Kapitel 15
„....hätten Sie wohl die Güte, an meinem Unterricht etwas aufmerksamer teilzunehmen, Mister Malfoy?"
Die schneidende Stimme von Professor Snape riss Draco aus seinen düsteren Gedanken.
„Entschuldigen Sie Professor. Ich war in Gedanken" erwiderte Draco schnell.
„Das war nicht zu übersehen".
Die anderen Schüler lachten.
Draco warf vernichtende Blicke um sich.
Er hätte sie alle am liebsten auf der Stelle umgebracht.
Warum ließ man ihn nicht in Ruhe? Hatte er nicht schon genug Ärger am Hals?
Zuerst diese unseelige Sache im Zimmer dieses Flittchens, dann das böse Erwachen am nächsten Morgen, dann der schlimme Streit mit seinem Vater, der in seinen sofortigen Rauswurf aus dem väterlichen Haus gegipfelt hatte.
Und nun sollte er sich auf die Schule konzentrieren, als wäre nichts passiert?
Einfach unmöglich.
Wut und Selbstmitleid ließen Draco seither keinen klaren Gedanken mehr fassen.
Er saß nur noch apathisch herum und sprach fast nicht mehr.
Selbst von seinen Freunden Greg und Goyle wollte er nichts mehr wissen. Er konnte sich diesen beiden Hohlköpfen ja auch schlecht anvertrauen.
Sie hätten es erstens nicht verstanden und zweitens bestand die Gefahr dass die beiden Plappermäuler etwas ausplauderten. Dumm genug dazu waren sie ja. Und das wollte Draco auf keinen Fall riskieren. Sein Ruf an der Schule musste unter allen Umständen gewahrt werden.
Endlich war die Stunde vorüber und er wollte sich gerade auf den Weg nach draußen machen, als ihn Professor Snape aufhielt.
„Auf ein Wort Malfoy" befahl Snape und wies zu seinem Büro hinter dem Klassenzimmer.
Missmutig folgte Draco seinem Lehrer.
Nachdem Snape die Tür geschlossen und sich an seinen Schreibtisch gesetzt hatte, betrachtete er den Jüngling aufmerksam.
„Hätten Sie wohl die Güte mir zu erklären, warum mein bester Schüler in letzter Zeit so nachlässig im Unterricht ist?" fragte Snape.
Draco wand sich.
„Nun komm schon Junge, du kannst es mir ruhig erzählen. Ich bin doch ein guter Freund deines Vaters und du kannst mir vertrauen, oder?"
Beim Wort Vater hatte Draco verächtlich geschnaubt.
Aha, so ist das also, dachte Snape. Es hat etwas mit Lucius zu tun. Nun war seine Neugier erst recht geweckt.
„Was ist vorgefallen? Hattest du Streit mit deinem Vater?" fragte Snape sanft.
Ganz entgegen seiner üblichen Natur mochte Snape den jungen Malfoy. Man konnte fast sagen, er hatte ihn fast ins Herz geschlossen denn er vermutete, dass Draco einmal ein mächtiger und grausamer Magier werden würde. Ganz so wie Snape selber einer war. Und da Snape selbst keine Kinder hatte, sah er in Draco so etwas wie seinen Ziehsohn.
Deshalb wollte er dem Jungen in jedem Fall helfen.
Noch immer sagte Draco kein Wort.
Doch auf weiteres, sanftes Drängen seitens Snape kam zum Schluss dann doch die ganze Geschichte ans Licht.
Als hätte man ihm ein Wahrheitsserum eingeflößt brach es auf einmal aus Draco heraus und er erzählte Snape alles.
Wirklich alles.
Angefangen vom Unfall über die unglücklichen Folgen der Geburtstagsfeier, seinen eigenen Annäherungsversuchen an dieses Schlammblut und auch über alle Verfehlungen seines Vaters.
Es sprudelte nur so aus ihm heraus. Hinterher fühlte er sich seltsam erleichtert.
Es hatte gut getan, sich jemandem anvertrauen zu können.
Und Snape konnte er vertrauen, dass spürte Draco.
Dieser hatte sich den Redefluss des Jungen mit unbewegtem Gesicht angehört. Doch dahinter arbeitete es.
Snape war empört als er erfuhr, was sich Lucius geleistet hatte. Lucius, den er immer Freund genannt hatte. Wie konnte ein reinblütiger Magier wie Lucius nur so tief sinken? Und, was viel wichtiger war, was hatte es mit dieser Frau auf sich? Denn sie steckte ja wohl hinter allem Unbill, das über das Haus Malfoy gekommen war.
Einerseits interessierte es Snape brennend zu erfahren, wer oder was dieses Mädchen war. Dennoch hegte er keinerlei Verlangen danach, noch einmal in ihre Nähe zu kommen. Sie hatte anscheinend einen verheerenden Einfluss auf Männer.
Eines wusste Snape jedoch genau.
Unzweifelhaft war die Notwendigkeit ihres umgehenden Verschwindens.
Denn der Fall des Hauses Malfoy hätte schlimme Folgen für alle, die offen mit den Malfoys verbunden oder befreundet waren. Und somit auch für Snape selbst.
„Keine Sorge Draco. Geh jetzt und gräme dich nicht weiter. Ich lasse mir etwas einfallen" wandte er sich an den Jungen.
Draco seufzte erleichtert auf. Sein Lehrer würde ihn nicht im Stich lassen.
