Kapitel 13
Es dauerte ein paar Stunden bis bemerkt wurde, was Draco mit der Einrichtung seines Zimmers angestellt hatte.
Nach dem Bad hatten Yi Min und Lucius sich wieder in dass herrschaftliche Schlafzimmer zurück gezogen und kosteten die wiedergewonnene Nähe des anderen weiter aus.
Am frühen Nachmittag wurden sie jedoch von einer etwas verängstigt dreinblickenden Martha gestört und es bedurfte einiger Drohungen seitens Lucius, die ganze Geschichte aus ihr heraus zu bekommen.
Als Lucius erfuhr was sein Sohn angerichtet hatte, wurde er zornig und verließ umgehend das Zimmer, um mit seinem Nachwuchs ein ernstes Wort zu wechseln.
Als Yi Min Lucius' Gesichtsausdruck sah musste sie zugeben, dass sie heilfroh war, diesmal nicht das Ziel des drohenden Unwetters zu sein.
Lucius' ganze Haltung und das eisige Glitzern in seinen Augen vermittelten einem den Eindruck einer heraufziehenden Sturmfront mit allem was dazu gehörte. Blitz, Donner und Hagel.
Yi Min war sich sicher, dass in den nächsten Stunden wohl keiner freiwillig in den Schuhen von Draco Malfoy stecken wollte.
Und wirklich, es gab eine höchst hässliche Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn, deren Lautstärke fast das Haus erzittern ließ.
Da Yi Min nicht das Zimmer verlassen wollte, aus Angst, einem der Streithähne zu begegnen –vorzugsweise nicht dem jüngeren-, blieb ihr nichts anderes übrig als zu bleiben wo sie war.
Die Stunden des Nachmittags zogen sich scheinbar endlos dahin.
Erst als die Sonne bereits seit einer Weile untergegangen war, erschien Lucius wieder im Schlafgemach.
Er war wortkarg und seine Laune hatte sich anscheinend noch nicht wesentlich gebessert.
Darüber hinaus umgab ihn eine Aura der Dunkelheit, welche Yi Min ein Frösteln über die Haut jagte. Wie wollte gar nicht so genau wissen, was er in den letzten Stunden gemacht hatte.
Nachdem sich Lucius im Bad etwas erfrischt und neue Kleidung übergezogen hatte, ließ er sich aufseufzend in einen der Sessel am Fenster nieder. Yi Min hatte es ich auf dem ihm gegenüberliegenden Sessel bequem gemacht.
„Unser kleiner Ausflug in den Garten ist nicht unbemerkt geblieben" begann er auf einmal.
Yi Min zuckte etwas zusammen.
Nicht weil sie sich schämte, dass sie offenbar Zuschauer gehabt hatten. Nein, sie wusste auch ohne Lucius Bestätigung genau, wer sie beobachtet hatte. Ihr Instinkt hatte sie also nicht im Stich gelassen.
Yi Min antwortete nicht sondern sah Lucius nur an.
„Draco hat uns gesehen. Er hat mir bittere Vorwürfe deswegen gemacht".
„Und was willst du jetzt tun?" fragte sie.
„Ich habe schon etwas getan. Ich habe Draco sofort wieder von James nach Hogwarts bringen lassen."
„Was bildet sich dieser Bengel nur ein? Wie ich mein Leben führe und mit wem ich es teile geht dieses verzogene Scheusal einen Dreck an" ereiferte er sich ungehalten.
„Lass ihn doch, Lucius. Er ist jung und unerfahren. Außerdem spielen zur Zeit auch wahrscheinlich seine Hormone etwas verrückt" erwiderte sie.
Seine Mundwinkel zuckten.
Er wollte eigentlich nicht lachen, da er sich immer noch über seinen unmöglichen Sohn aufregte, aber er konnte nicht anders.
Aus dem Schmunzeln wurde ein Lachen.
