Kapitel 7

Und so ging es weiter.

Jeden Tag holte er sie.

Jede Nacht regenerierte sie sich wieder.

Am sechsten Nachmittag war Lucius nur noch mit halbem Eifer bei der Sache.

Es begann, ihn zu langweilten.

Noch immer hatte sie ihm keinerlei Erfolgserlebnis beschert. Sie hatte ihm keinen einzigen Schmerzensschrei oder eine flehentliche Bitte um Gnade geschenkt.

Und noch immer erwiderte sie die gleichen verdammten Worte ‚Ich bin Yi Min' wenn er sie bedrängte zu offenbaren, wer sie war.

Lucius hatte sich das alles ganz anders vorgestellt. Er verlor so langsam die Lust daran, sie zu quälen. Was hatte es auch für einen Sinn, wenn sie jeden Tag aufs Neue wieder geheilt war und von seiner Folter keine Spur zu sehen war.

Es machte ihn wahnsinnig.

Er musste unbedingt erfahren, wie sie das alles zu Wege brachte.

Wut kochte in ihm hoch.

Solange sie in der Folterkammer war, hatte sie, wie auch schon in den vergangenen Tagen, ihre Augen geschlossen gehalten.

So auch heute.

Er knurrte unwillig, trat an sie heran, packte sie an den Haaren und zwang sie, ihr Gesicht zu ihm zu erheben.

„SIEH MICH AN!!!" herrschte er sie an.

Und tatsächlich öffnete sie ihre Augen.

Er erschrak.

Ihre Augen waren pechschwarz. Nicht nur die Iris, das gesamte Auge war schwarz.

Es war als blickte man in zwei nicht enden wollende, alles verschlingende schwarze Löcher.

Er schauderte.

Dann begriff er.

Er konnte sie mit Schmerzen nicht erreichen. Er wusste nicht wie sie es zuwege brachte, aber ihr Geist war hinter einer mentalen Barriere verborgen.

Lucius dämmerte, dass durch diese Barriere keinerlei Schmerzempfinden in ihr Bewusstsein drang.

Ihm wurde auch bewusst, dass es keinen Zweck hatte , sie noch weiter zu foltern. Damit konnte man sie nicht brechen.

Er musste sich etwas anderes einfallen lassen.

Doch zuerst einmal beendete er das hochnotpeinliche Verhör für heute, löste ihre Fesseln und schleppte sie in ihr Zimmer zurück.

Dann begab er sich in sein Arbeitszimmer. Immer noch wütend über seine Niederlage stapfte er lange Zeit im Zimmer auf und ab.

Es musste doch irgend etwas geben, womit sich der Wille dieser Frau brechen ließ.

Wenn sie überhaupt eine Frau war.

Lucius war sich da nicht völlig sicher. Natürlich sah sie aus wie eine Frau.

Darüber hinaus war sie sogar eine sehr anziehende Frau. Die bleiche Haut, der zarte Körper, die herrlichen schwarzen Haare, ihr feingeschnittenes Gesicht. Und zuletzt: ihre ungewöhnlichen grünen Augen.

Ihre katzenhaften Bewegungen waren bezaubernd. Ihre Stimme klang so süß wie dunkler Honig.

Sie hatte bestimmt schon vielen Männern den Kopf verdreht.

Abrupt blieb Lucius stehen.

Sein Ärger war verraucht und er erwischte sich selbst dabei, wie er mit einem wissenden Lächeln ihre Vorzüge aufzählte und sie dabei vor seinem inneren Auge mit Blicken verschlang.

Unwillig schüttelte er den Kopf.

Das durfte nicht wahr sein.

Jetzt fühlte er sich schon körperlich zu ihr hingezogen.

Zu ihr!

Muggel, Nicht-Magier, Höllenbrut, was immer sie auch war.

Jedenfalls nicht seinesgleichen.

Mit einem wütenden Aufschrei rannte er aus dem Zimmer, stürmte die Treppen hinauf und den Gang entlang bis zu ihrem Zimmer.

Er hob den Siegelzauber auf, entriegelte die Tür und stapfte hinein. Er fand sie mit gekreuzten Beinen mitten im Raum sitzend.

Ihre Hände waren wie zum Gebet gegeneinander gepresst und ihre Augen waren geschlossen.

Mit einem Blick erfasste er, dass die Wundmahle von der heutigen Folter bereits wieder verschwunden waren.