Und alles Ungemach würde schon bald vergehen.
Snape grübelte eine Zeitlang über verschiedene Strategien nach. Dann kam ihm ein blendender Einfall und er verbrachte den Großteil der folgenden Nacht mit den Vorbereitungen.
Am nächsten Morgen rief der Draco wieder zu sich und erläuterte dem Jungen seinen einfachen aber umso wirkungsvolleren Plan.
Zuerst war Draco hellauf begeistert. Als ihm jedoch aufging, dass er nach Malfoy Manor zurück kehren musste, um den Plan auszuführen, war seine Freude wie weg geblasen.
„Keine Bange Draco. Dein Vater wird sich nicht im Haus aufhalten, wenn wir unseren Plan durchführen" beschwichtigte ihn Snape.
„Und wie wollen Sie das bewerkstelligen Professor? Mein Vater ist von diesem Weib so abhängig, er würde sie niemals freiwillig allein im Haus lassen".
Snape klopfte ihm beschwichtigend auf die Schulter.
„Das überlasse nur mir. Ich kenne einen Weg, deinen Vater aus dem Haus zu locken".
Kapitel 16
Einige Tage waren seit der Ratssitzung vergangen.
Über Malfoy Manor lag seither eine bleierne Traurigkeit, die alle Bewohner schwermütig machte.
Allen voran Lucius.
Er wusste nicht mehr, was er noch mit ihr machen sollte.
Seit er sie nach seiner nächtlichen Rückkehr vom Rat weinend vorgefunden hatte, war Yi Min wie ausgewechselt. Alle Lebensenergie schien sie verlassen zu haben. Wenn sie nicht weinte, saß sie nur stumm und in sich gekehrt da.
Berühren ließ sie sich nur noch widerstrebend und wich allem aus. Sie in sein Bett zu nehmen war deshalb auch vollkommen ausgeschlossen. Er hätte genauso gut eine Marmorstatue aus dem Garten nehmen können.
Sie ging sogar morgens nicht mehr in den Garten um herumzutanzen und sich an der Natur zu erfreuen und das machte Lucius am meisten Sorgen.
Irgendwie wusste er, dass das morgendliche Ritual sehr wichtig für sie war und er tat alles, um sie dazu zu bewegen, diese Angewohnheit wieder aufzunehmen.
Doch vergeblich.
Kein Bitten und Betteln, keine Drohung oder gar Gewalt konnten etwas an ihrer Lethargie ändern.
Sie war wie eine Puppe, die nur noch von ihren Fäden aufrecht gehalten wurde.
Sie kam ihm vor wie ein junger Schössling, den man der lebensspendenden Erde entrissen und dann achtlos weggeworfen hatte.
Wo sie vorher noch reine Lebensenergie versprüht hatte, so strahlte sie jetzt nur noch grenzenloses Elend aus.
Und jeder, der sich in ihrer Nähe befand, wurde von diesem Sog erfasst und in eine depressive Stimmung versetzt.
Lucius konnte sich nicht erklären, warum sie so anders geworden war.
Es war nichts aus ihr heraus zu bekommen.
Sie saß einfach nur da und starrte mit diesen großen, tränenfeuchten Augen durch einen hindurch.
Einerseits wollte sie Lucius nicht allein lassen, doch andererseits hielt man es nicht lange in ihrer Gegenwart aus ohne selbst schwermütig zu werden. Die Traurigkeit, die sie ausstrahlte legte sich wie ein tonnenschwerer Mühlstein auch auf Lucius' Gemüt.
Sie tat ihm so unendlich leid. Es musste etwas Furchtbares vorgefallen sein, als er nicht zu Hause gewesen war.
Doch Yi Min erklärte sich ihm nicht und auch aus seinen Bediensteten war nicht viel Brauchbares heraus zu bekommen.
Martha hatte ihm nur berichten können, dass Yi Min, nachdem sie aus dem Garten gekommen war, den ganzen Tag in ihrem Zimmer verbracht hatte. Martha erzählte auch, dass sie freudestrahlend wie immer wieder ins Haus zurück gekehrt war. Und als das Zimmermädchen ihr Mittagessen gebracht hatte, war Yi Min anscheinend auch noch guter Dinge gewesen. Erst gegen Abend, als Martha das Dinner brachte, hatte sie Yi Min weinend auf dem Bett vorgefunden.
Hilflos sah Lucius zu ihr hinüber. Yi Min saß in sich zusammengesunken auf einem der Sessel. Ihr Blick schien wie immer durch alles und jeden hindurch zu gehen.
Ihre Traurigkeit rührte sein Herz.
Er vermisste sie unendlich.
Vermisste ihre Umarmungen, ihre Leidenschaft und ihr sprühendes Temperament.
Er wollte ihr so gern helfen, sie trösten, sie wieder lachen sehen.
Er versuchte sein Bestes, sie wieder aufzuheitern.
Doch er konnte nichts ausrichten.
Nichts, absolut nichts konnte an ihrem leidenden Zustand etwas ändern.
Er war mit seinem Latein am Ende.
Die Zeit strich bleischwer dahin.
Dann bekam Lucius überraschend eines Abends Post von seinem Freund Severus Snape.
Als Lucius die Zeilen überflog weiteten sich seine Augen.
Zuerst hielt er es für einen Scherz.