„So wie du das sagst, könnte man glatt annehmen, dass es sich nur um eine Bagatelle, einen unbedeutenden Jungenstreich gehandelt hat" sagte Lucius, nachdem er sich wieder etwas gefangen habe.
„Ja. Und nichts weiter ist es auch. Vergiss es einfach. Es ist nicht wichtig" versuchte sie ihn zu beschwichtigen.
„Du hast gut reden. Draco hat fast die gesamte Einrichtung seines Zimmer demoliert".
„Und wenn schon. Es sind nur Gegenstände. Nichts wirklich wichtiges. Darüber hinaus erinnert es mich auch ein wenig an etwas, was sein Vater erst vor kurzem getan hat" bemerkte sie und spielte dabei auf das Tischchen in Lucius' Arbeitszimmer an, das unter ähnlichen Umständen zu Bruch gegangen war.
Lucius musste wider Willen schmunzeln.
„Warum bist du so darauf bedacht, mich milde zu stimmen?" fragte Lucius dann doch etwas argwöhnisch.
„Er ist dein Sohn. Er ist von deinem Blut".
„Ja das ist er" erwiderte Lucius mit einem Seufzen.
„Leider".
Damit endete das Gespräch über Malfoy Junior und sie wandten sich anderen Themen zu.
Zum Dinner gingen sie hinunter in den Salon und nach dem Essen plauderten sie noch eine Weile ganz zwanglos.
Lucius genoss ihre Gegenwart in vollen Zügen.
Seine Wut war verraucht, er fühlte sich wieder frei und lebendig.
Wie immer wenn er in ihrer Nähe war.
Ihm wurde bewusst, dass es nicht nur die körperliche Anziehungskraft war, die ihn an Yi Min faszinierte. Es war auch ihr überaus wacher Geist. Man konnte sich wirklich sehr gut mit ihr unterhalten. Sie hatte zu fast jedem Thema etwas Geistreiches zu sagen und ein intellektuelles Gespräch schätzte Lucius genauso sehr wie er es genoss, ihren Körper zu spüren.
Sie diskutierten weiter und es war wirklich sehr anregend.
Die Zeit verging viel zu schnell.
Irgendwann klopfte es und eines der Dienstmädchen trat schüchtern ein.
„Ein Eulenkurier hat dies gerade gebracht" sagte sie leise, gab Lucius einen Umschlag und huschte wieder von dannen.
Lucius öffnete den Brief mit einem Stirnrunzeln und überflog die Nachricht.
Dann fluchte er.
„Was ist? Schlechte Nachrichten?" fragte Yi Min.
„Wie man es nimmt. Ich muss leider morgen weg" erklärte er.
„Weg? Wohin?".
„Ins Ministerium. Der Rat hat eine Sondersitzung einberufen. Weis der Himmel wofür das wieder gut sein soll. Aber leider muss ich daran teilnehmen." knurrte Lucius.
„Das klingt doch eigentlich gar nicht so schlimm. Und so lange wird es bestimmt auch nicht dauern".
Lucius gab ein ironisches Schnaufen von sich.
„Von wegen. Du hast ja keine Ahnung. Diese unfähigen Nebelkrähen ihm Rat ziehen solche Sitzungen immer ewig in die Länge. Es ist todlangweilig. Und ich fürchte, es wird wieder den ganzen Tag und wahrscheinlich auch die Nacht dauern" erklärte er.
„Was mich daran am meisten stört ist, dass ich dich einen ganzen langen Tag nicht in meiner Nähe habe".
„Soll ich mitkommen?" fragte Yi Min und staunte darüber, dass sie diese Frage überhaupt gestellt hatte. Sie hatte eigentlich überhaupt kein Verlangen danach, schon wieder irgendwelchen wildfremden Evgrin's über den Weg zu laufen.
„Nein, das geht leider nicht. Ich kann dich dahin nicht mitnehmen. So gern ich es auch würde" erwiderte Lucius.