Wie zum Teufel machte sie das nur?

Als sie ihn hereinstürmen hörte öffnete sie die Augen und sah zu ihm auf.

Sie sprach allerdings kein Wort.

Das machte ihn noch wütender.

Wütend auf sie, weil sie ihn mit ihrer vermeintlichen Gelassenheit bis aufs Blut reizte und über sich selbst, dass er diese verstörenden Gedanken über sie gehabt hatte.

Er trat zu ihr, packte sie an einem Handgelenk und riss sie auf die Füße.

Dabei bemerkte er, das ein wenig weißes Pulver von ihren Handflächen fiel, war aber zu aufgebracht, um sich weiter darum zu kümmern.

„Komm mit" knurrte er und zerrte sie hinter sich her.

Der Weg führte wieder hinunter in die Gewölbe von Malfoy Manor.

Neben seiner Folterkammer hatte Lucius noch eine kleine Kammer eingerichtet, die sich vortrefflich als Gefängnis eignete.

Die Kammer war klein, hatte eine niedrige Decke und war nur spärlichst möbliert.

Was hieß, es standen eine schmale Pritsche und ein kleiner Hocker darin.

Sonst nichts.

Hierhin führte er Yi Min und kerkerte sie in diesem dunklen Loch ein.

Als er die Tür wieder von außen verriegelt hatte starrte er einen kurzen Augenblick auf das Holz.

„Mal sehen, wie gut dir zwei Tage ohne Essen oder Wasser tun. Vielleicht bist du dann vernünftig und erzählst mir endlich alles" zischte er.

Dann stapfte er wieder zurück nach oben.

In den folgenden zwei Tagen war Lucius unausstehlich. Er herrschte seine Bediensteten ständig grundlos an, nichts konnte man ihm Recht machen. Zum Schluss huschten sie wie ängstliche Mäuse davon, sobald sie ihn von Weitem kommen sahen.

Die arme Martha konnte sich seinen Launen leider nicht so leicht entziehen wie die anderen, denn sie war für das Funktionieren des Malfoyschen Haushalts zuständig und somit dazu verdammt, immer wieder mit ihrem Herrn zusammen treffen zu müssen.

Und Lucius war wirklich in übelster Laune.

Er ließ einiges davon an seiner bemitleidenswerten Haushälterin aus. Doch Martha war schon sehr lange im Dienst der Malfoy-Familie und an seine unkontrollierten Ausbrüche einigermaßen gewöhnt.

Doch so unberechenbar und grausam hatte sie ihren Herrn noch nie erlebt. Sie hoffte, dass diese Phase bald vorüber sein würde.

Spät am Abend des zweiten Tages hielt es Lucius nicht mehr aus.

Er musste wissen, was mit seiner Gefangenen war.

Es war ein milder Frühlingsabend gewesen und er hatte die Ärmel seines weiten weißen Hemds bis zum Ellbogen hinaufgekrempelt.

Dazu trug er enge schwarze Hosen und Reiterstiefel, die bis zum Knie reichten.

Sein silberweißes, langes Haar hielt er mit einem schwarzen Band im Nacken zusammen.

Nach dem Dinner hatte er sich den Abend mit einer eigentlich recht angenehmen Lektüre eines Handbuchs für den Einsatz von allerlei Giften vertrieben.

Lässig lag er halb in seinem Ledersessel, die Füße nachlässig auf den Tisch gelegt.

Doch er konnte sich nicht richtig auf das Buch konzentrieren.

Immer wieder schweiften seine Gedanken ab, hinunter in den Keller zu seiner Gefangenen.

Die Standuhr in seinem Arbeitszimmer schlug Mitternacht.

Mit einem Unmutslaut schlug er das Buch zu, warf es achtlos auf den Tisch und erhob sich.

Er zündete die Kerzen an einem silbernen Kandelaber an und machte sich damit auf den Weg in den Keller.

Kurz darauf war er am Verließ angekommen.

Mit der freien Hand entriegelte er die Tür und trat in den kleinen Raum dahinter.

Die Kerzen warfen ein flackerndes Licht an die dunklen Wände.

Vor ihm auf der kargen Pritsche lag seine Gefangene und rührte sich nicht.

Er trat näher.

Er ging vor der Pritsche in eine hockende Stellung und schwenkte den Kerzenleuchter etwas näher, damit er ihr Gesicht genauer erkennen konnte.