Doch Severus pflegte nicht zu scherzen. Schon gar nicht, wenn es sich um etwas so wichtiges handelte. Auch wenn es noch so unwahrscheinlich klang.
War es Zufall, dass diese Nachricht ausgerechnet jetzt kam, wo Lucius ein wenig Aufmunterung gut gebrauchen konnte?
Es war offenbar so.
Und das, was Severus ihm da in diesem Brief eröffnete, ließ Lucius' trübe Laune sofort verschwinden.
Severus hatte das Herz von Ashahebsed gefunden, einen Gegenstand voll von schwärzester Magie.
Lucius hatte selbst seit Jahren nach dem Herz gesucht, war bis jetzt aber erfolglos gewesen. Er wollte das Herz von Ashahebsed unbedingt haben. Es wäre das Prunkstück seiner Sammlung schwarzmagischer Gegenstände, die er tief unter Malfoy Manor in einem geheimen Saal aufbewahrte.
Und jetzt hatte es Snape gefunden und wollte es ihm, seinem alten Freund, überlassen. Lucius musste nur vorbeikommen und es sich abholen. Das war zu schön um wahr zu sein.
Erregung erfasste Lucius.
Bald würde er das Herz besitzen. Das waren wirklich außerordentlich gute Nachrichten.
Und er hatte keinen Grund, seinem Freund und Kollegen Snape zu misstrauen. Sie waren schon zu lange befreundet, hatten viel zusammen durchgemacht und erlebt und kannten sich gut.
Severus hatte ihn für den darauf folgenden Tag zu sich eingeladen und Lucius, beschloss, die Einladung anzunehmen.
Warum auch nicht?
Vor allem aber wollte er das Herz haben. Er freute sich sehr darauf, es endlich in Händen halten zu können.
Daran änderte auch seine neuerdings so positive Lebenseinstellung, die er Yi Min zu verdanken hatte, nichts.
Lucius war zu lange böse gewesen, um sich innerhalb von ein paar Tagen in eine vollkommen andere Persönlichkeit zu wandeln.
Das Herz von Ashahebsed war es wahrlich wert, es zu besitzen.
Und er könnte zumindest für ein paar Stunden dieser bleiernen Traurigkeit hier entfliehen.
Sofort fühlte er sich etwas schuldig für seine Gedanken.
Yi Min konnte vermutlich nichts dafür, dass ihre Schwermut alle anderen in ihrer Nähe auch befiel.
Dennoch schmerzte es Lucius etwas, sie allein zu lassen.
Aber es war schließlich nur für ein paar Stunden, beruhigte er sich wieder.
Und so traf er seinen Entschluss.
Er würde morgen die Einladung von Severus Snape annehmen.
Der nächste Morgen brach an und Lucius machte sich zeitig auf den Weg.
Er war noch keine Viertelstunde fort, da fuhr eine schwarze Limousine vor Malfoy Manor vor.
Ihr entstieg...Draco Malfoy.
Nachdem er das elterliche Haus betreten und in den Salon gegangen war, hatte er nach Martha geschickt.
Diese war etwas überrascht ihn hier zu sehen, sagte jedoch nichts dazu.
Das war auch besser so, dachte Draco, denn es ging diese Muggel-Haushälterin überhaupt nichts an, warum und wieso er nach Hause gekommen war.
Draco riss sich zusammen und versuchte so hochherrschaftlich zu wirken wie es ihm möglich war.
Er forderte Martha auf, Yi Min in den Salon hinunter zu bringen. Dabei ließ er Martha's Bedenken, dass dieses Anliegen schwierig zu bewerkstelligen sei, da es der Lady offenbar seit einigen Tagen sehr schlecht ging, nicht gelten.
Mit allem ihm gebotenen Nachdruck als Erbe des Malfoyschen Namens wies er die Haushälterin an, ihm nicht mit dummen Ausreden zu kommen und gefälligst das zu tun was er verlangte.
Nachdem Martha schließlich das Zimmer verlassen hatte um zu tun, was er ihr aufgetragen hatte, fragte sich Draco kurz, was hier zwischenzeitlich vorgefallen sein konnte, dass es diesem Schlammblut offenbar so schlecht ging, dass sie ihr Zimmer fast nicht mehr verließ.
Aber es war ihm eigentlich egal.
Er freute sich sogar darüber, dass es Yi Min schlecht ging. Das hatte sie schließlich verdient.
Und noch viel mehr hatte sie verdient.
Ein teuflisches Lächeln verzerrte seine jugendlichen Gesichtszüge.
Vorsichtig nahm er die Phiole aus der Jackentasche und sah sich nach dem Tablett mit den Getränken um.
Kurz überlegte er, ob er den Inhalt der Phiole nur in eines der Gläser schütten sollte oder gleich in die Wasserkaraffe. Er entschied sich letztendlich, in beide etwas hineinzuschütten. Sicher war sicher.
Die gelbbraune, ölige Flüssigkeit in der Phiole löste sich bei der Berührung mit dem Wasser in Windeseile auf und das Wasser war so klar wie zuvor.
Snape hatte ihm gesagt, dass man es nicht bemerken würde, sobald es mit dem Wasser vermischt war. Weder durch die Farbe, noch durch Geruch oder Geschmack.
Ein hervorragendes Mittel, um Dracos Rache zu vollenden.
Nochmals grinste er diabolisch.