Yi Min musste ein erleichtertes Aufseufzen unterdrücken.
Doch dann wurde ihr bewusst, dass auch sie ihn morgen höchst wahrscheinlich vermissen würde.
Die Verbindung, die zwischen ihnen bestand, war auch für Yi Min sehr anregend.
Sowohl in geistiger wie auch in körperlicher Hinsicht.
Bei diesen Gedanken stahl sich ein wissendes Lächeln in ihr Gesicht.
Lucius bemerkte es und musste seinerseits lächeln.
Offenbar dachte sie gerade an etwas sehr angenehmes.
Ihr Blick war kurz in die Ferne gerichtet gewesen, doch als sich ihre Augen wieder auf ihn richteten, glühte ein grünes Feuer darin.
Jetzt war er sich sicher, in welchen Bahnen sich ihre Gedanken wanden.
„Wollen wir nach oben gehen?" fragte er ganz unschuldig. Sein Blick jedoch war alles andere als unschuldig.
Verzehrender Hunger lag darin.
„Oh, eine wundervolle Idee" erwiderte sie huldvoll.
Doch dann blitze der Schalk hervor, sie sprang auf und versteckte sich hinter der Sessellehne.
„Fang mich doch" forderte sie ihn auf.
Lucius ging auf das Spiel ein, obwohl ihm unter normalen Umständen nie in den Sinn gekommen wäre, wie ein verliebter Halbstarker herumzutoben. Doch nun jagten sie sich wie zwei verspielte Welpen durchs Zimmer, die Treppen hinauf bis ins Schlafzimmer und er konnte nicht umhin zuzugeben, dass es ihm Spaß machte.
Der Morgen war nach einer Nacht voll Leidenschaft und wenig Schlaf viel zu schnell gekommen.
Während Yi Min wieder den Tag im Garten begrüßte machte sich Lucius fertig zur Abfahrt ins Ministerium.
Schmunzelnd dachte er daran, was sie in der vergangenen Nacht alles unanständiges angestellt hatten und die Flamme der Leidenschaft flackerte wieder auf. Jedoch nur sachte, denn er riss sich zusammen da er sich unverzüglich auf den Weg machen musste.
Dennoch würde die Erinnerung an die Glut der letzten Nacht, die zu erwartenden öden Stunden im Rat etwas leichter ertragen lassen und er war Yi Min sehr dankbar dafür.
Liebevoll beobachtete er ihren Tanz durchs taufeuchte Gras und freute sich darauf, sie bald wieder in seinen Armen zu halten.
Ihm wurde bewusst, dass er mittlerweile nur noch positive Emotionen wie Freude und echte Zuneigung für Yi Min empfand. Gefühle, die lange lange Zeit in ihm unter Grausamkeit und Niedertracht verschüttet gewesen waren und von denen er gar nicht gewusst hatte, dass er sie noch empfinden konnte.
Was hatte diese Frau nur mit ihm angestellt?
Doch leider konnte er sich dieser Frage nicht weiter widmen, denn es war höchste Zeit zum Aufbruch.
Und so verließ er das Haus und machte sich auf den Weg ins Ministerium, einem unerfreulichen Tag entgegen.
Kapitel 14
Yi Min hatte nach ihrem morgendlichen Ritual das Haus leer vorgefunden. Lucius war aufgebrochen, ohne sich zu verabschieden.
Zuerst war sie etwas traurig darüber gewesen.
Doch dann musste sie sich eingestehen, dass sie ihn wahrscheinlich nicht so ohne Weiteres fortgelassen hätte. Zumindest nicht ohne eine weitere wenn auch kurze Vereinigung.
Nach ihrer Begrüßung des neuen Tages und dem erneuten Einswerden mit der Natur war Yi Min immer so voller Leben, dass sie glaubte zerbersten zu müssen.