Die zwei Tage ohne Nahrung und Wasser hatten ganz offenbar ihre Spuren hinterlassen.

Er zog den Hocker etwas heran und stellte den Kandelaber darauf, damit er beide Hände frei hatte.

Man konnte ja nie wissen.

Doch sie rührte sich nicht.

Ihr Atem ging flach und ihre Augenlider flackerten fiebrig.

Vorsichtig streckte er eine Hand aus und berührte ihre Stirn. Die Haut war kalt. Eisig kalt.

Schnell zog er seine Finger wieder zurück.

Wenn er ihre Atemzüge nicht gehört hätte, er hätte angenommen sie sei tot.

Noch immer schien sie seine Anwesenheit nicht bemerkt zu haben.

Er betrachtete sie genauer.

Ihre Haut, ja ihr ganzes Aussehen waren irgendwie verändert. Es hatte fast den Anschein, als blickte er auf eine weiße Blume hinunter, der man das Wasser entzogen hatte.

Ja, dieser Vergleich traf am ehesten zu.

Sie machte wirklich einen verwelkten Eindruck. Es versetzte ihm einen leichten Stich, sie so vor sich zu sehen.

Dabei war er allein für ihren Zustand verantwortlich.

„Yi Min?" rief er leise.

Sie rührte sich matt und stöhnte leise.

„Yi Min!" sagte er etwas lauter und rüttelte sie leicht an der Schulter.

Diesmal reagierte sie und schlug die Augen auf.

In ihrem Blick stand das Leid deutlich geschrieben.

Lucius stutze.

Auch einem Muggel hätten zwei fast volle Tage ohne Wasser und Nahrung erheblich zugesetzt. Aber nicht in dem Maße, wie es bei ihr der Fall war.

„Sag mir endlich was ich wissen will und du bekommst soviel zu trinken und zu essen wie du willst" schmeichelte er.

Beim Wort Trinken hatten ihre Augen kurz hoffnungsvoll aufgeleuchtet doch dann war die Kälte wieder in sie zurückgekehrt.

„Du wirst von mir nichts erfahren, du erbärmlicher Wicht" flüsterte sie. Ihre Stimme klang wie das Rascheln von trockenem Laub.

Dennoch war ihr Widerspruchsgeist offenbar noch immer nicht gebrochen.

Wütend schlug Lucius mit einer Faust vor ihr auf die Pritsche.

Doch was dann passierte, damit hatte er nicht rechnen können.

In den vor ihm liegenden, vermeintlich schlaffen Körper war plötzlich Bewegung gekommen. Ihre Hände schnellten blitzartig vor und packten seinen Arm.

Die Härte ihres Griffs erstaunte ihn.

Langsam hob sie den Kopf und zog seinen Arm zu sich.

Und dann biss sie in das Handgelenk. Ihre Zähne durchdrangen die Haut fast mühelos und Blut quoll hervor.

Mit einem Aufschrei wollte sich Lucius von ihr losreißen doch es gelang ihm nicht.

Der Griff ihrer Hände glich einem Schraubstock.

Hilflos musste er mit ansehen, wie sie Blut aus der Wunde trank.

Doch schon nach einem kurzen Moment hörte sie wieder damit auf, hob den Kopf, und stieß ihn schließlich hart von sich.

Lucius landete unsanft auf seinem Hinterteil und kroch noch ein wenig weiter von ihr weg.

Entsetzt starrte er sie an.

Langsam setzte sie sich auf der Pritsche auf.

Sein Blut färbte ihre Lippen.

Ein Ausdruck des absoluten Abscheus und Ekels lag auf ihrem Gesicht.

„Was hast du mir angetan?" schrie sie ihn an.

„Du hast mich dazu gebracht, unreine Energie in mich aufzunehmen".

Bestürzt starrte er sie an.

Was hatte sie denn auf einmal? Es stand ja wohl außer Frage, dass wohl eher er derjenige war, der aufgebracht sein durfte. Schließlich hatte nicht er ihr sondern sie ihm die Adern am Handgelenk geöffnet.

Blut zu trinken war nun nicht unbedingt weit verbreitet aber man würde es wohl kaum als unreine Energieaufnahme bezeichnen. Und sein Blut konnte man ja auch kaum als unrein ansehen.

Der verwelkte Ausdruck war verschwunden.

Im Gegenteil.