Dann wappnete er sich der Dinge, die gleich passieren würden.
Unwillig musste er sich eingestehen, dass er vor der Begegnung mit Yi Min doch etwas Angst verspürte.
Es wäre natürlich erheblich einfacher gewesen, den Inhalt der Phiole ins Wasser zu schütten und die Karaffe dann von einem der Zimmermädchen hinaufbringen zu lassen.
Dann wäre es ihm zumindest erspart geblieben, noch einmal mit Yi Min zusammen treffen zu müssen. Und man wusste ja nie, was einem bei einem solchen Zusammentreffen alles erwartete.
Dennoch hatte er sich gegen den für ihn leichter erscheinenden Weg entschieden.
Einerseits deshalb, weil er nicht sicher sein konnte, dass Yi Min das Wasser auch tatsächlich trank, wenn man es ihr auf das Zimmer brachte.
Und andererseits, und hier kam Dracos grausame Seite zum ersten Mal voll zur Geltung, er wollte natürlich dabei sein, wenn dieses Flittchen ihre wohlverdiente Strafe erhielt.
Das wollte er um keinen Preis der Welt verpassen.
Also hatte er sich für den schwierigen Weg entschieden.
Die Minuten verstrichen wie in Zeitlupe. Zumindest empfand es Draco so.
Ungeduldig lief er im Salon auf und ab.
Es war anscheinend schwieriger, Yi Min zum Herunterkommen zu bewegen, als er sich vorgestellt hatte.
Offenbar hatte Martha doch nicht übertrieben.
Was wäre, wenn sie es nicht schaffte, Yi Min hier herzulotsen?
Der Gedanke erschreckte Draco etwas.
So weit hatte er noch nicht gedacht.
Das machte ihn nun noch nervöser als er es sowieso schon war. Die Nervosität ließ seine Handflächen schweißfeucht werden und er schluckte.
Doch dann öffnete sich auf einmal die Tür und Martha schob Yi Min sanft aber mit Nachdruck in den Salon.
Widerstandslos ließ sie sich von Martha zu einem Sessel führen und ließ sich darauf nieder.
„Es geht ihr wirklich nicht gut, junger Sir. Bitte haben Sie..." weiter kam Martha nicht, denn Draco scheuchte sie mit einer unwilligen Handbewegung aus dem Zimmer.
Als sie allein waren, wandte sich Draco Yi Min zu. Sie saß im Sessel, schien ihn jedoch nicht wahr zu nehmen, denn ihre Augen waren blicklos in die Ferne gerichtet.
„So treffen wir uns wieder." begann Draco etwas zaghaft.
Doch dann straffte er die Schultern und holte einmal tief Luft. Er musste seine Rolle gut spielen, sollte seiner und Snapes Plan von Erfolg gekrönt sein.
„Yi Min, ich bin gekommen, weil ich dich um Verzeihung bitten wollte" sagte er in einem freundschaftlichen Tonfall, doch er musste die Worte beinahe hinauswürgen, so widerstrebte es ihm, nett zu ihr sein zu müssen.
Nochmals ermahnte er sich stumm, sich zusammenzureißen.
Und dann geschah etwas Unerwartetes.
Die ganzen vergangenen Tage und Nächte über hatte Yi Min auf nichts reagiert. Hatte nur immer apathisch herumgesessen und nichts an sich herangelassen.
Doch auf einmal schien sie aus ihrer Lethargie zu erwachen denn ihr Blick wurde klar und ihre Augen richteten sich auf Draco.
Stumm musterte sie ihn für ein paar Augenblicke.
Draco lief der kalte Schweiß über den Rücken und es kostete ihn viel Willenskraft, ihrem Blick scheinbar unbeteiligt zu begegnen.
„Ah, der verlorene Sohn ist zurückgekehrt" sagte sie leise und ihre Stimme klang heiser, wie eingerostet, als hätte sie sie lange nicht benutzt.
Draco wusste nichts zu erwidern.
„Du willst dich also entschuldigen? Wofür?" fragte sie matt.
Draco wand sich. Sie wollte es ihm offenbar so schwer wie möglich machen.
Dafür hasste er sie nur umso mehr.
Doch leider zwangen ihn die Umstände, bei diesem für ihn demütigen Spiel so gut es ging mitzumachen.
„Nun ja, ich will mich entschuldigen" begann er halbherzig.
Die grünen Augen sahen ihn unverwandt an.
„Ja?"
Zur Hölle, musste er es wirklich aussprechen? Einen Moment glaubte er, ersticken zu müssen beim Gedanken, seine Schmach nun noch einmal zu durchleben und sogar in ihrer Gegenwart darüber sprechen zu müssen.
Doch er bewahrte Haltung.
Wie es sich für einen reinblütigen, starken Zaubererabkömmling gehörte.
„Es tut mir leid, dass ich in dein Zimmer eingedrungen bin, dass..." die Stimme wollte ihm nicht mehr so ganz gehorchen.
Seine Kehle war wie zugeschnürt.
„Weiter".
Oh dieses Weib musste direkt aus der Hölle stammen.
Wann war seine Marter endlich vorbei?
Nervös begann er wieder, auf und ab zu gehen. Das Hemd klebte ihm mittlerweile schweißnass am Rücken. Glücklicherweise konnte sie das nicht sehen, denn er trug darüber immer noch seinen Slytherin-Schulumhang.