Da war ihr etwas Sex danach sehr willkommen um die angestaute Energie ableiten zu können. Und schließlich war die Vereinigung von zwei Wesen ein Akt der natürlichen Schöpfung und somit rein und frei von jeder Sünde. Selbst wenn es sich dabei um die Vereinigung mit einem Nicht-Tasghan handelte, der darüber hinaus auch noch ein Magier war.
Doch heute morgen hatte es nicht sein sollen und so vertrieb sich Yi Min die Zeit so gut sie konnte.
Sie war in das blaue Gästezimmer zurück gekehrt, da sie nicht den Tag in Lucius' Schlafgemach verbringen wollte.
Zuviel darin erinnerte sie an die letzte leidenschaftliche Nacht.
Müßig lümmelte sie sich auf dem Bett und war in Gedanken versunken. Mit einem Mal bekam sie etwas Durst. Das Tablett mit der Wasserkaraffe und den Gläsern stand auf dem kleinen Tisch in der Nähe des Fensters, konnte also nicht vom Bett aus erreicht werden, ohne aufzustehen.
Doch dazu war Yi Min im Moment einfach zu träge. Seufzend wandte sie sich auf die Seite und blickte zu dem vollen Wasserglas hinüber. Wenn sie etwas trinken wollte, musste sie wohl oder übel aufstehen doch sie konnte sich einfach nicht dazu aufraffen. Müßig streckte sie eine Hand in Richtung des Tabletts aus und betrachtete das Glas.
Doch dann wurde sie hellwach.
Wie von unsichtbaren Fäden gezogen erhob sich das Wasserglas auf einmal vom Tablett und schwebte langsam auf ihre Hand zu.
Als es nahe genug herangekommen war, pflückte Yi Min das Glas einfach aus der Luft, wie man einen Apfel vom Baum pflückt.
Erstaunt betrachtete sie den Pokal aus geschliffenem Kristallglas. Dann siegte der Durst und sie leerte es in einem Zug.
Danach drehte sie das Glas unschlüssig in einer Hand.
Wie war das nur möglich?
Tasghan konnten keine Magie dieser Art wirken.
Ob es nur purer Zufall gewesen war? Sie musste es unbedingt noch einmal ausprobieren.
Sie konzentrierte sich auf das Glas und tatsächlich, es entschwebte ihrer Hand und hing frei in der Luft.
Das war unmöglich.
Ganz und gar unmöglich!
Und dennoch war es so. Der schwebende Pokal war der schlagende Beweis dafür.
Als Yi Min bewusst wurde, was passiert war schrie sie auf.
Der Glaspokal donnerte gegen die Wand und zerbarst in tausend Splitter.
Sie keuchte erschreckt.
Sie hatte etwas zerstört. Auch wenn es nur ein lebloses Stück Glas gewesen war.
Dennoch war es destruktive Energie gewesen.
Und sie war von ihr gekommen.
Es musste etwas mit dem Blut zu tun haben, da war sie sich ziemlich sicher. Doch wie konnte das sein? Sie hätte längst das Blut von Lucius und die damit verbundenen Kräfte wieder los sein müssen.
Spätestens nachdem sie wieder ihr gewohntes Morgenritual hatte aufnehmen können und sich mit den Kräften der Natur Tag für Tag auf's Neue vereinte.
Diese Ritual pflegten alle Tashgan, denn es war elementar wichtig für alle Baumelfen. Schließlich waren sie ein wichtiger Teil der wachsenden Lebensenergie der Natur.
Nur wenn sie sich jeden Tag wieder mit dem Leben um sich herum vereinigten, konnten sie selbst weiterbestehen und auch die Natur wachsen und gedeihen.
Jeder Tashgan pflegte dieses Ritual vom Tag der Erlangung seiner Fruchtbarkeit an.
Die Kinder konnten noch keine Lebensenergie aufnehmen. Erst wenn ein Tashgan in der Lage war, sich fortzupflanzen, konnte er die natürliche Lebenskraft der Natur in sich aufnehmen und durch sich hindurchfließen lassen. Es war ein unendlicher Kreislauf des Gebens und Nehmens.