Sie bebte vor Zorn und ihr Hass auf ihn strahlte förmlich aus jeder ihrer Poren.

Lucius rappelte sich auf und trat noch einen Schritt zurück als sie sich vollends von ihrem Lager erhob und auf ihn zuging.

Einem Impuls folgend wollte er sich umdrehen und das Weite suchen doch sie streckte einen Finger aus und rief „immobilus".

Lucius erstarrte mitten in der Bewegung.

Verzweifelt versuchte er sich zu rühren doch es gelang ihm nicht. Die Erstarrung war nicht allumfassend, reichte jedoch vollkommen aus.

„Das kann nicht sein." quetschte er zwischen den Zähnen hervor.

„Woher hast du die Macht mich erstarren zu lassen?"

„Von dir" antwortete sie.

Lucius war bestürzt.

„Wie ist das möglich?" fragte er.

„Ich habe dir ein wenig von deiner Magie entzogen. Zusammen mit deinem Blut" erklärte sie ihm.

Jetzt war er völlig verwirrt.

Wie konnte jemand über das Blut die magische Kräfte eines Zauberers entziehen? Er hatte noch von keinem Geschöpf, keinem Magier und von keiner Kreatur gehört, die dazu in der Lage war.

Dennoch ließ es sich nicht leugnen.

Er stand hier, erstarrt und ihr auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, während das Blut weiterhin aus der Wunde am Handgelenk sickerte.

Langsam kam sie auf ihn zu.

Wäre er nicht so verstört über das Geschehene gewesen, dann hätte er Freude darüber empfunden, sie endlich einmal Emotionen zeigen zu sehen. Sie sah in ihrer Wut nämlich bezaubernd aus.

Doch für solche Gedanken war jetzt nicht der geeignete Augenblick.

Er war ihr hier und jetzt völlig hilflos ausgeliefert.

Kein sehr angenehmes Gefühl.

„Du bist ein abscheuliches Monster!" schrie sie ihn an.

Dann spuckte sie ihm ins Gesicht.

Ihr von seinem Blut rot gefärbter Speichel rann über seine Wange.

Dann versetzte sie ihm noch eine schallende Ohrfeige.

Wutschnaubend verharrte sie vor ihm und funkelte ihn böse an.

Jetzt ging es ihm an den Kragen. Er wusste das.

Und er konnte nichts dagegen tun.

Nun, er wollte ihr auch nicht die Genugtuung verschaffen, ihn um Gnade flehen zu hören.

Dazu war auch er viel zu stolz.

Die Rollen hatten sich vertauscht.

Nun war er das Opfer und sie der Peiniger.

Für Yi Min war es ein ganz neues Gefühl.

Sicher, sein Blut hatte ihre reine Seele verunreinigt doch das würde wieder vergehen.

Sie hatte ja gar keine andere Wahl gehabt.

Sie war nahe daran gewesen, vor Durst zu vergehen.

Tashga'ahana benötigten sehr viel mehr Wasser zum leben als normale Menschen. Entzog man ihnen es, gingen sie schnell daran zugrunde.

Sie wusste nicht genau, ob es am Einfluss seines Bluts lag oder ob die Entbehrungen der letzten Tage sie so hart gemacht hatten.

Plötzlich hatte auch sie keinerlei Skrupel mehr, ihn Schmerzen erleiden zu lassen.

Trotzdem zögerte sie.

Sie war nicht so abgrundtief böse, um wie er daran Gefallen zu finden.

Unschlüssig umrundete sie ihn.

Es wäre ihr ein leichtes gewesen, sein Hemd zusammen mit der darunter liegenden Haut mit ihren Fingernägeln in Fetzen zu verwandeln.

Tashgan-Fingernägel waren so hart wie die Rinde des Ebenholzbaums. Es gab nicht viel, was diesen Nägeln gewachsen war.

Sie hatte ihn schon einmal gekratzt. Doch dort hatte sie seine Wange nur gestreift.

Wenn sie gewollt hätte, hätte sie ihm ein nicht unerhebliches Stück Haut heraus- reißen können.

Doch es lag nicht in ihrem Wesen, anderen aus Spaß Schmerzen zuzufügen.

Aber er hatte sie gequält und fast verdursten lassen.

Eine Strafe war hier wohl angebracht.

Nachdem sie ihn noch einmal umrundet hatte blieb sie vor ihm stehen und sah in sein Gesicht.