„Ich bitte dich um Verzeihung dafür, dass ich dich beschimpft habe und..." die Worte drangen wie Geschosse aus seinem Mund doch dann stockte er wieder.
„Und?"
Ihre Gelassenheit musste noch den Sanftesten unter den Sanften in blinde Raserei treiben.
„...dass ich versucht habe, dich zu schlagen..." setzte er matt hinzu.
„Und?"
Draco seufzte. Es musste wohl offensichtlich sein.
Um seinen Triumph zu bekommen musste er sich vorher auf das schändlichste erniedrigen.
Nun wohlan denn.
So schwierig konnte es ja nicht sein.
Denk an den Preis, denk an die Genugtuung wenn das alles vorbei ist, hämmerte er sich stumm ein.
„Es tut mir leid, dass ich versucht habe, dich zu küssen. Das war Unrecht von mir".
So, jetzt war es endlich gesagt.
Zuerst erwiderte Yi Min nichts.
Sah ihn nur an.
Und obwohl kein Lächeln ihr Gesicht erhellte, so sah sie doch einigermaßen belustigt aus.
„Du bezeichnest das ernsthaft als Kuss?" sagte sie leise.
„Das war wohl eher..." weiter kam sie nicht, denn ihre Stimme wurde heiser und sie musste sich räuspern.
Nachdem sie so viele Tage geschwiegen hatte, verursachte ihr das Sprechen nun etwas Probleme.
Ihr Mund war wie ausgetrocknet.
Matt griff sie nach einem der Gläser auf dem Tablett neben sich, schenkte sich Wasser ein und leerte das Glas in einem Zug.
Draco konnte sein Glück kaum fassen als er das sah.
Er hatte nicht damit gerechnet, dass es so einfach sein würde, sie zum Trinken zu verleiten.
Nachdem sie das Glas wieder zurück aufs Tablett gestellt hatte wollte sie weitersprechen, doch das teuflische Grinsen auf Dracos Gesicht ließ sie innehalten.
Draco konnte sich nicht mehr beherrschen.
Mit einem Freudeschrei begann er hin und her zu tanzen.
Yi Min sah ihn verständnislos an.
„Das hast du nun davon, du widerliche Ausgeburt der Hölle" schrie er freudestrahlend.
„Was..."
Yi Mins weitere Worte verschluckte ein Röcheln.
Sie schnappte nach Luft und griff sich an den Hals. Es fühlte sich an, als hätte sie flüssiges Feuer getrunken.
Sie krümmte sich nach vorne.
„Das ist Jahali. Ein langsam wirkendes, äußerst schmerzhaftes Gift" drang Dracos Stimme triumphierend an ihr Ohr.
„Du wirst dich die nächsten Stunden winden wie ein Wurm, deine Schmerzen werden unbeschreiblich sein" erläuterte er weiter.
„Und ich werde dir dabei zusehen und mich an deinem Leid weiden. Das ist die Strafe, der du nicht entgehen kannst. Jahali ist in jedem Fall tödlich. Und es gibt kein Gegenmittel".
Yi Min hob den Kopf und sah ihn mit schmerzverzerrtem Gesicht an.
Was hatte sie diesem Kind angetan, dass es sich auf so grausame Weise an ihr rächen wollte? Ihr fiel nichts ein. Sie war auch nicht mehr zu allzu klaren Gedanken fähig, denn der Schmerz breitete sich immer weiter in ihrem Inneren aus.
Die Pein war atemberaubend.
Löschte alles aus, jedes Gefühl, jeden Gedanken.
Ihr Blick brach und sie fiel zu Boden.
Draco stand über ihr und blickte sehr zufrieden auf sein Opfer hinunter.
Jetzt war sie keine Gefahr mehr für ihn.
Sie würde sterben.
Und daran konnte nichts und niemand etwas ändern.
Auch sein Vater nicht.
Es war herrlich mit anzusehen, wie sie sich vor Schmerzen wand.
Draco wusste es nicht, doch in diesem Moment glich er so sehr seinem Vater, wie er es nie für möglich gehalten hätte.
Draco war wirklich er rechtmäßige Nachkomme der Malfoy-Dynastie, die für ihre Grausamkeit seit Jahrhunderten gefürchtet war.
Yi Min hatte währenddessen schon fast aufgegeben. Es gelang ihr nicht, ihren Geist hinter die mentale Barriere zu ziehen. Die Schmerzen waren zu überwältigend, dass sie sich soweit sammeln konnte um sich dagegen zu schützen.
Das ist dann wohl das Ende.
Das war der einzige Gedanke, den sie noch klar vor sich sah.
Sie würde sterben.
Dahingemeuchelt von einem grausamen, dummen, hinterhältigen Evgrin-Kind.
Und das, nachdem sie hier in Aenoheso schon so viel überstanden hatte.
Erst ganz sachte, dann doch immer stärker werdend regte sich in ihr der Trotz.
Nein, sie würde diesem kleinen Scheusal nicht die Genugtuung geben und hier vor ihm wie ein Tier auf dem Teppich verrecken.
Die Wut über Dracos teuflische Falle brodelte. Sie wurde immer stärker, überdeckte am Ende sogar ein wenig den allumfassenden Schmerz.
Langsam, ganz langsam richtete sie sich auf, kam mühsam und schwankend auf die Beine.