Und das Ritual der Erneuerung ein unverzichtbares Gebot.
Als Yi Min aus purer Not von Lucius' Blut getrunken hatte, hatte sie gegen dieses Gebot verstoßen.
Die Tashga'ahana nahmen von der Natur, was sie zum Leben brauchten und gaben der Natur einen Teil der Energie durch ebendieses morgendliche Ritual zurück.
Dabei wurde strengstens darauf geachtet, dass kein lebendes Wesen dabei zu schaden kam. Tashga'ahana töteten keine Tiere der Nahrung halber, sie ernährten sich von dem, was die Natur ihnen freiwillig feilbot und sie fügten keinem Lebewesen absichtlich Leid zu. Es war strengstens untersagt, einem Lebewesen die Energie zu entziehen. Es verunreinigte die Seele eines jeden Tashgan.
Das war schon seit vielen tausend Jahren so. Das Gebot stammte noch aus einer Zeit, als die Tashga'ahana noch stärkeren Kontakt zu den Menschen hatten und sich die Grenzen der beiden Dimensionen noch an vielen Stellen überlagerten. Heute war Hetohk'e'e der Murgat-Welt so entrückt, dass man nur noch über bestimmte Portale die Grenzen der Dimensionen überwinden konnte.
Vor tausend Jahren jedoch war es noch einfach gewesen, von einer Dimension in die andere überzuwechseln. Und das war in beiden Richtungen immer wieder passiert. Tashga'ahana betraten die Welt der Menschen und Menschen verirrten sich auch manchmal in die Welt der Baumelfen. Es ging nicht ohne gelegentliche Auseinandersetzungen vonstatten und auch die Tashga'ahana waren zu dieser Zeit noch nicht so friedliebend gewesen wie heute. Damals war es zu einigen hässlichen Auseinandersetzungen zwischen Murgats und Tashgan gekommen. Obwohl alles Leben heilig war, war Blut geflossen. Hatte die Reinheit der Natur besudelt. Wenn es so weitergegangen wäre, die Tashga'ahana wie auch die Murgat wären dem Untergang geweiht gewesen.
Denn alles hing zusammen. War voneinander abhängig.
Die Tashga'ahana waren die Hüter über die natürlichen Kräfte. Und ohne die Tashgan-Kräfte und die Kontrolle der Natur und ihrer Gaben wäre auch die Murgat-Welt dem Chaos anheim gefallen und untergegangen.
Die ältesten und weisesten unter den Tashgan hatten sich zusammen gefunden um zu beraten, was gegen den drohenden Untergang zu tun war.
Sie waren es letztendlich gewesen, die Hetohk'e'e der Murgat-Welt entrückt, die heiligen Schriften verfasst hatten und dem Leben der Tashga'ahana wieder Frieden und Einklang brachten.
Ihre Macht über die Kräfte der Natur hatten sie gebündelt in 4 heilige Edelsteine.
Jeder Stein hatte eine andere Bedeutung.
Lorcan, der rote Stein, der für die Kräfte des Feuers stand.
Cyma, der grüne Stein, der für das Wachstum der Pflanzen stand.
Irial, der blaue Stein, der für die Kraft des Wassers stand.
Daysha, der schwarze Stein, der für die Kraft der alles hervorbringenden Erde stand.
Die Steine waren in Hetohk'e'e lediglich Symbole für die jeweiligen Naturkräfte und wurden in heiligen Hainen aufbewahrt.
Die Macht über die Natur aber ging von allen lebenden Tashgan gemeinsam aus. Um sie zu kontrollieren brauchte man die Steine also nicht.
In Aenoheso konnten die Steine allerdings unglaublichen Schaden anrichten, wenn sie in die falschen Hände geraten würden. In Hände, die wussten, wie man sich die den Steinen innewohnende Kraft zu nutze machen konnte. Doch das war zum Glück nicht ohne Kenntnis der alten Schriften möglich.