Es war unbewegt. Doch die blasierte Hochnäsigkeit war daraus verschwunden. Die Gesichtszüge waren dadurch erheblich weicher geworden.

Ihr fiel zum ersten Mal auf, dass ihr Peiniger eigentlich ein sehr anziehender Mann war. Die hellblauen Augen waren sehr ausdrucksvoll. Sie erinnerten an die Reinheit von Gletschereis ohne jedoch in diesem Augenblick Kälte zu verbreiten. Seine Gesichtszüge waren makellos, ausgesprochen aristokratisch. Das Leben hatte Spuren in Form von feinen Linien hinterlassen, sie sich wie ein Strahlenkranz um seine Augen zogen und feine Linien neben seinen Mundwinkeln deuteten an, dass er wunderschöne Grübchen haben würde, sollte er jemals freundlich lächeln. Sein Körper war schlank und wohlproportioniert.

Er beobachtete sie mit der gleichen Intensität wie sie ihn ansah.

Es war als belauerten sich zwei Raubtiere.

Plötzlich wurde ihr bewusst, in welche Richtung ihre Gedanken abgeschweift waren und sie schüttelte unwillig den Kopf.

„Dir ist bewusst, dass du eine Strafe verdient hast für das, was du mir angetan hast?" fragte sie ihn leise.

„Tu was du nicht lassen kannst" war alles was er erwiderte.

Nichts deutete darauf hin, dass er Angst hatte.

Das konnte daran liegen, dass er einfach zu arrogant und hochnäsig war um sich Gedanken über Angst zu machen.

Oder er war außerordentlich mutig.

Yi Min hatte das Gefühl, dass Letzteres auf Lucius zutraf. Sie konnte nicht umhin, seine Stärke ein wenig zu bewundern.

Dieser Mann war kein Vergleich zu den sanften, angepassten Tashgan-Männern, die sie von zu hause gewohnt war.

In diesem Magier wohnte eine ungewöhnliche Stärke und Willenskraft und sie sah, wie sich ihre eigene Stärke in ihm wiederspiegelte.

Das waren sehr verstörende Gedanken die ihr da durch den Kopf gingen.

Wenn sie ihn wirklich strafen wollte, dann musste sie es jetzt bald tun, denn ihr Ärger begann allmählich, sich in nichts aufzulösen.

Sie trat noch einmal um ihn herum und blieb dann vor seinem Rücken stehen.

Jetzt oder nie dachte sie.

Sie bog eine ihrer Hände zur Klaue und schlug zu. Sie zog ihm ihre Nägel einmal hart über den Rücken.

Er war kurz zusammengezuckt, als ihre Krallen ihn trafen.

Das Hemd löste sich in Streifen auf, deren Ränder sich durch das Blut aus den darunter liegenden Striemen rot färbten.

Die Kratzer, die diagonal über seinen Rücken liefen waren zwar tief aber nicht bedrohlich. Sie hatte ihm nur eine Lektion erteilen und ihn nicht für den Rest seines Lebens zeichnen wollen.

Er hatte keinen Laut von sich gegeben.

Sie trat wieder vor ihn hin.

Einige Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn doch seine Stimme klang gefasst.

„So, nun wie schmeckt dir dein Triumph über mich?" fragte er.

Sie überlegte einen kurzen Moment.

War es wirklich eine ernst gemeinte Frage oder wollte er sie damit nur verhöhnen?

Sie wollte schon aufbrausen und ihn anschreien, dass das noch lange nicht alles gewesen war.

Doch sie wusste, das war nicht das, was sie wollte.

Und so erwiderte sie wahrheitsgemäß: „So wenig wie mir dein Blut schmeckt".

Hätte Lucius eine Augenbraue in die Höhe ziehen können, er hätte es getan.

Mit dieser Antwort hatte er nun wirklich nicht gerechnet.

Es überraschte ihn aber er konnte darin keine Schwäche sehen.

Er fühlte fast so etwas wie Stolz auf sie auch wenn ihn das verwirrte. Irgendwie war es ihm lieber, dass aus ihr keine so grausame Bestie wurde, wie er die ganzen Jahre immer gewesen war.

Das war natürlich keine ganz uneigennützige Anwandlung, das musste er sich eingestehen, denn er war schließlich immer noch in Ihrer Gewalt und konnte sich nicht wehren.

„Wie wäre es mit einem Waffenstillstand?" fragte er versöhnlich.