Mit einem überraschten Heuchen stolperte Draco einige Schritte nach hinten und brachte so ein wenig Distanz zwischen sich und sein Opfer.
Offenbar wollte sie doch nicht einfach so kampflos sterben wie er gehofft hatte.
Das Gift müsste eigentlich schon seine volle Wirkung zeigen.
Eigentlich dürfte sie gar nicht mehr imstande sein, irgend etwas anderes zu tun als sich vor Schmerzen zu winden.
Und dennoch stand sie nun vor ihm, zwar schwankend, dennoch stand sie.
Aber, anstatt ihn anzugreifen hob sie Hände und Gesicht in die Höhe und fing an zu schreien so laut sie konnte.
Mit angstgeweiteten Augen wich Draco noch weiter zurück.
Zuerst dachte er, dass sie nur unzusammenhängendes Zeug schrie, doch dann erkannte er, dass sie in einer ihm unbekannten Sprache brüllte.
Von einem Moment zum anderen wurde es düster im Salon, der bis jetzt durch die hereinscheinenden Sonnenstrahlen hell erleuchtet gewesen war.
Es war, als wäre ein Unwetter im Anzug und es hätte sich eine dicke Wolke vor die Sonne geschoben.
Und tatsächlich, draußen braute sich ein gewaltiger Sturm zusammen unter dem sich die Bäume nur so bogen. Die Windböen rüttelten gewaltig an den breiten Fensterflügeln, die vom Salon hinaus auf die Terrasse führten.
Immer stärker tobte das Unwetter.
Der Wagen hatte schon den halben Weg zu Severus Snapes Haus zurück gelegt, da überkam Lucius auf einmal ein furchtbares Gefühl.
Instinktiv wusste er, zu Hause war etwas vorgefallen.
Etwas sehr schlimmes.
Unwillig schüttelte er den Kopf.
Jetzt sah er schon Gespenster. Yi Min's Schwermut hatte ihm wohl die Sinne vernebelt.
Er setzte seinen Weg fort.
Doch das nagende Unbehagen wurde immer stärker.
Schließlich musste er zugeben, dass er sich das nicht nur einbildete.
Eine bohrende Angst schnürte ihm beinahe die Kehle zu.
Nach einer Weile hielt er es nicht mehr aus und er befahl James umzukehren und auf dem schnellsten Weg nach Malfoy Manor zurück zu kehren.
Der Verdacht, dass etwas ganz und gar nicht stimmte verdichtete sich, je näher sie dem Anwesen kamen.
Bisher war es ein heiterer Frühlingsmorgen gewesen. Die Sonne schien, das Wetter war sehr angenehm.
Doch plötzlich, aus heiterem Himmel war ein Unwetter heraufgezogen, wie es Lucius noch niemals zuvor gesehen hatte.
Die Wolken ballten sich direkt über dem Haus zusammen. Sie hatten eine bedrohliche, violettgrüne Farbe. Der Sturm war so heftig, dass es Lucius beinahe von den Füßen riss, als er aus dem Auto stieg und die Stufen zum Eingang hinauf hastete.
Es kostete ihn viel Kraft die Eingangstür wieder zuzustemmen, nachdem er das Haus betreten hatte.
Besser gesagt, buchstäblich hineingeweht worden war.
Was zur Hölle ging hier vor sich?
Dieses Unwetter hatte keinen natürlichen Ursprung, dessen war er sich vollkommen sicher. Die Luft prickelte förmlich vor Energie.
Vor magischer Energie.
Stirnrunzelnd sah er sich in der Vorhalle um.
Wohin sollte er sich wenden?
Doch dann zog es ihn, wie von einem Magnet angezogen, in Richtung des vorderen Salons.
Er eilte hin, öffnete die Tür und erschrak.
Mitten im Raum stand Yi Min und schrie aus Leibeskräften in einer fremden Sprache.
Entgeistert sah Lucius sie an.
Dann erst bemerkte er seinen Sohn, der sich kreidebleich vor Angst an die Wand neben der Tür drückte.
Noch bevor er Draco fragen konnte, was er hier verloren hatte und was vorgefallen war, gaben die Fensterflügel unter dem Druck des Sturmes nach und zerbarsten in tausend Scherben.
Nun konnte das Unwetter ungehindert in den Raum eindringen.
Als die Scheiben brachen hatte Lucius einen Arm hochgerissen und schützend vors Gesicht gehalten.
Ein paar kleine Scherben trafen ihn und bohrten sich durch die Kleidung in seine Haut.
Es war nicht schlimm, brannte nur etwas und er verzog kurz das Gesicht.
Als er wieder zu Yi Min hinsah stockte ihm der Atem.
Sie stand immer noch lauthals in der fremden Sprache schreiend da, doch jetzt umwirbelte sie eine Windhose, die unzählige Blätter von den Bäumen aus dem Garten um sie herumpeitschte.
Dann begann ihr Gesicht, weiß zu glühen.
Es war ein Glühen, das aus ihrem Inneren zu kommen schien, es breitete sich langsam über ihren ganzen Körper und sie erstrahlte in hellem Licht.
Unfähig, sich zu bewegen, beobachtete er die Geschehnisse.
Die Blätter, die sie umwirbelten, waren anfangs grün gewesen. Doch jetzt verloren sie immer mehr ihre satte grüne Farbe, welkten offenbar in Sekundenbruchteilen dahin.