Nachdem die Ältesten die Ordnung in Hetohk'e'e wieder hergestellt hatten, blühte das Leben der Tashgan auf.
Man konnte fast sagen, in Hetohk'e'e zu leben bedeutete im Paradies zu leben.
Dennoch waren sich die Tashga'ahana nur zu genau bewusst, dass sie nicht allein in diesem Universum existierten. Aenoheso, die Welt der Murgats und Evgrin's war nur einen Übergang von ihrer Welt entfernt.
Und diese Welt der Menschen und Magier war voll Leid, Zerstörungswillen und Missgunst.
Damit die jungen Tashgan nicht vergaßen, dass das Paradies, in dem sie lebten, nicht alles in diesem Universum war, wurde jeder heranwachsende Tashgan einem Initationsritus unterworfen. Die jungen An-Fhearr wurden im Hain unterwiesen und dann nach Aenoheso geschickt, um sich zu beweisen.
Dies war das Vohpa'e'e – der Initationsritus.
Die An-Fhearr wurden in die Welt der Murgats und Evgrin's geschickt, damit sie lernten, ihre Kräfte auch in schwierigen Situationen unter Kontrolle zu halten und damit ihnen bewusst wurde, dass es noch andere Wesen gab, die nicht so friedliebend waren wie die Tashga'ahana.
Das Vohpa'e'e dauerte in der Regel einige Wochen, dann kehrten die An-Fhearr, um nützliche Erfahrungen reicher, wieder in ihre Welt zurück.
Bei einigen dauerte es jedoch länger, bis sie zurückkehrten. Diejenigen, die nicht innerhalb eines Tagesumlaufs das Portal kennzeichnen konnten, mussten 6 Monate oder länger in Aenoheso ausharren, bis sich die Portale für einen kurzen Moment von selbst öffneten und den Durchgang gewährten. Verpasste ein An-Fhearr auch diese Chance, dann musste er weitere lange Monate ausharren.
Die meisten kehrten nach ein paar Wochen zurück, ein paar erst nach Monaten. Einige wenige jedoch kamen niemals wieder.
Diese Wenigen waren einem furchtbaren Schicksal zum Opfer gefallen. Denn, obwohl Baumelfen mehrere hundert Jahre alt wurden, unsterblich waren sie nicht. Und in Aenoheso konnte ihnen genauso schnell etwas zustoßen, wie es jedem Murgat auch passieren konnte.
Obwohl man nur von Einzelnen erfahren hatte, so waren doch ein paar An-Fhearr tragischen Unfällen zum Opfer gefallen.
Einige waren von Murgats getötet worden, die in ihrer blinden Wut alles Andersartige ablehnten und vernichteten. Dies war noch vor dreihundert Murgat-Jahren das größte Problem gewesen, weil die Menschen noch so unwissend und auch verblendet waren.
Es hatte sich glücklicherweise mit dem Vorankommen des zivilisatorischen Fortschritts der Murgats etwas gebessert.
Dennoch gab es noch immer widrige Umstände, unter denen ein unvorsichtiger An-Fhearr zu Schaden kommen konnte.
Nun, Yi Min war offenbar zu Schaden gekommen.
Jedoch auf eine Art und Weise, wie noch kein anderer Tashgan jemals zuvor.
Auch wenn sie sich nicht erklären konnte, warum sie die magischen Kräfte, die sie von Lucius übernommen hatte, nicht bereits wieder los geworden war, sie konnte die Tatsache nicht leugnen, dass die Kräfte da waren.
Sie hatte ganz sicher nicht seine vollen magischen Kräfte in sich aufgenommen, sondern nur einen kleinen Teil davon. Dennoch reichte dieser Teil bereits völlig aus.