„Ein Waffenstillstand? Wie meinst du das?" fragte sie verwirrt.

„Du hast mir gezeigt, dass du dich sehr wohl deiner Haut zu wehren weist. Ich will zwar nicht so weit gehen und behaupten wir wären einander ebenbürtig, aber ich sehe, dass auch du in der Lage bist, anderen Leid zuzufügen. Damit sind wir, denke ich, quitt. Ich gebe dir mein Wort als reinblütiger Magier, ich werde nicht wieder die Hand gegen dich erheben. Können wir uns nicht wie zivilisierte Personen benehmen?"

Zivilisiert?

Das war ein Witz.

Sie musste gegen ihren Willen lachen.

Ausgerechnet ein Mann, der sie über eine Woche lang gequält hatte, sprach plötzlich von zivilisiertem Verhalten.

Die ganze Angelegenheit hier bekam einen etwas merkwürdigen, fast schon surrealistischen Touch.

Es war natürlich den Umständen zuzuschreiben, in denen er sich hier und jetzt befand, dass er auf einmal die weiße Fahne schwenkte und ein Friedensangebot machte.

Denn er war ihr hier ausgeliefert.

Das würde trotzdem keinen besseren Menschen aus ihm machen.

Denn dass er sich von Grund auf geändert hatte, daran glaubte sie keine Sekunde.

Doch sie war es leid. Sie hatte wirklich keinen Spaß daran, derart Macht über andere auszuleben.

„remobilus" sagte sie und berührte ihn leicht mit der Fingerspitze.

„Ah, danke" seufzte er und versuchte, seine von der Erstarrung verspannten Muskeln zu lockern.

Doch dadurch brachen die bereits verkrusteten Kratzspuren wieder auf und er stöhnte schmerzerfüllt auf.

Yi Min konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Lucius war wohl doch nicht so hart im Nehmen wie er gern sein wollte.

„Wollen wir diesen unwirtlichen Ort jetzt nicht verlassen?" fragte er höflich.

Dieser Mann hatte wirklich 1000 Gesichter. Und immer eine Überraschung parat.

Vollkommen unberechenbar.

Es war weiterhin größte Vorsicht geboten.

Jetzt war er wieder der höfliche, aufmerksame Gastgeber.

„Warum nicht" erwiderte sie und sie verließen zusammen das kalte Kellergewölbe.

Er geleitete sie auf Ihr Zimmer und versprach, gleich mit Essen und Wasser für sie zurückzukommen.

Dies tat er dann auch in erstaunlicher Kürze.

Dankbar nahm Yi Min das Wasser entgegen und stillte erst einmal ihren immer noch brennenden Durst. Außerdem wollte sie den metallischen Geschmack aus ihrem Mund loswerden, den sein Blut hinterlassen hatte.

Sprachlos sah er zu, wie innerhalb von wenigen Augenblicken eine ansehnliche Menge Wasser durch ihre Kehle rann.

Sie musste wirklich kurz vor dem Verdursten gewesen sein.

Das versetzte ihm wieder einen Stich.

Er war dafür verantwortlich. Doch er konnte das Geschehene nicht rückgängig machen. Er konnte es ihr jetzt nur so bequem wie möglich machen.

Es überraschte ihn, wie schnell sich seine Lust daran ihr Leid zuzufügen, in das genaue Gegenteil verwandelt hatte.

Jetzt wollte er nur ihr Bestes.

Plötzlich merkte er, wie sich ein verstörender Gedanke in seinen Geist stahl.

Er wollte zu ihr hinübergehen, ihr das Haar von der Schulter streichen und ihren Hals küssen.

Er war bestürzt.

Das konnte doch einfach nicht war sein.

Er wollte nur noch weg von hier.

„Ich lasse dich jetzt allein. Du bist sicher müde und möchtest dich ausruhen" mit diesen Worten rannte Lucius beinahe aus ihrem Zimmer.

Die Tür fiel ins Schloss. Doch kein Schlüssel knackte darin.

Er hatte sie also nicht wieder eingeschlossen.

Yi Min blickte noch einen Moment auf das glänzende Holz der Türe.

Das war in ihn gefahren?

Er war ja beinahe aus dem Zimmer gerannt.

Doch sie war zu hungrig und zu müde, um sich weiter Gedanken darum zu machen.

Morgen war auch noch ein Tag.

To be continued...