Langsam legte sich der Wind und auch die Macht des Unwetters ließ nach.
Braungelb verfärbt schwebte das, was von den Blättern noch übrig war, welk zu Boden.
Und so plötzlich wie das Unwetter gekommen war, verzog es sich nun wieder und ein schüchterner Sonnenstrahl brach durch die schrumpfenden Wolken.
Yi Min hatte aufgehört zu schreien.
Ruhig stand sie da.
Doch ihr Anblick hatte sich verändert. Er ließ Lucius das Blut in den Adern gefrieren.
Er hatte ja schon immer angenommen, dass sie nicht menschlich war.
Nun fand er seinen Verdacht auf das Offensichtlichste bestätigt.
Vor ihm stand ein Wesen von einer Art, die er bis jetzt nur einmal in seinem Leben zuvor zu Gesicht bekommen hatte.
Damals war er nicht viel älter gewesen, als es Draco heute war.
Yi Mins ehemals nachtschwarzes Haar hatte einen leuchtenden dunkelgrünen Schimmer angenommen.
An beiden Schläfen waren auf einmal Male zu erkennen. Als Lucius genauer hinsah, erkannte er, dass es sich um eine Reihe winziger stilisierter Blätter handelte. Es sah aus, als hätte man sie ihr eintätowiert.
Doch das unheimlichste von allem waren ihre Augen.
Waren sie schon vorher von einem außergewöhnlichen Grün gewesen, so erstrahlten sie jetzt in einem fluoreszierenden Hellgrün. Ihre Augen sahen aus wie zwei Glühwürmchen, die sich in ihrem Gesicht niedergelassen hatten.
Kein Mensch, kein Magier hatte Augen, die im Dunkeln leuchteten.
„Ja Lucius, jetzt kennst du mein Geheimnis" ihre Stimme klang leise.
Und bedrohlich.
Lucius lief es eiskalt den Rücken hinunter.
Oh ja, jetzt wusste er was sie war.
„Ich bin eine Tashgan, eine Baumelfe aus einer anderen Dimension. Du kennst sie gut, denn du warst einmal verbotenerweise in meiner Welt" erklärte sie ihm.
Lucius erschrak.
Woher wusste sie das?
Er wollte gerade danach fragen, als sich ihr Gesicht vor Wut verzerrte und ihre Augen unheilvoll aufloderten.
„Du kleines Scheusal. Das wirst du mir büßen" schrie sie.
Lucius hatte gar nicht bemerkt, dass sich sein Sohn unterdessen aus dem Staub machen wollte.
Draco war jedoch nur einen Schritt weit auf den Gang hinaus gekommen.
Yi Min rührte sich nicht von der Stelle sondern streckte nur einem Arm in seine Richtung aus.
Ihre Augen leuchteten hell auf und sie krümmte ihre Finger zur Kralle.
Wie von einer unsichtbaren Macht wurde Draco gepackt, in die Höhe gehoben und unaufhaltsam wieder ins Zimmer zurückgezerrt.
Hilflos strampelte er in der Luft herum und zeterte laut.
Langsam aber unaufhaltsam schwebte er auf Yi Min zu.
Je näher er ihr kam, desto kleinlauter wurde er. Dann verstummte er völlig und wurde kreidebleich.
Ihre Augen bohrten sich in ihn.
Und ohne ein weiteres Wort schleuderte sie ihn zur Seite. Er krachte hart gegen die Wand, fiel zu Boden und blieb bewusstlos liegen.
Bis jetzt hatte Lucius den Geschehnissen tatenlos zugesehen. Doch jetzt erwachte er wieder zum leben.
„Was hast du..." begann er doch eine herrische Handbewegung von ihr ließ ihn verstummen.
„Dein missratener Sohn hat versucht mich umzubringen. Mit Gift" erklärte sie ihm und ihre Stimme klang wie Eis.
„Gift? Aber wie..." wieder gebot sie ihm zu schweigen.
„Das ist unwichtig Lucius. Viel wichtiger ist die Frage: wo befindet sich Irial?".
Irial? Was war das denn? fragte sich Lucius stirnrunzelnd.
Als sie sein Unverständnis sah seufzte sie.
Nun ja, offenbar war es so, dass dieser Evgrin noch nicht einmal den Namen des Steins wusste, den er gestohlen hatte.
Sie musste es ihm wohl oder übel erklären.
„Ja, Irial. Der blaue Stein, den du und noch ein anderer hinterhältiger Evgrin vor 30 Jahren aus unserem Hain gestohlen habt".
Langsam dämmerte es Lucius.
Sie wusste offenbar genau Bescheid.
Sie wusste alles über seinen kleinen Ausflug in die Elfendimension und den Diebstahl.
Er wand sich.
„Nun?" fragte sie.
Zuerst wollte er nicht antworten.
Doch er wusste, er konnte sich nicht gegen sie zur Wehr setzen. Diese Baumelfe war sehr mächtig. Und darüber hinaus noch wütend. Wer weis, wozu sie im Stande war.
„Er ist nicht hier" gab er zu.
Yi Min sah ihn abschätzend an. Dann kam sie näher.
Packte sein Kinn und ihr brennender Blick bohrte sich in seine Augen.
Unfähig, auch nur zu blinzeln, stand er nur da und ließ es geschehen. Ihr Blick bohrte sich bis in seine hintersten Hirnwindungen, brachte alles zu Tage.