Denn, gepaart mit ihren Tashgan-Kräften, machten sie aus Yi Min ein sehr mächtiges Wesen. Ein Wesen, dass den anderen Tashgan überlegen war. Gegen das auch die meisten Evgrin's wie blasse Anfänger wirkten.
Darüber hinaus hatte es einen schlechten Einfluss auf Yi Min. Sie war ja schon immer anders gewesen, als andere Tashgan. Ihre Impulsivität war viel stärker ausgeprägt. Sie hatte sich auch vorher schon immer sehr zurücknehmen müssen, wenn sie mal wieder eine Meinungsverschiedenheit mit einem anderen Baumelfen gehabt hatte.
Und jetzt, durch Lucius, war sie vollkommen verdorben.
Sie hatte gegen die Regeln des Vohpah'e'e eklatant verstoßen, als sie ihre Kräfte hier in der Menschenwelt eingesetzt hatte. Dabei war es vollkommen egal, dass sie es nur zu ihrem eigenen Schutz getan hatte.
Dazu kam noch, dass sie unreine Energie in sich aufgenommen und einem Lebewesen willentlich Schaden zugefügt hatte.
Dann hatte sie sich auf eine Liebesbeziehung mit einem Nicht-Elfen eingelassen.
Und jetzt auch noch die Kräfte eines Evgrin's in ihr?
Sie wusste es genau, sie war nicht mehr tragbar für die anderen Baumelfen.
Eine Verstoßene auf ewig.
Mit einem Mal überkam sie heftige Sehnsucht nach ihrer Heimat.
Alles war so viel einfacher und friedlicher dort.
Man stolperte nicht ständig von einem Missgeschick ins nächste und das eigene Leben war auch nicht ständig in Gefahr.
Sie vermisste ihre Familie, ihre Eltern und ihre Schwester Amari, auf einmal schrecklich und Tränen rannen ihr über das Gesicht.
Sie vermisste das Haus in dem sie geboren und aufgewachsen war. Es stand mitten in einem riesigen Orangenhain. Die Sonne ließ das Weiß der Blüten und das orange der Früchte aufleuchten als würden unzählige Edelsteine an den Ästen funkeln. Es war soviel Friede darin.
Und sie würde jetzt soviel Dunkelheit und Unfrieden über ihre Familie bringen, sobald sie nach hause zurück gekehrt war.
Denn, dass etwas mit ihr geschehen war, das musste jedem Tashgan sofort auffallen. Fortan umgab Yi Min nämlich nicht mehr die leuchtend-weiße, makellose Aura, die sie vor ihrem Aufbruch besessen hatte, sondern nun strahlte sie auch die dunkle Energie, die sie ungewollt in sich trug, ab.
Es wäre wahrscheinlich besser, nicht mehr nach Hetohk'e'e zurück zu kehren, dachte sie voll Trauer. Es wäre auf jeden Fall besser für Amari und ihre Eltern. Sie würde ihnen viel Leid und Schande damit ersparen.
Doch Yi Min musste sich eingestehen, dass sie nicht in der Lage war, es ihrer Familie leichter zu machen. Sie wusste genau, würde sie hier bleiben, hier im Exil in Aenoheso, dann würde sie über kurz oder lang vor Trauer und Sehnsucht sterben.
Daran würde auch die Aussicht auf ein gemeinsames Leben mit Lucius nichts ändern.
Sie gehörte nun mal nicht hierher, sie gehörte nicht zu seinem Volk.
Das ganze Ausmaß ihrer Verfehlungen brach nun ungebremst über sie herein. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, alle geltenden Regeln zu missachten und zu glauben, damit ungeschoren davon zu kommen?
Wie dumm und naiv sie doch gewesen war.
Haltlos weinend warf sie sich auf die Kissen und gab sich gänzlich ihrer Trauer hin.
Als Lucius spät in dieser Nacht wieder nach Hause kam, fand er Yi Min immer noch weinend in ihrem Zimmer vor.
Und egal was er auch versuchte, es war unmöglich sie zu trösten.
To be continued...
