ging die wilde Fahrt los.

Die wilde Fahrt? Das ganze Gegenteil war der Fall! Nefertina wollte an diesem Tag Siptah und vielleicht auch den anderen beweisen, dass sie zumindest 2/3 der Verkehrsschilder wirklich kannte. Presley war zu geschockt, um ihr die restlichen zu erklären. Auch zeigte es sich, dass der Hotra sogar weit unter 320 km/h fahren konnte, scheinbar sogar fast die zulässige Höchstgeschwindigkeit von etwa 50 km/h. Allen kam es vor, als würden sie nur so durch die Straßen San Franciscos schleichen. Das Gute daran war, dass sie nun aber auch nirgendwo gegen fuhren, sondern schön auf dem für Autos vorgesehenen Teil der Straßen blieben.

"Wir sollten sie schnell ins Krankenhaus bringen", flüsterte Armon in ängstlichem Tonfall Rath zu. Rath lachte nur auf und schrieb das alles sich selber zu: "Nein, endlich hat mein fortgesetztes Bemängeln ihrer Fahrkünste sie zur Einsicht gebracht!" - "Vielleicht ist ja auch nur der Hotra kaputt", fragte Armon naiv, und ging von dem für das Wohl seiner Freunde besten Zustand aus.

"Ich kann euch hören", knirschte Nefertina durch die Zähne, was die anderen sofort zum Schweigen brachte. Und so wurde es eine ungewohnt lange und ruhige Fahrt zur Bank. Dort wurde dann der Hotra in einer relativ schmalen Gasse abgestellt, und Ja-kal, Siptah und Presley gingen los, drinnen die Bank zu besichtigen. Immerhin brauchten sie erst mal eine Vorstellung, wie das Gebäude aufgebaut war, bevor Siptah sich an die Arbeit begeben konnte.

Zu erwähnen ist vielleicht auch, dass Scarab und Heka den Hotra sahen, als er durch die Straßen kroch, und sofort wollte er seine Shabtis holen, aber Heka hakte ein: "Scarab, siehst du denn nicht, wie langsam die fahren? Die wollen uns täuschen, wir sollen sie sehen, und sie bereiten währenddessen irgendwo einen hinterlistigen Plan vor." Dagegen konnte Scarab nun wirklich nichts sagen, denn auch er hatte schon Bekanntschaft mit der rücksichtslosen Fahrweise des königlichen Streitwagenfahrers gemacht, und statt den Hotra zu verfolgen, schickte er sich an, die Mumien zu suchen...

Aber zurück zu denen: Ja-kal ging nun an einen Schalter und machte der Frau dahinter klar, er wolle für seinen Sohn Presley ein Konto aufnehmen und dafür ein paar Informationen über verschiedene Banken einholen. So hatte es ihm sein Sohn gesagt, so sollte er vorgehen. Währenddessen stromerte Presley scheinbar als neugieriges Kind durch die Bank und skizzierte schnell einen Plan, der einige der Sicherheitsvorkehrungen hatte, auf die Hand. Auch die Karte, die die Notausgänge und so weiter enthielt, wurde schnell abgemalt, ohne das jemand davon auch nur die Spur einer Notiz genommen hätte. Siptah schlenderte an den Wänden entlang, klopfte scheinbar gelangweilt gegen einige von ihnen und konnte sich scheinbar an dem Klang ein genaues Bild von den Lüftungsschächten des Hauses machen.

Nach fünfzehn oder zwanzig Minuten verabschiedete sich Ja-kal dann von der hilfsbereiten Bankfrau, er wolle noch einige andere Banken unter die Lupe nehmen. Er sammelte seine beiden Gehilfen ein und zusammen ging es zurück zum Hotra. Zuerst malte Presley mit einem schwarzen Stift auf einen Block, den er extra mitgenommen hatte, den Grundriss des Gebäudes. Dabei malte er auch Details ein, die er sich nicht notiert, sondern nur gemerkt hatte. Als nächstes schrieb Ja-kal rote Kreise an die Stellen, an denen er Alarmanlagen und Kameras gefunden hatte, während er sich scheinbar interessiert im Gebäude umgesehen hatte. Als letzter malte Siptah mit blau die Höhlräume in den Wänden ein, die er rausgefunden hatte. So entstand ein alles in allem guter Plan von dem Bankgebäude.

Rath, Armon und Nefertina staunten nicht schlecht, was die drei in der kurzen Zeit alles geschafft hatten, während sie im Auto gewartet hatten. Die nächsten Stunden wurde ein Plan ausgearbeitet, wie man die Kameras klein kriegen würde, ohne von einer anderen gefilmt zu werden, wie man durch die Lüftungsschächte in den Tresorraum gelangen würde und wie man schnell genug sein würde, um der Polizei zu entgehen.

Da sich die Mumien nicht sicher waren, ob sie denn noch Fingerabdrücke hinterlassen würden, wurde Armon beauftragt, ein paar Gummihandschuhe zu kaufen. Er kam allerdings wie erwartet auch noch mit einem guten Dutzend Beefy Burger wieder.