Auch die Wahrheit.
Denn er hatte die Wahrheit gesagt.
Der Stein befand sich tatsächlich nicht in seinem Besitz. Snape hatte ihn.
Offenbar befriedigt von dem, was sie in seinen Augen gelesen hatte gab sie ihn frei und trat einige Schritte zurück.
„Du hast die Wahrheit gesagt. Bravo, ich gratuliere. Nur weiter so" ihre Stimme troff vor Sarkasmus.
„Nun Lucius, oh du mächtiger Zauberer, dann verrate mir doch, wer war der andere schändliche Evgrin, mit dem du unseren Hain entweiht hast?"
Lucius schwieg.
„Gehe ich recht in der Annahme, dass dieser Evgrin auch im Besitz von Irial ist? Ihre Fragen bohrten sich wie Pfeile in sein Fleisch.
Doch er wollte nicht antworten.
„Hm, gut du willst nicht antworten. Dann sollte ich mich vielleicht auf ein kleines Ratespiel einlassen?"
Sie ging umher und sah aus, als ob sie angestrengt nachdächte. Die ganze Zeit über ließ sie Lucius jedoch keine Sekunde aus den Augen.
„Es muss jemand sein, der dir nahe steht" begann sie.
Lucius ermahnte sich, sich nichts anmerken zu lassen.
„Jemand mit dem du wahrscheinlich eng befreundet bist".
Ihm wurde heiß. Sie kam der Sache zu schnell viel zu nahe.
„War es einer der Gäste auf deiner Geburtstagsfeier?"
Schweißperlen traten ihm auf die Stirn.
„Lass mich nachdenken. Wem unter den Gästen könnte man so eine Tat zutrauen?"
Er musste sich unglaublich zusammenreißen um sein Gesicht weiterhin unbeweglich zu belassen.
Wieder tat sie so, als dächte sie angestrengt nach.
„Wer ist so abgrundtief böse, um so etwas zu tun? Ausgenommen von dir, meine ich".
Sie belauerte ihn.
„Ah, ich hab's" rief sie triumphierend.
„Es ist Snape, richtig?".
„Kein anderer kommt dafür in Frage".
Obwohl sich Lucius jede erdenkliche Mühe gab, keinen Muskel zu rühren und auch nicht zu blinzeln, zuckte er doch ganz leicht zusammen, als Snape's Name fiel.
„Ich wusste es." der Triumph in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
„Na dann werde ich deinem guten alten Freund einen kleinen Besuch abstatten. Ich denke es gibt da einiges über unklare Besitzverhältnisse zwischen uns zu klären".
Mit diesen Worten wandte sie sich um und wollte gehen.
Lucius erwachte aus seiner Erstarrung.
Zuvor hatte er Snape schützen wollen.
Doch jetzt bangte er um Yi Min.
Egal was ihr für Kräfte zur Verfügung standen, Snape war ein sehr gefährlicher Gegner. Man dufte ihn in keinem Fall unterschätzen.
Er musste sie unbedingt aufhalten.
Sonst wäre es ihr Ende.
„Nein geh nicht. Er wird dich umbringen" rief Lucius und wollte hinter ihr herlaufen.
Sie blieb stehen und wandte sich zu ihm um.
„Mich umbringen? Vielleicht. Auf jeden Fall wird er es versuchen" erwiderte sie kalt.
Ihre spöttische Betonung des Wortes ‚versuchen' gefiel Lucius ganz und gar nicht.
„Unterschätze ihn nicht. Er ist sehr mächtig." warnte er sie doch sie schnaufte nur unwillig.
„Yi Min, ich meine es ehrlich. Geh nicht. Vergiss deinen Plan und bleib bei mir" mit diesen Worten trat er auf sie zu und wollte ihren Arm ergreifen.
Doch nur eine leichte Handbewegung von ihr ließ ihn wie ein Spielzeug durch die Luft fliegen und hart auf dem Boden aufschlagen.
Verwundert starrte er sie an.
Ihre Kräfte waren unglaublich.
„Du hälst mich nicht auf. Niemand wird mich aufhalten" rief sie.
Lucius wollte ihr zurufen, dass er es zumindest versuchen wollte, um ihret- und auch um seinetwillen, doch dann stutzte er.
Es erschien ihm, als würde sie mit einem Mal anfangen zu wachsen.
Das musste eine optische Täuschung sein. Der Sturz hatte ihn offenbar benommen gemacht.
Er schüttelte den Kopf und sah genauer hin.
Doch es bestand kein Zweifel, sie wuchs tatsächlich.
Wie ein Baum der im Zeitraffer wächst, streckte sie sich in die Höhe, wurde größer und größer, bis sie schließlich etwa die vierfache Größe ihrer selbst erreicht hatte.
Sie stieß mit dem Kopf fast an die Zimmerdecke.
Und die Räume hier im Haus waren eigentlich recht hoch.
Dann wandte sie sich um, fegte die Reste der Fensterflügel beiseite und trat hinaus. Mit Riesenschritten überquerte sie den Vorplatz.
Lucius kam mühsam auf die Füße, durchquerte eilig den Raum und trat auf die Terrasse hinaus.
„Yi Min bleib hier" rief er noch einmal.
Doch die riesenhafte Gestalt lachte nur, begann zu rennen und war in unglaublicher Geschwindigkeit seinen Blicken entschwunden.
To be continued...
